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Benutzername: 
Sophie H.
Wohnort: 
Rastede

Bewertungen

Insgesamt 123 Bewertungen
Bewertung vom 23.09.2020
Das Buch eines Sommers
Kast, Bas

Das Buch eines Sommers


gut

Sehr leichte Sommerlektüre ohne Überraschung

Die Leseprobe hatte mich sehr neugierig gemacht. Der junge Abiturient Nicolas verbringt einen Sommer mit seinem Onkel, der Schriftsteller ist. In diesem Sommer reift in Nicolas der Wunsch, ebenfalls Schriftsteller zu werden. Doch dann kommt das Leben dazwischen: Sein Vater stirbt und er muss die Firma übernehmen. Viele Jahre später – Nicolas ist nun Firmeninhaber und selbst Vater eines kleinen Jungen – bekommt er die Nachricht, dass sein Onkel verstorben ist und ihn als Alleinerben eingesetzt hat. Um die Beerdigung zu organisieren, reist Nicolas samt Frau und Kind in den Ort, wo sein Onkel seine letzten Lebensjahre verbracht hat. Alles in der großen Villa atmet das Leben seines Onkels. Dort hat Nicolas mehrmals einen sehr eindrücklichen Traum, in dem ihm eine Figur aus den Romanen seines Onkels begegnet, der ihm klar macht, dass es im Leben darum geht, der zu werden, der man ist. Aber wer ist Nicolas?
Das Buch wird als lebensphilosophische Erzählung betitelt. Die erste Hälfte des Buches hat mich sehr positiv gestimmt. Wir kommen im Leben immer wieder an Wegkreuzungen, wo wir uns überlegen müssen, wer wir sind und wohin wir gehören. Doch dann wurde die Geschichte immer platter und sehr vorhersehbar. Es gibt keinerlei Spannungsbogen und auch keine überraschende Wende. Dazu kommt, dass es auch am schriftstellerischen Handwerk mangelt. Die Dialoge kommen sehr konstruiert daher. Da Dialoge stellenweise über eine ganze Seite gehen, ohne dass zwischendurch der Sprecher gekennzeichnet wird, habe ich den Überblick verloren, wer gerade spricht. Ganz schlimm wird es, wenn der Sprecher ganze Sätze lächelt! („Zusammiger?“, lächelte ich.)
Wer eine simple, leichte Sommerlektüre ohne Tiefgang sucht, ist mit dem Buch gut beraten. Wer mehr erwartet, geht leider leer aus

Bewertung vom 09.09.2020
Das Haus in der Claremont Street
Carolsfeld, Wiebke von

Das Haus in der Claremont Street


sehr gut

Der Klappentext und die Leseprobe haben mich sofort in ihren Bann gezogen. Ich wollte unbedingt wissen, wie es weitergeht! Der neunjährige Tom muss miterleben, wie sein Vater seine Mutter ermordet und sich anschließend selber das Leben nimmt. Dieses schreckliche Erlebnis führt dazu, dass Tom kein Wort mehr spricht. In den nächsten Monaten kümmern sich die drei Geschwister seiner Mutter sich um das Kind: die alleinerziehende, chaotische Rose, die bis dahin kinderlose Sonya und der Weltenbummler Will.
Wird das erste Kapitel aus der Sicht von Tom geschrieben, wie er hautnah akustisch mitbekommt, was mit seinen Eltern geschieht und sich dem macht- und hilflos ausgeliefert fühlt, wechselt danach abschnittsweise die Erzählperspektive. Nun kommen hauptsächlich die Geschwister von Toms Mutter zu Wort. Schnell wird klar, dass jede/r sein Päckchen zu tragen hat und wie die Verflechtungen innerhalb der Familie sind. Nach und nach stellt die Familie fest, dass niemand vor seinen Fehlern weglaufen kann.
Der Autorin gelingt es sehr gut, die Emotionen und Beweggründe der einzelnen Figuren darzustellen. Ich hätte mir aber gewünscht, dass Tom im weiteren Verlauf etwas mehr zu Wort kommt. Auch das Ende kommt mir etwas zu abrupt daher. Der Schreibstil der Autorin ist flüssig und gut lesbar. Man kann sich jederzeit gut in die handelnden Personen hineinversetzen.
Fazit: Wer Familiengeschichten mit einer Prise Drama mag, der liegt mit diesem Buch genau richtig!

Bewertung vom 17.08.2020
Das Buch Ana
Kidd, Sue Monk

Das Buch Ana


ausgezeichnet

„Mein Name ist Ana. Ich war die Frau von Jesus ben Joseph aus Nazareth.“ Mit diesen beiden Sätzen hat mich das Buch gleich in seinen Bann gezogen und nicht mehr losgelassen. Es erzählt die Geschichte von Jesus aus der Sicht seiner (fiktiven) Ehefrau. Die Geschichte beginnt mit Ana, einem Mädchen, das das Glück hatte, in einer wohlhabenden jüdischen Familie aufzuwachsen. Von den anderen Mädchen in ihrer Zeit unterscheidet sie sich, weil sie Lesen und Schreiben kann. Diese Fertigkeiten sind normalerweise den Männern vorbehalten. Ana hat es aber geschafft, dass ihr Vater sie unterrichten ließ. Anas größte Freude und Bestimmung ist es, die vergessenen Geschichten von Frauen aufzuschreiben, die im Judentum eine wichtige Rolle spielten, von denen aber nie berichtet wurde. Aber nicht nur in dieser Hinsicht ist Ana eine Rebellin. Sie schafft es, die Frau von Jesus zu werden, obwohl ihre Eltern einen anderen Mann für sie ausgesucht hatten. Für Jesus wird sie eine Partnerin auf Augenhöhe, mit der er sich austauschen kann.
Ich habe Theologie studiert und deshalb war ich sofort von der Geschichte der Ehefrau Jesu fasziniert. Ich war gespannt darauf, ob es Sue Monk Kidd gelingt, den historischen Jesus mit einer fiktiven Figur zu verweben. Es ist ihr ganz hervorragend gelungen! Hier geht es nicht um eine religiöse Abhandlung des Leben Jesu, sondern darum, wie sein Leben mit einer Ehefrau an seiner Seite hätte aussehen können. Hatte Jesus überhaupt eine Frau? Wir wissen es nicht. In der Bibel und in den außerbiblischen Schriften bleibt sie unerwähnt, es wird aber auch nicht ausdrücklich gesagt, dass Jesus keine Frau hatte. Damals wurde nicht über oder von Frauen berichtet. Sie blieben in der Regel unerwähnt. Aber auch die Normalität wird normalerweise nicht beschrieben, sondern eher das Unnormale. Jesus war ein gläubiger Jude. Von einem Juden wurde erwartet, dass er heiratet und Kinder bekommt. Hätte Jesus sich dagegen entschieden, wäre das eher erwähnenswert gewesen. So lange sich keine Schriften finden, in denen explizit über den Familienstand von Jesus berichtet wird, bleibt es eine reine Spekulation.
Sue Monk Kidd hat sauber recherchiert und versteht es ganz vortrefflich, das Leben in Israel und Alexandrien zur damaligen Zeit wieder zum Leben zu erwecken. Fast hat man das Gefühl, zusammen mit Ana durch Jerusalem, Nazareth und Alexandria zu laufen.
Sue Monk Kidd gelingt es wieder einmal, Frauen eine Stimme zu geben, die in ihrer Zeit keine hatten. Und deswegen endet das Buch auch mit Fug und Recht mit diesen drei Sätzen: „Mein Name ist Ana. Ich war die Frau von Jesus aus Nazareth. Ich bin eine Stimme.“