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Helena

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Insgesamt 131 Bewertungen
Bewertung vom 30.10.2018
Ein Winter in Paris
Blondel, Jean-Philippe

Ein Winter in Paris


ausgezeichnet

Ein Werk, das Wahrheit spricht

Victor kommt aus der Provinz nach Paris, um an der École supérieure die äußerst harten Vorbereitungkurse zu absolvieren. Alle seine Mitschüler sind aus Paris, was ihn zu einem Außenseiter macht, der wenig beachtet wird. Er gibt vor, es würde ihn nicht stören, und bündelt seine ganze Energie für den bevorstehenden Concours. Zu aller Lehrer Überraschung, und nicht zuletzt seiner selbst, schafft er die erste große Hürde und ist nun in der zweiten Klasse. In der ersten Klasse ist nun ebenfalls ein Schüler aus der Provinz: Mathieu. In der Pause stehen sie manchmal zusammen und rauchen. „Das hat uns einander näher gebracht. Unsere Zigarettenmarke. Manchmal braucht es nicht viel.“

Als Mathieu eines Tages vom Schulgebäude springt, ist Victor plötzlich im Mittelpunkt des Interesses. Mit einem Mal wird er gesehen, berührt, als Mensch wahrgenommen. Alle erwarten Antworten auf die unterschiedlichsten Lebensfragen von ihm, als wäre er der einzige, der alles gesehen und verstanden hat. Auch Paul Rialto, der absolute Lehrerliebling, von dem am Tag des Concours Wunder erwartet wurden, und an dessen Lippen bisher alle hingen. Und plötzlich besitzt Victor auch Macht. Macht über den Französischlehrer Clauzet, dem eine Teilschuld an Mathieus Suizid zugeschrieben wird, Macht über den Rektor und die Schule, die er in Verruf bringen könnte, wenn er wollte.

Doch Victor handelt reifer, als er selbst gedacht hätte, und spricht Dinge aus, von denen er selbst nicht wusste, dass sie in ihm sind. Er wird zu einem Vetrauten, der Trost spenden kann, und zu einem Wissenden, der Licht ins Dunkel bringen kann. Das Geschehen ermöglicht ihm einen Blick hinter all die Fassaden der familiären, gesellschaftlichen und schulischen Strukturen. Dabei wünscht sich der heranwachsende Neunzehnjährige nicht sehnlicher als Klarheit und Geborgenheit für sich selbst: „Und deshalb brauchten Sie ... ja, was eigentlich?“ – „Ich weiß nicht ... einen Platz?“

Und den Platz im Leben, den findet er schließlich auch – nicht umsonst heißt er der Siegende – und siegreich geht er aus der großen Lebensprüfung hervor, denn er hat viel über seine Mitmenschen, sich selbst und das Leben im Allgemeinen gelernt. Und wir, die Leser mit ihm. Und ist das – nicht die einzig wahre Literatur? Wenn ein Roman zu der Kategorie wahrer Literatur gehört, dann unweigerlich dieser – Jean-Philippe Blondels „Ein Winter in Paris“. „Die Prosa hat den Kampf gewonnen. Jeder Widerstand wäre zwecklos.“

Bewertung vom 29.10.2018
Ich komme mit
Waldis, Angelika

Ich komme mit


ausgezeichnet

Wer, wie Lazar Laval, Geschichte studiert hat, weiß möglicherweise, dass in einigen Kulturen Caniden wie Hund, Schakal oder Fuchs symbolische Seelenführer ins Totenreich waren. Als Lazar an Leukämie erkrankt und sein Blutbild trotz Therapie schlecht ausfällt, beschließt er das Bild eines eingravierten Fuchses in einer mesopotamischen Kultstätte in der Türkei aufzusuchen. Ob dieser Fuchs Lazar auf seiner letzten Reise begleiten wird, so wie seine 72jährige Nachbarin Vita Maier, die in dieser schweren Zeit als einzige zu ihm hält?

Angelika Waldis Roman „Ich komme mit“ ist in jeder Hinsicht etwas Besonderes. Zum einen bricht die Autorin gekonnt mit der gängigen Vorgehensweise bei einem derartig ernsten Thema wie einer Krebserkrankung vor allem das Gefühl des Lesers ansprechen zu wollen. Vielmehr wählt sie einen assoziativen, beobachtenden, sprachspielerischen Ton. Dieser Ton ist quasi die Abkehr des Zwangs zum Mitgefühl. Dadurch berührt jeder Romanmoment und jeder Figurgedanke den Leser nur umso mehr.

Zum anderen gelingt der Autorin mit wechselnder Innensicht zwischen den Protagonisten Lazar und Vita zwei äußerst divergierende Charaktere zu zeichnen. Manch einer mag sich vielleicht denken: „Die Figur der Maier mag der Autorin sicherlich gut gelungen sein, da die Autorin ja selbst über siebzig ist, aber ob sie sich wirklich in einen jungen Mann hineinfühlen kann – das bezweifle ich“. Und doch ist es so! Lazar Laval ist ebenso authentisch und lebensnah wie Vita Maier. Angelika Waldis ist tatsächlich jung im Herzen geblieben.

Zu guter Letzt entwickelt sich der philosophische Unterton in den jeweils eigenen Betrachtungen der Figuren – ein ungewohntes Sprachbild jagt das andere! – während ihrer Zwiegespräche zu einer wahrhaft Funken sprühenden Feier des Intellekts. Das lässt sich nicht wiedergeben, man muss es selbst erleben! Da sich das intellektuelle Vergnügen und das Mit-Leid in Angelika Waldis Roman auf derart kongeniale Weise die Waage halten, liegt uns mit „Ich komme mit“ ein bis ins Innerste bewegender Roman vor, der zu tiefgehenden Erkenntnissen führt und in seiner Einzigartigkeit seinesgleichen vergeblich suchen wird.

Bewertung vom 23.10.2018
Die Sonnenschwestern
Rees, Tracy

Die Sonnenschwestern


gut

Chloe verbringt jeden Sommer in Tenby bei Tante Susan und Onkel Henry. Das ganze Jahr freut sie sich auf die Sommerferien. Sie liebt die walisische Stadt am Meer. Was die Zeit für sie dort aber ganz besonders macht ist Llew Jones, der zwei Jahre jünger ist als sie, jedoch über eine Weisheit weit jenseits seines Alters verfügt. Sie sind unzertrennlich. Bis eines Tages ein großes Unglück passiert, das alles verändern soll.

Nora ist fast 40, als sie ihre halbherzige Beziehung beendet, ihren Job an der Universität kündigt und nach Tenby fährt, weil sie diesen Strand aus Kindheits- und Jugendtagen vor dem inneren Auge sah. Er hat sie ganz deutlich gerufen, sich auf das Sinngebende in ihrem Leben zu berufen und das wahre Glück zu suchen.

Tracy Rees gelingt es, einen atmosphärischen Roman zu kreieren, der ihre eigene Liebe zu Wales im Allgemeinen und Tenby im Speziellen widerspiegelt. Ihre Beschreibungen des Ortes sind so lebhaft und ansprechend, dass man als Leser auch direkt dem Ruf Tenbys folgen möchte, um dort Ruhe und Schönheit zu finden. Auch den zwei Frauenschicksalen, im Wechsel geschildert, folgt man mit gleichbleibender Anteilnahme und anhaltendem Interesse. Jede Leserin wird sich sowohl mit Chloe und ihren unbeschwerten Sommertagen als auch mit Nora und ihrem Ausbruch aus dem Alltagstrott identifizieren können. Beide sind glaubhaft, lebensnah und vertraut. Zu schade ist deshalb die Tatsache, dass der Roman im letzten Abschnitt in völligen Kitsch abdriftet, der den ganzen vorhergehenden Zauber der Geschichte zerstört und das Glaubwürdige ins Unglaubwürdige verwandelt. Zusätzlich zu bemängeln sind der manchmal etwas holprige Übersetzungsstil sowie die recht vielen Rechtschreibfehler, die sich in den deutschen Text geschlichen haben.

Bewertung vom 18.10.2018
Gehen. Weiter gehen
Kagge, Erling

Gehen. Weiter gehen


ausgezeichnet

„Warum gehen wir? Wo kommen wir her, und wo gehen wir hin?“

Erling Kagge ist von Beruf Autor, Jurist und Verleger. Von Berufung her ist er dagegen leidenschaftlicher Wanderer, der sowohl den Nord- und Südpol erreicht als auch den Mount Everest erklommen hat – als Erster in der Geschichte wohlgemerkt.

„Gehen. Weiter gehen“ ist nach „Stille. Ein Wegweiser“ Erling Kagges zweites Sachbuch, das eine große internationale Resonanz erfuhr. Und das zu Recht, denn „Gehen. Weiter gehen“, das sich selbst als eine Art Anleitung versteht, sucht vergeblich seinesgleichen. Es ist ein Sammelsurium aus eigenen Geh-Erlebnissen, die sowohl Alltagssituationen als auch Extremerfahrungen umfassen, Gedanken berühmter Philosophen und Schriftsteller, sozialwissenschaftlichen Studien sowie Gesprächen mit guten Freunden und flüchtigen Bekanntschaften. Abgerundet wird es durch Bilder und Graphiken aus der privaten Sammlung des Autors.

„Gehen. Weiter gehen“ ist so faszinierend, dass ich es in einem Rutsch gelesen habe. Man kann es aber auch Häppchenweise genießen. Auf jeden Fall kann – und wird man – zu vielen seiner Aussagen immer wieder zurückkehren. Ich konnte mich mit vielem identifizieren. So z. B. mit seiner Ansicht, man solle eine Stadt zu Fuß erkunden, um sie richtig kennenzulernen. Auch ich habe noch nie einen Hop-on-hop-off-Bus genutzt, obwohl ich dessen praktischen Nutzen durchaus nachvollziehen kann. Oder wenn Kagge von dem herrlichen Gefühl schreibt, in einem Park oder Wald spazieren zu gehen, und sich an einem ruhigen Platz auf den Rücken zu legen, wenn man erschöpft ist. Oder wenn er schreibt: „Am liebsten gehe ich, bis ich beinahe zusammenbreche. Ich will das Glück, die Erschöpfung und die Absurdität beim Gehen spüren, wenn sich alles vermischt und ich nichts mehr trennen kann. Mein Kopf verwandelt sich. Mir ist es egal, wie spät es ist, die Gedanken verschwinden aus meinem Kopf, und ich werde zu einem Teil des Grases, der Steine, des Mooses, der Blumen und des Horizonts.“ Wenn der Autor über die Rolle des Schmerzes beim Gehen schreibt und darüber wie eng Schmerz und Wohlbehagen miteinander verbunden sind, verstehe ich sehr gut, was er meint. So habe ich mir selbst schon oft unter Einsetzung meiner ganzen Vorstellungs- und Willenskraft den Schmerz in meinen Füßen als ein schönes Gefühl vorstellen können.

Mehr als nur meinen ganzen Beifall kann ich Erling Kagge zollen, wenn er schreibt, dass man eine Landschaft nur zu Fuß richtig kennen lernen kann, denn „wenn man mit dem Auto [...] wird das Leben kürzer. [...] Mit all den Dingen um sich herum vertraut zu werden, braucht Zeit. Als würde man eine Freundschaft aufbauen. Die Zeit dehnt sich aus, du zählst nicht mehr in Minuten und Stunden.“ Wie wahr! Und genau deswegen „dauert“ das Leben auch „länger, wenn man geht“, denn „gehen verlängert jeden Augenblick“.

Auf eigener Haut habe ich erfahren, was der Autor am Gehen anpreist: Dass es die Gedanken frei fließen lässt, gute Laune macht, die Kreativität freisetzt und Abstand von den eigenen Problemen gewinnen lässt. Die Probleme verschwinden zwar nicht – „Im Gegenteil, sie waren zu groß, als dass ich ihnen hätte entgehen können, aber mein ganzes Ich hatte eine Pause gehabt.“ – aber der Umgang mit ihnen ändert sich. Nur im und durch das Gehen können bestimmte philosophische Gedanken mit Leichtigkeit erfasst werden, wie dieser: „Der Augenblick und die Ewigkeit müssen keine Gegensätze sein. Die Zeit wird aufgehoben, und beides kann gleichzeitig erlebt werden.“

„Die Bipedie legte die Grundlage für alles, was wir heute sind“ und darum trete ich nun vor meine Haustür, denn „wenn wir kaum noch gehen, hören wir auf, der zu sein, der wir sind.“ Und das will ich auf gar keinen Fall riskieren. Auch möchte ich für eine Weile „den Rest der Welt“ vergessen, denn „Vergangenheit und Zukunft spielen kaum eine Rolle, solange man einen Fuß vor den anderen setzt.“

Bewertung vom 16.10.2018
Alles Liebe, wuff
Willson, Andrea

Alles Liebe, wuff


sehr gut

Ein kurzweiliger, humorvoller Roman

Seit Ella, Lulu, Cecile und Silke sich zufällig beim Pilateskurs kennenlernen, sind sie beste Freundinnen und helfen sich gegenseitig, wo sie nur können. Um so mehr, da es gerade bei drei von ihnen richtig dramatisch zugeht: Ella, die Journalistin, wurde von einem Tag auf den anderen von ihrem Freund für eine andere verlassen und den Chafredaktionsposten hat er ihr auch vor der Nase weggeschnappt; Ceciles Sennenhund Simpson stellt neuerdings eine Gefahr für ihren Mann Max dar, der den Hund daraufhin loswerden möchte, aber ihr Sohn Nico mit Downsyndrom braucht Simpson, weil nur er „der Einzige ist, der Nico so nimmt, wie er ist“; Silke, die Hundetrainerin, steckt in großer finanzieller Not, die sie womöglich bald zum Schließen ihrer Hundeschule nötigen wird, wenn ihr nicht endlich etwas einfällt; nur Lulu geht es soweit ganz gut, allerdings gibt es seit Ewigkeiten keinen Mann mehr in ihrem Leben und sie hat Angst als alleinstehende Katzenbesitzerin zu versauern. Rettung ist jedoch für alle vier in Sicht, wenn sie sich sowohl auf die Hunde einlassen, die das Schicksal ihnen in den Weg stellt, als auch auf die Menschen, die mit diesen Hunden einherkommen.

Mit „Alles Liebe, wuff“ ist Andrea Willson ein warmherziger und humorvoller Roman gelungen, der mit seinen mannigfachen Wendungen den Leser bis zum Ende die Romanhandlung voller Spannung und Anteilnahme mitverfolgen lässt. Die menschlichen Charaktere, aber vor allem die Hundefiguren sind mit einem derart humorvollen Verständnis gezeichnet, dass es für jeden Hundefan die reinste Freude ist. Besonders einfallsreich und pointiert sind die Hundemottos, die jedem Kapitel vorangesetzt werden. Bis auf einige Ausdrucks- und Plausibilitätsschwächen ist dem Roman nichts anzulasten, so dass ich eine klare Leseempfehlung für alle Hundefreunde – und nicht nur! – aussprechen kann. Mit anderen Worten: „Folge dem Hund. Kann ich nur jedem Menschen raten.“

Bewertung vom 11.10.2018
Der Wortschatz
Vorpahl, Elias

Der Wortschatz


ausgezeichnet

Ein philosophisches Werk voller Poesie

Ein Wort lebt wohlbehütet bei seinen Eltern. Als es eines Tages von einem Menschen ausgesprochen wird, was für ein Wort ein traumatisches Erlebnis bedeutet, vergisst es seinen Sinn. Von dem Denker und der Dichterin wird es wieder gesund gepflegt und mit folgender Botschaft auf den Weg geschickt: „Jedes Wort ist, was es heißt. [...] Finde heraus, zu welcher Wortfamilie du gehörst. Denn ohne Familie und ohne Sinn in deinem Leben bist du nichts.“

Der Weg der Sinnsuche führt das Wort auf eine verrückte Teeparty – Alice im Wunderland lässt grüßen! – wo das Wort einen weiteren Ratschlag erhält: „Es gibt Tausende Wege, die man einschlagen kann. Den Weg zu finden, der einem Sinn gibt, ist die größte Herausforderung.“

Als es die Eselsbrücke überqueren möchte, stürzt das Wort in den Sprachfluss, in dem Archaismen und Methusalemworte schwimmen, die tote Sprache also – eindeutig eine Anspielung an den Fluss der toten Seelen in der griechischen Mythologie.

Mit etwas Glück gelingt dem Wort die Flucht in die Stadt Sprachen, wo es die Möglichkeit bekommt, an den berühmten Wortspielen teilzunehmen. Hier lernt es unter anderem Wortgewandt kennen und den Zauber einer Geschichte. Wortgewandt erklärt: „Ein Wunder begegnet dir als Märchen, das dir so fantastisch erscheint, dass du nicht mehr weißt, wo das Märchen endet und dein Leben beginnt. Du musst dann entscheiden, ob es sich lohnt, so tief in die Geschichte einzutauchen.“ Die Botschaft an uns Leser lautet: Man muss nicht jedes Buch lesen, das auf den Markt kommt. Jeder muss für sich selbst entscheiden, ob es sich lohnt, in das Buch und damit in die Geschichte einzutauchen.

Am nächsten Morgen nimmt Wortgewandt das Wort ins Tal mit, wo es an dem Erlebnis teilnimmt, gesungen zu werden. Diese Erfahrung ist so wunderschön und macht das Wort derartig glücklich, dass es von nun an in dem Tal zu bleiben wünscht. Eines Tages wird es jedoch von zwei Klammern in Gefangenschaft genommen und nach Babel – nicht von ungefähr eine Anspielung an den biblischen Turmbau von Babel, der aufgrund der Sprachverwirrung nie fertig gebaut wurde – geschafft, wo alle bedeutungslosen Wörter landen.

Doch gerade hier soll das Wort den alten Mann finden, der die Geschichte schreibt, in der das Wort vorkommt. Elias Vorpahl sensibilisiert für einen bedachten und verantwortlichen Umgang mit der Sprache, indem er den weisen Mann, der eindeutig Michael Ende nachempfunden ist, sagen lässt: „Wenn ein Mensch dich zur rechten Zeit ausspricht, ist es wie Magie. Seine Worte bekommen einen tieferen Sinn.“

Nun ist das Wort fast schon am Ende seines Weges angelangt, wo es endlich erfahren soll wie es heißt, doch der Mann gibt zu Bedenken: „Deine Geschichte ist noch nicht zu Ende. [...] Hab keine Angst vor dem Ende. Der Weg dorthin ist das Entscheidende. Das Ende selbst ist gar nicht mehr so wichtig.“ Elias Vorpahl zeigt uns wie sehr ein Werk von der Geschichte, die erzählt wird, und gerade von ihrem Werdegang lebt, nicht vom Ende, das doch nicht selten offen bleibt. Gleichzeitig ist es, als ob der Autor zu uns sagt: Habe keine Angst vor dem Tod, wie du lebst ist das Entscheidende. Eine wahre Geschichte, so der Autor, mache sich mit der Zeit ohnehin selbstständig und entwickele mit der Zeit ein Eigenleben: „Ich musste einen Weg finden, deine Welt am Leben zu erhalten. Um jedes Wort, das ich schrieb, kämpfte ich. Es musste stimmen, genau die Aufgabe erfüllen, die ihm zugedacht war. Man kann eine Geschichte nicht so schreiben, wie man will. Die Geschichte entscheidet selbst. Weicht man von ihr ab, verstrickt man sich in Lügen, die kein Mensch glaubt.“ Wenn man ein Buch schreibt, so nicht um „eine Welt zu entdecken“, sondern um „sie am Leben zu erhalten, auch wenn das letzte Wort schon geschrieben steht.“

Bewertung vom 25.09.2018
Unverfrorene Freunde
Pütz, Klemens;Batarilo, Dunja

Unverfrorene Freunde


ausgezeichnet

Der Mann mit dem einzigartigen Beruf

Pinguine sind süß und niedlich, sie tragen einen eleganten Frack und watscheln an Land so lustig und unbeholfen daher. Und, ach ja, da gibt es doch diesen berühmten Magellanpinguin Dimdim, der auf der brasilianischen Ilha Grande von einem Fischer gerettet und gepflegt wurde und der ihn seitdem jedes Jahr auf seiner Wanderung nach Norden besucht.

Ungefähr so viel weiß der durchschnittliche Mensch über Pinguine. Da sollte man doch ernsthaft in Erwägung ziehen, etwas gegen den Wissensmangel zu tun. Wie gerufen kommt uns da das äußerst umfangreiche und liebevoll geschriebene Sachbuch „Unverfrorene Freunde“ von Klemens Pütz – eines Menschen, der sein Leben der Erforschung, dem Erhalt und Schutz dieser Tiere gewidmet hat.

Was zunächst als Lückenfüllung für den in letzter Minute abgesprungenen Pinguinforscher bei der vom Alfred-Wegener-Institut geplanten Expedition in die Antarktis begann, wurde bald zum Lebenstraum. Die große Liebe zur Antarktis, in der Klemens Pütz entbrannte, trug viel dazu bei, dass er sich entschloss sein Dasein freiberuflich als Pinguinforscher zu fristen, der wissenschaftlich arbeitet und veröffentlicht. Mitte der neunziger Jahre gründet er mit nur drei weiteren Mitgliedern den „Antarctic Research Trust“, der mittlerweile eine derartig weite Resonanz und Unterstützung erfahren hat, dass er mehrere Inseln auf den Falklands erwerben konnte, um neuen unberührten Lebensraum für Pinguine zu erschaffen. Jeder von uns kann diese gemeinnützige Organisation unterstützen, z.B. indem man Pate eines Pinguins wird.

Das Buch ist in drei Teile gegliedert, wobei es durch 66 ansprechende Farbfotos und mehrere eingeschobene Informationskästen und -skizzen, die einem die eventuelle Internetrecherche erübrigen, aufgelockert und ergänzt wird. Im ersten Teil „Pinguine an Land“ erzählt uns der Autor, was die Vögel, die siebzig Prozent ihrer Zeit im Wasser verbringen, aufs Land treibt: die Paarung, Brut und Aufzucht der Küken ist es. Humorvoll, detailliert und liebevoll schildert und erklärt uns Klemens Pütz die Vorgänge.

Der zweite Teil „Pinguine im Wasser“ ist ein Versuch das Tun und Treiben der Pinguine im Meer zu erklären. Lange Zeit über lag dieser Bereich aus dem Pinguinleben für den Menschen im Dunkeln. Dank verschiedener Geräte kann man Pinguine nun zu Datenträgern machen. So kann man beispielsweise Fahrtenschreiber einsetzen, die die Lichtintensität messen, und auf diese Weise Rückschlüsse auf die Position des Pinguins geschlossen werden können. Oder Satellitensender, die Informationen über Wassertemperatur, Beschleunigung und exakte Ortsangaben dank GPS liefern. Sehr spannend ist dieser Teil des Buches zu lesen.

Leider ist nicht alles nett und niedlich, was mit den Pinguinen zusammenhängt. So informiert uns der Autor im dritten Teil „Welt im Wandel – Pinguine in Gefahr“ über die Dinge, die das Leben und den Bestand der Pinguine gefährden. Die Ursachen sind breitgefächert, sind aber zum größten Teil – mittelbar und unmittelbar – auf den Menschen zurückzuführen. Dieser Abschnitt des Buches ist bedrückend zu lesen.

Doch Klemens Pütz klärt uns über die hochkomplexen Mechanismen im Meer und auf Land auf, nicht um uns Angst zu machen, sondern um uns für die Umwelt zu sensibilisieren. Wie er selbst sagt, ist er Gegner düsterer Zukunftsvisionen – „Wenn jeder das tut, was er dort, wo er ist, tun kann, dann kommt eine Menge zusammen.“ Forschung, Aufklärung, Veränderung und Zusammenarbeit – das ist es, was Klemens Pütz und der „Antarctic Research Trust“ fordern. „Hinschauen, nachdenken, Einsatz zeigen – das lohnt sich. Die Meere sind in einer dramatischen Situation. Aus Pinguinsicht ist aber auch schon vieles richtig gut gelaufen. Es wurden Probleme erkannt und Lösungen gefunden.“

Ein mitreißendes, informatives und bewegendes Buch. Eine klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 19.09.2018
Leben²
Hesse, Christian

Leben²


ausgezeichnet

Christian Hesses Essaysammlung »Leben²« ist ein Buch für jedermann. In 31 kurzen Kapiteln behandelt Hesse unterschiedlichste Themen, die eines gemeinsam haben: ihnen liegt die Mathematik zugrunde und sie stellen eine Lebenshilfe für den Leser dar - mehr Glück, Sicherheit und Lebensfreude werden versprochen. So kann man beispielsweise die Ehe mit der 5:1-Formel verbessern, ebay-Versteigerungen gewinnbringender für sich nutzen, den Jetlag austricksen und die Zeit in Warteschlangen maximal verkürzen. Auch erfährt der Leser wie mit Hilfe einer einfachen Regel Prognosen für die Zukunft gestellt werden können, wie dank einer Formel größtmögliche Gerechtigkeit in z.B. einem Scheidungsprozess hergestellt werden kann und nicht zuletzt wie wir anhand von Zahlen manipuliert werden. Christian Hesse schreibt auf verständliche und sehr unterhaltsame Weise, sodass sogar völlige Mathematik-Nieten (wie ich) alle Ausführungen nachvollziehen können. Ich möchte dieses Buch nicht mehr missen und kann es nur wärmstens empfehlen!

Bewertung vom 19.09.2018
Helle Tage, helle Nächte
Baier, Hiltrud

Helle Tage, helle Nächte


ausgezeichnet

Frederike ist auf dem Weg nach Lappland. Weshalb weiß sie auch nicht ganz genau. Ihre Tante, Anna, hat sie mit einem Brief für einen gewissen Petter Svakko dahin geschickt. Sie konnte ihrer Tante diese Bitte nicht abschlagen, schließlich wurde bei Anna Krebs diagnostiziert. Frederike hat sich gerade von ihrem Mann getrennt, hat ihren Job gekündigt und ihre Tochter, Paula, ist zurzeit in Australien. Noch weiß Frederike außerdem nicht wie sie ihre Zukunft nun gestalten möchte. Sie ahnt nicht, dass sie bald von einer großen Lebenslüge erfahren soll und dass sie gerade in Lappland den Ort finden wird, wo sie am glücklichsten ist.

Hiltrud Baier gelingt mit ihrem Roman „Helle Tage, helle Nächte“ ein wunderschönes und rührendes Meisterwerk. Es hat alles zu bieten, was einen guten Roman ausmacht: Runde Charaktere, die einen direkt einnehmen und mitfiebern lassen, sowie ein Geheimnis, das es zu enträtseln gilt – verpackt in eine einnehmende Sprache voller Emotionen und doch jenseits falscher Sentimentalitäten. Indem uns die Autorin an dem Innenleben von Anna und Frederike teilnehmen lässt, offenbart sie uns ihre große Gabe das emotionale Gepäck, das jeder mit sich trägt, in Worte zu fassen. Man fühlt als Leser mit, kann die Gedanken und Reaktionen der Protagonistinnen nachempfinden und womöglich sogar für sich selbst nutzbringend verarbeiten. Die große authentische Liebe der Autorin zur Natur Nordschwedens spürt man in jedem ihrer Sätze, in denen sie diese beschreibt und reflektiert. Gleichzeitig berührt sie auf diese Weise den Nerv unserer schnellebigen Zeit und bringt die verborgene Saite eines jeden Menschen zum klingen – die Sehnsucht nach einem einfachen Leben im Einklang mit der Natur. Ein äußerst poetisches und zugleich sehr realitätsnahes Werk, das man einfach lieben muss!

Bewertung vom 19.09.2018
Unter Verdacht / Die Schwestern von Mitford Manor Bd.1
Fellowes, Jessica

Unter Verdacht / Die Schwestern von Mitford Manor Bd.1


gut

Die skandalumwitterten Mitford-Schwestern, der unaufgeklärte Mord an Florence Nightingale Shore und auch noch aus der Feder Jessica Fellowes, der Nichte Julian Fellowes, der die Drehbücher zu der Serie „Downton Abbey“ geschrieben hat! Diese Kombination verspricht einen erstklassigen Lesegenuss!

Das (oder so ähnlich) mag sich manche Person gedacht haben, als sie zu dem Roman „Die Schwestern von Mitford Manor. Unter Verdacht“ griff. Leider werden die auf diese Weise hochgeschaukelten Erwartungen nur zum Teil erfüllt.

Kommen wir zunächst auf die Mitford-Familie zu sprechen. Wählt man als Autor(in) bekannte historische Persönlichkeiten, so hat man den Vorteil, dass man die Figuren nicht mehr einführen und dem Leser erst sympathisch machen muss, der Nachteil dagegen besteht darin, dass je nach Wissensstand des Lesers, gewisse Erwartungen den Figuren gegenüber nicht erfüllt werden, was ich in dem vorliegenden Fall bestätigt sehe. Von dem spezifischen Flair der schockierenden aber trotzdem (oder gerade deshalb!) faszinierenden Mitford-Schwestern ist in dem Roman Jessica Fellowes nichts zu spüren. Natürlich kann man das zum Teil darauf zurückführen, dass in dem ersten Band der Mitford-Schwestern-Serie nur Nancy Mitford fast erwachsen ist, die restlichen Mitford-Schwestern dagegen noch Kinder sind, doch hätte in diesem Fall zumindest Nancy so herausgearbeitet werden können, dass sie für den Leser direkten Erkennungswert hätte. Trotzdem bleibt abzuwarten, ob die Autorin in den weiterführenden Bänden das Charakteristikum der Mitford-Schwestern gezielter herausarbeiten wird, hat sie doch, eigenen Angaben zufolge, die Primär- und Sekundärliteratur zu den Mitford-Schwestern eingehend studiert!

Was den kriminalistischen Aspekt in dem Roman betrifft, so zieht er sich über drei Viertel des Romans in die Länge, um im letzten Viertel rasant an Tempo zuzunehmen, um dann ebenso schnell wieder zu verklingen und sich zusammen mit all den anderen im Laufe der Romanhandlung aufgebauten Konflikten in Wohlgefallen aufzulösen.

Auch eine kleine Liebesgeschichte wird einem geboten, die den Leser jedoch auch nur mäßig fesseln kann. Vielmehr dient sie wohl dem Zweck, den personalen Erzähler auf zwei Figuren aufzuteilen, deren Schicksal miteinander verwoben wird und die doch separat für sich agieren können und so den Mordfall gemeinsam lösen können.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Roman leicht und flüssig zu lesen ist, er jedoch weder in erzählerischer noch sprachlicher Hinsicht als herausragend zu bezeichnen wäre. Der Roman ist zwar nicht schlecht zu nennen, es fehlt ihm jedoch an Leben, Individualität, Glaubwürdigkeit und Authentizität. Sicherlich hat Jessica Fellowes für den ersten Band der Mitford-Manor-Serie viel Recherche betrieben und das sollte man ihr auch zugute halten, doch wirkt alles – die Figuren, die Situationen, die Gespräche – viel zu konstruiert, als dass man den Roman zu wirklich guter Literatur zählen könnte.