Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Havers
Wohnort: 
Vaihingen an der Enz
Über mich: 
Top100-Rezensent und Buchflüsterer

Bewertungen

Insgesamt 148 Bewertungen
Bewertung vom 01.11.2023
Endstation Malma
Schulman, Alex

Endstation Malma


sehr gut

Eine Zugfahrt. Drei Menschen. Harriet, Oscar und Yana. Eine trügerische Ausgangssituation. Außen die idyllische, schwedische Sommerlandschaft, innen jedoch die schmerzhaften Erinnerungsfragmente der Passagiere, verbunden durch eine gemeinsame Geschichte. Jede/r für sich auf einer Reise durch die Zeit zur „Endstation Malma“, Dreh- und Angelpunkt für die toxischen Beziehungen innerhalb einer Familie. Der Ort, an dem Geheimnisse vergraben und wieder ans Licht geholt werden. Im Gepäck Ungesagtes, Verdrängtes, aber auch der Wunsch nach Verstehen und im besten Fall Heilung.

Wie bereits in „Die Überlebenden“ und „Verbrenn all meine Briefe“ arbeitet sich Alex Schulman auch in seinem neuen Roman an toxischen Familienbeziehungen ab. Die dysfunktionale Familie, das Thema, das sein künstlerisches Schaffen bestimmt, ist omnipräsent. Sprach- und Lieblosigkeit, emotionale Kälte, Zurückweisungen, Enttäuschung und Wut. Über Generationen weitergegebene Traumata, unausgesprochene Gefühle und die sich daraus ergebende Hilflosigkeit. Ein Teufelskreis, den es zu durchbrechen gilt.

Wieder einmal ist es harte Kost, die uns Schulman hier serviert, und da dieses Thema offenbar der nie versiegende Quell der Inspiration für ihn ist, bin ich mir nicht sicher, ob ich zukünftig noch mehr davon lesen möchte. Auch in diesem Roman verbindet er gekonnt Vergangenes und Gegenwärtiges und jongliert souverän mit den Zeitebenen. Aber wenn ich bereits nach den ersten Seiten mehr als eine Ahnung davon habe, wohin die Reise gehen wird, fehlt mir die Weiterentwicklung, überwiegt das Unbehagen. Die Akteure wechseln zwar, aber es sind doch immer die gleichen alten Wunden, die wieder aufbrechen.

Bewertung vom 30.10.2023
Die einsame Stadt
Laing, Olivia

Die einsame Stadt


ausgezeichnet

Wie fühlt es sich an, wenn man der Liebe wegen die Koffer packt und sein vertrautes Leben aufgibt, um zukünftig in New York zu leben? Wenn man die Heimat verlassen hat, nur um dann festzustellen, dass es mit diesem Partner nicht funktioniert? Wenn man zwar die Millionen Menschen der Metropole um sich herum hat, aber sich dennoch einsam und verlassen fühlt? Kapituliert man und setzt sich in den nächsten Flieger zurück, oder bietet man dieser Situation die Stirn?

Olivia Laing, die englische Journalistin und Autorin, wählt einen dritten Weg und verarbeitet ihr Gefühl der Einsamkeit und Isolation in „Die einsame Stadt. Vom Abenteuer des Alleinseins“, einem beeindruckenden Werk, gleichzeitig Memoir und geschliffener Blick auf Werk und Leben diverser Künstler, allen voran Edward Hopper, dessen Gemälde allesamt eine Abgeschnittenheit von der Außenwelt vermitteln, in der sie sich wiedererkennt.

Aber auch Andy Warhol, David Wjnarowicz und Henry Darger (plus Klaus Nomi, der allerdings eine Sonderrolle einnimmt) finden ihr Interesse. Und so taucht sie in deren Leben ein, studiert ihre Biografien und setzt sich mit ihrem künstlerischen Schaffen auseinander, bewegt sich kreuz und quer durch New York, schaut sich in Museen die Werke an und gräbt in Archiven nach Informationen. Die Übertragung des eigenen Problems auf das Leben dieser Künstler ermöglicht es Laing, einerseits auf Distanz zu gehen und andererseits eine lohnende Beschäftigung zu haben, die ihre Schaffensfreude anfacht und schließlich dafür sorgt, dass sie diese Stigmatisierung der Einsamkeit hinter sich lassen und das Alleinsein im urbanen Raum als bereichernde Erfahrung annehmen kann.

Ein sehr gelungenes Buch. Persönlich, tiefsinnig, interessant und informativ, speziell dann, wenn man sich für die genannten Künstler und deren Werk interessiert (umfangreiche Bibliografie am Ende des Buchs inklusive). Lesen!

Bewertung vom 28.10.2023
Der späte Ruhm der Mrs. Quinn
Ford, Olivia

Der späte Ruhm der Mrs. Quinn


ausgezeichnet

Ich bin ein großer Fan der englischsprachigen Koch- und Backwettbewerbe, die bei den Streaming-Diensten zu sehen sind, da diese Produktionen bei weitem nicht so dümmlich Dialog lastig wie die deutschen Produktionen bei den Privaten daherkommen. Von daher war mein Interesse gleich geweckt, als ich die Verlagsvorschau für Olivia Fords Debüt „Der späte Ruhm der Mrs Quinn“ entdeckt habe.

Jennifer Quinn und ihr Ehemann Bernard leben in einem kleinen englischen Dorf. Sie sind fast sechzig Jahre verheiratet und gemeinsam alt geworden. Bernard ist gesundheitlich leicht angeschlagen, sucht keine Herausforderungen mehr, er ist mit ihrem beschaulichen Leben zufrieden. Pantoffeln, die Zeitung, eine Tasse Earl Grey und dazu der leckere Kuchen, den seine Frau gebacken hat, so lässt es sich aushalten. Jenny hingegen fragt sich, ob das schon alles gewesen sein kann. Was wird sie hinterlassen wird, wenn das Leben zu Ende geht? Einmal noch möchte sie aus dem alltäglichen Trott ausbrechen, etwas nur für sich tun. Und so beschließt sie sich als Kandidatin für die Fernsehsendung „Das Backduell“ zu bewerbe. Bernard sagt sie davon nichts, er soll ja nicht das Gefühl haben, dass sie mit dem gemeinsamen Leben unzufrieden wäre. Und außerdem hat sie Angst davor, dass sie scheitert und/oder sich lächerlich macht.

In jeder Zeile dieses Romans fühlt man die große Empathie, die Olivia Ford diesen Menschen entgegenbringt. Man sieht die alte Dame vor sich, die in der Küche vor sich hin werkelt, man spürt die Zweifel, die sie hat, als sie sich fragt, ob ihre Bewerbung nicht allzu optimistisch war und man merkt ihr die leise Besorgnis an, als Bernard von der Diagnose seines Arztes erzählt. Sie kann sich nicht vorstellen, allein zurückzubleiben, falls er je vor ihr sterben sollte. Gedanken, die jede/r schon einmal hatte, der in einer langen Beziehung lebt. Es ist das Backen, das ihr in diesen dunklen Stunden Ablenkung und Trost bietet.

Die Autorin beschreibt nicht nur sehr anschaulich den Wettbewerb, sondern auch Jennys Gedanken, die sich in ruhigen Stunden anschleichen, wenn sie Bilanz zieht. Dabei bleibt Ford in ihren Beschreibungen warmherzig, vermeidet Kitsch und erzählt nicht nur von einer großen Liebe, sondern auch von Nichtgesagten und Schuldgefühlen, die sich über die Jahrzehnte aufgetürmt haben. Aber so wie ihre Protagonistin allmählich durch ihre Erfolge, aber auch durch die Rückschläge an Stärke gewinnt, findet sie auch im Privaten schlussendlich den Mut, reinen Tisch zu machen.

Ein rundum gelungener Wohlfühl-Roman mit einem liebenswerten Personen-Ensemble, bestens geeignet für trübe Herbsttage, das nebenbei noch wertvolle Anregungen für ambitionierte Hobbybäckerinnen bietet.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.10.2023
Glutspur / Liv Jensen Bd.1
Engberg, Katrine

Glutspur / Liv Jensen Bd.1


weniger gut

„Glutspur“ ist Katrine Engbergs erster Band einer geplanten Reihe mit Liv Jensen, einer ehemaligen Polizistin, die mittlerweile als private Ermittlerin tätig ist. Und, wie könnte es anders sein, hat sie natürlich auch ein persönliches Trauma zu verarbeiten. Zwar arbeitet die Autorin nur mit Andeutungen, aber es scheint offensichtlich, dass es sich dabei um den Übergriff eines Ex-Kollegen handelt.

Und hier sind wir bereits bei dem Punkt, der mir die Lektüre vergällt hat. Engberg packt viel zu viel in die eigentliche Handlung hinein, was dazu führt, dass diese völlig überfrachtet daherkommt: Der Suizid eines Häftlings, der wegen des Mordes an seiner Frau einsitzt und in seiner Zelle kryptische Zeichen hinterlässt. Eine Museumsangestellte, die nach einem Besuch bei ihrem ehemaligen Lover ermordet aufgefunden wird. Ein zerstrittenes Brüderpaar, das sich nicht einig ist, was mit dem gemeinsamen Erbe geschehen soll und einen das Leben kostet. Der Cold Case um einen ehemaligen Journalisten, der sich für Heimatgeschichte interessiert und bei seinen Nachforschungen etwas entdeckt, das die Geschichte der Region umschreiben wird. Ein Naturschutzgebiet, das clevere Investoren in ein Luxusresort verwandeln wollen. Ein Rückblick ins Jahr 1943, in dem ein jüdisches Ehepaar auf der Flucht außer Landes ist. Und…und…und…mittendrin Liv Jensen, in deren Händen all diese Fälle zusammenlaufen.

Wenn man einem Interview glauben darf, verarbeitet Frau Engberg einen Teil ihrer eigenen Familiengeschichte in diesem Krimi. Und ja, genau dieser Handlungsstrang wurde leider recht dürftig und eher en passant behandelt, obwohl er für mich der einzige war, der mein Interesse geweckt hat. Alle anderen sind vorhersehbar, da diese simplen Themen bereits in vielen Krimis abgefrühstückt wurden. Schade.

Noch eine Bemerkung zu Schluss: Die Übersetzerin hat sich offenbar streng an den Ausgangstext gehalten und 1:1 übersetzt, was beim Lesen immer wieder für Stolperfallen sorgt. Beispiele gefällig? Ein Gebiet wird durchgängig als „Kanten“ bezeichnet. Ist wohl die wörtliche Übersetzung eines flapsigen, dänischen Ausdrucks für eine regionale Ecke. Bei der Durchsuchung eines Wohnwagens fällt Liv Jensen eine „Zahnbürste mit Mittelscheitel“ ins Auge. Ich wusste bisher nicht, dass in der Zahnpflege Gerätschaften mit Frisuren zum Einsatz kommen. Und auch die Kulinarik kommt nicht zu kurz. Da legt man sich „Butterbrotschokolade“ aufs Brot (meint sie damit das dänische Pendant zu Eszet-Schnitten oder Schokocreme?) oder hat „Butterbrotsalate“ im Kühlschrank?

Nein, dieser Kriminalroman konnte mich leider nicht überzeugen. Die Story überfrachtet, die Protagonistin uninteressant, und über die Übersetzung breiten wir besser den Mantel des Schweigens.

Bewertung vom 25.10.2023
Unfollow Stella
Dunne, Ellen

Unfollow Stella


ausgezeichnet

Patsy Logan, die sympathische deutsch-irische Kommissarin, kenne ich schon seit ihrer Zeit beim Münchner LKA, als sie noch davon ausging, den nächsten Schritt auf der Karriereleiter zu machen. Aber sie hatte nicht mit ihrem hinterhältigen Kollegen Stani gerechnet, der ihr nicht nur die Stelle des Dezernatsleiters vor der Nase wegschnappte, sondern auch noch dafür verantwortlich ist, dass man sie für eine einjährige „Bildungskarenz“ in Dublin aus dem Verkehr gezogen hat.

Kurze Zusammenfassung des Status Quo: die Karriere auf Eis, die Ehe vor dem Aus, der Kinderwunsch erledigt. Ist Patsy deshalb angezählt? Mitnichten, und deshalb zögert sie auch nicht als Sam Feurstein, Polizeiattaché der österreichischen Botschaft, sie kontaktiert. Er benötigt ihre professionelle Unterstützung im Vermisstenfall Stella Schatz, beschäftigt in einer Content-Agentur und seit kurzem spurlos verschwunden. Noch haben Sam und Patsy keine Vorstellung davon, was sie erwartet, als sie im Zuge ihrer Nachforschungen in die Untiefen der Sozialen Medien eintauchen und in derem widerlichen Schlamm wühlen müssen…

Dass sowohl Patsy Logan als auch Ellen Dunne wesentlich mehr zu bieten haben, als wir in den ersten beiden Bänden lesen konnten, war für mich seit Band 1 offensichtlich. Honoriert wurde das mit dem Glauser-Preis 2023 für „Boom Town Blues“ (Band 3 der Reihe).

Die wahre Qualität der Autorin zeigt sich nämlich dann, wenn sie in ihren Kriminalromanen gesellschaftlich relevante Themen behandelt. In „Unfollow Stella“ ist das nicht nur die Realität jenseits der Katzenbilder von Social Media, sondern auch das Geschäftsgebaren der Multinationals, allen voran die Big Player unter den IT-Firmen, die in der Dubliner Steueroase seit Jahrzehnten ihre Profite ohne Rücksicht auf das Wohlergehen ihrer Angestellten maximieren.

Vergessen wir nicht Patsy Logan, die sympathische Protagonistin mit ihrer lässigen Art und lockeren Zunge, in Ermittlungen aber absolut fokussiert auf den Fall. Eine, die sich immer wieder durch ihr spontanes Handeln in Situationen hineinmanövriert, aus denen sie nicht ohne Blessuren herauskommt. Und damit meine ich nicht nur aufgeschürfte Knie und blaue Flecken.

Außerdem gibt es noch immer einen ungeklärten Handlungsstrang, nämlich den Verbleib von Patsys Vater, die Ungewissheit über sein Schicksal. Vor vielen Jahren ist er von heute auf morgen spurlos verschwunden, hat angeblich den Tod in der rauen Irischen See gesucht. Ob dem tatsächlich so ist, werden wir hoffentlich bald in der Fortsetzung der Reihe erfahren. Ich warte gespannt darauf und hoffe inständig, dass Patsy Logan nicht nach Deutschland zurückkehrt, sondern sich dazu entschließt, ihren Lebensmittelpunkt nach Dublin zu verlagern.

So oder so, für mich war „Unfollow Stella“ (btw ein etwas seltsamer Titel) ein Highlight in der Masse der Herbst-Neuerscheinungen. Bitte mehr davon!

Bewertung vom 22.10.2023
Hope's End
Sager, Riley

Hope's End


gut

Ein dem Verfall preisgegebenes Herrenhaus mit einer dunklen Vergangenheit. Lenora, die einzige Überlebende einer Familientragödie, die sich 1929 zugetragen hat. Die bis zum heutigen Tag ungeklärte Frage nach Täter oder Täterin. Kit, eine ungelernte Altenpflegerin ohne sichere Zukunft, die in ihrem neuen Job bei Lenora nicht versagen darf, auch wenn sie dafür mit dem Teufel tanzen muss. Das sind die Zutaten, aus denen Riley Sager seinen Gothic-Thriller „Hope’s End“ gestrickt hat, dessen Ähnlichkeiten mit Daphne du Mauriers „Rebecca“ vielleicht nicht beabsichtigt, aber dennoch offensichtlich sind.

Durch entsprechend intensive Beschreibungen des Settings erschafft Sager eine latent gruselige Atmosphäre, und die im ersten Drittel kaum greifbaren Personen tragen zu den zwiespältigen Gefühlen bei, die im Hinterkopf mehrmals die Frage nach deren Zuverlässigkeit aufploppen lassen.

Über allem steht natürlich die Frage nach Täter und Motiv. Läuft die Antwort tatsächlich auf Lenora hinaus, die nach diversen Schlaganfällen nur noch schriftlich mit ihrer Umwelt kommunizieren kann, aber nun an dem Punkt ist, an dem sie sich das Geschehene von der Seele schreiben will? Aber auch Kit, über deren Vergangenheit man anfangs kaum etwas weiß, ist ein interessanter Charakter. Und was ist mit ihrer Vorgängerin geschehen, die, warum auch immer, Hals über Kopf das Anwesen verlassen hat?

Lenoras Blick in die Vergangenheit und die Ereignisse in der Gegenwart wechseln sich ab, sind im Text durch unterschiedliche Schriftarten kenntlich gemacht. Aber immer wieder stellt man sich die Frage, ob sie die Wahrheit sagt und man ihren Aussagen trauen kann oder ob sie eine begnadete Lügnerin ist. Wer weiß?

Und dennoch, hier wird viel Lärm um nichts gemacht. Klischee reiht sich an Klischee, die immer unglaubwürdigere Handlung wird unnötig in die Länge gezogen, so dass man über kurz oder lang das Interesse verliert, zumal wohl auch der Autor sich in seinem Konstrukt verheddert hat. Und zu allem Überfluss werden dann auch noch übersinnliche Elemente eingearbeitet, oft ein Zeichen für den Mangel an logischen Erklärungen.

Gute Ansätze, die allerdings in der Ausarbeitung bis zum Gehtnichtmehr überstrapaziert werden und die Handlung dermaßen überfrachten, dass man aus dem Kopfschütteln gar nicht mehr herauskommt.

Bewertung vom 20.10.2023
Florence Butterfield und die Nachtschwalbe
Fletcher, Susan

Florence Butterfield und die Nachtschwalbe


gut

Eine Seniorenresidenz für Gutbetuchte in Oxfordshire, eine 87-jährige mit scharfem Verstand, ein Geheimnis aus der Vergangenheit, ein pensionierter Lateinlehrer als Sidekick, ein mysteriöser Todesfall, der vorschnell als Selbstmord abgetan wird. Gewollt oder ungewollt, allesamt Zutaten, die einen englischen Krimi im Stil der erfolgreichen Donnerstagsmordclub-Reihe suggerieren. Aber davon sollte man sich nicht in die Irre führen lassen, denn dies ist für die Autorin lediglich ein Hilfsmittel, um für ihre Protagonistin eine Ausgangssituation zu schaffen, in der diese am Ende des Wegs auf ein gelebtes Leben voller Liebe und Abenteuer zurückblicken kann.

Die Handlung plätschert über weite Strecken vor sich hin, zieht sich in die Länge und wird unterbrochen von den Erinnerungsfetzen der Hauptfigur, die sich einen Platz an der Oberfläche suchen. Keine Frage, Susan Fletcher hat bereits in der Vergangenheit hinlänglich bewiesen, dass sie es versteht, mit Sprache umzugehen, dass sie schreiben kann, insbesondere dann, wenn es gilt, mit wenigen Pinselstrichen Atmosphäre zu kreieren oder uns Menschen in ihrer Individualität nahe zu bringen.

Leider hat sie in „Florence Butterfield und die Nachtschwalbe“ für meine Begriffe den Bogen überspannt, verliert sich in ausufernden Beschreibungen, die diesen Roman zu einer langatmigen Lektüre machen, bei der man nicht nur das Interesse an der Aufklärung des Todesfalls sondern auch an den Leichen im Keller der beteiligten Personen verliert.

Bewertung vom 18.10.2023
Der Botaniker
Craven, M. W.

Der Botaniker


ausgezeichnet

Einmal mehr muss man sich über die seltsame Veröffentlichungspraxis der deutschen Verlage wundern, denn M. W. Cravens „Der Botaniker“ ist bereits Band 5 der 2019 mit dem CWA Gold Dagger ausgezeichneten Reihe mit Detective Sergeant Washington Poe und seiner Partnerin Tilly Bradshaw. Und es wäre in der Tat schade, wenn man uns die anderen Bände vorenthielte.

Worum geht es? Die Frage lässt sich leicht beantworten. Das Team um DS Poe bekommt es mit einer Mordserie zu tun, in der der Täter den zukünftigen Opfern Gedichte und Trockenblumen zusendet, weshalb er in der Berichterstattung der Presse als Botaniker bezeichnet wird (Fall 1). Die Öffentlichkeit beklatscht seine Taten, hat mit den Opfern wenig Mitleid, waren es doch allesamt zwielichtige Unsympathen, die in der Vergangenheit vor allem durch ihr abstoßendes Verhalten auffielen.

Die Reihe lebt von dem Zusammenspiel des Teams um DS Poe, den knorrigen Zyniker, der für die Serious Crime Analysis Section arbeitet, einer Unterabteilung innerhalb der britischen National Crime Agency, die die schwierigen Fälle auf den Tisch bekommt. Unterstützt wird er von Tilly Bradshaw, einer hochbegabten externen Analystin, die aber außerhalb ihrer Arbeit kaum in der Lage ist, den Alltag zu meistern. Dann wäre da noch die in diesem Band unter Mordverdacht stehende, scharfzüngige Pathologin Estelle Doyle, deren Unschuld es zu beweisen gilt (Fall 2). Nicht zu vergessen DI Stephanie Flynn, die Chefin im Ring. Und keine/r dieser Vier schleppt ein unbewältigtes Trauma mit sich herum.

Sympathische Protagonisten, trockene, humorvolle Dialoge, zwei raffiniert konstruierte Locked-Room-Fällen mit überraschenden Wendungen, eine rasch voranschreitende Handlung, ein fesselnder, cleverer Kriminalroman, der ohne Einschränkung unterhält.

Bewertung vom 15.10.2023
Wie Sterben geht
Pflüger, Andreas

Wie Sterben geht


ausgezeichnet

Wie bereits in „Operation Rubikon“ und „Ritchie Girl“ legt Andreas Pflüger mit „Wie sterben geht“ einen spannenden Politthriller vor, dessen komplexe Handlung eng mit realen Vorkommnissen der internationalen Politik verwoben ist. Und einmal mehr steht mit Nina Winter nach Sophie Wolf, Jenny Aaron und Paula Bloom eine beeindruckende Frauenfigur im Mittelpunkt (übrigens werden sowohl Jenny als auch Sophie in einem Nebensatz kurz erwähnt).

Hier also Nina Winter, nach einem Zwischenstopp im Kulturreferat des Auswärtigen Amtes vom BND als Analystin angeworben. Eine Langstreckenläuferin, die gewohnt ist, über die Schmerzgrenze zu gehen und von Rem Kukura, dem russischen Top-Agenten des BND, Deckname Pilger, als Führungsoffizier angefordert wird. Nina, die in Moskau zwischen die Mühlsteine der Geheimdienste gerät und mehr als einmal dem Tod ins Auge blickt, in Augenblicken der Gefahr über sich hinauswächst, um diejenigen, die ihr am Herzen liegen zu beschützen.

Die Weltlage ist angespannt, hinter den Kulissen bringen sich die Kalten Krieger in Stellung. Nichts Neues im Osten und Westen. Schmutzigen Spielchen sind an der Tagesordnung. Opfer? Zählen nicht. CIA, KGB, HVA. Und mittendrin der BND.

Berlin, 1983. Der Anfang ist das Ende. Fast. Als die Glienicker Brücke in die Luft, scheint es, als wären alle ihre Anstrengungen vergebens gewesen. Bleibt die Frage, wer und warum ist dafür verantwortlich. Um diese Frage zu beantworten, ist eine Reise in die Vergangenheit unumgänglich. Und so begleiten wir Nina auf ihrem Weg zurück zu den Anfängen. Beobachten ihre Ausbildung durch Thräne (neben Nina meine Lieblingsfigur), folgen ihr nach Moskau, bewegen uns auf Schüttelstrecken und Reinigungsschleusen durch die dunklen Gassen der russischen Hauptstadt auf dem Weg zu Treffpunkten und toten Briefkästen. Immer auf der Hut und bereit, den Berserkergang zu gehen. Koste es, was es wolle. Und wenn es das eigene Leben ist.

„Wie Sterben geht“ ist ein actionreicher Spionagethriller der Superlative, in dem einfach alles stimmt: Sprachlich auf höchstem Niveau, wobei der trockene Humor des Autors immer wieder für leises Schmunzeln sorgt. Hervorragend geplottet, hier merkt man den langjährigen Drehbuchautor und Filmliebhaber. Sehr gut recherchiert und mit realistischem Zeitkolorit durch die Verbindung von Zeitgeschichte und Fiktion, aber auch der beiläufigen Erwähnung von Musik und Filmen. Bitte mehr davon!

Bewertung vom 12.10.2023
Alles schweigt
Harper, Jordan

Alles schweigt


ausgezeichnet

Mit „Alles schweigt“ hat der ehemalige Drehbuchautor und Lead Writer Jordan Harper ein düsteres Epos geschrieben, dessen spannender Handlung reale Ereignisse zugrunde liegen. In einander abwechselnden Kapiteln nehmen uns die beiden Protagonisten mit auf einen wilden Ritt ins Auge des Sturms. Wesentlich interessanter ist allerdings die persönliche Veränderung, die sie gemeinsam durchlaufen. Während sie anfangs eher mit zynischem Blick auf das schauen, was um sie herum passiert, sich nur ihrem Job und ihrer jeweiligen Aufgabe verpflichtet fühlen, leisten sie Abbitte, finden zu ihrer Menschlichkeit zurück. Übernehmen, je tiefer der Morast wird, in dem sie waten, Verantwortung. Lassen zu, dass ihre persönliche Moral, ihre Ethik die Oberhand gewinnt und ihr Handeln bestimmt. Auch wenn sie dafür einen hohen Preis zahlen müssen.

Wenn bei den Reichen, Schönen und Einflussreichen in Los Angeles ein Skandal darauf lauert, es in die Schlagzeilen zu schaffen, ist Mae Pruett zur Stelle. Angestellt bei einer Agentur für Krisenmanagement ist sie damit beauftragt, deren Dreck wegzuschaufeln.

Chris Tamburro, Ex-Bulle und ihr ehemaliger Lover, arbeitet für eine Sicherheitsfirma, „das Ungeheuer“, ein Konglomerat aus PR-Agenturen, Anwälten und Investoren. Er ist kein Feingeist, setzt lieber die Fäuste ein, wenn es gilt, der gleichen Klientel persönlichen Schutz zu bieten.

Maes Loyalität gegenüber ihrem Arbeitgeber kommt an ihre Grenzen, als ihr Kollege ermordet wird, und sie setzt alles daran, den oder die Täter dingfest zu machen. Dafür benötigt sie Unterstützung, denn diejenigen, die dafür verantwortlich sind, setzen alles daran, dass ihre schmutzigen Geheimnisse nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Der einzige Mensch in ihrem Umfeld ist Chris. Ihm vertraut sie, kann sich hundertprozentig auf ihn verlassen. Und so kommt er wieder zurück in dieses Spiel, in dem alle schweigen, doch alle flüstern.

Auch wenn dieser Roman in Los Angeles verortet ist und wir spätestens seit dem Harry-Weinstein-Skandal wissen, was in Hollywood im Hinblick auf die Vergabe von Filmrollen gang und gäbe ist, spielt dies in Jordan Harpers Roman „Alles schweigt“ nur eine Nebenrolle. Wesentlich interessanter sind hier die Bezüge, die zu den skandalösen Vorfällen rund um Jeffrey Epstein und dessen elitärer Freundesclique hergestellt werden. Dabei ist es aber kein #metoo Roman, sondern eine Verbeugung vor James Ellroy, dem großen Sohn der Metropole, der in seinen Werken immer wieder, aber insbesondere in seinem L.A.-Quartett, nicht nur die hässlichen Auswüchse der Metropole sondern auch die hässlichen Seiten des „Land of the Free and Home of the Brave“ thematisiert hat.

Lesen. Unbedingt!