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Aischa

Bewertungen

Insgesamt 553 Bewertungen
Bewertung vom 27.03.2023
Go für Einsteiger
Dickfeld, Gunnar

Go für Einsteiger


ausgezeichnet

Schon seit längerem habe ich immer wieder damit geliebäugelt, das jahrtausendealte fernöstliche Strategiespiel Go zu erlernen, und doch ist es bislang beim guten Vorsatz geblieben. Aber nun ist mir glücklicherweise dieses wunderbare Lehrbuch für Einsteiger von Gunnar Dickfeld "in den Schoß gefallen".

Zunächst fällt auf, wie liebevoll das stabile Hardcover gestaltet ist. Wunderschöne japanische Holzschnitte illustrieren den Beginn der Kapitel. Das Spiel selbst wird gut verständlich Schritt für Schritt erklärt, und am Ende jedes Kapitels finden sich Übungen, anhand derer man sich die Regeln gut einprägen kann und man überprüfen kann, ob man das Erlernte auch wirklich verstanden hat.

Aber "Go für Einsteiger" ist weitaus mehr als ein reines Regelwerk. Autor Dickfeld bring seinen Leser*innen auch die Geschichte, Philosophie und Spielkultur des Go-Spiels näher. Dabei ist seine unverhohlene Leidenschaft für dieses komplexe Brettspiel wahrlich ansteckend! Auch didaktisch ist das Buch klug aufgebaut. Die Schwierigkeit der abgebildeten Zugfolgen steigert sich nach und nach, und die vorgestellten Lehrpartien wechseln sich immer wieder mit unterhaltsamen Einschüben ab, etwa dem Vergleich zwischen Go und Schach oder mit Porträts beliebter Go-Spieler. Praktische Ergänzungen sind ein Glossar, der Anhang mit Adressen von Verbänden sowie Literaturtipps.

Mich haben Buch und Autor sehr begeistert und ich habe mich bereits auf die Suche nach einem offenen Spieltreff in meiner Nähe gemacht.

Bewertung vom 27.03.2023
Leonard und Paul
Hession, Rónán

Leonard und Paul


ausgezeichnet

Der Stil des Iren Rónán Hession ist bescheiden und leise, sein Debütroman mutet zunächst ebenso ruhig - um nicht zu sagen: langweilig - an, wie das Leben seiner beiden Protagonisten. Leonard, Ghostwriter für Kinderenzyklopädien, lebt nach dem Tod seiner Mutter erstmals alleine. Und auch sein Freund Paul, seines Zeichens Aushilfspostbote, hat mit über 30 Jahren den Auszug aus seinem Elternhaus noch nicht geschafft.

Ich gebe zu, dass ich anfangs etwas mit dem Roman gehadert habe. Irgendwie wollte er so gar nicht in unsere (meine?) laute, hektische und schnelllebige Zeit passen. Aber nachdem ich mich dem Tempo der Geschichte angepasst und innerlich ein paar Gänge zurück geschaltet hatte, entdeckte ich eine zarte, intensive Erzählung voller Wahrheiten über zwischenmenschliche Beziehungen.

Hession seziert die komplexen Strukturen innerhalb einer Familie, bis klar zutage tritt, was deren Mitglieder zusammen hält. Er ist ein begnadeter Beobachter und er weiß schlau zu interpretieren. Und nicht zuletzt blitzt inmitten seiner Betrachtungen immer wieder feiner Humor auf.

Ich habe meine Vorurteile über Junggesellen, die noch bei den Eltern wohnen, revidiert und freue mich auf weitere Werke dieses vielversprechenden Autors.

Bewertung vom 13.03.2023
Das Kreuz der Hugenotten
Crönert, Claudius

Das Kreuz der Hugenotten


ausgezeichnet

Claudius Crönert führt seine Leser*innen mit diesem äußerst geglückten Historienroman ins Berlin um 1700. Am kurfürstlichen Hof ist das Geld knapp, das Herrscherpaar schielt nach der Königswürde und es wird reichlich intrigiert. Zwischen der deutschen Bevölkerung und den aus Frankreich geflohenen Hugenotten, die dort wegen ihres Glaubens verfolgt wurden, kommt es zu wachsenden Spannungen.

Reichlich Stoff also für einen guten, spannenden und facettenreichen Plot, und den liefert Crönert. Detailreich schildert er die Herausforderungen, die die Religionsflüchtlinge zu meistern haben. Man erfährt die Hintergründe ihrer Verfolgung und lernt überdies vieles über die Zunft der Lohgerber. An Spannung gewinnt die Geschichte unter anderem durch einen ominösen Todesfall und eine leidenschaftliche, heimliche Liebesbeziehung.

Der Stil ist fesselnd und informativ, ohne sich zu sehr in unwichtigen Einzelheiten zu verlieren. Besonders überzeugt haben mich die stimmige Entwicklung sowie die facettenreiche Charakterisierung der Figuren.

Ein winziger Kritikpunkt gilt der Ausstattung, hier habe ich ein Personenregister und ein Glossar vermisst, und auch ein Zeitstrahl wäre eine hilfreiche Ergänzung gewesen.

Doch auch so ist diese wundervoll erzählte Geschichte Unterhaltung auf hohem Niveau und ich spreche dafür gerne eine klare Empfehlung aus!

Bewertung vom 13.03.2023
Dolce Vita für die Seele
Helmstetter, Kristen

Dolce Vita für die Seele


gut

Der Klappentext verspricht nicht gerade wenig: "ein brillantes, zauberhaftes Leben", mehr Kreativität, Glück und Zufriedenheit und vieles mehr. Laut Bestsellerautorin Kristen Helmstetter ist der Schlüssel zu all dem erstaunlich simpel. Regelmäßige Selbstgespräche in ritualisierter Form, die allein durch die Kraft der positiven Gedanken das eigene Leben zum Guten hin verändern.

Obwohl ich eher spontan bin und mich Routinen schnell langweiligen, habe ich mich neugierig und mit großem Interesse auf die Methoden der "Self-Talks" eingelassen. Leider störte mich die (für viele US-Amerikaner*innen typische) extrem enthusiastische Ausdrucksweise, die bisweilen auch ins Esoterische abgleitet. Mit dem "hilfreichen Wispern des Universums" kann ich herzlich wenig anfangen, und auch auch Feenstaub und fliegende Glitzerteppiche sind außerhalb von Märchen oder Kinderbüchern nicht mein Fall. Zudem fand ich die zahlreichen Bezüge zu Filmen und Serien aus den U.S.A. wenig hilfreich, da ich viele davon nicht kenne. Und auch die Übersetzung ist an der ein oder anderen Stelle nicht optimal gelungen.

Inhaltlich hat die hübsch gestaltete Klappenbroschur einiges zu bieten: Interessante und vor allem höchst unterschiedliche Methoden, um kreativ(er) zu werden und positiv nach vorne zu sehen. Nicht alles wird jede*n ansprechen, aber Helmstetter bietet eine große Bandbreite an Ideen, aus der man sich Passendes auswählen kann. Hilfreich sind auch vorgefertigte Texte, die man - selbstverständlich gegebenenfalls auch persönlich abgeändert - sich zur Bestärkung laut vorlesen kann.

Life-changing waren meine Self-Talks bislang nicht, aber vermutlich habe ich sie dazu auch zu selten und unregelmäßig praktiziert. Daher meine Empfehlung vor allem für Menschen, die Freude an Ritualen haben und an die Kraft positiver Gedanken glauben.

Bewertung vom 28.02.2023
Fräulein Nettes kurzer Sommer
Duve, Karen

Fräulein Nettes kurzer Sommer


gut

Erfolgsautorin Karen Duve konzentriert sich mit ihrer Romanbiografie auf vier Jahre im Leben Annette von Droste-Hülshoffs (1817 - 1821), als diese Anfang bis Mitte Zwanzig ist. Man sollte meinen, dass der Fokus auf diese überschaubare Zeitspanne der Erzählung gut tut, schließlich hat Droste-Hülshoff, die zu den bedeutendsten deutschen Dichterinnen des 19. Jahrhunderts zählt, nicht nur ein umfangreiches Werk hinterlassen, sondern sowohl ihr Leben wie auch ihr Œuvre sind Gegenstand zahlloser Veröffentlichungen.

Doch "Fräulein Nettes kurzer Sommer" konnte mich nur in Teilen überzeugen. Wohl hat Duve ein detail- und kenntnisreiches Sittengemälde der Biedermeierzeit gezeichnet. Die Studenten "lassen es krachen", nachdem die französische Besatzung mit dem Sieg der Befreiungskriege ein Ende hatte und das deutsche Nationalbewusstsein wieder erstarkt. Das aufstrebende Bürgertum wird vom Adel in die "gottgewollten" Schranken gewiesen, die Aufklärung wird eher als Bedrohung der eigenen Privilegien empfunden. ("Das frühere Verhältnis des Gutsherren zu ihren Leibeigenen kann nur als wohltätig bezeichnet werden. Man ändert doch nichts, was sich so gut bewährt hat.") Gelungen webt die Autorin zeitgeschichtliche Ereignisse in den Alltag der Romanfiguren ein. So erfährt man von den verheerenden Missernten und der Hungersnot der Landbevölkerung, die der Ausbruch des Vulkans Tambora 1815 in der Folgezeit aufgrund des extremen Winters und der Starkregenfälle im Sommer verursachte. Auch vom sogenannten Mesmerismus habe ich mit Interesse gelesen, heutzutage würde man diese alternative Heilmethode wohl auf Esoterik-Messen finden. Gut unterhalten haben mich auch zahlreiche Auftritte bekannter Zeitgenossen Anettes, von Karl Drais, der auf der von ihm erfundenen Draisine den späteren Mörder August von Kotzebues über den Haufen fährt, bis zu Harry (nach seiner Taufe: Heinrich) Heine, den Brüdern Grimm oder Freiherrn von Knigge.

Viel zu kurz kommt meines Erachtens jedoch Titelfigur "Nette". Die extrem kurzsichtige junge Frau ist belesen und schlagfertig, sie mischt sich in männliche Konversation ein und vertritt ihre eigene Meinung, auch wenn diese vom Gegenüber abweicht. Damit entspricht sie so gar nicht dem Schönheitsideal einer jungen Adligen. Frauen sollen hübsch und simpel sein, auf keinen Fall zu intelligent. Wünschenswert sind weiterhin Sanftmut und Unterordnung unter die männliche Dominanz, ein Mangel an weiblichem Selbstbewusstsein wird geschätzt. All dies sucht man bei der jungen Nette vergebens, und zu allem Überfluss muss sie sich auch noch als Schriftstellerin betätigen. Damit setzt sie nach dem Urteil von Familie und Freunden ihre Weiblichkeit aufs Spiel. Lange behauptet sich Annette gegen die gesellschaftlichen Zwänge, doch eine niederträchtige Intrige von Familie und Freunden bricht ihren Widerstand und sie fügt sich. Dies ist erschütternd zu lesen, aber gleichzeitig kommt Annette in diesem Roman zu kurz. Es mutet seltsam an, dass gerade in einer Geschichte, die so voller Ungerechtigkeiten gegenüber Frauen strotzt, die Protagonistin weniger zu Wort kommt, als die männlichen Anverwandten und deren Freunde. Auch über Annettes Dichtung hätte ich gern mehr erfahren, über ihre Motivation zu schreiben, ihre Vorbilder usw.

Sprachlich ist die Erzählung sehr gelungen, nur leider schreitet die Handlung anfangs sehr zäh voran; erst in der zweiten Hälfte wird es ereignisreicher und spannend.

Fazit: Meine Empfehlung für alle, die sich ein Bild über die Biedermeierzeit verschaffen wollen, wer sich für die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff interessiert, für den gibt es bessere Bücher.

Bewertung vom 22.02.2023
Uns bleibt immer New York
Miller, Mark

Uns bleibt immer New York


weniger gut

Nach längerem habe ich es mal wieder mit sogenannter "Unterhaltungsliteratur" versucht - und wurde herb enttäuscht. Dabei klang der Plot recht vielversprechend und die Mischung aus Liebesgeschichte, Thriller und Familiendrama ist oft recht kurzweilig und liest sich flüssig. Zudem teile ich mit der Protagonistin die Leidenschaft für bildende Kunst.

Doch leider erfüllt "Uns bleibt immer New York" meine Ansprüche an einen guten Roman nicht. Mark Miller erzählt zu trivial, die Figuren sind klischeehaft und entwickeln sich nicht. Wenn dann noch Sach- und Grammatikfehler hinzukommen, leidet meine Lust am Lesen. (Wenn es in New York 15:13 Uhr ist, dann ist die Zeit in Paris eben nicht 9:13 Uhr, sondern 21:13 Uhr! Ein Gesicht kann nicht eindimensional wirken, sondern höchstens zweidimensional, usw.)

Gut gefallen haben mir anfangs sowohl die den kurzen Kapiteln vorangestellten Zitate aus Liedtexten - die Songs finden sich im Anhang als Playlist - wie auch die zahllosen Referenzen zu Gemälden, Filmen, TV-Serien oder Literatur. Doch leider übertreibt Miller es hier, die Zitate und Anspielungen häufen sich extrem und treten oft ohne erkennbaren Bezug zur Geschichte auf und stellen keinen wirklichen Mehrwert dar. Vielmehr kam es mir vor, als ob der Autor mit seinem Wissen in Kunst und Medien glänzen wollte. Mit Verwunderung habe ich das Kurzinterview auf der Innenseite der Klappenbroschur gelesen. Hier erfährt man nämlich nicht nur, dass Mark Miller ein Pseudonym ist, sondern auch, dass der Autor seine wahre Identität verheimlicht, weil in seinem Umfeld "unterhaltsame Liebesgeschichten" nicht gern gesehen sind. Nun, wirklich unterhaltsam fand ich die Story nur teilweise, und dass der Autor nicht zu seinem Werk steht, macht es für mich noch fragwürdiger.

Bewertung vom 18.02.2023
Lichte Tage
Winman, Sarah

Lichte Tage


ausgezeichnet

Wow, was für eine Kraft! Diese Story hat mich verzaubert, zutiefst berührt und aufgewühlt. Ich habe die gerade einmal 230 Seiten fast in einem Rutsch gelesen und hatte am Ende Lust, gleich noch einmal von vorne zu beginnen.

Die britische Schauspielerin und Romanautorin Sarah Winman erzählt von Liebe und Freundschaft, von ungelebten Träumen und erfüllten Sehnsüchten, von Menschen, die in gesellschaftlichen Zwängen feststecken, und von anderen, die sich davon lossagen und aufbrechen, aber damit auch Familie und Freunde zurück lassen und verletzen.

Der Roman gliedert sich in zwei Hauptteile. Im ersten steht Fabrikarbeiter (und verhinderter Künstler) Ellis, im zweiten Schriftsteller Michael im Mittelpunkt. Anhand vieler Rückblicke zeichnet sich nach und nach ein Bild der intensiven Freundschaft der beiden ab, in der auch die gleichgeschlechtliche Liebe Platz findet. Das ändert sich, als Ellis sich in eine Frau verliebt, aber die drei sind einander innigst freundschaftlich verbunden. Jedenfalls bis zur Hochzeit von Annie und Ellis, danach zieht sich Michael zurück, bricht den Kontakt ab, zieht von Oxford nach London und taucht in die dortige schwule Szene ein.

Scheinbar mühelos gelingt es Winman, Personen, Szenerien und Stimmungen so deutlich herauszuarbeiten, dass man förmlich meint, das Beschriebene selbst erlebt zu haben. Atemlos erinnerte mich die Lektüre an die übermächtige Bedrohung, die AIDS in den 1980ern darstellte, an das furchtbare, massenhafte und qualvolle Sterben junger Männer, eng verknüpft mit Scham und Tabuisierung.

Es ist eine tieftraurige Geschichte, einfach wunderbar erzählt.

Bewertung vom 14.02.2023
Malvenflug
Wiegele, Ursula

Malvenflug


gut

Ursula Wiegeles neuestem Roman liegt eine fundierte Recherche zugrunde, die Respekt verdient. Es gefällt mir, dass sie durch ihr Buch die einzelnen Schicksale der vielköpfigen österreichischen Familie Prochazka während und nach dem zweiten Weltkrieg nicht in Vergessenheit geraten lässt, dass sie die Geschichte lebendig werden lässt.

Denn sicher frage nicht nur ich mich in Bezug auf die NS-Diktatur immer wieder: Wie konnten derartig unmenschliche Grausamkeiten in unvorstellbarem Ausmaß nur geschehen? Doch leider liefert "Malvenflug" darauf keine Antworten. Zwar gibt es im ersten Teil zahlreiche Perspektivwechsel, doch so richtig nahe kam mir keine der Figuren. Dafür taten sich immer neue Fragen auf: Wie ging es der Mutter damit, während ihrer Anstellung in einem Schweizer Hotel so lange getrennt von ihren Kindern zu sein, welche Ängste musste sie während des Kriegs ausstehen, warum blieb sie auch nach Kriegsende noch lange fern der Heimat? Wieso unterstützte sie ein Kind ihres Ex-Mannes aus zweiter Ehe finanziell? Auch Großeltern und die vielen Kinder bleiben recht farblos, zu distanziert und nüchtern ist der Erzählstil, ich konnte keine Beziehung zu den Figuren aufbauen. Ich musste fast bis zum Romanende immer wieder zum (glücklicherweise) vorangestellten Personenregister vorblättern, um den Überblick nicht völlig zu verlieren. Der Alltag bleibt fragmentarisch, für Gefühle ist wenig Platz, Beweggründe sucht man vergebens. An den ersten, episodenhaften Teil schließt Wiegele eine Erzählung an, die sie ausschließlich in einem Rückblick aus Sicht der ältesten Tochter erzählt. Doch auch hier wird das meiste nur angerissen, mir fehlt leider Tiefgang.

Fazit: Zu wenige Buchseiten für derart viele Lebenswege.

Bewertung vom 09.02.2023
Phlox
Schmidt, Jochen

Phlox


gut

Wir begleiten Schmidts Protagonisten Richard in diesem Roman auf einer Reise in das fiktive Örtchen Schmogrow im Oderbruch, genauer gesagt in das Haus des Ehepaars Taziet. Diese vermieteten jahrzehntelang Zimmer an Feriengäste, und so taucht Richard schon bei der Anfahrt tief in Kindheitserinnerungen ein.

Dies ist sehr unterhaltsam, vor allem wenn der recht eigene Witz durchschimmert, etwa bei der Erklärung, dass heutzutage viel mehr Doppelnamen für den Nachwuchs vergeben würde, da die Paare insgesamt einfach weniger Kinder bekommen. Und Schmidt flicht sehr geschickt geschichtliche Hintergründe ein, fast beiläufig liest man von den Schrecken des zweiten Weltkriegs und den Schattenseiten der DDR-Zeit. Es gibt kluge Gedanken, wie den, dass die Kunst ihre Aufgabe, den menschlichen Körper zu idealisieren, an den Sport verloren hat.

Doch leider habe ich mich über weite Strecken sehr durch den Roman gequält, was vor allem am Schreibstil lag. Schmidt neigt zu schier endlosen Schachtelsätzen, die sich schon mal über knapp eine Seite ziehen können. Er kommt vom Hundertsten ins Tausendste, so dass ich meinen Blick oft suchend zurück zum Satzanfang wenden musste, um das Ende zu verstehen. Einerseits hat das einen gewissen Reiz, denn so funktionieren Erinnerungen ja oft, Bruchstücke tauchen auf und ein Gedanke führt zum nächsten. Aber andererseits ist das als Lektüre wirklich herausfordernd, es hat meine Geduld sehr auf die Probe gestellt. Auch bei Aufzählungen übertreibt der Autor gerne. Wo mir drei oder meinetwegen auch fünf Beispiele für etwas reichen würden, reiht er Dutzende Eigenschaften, Schlagworte oder Satzteile aneinander. Ich fühlte mich durch diese schiere Masse wie erschlagen und hatte manchmal das Gefühl, "vor lauter Bäumen den Wald nicht zu sehen". Ähnlich wie bei einem Wimmelbild, bei dem man bei der Betrachtung der unzähligen kleinen Details auch nur schwer die ganze Bildkomposition erfassen kann.

Ein weiteres Detail, an dem ich mich persönlich gestört habe, ist der Gebrauch des Buchtstabens "ß". Mag sein, dass der Autor durch die Rückkehr zur deutschen Schreibweise vor der Reform 1996 auch orthografisch die Reise in die Vergangenheit abbilden wollte - ich kann dem Ganzen nichts abgewinnen und möchte lieber "dass" als "daß" lesen.