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schreibtrieb

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Insgesamt 174 Bewertungen
Bewertung vom 16.10.2015
Secrets of Jade
Patrick, Liza

Secrets of Jade


gut

Jade fängt von einem Tag auf den anderen an, von einem jungen Mann zu träumen. Seine grünen Augen ziehen sie an und gleichzeitig scheint sie ihn immer wieder zu verlieren. Schnell leidet die Studentin unter Schlafmangel. Zur gleichen Zeit tritt ihre Großmutter mit einem alten Tagebuch an sie heran, spricht von Schicksal und einem geheimnisvollen Zirkel. Ein Ausflug in ihre alte Heimatstadt kommt Jade da gerade recht. Doch auch dort ist sie vor den Augen, die sie mittlerweile liebt, nicht sicher. Und tatsächlich findet Jade den Mann dazu, Joshua, der zugibt, auch von ihr zu träumen. Als ihre Großmutter verschwindet und das Tagebuch Rätsel aus der Vergangenheit lüftet, wird schnell klar, dass Joshua und Jade mehr brauchen, als grüne Augen und ihre Träume, um zusammenzubleiben.

Das plötzliche und scheinbar wahllose Auftauchen der Träume fand ich sehr abrupt. Vor allem, da ausgerechnet dann auch noch die Großmutter anfängt, Jade mit dem Tagebuch zu konfrontieren. Der Zufall, der in diesem Buch öfter mal überstrapaziert wird, wird begleitet von geschickten Manipulationen und Fäden, die von den richtigen Menschen gesteuert werden. Das alles kann sich der Leser aber erst am Ende zusammenreimen, denn viele Puzzleteile werden im Roman selbst nicht gänzlich zusammengefügt. Wer gerne noch einmal über das Gelesene nachdenkt, kommt hier auf seine Kosten.

Die Entwicklung zum Crescendo am Ende hin, fand ich sehr gut, gelungen und toll ausgearbeitet. Ich habe Jades Drängen durchaus verstanden und auch ihr Zögern, angesichts dessen, womit sie konfrontiert wird. Sie wehrt sich gleichzeitig gegen das, was sie Esoterik nennt und folgt dennoch der Zuneigung zu Joshua, die ja nichts anderes ist, als scheinbar vorherbestimmt und von der Augenfarbe abhängig - ein interessanter Ansatz übrigens. Die Augen als Spiegel zur Seele sind ein altes Phänomen. Liebe auf den ersten Blick oder sich im Blick des anderen zu verlieren - immer wieder wird Liebe mit Augen in Verbindung gebracht. Dieses Motiv hat die Autorin gut adaptiert. Die gespiegelten Ereignisse aus dem Tagebuch der Großmutter sorgen für zusätzlich Spannung und der Furcht, dass sich alles wiederholt.

Mitunter sorgen größere Sprünge und plötzliche Änderungen im Handlungsstrang (die dann aber aufgeklärt werden) für Irritationen. Der rote Faden ist verknotet und hat Knicke, bleibt aber fest bestehen. Für eine oberflächliche Lektüre ist das Buch deswegen aber nichts, was mich nicht so stört, denn oberflächliche Lektüre ist für mich nichts.

Gestört hat mich der strikte Fokus auf der Liebe als entscheidendes Prinzip. Sowohl Jade, als auch Joshua scheinen vom Zeitpunkt ihres ersten realen Treffens nur noch eins im Kopf zu haben, nämlich auch weiterhin zusammen zu sein. Dass auch alle gegnerischen Kräfte mit Liebe zu tun haben, war mir dann zu viel des Guten. Nebenbuhler, Trauer, Rache – alles aus Liebe. Und gerade darum hat mir bei manchen Entwicklungen der entscheidende Auslöser gefehlt.

Dabei wartet der Roman zum Glück nicht mit Kitsch auf, sondern nutzt gelungen seine eigene Sprache und Entwicklung. Die irische Umgebung sorgt für ein großes Naturempfinden. Auch das hat mir gut gefallen. Versöhnt hat mich vor allem das große Ende, dass mit Überraschungen, einigen Verwirrungen und eben nicht dem klassischen „alles ist gut“ aufwartet, sondern lediglich einen Punkt andeutet – in der Zukunft – da dies erreicht sein könnte. Es gibt ein Scheitern und in der Geschichte der Großmutter ist angedeutet, dass es auch ohne die große Liebe ein gutes Ende geben kann.

Für alle romantischen Fantasyfreunde absolut zu empfehlen. Der Roman hat mich gefesselt und hatte nicht zu wenig Spannung. Die Liebe als Absolutum war mir etwas zu intensiv, der Stil aber toll und die kleinen Verwirrungen des Plots sind nicht zwangsläufig störend, sondern sorgen für Entwicklung über das Buchende hinaus.

Bewertung vom 16.10.2015
Schicksalstanz / Die Töchter der Elfe Bd.1
Boyle Rodtnes, Nicole

Schicksalstanz / Die Töchter der Elfe Bd.1


ausgezeichnet

Birke lebt mit ihren zwei Schwestern Rose und Azalea bei dem Vater in einer Kleinstadt. Die Drillinge sind 15 und tanzen etwa einmal im Monat vor einer großen Gruppe, womit sie nicht nur Bewunderung, sondern auch Argwohn ernten. Zu Recht, denn die Mädchen sind Elfen, sie entziehen den Menschen beim Tanzen Energie, an der sie sich nähren. Alles überschlägt sich, als die Mädchen immer mehr Energie brauchen und Birke sich in Malte verliebt, denn ihr Geheimnis darf nicht offenbart werden. Auch Rose ist verliebt und hadert mit ihrem Schicksal. Als eine Elfe im Wald tot gefunden wird und Azalea von Vision heimgesucht wird, ist nur eines klar. Nichts wird mehr sein wie vorher.
Der Plot ist wirklich toll. Auch wenn der Klappentext vor allem die Beziehung zu Malte in den Vordergrund stellt, ist das im Buch selbst nur ein Teil von vielen. Dass gerade in einem Jugendbuch die Entdeckung der Liebe nicht als Absolutum angesehen wird, sondern wie viele andere Veränderungen auftaucht, finde ich wirklich gut. Hier baut es Spannung auf und lässt trotzdem Raum für die weitere Entwicklung der Geschichte, die Veränderungen an den Mädchen und die potentielle Gefahr von außen. Auch, dass die Beziehung keineswegs von vorneherein verboten ist, sondern vielmehr einfach kompliziert ist, finde ich viel plausibler, als darin die entscheidende Macht zu sehen. Für das große Finale dieses ersten Bandes ist Malte dann auch eher ein Nebendarsteller.
Diese runde Komposition ist es auch, die den Roman wirklich gut macht. Eine Entwicklung von vielen Seiten, kein stiller Fokus auf nur einer Begebenheit. Dazu kommt, dass auch die drei Mädchen unterschiedlich sind und so diverse Richtungen mit angedeutet werden. Birke, die Erzählerin, ist dabei mitunter die eher Unscheinbare. Sie steht nicht so im Mittelpunkt wie Rose, die sich immer wieder verknallt und macht, wozu sie Lust hat. Und sie ist nicht so vernünftig und mit dem Vater verschworen wie Azalea. Dass die Mädchen sich unterschiedlich entwickeln und dabei unterschiedliche Erfahrungen machen, ist dabei nur verständlich und wunderbar ausgearbeitet.
Birkes unscheinbarer Charakter macht es mitunter aber schwer, ihre Emotionen richtig zu deuten. Etwas melancholisch dümpelt sie gerade am Anfang vor sich hin. Eine Art Lethargie hat von ihr ergriffen, die nur durch die Angst und Wut über ihr Elfensein durchbrochen wird. Dadurch erkennt der Leser aber auch, welcher Druck auf dem Mädchen lastet. Tatsächlich ist es hier die Liebesbeziehung, die Birke aufrüttelt. Letztendlich aber ist die Liebe zu ihren Schwestern wesentlich präsenter und wichtiger im Buch. Kein allzu starker Charakter ist die Erzählerin also, aber einer, der sich durchaus entwickelt und das Potential hat, zu wachsen.
Die kleinen Störungen, die vor allem durch den Vater auftreten, seinen Aussagen und seinem Verhalten, haben bei mir im Lesen Momente der Verwirrung ausgelöst. Das absolut naive Betrachten der Mädchen aber in dieser Hinsicht wird im Roman selbst aufgezeigt, die Verwirrung somit gelöst und plausibel erklärt. Der Roman zeigt damit eine hohe Selbstreflexion und ist vielen anderen Büchern damit schon weit voraus. Es bleiben Lücken und Fragen offen, schon allein, weil das Buch nächstes Jahr einen zweiten Band zur Seite gestellt bekommt.
Im Ganzen fand ich das Buch sehr lesenswert und kann es für junge Leser/innen und alle, die gerne in phantastische Jugendbücher eintauchen, nur empfehlen. Es ist anders – aber gut anders, schon wegen der skandinavischen mitschwingenden Mythologie um die Elfen. Hier wird nichts mit der Keule eingeprügelt, oder mit dem Zaunpfahl gewunken, sondern erfrischend geduldig und ruhig die Entwicklung der Geschichte und Figuren erzählt. Ab damit auf die Leseliste.

Bewertung vom 14.10.2015
Das Aha!Erlebnis
Kounios, John; Beeman, Mark

Das Aha!Erlebnis


ausgezeichnet

In dem Buch mit dem Untertitel Wie plötzliche Einsichten entstehen und wie wir sie erfolgreich nutzen schreiben die Autoren über das AHA-Erlebnis, jenen seltenen Moment, wenn alles klar und deutlich wird. Mit prägnanten Beispielen, passenden Anekdoten und fundiertem Wissen schaffen sie es dabei nicht nur biologische Vorgänge zu erklären, sondern auch darüber zu rätseln, ob und wie solche Erlebnisse forciert werden können und ob sie wirklich so unglaublich toll sind, wie auf den ersten Blick vielleicht anzunehmen.
Ich bin wirklich begeistert. Gerade Sachbücher schaffen es ja nicht immer den Leser so zu fesseln, dass nichts überflogen wird, sondern jedes Kapitel nicht nur Daseinsberechtigung erhält, sondern auch mit Interesse gelesen wird. Dieses Buch hat mich gefesselt. Mit der richtigen Mischung aus fachlichen Infos und geschichtlichen Erzählungen liefern die Autoren nicht nur Wissen, sondern auch gleich anschauliche Beispiele. Sie berichten von wichtigen AHA-Erlebnissen der Geschichte und erklären wann, wo und auch wie diese möglich waren – nicht ohne ihren Spekulationsanteil zu verheimlichen. Dadurch zeigen sie das, was sie gelernt haben, nicht nur, sie argumentieren dafür, führen Beweisketten aus und lassen Raum für eigene Überlegungen.
Schnell wird klar, dass ein AHA-Erlebnis nicht etwa dank konzentriertem Denken entsteht, aber auch nicht vom stetigen Müßiggang, sondern dass ein geübtes Gehirn sich eines verzwickten Problems manchmal erst dann wirklich bewusstwird, wenn es eine Pause bekommt. Mir kommen die besten Ideen beim Stillen, Joggen, Bügeln oder in der Sauna. Ein AHA-Erlebnis kann dabei bahnbrechend sein, wie beim Kampf gegen Krebs oder der Entdeckung der Schwerkraft, es kann aber auch relativ banal sein.
Die Autoren erklären, dass eine Umgebung der Ruhe, hilft, solche Erlebnisse auszulösen, sie aber auch nicht erzwingen kann. Manche Menschen arbeiten besser analytisch, also indem sie das Problem Stück für Stück lösen, ohne je ein „Heureka“ geschrien zu haben. Allein diese potentielle Abwesenheit des Geniestreichs macht es aus meiner Sicht umso interessanter, denn scheinbar funktionieren beide, aber der Schritt-für-Schritt-Weg ist oft der „schulische“, den wir beigebracht bekommen – vielleicht auch, weil wir die plötzliche Erkenntnis nicht lernen können.
Die Beispiele die gewählt wurden reichen dabei von biblischen Geschichten bis zu eigenen Erlebnissen der Autoren, so dass ein breites Spektrum abgedeckt ist und wirklich viele Geschichten zusammenkommen. Das macht zum großen Teil den Unterhaltungswert des Buches aus. Aber auch, dass oft von Möglichkeiten und Versuchen die Rede ist, führt dazu, das Buch selbst als Möglichkeit zu betrachten. Es gibt hier keine Anleitung für Einsichten und Erlebnisse, aber es wird beschrieben, welche Umgebungen förderlich sind und auch, dass Wege, die Scheitern essentiell für den Durchbruch sind. So oder so kann ein AHA-Erlebnis nach den Autoren nur haben, wer vorher schon gründlich an dem Problem gearbeitet hat – sich also auch eines Problems angenommen hat. Die Eigeninitiative ist also auch hier entscheidend und erlaubt damit keineswegs Faulheit, sondern lediglich gehörige Portionen der Entspannung.
Ich fand das Buch sehr interessant und lehrreich auf dem Gebiet der Neurowissenschaft. Da habe ich so einiges dazugelernt. Die Anekdoten waren nette, unterhaltsame Geschichten, die gelungen den Wissenschaftlichen Teil ergänzt haben. Jeder, der ab und an auch gerne was Wissenschaftliches liest, sei hier absolut der Griff zum AHA Erlebnis geraten.

Bewertung vom 08.10.2015
Das geniale Gedächtnis
Monyer, Hannah; Gessmann, Martin

Das geniale Gedächtnis


gut

Um den Bogen zwischen Neurobiologie und Philosophie was das Gedächtnis betrifft, wurde dieses Buch geschrieben. Denn unsere Erinnerungen wirken sich nicht nur auf unsere Gegenwart aus, sie erzeugen das Bild, das wir von uns selbst haben, bestimmen unsere Träume und neben Einfluss auf unsere Zukunft. Nicht zuletzt ist der Verlust des Gedächtnisses auch immer der Verlust der eigenen Identität. Diesen Punkten gehen auch die Autoren nach. Sie erklären, wie unser Gedächtnis funktioniert, warum es beispielsweise Erinnerungen, die mit Düften verknüpft sind besonders gut speichert, oder inwiefern unsere Träume tatsächlich etwas über unsere Zukunft aussagen können. Mit fachlichem Wissen und alltäglichen Beispielen machen sie dabei Vorgänge greifbar, die sonst wohl nur in der Neurobiologie zu Hause sind.
So gespannt ich auf dieses Buch war, so enttäuschend war der erste Eindruck. Gerade das erstes Kapitel hat mich wenig packen können. Der Stil war der eines Wissenschaftlers, der fast zwanghaft versucht, „einfach“ zu schreiben. Dass zwischendurch mit Frequenzen im Herz-Bereich auch noch klare Daten beigefügt wurden, hat den allzu gelehrten Geschmack nur verstärkt. Auch der Einstieg zum Kapitel zu den Träumen hat sich für mich gezogen, weil der Stil einfach schleppend war, so fundiert und klar auch der Inhalt überzeugen konnte.
Der erste Eindruck ist aber immer nur das: ein erster Eindruck. Bereits im Traum-Kapitel wird es besser. Dass hauptsächlich ein Film hier als Beispiel herangezogen wird mag an der guten Anschauung in Bezug zum Thema liegen, ich hätte mir aber etwas mehr Varianz gewünscht. Der Stil aber wird hier viel lockerer, nicht mehr so voller Daten, sondern stattdessen wirklich erklärend, statt nur aufzeigend. Einfach nicht mehr so trocken, wie noch zu Beginn.
Als dann auch die Sozialwissenschaft Einzug hielt und das kulturelle Gedächtnis Thema wurde, war ich richtig gefesselt. Mit passenden und guten Beispielen erklären die Autoren hier, was gemeint ist, wieso und warum der Begriff geschaffen wurde und auch, wo Probleme dabei auftreten können. Dieser reflexive Blick auf das Thema hat mir gut gefallen, weil er gerade nicht unumstößlich ist, sondern Raum für eigene Meinungen lässt.
Die anthropologischen Einwürfe haben mir auch gut gefallen und auf manches ein neues Licht geworfen. Auch wenn das Thema des Gehirntrainings meiner Ansicht nach nur ansatzweise wirklich aufgenommen wurde hat gerade der Abschluss, in dem es um den Verlust des Gedächtnisses ging noch einmal sehr lesenswerte Einsichten beinhaltet. Gerade weil es hier nicht mehr so voller Daten und Fakten war, sondern das Gedächtnis nicht nur als etwas Biologisches, sondern – ich möchte fast sagen – Seelisches angesehen wird. Das hat mich dann doch wieder versöhnt.
Das geniale Gedächtnis ist durch seine fachliche Basis besonders für Leser geeignet, die sich sehr für die Thematik interessieren, oder bereits biologische Vorkenntnisse haben. Das Sachbuch wirf neue Erkenntnisse zum Gedächtnis bei und vereint Ansichten aus Biologie und Philosophie, sowie noch Einiges darüber hinaus und ist so vielleicht kein Hit, aber doch ein interessantes Werk zu einem der erstaunlichsten und alltäglichsten Gegebenheiten unseres Lebens. Das geniale Gedächtnis.

Bewertung vom 05.10.2015
Der Tag, an dem Mama die Krise kriegte
Weidenfeld, Nathalie

Der Tag, an dem Mama die Krise kriegte


ausgezeichnet

Protagonistin ist Leonie, sechsjährige Tochter, große Schwester, Erstklässlerin, eine wie alle. Und eben nicht. Denn Leonie kann vor dem Schulstart lesen, spielt Klavier, spricht Fremdsprachen. Leonie ist ein Kind der höheren Bildung. Darum nimmt der Leser ihr den Spagat zwischen tiefen Überlegungen und kindlichen Ansichten schnell ab, schmunzelt hier und da, lässt sich in diesen vom Erwachsenen für kindlich gehaltenen Blick auf die Welt hineinziehen.

In dem Büchlein gesammelt sind kleine Episoden, die Leonie beeinflussen, ihren Alltag prägen. Etwa, wenn die Oma aus Frankreich zu besucht ist, die Mutter plötzlich noch ein Brüderchen im Bauch hat, der verhasste Italienurlaub zum Paradies wird. Zwischen Alltag und Besonderheit pendeln diese Geschichten, wie Leonie zwischen der Stimme einer erwachsenen Autorin und kindlichen Erzählerin. Das ist interessant, lustig zu lesen und tatsächlich aus der kindlichen Sicht frei von Klischees.

Mit Leonie als Erzählerin fallen manche Punkte der typischen Mama-Literatur einfach weg. Ihr Blick auf ihre Eltern und die Umwelt ist (noch) nicht dem gesellschaftlichen Druck, was eine Mutter alles zu leisten hat, unterworfen. Leonies Mama arbeitet an der Uni (wie die Autorin – was für ein Zufall), arbeitet viel, liebt ihre Kinder trotzdem, kann nicht basteln, lässt die Kinder Klavier spielen, aber bringt sie nicht rechtzeitig ins Bett, schreit manchmal, ist genervt, gegen Zucker, für soziale Kontakte. Sie ist ein ganz normaler Mensch und trotzdem Leonies Mama.

Mir hat das Buch sehr gut gefallen. Die Sprache ist in dieser herrlichen Mischung aus eloquentem Stil und kindlichen Bildern gemacht, die auf einer seltenen Ebene amüsiert, fesselt und die Welt in einem anderen Licht erstrahlen lässt. Mit ihrer wunderbaren Naivität und ihren felsenfesten Überzeugungen ist Leonie ein herrlicher Charakter, der, ihrem Alter geschuldet, wandelbar ist, lernt, sich entwickelt, wie es ein guter Charakter auch soll. Und auch ihre Umwelt entwickelt sich. Ja, selbst ihre Mutter lernt noch dazu.

Mitunter wird durch diese kindliche Blume auch das ein oder andere ernste Thema angesprochen. Demenz, Fortpflanzung, Gesellschaft, Beziehungen, Psyche. Für all das ist Platz und nichts ist zu viel. Der frische Humor, der durch die Seiten weht, gepaart mit dem etwas hohen Intellekt einer Sechsjährigen, das fand ich erfrischend, lustig, aber nicht auf eine zwanghafte Art. Vielmehr auf eine Art, wie sie das Leben schreibt.

Wer mit einem Kind lachen kann, das vielleicht nicht immer nur Kind ist, der sollte zugreifen. Ich kann Der Tag, an dem Mama die Krise kriegte wärmstens empfehlen. Absolut kein Mama-Buch, sondern ein Lebens-Buch. Herrlich, kindisch, chaotisch, schlau.

Bewertung vom 05.10.2015
Meine deutsche Literatur seit 1945
Reich-Ranicki, Marcel

Meine deutsche Literatur seit 1945


ausgezeichnet

Der 2013 verstorbene Marcel Reich-Ranicki hatte das Zeug zu einer Literaturkritikerlegende – und hat es genutzt. Seine Kritiken waren heiß erwartet und gefürchtet und er wusste ob der seltsamen Hassliebe zwischen Kritikern und Literatur.
Reich-Ranicki war eine Stimme der Leserschaft. Eine geschulte gewaltige wichtige Stimme. In Meine deutsche Literatur seit 1945, herausgegeben von Thoman Anz bei DVA in diesem Jahr mit 570 Seiten, sind 71 Beiträge des Urgesteins der Literaturkritik gesammelt, darunter nicht nur Kritiken, sondern auch Artikel, die allgemeiner die deutsche Literaturlandschaft ins Auge fassen. Die ersten Texte sind dabei ursprünglich im Polnischen erschienen und später übersetzt worden. Zeitliche umfasst die Sammlung die Arbeiten Reich-Ranickis von 1957 bis 2008.
Die Texte sind nicht nach Alphabet oder Datum sortiert, sondern, so weit möglich, thematisch. Am Ende finden sich auch einige verschriftliche Kritiken aus dem Literarischen Quartett, jener Literaturkritiksendung des ZDF, die jetzt wiederbelebt wurde. Bereits ein flüchtiger Blick über das Inhaltsverzeichnis stellt fest, dass gleich mehrere Romane Grass’s besprochen sind, doch auch andere Namen finden sich öfter, manchmal auch versteckt in anderen Texten. Dürrenmatt, Bernhard, Johnson. Mir ist außerdem aufgefallen, dass gerade bei den älteren Arbeiten eher Männer besprochen wurden, die jüngeren auch öfter Autorinnen zum Thema haben. Ein Zufall bei der Auswahl – kann sein, glaube ich hier nicht. Ein (unterstellter) Wandel der Zeit und eine Stärkung weiblicher Schriftsteller – vermute ich einfach eher.
Die Kritiken sind beeindruckend. Ausführlich werden die Romane besprochen, die Angst vor „Spoilern“, die jedem Buchblogger geläufig ist, gibt es hier nicht. Ein Roman wird besprochen – bis zum Ende. Und darüber hinaus. Denn Reich-Ranicki bespricht nie einfach nur einen Roman, er analysiert bisweilen, zeigt andere Werke des Autors oder der Autorin auf, setzt das Werk in einen biografischen, historischen und werkimmanenten Zusammenhang. Gerade die älteren Kritiken sind dabei oft auch länger, schweifen ab, liefern dabei aber ein runderes Bild von der Umwelt des vorgestellten Werkes. Das gilt für lobende wie vernichtende Kritiken, denn Reich-Ranicki lässt vielleicht manches aus, argumentiert aber bis zum Schluss und über jeden Punkt, der ihm wichtig erscheint.
Der Wandel der Zeit geht dabei auch an ihm nicht vorbei. Liest sich die Rezension der Blechtrommel beispielsweise ernüchternd (ich persönlich mag das Buch sehr), gesteht er dem Roman bei der Besprechung von Katz und Maus zu, eine „Sensation“ gewesen zu sein. Er zeigt sich tatsächlich einsichtig, wenn auch der Erfolg des Romans nichts an seiner persönlichen Meinung geändert hat. Er bleibt sich treu. Diese zwei Eigenschaften halte ich für die wichtigsten in der Kritikerwelt.
Freilich ist Meine deutsche Literatur seit 1945 kein Buch für jeden. Es ist kein Roman, sondern eine Sammlung von Beiträgen. Für Literaturwissenschaftler, Kritiker, Historiker – und alle die sich mit diesen Dingen in ihrer Freizeit auseinandersetzten – dagegen ist das Buch eine Pflichtbesatzung fürs Bücherregal. Denn neben der persönlichen Entwicklung des Kritikers sehen wir hier die Entwicklung eines Literaturmarkts über ein halbes Jahrhundert hinweg. Thematisch, stilistisch und gesellschaftlich können wir viel an den Kritiken von Reick-Ranicki ablesen. Vielleicht betrifft dies vor allem den „hohen“ Literaturbetrieb. Aber der entwickelt sich immer mit der Welt mit.

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Bewertung vom 30.09.2015
Toller Dampf voraus / Scheibenwelt Bd.34 (MP3-Download)
Pratchett, Terry

Toller Dampf voraus / Scheibenwelt Bd.34 (MP3-Download)


ausgezeichnet

Dick erfindet die Dampfmaschine. Der junge Ingenieur macht sich den Dampf zunutze und lernt ihn zu beherrschen. Mit seiner Erfindung, dem reichen Paul König und dem Tyrannen der großen Stadt, der unbedingt einen schnellen Weg nach Überwald will, ist es ihm möglich, schon bald die ganze Scheibenwelt mit Schienen zu überziehen und Eisenbahnen fahren zu lassen. Seine erste Eisenbahn, Eisenpfeil, ist dabei immer etwas Besonderes. Feucht von Litwick, der die Aufgabe hat, alles für den Tyrannen zu überwachen, ist bald nur noch auf Reisen. Golems und Streckenarbeiter werden eingestellt, Land gekauft, Verträge abgeschlossen. Alles in hellauf begeistert. Alle? Nein, nicht alle! Eine unklar große Zahl von Zwergen sind mehr als nur sauer ob der großartigen Erfindung, die die Scheibenwelt zusammenwachsen lässt. Und ausgerechnet jetzt ist der niedere König der Zwerge unterwegs. Ein Wettlauf gegen die Zeit, der lange schon gestartet hat, neigt sich seinem Ende zu.
Es ist lange her, dass ich einen Pratchett-Roman auf Deutsch gelesen habe, dass ich ihn mir habe „vorlesen“ lassen gab es noch nie. Immer, wenn mein Vormittag nicht in der Uni oder unterwegs stattgefunden hat, lief die CD. Praktisch, denn dabei konnte ich mich um den Knopf kümmern, frühstücken, aufräumen. Jens Wawrczeck hat eine angenehme, geübte Stimme. Er schafft es, jeder Figur ihren eigenen Ton zu geben, ihre Sprechweise, so dass herauszuhören ist, wer gerade spricht.
Die umfassende Geschichte, die eben nicht nur die Entwicklung der Eisenbahn auf der Scheibenwelt erzählt, sondern auch das Thema des zwergischen Rassismus trägt, ist wirklich genial. Viele der beliebten Charaktere der Scheibenwelt treten auf, beispielsweise auch die Mitglieder der Wache und einzelne Zauberer, so dass der Fokus zwar auch Dick, Paul König und Feucht liegt, die Geschichte aber viel breiter erzählt wird und damit auch ein Stückweit zur Geschichte der Scheibenwelt selbst wird.
Der unschlagbare Humor Pratchetts geht auch in der Übersetzung von Gerald Jung nicht verloren und Wawrceck schafft es, die mitschwingende Ironie des Textes anzudeuten, ohne mit dem Zaunpfahl zu schwingen. Andeutungsvoll werden die Stellen, die auch später noch wichtig sind, etwas mehr betont, so dass der Zuhörer aufmerksam bleibt. Die bereits erwähnten unterschiedlichen Stimmen, die nicht nur für Personen eindeutig sind, sondern auch an die unterschiedlichen Völker der Scheibenwelt angepasst werden, haben mich sehr beeindruckt. Wawrceck liest nicht einfach nur vor, er verleiht der Geschichte Stimme(n).
Und es ist eine wirklich geniale Geschichte, die in die Tiefe geht, vielseitig erzählt und kleine Nebenstränge aufzeigt, ohne das große Ganze aus den Augen zu lassen. Eine sorgfältige Komposition, deren Crescendo im Laufe des Buches für Scheibenwelt-Kenner abzusehen ist, aber deswegen nicht an seiner Macht und Schönheit verliert. Fast möchte ich sagen, ich bin dabei auf den Hörbuch-Geschmack gekommen.

Bewertung vom 23.09.2015
Tigerman
Harkaway, Nick

Tigerman


ausgezeichnet

Lester ist Seargent und als Vertretungskonsul auf die Insel Mancreu versetzt, einer Insel, die dank unethischer Handhabungen auseinanderzufallen und die Welt mit neuartigen Bakterien zu überschwemmen droht. Sein bester Freund ist ein Junge, der seine Nase am liebsten in Comichefte vergräbt und für den Lester lieber ein Vater wäre, als nur ein Freund. Ein Mord verändert alles und während Lester die Herkunft seines jungen Begleiters zu ermitteln versucht, wird er hineingezogen in die Machenschaften einer größeren Macht. Ein Tiger stellt alles auf den Kopf und Tigerman erscheint.
Die Handlung ist einfach irre. Bis aufs kleinste Detail geplant, ineinander verworren, ausgeklügelt und treffsicher dargebracht. Jeder hat seine eigene Geschichte, die manchmal erst nach langem hin und her aufgedeckt wird und vieles ist anders, als es scheint. Wie im Stil der Comichefte wird mit Schein und Sein Experimentiert und eine neue Identität bringt immer die Frage mit sich, ob die alte noch weiter existent ist. Es geht um Verwandlung, Wandlung, Entwicklung auf mehreren Ebenen, deutlich gemacht an den geheimnisvollen Wolken, die Mancreu ausstößt und die die gesamte Umwelt verändern.
Der Stil ist dabei fesselnd und einfach herrlich. Der britische Lester, der es schafft im aufregendsten Moment wie ein „stocksteifer Brite“ daherzureden, während der Leser genau um seine Gefühle weiß – ein weiterer Hinweis auf das Thema „Schein und Sein“. Interessant auch die Wahl auf den Tiger als Symbol. Kein kleines, mitunter im Unsichtbaren agierendes Tier, wie Spinne oder Fledermaus, ein Tiger, bekannt, gefährlich und gefährdet. Das schwingt immer mit, die Gefahr für den Helden selbst.
Mit der ureigenen Sprache des Jungen, die aus Filmzitaten, Computerspielvokabeln und hochgedroschenem Akademikerworten besteht hat das Buch ein weiteres Element des Rätsels. Der Junge, dessen Name Lester nicht kennt, ist rätselhaft, immer für eine Überraschung gut und entscheidende Triebkraft für Lester, der doch alles nur tut, weil er das Kind liebt, zu lieben glaubt und ihn beschützen will. Worte haben eine enorme Kraft im Roman, symbolisiert durch den Schreiber Raoul, der wie ein Zauberer verehrt wird.
Der rote Faden des Romans ist geschwungen, verläuft vielleicht nicht gerade, doch er droht in keinem Moment zu zerreißen, spannt sich lediglich, so wie es sich gehört. Das Finale, so viel sei verraten, ist genial, etwas grotesk und so voller Dreh- und Angelpunkte, dass alles eben auch genauso gut ganz anders hätte laufen können.
Tigerman ist das, was im Film ein genialer Actionstreifen wäre, voller Adrenalin, mit ausgeklügeltem Plot und Köpfchen. Verdammt gut und verdammt gut zu lesen.

Bewertung vom 20.09.2015
Hirnzellen im Hinterhalt / Miles & Niles Bd.1
John, Jory;Barnett, Mac

Hirnzellen im Hinterhalt / Miles & Niles Bd.1


ausgezeichnet

Miles ist sauer. Er ist umgezogen und muss sich jetzt an seiner neuen Schule im Kuhkaff Yawnee Valley neu behaupten, als Trickser, denn das ist er. Blöd, dass es in Yawnde Valley bereits einen Trickser gibt und einen verdammt guten noch dazu. Mit Schulleiter Barkin im Nacken, der in Miles bereits eine Gefahr wittert, dessen Sohn, der Schulschläger ist und Lehrerliebling Niles, der für einige Überraschungen gut ist, hat Miles einiges zu tun. Und irgendwo muht bestimmt gerade eine Kuh.
Die muhende Kuh ist der wiederkehrende Witz. Nach nur wenigen Seiten meinte Mutter, da bekäme man ja eine Kuhphobie. Lest das Buch zu ende, rate ich euch. Ich habe es zusammen mit meinem Sohn gelesen und wir fanden es beide toll. Am Ende sagte er „Mama, das Buch will ich noch ganz oft lesen“.
Der Plot ist spannend und gut durchdacht. Miles erlebt an der neuen Schule eine völlig neue Situation, da er weder der beste Trickser ist, noch so weiter machen kann wie bisher. Der Trickser der Schule entlarvt ihn, aber nur für ihn selbst. Miles erkennt also eigene, alte Fehler, er muss über sich selbst reflektieren und sich weiter entwickeln. Teilweise wird er dann auch mal eher negativ gezeigt, so dass er kein absolut perfekter Held ist. Das fand ich ganz angenehm. Miles muss kämpfen, für sich selbst und auch um ein besseres Selbst zu erreichen.
Dabei kassiert er Niederlagen ein und entscheidet sich für Kompromisse. Mal davon abgesehen, dass wohl kein Elternteil will, dass sein Kind sich als Schultrickser verdient macht, lernt Miles seinen Kopf zu benutzen, zielstrebig zu sein und kreativ. Und das sind durchaus positive Eigenschaften, die hier amüsant und kindgerecht weitergegeben werden.
Toll fand ich die Sprache, die eben nicht ganz so einfach ist. Sie besticht eher durch Wiederholungen und Wortspielereien (schon der Name der zwei Figuren Miles und Niles ist hier ein gutes Beispiel), hat es manchmal aber ganz schön in sich. Die komplizierteren Wörter finde ich als Erwachsene natürlich angenehmer zu lesen, aber auch mein Sohn hat dabei wertvolle Lesekompetenzen erfahren und einiges gelernt. Das Buch ist also durchaus was fürs Köpfchen, in mehrerer Hinsicht.
Die Charaktere sind dabei, bis auf Miles und Niles, relativ eindimensional, wie für Kinder-/Jugendbücher üblich. Dass gerade die Hauptfigur(en) herausstechen unterstützt natürlich die Geschichte, führt aber auch zu einer anschaulichen Verkörperung zwischen Sein/Schein und der bereits erwähnten Figurenentwicklung. Das gibt es nicht so oft in Büchern für diese Altersgruppe (meiner Meinung nach vor allem so für 9-13), führt aber toll an mehr Literatur und vor allem komplexere Bücher heran.
Mein Sohn und Ich fanden es ganz toll und er freut sich schon darauf, es morgen seiner Schulkasse vorzustellen.