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Top-Rezensenten Übersicht

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Arabella
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Pirmasens

Bewertungen

Insgesamt 461 Bewertungen
Bewertung vom 02.10.2019
Drei
Mishani, Dror

Drei


ausgezeichnet

Ein psychologisches Meisterwerk. Dror Mishani hat drei Frauenfiguren geschaffen, mit denen die Leser eine gefährlich nahe Bindung eingehen. Die Story wird nicht gelesen, sondern inhaliert. Drei Frauen und ein Mann namens Gil, Anwalt aus Tel Aviv. Eine Frau sucht ein wenig Trost, nachdem ihr Mann sie und ihren Sohn verlassen hat. Eine zweite Frau sucht nach einem Zuhause und nach einem Zeichen von Gott, dass sie auf dem richtigen Weg ist. Eine dritte Frau sucht etwas ganz anderes. Sie alle finden denselben Mann. Es gibt vieles, was sie nicht über ihn wissen, denn er sagt ihnen nicht die Wahrheit. Aber auch er weiß nicht alles über sie. Gil ist ein einfühlsamer Zuhörer - wenn man ihm Glauben schenkt. Orna lernt Gil über ein Dating-Portal kennen, sie ist frisch geschieden und sucht Trost. Auch Emilia wird sich Gil anvertrauen, die Pflegekraft aus Lettland ist sehr einsam. Gil wird Orna und Emilia zu einem Kurztrip nach Bukarest einladen. Er hat sich emotional verstrickt und wird sie überraschen. Als Gil in einem Cafe Ella kennen lernt, probiert er bei ihr die selbe Masche. Dieser Roman ist ein tödliches Zusammenspiel. Gil, der israelische Geschäftsmann lernt gern Frauen kennen, gibt sich zunächst mäßig interessiert, wird jedoch bald fordernd und überredet sie zu der gemeinsamen Reise nach Osteuropa. Er verfolgt ganz eigene undurchsichtige Pläne. Durch ihre Bedürftigkeit haben die Frauen ihm wenig entgegenzusetzen, Warnsignale werden ignoriert. Doch ein jeder trifft einmal seinen Meister. Der Leser beginnt zu ahnen, dass sich die Dinge sehr unschön entwickeln könnten, dass man sich jetzt vielleicht doch besser davon machen und die Dinge einfach auf sich beruhen lassen sollte, keine Spielchen mehr, noch könnte alles gut werden. Aber man verpasst den Zeitpunkt zum Ausstieg aus der Geschichte ebenso wie ihre Heldinnen, und ab da geht alles seinen unaufhaltsamen Gang….und der Leser ist noch längst nicht am Ende des Romans. Ein Ende übrigens, das allzu vorhersehbar erscheinen könnte, wäre nicht auch das wieder ein meisterhaft subtiles Spiel, das der Autor mit den Lesern spielt, und bliebe da nicht dieser kleine quälende Stachel aus Unbehagen... Der nüchtern-sachliche Schreibstil hat mich eine distanzierte, eher teilnahmslos-beobachtende Position einnehmen lassen. Genaue Seelenarbeit: leise, feine Spuren, die auf Abwege führen...und an innere Abgründe. In denen jeder stecken kann. Meisterhaft geschrieben. Geniale psychologische Literatur. Abgründig vom Feinsten!

Bewertung vom 02.10.2019
Der Sprung
Lappert, Simone

Der Sprung


ausgezeichnet

Dienstagmorgen in einer mittelgroßen Stadt. Kein Tag wie jeder andere. "Hängengebliebene, Abwartende oder Festsitzende" leben in Thalbach. Für elf von ihnen wird sich an diesem Tag im Mai radikal etwas ändern: Eine junge Frau steht auf einem Dach eines Wohnhauses - ein Alptraum auch für Maren, die nicht in ihre Wohnung kann, denn die Polizei hat alles abgesperrt! Manu, die junge Frau, wütend, am Rand der Verzweiflung steht auf einem Dach, hoch über Thalbach und weigert sich herunterzukommen. Was geht in ihr vor? Will sie springen? Die prekäre Lage bleibt nicht unbemerkt von den Einwohnern. Die Polizei riegelt das Gebäude ab, Schaulustige johlen, zücken ihre Handys. Der Freund der Frau, ihre Schwester, ein Polizist und sieben andere Menschen, die nah oder entfernt mit ihr zu tun haben, geraten aus dem Tritt. Sie fallen aus den Routinen ihres Alltags, verlieren den Halt – oder stürzen sich in eine nicht mehr für möglich gehaltene Freiheit. Polizeiaufgebot und Schaulustige werden über viele Stunden in Atem gehalten. Für einige Menschen wird das Treiben der jungen Frau auf dem Dach zum Denkanstoß, dem Taten folgen, die einen Wendepunkt in ihrem Leben markieren. Dies alles wird zu einem dichtgewobenem Netz voller Spannung. Ein brillant beobachtes Kaleidoskop des Alltags. Die Geschichte beweist großes Können der Autorin, die dem Leser nicht nur spannende Lesemomente beschert, sondern auch ein gutes Psychogramm der Protagonisten zeichnet. Das ist ein gutes und stimmiges Buch für ein freies Wochenende, auf das man freuen darf. Absolut klasse geschrieben!

Bewertung vom 21.09.2019
Messer / Harry Hole Bd.12
Nesbø, Jo

Messer / Harry Hole Bd.12


ausgezeichnet

Der MacGyver unter den Komissaren ist zurück. Harry Hole hat viele Serienmörder zur Strecke gebracht. Diesmal jedoch bekommt er es mit einem anderen Täter-Typus zu tun. Ein brutaler, wahnsinniger Vergewaltiger und Mörder namens Svein Finne, den Harry schon einmal hinter Gitter gebracht hat, treibt wieder sein Unwesen in Oslo. Und eine surreale Szene ganz am Anfang des Buchs lässt vermuten, dass Harry auch diesmal dem Tod zeitweise näher sein wird als dem Leben. Der Mordermittler ist wieder mal ganz unten - allein und verkatert in einem verdreckten Zimmer, im Job strafversetzt und von seiner geliebten Ehefrau wegen eines noch unklaren Fehltritts verlassen. Dass er seitdem wieder trinkt, dass er seinen Job an der Polizeihochschule verloren hat: Nebensache. Nichts zählt außer diesem Verlust. Um halbwegs durch den Tag zu kommen, arbeitet Harry wieder bei der Polizei, als einfacher Ermittler. Als er auf die Spur eines Mannes stößt, den er nach wie vor für einen brutalen Vergewaltiger hält, folgt er dieser Fährte, und begegnet nicht nur einem alten hochgefährlichen Gegner wieder, sondern steht auch persönlich vor seiner abgründigsten, härtesten Prüfung. Die seit kurzem mit Hole verheiratete Rakel Fauke, ihr Sohn Oleg, der bodenständige Björn Holm, Kommissarkollegin Katrine Bratt, die mysteriöse Kaja Solness, sie alle werden in einen Strudel gerissen, der nur Tote und Verlierer hinterlassen kann. Neue Figuren kommen hinzu, gleich mehrere Verdächtige für einen furchtbaren Mord treten auf und wieder ab. Es ist nicht immer leicht, auf den 575 Seiten des Buches den Überblick zu bewahren. Zumal der Autor mit Rückblenden un Erinnerungsfetzen arbeitet, deren Sinn sich nicht sofort erschließt. Darüber hinaus verstrickt Nesbø seinen Protagonisten in ein verwirrendes Netz amouröser Beziehungen, die nicht immer glaubwürdig wirken angesichts der heruntergekommen Loser-Existenz des Harry Hole. Der komplexe Handlungsverlauf sorgt dafür, dass die Geschichte in ständiger Bewegung ist und den Leser auf schwankendem Boden zurücklässt. Doch Nesbø ist ein so erfahrener und gewiefter Meister dieses erzählerischen Tricks, dass die Handlungsfäden schließlich doch zusammen finden - wenn auch in einem recht konstruierten, nicht gänzlich zufriedenstellenden Finale, aber wer die blutigen Details mag und den rasanten Wendungen gerne folgt, wird am Ende reich belohnt. "Messer" ist meiner Meinung nach der bisher düsterste, psychologisch fundierteste Nesbø Thriller. Er rückt den teilweise schon lange bekannten Hauptfiguren so nahe wie nie zuvor. Es ist ein Buch über Harry Holes inneren Zirkel, ein Buch über Intimität - also eine Sache, in der Harry nicht sehr gut ist. Bisher war Hole auch nach schlimmsten Verletzungen und Schicksalschlägen immer zurückgekehrt. Er hat die grausamsten Serienmörder zur Strecke gebracht, aber mit "Messer" tritt der Autor auf die Splatter-Bremse und präsentiert einen anderen Täter-Typus. Trotz dieser Neuerungen überkommt den langjährigen Fan ein wenig das wehmütige Gefühl, dass die Geschichte des Osloer Ermittlers auserzählt ist. Trotzdem, spannend und mit detailliert gezeichneten Charakteren, die einen in die Geschichte reinziehen und nicht mehr loslassen. Absolut empfehlenswert!

Bewertung vom 14.09.2019
Dead Lions / Jackson Lamb Bd.2
Herron, Mick

Dead Lions / Jackson Lamb Bd.2


ausgezeichnet

Auch Slow Horses kommen irgendwann auf Trab. Der zweite Fall für die Abservierten aus dem MI5. Abgeschoben ins Slough House versuchen die Slow Horses, ausgemusterte Agenten des britischen Geheimdienstes, noch irgendeinen Sinn im Dasein zu finden. Alle sind Einzelgänger, alle wollen wieder zurück in den aktiven Dienst in Regent’s Park, und dafür würden sie absolut alles tun: sogar mit den anderen Slow Horses zusammenzuarbeiten. Keiner betritt Slough House durch die Vordertür; seine Insassen gehen durch einen schmuddeligen Hof mit schimmeligen Mauern und durch eine Tür, die morgens zumeist einen energischen Tritt erfordert, wenn Feuchtigkeit, Kälte oder Hitze sie verzogen haben. In diesem neuen Fall findet Slough-House-Chef Jackson Lamb einen alten Kollegen aus seinem Berliner Vorleben tot in einem Bus, angeblich infolge eines Schlaganfalls. Gleichzeitig erhalten zwei seiner Agenten den Auftrag, einen russischen Oligarchen zu beschützen, der für wichtige Geschäfte nach London kommt und den der britische Geheimdienst als Informanten gewinnen will. Bei beiden Fällen spielen russische Schläfer eine wichtige Rolle: 'Dead Lions'. Ausgerechnet die Agenten, denen keiner etwas zutraut, sind beim Erwachen der Löwen dabei. Diese lahmen Gäule starten sehr lahm und mit schleppender Handlung, aber sie legen sich schwer ins Zeug. Trotz dieser kleinen Unwucht hat der Roman mich nicht mehr losgelassen, spannendste Spionage, messerscharfe Dialoge, tolle Handlung - großartig. Eine abenteuerliche Story, vielschichtige Charaktere, interessante Typen, Spitzenchef, origineller Plot und herrlich britische Dialoge. Alles in allem ein gewitzter, spannender Agententhriller fernab aller sonst üblichen Omnipotenz-Klischees, der Laune macht. Ein sehr britischer Agentenkrimi, skurril und aktuell, nach Londoner Regeln ... Very british! Allerdings nichts für Leute, die Action erwarten aber durchaus lesenswert und es wird sich herausstellen: Dieses Buch zu lesen war keine verschwendete Zeit!

Bewertung vom 12.09.2019
Der Manndecker
Menke-Peitzmeyer, Jörg

Der Manndecker


ausgezeichnet

Irgendwas ist gehörig schief gelaufen in Achim Flessenkempers Leben, er ist Ende 40 und erfolglos. Privat wie beruflich. Seine erste Ehe wurde geschieden, seine zweite Ehe steckt in der Krise, die Beziehung zu seinem Sohn ist maximal schlecht, und statt Hamlet an einer der großen Bühnen Deutschlands zu geben, spielt er den "Manndecker" und tingelt mit seinem Soloprogramm in Gaststätten von so illustren Fußballvereinen wie dem TuS Lohne. Seine Gage überlebt selten den Abend, er verzecht sie an den Tresen der Vereinsgaststätten, in denen er auftritt, vor kaum jemals mehr als einer Handvoll Zuschauer. Kein Wunder, dass er notorisch pleite ist. Und auch sonst lässt er kaum eine Möglichkeit aus, sich noch tiefer in den Schlamassel hineinzureiten. Auch sein Treuegelöbnis übersteht selten die Nacht. Doch dann engagiert ihn der BVB für seine Saisonabschlussfeier, und er hat einen harmlosen, aber folgenschweren Unfall, der ihn zwingt, seine Taktik grundlegend zu überdenken. Er kollidiert auf der Landstraße beinahe mit Julia, Fußballspielerin und erfolgreiche Betreiberin eine Kuhkuschelfarm für emotional ausgemergelte Manager. Ein harmloser Unfall, aber eine folgenschwere Begegnung, die Achims Leben auf den Kopf stellen wird. Und auch in Sachen Liebesleben hält die Reise einiges bereit. Nimmt für Achim doch noch alles eine unerwartete Wendung? Tolle, humorvolle und voller Selbstironie tropfende Geschichte über das trostlose Leben nach der Karriere. Für Jung und Alt, für sportliche und weniger sportliche Leute! Ganz gut für zwischendurch, perfekt, um einfach mal abzuschalten!

Bewertung vom 12.09.2019
Du gehörst mir
Middendorp, Peter

Du gehörst mir


ausgezeichnet

In einer Nacht hat der Bauer Tille Storkema Grausames vollbracht. Wie kam es dazu? Wie konnte er danach Jahre lang als Familienvater weiterleben, als wäre nichts geschehen? In der Zwischenzeit wuchern die Verdächtigungen und Anschuldigungen gegen die mutmaßlichen Täter aus einem Asylbewerberheim, während Tille versucht, ein guter Ehemann, Vater und Bauer zu bleiben. Doch der Druck wächst auf den noch recht junge Landwirt, verheiratet und Vater zweier Kinder, der nach seiner nächtlichen Tat dreizehn Jahre lang schweigt und weiter in Familie und Betrieb funktioniert - scheinbar unauffällig. Zur Zeit des Aufrufs zu besagter DNA- Untersuchung nähert sich seine eigene Tochter dem Alter seines zur Tatzeit sechzehnjährigen Opfers; vielleicht ein Grund, weshalb er keinen Versuch unternimmt, sich dem Test zu entziehen. Warum hat er nicht irgendwo anders neu angefangen? Das Wagnis an dem Roman "Du gehörst mir" ist: Autor Peter Middendorp schlüpft in die Figur des Täters, lässt diesen selbst aus einer fiktiven Ich-Perspektive berichten. Entstanden ist ein höchst kunstvoller Roman, der sich Wahrheiten stärker annähert, als es durch bloße Fakten möglich ist. Die Kniffe und Methoden sind überschaubar, mit denen der Ich - Erzähler manipuliert: etwa, wenn er sich gleich eingangs als Kind beschreibt, das miterleben muss, wie sein Vater mit dem Bein in den neu angeschafften Mähdrescher gerät. Eine blutige Szene, viel drastischer geschildert als das eigene Verbrechen und durchdrängt mit Selbstmitleid als nicht wahrgenommenes, weil von den Erwachsenen übersehenes Kind - dabei aber ohne jede Empathie für den Vater, der sein Bein verliert. Sich selbst beschreibt er ausführlich als zärtlichen Vater seiner Tochter - nur über seinen Sohn verliert er kaum ein Wort. Auf solche Fehlstellen muss man als Leser achten, um zu merken, was mit dem Mann nicht stimmt. Auch die Frau des Täters will nichts bemerkt haben, dabei hat sie ihren Mann nach der Tatnacht noch wegen der nicht herauszuwaschenden Flecken in seiner Unterwäsche befragt. Ein genügend deutlicher Hinweis, dergleichen beim Lesen zu hinterfragen. Hinzu kommt die manipulative Verwischung oder gar Vertauschung der Kategorien: Der Sexualmord wird konsequent als Unglück bezeichnet, als einmaliger Ausrutscher, quasi als technisches Versagen, als falsche Einschätzung eines Bremswegs. Die Tat wird letztlich zu einem Stück Naturgewalt, und wenn man nicht achtgibt, ist am Schluss der Täter das Opfer: In der Hauptsache ein tragisch Gescheiterter, der seit der Tatnacht weiterhin tapfer für seine Familie und den Betrieb funktioniert, obwohl er eigentlich kein Leben mehr hat. Bis man sich hoffentlich vergegenwärtigt, dass das Leben des Opfers in der Tatnacht endete und nicht das des Täters. Auffällig ist wie der Roman die Techniken der Manipulation und Wahrheitsverdrehung beleuchtet, besonders auch, wenn vorgebliche Gefühle eines allgemeinen Vernachlässigtseins als Begründung für Untaten herhalten sollen. Das ist ein wichtiger Aspekt, in dem der Roman über sich selbst hinausweist. Unverzichtbar ist jedoch ein kritisches, aufmerksames Hinschauen. Ein Thriller der Extraklasse, der mit den Gefühlen des Lesers spielt. Meisterhaft, verstörend, schmerzhaft, erschreckend, aber auch herzzerreißend – und manchmal sogar lustig. Jeder Charakter hat seine eigene Geschichte.

Bewertung vom 09.09.2019
Es wird Zeit
Kürthy, Ildikó von

Es wird Zeit


ausgezeichnet

Im neuen Roman von Ildikó von Kürthy "Es wird Zeit" geht es auch ums Älterwerden und Loslassen. Mit viel Humor und Empathie gelingt es ihr, auch den traurigsten Momenten etwas Tröstliches abzugewinnen. Die Autorin ist den Fragen nachgegangen, die uns bewegen, wenn wir älter werden, bis dahin, wo es weh tut. Hartnäckig und trotzdem sehr feinfühlig, immer die eigenen Ängste im Visier. Denn diesmal ist es ernst. Romanheldin Judith kehrt nach 30 Jahren mit der Urne ihrer Mutter auf dem Beifahrersitz in ihre Heimat zurück. "So hatte ich mit das nicht vorgestellt. Seit Jahren frage ich mich, wie es sein wird, wenn wir uns wiedersehen." So beginnt der Roman. "Was soll jetzt noch kommen?" Judith ist fast 50, und auf diese Frage fällt ihr leider keine zufriedenstellende Antwort ein. Die Kinder sind groß, ihr Mann ist in die Jahre gekommen und das Leben auch. Dann stirbt ihre Mutter, und Judith kehrt nach 20 Jahren in die alte Heimat zurück, wo sie ein gut gehütetes Geheimnis, ein leeres Grab und einen Haufen Hoffnungen, Träume und Albträume zurückgelassen hat. Und plötzlich gerät alles aus den Fugen. Eine lebenslange Lüge stellt sich als Wahrheit heraus. Und die wieder gefundene Freundin hofft, den nächsten Sommer noch zu erleben. Eine Jugendliebe funkelt vielversprechend, eine Urne macht Umwege, und Judith erkennt, dass es besser ist, sich zu früh zu freuen, als überhaupt nicht. In Ildikó von Kürthy's neuem Roman geht es um Lebenslügen, Krankheit, Abschied und Tod. Es ist eine Geschichte von Schuld und Freundschaft, vom Älterwerden und vom Jungbleiben, es geht um die Heimat, die Liebe und den Tod und darum, dass am Ende nichts verlorengehen kann. Sie ist für Frauen jeden Alters unterhaltsam. Witzig, frisch und bei aller Fiktion ganz echt. Mitten aus dem Leben! Ein herzhafter, humorvoller und sympathischer Roman, über den man sich (auch) köstlich amüsieren kann. Die tollpatschige und von Selbstzweifeln geplagte Protagonistin, die vor Schreck über das unverhoffte Wiedersehen auf einem Friedhofsgrab landet, wird plötzlich ihrer alten Liebe gegenüberstehen. So weit. So bekannt. Nur handelt es sich diesmal bei der alten Liebe nicht um einen Mann, sondern um eine Frau. Okay, die Affäre aus Jugendjahren kommt natürlich auch noch vor, wenn Protagonistin Judith wegen der Beerdigung ihrer Mutter aus Hamburg in ihre alte Heimat ins Rheinland zurückkehrt, aber im Mittelpunkt des neuen Romans steht diesmal die Freundschaft. Anne, Judiths beste Freundin aus Jugendjahren, die sie wegen eines Missverständnisses seit 20 Jahren nicht gesehen hat, ist an Krebs erkrankt - mit einer entmutigenden Prognose. Das klingt nicht nach Leichtigkeit, Ironie und Lebenslust. Der Eindruck täuscht. Die beiden Freundinnen, die sich behutsam wieder annähern, geben nicht auf und bieten dem Schicksal gemeinsam die Stirn. Sie erleben großartige, intensive und sehr, sehr lustige Momente – unter anderem auf dem Friedhof, bei der Chemotherapie und dem Versuch, ein Kanu mit Mist zu füllen – und zwar nicht trotz, sondern wegen Annes Krankheit und ihrer Angst vor dem Tod. Die Frauen weinen und lachen zusammen und erinnern sich immer wieder daran, dass man sich nicht zu früh freuen kann. Unterstützung erhalten sie dabei von einem schwulen Pärchen. Herrlich bunt und hinreißend ehrlich beschreibt die Autorin das Leben, Lieben und Leiden von Judith. Ausgesprochen witzig und schwungvoll erzählt sind Kürthys Einblicke in die verwirrte moderne Frauenseele. Dieser Frauenroman ist geistreich, voller Witz und selbstkritischem Spott. Teilweise Traurig, manchmal etwas melancholisch. Manches witzig und zum schmunzeln. Absolut vielseitig. Trotz Tragik und Trauer gibt es hier kein Drama. Zum Seufzen schön. Ein Buch, das auf jeder Seite Spaß macht, eine Frauengeschichte wie sie die Realität schreibt.

Bewertung vom 02.09.2019
Die besten Tantenretter der Welt
Schomburg, Andrea

Die besten Tantenretter der Welt


ausgezeichnet

Wie ist das mit echten Freunden? Eine ungewöhnliche Freundschaftsgeschichte. Eine moderne, lustig illustrierte, gereimte Geschichte von Freunden, die unterschiedlicher nicht sein können. Es geht um eine nette Geschichte zwischen Freunden, die gemeinsam, ein lustiges Abenteuer erleben. Zwei Neffen, eine Tante und ein folgenschwerer Brief. Jonas und Fabian leben bei ihrer Tante Erdmute. Und die macht ihrem Namen alle Ehre. Denn Mut braucht man auf jeden Fall, wenn man in einem knallroten Kleid eine Bank überfällt. Aber alles für einen guten Zweck! Der Tag, als ihre Tante die Bank ausraubte, war der erste Tag ihrer Sommerferien im letzten Jahr. Der Bankraub hatte mit dem Brief zu tun, den Tante Erdmute damals kurz vor diesen Sommerferien bekam. Fabi war mit der dritten Klasse fertig und Jonas mit der fünften. Sie fanden beide, dass sie ein bisschen Ruhe verdient hatten. Aber es kam ganz anders. Nach einer rasanten Flucht taucht Tante Erdmute mit den beiden Jungs in einem kleinen Waldhotel mit Namen "Schlüsselblume" unter. Das Hotelchen am grünen Ende der Welt, sagte Tante Erdmute. Dort wohnen merkwürdige Gäste! Und als dann noch Herrn Hartenbeins wertvolles Briefmarkenalbum gestohlen wird, steht bald die Polizei vor der Tür. Ob die drei Hobbyganoven jetzt in der Falle sitzen? Wer sagt, Literatur ab 10 Jahre sei nicht anspruchsvoll, sollte dieses Buch lesen. Meine Meinung: Ein wunderschön gestaltetes Kinderbuch mit einer spannenden, witzigen, einfallsreichen und zugleich berührenden Erzählung mit viel Unterhaltungspotenzial. Und ich als Erwachsene habe mich an den liebevollen Illustrationen ebenfalls sehr erfreut. Schreibstil, Wortspiele und Andeutungen sind kindgerecht verpackt und für Erwachsene zum Schreien komisch. Unterteilt in kurze Kapitel und mit seiner überschaubaren Gesamtlänge stellt sich bei den jungen Lesern schnell ein Erfolgserlebnis ein. Die Story ist völlig abgedreht, aber genau das richtige, um dem Schul- (oder Arbeits-) Alltag zu entfliehen! Leseratten kommen auf ihre Kosten, Lesemuffel lernen, was eigentlich so toll ist an Büchern, und werden Jonas, Fabian und Tante Erdmute lieben! Sprachmelodie, Kopfkino, Lachmuskeltraining ... alles ist da. Fazit: Eine tolle Geschichte zum Vorlesen, die ich nur weiterempfehlen kann.

Bewertung vom 29.08.2019
Alles außer fern
Konrad, Ksenia

Alles außer fern


ausgezeichnet

Ein tolles Buch über das Ankommen. Mitreißend und erhellend erzählt Ksenia Konrad in diesem Buch Geschichten vom Ankommen, ihre berührende eigene, die berührenden der anderen, und die erheiternden gemeinsamen. Und nicht zuletzt die Geschichte der Sprache, die ein Schlüssel nicht nur zur neuen Heimat, sondern auch zu einem ganz neuen Leben sein kann.
Mit Herz und Humor hilft sie ihnen durch den Sprachdschungel, durchlebt mit ihnen Wechselbäder aus Motivation und Ernüchterung, Selbstzweifel und Erfolgsgefühlen und entlockt selbst aussichtslos scheinenden Situationen eine Portion heitere und motivierende Lebensphilosophie. In ihrem inspirierenden Buch berichtet sie schwungvoll und erhellend von ihrer eigenen Lebensgeschichte und von ihrer Arbeit mit Migrantinnen. Man findet auch viele persönliche Anekdoten, diese runden dieses Lehrbuch ab. Sie philosophiert über die deutsche Sprache und bietet auch gleich handfeste Verbesserungen, damit Deutsch einfacher und logischer wird - einfach wunderbar! Ein unwahrscheinlich komischer und sehr versierter Blick auf die "Feinheiten" beim Erlernen deutscher Sprache, gespickt mit ein paar sehr klugen und äußerst sinnvollen Erneuerungsvorschlägen! Die deutsche Sprache - Sprache der Dichter und Denker - ist mitunter ganz schön verwirrend. Dies nimmt Ksenia Konrad liebevoll auf's Korn und macht zahlreiche Änderungsvorschläge! Einfach mal den Blickwinkel verändern: So schwer, aber auch speziell, ist unsere Sprache und ihre Eigenheiten. Geschrieben, mit Humor, von jemanden, der sie, oft mühsam, lernte. Sogar oder vielleicht gerade für so manchen deutschen Muttersprachler bestens geeignet! Provokant, erhellend und unterhaltsam gelingt Ksenia Konrad dabei auch ein satirischer Blick auf die deutsche Gesellschaft.

Bewertung vom 29.08.2019
Der Kastanienmann
Sveistrup, Søren

Der Kastanienmann


ausgezeichnet

"Nordic Noir" vom Feinsten. Kommissarin Naia Thulin, die furchtlose Kommissarin bei der Polizei in Kopenhagen, versucht mit ihrem eigenwilligen Partner Mark Hess, die Spuren unterschiedlicher Fälle zu deuten. Doch das mysteriöse Verschwinden der Tochter der Politikerin Rosa Hartung geht auch ihr nahe. Es ist ein stürmischer Tag in Kopenhagen, als die Polizei an einen grauenvollen Tatort gerufen wird. Auf einem Spielplatz liegt die entstellte Leiche einer jungen Frau. Und der Täter hat eine unheimliche Botschaft hinterlassen: Über dem leblosen Körper schwingt eine kleine Puppe aus Kastanien im Wind. Kommissarin Naia Thulin und ihr Partner Mark Hess stehen vor einem Rätsel. Denn die Figur trägt den Fingerabdruck des Mädchens, das ein Jahr zuvor verschwand und möglicherweise ermordet wurde – die Tochter der Politikerin Rosa Hartung. Das Leid und die Wut der Eltern geht einem so nah, dass die Ergreifung des Täters fast nebensächlich wird. Doch dann taucht ein zweites Kastanienmännchen auf … bei einem weiteren Opfer eines raffinierten Plans, der gnadenlos ein Menschenleben nach dem anderen fordert und dessen Ursprung in einer grausamen, dunklen Vergangenheit liegt … Ein Wettlauf um das Leben des Kindes beginnt. Kommissarin Naia Thulin und ihr Partner Mark Hess gelingt es in diesem hochspannenden Krimi, politische Abgründe, Intrigen und private Gewalt aufzudecken. Ein "Police procedural", das die Ermittlungsarbeit fast minutiös beschreibt, ohne auch nur einen Augenblick langweilig zu sein. Am Ende ist der Mörder gefunden, das Rätsel gelöst. Eine Überraschung - nicht nur für Kommissarin Thulin, sondern auch für die Leser dieses sensationellen Thriller Debüts. Kriminalliteratur vom Feinsten. "Der Kastanienmann" erfüllt alle Ansprüche, die man an einen Kriminalroman als niveauvolle wie spannende Unterhaltung auf der Höhe ihrer Zeit haben kann, nahezu perfekt. Es ist eine Geschichte, die weit über einen simplen Kriminalfall hinausgeht und ohne moralischen Zeigefinger vom zutiefst menschlichen Makel erzählt. Mit fast 600 Seiten ist der Roman sehr lang geraten, aber keine Seite ist zu viel. Søren Sveistrup widmet jeder Figur genug Raum, um sie plastisch werden zu lassen, und gibt den Lesern zudem Gelegenheit, die Entwicklung jeder Szene nachzuvollziehen. Zudem bleibt die Suche nach dem Mörder bis zum Schluss spannend. Könnte ein Klassiker des Genres sein, der sowohl Freunde des Whodunnits, als auch Thrillerfans ansprechen wird. Höchste Spannung garantiert!