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atzekrobo
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Zeven
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Bücherfreak

Bewertungen

Insgesamt 176 Bewertungen
Bewertung vom 24.05.2013
Die Teppichvölker - Strata
Pratchett, Terry

Die Teppichvölker - Strata


gut

Für Fans und Sammler eine passable Ergänzung
Mit der Neuauflage dieser beiden Frühwerke von Terry Pratchett bietet der Piper-Verlag vor allem Fans und Sammlern in ansprechender Aufmachung zwei Werke, die zur Frühgeschichte der Scheibenwelt gehören. Die Teppichwelt wurde 1971 geschrieben, Strata erschien 1983 erstmals auf Deutsch. In Teppichwelt geht es um die Munrungs, ein winziges Völkchen, das in einem Teppich lebt. Der Schreckliche Scheuerer ist eine der Gefahren dieser Welt, er lärmt herum und vernichtet alles, das in sein Zentrum gerät. Als das Dorf der Munrungs verwüstet wird, verlassen sie ihre Heimat. Diesen Roman hat der Autor als 17-Jähriger geschrieben, und das Buch hat mit seinen heutigen Werken nur wenig zu tun, wie der Autor selbst einräumt.
Das gleiche gilt wohl für Strata. Dort geht es um die Planetengestalterin Kin Arad. Mit ihrem Team formt sie Planeten nach Kundenwünschen. Irgendwann taucht ein Mann in ihrem Büro auf, der angeblich eine völlig flache Welt entdeckt hat, mit Magiern und Dämonen. Sie glaubt an einen üblen Scherz, nimmt aber sein Angebot an, diese Welt selbst zu besuchen. Bei der Lektüre des Buches stellt sich heraus, dass diese frühe Scheibenwelt mit der heute bekannten nichts gemein hat. Insgesamt handelt es sich bei Strata eher um eine Episoden-Sammlung.
Beide Bücher sind nicht schlecht, durchaus amüsant zu lesen, aber eben typische Frühwerke eines mittlerweile gereiften Autors. Für Fans und Sammler eine passable Ergänzung ihres Bücherregals – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Bewertung vom 23.05.2013
Star Wars: Unter Belagerung / Clone Wars Bd.5
Miller, Karen

Star Wars: Unter Belagerung / Clone Wars Bd.5


sehr gut

Die fünfteilige Reihe „Clone Wars“ spielt zu einer Zeit, da Anakin Skywalker noch auf der Seite der Jedi-Ritter steht. Die Truppen einer selbstbewussten Allianvon separatisten haben den Planeten Lanteeb überfallen. Das kleine Gestirn liegt in den so genannten Äußeren Randgebieten, und hat weder strategische Bedeutung noch nennenswerten politischen Einfluss. Die Jedi-Ritter Anakin Skywalker und Obi-Wan Kenobi sind nach Lanteeb geflogen, um die Hintergründe dieser überraschenden Invasion zu ergründen. Aber die beiden Aufklärer finden nur Asche und Staub.
Sie kleiden sich in schmutzige Gewänder, verbergen ihre Lichtschwerter, und versuchen mit Hilfe ihrer Jedi-Kräfte der Droiden-Armee von Lok Durd immer einen Schritt voraus zu bleiben. Sie finden heraus, dass ein Wissenschaftler, den Durd gefangen genommen hat, den Zugang zu einer schreckenerregenden Biowaffe gefunden hat. Durd seinerseits ist bekannt, dass sich Jedi-Ritter auf seinem Planeten aufhalten. Yoda versucht die Macht des Jedi-Rates zu mobilisieren, während die Separatisten durch eine neue Technologie die Kommunikationswege der Friedenshüter unterbrechen. Gleichzeitig ist ein Verräter im Herzen der Republik tätig, und der Krieg nimmt an Intensität zu. Als die Separatistenschließlich Lanteeb mit einer Blockade überziehen, läuft den Jedi die Zeit davon, denn die Produktion der neuen Waffe, die ganze Welten vernichten kann, steht kurz vor dem Abschluss. Obi-Wan, Annakin und ihre engsten Verbündeten müssen einen Weg finden, um Lanteeb zu befreien - oder sie werden die Folgen ihres Scheiterns tragen müssen.
Karen Miller zeigt sich auch in diesem Roman aus dem „Star wars“-Universum als hervorragende Erzählerin. Spannung und Action sind von der ersten Seite an reichlich vorhanden. Überraschungen sorgen zudem dafür, dass nicht nur Fans der Reihe großen Lesegenuss erleben.

Bewertung vom 22.05.2013
Wie alles kam
James, Henry

Wie alles kam


ausgezeichnet

Viel Stoff zum Nachdenken
Henry James geht in diesem Buch scheinbar banal wirkenden Fragen mit überaus feiner Ironie auf den Grund. Es geht beispielsweise darum, warum sich die umschwärmte Schönheit Flora Saunt doch noch für Geoffrey Dawling entscheidet, den sie zunächst schnöde abgewiesen hatte. Und welche Pläne hat Georgina Gressie mit dem eher armseligen und zudem stotternden Marineoffizier, der ihr bedingungslos sein Herz geschenkt hat? Und ist das eher unscheinbare Porträt einer Frau mit einem gelben Schal wirklich ursächlich für das Scheitern eines Künstlers? Stück für Stück zeigt der Autor, wie Ehrgeiz, Missgunst und vor allem Habgier in Verbindung mit Liebe eine überaus zerstörerische Kraft entfalten können.
Henry James zeigt sich hier einmal mehr als wahrer Meister des psychologisch-realistischen Schreibens. Die hohe Kunst des Erzählens ist für den Leser ein wirklicher Genuss, der geschmeidige Stil nahezu unverwechselbar. Gnadenlos seziert er dabei die oft banal wirkenden Gründe des menschlichen Handelns. In dieser schmucken Neuauflage des Manesse-Verlags werden fünf lesenswerte Geschichten in deutscher Erstübersetzung präsentiert. Sie spannen einen weiten Bogen vom frühen Schaffen bis zum Spätwerk des Autors. Eine köstliche Lektüre, der man sich mit viel Muße widmen sollte, denn hier wird viel Stoff zum Nachdenken geboten.

Bewertung vom 22.05.2013
Das Leuchten in der Ferne
Reichlin, Linus

Das Leuchten in der Ferne


ausgezeichnet

Exzellent recherchiert und spannend geschrieben
Moritz Martens ist ein in die Jahre gekommener Journalist, der erleben muss, dass mittlerweile die interessanten und lukrativen Aufträge an die jüngeren Kollegen vergeben werden, die irgendwie die cooleren Themen haben. Die Menschen lassen sich von Bildern im Internet und im Fernsehen mehr faszinieren, die wohl gesetzten Worte der gedruckten Sprache verlieren an Wirkung. Martens war viele Jahre lang ein gefragter Kriegsberichterstatter – Ruanda, Irak, Bosnien, Kolumbien waren die Stationen. Martens war immer dort, wo viele Kollegen nicht waren. Seine Geschichten zeigten die brutale Realität des Krieges, so etwa seine Reportage über einen deutschen Soldaten in Afghanistan, der nach seiner Entlassung aus dem Dienst in der Heimat die Orientierung verlor und krank wurde. Linus Reichlin hat einen Roman über einen Reporter geschrieben, der noch die Nähe zu den Ereignissen braucht. Mit der angeblich professionellen Distanziertheit seiner jungen Kollegen kann er nichts anfangen. Martens will dabei sein, und fühlen, wie es ist, wenn den Soldaten etwas passiert.
Sein Leben verändert sich nachhaltig, als er im Bürgeramt seines Berliner Bezirks der jungen Miriam Khalili seine Wartemarke gibt, damit sie mit ihrem Sohn schneller an die Reihe kommt. Miriam erzählt ihm von einer so genannten „Bacha Posh“, einem afghanischen Mädchen, das in Männer-Kleidung mit einer Kampfgruppe der Taliban umherzieht. Für ein Interview verlangt das Mädchen angeblich 10 000 Euro. Martens ist fasziniert und überzeugt den Chefredakteur seines Blattes von der Geschichte. Gemeinsam mit Miriam reist er nach Afghanistan, in die Provinz Badakhshan, um das Mädchen zu treffen.
Miriam will angeblich die Fotografien zur Reportage machen, aber Martens hat bald Zweifel an dieser Behauptung. Miriam hat keine Kamera, stattdessen verfolgt sie eine andere Mission. Martens soll ihr dabei helfen, ihren Ex-Mann und Vater ihres Sohnes aus den Händen der Taliban zu befreien. Nach der gelungenen Übergabe wird Martens seinerseits als Geisel genommen. Während der Marschzeit durch die afghanischen Berge erlebt er die streng hierarchische Männerwelt. Stärke und Führungskraft in der Gruppe nutzen sich ab, und die Tradition und strenge Religiosität lässt sich im Alltag der Taliban nur schwer behaupten.
Linus Reichlin hat einen intensiven Roman mit starken Bildern und klare Sprache geschrieben. Die Hörbuch-Version wirkt besonders eindringlich, weil Thomas Sarbacher als Sprecher dem Text eine zusätzliche Intensität gibt. Ein wirklich hörens- und lesenswertes Buch, das Einblicke in die Berufswelt eines Journalisten, aber auch in die Alltagswelt einer Taliban-Kampfgruppe gibt. Exzellent recherchiert und spannend geschrieben.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.05.2013
Miss Lonelyhearts
West, Nathanael

Miss Lonelyhearts


sehr gut

„Miss Lonelyhearts“ – eine vergleichsweise nette Bezeichnung für den Briefkastenonkel einer Zeitung. In Deutschland würde man vermutlich an „Frau Beate“ oder „Dr. Markus“ schreiben. Nathanael West, einer der besten Satiriker der US-amerikanischen Literatur, hat den Roman angeblich fünfmal umgeschrieben. Herausgekommen ist eine köstliche Parodie auf die schier unmenschliche Erfolgsgesellschaft. Ein mehr als lesenswertes Buch, bei dem man sich allerdings konzentrieren muss, um nicht unversehens den Faden zu verlieren.
Miss Lonelyhearts ist bei einer Zeitung im New York der 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts für die Leserzuschriften zuständig. In der Redaktion wird diese Position als eine Art Recycling-Anlage betrachtet – hier können alle seelischen Konflikte seziert und behandelt werden. Bedarf für so einen Briefkastenonkel gab es offenbar schon damals, und zahlreiche Leser glaubten wohl wirklich, dass man anonym bliebe. In seiner tiefschwarzen Satire zeigt der Autor, wie das wirklich abläuft. Es wird Engagement, Mitgefühl und Interesse geheuchelt. Aber die Verfasser dieser scheinbar teilnahmsvollen Artikel sind Egoisten und Narzissten reinsten Wassers. Nathanael West schildert eingehend die Scheinheiligkeit der Branche, in der nur ehrlich geredet wird, wenn man sich unbeobachtet fühlt. Dann lassen die Medienleute ihren gepflegten Vorurteilen, üblen Ressentiments und sexistischen Fantasien absolut freie Bahn.
Miss Lonelyhearts ist als Pastoren-Sohn überaus gläubig, und kommt so ständig in ein moralisches Dilemma. Der Glaube und das tägliche reale Leben stehen sich diametral gegenüber. Auswege sind nur schwer zu finden, denn die Lektüre all der Briefe voller Leid und Unglück zerren an der eigenen Psyche. Als Christ möchte er Mitgefühlt zeigen, und dieser permanente Konflikt macht ihn schließlich krank. Man ist nach der Lektüre fast ratlos - und muss das Buch eventuell ein zweites Mal lesen, um alle Nuancen erfassen und bewerten zu können.

Bewertung vom 20.05.2013
Herrscher der Eisenzeit
Hauptmann, Ralph

Herrscher der Eisenzeit


ausgezeichnet

Geschichte spannend und nachvollziehbar erzählt
Ralph Hauptmann erzählt in seinem spannenden Sachbuch die Geschichte der Kelten. Er schildert ausführlich die mythischen Aspekte der keltischen Geschichte, und geht dabei auf die historischen Fakten ein. Die überaus faszinierende Welt der Handelsherren, Krieger und Druiden beschreibt der Autor kenntnisreich, und dabei durchaus lebendig und packend. Die als Kelten bezeichnete Volksgruppe stammt demnach keineswegs aus einer gemeinsamen ethnischen Wurzel, und es gab auch kein Staatsvolk wie bei anderen Stammesgruppen. Dennoch haben die Kelten den europäischen Kontinent geprägt wie kaum ein anderes der frühen Völker.
Keltische Stämme waren vor über 2000 Jahren die dominanten Bewohner der Landstriche nördlich der Alpen, und haben dort von Irland bis nach Kleinasien eindrucksvolle Spuren hinterlassen. Eine besondere Rolle spielten bei den Kelten ihre zahlreichen Naturgötter. Mystische Kultplätze, scheinbar magische Steinringe und bekannte Sagen – die Artus-Sage ist nur eine davon – regen die Fantasie noch heute an. Ralph Hauptmann schildert sowohl den Aufstieg als auch den Untergang der Kelten. Er erzählt dabei Geschichten, und versucht, die spezielle Kultur der Kelten darzustellen. Der Leser lernt, dass die Kelten wegen ihrer eisernen Schwerter militärisch vielen Völkern überlegen waren. Diese waren sogar bei den Truppen des römischen Weltreiches durchaus begehrt. Den Untergang der Kelten konnte allerdings auch das Eisen nicht verhindern.
Römer und Germanen zerstörten die lange Zeit überlegene Kultur, die sich im Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung über weite Teile Europas erstreckt hatte. An den Rändern dieses Gebiets, vor allem in der abgeschiedenen Inselwelt, hat sich ihr Einfluss bis heute erhalten – Irland und Wales sind gute Beispiele dafür. Die großen keltischen Wanderungen führten von Mitteleuropa bis nach Spanien, Italien und sogar an das Schwarze Meer. Eine große Karte zeigt am Anfang des Buches die monumentalen Schlachten der Kelten. Ein Orts-, Personen- und Sachregister macht das spannende Buch zu einem hervorragenden Nachschlagewerk.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.05.2013
White Horse Bd.1
Adams, Alex

White Horse Bd.1


sehr gut

Endzeit-Roman der anderen Art
Die knapp über 30-jährige Zoe ist von ihrem Leben enttäuscht. Sie geht bei einem Pharmaunternehmen putzen, statt irgendwo einen lukrativen Beruf auszuüben. Nach Feierabend findet sie in ihrer Wohnung einen antik wirkenden Behälter, der Rätsel aufgibt. Hausmeister und Sicherheitsdienst sind sicher, dass niemand in Zoes Wohnung war. Der Gegenstand macht der jungen Frau Sorgen, sie wendet sich an den Psychiater Dr. Nick Rose. Allerdings behauptet sie, von dem Behälter geträumt zu haben, dessen tatsächliche Existenz verschweigt sie. Rose wird dennoch zu einer Vertrauensperson für Zoe. Auch Freunde, die sie um Hilfe bittet, kommen zu keinem Ergebnis. Nach einiger Zeit werden alle Menschen, die mit dem Behälter Kontakt hatten, schwer krank.
18 Monate später hat eine Seuche die Weltbevölkerung um 90 Prozent reduziert. 5 Prozent sind offenbar immun gegen die Krankheit, weitere 5 Prozent machen nach ihrer Erkrankung eine genetische Veränderung durch. Ein die ganze Welt umspannender Krieg hat jegliche öffentliche Ordnung zerstört. Zoe ist mit einer jüngeren Gefährtin in Italien unterwegs, ihr Ziel ist Brindisi, um von dort per Schiff nach Griechenland zu gelangen. Der Weg ist lebensgefährlich - und Zoe ist, genauso wie ihre Begleiterin, schwanger.
Alex Adams hat mit „White Horse“ den ersten Teil einer geplanten Trilogie vorgelegt. Sie baut darin unheimlich Spannung auf, da sie immens viele Rätsel einstreut, und die Informationslücken erst nach und nach mit Rückblenden auffüllt. Die Zeitenwechsel sind für den Leser zuweilen anstrengend und leicht verwirrend, geben der Geschichte aber viel Dynamik. Auch Einzelheiten über den Inhalt des ominösen Behälters werden nur schrittweise enthüllt. Unter den durchaus zahlreichen Endzeit-Romanen hat die Autorin auf jeden Fall einen ungewöhnlichen Ansatz gewählt. Der eher abstrakte und von starkem Sarkasmus der Protagonisten durchzogene Schreibstil dürfte für viele Leser gewöhnungsbedürftig sein, aber „White Horse“ ist eben keinesfalls leichte Kost. Ich bin auf jeden Fall auf die Fortsetzung gespannt.

Bewertung vom 19.05.2013
Wir werden sein wie Gott
Gray, John

Wir werden sein wie Gott


ausgezeichnet

Grandioses Buch über ein spannendes Thema
John Gray ist ein scharfer Kritiker moderner Erlösungsphantasien, diesen Standpunkt hat er bereits in seinen früheren Büchern mehr als deutlich gemacht. Jetzt geht es ihm um den Tod, den er für eine Provokation für moderne Menschen hält, weil an dieser Grenze der individuelle Wille halt machen muss. Gray schildert ausführlich, warum Denker mit großem Einfluss in völlig unterschiedlichen Gesellschaftssystemen – dem England von Queen Viktoria, der Sowjetunion und aktuellen kapitalistischen Staaten – den Tod und seine absolute Verbindlichkeit negieren. Als Ausgangspunkt sieht der wortgewaltige Philosoph die gründliche Entzauberung der bekannten Strukturen durch die moderne Wissenschaft, begonnen hat das nach Auffassung des Autors in der Endphase des 19. Jahrhunderts. Charles Darwin und die sich entwickelnde moderne Physik hätten nicht primär die Schöpfungsgeschichte in Frage gestellt, wie gerne behauptet wird. Vielmehr sei es darum gegangen, die Endlichkeit der Menschheit als Ganzes in den Blickpunkt zu rücken.
Es geht also um die Frage, warum wir leben, obwohl irgendwann die Sonne vom Himmel verschwinden wird, und mit ihr alles Leben auf der Erde dem Untergang geweiht ist? Und wie sollte man bewerten, dass sich die Evolution durchaus zu Ungunsten des Menschen entwickeln?
Derartige Fragen beschäftigten nachhaltig die Intellektuellen im britischen Weltreich. So war etwa H. G. Wells der Auffassung, die Evolution müsse durch den Menschen gesteuert und kontrolliert werden. Andere Dichter, Denker, Politiker und Wissenschaftler setzten dagegen auf die Hoffnung, der Tod sei mitnichten das Ende der menschlichen Existenz. Sie veranstalteten Séancen und spiritistische Experimente, um ihren verzweifelten Glauben mit greifbaren Beweisen zu unterfüttern.
Der Autor verknüpft die wissenschaftliche Verunsicherung mit den persönlichen Schicksalen all derer, die diesem Geisterglauben frönten. Als Beispiele seien der Moralphilosoph Henry Sidgwick, Gerald Balfour, der Bruder des Premierministers, und die Frauenrechtlerin Winifred Coombe Tennant genannt. Und auch Charles Darwin höchstpersönlich, der seine einzige Séance früh verlässt, denn ihm geht offenbar der klägliche Hokuspokus seiner Mitmenschen auf die Nerven.
Im kommunistischen Riesenreich dominierte der Materialismus in unterschiedlichen Ausprägungen, der Glaube an Gespenster war hier undenkbar. Dennoch wollte man sich mit dem Tod ebenfalls nicht abfinden. Während Millionen von Arbeitern und Strafgefangenen bei monströsen Großprojekten verheizt wurden, wurde dem vergötterten Revolutionsführer Lenin ein Mausoleum errichtet. Für John Gray ein klares Zeichen, dass man geglaubt habe, man könne ihn eines Tages wieder zum Leben erwecken.
In der Gegenwart verortet der Autor eine Art Lifestyle-Industrie, deren Inhalt die Verleugnung des Todes ist. Da ist beispielsweise die Kryonik - alte Körper werden in der Hoffnung auf spätere Erlösung eingefroren. John Gray mokiert sich ausgiebig über die Prognosen des Sachbuch-Autoren Ray Kurzweil. Der propagiere, dass demnächst das Altwerden abgeschafft werden könne, weil die menschliche Existenz von biologischen Fesseln befreit und das Bewusstsein in einer digitalen Welt unsterblich gemacht werde.
Den Geisterglauben im viktorianischen Zeitalter hat der Autor durchaus ernst genommen, mit den Bemühungen der aktuellen Protagonisten zeigt Gray eher Mitleid. Abschließend rät der Autor zur Demut, sogar zu einer Art Vorfreude auf den Tod, gewissermaßen als Erlösung aus der Willkür der menschlichen Existenz. Ob man Gray bei dieser Ansicht folgen will, muss wohl jeder Leser selbst entscheiden. Immerhin, die Empfehlung zu etwas mehr Besonnenheit ist vielleicht angebracht.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.05.2013
Dubliner
Joyce, James

Dubliner


sehr gut

Einführung in das Werk des großen James Joyce
„Dubliner“ ist das erste Prosawerk des irischen Dichters und Schriftstellers James Joyce. Das Echo war für Joyce allerdings heftig, nachdem die ersten drei Erzählungen im „Irish Homestead“ erschienen waren, hagelte es Proteste der Leser. Die Redaktion bekam prompt kalte Füße und lehnte die Veröffentlichung der vierten Geschichte ab. Aber die Zeiten wandeln sich, heute werden die 15 Erzählungen von Experten als bester Zugang zum Gesamtwerk von Joyce eingestuft. Thematisch wird damit sein monumentales Hauptwerk „Ulysses“ vorbereitet, der Wälzer war ursprünglich als eine weitere Geschichte der Dubliner geplant.
Die irische Hauptstadt Dublin, die Heimatstadt des Autors, bietet die formidable Kulisse für die Erzählungen. Die 15 Geschichten sind nach dem Zyklus eines Lebens aufgebaut, der Leser wird vom Kindesalter bis zum Tod geführt. Joyce präsentiert hier einen Bilderbogen des Kleinbürgertums, und es geht immer wieder um den Aufbruch in ein besseres Leben. Der Autor lässt vor allem seine Figuren ausführlich zu Wort kommen, und nahezu alle Erzählungen enden relativ plötzlich. Joyce deutet vieles nur an, und zusammen mit den offenen Enden der Geschichten wird der Leser in eine Art Interpretationsmodus versetzt, denn es ist offenbar gewollt, dass verschiedene Deutungen möglich sind.
Bei dem acht CDs umfassenden Hörspiel, das bei „derHörverlag“ erschienen ist, führte Ulrich Lampen Regie. 493 Minuten lang sprechen unter anderem Sylvester Groth und Thomas Thieme jeweils ihre eigenen Rollen, und die Sprecher treffen den Ton der einzelnen Figuren ausgezeichnet. In einem liebevoll zusammengestellten Booklet gibt es reichlich Zusatzinformationen, unter anderem eine Zeittafel zu Jamey Joyce. Die Hüllen der CDs sind individuell gestaltet, jeweils mit Fotos bedruckt. Insgesamt also eine prächtige Ausgabe, die man sich mehrfach zur Hand nehmen und hören wird. Die Ausgabe ist der heutigen Zeit angemessen, und auch die Vermarktung dürfte allenfalls Puristen stören. Ein Schmuckstück für jedes Sammler-Regal!

Bewertung vom 17.05.2013
Die Akte Vaterland / Kommissar Gereon Rath Bd.4 (6 Audio-CDs)
Kutscher, Volker

Die Akte Vaterland / Kommissar Gereon Rath Bd.4 (6 Audio-CDs)


ausgezeichnet

Volker Kutscher zeigt in seinem vierten Roman um den Berliner Kriminal-Kommissar Gereon Rath eindrucksvoll, dass er ein begnadeter Erzähler ist. „Die Akte Vaterland“ ist eine würdige Fortsetzung der Reihe, die den Leser in das Berlin der untergehenden Weimarer Republik führt. Die Nazis sind dabei, den Staat zu okkupieren, die Demokraten merken noch nicht, wohin der Weg führen wird. Kutscher greift diese Aspekte der gesellschaftlichen Entwicklung auf, baut sie perfekt in seine spannende Kriminalgeschichte ein.
Dazu hat er einige Charaktere, die sich schnell in Schubladen stecken lassen, die aber für das Leben und Arbeiten im Berlin – und auch im Ostpreußen – dieser Zeit so typisch sind. Wie gewohnt entwickelt der Autor seine Geschichte langsam und bedächtig, baut die privaten Befindlichkeiten seiner Akteure geschickt ein, und befeuert so auch den Fortgang der Story. Man sollte sich Zeit nehmen für dieses Hörbuch, es lohnt sich wirklich. Das ist aber auch der Verdienst von David Nathan, der als Sprecher den Geschichten von Volker Kutscher immens Leben und Atmosphäre einhaucht.
Mit dem Haus Vaterland und einigen dort agierenden Personen hat Kutscher wieder einen realen Hintergrund gewählt. Und auch die Entmachtung der preußischen Regierung sowie die Verhaftung der Polizeispitze durch das Militär baut er perfekt in seinen Roman ein. Der Fall selbst beginnt kurios, mit einem Toten im Fahrstuhl – der jedoch ertrunken ist. Die Ermittlungen der Kripo gestalten sich schwer, Raths Reise nach Ostpreußen wird zum Abenteuer. Insgesamt also eine überaus spannende Kriminalgeschichte, sprachlich und auch sonst perfekt in die damalige Zeit platziert.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.