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R. S.

Bewertungen

Insgesamt 165 Bewertungen
Bewertung vom 19.08.2022
Todesspiel. Die Nordseite des Herzens
Redondo, Dolores

Todesspiel. Die Nordseite des Herzens


ausgezeichnet

Atmosphärischer und mystischer Psychothriller

In den USA treibt ein Serienmörder sein Unwesen, der auch der „Komponist“ genannt wird. Er ermordet ganze Familien und zwar immer mit der Waffe des Vaters und richtet seine Opfer nach Norden aus. Er tarnt seine Morde als Unfälle, indem er Naturkatastrophen wie Hurrikans benutzt, um so den Eindruck zu erwecken, die Verwüstungen des Sturmes hätten sie umgebracht. Amaia Salazar ist eine Subinspectora aus Spanien, die beim FBI trainiert, als der zweite Mordfall bekannt wird. Aufgrund ihrer einzigartigen Sichtweise und Intelligenz wird sie von Aloisius Dupree, einem FBI-Agenten, ausgewählt, um den Mörder zu fangen. Aber sie ist nicht nur auf der Jagd nach dem Mörder, sie muss auch Hurrikan Katrina überleben sowie bedingt durch ein Familienereignis sich den aufkommenden schrecklichen und teils verstörenden Erinnerungen aus ihrer Kindheit in Spanien stellen. Dann ist da auch noch Dupree, ihr FBI-Mentor, der seine eigenen Ermittlungen in einem für ihm wichtigen Fall durchführt.

Gleich von Beginn an zieht der Thriller einen in seinen Bann und schafft es auf über 600 Seiten die Spannung konstant hochzuhalten. Seine Stärken liegen in der glaubhaften, teils auch psychologischen Charakterzeichnung aller handelnden Personen und der atmosphärischen sowie authentischen Beschreibung des Hurrikans Katrina und seinen Auswirkungen sowie der mythischen und okkultistischen Elemente.
Besonders gut gefallen hat mir Subinspectora Amaia. Sie hat eine große Intuition wie einen sechsten Sinn, wenn es um Verbrechen, Mörder und das Motiv des Mörders geht. Da sie von Orten kommt, an denen der Geist zu leben scheint und sich Monster in den Körpern der Menschen verstecken, ist sie die richtige Person, um dieses Verbrechen aufzuklären. Ihr Partner Dupree sieht sich in ihrem Verhalten und ihren Handlungen reflektiert und sie bilden ein Team, das mehr sehen kann als andere Menschen.
Auch der psychologische Aspekt der Handlung in Bezug auf die Täteranalyse sowie von menschlichen Verhalten in Momenten der Widrigkeiten werden mit einer bemerkenswerten Tiefe behandelt und machen den Thriller zu etwas Besonderen. Hier passt einfach alles zusammen.

Insgesamt ist „Todesspiel“ nicht nur ein atmosphärischer, düsterer und spannender Psychothriller über einen bösartigen Familienserienmörder, der sich in einer 18-jährigen Karriere trotz eines festgelegten Musters jeder Verfolgung entzieht, um dann doch schließlich von Amaia und Co. zu Strecke gebracht zu werden, sondern bietet er auch ein fesselndes und beängstigendes Porträt der Verwüstung und des Leids, die durch den Hurrikan Katrina verursacht wurden. Auch sind die mystischen Beschreibungen wie die baskischen Legenden und der Voodoo sehr lebhaft und glaubhaft dargestellt.

Klare Leseempfehlung für alle, die komplexe und außergewöhnliche Psychothriller mögen.

Bewertung vom 19.08.2022
Prinzessin auf Probe / Tokyo ever after Bd.1
Jean, Emiko

Prinzessin auf Probe / Tokyo ever after Bd.1


sehr gut

Wenn Märchen wahr werden

Izumi „Izzy“ Tanaka hat sich immer irgendwie fremd gefühlt als japanisch-amerikanisch in ihrer kleinen Stadt im Norden von Kalifornien, in der sie mit allein mit ihrer Mutter lebt. Doch dann entdeckt sie eines Tages zufällig einen Hinweis auf die Identität ihres bis dahin unbekannten Vater… Ihr Vater ist niemand Geringeres als seine Hoheit der japanische Kronprinz persönlich. Ehe sie sich versieht, befindet sie sich als japanische Kronprinzessin auf dem Weg nach Japan, um dort ihren Vater näher kennenzulernen, sowie Land und Leute. Doch dort angekommen merkt Izzy, dass es nicht so einfach ist, Prinzessin zu sein und dass auch nicht alle nur ihr Bestes wollen. Bald findet sie sich zwischen zwei Welten gefangen – zwischen der normalen bürgerlichen Izzy und der royalen Prinzessin Izumi. Auch fühlt sie sich nicht japanisch genug für Japan. Wäre das alles nicht schon genug, ist da noch ihr Bodyguard Akio, den sie zwar anfangs gar nicht leiden mag, aber eigentlich doch gar nicht so schlecht ist… Drama, Intrigen und Gefühlschaos sind vorprogrammiert.

Aus der Ich-Perspektive von Izzy erzählt, taucht man gemeinsam mit Izzy in das neue Leben als Prinzessin ein, mit all ihren schönen und schlechten Seiten. Nebenbei bekommt man auch einen authentischen wirkenden Einblick in die japanische Kultur, streift durch Tokio und gewinnt einen Eindruck vom Leben in Japan. Humorvoll und angenehm geschrieben, macht es Spaß dabei zuzusehen wie aus der anfangs teils etwas naiven Izzy eine selbstbewusste junge Frau wird. Sie ist nicht perfekt und macht teils auch dumme Fehler, aber sie kommt glaubhaft und liebevoll rüber.
Toll sind auch die schönen Freundschafts- und Familienmomente, die ohne großartiges künstliches Drama auskamen. Jedoch hätte manches vertieft werden können. Besonders die Vater-Tochter-Beziehung wurde gut dargestellt. Herrscht anfangs noch Unsicherheit im gemeinsamen Umgang miteinander vor, nähern sich beide langsam an und lernen sich immer besser kennen. Das Gleiche gilt auch in Bezug auf auf Akio, ihren Bodyguard. Nur stehen da Gefühle anderer Art wie Herzklopfen und Schmetterlinge im Bauch nach und nach immer mehr im Vordergrund. Vor allem ihre Momente allein sind einfach nur süß.

„Tokyo ever after“ liest sich wie ein modernes japanisches Märchen. Es ist bei Weitem nicht perfekt, besonders die Handlung hat paar Schwächen in Bezug auf Tiefe und Glaubhaftigkeit. Ebenso bleiben manche Nebencharaktere etwas zu blass, aber insgesamt ist es ein unterhaltsames und gefühlvolles Jugendbuch mit Anklängen an „Plötzlich Prinzessin“.

Bewertung vom 17.08.2022
Die Passage nach Maskat
Rademacher, Cay

Die Passage nach Maskat


sehr gut

Wenn eine Seereise zum Albtraum wird

Spätsommer 1929, Marseille: Der Fotograf Theodor Jung begibt sich gemeinsam mit seiner Frau Dora Rosterg und den Schwiegereltern auf das Luxuskreuzfahrtschiff Champollion mit Maskat als Zielhafen ihrer Reise. Jung erhofft sich von der Reise, dass sie seine Ehe wieder aufleben lässt und zu Beginn scheint auch alles gut zu verlaufen, einmal abgesehen von den Anfeindungen und Vorbehalte seiner Schwiegereltern ihm gegenüber, bis jedoch Dora plötzlich spurlos verschwindet. Das Seltsamem, niemand will Dora überhaupt je auf dem Schiff gesehen habe, auch sind alle Spuren, die sie auf dem Schiff hinterlassen hat, verschwunden. Angeblich befindet sich Dora auch noch in Berlin und kümmert sich um das Gewürzgeschäft der Familie. Hat Jung sich alles nur eingebildet? Doch mit der Zeit häufen sich die Geheimnisse rund um Dora und ihre Familie, auch scheinen andere Schiffsgäste etwas zu verbergen und so macht sich Jung gemeinsam mit der Stewardess Fanny auf der Suche nach Antworten hinter Doras mysteriösen Verschwinden.

Anfangs noch etwas gemächlich folgt man Jung auf dem Schiff entlang und gewinnt einen Eindruck von der Stimmung und den Gästen an Bord, unter denen sich berühmten Persönlichkeiten über Boxer bis hin zu zwielichtigen Geschäftsmännern befinden. Als dann jedoch Dora verschwindet, nimmt die Geschichte immer mehr an Tempo auf und verliert dieses auch nicht mehr bis zum spannenden Ende. Des Weiteren sorgt das Mysterium um Doras Verschwinden für einen konstant hohen Spannungsbogen.

Die Stärke des Romans liegt eindeutig in der Authentizität der Orts- und Zustandsbeschreibung sowie der Charakterzeichnung. Rademacher lässt die Stimmung der damaligen Zeit aufleben und schafft lebendige und vielschichtige Charaktere. So wird z. B. auch die gesellschaftliche Situation wie die Unterschiede zwischen erster und dritter Klasse angesprochen oder auch der Hass zwischen Deutschen und Franzosen.
Auch die gut konstruierte Kriminalhandlung enttäuscht nicht und hat es in sich, auch wenn mit kleinen Schwächen, die jedoch dem Lesevergnügen nicht schaden.

Mit „Die Passage nach Maskat“ hat Cay Rademacher einen fesselnden Mix aus historischem Roman und Krimi vorgelegt, der vor allem durch seinen atmosphärischen und detailreichen Schreibstil in Bezug auf Szenen- und Charakterbeschreibung sowie einer gut durchdachten und wendungsreichen Handlung zu überzeugen weiß.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.08.2022
Sanfte Einführung ins Chaos
Orriols, Marta

Sanfte Einführung ins Chaos


sehr gut

Unterschiedliche Lebensentwürfe

„Sanfte Einführung ins Chaos“ von Marta Orriols erzählt einfühlsam und nuanciert von Dani und Marta, die seit zwei Jahren ein Liebespaar sind und gemeinsam in Barcelona leben. Dani ist Drehbuchautor für Fernsehserien und Marta freie Fotojournalistin und sie führen ein normales Leben bis zu dem Tage, an dem Marta Dani von ihrer Schwangerschaft erzählt. Martas Entscheidung, dass Kind nicht haben zu wollen, stürzt beiden in ein großes Gedanken- und Gefühlschaos. Dani wünscht sich im Gegensatz zu Marta, dass sie das Kind behält und sieht sich selbst schon als Vater. Seine Sicht hängt wird auch dadurch beeinflusst, dass er sich geschworen hat, nie ein Kind von ihm im Stich zu lassen. Marta dagegen will nicht Mutter werden, sie ist sich unsicher, ob sie überhaupt eine gute Mutter sein würde und im Moment ist ihr auch ihre berufliche Zukunft wichtiger.
Was folgt, sind sechs Tage des Nachdenkens über die Zukunft, was es heißt, Vater bzw. Mutter zu sein, der Zweifel und der Entscheidungsfindung auf beiden Seiten. Sie müssen sich darüber klar werden, was sie von ihrer Zukunft und ihren Leben wollen.

Aus Sicht von Dani und Marta wird schnörkellos, elegant und prägnant die Entscheidungsfindung von Marta und Dani erzählt. Langsam und mit guter Entwicklung werden einem die Gefühle und Argumente von beiden von dem Moment an übermittelt, in dem Marta Dani sagt, dass sie schwanger ist, aber die Schwangerschaft nicht fortsetzen möchte. Orriols schafft es hierbei, einen an den Gedanken und Gefühle von Dani und Marta teilhaben zu lassen und ein authentisches Bild von ihren Sehnsüchten, Unsicherheiten, Einstellungen und Plänen zu zeichnen.

„Sanfte Einführung ins Chaos“ von Marta Orriols behandelt überzeugend und sprachlich ansprechend ein komplexes Thema mit großer Sensibilität. Die Themen und Konflikten sind zwar nicht neu, müssen sie aber auch nicht sein, um Wirkung zu entfalten. Auch fängt der Roman gut den aktuellen Zeitgeist einfängt und sich u. a. mit der Schwierigkeit von Familie und Beruf zu vereinbaren und das Recht auf die freiwilligen Entscheidungen in Bezug auf den eigenen Körper beschäftigt.

Bewertung vom 11.08.2022
Ingeborg Bachmann und Max Frisch - Die Poesie der Liebe / Berühmte Paare - große Geschichten Bd.3
Storks, Bettina

Ingeborg Bachmann und Max Frisch - Die Poesie der Liebe / Berühmte Paare - große Geschichten Bd.3


sehr gut

Höhen und Tiefen einer Liebe poetisch erzählt

„Ingeborg Bachmann und Max Frisch – Die Poesie der Liebe“ von Bettina Storks ist ein poetisch geschriebener und gefühlvoller, fiktiver Roman über die Liebe zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch. 1958 in Paris lernen sich die beide Ikonen der Literatur kennen und der bodenständige Frisch verliebt sich auf den ersten Blick in die sensible und freiheitsliebende Bachmann, die zu der Zeit ein Star der Literatur war. Was folgt, ist eine Liebesbeziehung zwischen München, Rom und die Schweiz, die geprägt ist von Leidenschaft und Eifersucht seitens Frisch. Einfühlsam beschreibt die Autorin zunächst, wie sich beide ineinander verlieben und dann wie mit der Zeit ihre große Liebe am Alltag scheitert-

Abwechselnd aus Sicht von Bachmann und Frisch erzählt, erhält man einen Einblick in die Gedanken und Gefühle der beiden und spürt, wie unterschiedlich beide sind. Frisch liebt Klarheit und Ordnung und kann wenig mit Bachmanns Hang zum Geheimnisvollen und ihren Drang nach Freiheit anfangen. Auch ihre unterschiedlichen Arbeitsweisen werden immer mehr zum Stolperstein für ihre Beziehung. Schnell wird deutlich, dass die Liebesbeziehung zwischen beiden keine ist, die glücklich enden wird. So kommt es dann auch 1962 wenig überraschend zur Trennung der beiden.

„Ingeborg Bachmann und Max Frisch – Die Poesie der Liebe“ ist kein Roman, den man so nebenbei liest und es ist keine Liebesgeschichte mit Happy End. Gespickt mit Zitaten ist er eine gelungene literarische Annäherung an Bachmann und Frisch als Schriftsteller und als Personen dahinter. Leicht melancholisch und bewegend geschrieben kommt man auf über 400 Seiten den beiden näher und wird Zeuge einer großen und leidenschaftlichen Liebe, die leider nicht hielt. Nicht nur für Literaturliebhaber lesenswert.

Bewertung vom 09.08.2022
Elternhaus (eBook, ePUB)
Mentges, Jennifer

Elternhaus (eBook, ePUB)


sehr gut

Wenn die Vergangenheit an der Tür klopft

Ein Hamburger Herrenhaus verbirgt so einige Geheimnisse oder besser gesagt, die Personen, die dort wohnen bzw. es aufsuchen. Allen voran Yvette Winkler und Tobias Hansen. Yvette Winkler ist gemeinsam mit ihren Kindern und ihrem Mann erst vor Kurzem in die alter Hamburger Villa eingezogen. Der Umzug sollte ein Neuanfang für sie sein und so ihre kriselnde Ehe zu retten. Tobias Hansen hingegen hat es schon vor dem Einzug der Winklers allabendlich zur alten Villa hingezogen und sie aus dem Auto heraus beobachtet. Nachdem die Familie Winkler eingezogen ist, macht sich Hansen daran, selber Teil der Familie zu werden und da er selber Pianist ist, gibt er den Kindern bald Klavierunterricht und freundet sich mit Yvette und ihren Mann an und gewinnt immer mehr ihr Vertrauen sowie Zugang zum Haus. Doch dann eines Tages, wenn er allein ist mit Yvette und den Kindern, zeigt er sein wahres Gesicht…

„Elternhaus“ von Jennifer Mentges ist ein spannender Psychothriller, der ganz ohne blutige Szenen auskommt und dessen Stärken in der detaillierten Charakterzeichnung und der atmosphärischen und leicht poetischen Sprache liegen. Anfangs noch etwas gemächlich, wird langsam Spannung aufgebaut und dann konstant über den weiteren Handlungsverlauf hochgehalten. Ebenso ist von Beginn an eine unterschwellige geheimnisvolle und leicht bedrohliche Stimmung spürbar. Aus den sich abwechselnden Perspektiven und Rückblicken in die Vergangenheit wird nach und nach das Geheimnis um Tobias Hansen, Yvette Winkler und der Villa gelüftet.
Auch wenn manche Handlungsstränge hierbei vorweggenommen werden, weiß der Spannungsroman zu überraschen und Gänsehautmomente zu erzeugen sowie insgesamt mit einer schlüssigen Handlung zu überzeugen.

Ein Psychothriller, der auf leisen Pfoten daherkommt und nach und nach seine volle Wucht entfaltet. „Elternhaus“ von Jennifer Mentges zieht einen in seinen Bann und lässt einen nicht mehr los genau wie das alte Herrenhaus im Buch.

Bewertung vom 05.08.2022
Snowflake
Nealon, Louise

Snowflake


sehr gut

Coming-of-Age-Story auf Irisch

3.5/5

„Snowflake“ von Louise Nealon ist die Coming-of-Age-Geschichte der 18-jährigen Debbie White, die im ländlichen Irland aufgewachsen ist und dort mit ihrer Mutter und ihrem Onkel auf einem Milchbauernhof lebt und nun auf das Trinity College in Dublin geht, um dort Englisch zu studieren. Der Übergang vom Land- zum Stadtleben bringt wenig überraschend Herausforderungen und neue Erfahrungen und Bekanntschaften mit sich. So freundet sie sich mit Xanthe an, deren wohlhabende Erziehung in Süd-Dublin weit entfernt von Debbies Erfahrungen ist. Während Debbie beginnt, sich am College zurechtzufinden, ereignet sich eine Tragödie auf der Milchfarm, wodurch ihr bisheriges Leben auf den Kopf gestellt wird.

Das Buch liest sich leicht und flüssig und ist in einen leicht poetischen und humorvollen Schreibstil geschrieben. Die Autorin schafft es gut, die Gedanken und Gefühle von Debbie einzufangen und zu beschreiben, wie es ist, eine junge Frau zu sein, die das Leben neu kennenlernt. Auch ist Debbie ein sehr sympathischer Charakter. Ihre Unschuld und die Fehltritte, die sich macht, wenn sie versucht, aus ihrer ländlichen Hülle herauszukommen, lassen sie zutiefst menschlich erscheinen. Zusammen mit einigen typischen Merkmalen des irischen Lebens ist dies eine schöne, ehrliche Geschichte über das Erwachsenwerden. Neben der Reise der Selbstfindung spricht Nealon auch ernstere Themen wie z. B. psychische Krankheiten, Suizid und Alkoholismus an. Trotz der – oft unbequemen – Thematik verliert der Roman jedoch nichts an seiner Leichtigkeit, allein der subtile Humor trägt dazu bei.

Allerdings fühlte sich die Geschichte manchmal etwas unzusammenhängend an und ich hätte mir gewünscht, dass einige Dinge und einige der Themen etwas ausgiebiger behandelt worden wären. So passierten z. B. manche Ereignisse oft wie aus dem Nichts, während andere Handlungspunkte als Schlüsselereignisse angesehen wurden, jedoch später auf diese nicht mehr großartig eingegangen wurde. Auch manche Veränderungen Debbies kamen ziemlich abrupt.

Insgesamt ist „Snowflake“ von Louise Nealon ein überzeugendes Debüt, das die chaotischen Emotionen und Erfahrungen des frühen Erwachsenenalters gut einfängt. Man folgt Debbie gerne, wie sie ihren Weg findet, lernt sich selbst zu lieben und beginnt ihre eigene Identität zu formen.

Bewertung vom 04.08.2022
Matrix
Groff, Lauren

Matrix


gut

Ein nicht ganz gelungener feministischer Blick auf Nonnen im 12. Jahrhundert

„Matrix“ von Lauren Groff spielt im 12. Jahrhundert. Im Alter von siebzehn Jahren wird die Protagonistin Marie de France von Eleanor von Aquitanien vom französischen Hof verbannt und in eine abgelegene englische Abtei geschickt. Mit den Jahren erlangt sie immer mehr Einfluss und Macht in bis sie die Leitung der Abtei erlangt. Sie erlebt religiöse Visionen, die sie zum Bau von zahlreichen Projekten im und um das Kloster herum anregt und sie schreibt Gedichte. Auch versucht Marie, die Abtei vor dem Einfluss Außenstehender zu schützen.

Von der Grundidee her ist „Matrix“ ein interessantes Buch. Die Autorin fiktionalisiert das Leben von Marie de France, einer Figur, über die man eher wenig weiß, und verwirft die bekannten Kenntnisse zugunsten der Erstellung ihrer eigenen Version der Geschichte. So muss man „Matrix“ eher als eine feministische Fantasie des mittelalterlichen Lebens als ein Versuch, historische Details genau nachzubilden, betrachten. Groff ist nicht so sehr daran interessiert, Marie zu vermenschlichen bzw. als Person nahbar zu machen, sie stellt sie mehr als Heldin bzw. Heilige dar. So werden Konflikte, die innerhalb der Erzählung auftreten, nur als kleine Hürden angesehen, die Marie zu überwinden hat, auch ihr Weg zur mächtigen Frau im Kloster verlief ohne großartige Hindernisse. Ebenso mäanderte die Handlung teilweise stark und einiges wurde sehr verkürzt dargestellt, so wurden z. B. Jahre aus Maries Leben innerhalb einer Seite abgehandelt.
All das führte leider dazu, dass eine vielversprechende Handlung an Spannung und Tiefe verlor und Marie und die anderen Frauen mir emotional fremd blieben, sodass mich das Buch insgesamt nicht wirklich begeistern konnte.
Einzig der Schreibstil sprach mich an, er war sehr bildlich und stimmungsvoll. Auch gab es tolle Beschreibungen der Natur und der Umgebung im Kloster.

Alles in allem eine tolle Prämisse, deren Umsetzung leider nur bedingt überzeugen konnte. Sprachlich und inhaltlich wäre das Potenzial definitiv vorhanden gewesen.

Bewertung vom 01.08.2022
Drei Tage im August
Stern, Anne

Drei Tage im August


sehr gut

3.5/5 Sterne

Glückliche Momente in schweren Zeiten

Es sind Olympische Spiele in Berlin im Jahre 1936. In dieser Zeit gibt sich Nazideutschland weltoffen. Doch es liegt eine Vorahnung von kommenden dunklen Zeiten in der Luft, es herrscht die Ruhe vor dem Sturm. Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist die Chocolaterie Sawade, die auf der Straße „Unter den Linden“ zu finden ist. Dort arbeitet die fast 40-jährige Elfie, die von Schwermut gezeichnet ist und deren Leben die Chocolaterie ist. In der kurzen Zeit, in der die Leser*innen Elfie ihren Nachbarn und anderen Personen folgen, die mit der Chocolaterie irgendwie verbunden sind, erfährt Elfie von Madame Conte, welches Geheimnis sich hinter einer Praline der Chocolaterie verbirgt und lernt außerdem den Nachtklubbesitzer El-Hammady näher kennen. Neben Elfie wäre da noch Trude, eine Mitarbeiterin von ihr, die für den jüdischen Buchhändler Franz Marcus mehr als nur freundschaftliche Gefühle hegt. Doch ist ihre gemeinsame Zukunft ungewiss. Zeuge dieser und andere Geschichten sind die Linden der Straße „Unter den Linden“.

So wie es Elfie versucht, mit den schokoladigen Genüssen der Chocolaterie Sawade den Menschen schöne Momente zu bereiten, so schafft das auch der Roman „Drei Tage im August“ von Anne Stern. Besonders der atmosphärisch und unaufgeregte Schreibstil tragen dazu bei. Insgesamt lebt die ruhige Erzählung weniger von einer alles umspannenden Handlung, sondern vielmehr von den gut dargestellten Charakteren, deren Gedanken, Gefühle und Ängste man gut nachempfinden kann. Man folgt ihnen gern drei Tage lang durch Berlin und wünscht ihnen das Beste in den unsicheren und immer dunkleren Zeiten in Deutschland.

Alles in allem ist der Roman „Drei Tage im August“ eine bezaubernde und kurzweilige Geschichte, die über drei Tage hinweg einen Einblick in das Leben der handelnden Personen mit all seinen glücklichen und traurigen Momenten gewährt und dabei ohne einen großartigen Spannungsbogen auskommt und vor allem durch seine bildliche Sprache und seinen tollen Charakteren zu überzeugen weiß. Sicherlich nicht jedermanns Geschmack, aber für mich ein unerwarteter Lesegenuss.

Bewertung vom 28.07.2022
Denk ich an Kiew
Litteken, Erin

Denk ich an Kiew


sehr gut

Bewegende Erzählung über den Holodomor

3.5/5 Sterne

„Denk ich an Kiew“ wird abwechselnd in zwei Zeitebenen aus der Perspektiven von Katya ab den 1920er-Jahren und Cassie, ihre Enkelin, in der Gegenwart erzählt. Der historische Roman von Erin Litteken ist ein persönlicher und emotionaler Roman über den Holodomor und Generationentraumata.

Zur Handlung:
Cassie trauert immer noch um ihren Mann, der bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist. Seitdem spricht auch ihre Tochter Birdie nicht mehr. Als ihre Mutter sie ermutigt, nach Hause zu ziehen, um sich um ihre kranke Großmutter zu kümmern, stimmt Cassie widerwillig zu. Was sie entdeckt, sind die Tagebücher ihrer Großmutter über ihre Kindheit und ihr (Über)leben während der menschengemachten Hungersnot in der damaligen Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik, der Millionen von Ukrainern das Leben kostete.

Vor allem Katyas Geschichte ist nichts für schwache Nerven. Sie ist bedrückend, voll von Leid, Hunger, Verlust und Tod. Trotz vieler persönlicher Verluste findet Katya die innere Stärke, um zu überleben, und findet an den dunkelsten Tagen Hoffnung.
Katyas Geschichte hat mir im Vergleich zu Cassies insgesamt auch besser gefallen. Der Erzählungsstrang in der Gegenwart verblasst im Gegensatz zu dem in der Vergangenheit. Für mich war die gegenwärtige Handlung weniger tief und teils zu konstruiert. So fand ich z. B. wenig glaubhaft, dass Cassies Familie, insbesondere ihre Mutter, nichts über die ukrainische Herkunft der Großmutter wusste. Auch schien Cassie nicht in der Lage zu sein, selbst sehr offensichtliche Zusammenhänge zu verstehen.

Trotz der Probleme, die ich mit der Zeitebene in der Gegenwart hatte, konnte mich das Buch im Ganzen überzeugen. Es ist eine berührende Geschichte von Tapferkeit und extremen Prüfungen, von Liebe, Überleben und Freude nach Leid.
„Denk ich an Kiew“ ist zwar eine historische Fiktion, aber wie die Autorin anmerkt, waren viele der beschriebenen Erfahrungen während des Völkermords für Millionen von Menschen in der Ukraine sehr real.