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Winfried Stanzick

Bewertungen

Insgesamt 2354 Bewertungen
Bewertung vom 09.04.2018
Religion als Sprengstoff?
Wolfers, Melanie;Knapp, Andreas

Religion als Sprengstoff?


ausgezeichnet

Melanie Wolfers, Andreas Knapp, Religion als Sprengstoff, Bene Verlag 2018, ISBN 978-3-960340-004-9

Gehört der Islam nun zu Deutschland oder nicht? Eine 2010 vom damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff ausgelöste höchst kontroverse innergesellschaftliche Debatte hat in den letzten Tagen und Wochen, kaum dass die neue Regierung im Amt war, eine neue Renaissance erfahren, deren Ende noch lange nicht abzusehen ist. Viele Politiker und Medien haben der Verneinung dieser Frage durch Horst Seehofer und anderen zum Teil heftig widersprochen, während seriöse Umfrage zeigen das über 70% der Bevölkerung ihr zustimmen. Ob sich hier wohl das Phänomen wiederholt, das wir aus dem Jahr 2015 kennen, als alle Bedenken der Bürger über die hohe Zahl vor allem junger männlicher und muslimischer Flüchtlingen sofort in einer selten zuvor gekannten Einigkeit der Medien in die rechte Ecke gestellt wurden?

Tatsache ist, Flüchtlinge hin oder her, dass Menschen muslimischen Glaubens, die diesen auch praktizieren, auf Dauer in unserer Gesellschaft leben werden. Unsere tolerante Gesellschaft trägt auch dieser religiösen Tradition durchaus Rechnung. Zugleich aber stellt sich immer mehr die Frage nach den Grenzen dieser Toleranz.

Das vorliegende Buch der beiden Theologen Melanie Wolfers (ev.) und Andreas Knapp (kath.) greift mitten in einer Epoche, in der in der westlichen der Prägekraft der christlichen Religion kaum noch etwas zugetraut wird und die sich dennoch angesichts der wachsenden muslimischen Bevölkerung und der sie leitenden Kultur vor großen Herausforderungen sieht, diese Fragen auf.

Es richtet sich an Menschen, die angesichts der oben beschriebenen aktuellen Herausforderungen sich mit dem Islam, aber auch mit den eigenen geschichtlichen und religiösen Wurzeln auseinandersetzen wollen. Und es richtet sich an Christen, die vor dem Hintergrund des oft beschworenen Dialogs der Religionen ihren eigenen Glauben und dessen persönliche und gesellschaftliche Bedeutung besser verstehen wollen.

Indem sie diesen Lesern auf eine sehr verständliche Weise ein Basiswissen über die beiden Glaubenstraditionen und ihre jeweilige Kultur vermitteln, leisten sie einen wichtigen und nötigen Beitrag für ein tieferes Verständnis des jeweils anderen.

Für den vielbeschworenen interreligiösen Dialog, der kaum schon irgendwo wirklich begonnen hat, weil große Unsicherheit darüber besteht, wie er angelegt sein soll, leisten Melanie Wolfers und Andreas Knapp mit ihrem Buch einen wichtigen, unverzichtbaren Beitrag.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.04.2018
Wo ist die kleine Raupe Nimmersatt?
Carle, Eric

Wo ist die kleine Raupe Nimmersatt?


ausgezeichnet

Eric Carle, Wo ist die kleine Raupe Nimmersatt, Gerstenberg 2018, ISBN 978-3-8369-5628-4

Dieses schöne Buch ist eine wahre Freude für alle kleinen Freunde der Raupe Nimmersatt, die mit jeder neuen Generation von Kindern immer mehr werden. Seit dem Erscheinen des ersten Buche, in den Raupe immer dicker wird, indem sie sich durch allerlei Obst frisst, kennt jedes Kind diese Figur und sie wird auch den neuen Kindern in den Kindergärten des Landes nicht lange verborgen bleiben, nachdem sie dort aufgenommen worden sind.

Nun haben Eric Carle und der Gerstenberg Verlag ein schönes neues Buch verlegt für Kinder ab etwa 2 Jahren, das mit vielen Klappen die Kinder einlädt, auf insgesamt 5 Doppelseiten die kleine Raupe Nimmersatt zu entdecken. Ein lustiges und auch spannendes Vergnügen für ganz kleine Raupenfreunde.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.04.2018
Die kleine Raupe Nimmersatt - Kleines Buch der Ruhe
Carle, Eric

Die kleine Raupe Nimmersatt - Kleines Buch der Ruhe


ausgezeichnet

Eric Carle, Die kleine Raupe Nimmersatt. Mein kleines Buch der Ruhe, Gerstenberg 2017, ISBN 978-3-83695962-9

Obwohl die kleine Raupe Nimmersatt in diesem kleinen Buch für Kinder ab etwa 3 Jahren nur auf der letzten Seite kurz „Hallo“ sagt, haben der Gerstenberg Verlag und Eric Carle der langen Reihe von Büchern mit oder über die berühmte Raupe ein weiteres hinzugefügt.

Ein Buch, das mit lustigen Zeichnungen im Stil der Bücher Eric Carles kleinen Kindern helfen soll, zur Ruhe zu kommen, wenn in ihrem Kopf „viel zu viel los ist“.

Die kleine Raupe Nimmersatt, die am Schluss etlicher guter Ratschläge den zu lächeln hinzufügt, zeigt Kindern, wie sie ganz schön ruhig werden könne, wenn sie sich ganz kribbelig und zappelig fühlen.

Entsprechend vorgelesen, kann dieses Buch Kindern gut zur Ruhe verhelfen.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.04.2018
Zirkusnacht
Leeuw, Mattias de

Zirkusnacht


ausgezeichnet

Matthias de Leeuw, Zirkusnacht, Gerstenberg 2018, ISBN 978-3-8369-5633-8

Das vorliegende zuerst in den Niederlanden erschienene zauberhafte Bilderbuch erzählt ohne Worte eine magische Traumgeschichte, bei der die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Imagination völlig verschwinden hinter den farbprächtigen Bildern, die die das Buch betrachtenden Kinder auf eine ganz besondere Weise ansprechen werden.

Es ist Abend, als das Buch beginnt. Sterne erhellen den Nachthimmel. Ein Hund sitzt vor dem Fenster. Dem Mädchen hinter dem Fenster in ihrem Zimmer gelingt es, das Tier in sein Zimmer zu locken. Dann studieren die beiden Kunststücke ein, eines fantastischer als das andere.

Müde geworden geht das Mädchen ins Bett. In der Nacht (in ihrem Traum?) nimmt sie ein großer Clown mit in den Zirkus. Zwischen Jongleuren, Akrobaten und Zirkustieren fährt sie dort Einrad, tanzt auf einem Seil und lässt den Löwen durch einen brennenden Reifen springen.

Als das Mädchen am Morgen wieder aufwacht, befindet sie sich in ihrem Zimmer und fragt sich: war alles nur ein Traum? Eine mit kräftigen Farben und fantasievollen Figuren ohne Worte erzählte magische Traumgeschichte.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.03.2018
Wo drei Flüsse sich kreuzen
Kent, Hannah

Wo drei Flüsse sich kreuzen


ausgezeichnet

Hannah Kent, Wo drei Flüsse sich kreuzen, Droemer 2017, ISBN 978-3-426-19979-4

Nach ihrem überzeugenden Debüt „Das Seelenhaus“. Dessen Handlung sie im Island des Jahres 1828 ansiedelte, verlegt die australische Schriftstellerin Hannah Kent das Geschehen ihre neuen Romans „Wo drei Flüsse sich kreuzen“ erneut nach Europa, dieses Mal nach Irland. Wieder schildert das Leben von Menschen im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts. Ein hartes, schweres Leben, in Irland geprägt von der Religion und von einer immer noch starken Macht eines jahrhundertealten Aberglaubens, gegen den auch Vertreter der Amtskirche nichts auszurichten vermögen.
Die Handlung des hervorragend recherchierten Romans (Hannah Kent hielt sich hierfür monatelang in Irland auf) basiert auf einer wahren Geschichte.

Nora Roche ist eine angesehene Bewohnerin ihres Dorfes, als sie einen schweren Schicksalsschlag erlebt, als ihr Mann plötzlich stirbt. Nachdem sie erst kurz davor den Verlust ihrer Tochter zu verkraften hatte, steht sie nun mit ihrem Enkelsohn Michael allein, der nach dem Tod der Tochter zu Nora und ihrem Mann gekommen ist. Vor zwei Jahren haben sie ihn zum letzten Mal gesehen und können ihn nun kaum mehr wieder erkennen. Das Kind, das jetzt bei ihnen ist, ist schwer behindert, sehr verzögert in seiner Entwicklung und sofort beginnen im Dorf die Gerüchte, das Kind sei ein von den Feen verwunschener Wechselbalg. Sogar den Tod von Martin und die Tatsache, dass die Kühe in der Gegend wenig Milch geben oder sterben, bringen die abergläubischen Menschen mit dem Kind in Verbindung.

Weil Nora ohne Mann die ganze Arbeit , die sie insbesondere durch das bewegungsunfähige Kind hat, nicht allein bewältigen kann, verdingt sie mit der 14- jährigen Nora auf einem Markt in der nahe gelegenen Stadt eine Magd, die ihr besonders mit dem Jungen zur Hand gehen soll.
Für das junge Mädchen ist das eine anspruchsvolle und anstrengende Aufgabe, die sie aber mit viel Empathie annimmt. Bald schon hat sie zu Michael eine starke emotionale Bindung aufgebaut.
Von den immer heftiger aufkommenden Gerüchten, Michael sei ein von den Feen verwunschener Wechselbalg, halt Mary im Gegensatz zu Nora nichts.

Nora indes schenkt den Gerüchten große Aufmerksamkeit und verfällt zunehmend dem Glauben, dass ihr kleiner Junge mit einem Feenwesen vertauscht wurde. Sie begibt sich zu der weisen Nance, die fachkundig in der Kräuterlehre ist und von sich selbst behauptet, mit den Feen in Kontakt zu stehen. Sie soll helfen, den wahren Michael wieder von den Feen zurückzuholen. Der neue Pfarrer, der im Gegensatz zu dem alten vom Aberglauben der Landbevölkerung gar nichts hält, droht Nora mit Folgen, sollte sie weiter den Kontakt zur weisen Nance halten.

Nora, Nance und, mit vielen inneren Widerständen auch Mary, verfolgen aber ihren Weg weiter. Sie wollen Michael von den Feen zurückholen und sie riskieren dabei alles, zuletzt sogar sein Leben und ihrer aller Zukunft.

Ein mitreißendes Drama um die Macht von Angst und Aberglaube - basierend auf einer wahren Geschichte aus dem 19. Jahrhundert.

6 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.03.2018
Achtzehn Hiebe
Gavron, Assaf

Achtzehn Hiebe


ausgezeichnet

Assaf Gavron, Achtzehn Hiebe, Luchterhand 2018, ISBN 978-3-630-87563-7

Eitan Einoch, den aufmerksame Leser israelischer Literatur noch kennen aus dem 2008 erschienenen Roman „Ein schönes Attentat“ von Assaf Gavron, in dem er kurz hintereinander drei Attentate überlebte und für kurze Zeit zum Shooting-Star der Medien wurde, ist auch in diesem neuen Roman der ich-erzählende Protagonist.

Zehn Jahre nach seiner Karriere in der Hightech-Industrie und den überlebten Attentaten ist seine Ehe gescheitert. Eitan arbeitet durchaus zufrieden als Taxifahrer in Tel Aviv, einer Stadt, die er genauso liebt, wie sein Schöpfer Assaf Gavron. Mit seinen Fahrgästen aus aller Welt liebt er es zu reden und sie mit interessanten Details über die Lebensgeschichte der Menschen zu unterhalten, nach denen die Straßen und Plätze benannt sind, die er in ihrem Auftrag ansteuert. Er freut sich die ganze Woche auf die Tage, an denen er seine Tochter Noga sehen darf und hält sich fit, indem er zweimal pro Woche zum Boxen geht.
Eines Tages bekommt er einen Auftrag, der für die nächsten Wochen sein Leben durcheinander bringen wird. Die Geschichte, die Gavron hier wie ein Krimi erzählt, spannt sich von der Liebesgeschichte zwischen zwei britischen Soldaten und zwei jüdischen Mädchen im Palästina des Jahres 1946 und ihren angeblich historischen Folgen (aus denen sich der Titel des Buches „Achtzehn Hiebe“ erklären wird) bis zur aktuellen Gegenwart. Denn die Auftraggeberin der die Handlung eröffnenden Fahrt ist eine der beiden jungen jüdischen Frauen. Sie heißt Lotta Perl und besucht ab nun täglich mit Eitan einen weiter entfernt gelegenen exklusiven Friedhof, wo ihr damaliger Geliebter seit einigen Tagen begraben liegt. Auf den langen Fahrten erzählt Lotta Perl dem von dieser Frau und ihrer Geschichte faszinierten Taxifahrer nicht von ihrer großen Liebe zu dem britischen Soldaten, sondern auch über das Leben in Palästina kurz vor der Gründung des Staates Israel.

Zusammen mit seinem Freund Bar, mit dem er schon einmal relativ erfolglos eine Detektei betrieb, erhält Eitan von Lotta den Auftrag über den Tod des Briten, mit dem Lotta die alte Liebe erst wenige Wochen zuvor wieder aufgefrischt hatte, zu recherchieren.

Was er dann herausfindet nicht nur über die Umstände des Todes von mehreren Personen des damaligen Liebesquartetts, was geschehen ist jetzt in Tel Aviv und damals in Haifa, all das hat Assaf Gavron mit viel jüdischem Humor und literarisch anspruchsvoll in eine krimihafte Geschichte gekleidet, die gleichzeitig erzählt von der sagenumwobenen Gründungszeit des Staates Israel, deren Widersprüche in den letzten Jahren zunehmend von verschiedenen Schriftstellern und Historikern kritisch beleuchtet werden.

Mit liebevoller Reminiszenz an seine Heimatstadt Tel Aviv ist Assaf Gavrons Buch trotz ernstem Themas unterhaltsam und spannend zu lesen und kommt auf eine sympathische Weise leichtfüßig und warmherzig zugleich daher.

Ob er seinem Taxifahrer Eitan Enoch in den nächsten zehn Jahren ein weiteres, drittes Buch widmen wird? Seien wir gespannt.

6 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.03.2018
Munin oder Chaos im Kopf
Maron, Monika

Munin oder Chaos im Kopf


ausgezeichnet

In ihrem neuen, politisch wenig korrekten Roman, lässt die mittlerweile 76-jährige Schriftstellerin Monika Maron ihre Ich-Erzählerin eine ganze Menge wohl eigener Beobachtungen und Einschätzungen formulieren und aussprechen.

Die Ich-Erzählerin heißt Mina Wolf. Sie arbeitet als journalistische Freelancerin und Gelegenheitstexterin und hat, auf welchem Wege auch immer, von der kommunalen Spitze einer westfälischen Kleinstadt den Auftrag erhalten, für eine städtische Festschrift einen Beitrag über der Dreißigjährigen Krieg zu verfassen.
Zunächst eher widerwillig (sie hat ja den ganzen Sommer Zeit) beginnt sie zu recherchieren, und zu lesen, denkt nach über deutsche Befindlichkeiten und die Verwerfungen der Welt und über Religionskriege damals und heute. Ihre Beobachtungen und Vergleiche bewegen sich gegen den medialen Mainstream der letzten Jahre, politisch sehr unkorrekt, aber durchaus im Rahmen dessen, was eine Mehrheit einer zunehmend schweigenden Bevölkerung schon lange denkt über die Schwierigkeiten der Integration von Millionen junger muslimischer Männer (Maron spricht tatsächlich von „Millionen“) und über die Gefahr von Parallelgesellschaften.
Mina Wolf ist zunächst zögernd, dann aber immer zutraulicher werdend, eine einbeinige Krähe zugeflogen. Sie kommt nicht täglich, aber wenn sie da ist und das ausgelegte Futter verspeist hat, ist sie der Journalistin eine skeptisch-pessimistische, aber sehr meinungsfreudige Gesprächspartnerin. Diese Dialoge mit der klugen Krähe, die so was symbolisiert wie eine zweite innere Stimme der Erzählerin, bilden das literarische Zentrum des Romans und sind für den Leser eine wahre intellektuelle Freude.

Schon bald hat Mina Wolf den Eindruck, in einer sogenannten Vorkriegszeit zu leben, so wie es Michael Stürmer in der Ausgabe der WELT vom 19.12.2016 formulierte. Gestützt und befeuert wird dieser für sie bestürzende Eindruck durch das, was die Rahmenhandlung des Romans bildet und eine literarisch gelungene Parabel darstellt für das Wutpotential in unserer Gesellschaft, das sich an den unterschiedlichsten Stellen Bahn bricht, das aber niemand wirklich richtig verstanden hat. In der direkten Nachbarschaft der ansonsten recht stillen und unauffälligen Wohnstraße in Berlin-Schöneberg, in der Mina Wolf lebt, lebt auch eine psychisch kranke Frau, die jeden Tag von morgens bis abends lauthals auf ihrem Balkon singt. Ihr Singen ist eher eine disharmonisches Schreien, das schon bald die anderen Anwohner nervt und in einer Einwohnerversammlung zusammenbringt. Doch diese Versammlung bringt keine Einigung, sondern bringt die Unterschiede in der politischen Haltung der Anwohner erst zu Tage (linke, liberale und stramm rechte) mit schlimmen Folgen für das weitere Zusammenleben.

Dieser immer weiter zunehmende Aufruhr und die damit verbundene Aggression in der kleinen, engen Straße, der auch vor Anschlägen und persönlichen Beleidigungen und Angriffen nicht Halt macht und der tägliche Terror und Krieg in den Medien vermischen sich in Minas Kopf mit dem, was sie über den Dreißigjährigen Krieg herausfindet.

Sie schläft mittlerweile tagsüber, um nachts vor dem Geschrei der irren Nachbarin geschützt zu sein. In vielen Nächten ist die Krähe, der sie den Namen Munin gegeben hat, ihr kluger und widerborstiger Gesprächspartner, der sie immer mehr von seiner skeptischen Haltung was die Lernfähigkeit des Menschen betrifft, überzeugt.

Immer mehr hat sie den Eindruck, dass sie tatsächlich in einer neuen Vorkriegszeit lebt und dass sich der kleine Krieg der Nachbarn im „großen Krieg in Deutschland“ spiegelt.

Mit einer wunderbaren Sprache erzählt, voller kluger Beobachtungen und mit viel literarischem Witz, entwirft Monika Maron in diesem Alterswerk nicht nur ein provozierendes Stimmungsbild unserer Zeit, sondern zieht auch ein eher skeptisches Resümee ihrer eigenen politischen Haltung.

Ein sehr aktueller Roman, der eine Nominierung für

6 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.03.2018
Kühn hat Ärger / Martin Kühn Bd.2
Weiler, Jan

Kühn hat Ärger / Martin Kühn Bd.2


ausgezeichnet

Nachdem sich der Schriftsteller Jan Weiler, einer der erfolgreichsten seiner Zunft in Deutschland, nach seinem ersten Roman über den Münchner Kommissar Martin Kühn, den er 2015 veröffentlichte, in den letzten beiden Jahren vorwiegend mit seinem „Pubertier“ und anderen literarischen Projekten beschäftigte, legt er nun mit „Kühn hat Ärger“ seinen zweiten und hoffentlich nicht letzten Roman über das Leben und die Arbeit eines ganz besonderen Kommissars vor, mit dem er wie beim ersten auch sehr subtile und kluge Beobachtungen gesellschaftlicher Phänomen literarisch gekonnt verknüpft mit Einsichten in menschliche Innenwelten ( nicht nur die des Kommissars selbst).

In der letzten Zeit ist es Martin Kühn nicht eben gut gegangen. Nachdem er seinem ungesunden Lebensstil und den immer stärker werdenden Anstrengungen seines Berufs Tribut zollen musste und nach einem Zusammenbruch sich in einem Reha-Zentrum für Beamte mehr oder weniger gut erholt hat, kann er sich nach seiner Heimkehr nicht lange mit der ich n nach wie vor quälenden Frage auseinandersetzen, ob er in seinem Leben eher Opfer oder Täter ist.

Nachdem sie direkt nach seiner Rückkehr aus der Reha eine recht gute Zeit miteinander hatten, muss Martin Kühn nun wieder seiner Arbeit nachgehen und feststellen, dass seine Frau Susanne sich merkwürdig verhält. Das wird in der Folge der Handlung so weit gehen, dass Martin sie unter dem Verdacht hat, mit seinem rechtsradikalen Nachbarn ein Verhältnis zu haben und er selbst auf ihm bisher unbekannte Weise versucht ist, selbst einen intimen Fehltritt zu begehen.

Und die früher eher gelöste Stimmung unter seinen Kollegen ist angespannt, seit eine neue Leitungsstalle ausgeschrieben worden ist, und jeder den anderen unter den Bewerbern vermutet.

Auf solch doppelte Weise verunsichert, wird Kühn zusammen mit seinem Kollegen Steierer mit den Ermittlungen im Todesfall eines aus Libanon stammenden Jugendlichen namens Amir beauftragt. Er wurde nachts an einer Bushaltestelle von einer Gruppe anderer Jugendlicher brutal erschlagen, so jedenfalls ist die erste Vermutung. Amir war befreundet mit Julia, Tochter aus guten Hause. Die Familie van Hauten ist durch zweifelhafte Patentgeschäfte der Vorfahren sehr reich geworden. Neben der Tochter Julia gibt es noch den etwas älteren Sohn Florin, von dem sich herausstellen wird, dass sich hinter seiner freundlichen Fassade etwas verbirgt, was seine Eltern schon seit seiner Geburt übertünchen wollen.

Als Kühn die Familie zum ersten Mal besucht, ist er sehr angetan von dem Umgangsformen und der wohltuenden Freundlichkeit der Familie, die er als echt wahrnimmt. Er erfährt, dass der ehemals kleinkriminelle Amir, kaum hat er Julia kennengelernt, eine wahre Metamorphose in seinem verhakten und seinem Auftreten durchläuft,. Er geht wieder in die Schule, lernt, schreibt gute Noten und erfolgreiches Abitur liegt zum ersten Mal in seinem bisher verkorksten Leben im Rahmen des Möglichen. Das legt auch an der überaus freundlichen Aufnahme, die Amir durch Julias Familien erfährt, die ihn sogar im Sommer für drei Wochen mit in den Familienurlaub nimmt.

Doch warum und von wem wurde Amir dann ermordet, brutal erschlagen und dann auf der Straße liegen gelassen? Mit aller seiner Kraft hängt sich Kühn in diesen Fall, versucht die geheimnisvolle Dynamik der Familie van Hauten zu verstehen, die er schon beim allerersten Besuch gespürt hat.

All das natürlich auf dem Hintergrund des unterschwellig gärenden Konkurrenzkampfes im Dezernat, der so jedenfalls neu ist für Kühn und ihm genauso zusetzt, wie die Diagnose seines Amtsarztes, den er erst nach wochenlangen Erinnerungen seiner Vorgesetzten endlich aufsucht und der ihm einen extrem hohen PSA-Wert bei der letzten Blutprobe offenbart, die Vermutung einer ernsten Erkrankung der Prostata äußert und sofort weitere Untersuchungen fordert.

Doch dafür hat Kühn zunächst genauso wenig Zeit, wie dafür, sich um eine

6 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.03.2018
Irgendwohin oder der Tag, an dem George das Fliegen lernte
Gordon, Gus

Irgendwohin oder der Tag, an dem George das Fliegen lernte


ausgezeichnet

Gus Gordon, Irgendwohin oder der Tag, an dem George das Fliegen lernte, Knesebeck 2018, ISBN 978-3-95728-026-8

Es gibt viele verschiedene Vögel. Allen ist gemeinsam. Dass sie irgendwohin fliegen. Manche in den Süden. Manche in der Norden. Wenige von ihnen nehmen lieber den Bus. Doch die Gans George Laurent ist da ganz anders. Er fliegt nicht hierhin und auch nicht dorthin, weil es ihm zuhause am besten gefällt. Weil er dort seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen kann, dem Backen. Er backt so gut, dass viele Freunde zu ihm geflogen kommen, um seine Naschereien aus der Backstube zu probieren.
Das gefällt George gut, nur: im Winter, wenn die Freunde alle weit weg sind wo es warm ist, das fühlt er sich alleine. In einem solchen Winter lernt er den Bären Pascal Lombard kennen, der gerade auf der Suche nach einem warmen Ort ist, wo er den Winter verbringen kann. Sie finden sich beide sympathisch, und Pascal beginnt systematisch nachzufragen, warum George nicht fliegen will oder kann. Pascal lässt sich von mannigfaltigen und sehr fantasiereichen Ausreden Georges nicht irritieren und endlich gelingt es ihm, George in einen Ballon zu bekommen, mit dem sie zuerst nach Paris fliegen. Es folgen die Arktis und viele weitere Gegenden in der Welt, zu denen sie auf ihrer monatelangen Reise gelangen.

Wieder zuhause kredenzt George seine selbstgebackenen Kuchen und antwortet auf Pascals Frage, wo sie denn im nächsten Winter hinfliegen: „Einfach irgendwohin!“

Eine schönes Bilderbuch über die Freude am Reise und Entdecken und über den schönste Ort auf der ganzen Welt: das eigene zuhause.

5 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.03.2018
Haselnusstage
Bourdier, Emmanuel

Haselnusstage


ausgezeichnet

Emannuel Bourdier, Haselnusstage, minedition 2017, ISBN 978-3-86566-323-8

„Eine Stunde.
Eine Stunde mit ihm. Um mich in sein Lachen zu kuscheln,
seinen Haselnussduft zu atmen,
ihm beim Muskelaufpumpen und Ohrenwackeln zuzuschauen,
von ihm ‚mein Sohn‘ genannt zu werden und den Hals
nach draußen zu den Wolken zu recken. Nur eine mickrige Stunde.“

Diese eine Stunde im Leben eine Jungen wird in dem schon 2014 in Frankreich erschienenen traurigen und düsteren Bilderbuch erzählt, eine Stunde an einem Mittwoch zwischen 14 und 15 Uhr, als er seinen Vater, der zu einer sehr langen Gefängnisstrafe verurteilt ist, im Besucherzimmer des Gefängnisses gegenüber sitzt.
Es ist für den Jungen eine Stunde einer extremen emotionalen Achterbahnfahrt. Bourdier beschreibt seine Gefühle, Gedanken und Hoffnungen in knappen Sätzen und mit düsteren, farblosen und tief traurigen Bildern.

Einmal, als er sich vorstellt, nach der Entlassung des Vaters mit ihm ein Wettrennen zu veranstalten, keimt kurz so etwas wie Hoffnung, die aber sofort von der Erkenntnis zerstört wird, dass der Vater dann zu alt sein wird.

Der Junge lebt mit seiner Mutter ein armseliges Leben. Wenn er in ihrer Augen schaut, dann hasst er den Vater. In der Schule ist er schlecht und wird von den anderen Kindern gemieden und gemobbt. Sein Vater will, dass er besser in der Schule wird, dass er nicht so wird wie er selbst.

Als seine Mutter und der Jungen sich nach einer Stunde verabschieden, weint der Vater. Und der Junge versucht seinen Haselnussgeruch in der Nase zu behalten. Bis zum nächsten Mittwoch um 14 Uhr.

„Haselnusstage“ ist ein Wagnis. Ein mutiges, weil so tief trauriges und hoffnungsloses Bilderbuch, das den Blick öffnen und schärfen will für die Kinder, die schon zu Beginn ihres Lebens auf der Verliererseite sind, und dort wohl auch bleiben werden.

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.