Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Klara

Bewertungen

Insgesamt 174 Bewertungen
Bewertung vom 30.03.2018
Die Farbe von Milch (eBook, ePUB)
Leyshon, Nell

Die Farbe von Milch (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Ein Leben unter männlicher Dominanz
Im Jahr 1830 ist Mary knapp 15 Jahre alt. Sie ist die jüngste von vier Töchtern einer bettelarmen Bauernfamilie. Die Eltern und ihre vier Töchter arbeiten sich fast zu Tode – von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Der Vater, ein gewalttätiger Grobian, kommt nicht darüber hinweg, dass er keine Söhne hat, die ein größeres Arbeitspensum schaffen, zumal Mary ein verwachsenes Bein hat und auch deshalb keine vollwertige Arbeitskraft ist. In der Familie lebt noch der nach einem Arbeitsunfall verkrüppelte Großvater, der sich immer wieder anhören muss, dass er ein nutzloser Esser ist. Zu ihm hat die junge Mary ein gutes Verhältnis. In dieser Familie gibt es ansonsten nur Arbeit, keine Liebe, kein Glück und das alles ohne Hoffnung auf Besserung.

Eines Tages überlässt der Vater seine jüngste Tochter gegen Bezahlung dem Pfarrer, der Hilfe bei der Betreuung seiner kranken Frau braucht. Auch hier muss Mary unter der Aufsicht der 32jährigen Haushälterin Edna sehr viel arbeiten, obwohl die Arbeit körperlich nicht so anstrengend ist wie auf der Farm. Obwohl Mary jetzt materiell in besseren Verhältnissen lebt – sie hat ein eigenes Bett und bekommt genug zu essen – sind auch in diesem Haus die Menschen nicht glücklich. Der arrogante, verantwortungslose Pfarrerssohn Ralph macht sich an jede Frau in seiner Nähe heran und kann sein Elternhaus für sein Studium gar nicht schnell genug verlassen, womit er seiner todkranken Mutter das Herz bricht. Mary hat Heimweh nach der nur eine halbe Meile entfernten Farm und dem Großvater, darf aber monatelang das Pfarrhaus nicht verlassen. Nach dem Tod der Pfarrersfrau muss Edna gehen, während Mary bleibt. Sie hat längst verstanden, dass sie ein Gefängnis gegen ein anderes getauscht hat. Es gibt für sie keine Entscheidungsfreiheit und keine Befreiung von männlicher Dominanz. Ihr Arbeitgeber nimmt ihr die Freiheit genauso wie ihr Vater.

Als der Pfarrer der intelligenten jungen Frau mit Hilfe der Bibel das Lesen und Schreiben beibringt, sieht Mary einen möglichen Ausweg aus ihrer Situation. Doch sie zahlt einen hohen Preis dafür. Die Katastrophe ist unausweichlich. Sie, die nie eine Wahl hatte, trifft am Ende ihres Berichts eine einzige Entscheidung, die sie befreit.

Die Autorin hat mit Mary eine Protagonistin mit einer unverwechselbaren Stimme geschaffen, die mit Hilfe ihrer neu erlernten Fähigkeiten über das entscheidende Jahr in ihrem Leben berichtet: 1830-31. Mary ist zwar ungebildet, aber intelligent mit schneller Auffassungsgabe, dazu sehr direkt, was ihr immer wieder Ärger und Prügel einbringt. Ich-Erzählerin Mary bekommt in diesem schlanken Bändchen einen eigenen Stil – fast ohne Großbuchstaben und ohne Anführungszeichen für Zitate, ohne Kommata. Satzbau und Grammatik sind fehlerhaft, aber ihre Sprache wirkt sehr authentisch. Sie lebt ein Leben, in dem Gefühle nicht zählen und erst recht nicht ausgedrückt werden können, aber in großer Nähe zur Natur und den Tieren auf der Farm, besonders zu der Kuh, die ihr Wärme spendet. Eindrucksvoll ist die Szene, als sie am Ostersonntag einen Hügel besteigt, um dort den Sonnenaufgang zu erleben. “Die Farbe von Milch“ beschreibt das Schicksals eines jungen Mädchens, aber macht dem heutigen Leser auch deutlich, wie Klassenzugehörigkeit vor 200 Jahren über Lebenschancen entschied. Ein sehr empfehlenswertes Buch.

Bewertung vom 25.02.2018
Die amerikanische Prinzessin
Zijl, Annejet van der

Die amerikanische Prinzessin


ausgezeichnet

Die Geschichte einer faszinierenden Frau
Die promovierte niederländische Historikern und hochgelobte Autorin von Sachbüchern Annejet van der Zijl zeichnet in “Die amerikanische Prinzessin“ das Leben der Amerikanerin Allene Tew nach. Allene wurde 1872 in der amerikanischen Provinz als Spross einer sehr tatkräftigen Pionierfamilie geboren, die es innerhalb von zwei Generationen zu wirtschaftlichem Erfolg und gesellschaftlichem Ansehen gebracht hatte. Mit 18 verliebte sie sich in den reichen Erben Tod Hostetter und wurde schwanger. Das Paar heiratete, aber Allene wurde wegen dieser Mesalliance viele Jahre lang gesellschaftlich ausgegrenzt. Ihre drei Kinder aus dieser Ehe starben alle früh. Sie heiratete danach noch viermal, aber nur ihre dritte Ehe war glücklich. Als Alson Burchard 1927 starb, verlor sie auch noch die Liebe ihres Lebens. Allene Tew war inzwischen eine schwerreiche Frau, an ein Leben in unvorstellbarem Luxus gewöhnt. Sie reiste viel und besaß zahlreiche Immobilien in den USA und Europa. Als sie sich - gerade Witwe geworden - mit Mitte 50 nach Europa einschiffte, um dort ein neues Leben zu beginnen, sah sie nicht nur noch gut aus, sondern war auch in finanzieller Hinsicht eine gute Partie. Da ist es nicht verwunderlich, dass es Heiratskandidaten im verarmten europäischen Adel für sie gab. In vierter Ehe heiratete sie Prinz Reuß, in fünfter Ehe den russischen Grafen Paul Kotzebue. Über ihren Schützling Prinz Bernhard kam eine Verbindung zum holländischen Königshaus zustande, so dass sie später ohne verwandtschaftliche Beziehungen zur Patentante von Prinzessin Beatrix wurde. Den Leser fasziniert dieses außergewöhnliche Leben vor allem wegen der Persönlichkeit der Allene Tew. Sie musste viele Schicksalsschläge verkraften und machte dennoch unbeirrt weiter. Sie besaß großen Mut und eine enorme Willensstärke, die es ihr erlaubten, nicht zu klagen oder zu trauern, sondern stets nach vorn zu blicken. Der Autorin gelingt ein interessantes, sehr lesbares Buch, das das Leben einer völlig unbekannten Frau vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund nachzeichnet. Die Darstellung der Zeitspanne von Allenes Leben (1872-1955) macht die Biografie dadurch gleichzeitig zum Geschichtsbuch.

Mir hat “Die amerikanische Prinzessin“ sehr gut gefallen, und ich empfehle das Buch ohne Einschränkung.

Bewertung vom 07.01.2018
The Ending - Du wirst dich fürchten. Und du wirst nicht wissen, warum
Reid, Iain

The Ending - Du wirst dich fürchten. Und du wirst nicht wissen, warum


gut

Was geschieht wirklich?
Der kanadische Autor Iain Reid legt mit “The Ending“ nach zwei sehr erfolgreichen Sachbüchern sein Romandebüt vor. Der deutsche Leser nimmt das Buch unter dem Eindruck von überschwänglichem Lob und reichlich Vorschusslorbeeren zur Hand und bekommt nicht genau das, was er erwartet.

Jake und seine Freundin sind in der Weite Kanadas unterwegs zur alten Farm der Eltern des Mannes. Sie kennen sich erst wenige Wochen, und es sieht nicht besonders gut aus für die Beziehung, wie schon der erste Satz des Romans andeutet. “Ich trage mich mit dem Gedanken, Schluss zu machen“ äußert die namenlose Ich-Erzählerin und meint damit ihre Beziehung oder auch nicht. Während der Fahrt sprechen Jake und seine Freundin miteinander, aber sie sind nicht offen zueinander. Es entsteht eine Atmosphäre der Bedrohung und der Angst, die nach ihrer Ankunft auf der Farm und bei der Begegnung mit Jakes Eltern noch verstärkt wird. Das Paar fährt im Schneesturm noch am gleichen Abend zurück. Sie verhalten sich eigenartig, es passieren seltsame Dinge. Das kann kein gutes Ende nehmen. Dies ist dem Leser auch deshalb bewusst, weil zwischen den Abschnitten kursiv gesetzte Dialoge von zwei Unbekannten eingeblendet sind, die von einem Toten sprechen. Wer das ist und warum dieser Tote für Jake und seine Freundin von Bedeutung ist, erfahren wir zunächst nicht.

Die Auflösung erwartet der Leser so nicht und reagiert zunächst verwirrt. Man hat das Gefühl, man müsste das Buch noch einmal lesen, um es besser zu verstehen, weil vielleicht übersehene Details eine schlüssige Erklärung liefern könnten. Auf jeden Fall bleibt der Eindruck, dass es dem Autor gelingt, mittels der Sprache eine immer bedrohlicher wirkende Atmosphäre zu schaffen und damit bei der Protagonistin und beim Leser diffuse Ängste zu erzeugen. Das Buch liest sich nicht schlecht, aber wirklich überzeugt hat es mich nicht.

Bewertung vom 03.12.2017
Ein Gentleman in Moskau
Towles, Amor

Ein Gentleman in Moskau


ausgezeichnet

Hausarrest für einen Gentleman
Armor Towles Roman "Ein Gentleman in Moskau" spielt in der Zeit von 1922 bis 1954. Graf Alexander Iljitsch Rostov, Träger des Ordens des Heiligen Andreas, Mitglied des Jockey-Clubs, Meister der Jagd, geb. am 24. Oktober 1889 in St. Petersburg wird am 21. Juni 1922 für ein 1913 unter seinem Namen veröffentlichtes revolutionäres Gedicht zum Tode verurteilt; die Strafe in Hausarrest in dem luxuriösen Hotel Metropol umgewandelt. Sollte er das Hotel jemals verlassen, wird er erschossen. Nach der Urteilsverkündung kehrt der Graf jedoch nicht in seine herrschaftliche Suite zurück. Ihm wird eine Kammer mit einem Fenster, das nicht größer als eine Briefmarke war, auf dem Dachboden zugeteilt, ein Großteil seines Hab und Gutes geht in Volkseigentum über. Während der nächsten 30 Jahre passt sich der Graf seinem Mikrokosmos an, und vor der Hoteltür nimmt die Geschichte Russlands und der ganzen Welt ihren Lauf.

Amor Towles hat einen wundervollen Roman geschrieben, der dem Leser viele Informationen über die Geschichte Russlands und das Leben des Aristokraten Rostov in seiner Jugend in der Provinz Nischni Nowgorod nahebringt. Der Graf ist ein Ästhet, ein Feingeist, ein sehr gebildeter und kultivierter, höflicher und sympathischer Mann, mit einer großen Leidenschaft für Musik und Literatur. Er hat nicht die Arroganz des Aristokraten, der sich auf seinen Status und seinen Reichtum verlässt. Die hat er ohnehin weitgehend verloren. Stattdessen entwickelt er viel menschliches Mitgefühl und ist zu tiefen Bindungen fähig. Er freundet sich nicht nur mit hochrangigen Persönlichkeiten und der wunderschönen Schauspielerin Anna, sondern auch mit dem Portier Wassili, der Schneiderin Marina, dem Barkeeper Andrei und Emile, dem Maître d’Hôtel an. Auch wenn der Graf sich seiner Gefangenschaft ungebeugt stellt und versucht sich anzupassen, ist er einmal so hoffnungslos, dass er bereit ist, sich das Leben zu nehmen. Er entscheidet sich jedoch dafür weiterzuleben. Er wird der neunjährigen Nina ein wunderbarer Freund und Spielkamerad. Sie zeigt ihm die geheimsten Orte des Metropols, und kehrt Jahre später als junge Frau zurück. Sie ist verzweifelt und bittet den Grafen, sich ihrer Tochter Sofia anzunehmen, der er ein liebevoller und aufopferungsvoller Ziehvater ist. Tief verbunden ist er mit seinem Freund Mischka aus Jugendzeiten, der ihn viele Jahre später als den glücklichsten Menschen Russlands bezeichnen wird, denn trotz seiner eingeschränkten Lebensumstände ist er immer noch fähig, Freude und Glück zu empfinden. Er ist auch nicht völlig von der Realität abgeschnitten. Informationen über das Weltgeschehen und die Lage in Russland erhält er von den Bediensteten und Hotelgästen. Ihm bleibt nur der Blick aus dem Fenster, von dem aus er das Bolschoi-Theater und die Mauern des Kreml sieht. Der Graf ist nicht Ich-Erzähler einer eigenen Geschichte. Der Autor lässt sie von einem allwissenden Erzähler in der dritten Person erzählen.

Ich habe den Roman sehr gerne gelesen und empfehle ihn uneingeschränkt weiter.

Bewertung vom 30.09.2017
Durst / Harry Hole Bd.11 (eBook, ePUB)
Nesbø, Jo

Durst / Harry Hole Bd.11 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Harry Hole jagt seine Nemesis
Mit "Durst" liegt nun der lang erwartete 11. Band der Harry Hole-Serie von Jo Nesbø vor. In der Schlusssequenz des 10. Bandes "Koma" nimmt Ståle Aunes Tochter Aurora nicht an Harry Holes Hochzeit teil. Sie ist bei einem zweitägigen Sportturnier in der Nadderud-Halle. Auf der Mädchentoilette sieht sie einen Schatten. "Und ein paar lange, schmale Schuhspitzen. Wie von Cowboystiefeln." (S. 615) In "Durst" ist der Mann mit den Cowboystiefeln zurück. Er sitzt in der Jealousy Bar, die Mehmet Kalak gehört. An diesem Abend treffen sich Geir und Elise in der Bar. Sie haben sich über die Dating-App Tinder kennengelernt. Das Treffen dauert nicht lange, Elise ist nicht interessiert. Als sie nach Hause kommt, liegt auf ihrem Bett ein Mann mit Cowboystiefeln. Elise Hermansen arbeitet als Anwältin für Vergewaltigungsopfer und kennt ihn von früher. Der Eindringling behauptet, es sei purer Zufall, dass er sie gefunden hat, was nimmt stimmt. Er beobachtet sie mit Geir schon in der Bar und verschafft sich vor ihrer Rückkehr Zutritt zu ihrer Wohnung. Auch er ist auf der Dating-App Tinder unterwegs. Er sucht jedoch keine Frau fürs Leben, er sucht sich über die App seine Opfer aus, die er auf grausamste Weise ermordet. Das Dezernat für Gewaltverbrechen unter der Leitung der Chefermittlerin Katrine Bratt nimmt die Ermittlungen auf. Hinter Harry Hole liegen drei glückliche Jahre mit seiner Ehefrau Rakel und seinem Stiefsohn Oleg, der die Polizeihochschule besucht, an der Harry Hole unterrichtet. Hole ist seit drei Jahren nicht mehr als Spezialfahnder aktiv. Der unsympathische Polizeipräsident Mikael Bellmann braucht schnelle Erfolge bei der Aufklärung des Verbrechens an Elise Hermanson. Deshalb beauftragt er Hole, sich mit einem eigenen kleinen Team an den Ermittlungen zu beteiligen. Harry stimmt zu, auch weil er den gesuchten Mörder und Vergewaltiger Valentin Gjertsen in "Koma" nicht fangen konnte. Neu im Team ist Hallstein Smith, Psychologe und Vampirismus-Experte und Anders Wyller, Kommissar-Anwärter aus Tromsø sowie der langjährige Kriminaltechniker Bjørn Holm.
Jo Nesbøs 11. Band schließt nahtlos an die Vorgängerbände an. Es gibt wenige Autoren in der Kriminalliteratur, die ihrem Ermittler das Leben so schwer machen, ihn so viel leiden lassen. Und wieder überzeugt der Autor mit einem schlüssigen Plot. Es ist eine sehr spannende Geschichte um Verrat und Intrigen. Nichts ist einfach, alles ist komplizierter, als es scheint - bis zum überraschenden Ende, das man nicht errät. Das Personal des Romans ist übersichtlich und gut gezeichnet. Sein unkonventioneller Ermittler geht wie gewohnt seinen Weg, um einen vermeintlichen Vampir zu fangen. So lange Nesbø Harry Hole nicht für immer in die Hölle schickt, hoffe ich auf weitere Bände, und der Schluss des Romans lässt darauf hoffen, dass die Reihe fortgesetzt wird. Ein ganz hervorragendes Buch, das ich uneingeschränkt empfehlen kann.

Bewertung vom 07.09.2017
Die Lieferantin
Beck, Zoë

Die Lieferantin


sehr gut

Drogenkrieg in England
Zoë Beck hat ihren neuen Kriminalroman "Die Lieferantin" in London angesiedelt, und ihr Ausblick in die Zukunft ist düster. Nach dem Brexit haben sich die Fronten verhärtet. Beim nächsten Referendum will die konservative Regierung durch Volksentscheid über eine Verschärfung der Drogengesetze abstimmen lassen. Danach würden Drogenabhängige jegliche staatliche Unterstützung verlieren, sie wären nicht mehr versichert und würden obdachlos werden. Die schärfste Druxit-Gegnerin ist Catherine Wiltshire, eine Freundin von Ellie Johnson. Ellie unterstützt Catherines Kampagne mit dem Geld, das sie durch den Verkauf von erstklassigem Heroin übers Internet verdient. Ihr Geschäftsmodell ist gut. Über ihre App bestellt man die Drogen, geliefert wird mit Hightech-Drohnen, die eine enorme Reichweite haben. Das ist effizient, anonym und hervorragend organisiert, bis Ellies Lieferant stirbt, der für den Tod des Schutzgelderpressers Gonzo verantwortlich gemacht wird. Dass der Restaurantbesitzer Leigh Sorsby, der durch die Schutzgelderpressungen kurz vor dem Ruin steht, im wahrsten Sinne des Worte eine Leiche im Keller hat, erfährt der Leser gleich zu Beginn des Romans. Gefährliche Verwicklungen zeichnen sich ab, und auch Ellie muss um ihr Leben fürchten. Zoë Beck hat einen interessanten politischen Kriminalroman geschrieben, den ich gerne gelesen habe.

Bewertung vom 09.07.2017
Smart Cooking
Freitag, Björn

Smart Cooking


sehr gut

Noch smarter durch "Smart Cooking"Das neue Kochbuch "Smart Cooking" von Björn Freitag enthält 70 Rezepte und ist aufgegliedert in folgende Abschnitte: Einfaches mit Fleisch, mit Geflügel, mit Gemüse, mit Fisch und Meeresfrüchten sowie Suppen und Salate. Auf S. 7 hat der Sternekoch eine Basic-Liste mit Lebensmittel aufgestellt, die in keiner Küche fehlen sollten. Abschließend werden ab S. 156 die Grundrezepte für Nudeln, Basilikumpesto , Kartoffelpuffer, Schupfnudeln, Maultaschen und Pizzateig vorgestellt. Damit man die Übersicht nicht verliert gibt es ab S. 164 ein Rezeptregister.
Die Rezepte sind für 2 Personen gedacht und mit Zutatenliste und Zubereitungsanleitung recht knapp gehalten. Kalorienangaben fehlen völlig. Die Rezepte sind individuell gestaltet. Eine Seite Text, die andere Seite ein Foto, wie das Essen aussehen sollte. Dass die Gerichte nicht immer gelingen, habe ich selbst erfahren müssen. Außerdem habe ich die Erfahrung gemacht, dass bei manchen Rezepten die Beilagen fehlen und zwei Personen nicht immer satt werden. Paprika/Brokkoli/Eier auf S. 99 ist schnell gekocht. 15 Minuten Arbeitszeit und 20 Minuten Backzeit habe ich eingehalten. Das Gemüse war noch etwas bissfest, um nicht zu sagen hart, und durch die vier Eier und den Frischkäse sehr trocken. Geschmacklich ist das Rezept ein Volltreffer. Ganz hervorragend haben mir die schon altbekannten Rezepte Spiegelei/Schmortomaten/Kirschtomaten auf S. 87 und gekochte Eier mit Senfsauce und Blumenkohl auf S. 84 geschmeckt. Interessant und ein großer Helfer ist der Mengenrechner auf www.mengenrechner.de. So können alle Gerichte individuell an die Personenzahl angepasst werden. Mich stört etwas, dass zu vielen Gerichten Eier gehören. Das fördert nicht unbedingt die Gesundheit. Ansonsten hat "Smart Cooking" von Björn Freitag einen Platz in der Kochbuchsammlung auf jeden Fall verdient.

Bewertung vom 04.06.2017
Die Geschichte der Bienen / Klima Quartett Bd.1
Lunde, Maja

Die Geschichte der Bienen / Klima Quartett Bd.1


gut

Geschichten von Bienen
Mit „Die Geschichte der Bienen“ legt die Norwegerin Maja Lunde nach mehreren Jugendbüchern ihren ersten Roman für Erwachsene vor – einen Roman wohlgemerkt und kein Sachbuch. In drei auf unterschiedlichen Zeitebenen angesiedelten Handlungssträngen erzählt sie in vielen kurzen Kapiteln mit ständig wechselnder Perspektive die Geschichte von drei Familien, die alle irgendwie mit Bienen zu tun haben. William lebt im 19. Jahrhundert in England. Er musste seine Träume von einer Karriere als Wissenschaftler angesichts seiner schnell wachsenden Familie aufgeben und verdient sein Geld als Samenhändler. Irgendwann hat er die Idee für einen neuartigen Bienenstock. Allerdings ist eine Anmeldung als Patent nicht möglich, weil es so etwas anderswo schon gibt. George ist Imker und lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in Ohio. Finanziell wird es sehr eng für ihn, als 2007 der größte Teil seiner Bienenvölker von einen Tag auf den anderen verschwindet wie in vielen anderen Teilen der USA auch. Der dritte Teil spielt im China der Zukunft. Im Jahr 2098 gibt es dort keine Bienen mehr. Millionen von Arbeitern bestäuben die Obstbäume von Hand. Die Menschen arbeiten sehr schwer und sind trotzdem arm, haben kaum genug zu essen. In diesem Teil geht die Autorin auf die Probleme ein, die uns auch aktuell beschäftigen. Wie sieht die Zukunft für uns Menschen aus, wenn es keine Bienen mehr gibt? Was können wir tun?
Mich hat das Buch sehr interessiert. Allerdings bin ich nach der Lektüre etwas enttäuscht. Es passiert nicht allzu viel auf den gut fünfhundert Seiten. Es gibt keine bedeutenden oder überraschenden Entwicklungen. Auf mich wirkte es eher wie eine endlose Wiederholung des ewig Gleichen. Mich stört aber vor allem auch der irreführende Titel. Bei diesem Roman handelt es sich nicht um eine Geschichte der Bienen und der Imkerei, wie man erwarten könnte, und auch das Thema “Bienensterben“ wird nicht besonders ausführlich dargestellt. Auf der anderen Seite spielt eine zweite Thematik eine große Rolle: Die Autorin beschreibt sehr ausführlich familiäre Beziehungen, vor allen Dingen das Verhältnis von Eltern zu ihren Kindern und die Sprachlosigkeit in großen Krisen. Das ist nicht uninteressant, hat aber mit Bienen nichts zu tun. Aus all diesen Gründen kann ich den Roman nur bedingt empfehlen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.04.2017
Die Grausamen
Katzenbach, John

Die Grausamen


sehr gut

Später Ermittlungserfolg
John Katzenbachs erster Ermittlerkrimi "Die Grausamen" beginnt mit einem Prolog. In einem noblen Vorort an der US-Ostküste kehrt die 13jährige Tessa Gibson am 9. Oktober 1996 von einem Besuch bei ihrer Freundin nicht nach Hause zurück. Außer ihrem pinkfarbenen Rucksack taucht nichts auf. Ihre Leiche wird nie gefunden und der Fall nie aufgeklärt.
Die eigentliche Romanhandlung beginnt 20 Jahre später mit dem unaufhaltsamen Abstieg des ehemaligen Assistant Deputy Chief Gabriel Wilkinson. Bei einem Bootsausflug kommt sein Schwager Teddy ums Leben, der geliebte Zwillingsbruder seiner Frau. Sie verlässt ihn sofort und nimmt den gemeinsamen Sohn mit. Gabriel - genannt Gabe - beginnt zu trinken, verwahrlost und vernachlässigt seinen Job. Kurz vor dem Rausschmiss gibt ihm der Polizeichef eine letzte Chance. Zusammen mit Detective Marta Rodriguez-Johnson, einer ehemaligen Kollegin aus dem Drogendezernat, soll er in der neu gegründeten Abteilung „Cold Cases“ alte ungelöste Fälle neu untersuchen. Marta wird in die Abteilung versetzt, weil sie bei der Verfolgung eines Dealers versehentlich ihren Kollegen Detective Tompkins erschossen hatte. Beide akzeptieren ihre neue Aufgabe. Zwei traumatisierte Polizisten auf dem Abstellgleis, in einem kleinen Büro, das ihnen wie ein Verlies vorkommt. Das Sichten der kalten Fälle erweist sich als äußerst schwierig, da die damaligen Ermittler schon alles Mögliche versucht haben, um sie aufzuklären. Bis Marta auf vier Akten stößt, die alle neunzehn Jahre alt sind. Ungewöhnlich daran ist, dass in ein und demselben Jahr "... die besten, gründlichsten Detectives, die das Dezernat damals zu bieten hatte... "(S. 222), diese vier Tötungsdelikte an jungen Männern nicht aufgeklärt haben. Zufällig stoßen sie auf den Fall der vor zwanzig Jahren verschwundenen Tessa Gibson. Es muss eine Verbindung zwischen den Fällen geben, doch ist die Polizeiführung an der Aufklärung ausgerechnet dieser ungeklärten Todesfälle nicht interessiert und behindert die Ermittlungen. Gabe und Marta erkennen: Wer zu viel fragt, spielt mit seinem Leben.

Beschädigte Ermittlerpersönlichkeiten sind nichts Neues in der Kriminalliteratur, jedoch von US-Bestsellerautor John Katzenbach überzeugend gezeichnet. Die beiden Ermittler sind mir mit ihren Schwächen und Problemen ans Herz gewachsen. Der Schreibstil liest sich gut, die Story ist gut durchdacht. Das Ende kann man nicht vorhersehen.
Der Roman hat mir auch sonst sehr gut gefallen. Er erinnert mich an alte Kriminalromane, wo die klassische Ermittlertätigkeit noch im Vordergrund steht: viel Nachfragen, viel Laufarbeit, viel Recherche, keine Brutalität, die dem Leser nachts den Schlaf raubt. Sollte es eine Fortsetzung mit diesem Ermittlerteam und der Arbeit an alten Fällen geben, werde ich gern weitere Romane lesen. Das Cover passt außerordentlich gut und scheint Bezug auf eine Textstelle zu nehmen: "Gabe kam das seltsame Bild eines Spinnennetzes in den Sinn - alle Fäden miteinander verbunden, aber jeder einzelne so dünn, dass er bei der kleinsten Berührung riss." (S. 176) Ein rundherum gelungener Kriminalroman.

Bewertung vom 19.03.2017
Das Buch der Spiegel
Chirovici, Eugene O.

Das Buch der Spiegel


gut

Die Unzuverlässigkeit der Erinnerung
"Das Buch der Spiegel" von E. O. Chirovici ist ein Buch in einem Buch, aufgegliedert in drei Teile. Im ersten Teil der Geschichte verspricht der Erzähler Richard Flynn in einem unaufgefordert eingesandtem unvollständigem Manuskript mit dem Arbeitstitel "Das Buch der Spiegel" an Peter Katz, einen Literaturagenten, der für Bronson & Matters arbeitet, der Wahrheit der Ereignisse auf den Grund zu gehen, die zum Tod des charismatischen Professors Joseph Wieder im Dezember 1987 führte. Im Mittelpunkt standen damals Professor Joseph Wieder, Erzähler Richard Flynn und Laura Baines. Rückblickend beginnt seine Erzählung vor siebenundzwanzig Jahren, als er in Princeton Anglistik studierte und mit Laura befreundet war. Sie war es auch, die Flynn dem Professor vorstellte. Das Manuskript endet abrupt, ohne dass entscheidende Fakten des Tatherganges ans Licht kommen. Könnte die Geschichte, die Richard Flynn aufgeschrieben hat, wahr sein, oder haben die vergangenen Jahre seine Erinnerungen verfälscht, so dass er jetzt glaubt, die Wahrheit zu kennen? Oder will er am Ende selbst ein Geständnis ablegen? Immerhin zählte er damals eine Zeit lang zu den Tatverdächtigen. Peter Katz ist an dem Buch interessiert, das er einem Verlag anbieten will. Doch bevor er von dem Autor das komplette Manuskript erhält, stirbt dieser. Im Zentrum des zweiten Teils steht der Journalist John Keller. Er ist mit Peter Katz befreundet und wird von ihm beauftragt, den Rest des Manuskripts zu suchen. Keller spricht mit vielen Leuten, deren Geschichten sich alle widersprechen. Entscheidende Fakten kann er nicht finden. Er trifft sich mit dem pensionierten Polizisten Roy Freeman, der damals in dem Mordfall ermittelte. Freeman rollt das Verbrechen neu auf. Er wird es sein, der am Ende das Puzzle zusammenfügt.

Im Roman geht es um die Aufklärung eines alten ungelösten Falls. Vier Ich-Erzähler bieten ihre Erkenntnisse und ihren Blick auf die Ereignisse an. Was die Lektüre etwas mühsam macht, ist, dass sie sich gar nicht so sehr voreinander unterscheiden, jedenfalls haben sie im Roman keine klar erkennbare eigene Stimme. Zudem ist der Roman recht handlungsarm. Wechselnde Erzählperspektiven sind nicht grundsätzlich problematisch. Aussagen aus Flynns Manuskript ergeben zusammen mit den Entdeckungen von Katz, Keller und Freeman ein Mosaik, und man hofft, dass sich allmählich die Wahrheit abzeichnen wird. Doch dem ist nicht so. Stattdessen wird der Leser immer wieder auf falsche Fährten gelockt. Es ist alles anders. Alle irren sich. Chirovicis zentrale Thematik ist, unterstrichen durch das Proust-Zitat am Ende, unübersehbar: Unsere Erinnerung ist unzuverlässig, subjektiv sowieso, aber auch nicht immer wahr. Ich fand den Roman nicht uninteressant, aber überzeugt oder begeistert hat er mich auch nicht.