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Volker M.

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Insgesamt 374 Bewertungen
Bewertung vom 27.09.2023
Tatsächlich Transsilvanien
Klaus, Rita

Tatsächlich Transsilvanien


sehr gut

Ein eigenes Häuschen in Garmisch Partenkirchen gegen einen maroden Bauernhof in einem transsilvanischen Dorf eintauschen? Rita Klaus hat das gemacht. Mit Mann, Maus und Kindern. Und wenn man dem sehr unterhaltsamen Integrationsbericht glauben darf, ist ihr die Flucht sogar gelungen, denn in dem Jahr, das sie beschreibt, wurde aus der Hofruine ein bewohnbares Zuhause, mit fast autarker Energieversorgung und diversen tierischen Mitbewohnern (dauerhafte und gelegentliche), die Nachbarschaft hat sich als äußerst hilfsbereit und aufgeschlossen gezeigt und die vielen Probleme des Alltags wurden bisher glücklich gemeistert.

Rita Klaus hat einen komödiantischen Schreibstil, humorvoll, pointensicher und getragen von einem unerschütterlichen Optimismus. Den braucht sie auch, denn es ist nicht alles Idylle, was auf den ersten Blick so aussieht. Die unberührte Natur der Karpaten wird am Dorfrand durch wilde Müllkippen verschandelt, das „biologische“ Gemüse hat mehr Glyphosat gesehen als eine Sondermülldeponie, die nächste höhere Schule liegt 2 Stunden Fahrt entfernt und wehe, jemand wird krank. Aber die Herzlichkeit der Menschen, der Zusammenhalt und die vielen kleinen Abenteuer, die man nur auf dem Dorf erleben kann, die machen für Rita Klaus alle Schwierigkeiten wieder wett.

Zum Ende des Buchs gehen der Autorin langsam die Geschichten aus, wodurch Tempo und Pointendichte deutlich abnehmen, aber das liegt vielleicht auch daran, dass sie noch nicht sehr lange in Transsilvanien lebt. Man kann Rita Klaus allerdings nicht vorwerfen, dass sie sich mit der Kultur, der Sprache und den Sitten nicht intensiv und ernsthaft auseinandersetzt. Das tut sie mit sympathischem Augenzwinkern und viel Verständnis, wo mir wahrscheinlich längst der Kragen geplatzt wäre. Die soziale Kontrolle im Dorf hat etwas Übergriffiges und während Rita Klaus und ihr Mann durch das Internet problemlos ihrem Beruf nachgehen können, weiß ich z. B. nicht, was die Kinder davon halten, in Transsilvanien aufs Internat gehen zu müssen. In erster Linie erfährt man Ritas Sicht auf die Dinge, der Rest der Familie kommt nur zu Wort, wenn es lustig wird. Das ist vielleicht mein größter Kritikpunkt an dem ansonsten sehr kurzweiligen und auch informativen Bericht: Die wirklichen Probleme bleiben unter dem Bullerbü-Teppich. Kein Wort über die in Rumänien ausufernde Korruption, die kriminelle Polizei, die fehlende Rechtsstaatlichkeit. Die (vor allem durch Korruption) mangelhafte Infrastruktur wird als lustige Anekdote verarbeitet, genauso wie das katastrophale Gesundheitswesen im ländlichen Raum. Rita Klaus wird von einem riesigen Hund angefallen und braucht einen halben Tag bis zum (richtigen) Krankenhaus. Wäre sie noch schwerer verletzt worden, hätte sie es wohl kaum überlebt. Das bietet Stoff für witzige oder abenteuerliche Geschichten, aber die Faszination und fast kindliche Begeisterung für diesen Lebensstil habe ich persönlich nicht nachvollziehen können. Meine Empfehlung ist jedenfalls: Nicht nachmachen! Nur lesen.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.09.2023
Werthers Welt
Saltzwedel, Johannes

Werthers Welt


ausgezeichnet

1774 erscheint Goethes „Werther“ und wird augenblicklich ein europaweiter Erfolg. Er scheint einen Nerv getroffen zu haben, aber welchen? Was trieb die Gesellschaft an, was tat sich politisch? Und was bereitete den fruchtbaren Boden für das Buch?

Johannes Saltzwedel durchleuchtet das Jahr 1774 an jedem einzelnen Tag, indem er jeweils nur ein kleines Schlaglicht auf einen winzigen Aspekt wirft. Wer wem schrieb. Was in den Zeitungen stand. Welche Neuerungen Technik, Wissenschaft oder Literatur hervorbrachten. Das klingt zunächst etwas willkürlich und trocken, aber beim Lesen setzen sich diese Mosaiksteine zu einem immer komplexeren und farbigeren Bild zusammen. Oft gibt es Rückbezüge auf Vorangegangenes und was zunächst wie zufällig ausgewählt wirkt, ist in Wirklichkeit raffiniert komponiert. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der vernetzten Welt der Bildungselite. Fast jeder ist mit jedem in Kontakt, direkt oder indirekt. Saltzwedel macht es dabei besondere Freude, die Verbindungen zu Goethe mit geradezu detektivischem Spürsinn aufzudecken und so kann auch schon mal der Onkel eines Autors als Studienfreund Goethes erkannt werden. Geradezu unglaublich ist die Vielfalt an Quellen, die Saltzwedel dafür heranzieht. Oft steckt in einem Dreizeiler die Quintessenz aus drei oder vier Rechercheebenen, locker ineinander gewoben, als sei es das Natürlichste der Welt. Die Arbeit, die darin steckt, muss gigantisch gewesen sein. Saltzwedel zitiert aus französischen und englischen Quellen (nicht übersetzt!), hat also nicht nur Deutschland, sondern auch das nähere Ausland im Blick. Wie leicht kann man sich da verzetteln, aber der Autor ist fern davon.

Nach jedem Monat gibt es einen Einschub, in dem mehrere interessante Bücher aus dem Jahr 1774 vorgestellt werden. Sie stammen aus allen Wissensgebieten, aber vornehmlich der Literatur. Saltzwedel beleuchtet die Entstehungs- und vor allem Wirkungsgeschichte dieser Werke, die oft über ihre Zeit hinaus wegweisend waren, während andere sich völlig verstiegen, trotz illustrer Namen.

„Werthers Welt“ zeigt die Welt der Bildungselite, nicht die des einfachen Volkes. Es ist die Welt derjenigen, die den Werther lasen, die Welt des Bürgertums, der Wissenschaften, der Politik. Es ist eine Welt im Umbruch, mit vielen Unsicherheiten, in der die Revolution schon brodelt. Zwei Jahre später führt sie die englischen Kolonien in Amerika in die Unabhängigkeit, gut 15 Jahre später den französischen König aufs Schafott. Diese Rastlosigkeit und Suche nach Neuem spiegelt sich auch in den kurzen Tagebuchnotizen, die Saltzwedel aus dem Jahr 1774 extrahiert hat, mit unendlicher Geduld und Diderotschem Fleiß. Wer seine Bildungslandkarte um die eine oder andere Insel erweitern will, dem sei das Buch wärmstens empfohlen.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.09.2023
Arsène Lupin gegen Herlock Sholmes
Leblanc, Maurice

Arsène Lupin gegen Herlock Sholmes


ausgezeichnet

Drei rätselhafte Verbrechen in Paris bringen Inspektor Ganimard an den Rand der Verzweiflung. In allen drei Fällen ist der Täter auf mysteriöse Weise vom verschlossenen Tatort verschwunden, ohne Spuren zu hinterlassen. Doch der Polizeipräsident weiß Rat: Er engagiert kurzerhand den berühmten englischen Privatdetektiv Herlock Sholmes, der bisher noch jedes Rätsel gelöst hat. Und Arsène Lupin freut sich bereits diebisch auf ein Duell auf Augenhöhe.

Arsène Lupin war bereits eine literarische Berühmtheit, als sein Schöpfer Maurice Leblanc auf die Idee kam, ihn mit dem größten Detektiv seiner Zeit in den Ring steigen zu lassen. Natürlich versuchte Conan Doyle die Verwendung des Namens Sherlock Holmes zu verhindern, genutzt hat es nichts: Herlock Sholmes ist in jeder Hinsicht seinem Vorbild aus dem Gesicht geschnitten: Arrogant, von sich selbst überzeugt, völlig rücksichtslos gegen seinen Gehilfen Wilson, aber ein Meister der Deduktion. Im Roman prallt er auf Arsène Lupin, dessen geschliffene Umgangsformen und nicht minder ausgeprägtes Selbstbewusstsein einen würdigen Gegner abgeben. Natürlich steckt hinter der Geschichte die uralte Konkurrenz zwischen Frankreich und England, die hier literarisch ausgetragen wird. Wer gewinnt, will ich nicht verraten, aber eines schon: Die Geschichte wurde 1908 geschrieben und als ich sie las, habe ich das nicht für möglich gehalten. Sie ist dermaßen rasant, raffiniert konstruiert und auf jeder Seite aufs Neue überraschend, dass es Doyle behäbige Sherlock Holmes Romane in jeder Hinsicht deklassiert. Doyle hat Staub angesetzt, Leblanc nicht im Mindesten. Seine Dialoge sind geschliffen (übrigens auch geschliffen übersetzt!), die Figuren sind satirisch überzeichnet und spielen mit nationalen Eigenarten, ohne sie zu diffamieren. Man spürt auch den Respekt, den Leblanc gegenüber seinem Konkurrenten hat, wenn er Lupin z. B. sagen lässt, Sholmes sei von einer Scharfsinnigkeit, als hätte ihn Conan Doyle erfunden. Diese augenzwinkernde Ironie durchzieht das Buch wie ein Leitmotiv und macht es auch heute noch äußerst unterhaltsam, genau wie seine atemberaubende Erzählgeschwindigkeit. Es passieren buchstäblich auf jeder Seite unerwartete Wendungen und wenn man glaubt, jetzt gäbe es kein Entkommen mehr, hat Lupin wieder ein As im Ärmel. Auf der anderen Seite denkt Sholmes immer zwei Schritte voraus und holt den Flüchtigen irgendwie wieder ein. Ein herrliches Katz-und-Maus Spiel vor der malerischen Kulisse des Paris der Jahrhundertwende.

Es ist absolut unverständlich, warum der Stoff noch nicht verfilmt wurde, sieht man von einer Stummfilmadaption von 1910 mal ab. Es würde sich in jeder Hinsicht lohnen. Die Lektüre lohnt sich sowieso.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.09.2023
Die besten ETF-Strategien der Welt
Krieger, Sinan

Die besten ETF-Strategien der Welt


ausgezeichnet

ETFs sind bei Anlegern beliebt, weil sie eine kostengünstige und diversifizierte Investition in den Markt ermöglichen. Die meisten ETFs bilden einen bestehenden Index wie den MSCI World 1:1 ab. Aber kann man mit geeigneten ETF-Strategien und einem optimierten ETF-Mix eine Outperformance erzielen? Ja, behauptet Sinan Krieger in seinem Buch und stellt 17 allgemeingültige Anlagestrategien vor, die nach seinen Recherchen nachweislich besser als der Markt abgeschnitten haben.

Wer in ETFs investieren will, muss aus der Vielzahl der angebotenen ETFs den für ihn passenden auswählen. Schnell greift man dann (bequemerweise) zu einem ETF, der den MSCI World Index abbildet. Dieser ist aber nicht wirklich diversifiziert, da er zu über 67% (!) aus US-Aktien besteht und Schwellenländer (Emerging Markets) nicht berücksichtigt.
Krieger verzichtet auf die Beschreibung der Grundlagen und steigt in der Einleitung direkt in die konkrete Welt der ETFs ein. Er erklärt, warum Haltedauer und Drawdown eine zentrale Rolle für den Erfolg spielen und stellt einige wichtige Werkzeuge vor, die für ETF-Strategien unverzichtbar sind. Nachhaltigen ETFs (sog. ESG-ETFs) steht Krieger sehr kritisch gegenüber und begründet ausführlich, warum diese in seinem Buch keine Berücksichtigung finden.

Bereits mit der ersten Strategie und drei konkreten ETF-Empfehlungen optimiert Krieger das Portfolio und gleicht damit die Schwächen eines reinen MSCI World ETF aus. In diesem Zusammenhang erläutert er Rendite-Risiko-Kennzahlen wie die Sharpe Ratio oder die Sortino Ratio und beschreibt, wie man durch eine entsprechende Gewichtung sein Risikoprofil abbilden kann.
Weitere vorgestellte Strategien basieren häufig auf Methoden von Nobelpreisträgern oder erfolgreichen Vermögensverwaltern/Fondsmanagern (z.B. Harry Brownes „Permanent Portfolio“ oder Ray Dalios „Allwetter-Depot“). Aber auch der erfolgreiche norwegische Staatsfonds oder der Yale Stiftungsfonds sind Vorbilder für die beschriebenen Ansätze.
Neben diesen Buy-and-Hold-Strategien stellt Kriener auch Timing-Strategien vor, die eine regelmäßige Überwachung des Portfolios und gegebenenfalls ein Eingreifen erfordern. Diese Strategien sind Beispiele dafür, dass ETFs nicht ausschließlich für passives Investieren geeignet sind.

Jede der vorgestellten ETF-Strategien ist für den Anleger umsetzbar und erfordert keine besonderen Fähigkeiten. Krieger empfiehlt konkrete ETFs und gibt Handlungsempfehlungen zur Gewichtung und gegebenenfalls zum Timing. Ob die Strategien auch in Zukunft eine Outperformance erzielen werden, weiß auch Kriener nicht, aber die Chancen stehen gut.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.09.2023
Japanische Muster sticken
Sakamoto, Keiko

Japanische Muster sticken


ausgezeichnet

Im Norden der Hauptinsel Honshu hat sich eine besondere Tradition der Stickerei entwickelt, deren geometrische Bildmotive sofort Assoziationen mit Japan auslösen. Sie leiten sich von den repetitiven Mustern der japanischen Weberei ab, deren Wurzeln allerdings deutlich weiter zurückreichen. Die Kogin- und Hishizashi-Stickerei ist seit der Mitte des 18. Jahrhunderts nachgewiesen, auch wenn sich aus der Zeit keine Originalstoffe erhalten haben. Man vermutet, dass die Stickerei mit robusten Baumwollfäden die relativ brüchigen Flachsgewebe der Region stabilisieren sollte, um deren Haltbarkeit aber auch Wärmerückhaltung zu verbessern. Der Höhepunkt der Produktion lag in der frühen Meijizeit, als Baumwolle allgemein verfügbar wurde.

Das Buch erklärt zunächst die grundlegenden Unterschiede zwischen Kogin- und Hishizashi-Mustern, die aus unterschiedlichen Regionen stammen und unterschiedlichen Konstruktionsregeln folgen. Beide Motivgruppen lassen sich nicht kombinieren, weshalb man die Unterschiede (er)kennen muss.
Die Technik unterscheidet sich von europäischer Rahmenstickerei vor allem dadurch, dass der Stoff frei gehalten wird, weshalb einige sehr wichtige Zwischenschritte nötig werden, um das Grundgewebe nicht zu verziehen. Das wird sehr anschaulich und mit zahlreichen Abbildungen illustriert. Etwa ein Drittel des Buches nehmen „Projekte“ ein, wie das Herstellen von Lesezeichen, gerahmten Stickbildern oder Wandbehängen. Hier gibt es einige inhaltliche Wiederholungen, denn das Prinzip ändert sich ja nicht. Sehr umfangreich ist der Musterteil, der getrennt nach Kogin und Hishizashi etwa 200 Muster vorstellt, insbesondere auch solche, die sich für repetitive Flächenmuster eignen. Den Schluss bilden Beispiele von komplexen Musterkombinationen, die außerordentlich dekorativ sind.

Die einfachen Schritt-für-Schritt Anleitungen sind auch für blutige Anfänger problemlos nachzuvollziehen. Man benötigt nur wenig Arbeitsmaterial, das zudem auch in Europa leicht zu beschaffen ist. Mittlerweile gibt es hier sogar Anbieter von original japanischen Grundgeweben. Ein schönes, auch schön gestaltetes Buch, das die japanische Stickerei in ihrer ganzen Vielfalt zeigt und zum Nachmachen anregt.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

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Bewertung vom 21.09.2023
Ohne Aktien Wird Schwer
Leidinger, Noah;Adomeit, Florian

Ohne Aktien Wird Schwer


ausgezeichnet

Zur Diversifizierung zählt eine breite Geldanlage in Aktien, da der Aktienmarkt bisher (!) noch jede Krise gemeistert hat. Ein Anleger, der den Aufwand scheut, sollte in breit gestreute Aktien-ETF investieren (z.B. auf den Referenzindex MSCI World), muss dann aber in Kauf nehmen, dass die Rendite des Marktes nicht wesentlich übertroffen wird. Wer mehr möchte, kann sich einen aktiv gemanagten Fonds suchen und muss hoffen, dass dieser auch die versprochene Mehrrendite bringt. Ergänzend oder alternativ kann man selbst auf die Suche nach Einzelaktien gehen, mit dem Risiko, teure Fehlgriffe zu machen.

Wie findet man also die „richtigen“ Einzelaktien? Noah Leidinger und Florian Adomeit erklären in ihrem Buch „Ohne Aktien Wird Schwer“ allgemeinverständlich die Grundlagen der Aktienanalyse. Sie zeigen, wie man eine Bilanz liest, welche Posten wichtig sind und wie man Schönfärbereien in der Bilanz entlarvt. Anhand realer Unternehmen erklären sie außerdem gute und schlechte Geschäftsmodelle und die Kennzahlen, auf die es wirklich ankommt.

Die Analyse von Finanzkennzahlen und Bilanzierungsmerkmalen ist kein Selbstzweck. Sie soll vielmehr dazu dienen, das Geschäftsmodell und die daraus resultierenden Wettbewerbsvorteile zu verstehen. Beispiele im Buch sind z. B. das Abo-Modell von Adobe, das Systemgeschäft von Gillette, der „Burggraben“ von Coca-Cola, das Franchise-Modell von McDonalds oder der Marktplatz von Amazon.

Die Autoren erklären, warum es nicht ausreicht, nur auf die reinen Zahlen wie Gewinn und Verlust, Umsatzwachstum, Gewinnmargen oder Dividenden zu schauen. Auch die Eigentümerstruktur und die Machtverteilung zwischen Aktionären und Managern müssen berücksichtigt werden. Ebenso wichtig ist der Faktor Unternehmenskultur. Hier nehmen die Autoren Netflix mit seiner ungewöhnlichen Transparenz als Beispiel.

Ebenfalls anhand konkreter Aktien werden die Fachbegriffe und Kennzahlen erläutert, wie z.B. der Goodwill-Anteil (LTU/AirBerlin), die Interest Coverage Ratio (AirBerlin) oder die Payout Ratio (McDonald‘s). Leider haben die Autoren auf ein Stichwortverzeichnis verzichtet, was das Wiederfinden von Informationen deutlich erschwert und auf Dauer nervig ist.

Leidinger und Adomeit verschweigen nicht, dass die Aktienanalyse aufwendig werden kann, insbesondere, wenn Unternehmen in ihrer Buchführung (legal) kreativ sind und Bilanzpositionen verschieben. Konkrete Beispiele zeigen Zusammenhänge und helfen dabei, die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Die besondere Stärke des Buches liegt in seiner Praxisnähe, die es von vielen anderen Finanzratgebern positiv abhebt. Die Autoren greifen, wie in ihrem Podcast und Newsletter, relevante Themen auf und erklären die Sachverhalte so verständlich, dass jeder Leser sie problemlos umsetzen kann. Nichts bleibt theoretisch oder nebulös. Nur eines kann das Buch nicht verhindern: Aktienanalyse ist und bleibt zeit- und arbeitsintensiv.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

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Bewertung vom 20.09.2023
Endlose Kreise. Reisen in Japan
Nooteboom, Cees

Endlose Kreise. Reisen in Japan


ausgezeichnet

Über kein Land hat Cees Noteboom neben Spanien so viel geschrieben wie über Japan und kein Land ist ihm dennoch so rätselhaft geblieben. Jede Reise hat ihm die Kultur näher gebracht, ohne die geheimnisvolle Faszination zu zerstören. Mir selber ist es genauso ergangen und gerade deshalb ist für mich „Endlose Kreise“ eines der besten Bücher darüber, wie sich die Wahrnehmung gegenüber Japan für einen Reisenden im Lauf der Zeit erweitert. Während Noteboom anfangs noch damit beschäftigt ist, seinen Alltag zu organisieren und von der Fülle an Eindrücken schier erdrückt wird, fokussiert sein Blick später zunehmend auf die Details. Hinzu kommt, dass er sich intensiv mit Japans Kultur auseinandersetzt, viel liest und dadurch eine Erwartungshaltung erzeugt, die er erst mit der Realität abgleichen muss. Auch ich habe Sei Shonagons „Kopfkissenbuch“ und Murasaki Shikibus „Die Geschichte des Prinzen Genji“ gelesen und in Kyoto deren Spuren gesucht. Genau wie Noteboom habe ich sie tatsächlich gefunden, sowohl an Orten als auch in der Gesellschaft, durch ein vergangenes Jahrtausend allerdings stark überformt. Der große Unterschied: Ich habe das alles nicht so präzise in Worte fassen können wie Noteboom, der seine Beobachtungen und Unsicherheiten genüsslich seziert und an dem, was er zu begreifen beginnt, mindestens so viel Freude hat wie an dem, was ihm bis heute rätselhaft blieb.

Die Texte entstanden zwischen 1977 und 2000 auf insgesamt acht Reisen, die teilweise mehrere Monate dauerten. Durch diese lange Zeitspanne erlebt der Leser den Zuwachs an Erkenntnis hautnah mit, so wie Noteboom sich Japan durch die Literatur und seine persönlichen Erlebnisse erarbeitet. Das einzige, was mich störte, ist, dass er sich geradezu demonstrativ als einsamen Wolf inszeniert. Er kämpft sich alleine durch die anonymen Menschenmassen am Bahnhof, verläuft sich auf dunklen Wanderpfaden im Kiso Valley, lernt die ungewöhnlichen Verhaltensregeln im Ryokan oder ist dem ihm unverständlichen Ritual in einem Tempel einsam ausgeliefert. Andere Menschen kommen höchstens in einem Nebensatz vor und nur die Tatsache, dass Simone Sassen auf diesen Reisen sein fotografisches Auge war, legt nahe, dass diese Selbstinszenierung der Realität nicht ganz gerecht wird. Simone Sassen, die seit Jahrzehnten seine Lebenspartnerin und heutige Frau ist, wird im Buch mit keinem Wort erwähnt, außer dass sie Fotografien beisteuert. Aus eigener Erfahrung kann ich zwar bestätigen, dass das GEFÜHL der Einsamkeit einen in Japan nie ganz loslässt, aber aus der gleichen Erfahrung stelle ich eben auch fest, wie wichtig dadurch der Reisepartner wird. Noteboom kämpft stets für sich alleine. Das passt zweifellos literarisch zum Land Japan, heroisiert ihn aber in einem Ausmaß, das ihm meiner Meinung nach nicht zusteht.

Trotzdem ist „Endlose Kreise“ ein wirklich gutes Buch, in dem sehr viel Sachverstand steckt und das von jemandem geschrieben wurde, der die Faszination für und die Liebe zu Japan bis heute im Herzen trägt.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

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Bewertung vom 18.09.2023
Unglückliche Thronfolger
Oppermann, Jochen

Unglückliche Thronfolger


ausgezeichnet

„Designierte Nachfolger“ haben auch heute immer noch etwas Provisorisches. Sie sind Nachfolger auf Abruf, aber mit der Möglichkeit, es doch nicht zu werden. In früheren Jahrhunderten gab es so etwas auch schon, meistens waren es die Kinder von regierenden Herrschern, die sich in einer feindlichen Umwelt behaupten mussten. Viele von ihnen überlebten die avisierte Nachfolge nicht oder nur kurz. Die Söhne Alexanders des Großen und Julius Caesars gehören ebenso dazu wie der letzte Bourbone Louis Charles oder der Sohn des letzten Zaren. Andere führten die ihnen vererbten Reiche in den Untergang, wie der letzte österreichische Kaiser Karl. Napoleons einzigem Sohn, über dessen charakterliche Uneignung sich die Zeitgenossen einig waren, blieb es zum Glück verwehrt, überhaupt in diese Lage zu kommen.

Jochen Oppermann hat die oft filmreifen Geschichten um verhinderte, verjagte oder früh verstorbene Thronfolger in präzisen Miniaturen ein Denkmal gesetzt. Es gelingt ihm, die meist recht komplexen Hintergründe in einen flüssigen Zusammenhang zu bringen, so dass selbst Leser, die in Geschichte nicht jedes Detail parat haben, keine Mühe haben, ihm zu folgen. Die Beispiele sind der Zeit zwischen 300 v. Chr. und dem Ende des 1. Weltkriegs entnommen und stammen aus Herrscherhäusern in ganz Europa. Oft kennt man die Personen selbst kaum, sondern viel mehr ihre Vorfahren, oder ihre Namen sind zu geflügelten Worten geworden, deren tragischer Hintergrund längst vergessen ist. Erzählenswert und hochspannend sind dabei alle diese Geschichten.

Oppermann schreibt in routiniertem journalistischen Stil, in dem er regelmäßig Originalzitate einflicht, ohne dass die Lektüre dadurch mühsam würde. Besonderen Wert legt er darauf, dass die Protagonisten als Menschen erkennbar werden, die als Spielball der Geschichte Opfer der jeweiligen Umstände werden. Zwar wachsen sie meist in einem goldenen Käfig auf, aber es ist und bleibt eben immer ein Käfig und sie sind Marionetten, deren Fäden die eigentlich Mächtigen ziehen.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.09.2023
Ein neues Jahr voller Wunder
Burton-Hill, Clemency

Ein neues Jahr voller Wunder


gut

Mit Auswahlen ist das immer so eine Sache. Sie hängen sehr stark an der Person des Auswählenden, um nicht zu sagen, es sind Geschmacksfragen. Clemency Burton-Hill hat bereits eine 365-Stücke Auswahl für ein Jahr mit „klassischer“ Musik veröffentlicht und es war damals ein großer Erfolg. Auch ich habe darin viel Neues entdeckt, selbst wenn mir natürlich nicht alles gut gefiel. Der Nachfolgeband muss sich jedoch insgesamt daran messen lassen und ich bin aus mehreren Gründen etwas enttäuscht. Zum einen entfernt sich Burton-Hill zunehmend von dem, was ich als „klassische Musik“ empfinde. Der Anteil zeitgenössischer Komponisten hat sich deutlich erhöht, mit den damit einhergehenden Strapazen für das Nervenkostüm. Es ist im übrigen eine direkte Folge des zweiten Punktes, der mich gestört hat: Die Autorin möchte auf Biegen und Brechen den Komponistinnen dieser Welt eine Bahn brechen. Der Vorrat an vorzeigbaren historischen Stücken dieser Art war offenbar im ersten Band verbraucht, jetzt müssen die Zeitgenossinnen ran. Da weht ein wenig zu viel woker Zeitgeist über die Seiten, als dass es mir noch gefallen könnte. Diesmal wurde für meinen Geschmack einfach zu viel Zweitklassiges ausgewählt und oft nur, um „ein Zeichen zu setzen“. Wenn Hautfarbe oder Geschlecht zur Begründung herangezogen werden müssen, um in dieser Auswahl zu landen, dann läuft irgendetwas gewaltig schief.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)