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gst
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pirna

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Insgesamt 201 Bewertungen
Bewertung vom 13.03.2020
Rosie
Tremain, Rose

Rosie


gut

Die 1943 geborene Rose Tremain ist eine preisgekrönte englische Schriftstellerin. Einer ihrer zahlreichen Romane wurde sogar verfilmt. Aber über ihr Privatleben findet man nichts. Außer ihrem Studium an der Sorbonne und der University of East Anglia wird höchstens erwähnt, dass sie an ihrem zweiten Studienort von 1988 bis 1995 Dozentin für Creative Writing war.

Kein Wunder, dass die Autobiografie über ihre Kindheit und Jugend von ihren LeserInnen und denen, die es werden wollen, nun mit Begeisterung verschlungen wird. Das Buch, das sie ihrer „Nan“ Vera Sturt gewidmet hat, greift Erinnerungen an das großelterliche „Linkenholt“ auf, wo sie Ferien wie im Paradies verbringen durfte. Dank ihrer liebevollen Nanny fiel ihr als Kind die Lieblosigkeit der Erwachsenen noch nicht so auf. Die wird aber im Buch ebenso thematisiert, wie die Zeit im Internat, die für Kinder aus der UpperMiddleClass zur damaligen Zeit wohl selbstverständlich war. Selbst wenn Rosie krank war, hatte die Mutter anderes zu tun, als sich um sie zu kümmern. Da durfte sie dann die Nanny besuchen …

Das Buch ist in acht Themenkomplexe aufgeteilt und wird durch ein kurzes Nachwort abgerundet.

Mich hat es leider eher gelangweilt, unter anderem wegen der vielen erwähnten Namen, mit denen ich wenig anfangen konnte. Auch das Versprechen, dass hier der Weg zur Schriftstellerin dargestellt wird, wurde in meinen Augen nicht gehalten. Gefallen haben mir allerdings die Fußnoten, in denen sie auf Romane und Erzählungen aufmerksam macht, in denen sie Teile der hier aneinandergereihten Kindheitsanekdoten verwendet hat.

„In jedem Leben gibt es Momente, da weicht der gerade Weg, auf dem man sich zu befinden glaubt, oft ohne Vorwarnung, mit einem Mal von der erwarteten Richtung ab oder verengt sich und hört ganz auf, und man fühlt sich verloren.“ (Seite 188)

Fazit: Mich hat das Buch nicht dazu bewegt, eine neue Leserin der Romane von Rose Tremain zu werden.

Bewertung vom 08.03.2020
Die Geheimnisse meiner Mutter
Burton, Jessie

Die Geheimnisse meiner Mutter


gut

Zwischen Wahrheit und Lüge

Die unterhaltsame Lektüre zwischen London, Los Angeles und New York führt in menschliche Abgründe, erzählt von Liebe, Eifersucht und Hass.

Jessie Burton liebt es, über Geheimnisse zu schreiben. Dabei entwickelt sie eine unglaubliche Phantasie. Auch wenn vieles, was sie schreibt, wirklichkeitsfern scheint, lassen sich ihre Bücher gut und leicht lesen.

In diesem Buch nimmt sie den Leser mit in die Glitzerwelt der Schönen und Reichen im Los Angeles der 1980er Jahre. Deutlich tritt dabei die Oberflächlichkeit der Schauspielerwelt zu Tage, das Bestreben nach Schein anstatt Sein. Der jungen Elise ist das allerdings zu wenig. Sie fühlt sich dort verloren und sucht nach ihrem eigenen Weg.

Ebenso wie Rose, die Ich-Erzählerin, die schon als Baby von der Mutter verlassen wurde. Inzwischen geht sie auf die 40 zu und sucht nach ihrer Identität. Unter falschem Namen schleicht sie sich in London bei einer Frau ein, die ihre Mutter gekannt haben soll. „Es kostete mich keine Mühe, meine Identität aufzutrennen und eine neue zu weben“ (Seite 214)

Der Autorin gelingt es gut, die beiden Erzählstränge zu einem Ganzen zu verknüpfen. Vor allem, da in beiden ähnliche Schwierigkeiten auftauchen.

Alles in allem hat mich das Buch gut unterhalten – gerade das Richtige zum Abschalten. „Man muss darauf vorbereitet sein, dass man eine Entscheidung bereut, von der man dachte, man würde sie niemals bereuen – aber meiner Erfahrung nach ist Reue niemals von Dauer.“ (Seite 422)

Bewertung vom 08.03.2020
Eine Farbe zwischen Liebe und Hass
Zentner, Alexi

Eine Farbe zwischen Liebe und Hass


sehr gut

Fanatismus in Amerika

Ein Buch das deutlich aufzeigt, wie gefährlich es ist, Geschehnisse nur von einer Seite zu betrachten.
Gleich auf den ersten Seiten dieses Buches geschieht ein schrecklicher Unfall. Anschließend führt der Autor in kurzen Kapiteln seine Protagonisten ein und beschreibt die Tage vor dem Unfall. Jessup ist 17 Jahre alt und nicht nur ein guter Schüler, sondern auch ein hervorragender Sportler. Doch es gibt Gegner, denen das nicht gefällt.
Für mich als Frau, die kein Interesse an Football hat, zog sich die Geschichte zu Beginn etwas. Aber: Auch diese Seiten waren wichtig, um das Buch in seiner ganzen Tragweite zu verstehen!
Sehr gut gefallen hat mir, dass der Autor von innen nach außen erzählt; von Jessups Erleben über die Vorstellungen seiner Familie, die die „Heilige Kirche des Weißen Amerika“ besucht, bis zur ganzen imaginären Stadt Cortaca. Dort scheinen Dunkelhäutige mehr zu zählen als mittellose Weiße aus dem Trailerpark vom Stadtrand; deren Angehörige schon das Gefängnis von innen kennen. Ungerechtigkeiten verunsichern den Leser, so dass man sich fragt, was Gut und was Böse ist. Mit kurzen, abgehackten Sätzen im Präsens baut der Autor eine unglaubliche Spannung auf. Vorurteile werden bedient und Jessups Unglück instrumentalisiert. Zum Glück hat die Liebe, die Jessup von seinem Stiefvater empfangen durfte, sein Inneres gestärkt, so dass er schließlich seinen Platz in der Welt findet und erwachsen wird.
Insgesamt ist dies ein Buch, das mir - bis auf den Schluss - zwar nicht gefallen, mich aber tief beeindruckt hat. Chapeau für den Autor!

Bewertung vom 04.03.2020
Das kann uns keiner nehmen
Politycki, Matthias

Das kann uns keiner nehmen


ausgezeichnet

Roadmovie mit menschlicher Tiefe

„Denke ich an den Tscharli, sehe ich als erstes den Krater. Dann jede Menge Feldwege. Und schließlich, wie er aufrecht in seinem Krankenbett sitzt, mit den Ellbogen nach links und rechts wippend“ (Seite 293)

Eigentlich wollte der Ich-rzähler Hans aus Hamburg auf dem Kilimandscharo mit seiner Vergangenheit ins Reine kommen. Doch sein auserwähltes Nachtquartier im Krater ist schon vom respektlosen Bayern Tscharli bezogen. Der schafft es ständig, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Obwohl Hans den Tscharli verachtet, kommen sich die beiden Abenteurer näher. Unter anderem auch deshalb, weil sich der kranke Tscharli kaum noch auf den Beinen halten kann. Trotzdem hat er Charme und gewinnt auf seine unvergleichliche Art schnell die Sympathie der Einheimischen. Für ihn gibt es nur „volle Kraft voraus oder Vollbremsung“.

Dank seiner Tätigkeit im afrikanischen Straßenbau kennt er sich aus in der Gegend um Daressalam. Inzwischen rechnet Tscharli allerdings mit seinem baldigen Tod und überredet den Hanseaten („werd scho, Hansi, werd scho“) zu einer letzten Inselrundreise über Sansibar. Die beiden verhalten sich wie Lausbuben und nicht wie erwachsene Männer. Unerwartete Wendungen halten die Spannung aufrecht, bis sie sich immer weiter füreinander öffnen. So erfährt Hans von Tscharlis Liebe zu Kiki und gibt seine eigene Geschichte und weshalb ihm die Besteigung des Kilimandscharo wichtig war, zum Besten.

Der Autor erzählt sehr anschaulich von der Reise und vermittelt dem Leser so unter anderem auch einen Eindruck vom Lebensgefühl der afrikanischen Reisebegleiter und ihrer Meinung: „Mittlerweile sei ganz Afrika in Bewegung geraten, und wenn jeder glauben würde, dass es in Europa besser sei als hier, werde es hier jedenfalls nicht besser. Ob wir das in Deutschland mitbekämen“ (Seite 73).

Die gegensätzlichen Charaktere der Widersacher, die zu Freunden werden, ließen mich schmunzelnd immer weiterlesen. Sehr gefallen haben mir die Emotionen, die der Autor gekonnt eingeflochten hat. Es fiel mir schwer, zwischendurch das Buch zur Seite zu legen.

Fazit: Ausgesprochen lesenswert!

Bewertung vom 26.02.2020
Nach Mattias
Zantingh, Peter

Nach Mattias


gut

Die große Leere

„Eine Woche nach Mattias wurde sein Fahrrad geliefert“. Mit diesem Satz beginnt der Roman. Unweigerlich fragte ich mich, wie ich reagieren würde, wenn mein Lebensgefährte verstorben ist und nun ein neues Fahrrad für ihn geliefert wird. Amber, seine Freundin, lässt das Fahrrad in den Flur stellen und schließt gleich wieder die Tür. Im ersten Kapitel lernen wir sie kennen und was sie nach dem Tod ihres Lebensgefährten erlebt. Gefühle werden kaum angesprochen, sie können die Leser nur erahnen.

In jedem Kapitel trifft der Leser auf einen anderen Trauernden. Jeder der acht hat einen anderen Charakter und andere Berührungspunkte mit Mattias.

Leider konnte mich das Buch nicht wirklich erreichen. Das lag wohl daran, dass die Trauer an sich oft ausgeschlossen bleibt, obwohl die unterschiedlichen Charaktere ganz gut herausgearbeitet sind. Eigenartigerweise konnte ich nur mit den Großeltern und der Mutter warm werden. Da Interaktionen erst im zweiten Teil des Buches vorkommen, gibt es auch zwischen den beschriebenen Menschen so gut wie keine keine Berührungspunkte. Für mich machte sich nur eine schreckliche Einsamkeit breit.

Obwohl das Buch auch bewegende Abschnitte enthält, lässt es mich unbefriedigt zurück. Es ist mir an den meisten Stellen einfach zu distanziert. Trotz mancher guten Ansätze ist es mir nicht gelungen, damit warm zu werden.

Bewertung vom 26.02.2020
Rote Kreuze
Filipenko, Sasha

Rote Kreuze


sehr gut

Russland zur Stalinzeit
Tatjana ist 90 Jahre alt, alleinstehend und leidet an Alzheimer. Das erzählt die Maklerin Alexander bei Übernahme der neuen Wohnung über die direkte Nachbarin. Die Maklerin verspricht ihm noch: „Das ist doch der absolute Jackpot!“ Doch als Leserin dieses Buches zweifelte ich daran, denn Tatjana ist sehr übergriffig, malt sogar ein rotes Kreuz an seine Tür, damit sie wieder nach Hause findet.

Gleich am ersten Tag gelingt es ihr, Alexander in ihre Wohnung zu locken und ihm Teile ihrer Lebensgeschichte zu erzählen. Er erfährt, dass sie 1941 Kriegsgefangenenlisten vom Roten Kreuz ins Russische übersetzte und abtippte. Auf einer stand auch der Name ihres Mannes. Schwierig, da Kriegsgefangene und ihre Angehörigen als Deserteure angesehen wurden ...

Der Beginn des Buches ist sehr emotionslos geschrieben. Zumindest erreichte es mich als Leserin nicht. Erst nach und nach stellte sich Kopfschütteln und Herzklopfen ein. Verständnislos verfolgte ich die unmenschlichen Verfahrensweisen der russischen Machthaber während der Stalinzeit. Plötzlich wurde auch Tatjanas emotionslose Erzählweise klar, denn anders war es wohl kaum möglich, solche Grausamkeiten zu ertragen.

„Im Evangelium steht das Kreuz für Leiden und Schmerz aufgrund von Ursachen, die der Mensch nicht zu bezwingen vermag.“ (Seite 244) Tatjana ist überzeugt davon, dass Gott ihr die Alzheimer Krankheit (von der man allerdings noch wenig bemerkt) geschickt hat, damit sie die durch die Ungerechtigkeiten entstanden Wut vergisst, bevor sie vor ihm steht.

Ich finde, dass der weißrussische Autor sehr mutig ist. Darf er denn so offen über diese Zeit schreiben, die die Machthaber zu vertuschen suchen? Auch wenn ich den Einstieg in diese Geschichte als nicht besonders gelungen ansehe, haben mich die Erzählungen von Tatjana, die mit Originaldokumenten untermauert sind, sehr aufgewühlt.

Bewertung vom 23.02.2020
Rivenports Freund
Femfert, Damiano

Rivenports Freund


sehr gut

Eine ungewöhnliche Freundschaft
Nach der Lektüre dieses Buches drängt sich mir die Frage auf: Was ist Freundschaft? Die meisten verstehen darunter eine Beziehung zwischen zwei Menschen, die eine gewisse Übereinstimmung hinsichtlich moralischer und gesellschaftlicher Vorstellungen haben, sich vertrauen und verlässlich sind, sich vielleicht auch mal unangenehme Wahrheiten sagen.
Vieles davon ist bei „Rivenports Freund“ nicht möglich, da die beiden Hauptpersonen, Dr. Rodriges Rivenport und sein unter Amnesie leidender Patient nicht die gleichen Voraussetzungen mitbringen. Trotzdem ist dieses Debüt des 1985 geborenen Autors zumindest zu zwei Dritteln sehr angenehm zu lesen. Humorvoll wird von „Kurt“ erzählt, der plötzlich aus dem Nichts auftaucht. Verletzt wird er ins Krankenhaus gebracht, wo sich herausstellt, dass er die Ärzte nicht versteht, aber die weiblichen Angestellten mit seiner charismatischen Art entzückt. Er erweckt in Dr. Rivenport, dem leitenden Arzt, anfänglich einen gewissen Widerwillen, weil er ihm Zeit stiehlt, die der lieber seiner Schmetterlingssammlung widmen würde. Doch spätestens, als sich „Kurt“ in der Kirche an die Orgel setzt und alle Anwesenden mit seiner musikalischen Interpretation verzaubert, verzeiht er ihm und nimmt ihn mit in die Natur …
Kurt, der anfänglich wie ein Baby in einem erwachsenen Körper wirkt, durchläuft im Schnelldurchgang eine Entwicklung zum Mann. Seine Herkunft bleibt lange unentdeckt, auch wenn sich Dr. Rivenport mehr für die Erkundung einsetzt, als die ansässige Polizei. In Argentinien, wo dieses Buch spielt, ist halt vieles anders als wir es uns vorstellen. Gerade das macht auch einen gewissen Reiz in diesem Buch aus.
Leider gelang es dem Autor dieses Debüts nicht, meine Begeisterung bis zum Schluss aufrecht zu erhalten. Das vergnügliche Grinsen, das mich durch die erste Hälfte des Buches während des Lesens begleitete, verschwand zum Ende hin. Doch wie sonst hätte der Autor die Geschichte zu Ende bringen sollen? Eine weitere Frage beschäftigt mich noch nach dem Schließen des Buchdeckels mit dem wunderschönen Schutzumschlag: Wie kann sich ein Mensch von seiner Vergangenheit lösen und eine neue Gegenwart leben?ine ungewöhnliche Freundschaft

Bewertung vom 11.02.2020
Das Gewicht der Worte
Mercier, Pascal

Das Gewicht der Worte


ausgezeichnet

Die Bedeutung der Zukunft
Simon Leyland liebt die Londoner U-Bahn und die Mole am Trienter Hafen. In beiden Städten war er zu Hause. Doch als er von seiner tödlichen Erkrankung erfährt, hat er keine innere Heimat mehr. Er verkauft den Verlag, den er von seiner Frau geerbt hat, und gibt sich mehr oder weniger auf.

Alles, was ihm wirklich wichtig war, waren Worte. Das begann schon damit, als er im Haus seines Onkels eine Landkarte vom Mittelmeer entdeckte und den Wunsch bekam, alle Sprachen, die hier gesprochen werden, zu erlernen. Er wurde zum Übersetzer, der sich ganz intensiv mit Texten auseinandersetzte und regelrecht in sie hineinkroch.

Simon Leyland erlebt Dinge erst, wenn er sie in Worte fasst. So hält er seine Gedanken und Gefühle in Briefen an seine verstorbene Frau fest – was auch dem Zuhörer ermöglicht, manche Begebenheiten tiefer zu erleben und zu verstehen. Auch die Gedanken eines Todgeweihten über das Warten, die Zeit und über Abschied werden deutlich. Ganz nach dem Duktus: „Wenn du stirbst, zieht ein ganzes Leben an dir vorbei.“ Trauer und Freude kommen sprachgewaltig daher, auch liebevoll und bewegend. Nicht ausgelassen wird die Wut, die nach der Aufklärung der falschen Diagnose entsteht. Dabei geschieht hier das, was sich wohl jeder wünschen würde: aus den Emotionen erwachsen neue, zukunftsweisende Ideen …

Ganze zweiundzwanzig Stunden lang dauert das Hörbuch, das Markus Hoffmann mit sehr angenehmer Stimme eingelesen hat. Leider ist es so geschnitten worden, dass häufig der Beginn des neuen Abschnitts abhanden gekommen ist. Das ist aber auch die einzige Kritik, die ich anbringen kann. Mich hat das Hörbuch völlig für Simon Leyland und seine Gedanken eingenommen. Ich habe die Wortwahl ebenso genossen, wie die unterschiedlichen Handlungsstränge, die sich auf die Auswirkungen auf die falsche Diagnose, die Arbeit eines Übersetzers und die Liebe zu seiner Ehefrau und den Kindern erstrecken. Wie sich die diversen Wiederholungen im gedruckten Buch lesen, weiß ich allerdings nicht. Fürs Hören waren sie ideal.

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Bewertung vom 26.01.2020
Das Evangelium der Aale
Svensson, Patrik

Das Evangelium der Aale


ausgezeichnet

Poetisches Sachbuch

Patrik Svensson wuchs in der Nähe der schwedischen Aalküste auf und war mit seinem Vater oft beim Aalangeln. Der mochte den Aal gebraten, gedünstet und geräuchert. Geräuchert kannte ich ihn bisher auch. Doch wie sein Leben aussah, bis er in diesem Zustand auf den Tisch kam, war mir bisher nicht bekannt.

„Wer den Ursprung von etwas sucht, sucht zugleich auch seinen eigenen Ursprung“ schreibt der Autor auf Seite 78. Und er nimmt uns Leser mit in die Sargassosee, wo der Aal nach den Erkenntnissen der Wissenschaftler geboren wird. Abwechselnd erzählt er in den 18 Kapiteln von den Erlebnissen mit dem Vater und entführt uns Leser in Wissenschaft und Literatur. Schon früh stellte Aristoteles Überlegungen zum Aal an. Jahrhunderte später begann Sigmund Freud seine Karriere.

Seite 54: „Was fand der 19jährige Sigmund Freud in Triest? Vielleicht, wenn schon nichts anderes, eine erste Erkenntnis darüber, wie weit unter der Oberfläche manche Wahrheiten verborgen liegen. Beim Aal wie auch beim Menschen. Und so kam es, dass der Aal auch die moderne Psychoanalyse beeinflusste.“

Ebenso spielte der inzwischen vom Aussterben bedrohte Aal in der Literatur eine Rolle. Beispielsweise in Günter Grass‘ „Blechtrommel“ oder bei Rachel Carson, die bereits 1952 des Menschen Einfluss auf die Natur anprangerte.

Auch wenn das Leben des Aals heute weitgehend erforscht ist, gibt es immer noch Unklarheiten darüber, wie er sich fortpflanzt. Warum er das gerade in der Sargassosee macht und von dort tausende Kilometer zu seinen Lebensräumen zurücklegt. „Es ist nach wie vor ein ziemliches Rätsel, wie er sein Ziel erreicht. Welchen Weg schlägt er ein? Wie findet er ihn und wie schafft er es, rechtzeitig dort zu sein? Wie kann ein Aal innerhalb von nur wenigen Monaten sieben- oder achttausend Kilometer zurücklegen?“ (Seite 179).

Selten hat mich ein Sachbuch dermaßen fasziniert. Gerade der Wechsel zwischen eigenem Erleben und wissenschaftlichen Erkenntnissen macht es so lebendig. Dazu kommt ein wunderbar gestaltetes Cover. Auf jeden Fall ein Buch, das ich uneingeschränkt empfehlen kann. Auch, weil es viele philosophische Gedanken enthält.

„ Ruft gerade die Aalfrage bei dem, der sich mit ihr beschäftigt, eine besondere Hartnäckigkeit hervor? Je mehr ich selbst über den Aal lerne und je bewusster mir wird, was es im Laufe der Geschichte gekostet hat, ihn zu verstehen, desto mehr neige ich zu dieser Erklärung. Vor allem glaube ich, dass das Rätselhaft uns anzieht, weil es gleichzeitig auch immer etwas Bekanntes enthält. Der Ursprung des Aals und seine Wanderung sind schließlich trotz aller Merkwürdigkeiten etwas, wozu man sich verhalten und das man vielleicht sogar wiedererkennen kann: das lange Treiben mit dem Strom, um fortzukommen, und der zielstrebige und mühsame Weg zurück; was wir alles zu tun bereit sind, um nach Hause zu finden.“ (Seite 78)

Bewertung vom 16.01.2020
Eine fast perfekte Welt
Agus, Milena

Eine fast perfekte Welt


sehr gut

Was macht die Welt perfekt?

„Wie schafft man es bloß an einem Ort wie diesem zu leben“, ist einer von Esters Lieblingssätzen. Egal wo sie lebt, so ganz zufrieden ist sie nie. Ganz anders ihre Tochter Felice: Die Glückliche weiß das Leben zu nehmen, wie es eben ist. Sie macht aus allem das Beste, egal ob es um die Liebe oder den Wohnort geht. „Eigentlich wäre ich ja schlank“, verrät sie einem Verehrer, „Aber meine von Natur aus schlanke Figur ist eben unter Speckfalten verschwunden.“

Milena Agus, die Autorin, wurde 1959 als Kind sardischer Eltern in Genua geboren und lebt heute in Caglieri auf Sardinien. Ebenso wie ihre Protagonistin Felicita, die ihren Namen dem unglücklichen Onkel Felice verdankt. Er hat sich in diesem Roman aus Gram das Leben genommen. Für ihn gab es keine perfekte Welt. Seine Schwester Ester suchte sie zwar, fand sie aber auch nirgends – weder in ihrem Heimatort auf Sardinien, noch auf dem Festland. Ganz im Gegensatz zu ihrem Mann, der sich relativ problemlos in seine jeweilige Lebenssituation fügte.

Drei Generationen bevölkern dieses Buch. Jeder Protagonist hat andere Eigenschaften, die die Autorin in ihrer emotionslosen Schreibart gut herausgearbeitet hat. Sie beobachtet von außen, was mich an manchen Stellen etwas irritiert hat. Auch war mir das Leben von drei Generationen auf 205 Seiten zu gedrängt. Da hätte man mehr draus machen können! Was mir allerdings zusagte, waren die angenehme Sprache und der Humor, der immer wieder aufblitzte.

Der Stil des Buches veränderte sich mit den Generationen. Stand im ersten Teil noch Esters Unzufriedenheit im Vordergrund, fragte ich mich bei ihrer unperfekten Tochter, wie sie es schaffte, das Leben so leicht zu nehmen. Nicht einmal ihr verträumter Sohn Gregorio brachte sie aus der Fassung.

Ich habe das Buch gern gelesen und auch die äußere Aufmachung hat mich angesprochen, aber ganz rund fand ich den Inhalt nicht.