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Benutzername: 
takabayashi
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Berlin
Über mich: 
Vielleser

Bewertungen

Insgesamt 150 Bewertungen
Bewertung vom 05.03.2019
Ein Tropfen vom Glück
Laurain, Antoine

Ein Tropfen vom Glück


ausgezeichnet

Reizvolle Pariser Variante des Zeitreise-Sujets
Es beginnt mit einer UFO-Sichtung durch einen französischen Winzer im Jahr 1954 und dem Verschwinden dieses Mannes im Jahre 1978, nachdem er am Vortag mit seinen Enkeln den Film "Unheimliche Begegnung der dritten Art" angeschaut und daraufhin zur Feier des Tages eine Flasche 1954er Wein geköpft hatte. Dann lernen wir den Amerikaner Bob Brown kennen, der 2017 endlich seinen Lebenstraum verwirklicht, nach Paris zu fliegen. Allerdings leider ohne seine Frau Goldie, die erkrankt ist und im Koma liegt. Und in Paris treffen wir die junge Restauratorin Magalie, die aussieht wie Abby aus der Fernsehserie Navy CIS; ihren schüchternen Nachbarn den Barkeeper Julien, der heimlich in sie verliebt ist; und schließlich Hubert Larnaudie, den letzten Angehörigen der Familie, die das Pariser Bürgerhaus, in dem 2017 unsere vier Protagonisten zusammentreffen, ursprünglich erbaut hat.
Hubert war im Keller gewesem und dabei war ihm zufällig eine Flasche Wein aus dem Jahre 1954 aufgefallen. Plötzlich hörte er Geräusche - ein Einbruch in einem Nachbarkeller! Die Diebe, die ihn auch bemerkt hatten, schlossen ihn ein und flohen. Die anderen 3 Hausbewohner (Bob war über Airbnb dorthin gelangt) retteten ihn und man trank zur Feier des Tages den Rotwein aus dem Jahre 1954. Danach trennten sie sich, aber am nächste Morgen war alles anders ... Die Vier realisieren nach und nach alle, dass sie im Paris des Jahres 1954 gelandet sind. Julien ist übrigens ein Enkel des besagten verschwundenen Winzers, hat sich mit dem Thema UFOs ausgiebig beschäftigt und hat eine Idee, wen man um Rat fragen kann, um ins Jahr 2017 zurückzukehren. Das Ganze erinnert ein wenig an Woody Allens MIDNIGHT IN PARIS, die Erlebnisse und das Zusammentreffen mit berühmten Zeitgenossen wie u.a. Edith Piaf und Jean Gabin lesen sich äüßerst amüsant, ein ausgesprochener Feelgood-Roman, jedoch nicht ohne Tiefgang. Durch dieses außergewöhnliche Ereignis erschüttert, machen sich die vier Reisegenossen auch Gedanken über ihr Leben und diese Zeitreise wird sie und ihr Lebenskonzept nachhaltig verändern. Für einen von ihnen geschieht sogar ein veritables Wunder. Ein unterhaltsames, liebenswertes und warmherziges Buch!

Bewertung vom 05.03.2019
Lago Mortale / Simon Strasser Bd.1
Conti, Giulia

Lago Mortale / Simon Strasser Bd.1


sehr gut

Richtig netter Regionalkrimi
Genau meine Art von Krimi: Viel Lokalkolorit, etwas Humor, ein spannender, aber nicht allzu brutaler Mordfall.
Ein guter Einstieg in eine neue Krimireihe: der sympathische Protagonist, Simon Strasser, lebt am Lago d’Orta im Piemont, einer Gegend, die von Regionalkrimis bislang - soweit ich weiß - noch nicht behandelt wurde. Er kommt aus Deutschland, hatte aber eine italienische Mutter. Seine Tätigkeit als Polizeireporter in Frankfurt wurde ihm zu stressig, so dass er sich seinen Traum erfüllte ins Piemont umzusiedeln, wo er nun als freier Journalist für diverse deutsche Zeitungen schreibt. Bei ihm lebt die erwachsene Tochter seiner ehemaligen Lebensgefährtin, die ihn quasi als Vater betrachtet.
Simon wundert sich über eine anscheinend herrenlos auf dem See herumschlingernde Yacht, fährt mit dem Kanu dorthin und entdeckt die Leiche des Sohnes einer ortsansässigen Unternehmerdynastie, der ein sehr guter und erfahrener Segler war. Unfall oder Mord? Simon ruft die Polizei, aber seine eigene Spürnase hat nun auch die Witterung aufgenommen.
Er forscht selber nach und ist der charmanten Kommissarin, die er sehr mag, immer ein paar Schritte voraus. Dabei unternimmt er mit einem Journalistenfreund ausgiebige Touren durch das Piemont. Im rasanten Finale wird es sehr spannend und Simon, der sich recht leichtsinnig in Gefahr gebracht hat, kommt gerade noch einmal davon.
Der Fall wird komplett aufgeklärt, es bleiben keine Fragen offen. Da dies der erste Fall einer Serie ist, lernen wir Simon und sein Umfeld ausführlich kennen. Mir hat dieses sehr flüssig geschriebene, gut lesbare Krimidebut sehr gut gefallen. Nichts für hard-boiled Fans vermutlich, aber für Cosy-Freunde eine klare Leseempfehlung.

Bewertung vom 01.03.2019
Die Leben danach
Pierce, Thomas

Die Leben danach


weniger gut

Hat mir die Leselust genommen!
Der erst dreiunddreißigjährige Jim Byrd bekommt nach einem fünfminütigen Herzstillstand ein HeartNet, einen implantierten Defibrillator, modernste Spitzentechnologie. Jim ist enttäuscht, dass er gar keine Erinnerungen an diesen Zustand hat, kein Licht am Ende des Tunnels, keine typischerweise berichteten Nahtod-Erfahrungen - nichts! Er hat das Gefühl, jetzt mehr aus seinem Leben machen zu müssen, keine Zeit zu verschwenden. So geht die Geschichte los, geschrieben in einem entspannten, gut lesbaren, launigen Schreibstil. Leider kann das, was danach folgt, die Versprechen des Anfangs und des Verlagstextes nicht halten. Noch selten habe ich mich so durch einen Text gequält – normalerweise lese ich gern, viel und schnell, aber hier musste ich mich regelrecht dazu zwingen, weiterzulesen und habe schließlich irgendwo nach der Hälfte dann doch aufgegeben. Die Kirche der Suchenden mit ihren Hologrammen, die Geistersuche im Tex-Mex-Restaurant, der brennende Hund, die Beziehung zu seiner Mutter – das alles wirkte so wirr und ich wartete vergeblich auf ein Element, das dies alles zusammenführt und erklärt. Auch Jims Leben mit Annie und ihrer Tochter erschien mir trostlos und langweilig, nichts von Aufbruchstimmung nach dem Nahtod-Erlebnis. Ich kann nicht entschlüsseln, was der Autor eigentlich aussagen will. Ich sehe, dass es auch diverse 4 + 5 – Sterne-Rezensionen gibt, der Roman also durchaus bei manchen Lesern ins Schwarze trifft, aber ich kann ihn leider nicht empfehlen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.02.2019
Allee unserer Träume
Gerold, Ulrike;Hänel, Wolfram

Allee unserer Träume


gut

Etwas holzschnittartig

Der Klappentext klang nach einer richtig guten Geschichte aus dem 20. Jahrhundert. Gerade auch weil sie vorwiegend in (Ost-)Berlin handelt, interessierte die Geschichte mich als (West-)Berlinerin besonders.
Die Hauptperson ist Ilse Schellhaas, 1922 in Thüringen geboren. Sie und ihre Schwester Marga wachsen nach der Scheidung der Eltern bei der Mutter auf, aber Ilse hängt auch sehr an ihrem Vater, einem Architekten und Bauunternehmer, den sie bewundert und von dem sie die Leidenschaft für die Architektur übernommen hat. Sie setzt sich gegen einen gewissen familiären Widerstand durch, macht Abitur, geht zum Studium nach Weimar und gerät dann in die Wirren der Nazizeit und des zweiten Weltkrieges.
Der Roman spielt abwechselnd auf 2 Zeitebenen: einerseits im Ostberlin der Jahre 1950 - 53, als es Ilse gelingt, ins Planungskollektiv für die erste sozialistische Prachtstraße - die Stalin- bzw. später dann Karl-Marx-Allee - aufgenommen zu werden; andererseits in Rückblicken auf Ilses Entwicklung und Schicksal ab dem Jahr 1932.
Die Grundidee ist sehr gut und die Geschichte historisch interessant, aber die Umsetzung vermochte mich nicht immer zu fesseln, manche Passagen zogen sich recht zähflüssig in die Länge. Im Vordergrund stehen immer Ilse und die Bauarbeiten, denen Ilse sich mit Leib und Seele voller Begeisterung verschrieben hat. Aber es gibt auch zahlreiche andere Figuren, deren Leben mit dem Ilses verwoben ist, die aber oft wie am Reißbrett entworfen wirken und jeweils eine Funktion für den Fortgang der Geschichte haben. Das ist gewiss in Romanen häufiger der Fall, aber hier nehmen sie leider oft nicht wirklich Konturen an, erwachen nicht zum Leben. Die Lektüre von Richard Dübells Jahrhundertsturm-Trilogie hat mich für das Genre der historischen Romane begeistert, er versteht es meisterhaft, historische Fakten und Personen mit fiktiven menschlichen Schicksalen in genau der richtigen Balance zu verbinden, so dass man viel über die jeweilige Epoche erfährt, aber sich auch mit den Protagonisten identifizieren, mit ihnen mitfiebern und sich mit ihnen freuen kann. Diese Qualität habe ich hier vermisst, ich habe mich eher wie ein distanzierter Beobachter gefühlt. Bei Dübell war ich ganz traurig, wenn das Buch zuende war (obwohl mit 700 - 1000 Seiten sehr voluminös), hier habe ich immer mal wieder überprüft, wie viele von den 550 Seiten ich denn noch vor mir hatte...
Der Roman wirkte mit zu vielen Themen, Ereignissen und Personen auch etwas überfrachtet, die Bauarbeiten z.B. nahmen eine etwas zu beherrschende Rolle ein im zweiten Teil und eine gewisse Straffung und Kürzung hätte dem Roman möglicherweise gut getan.
Trotzdem ist es kein schlechtes Buch, die Geschichte, die sich an das Leben der Mutter des männlichen Teils des Autorenpaares anlehnt, ist durchaus interessant, nur die menschlichen Schicksale erschienen mir hin und wieder zu konstruiert und ließen mich auch häufig kalt.

Bewertung vom 06.01.2019
Stella
Würger, Takis

Stella


gut

Gut geschrieben, jedoch keine erbauliche, sondern eher bedrückende Lektüre
Der junge Schweizer Friedrich hat einen liebevollen Vater und eine ehrgeizige deutsche Mutter, eine Alkoholikerin mit nationalistischen Tendenzen. Sie wünscht sich, dass Friedrich ihren unerfüllten Traum von einer Karriere als Malerin erfüllt. Doch nach einem Unfall ist Friedrich absolut farbenblind. Dennoch macht er sich als junger Mann auf ins Berlin des zweiten Weltkriegs, um dort Zeichenunterricht zu nehmen und trifft dort auf Kristin, die in der Zeichenschule Modell steht. Sie ist lebenslustig und geheimnisvoll und er verliebt sich in sie. In dem Tanzlokal, in das sie ihn führt, lernt er Tristan von Appen kennen und freundet sich mit ihm an, muss dann allerdings feststellen, dass dieser durch und durch Nazi ist. Und auch Kristin ist nicht, wer sie zu sein scheint, sie hat ihn über ihre Identität belogen, heißt eigentlich Stella, ist Jüdin und hat - allerdings zumindest zuerst unter starkem Druck von außen - große Schuld auf sich geladen: sie ist eine Verräterin und Nazi-Kollaborateurin.
Die Protagonistin ist an eine real existierende Person angelehnt, durch eingeschobene Protokolle von Zeugenaussagen aus den Auschwitzprozessen gewinnt der Roman eine gewisse dokumentarische Qualität. Aber leider werden in dem relativ kurzen Roman die Motivationen für die Handlungsweisen der drei Hauptfiguren nicht klar nachvollziehbar. Würger schreibt gut, die Aufarbeitung der Vergangenheit ist immer noch wichtig und die Handlung vermag auch die Spannung aufrecht zu erhalten. Ich fühlte mich jedoch bei der Lektüre immer unbehaglicher, was vom Autor durchaus beabsichtigt sein mag; aber ich muss gestehen, dass ich lieber erfreulichere Romane lese, die mich beglücken, wie z.B. Amor Towles' "Ein Gentleman in Moskau". Und auch das Erstlinswerk von Takis Würger "Der Club" hat mir erheblich größeres Vergnügen bereitet. Daher von mir keine uneingeschränkte Leseempfehlung: Man sollte wissen, worauf man sich bei diesem Buch einlässt!

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.01.2019
Die Plotter
Kim, Un-Su

Die Plotter


gut

Aus dem Leben eines koreanischen Auftragsmörders. Kein Krimi
Nach einem fulminanten Einstieg, in dem ein Auftragskiller mit Selbstzweifeln und Ladehemmung von seinem potentiellen Opfer zu einem Abend mit Essen und Whiskey am warmen Feuer eingeladen wird, sich dort sich sehr wohlfühlt und den freundlichen alten Mann dann doch am nächsten Morgen erschießt, hat der Roman, den ich nicht als Krimi oder Thriller empfinde, leider ziemlich nachgelassen.
Raeseng wurde als Säugling von Old Racoon aus dem Waisenhaus geholt und als Auftragsmörder aufgezogen. Seine Karriere begann er mit 17, ohne sie zu hinterfragen hat er seine Aufträge ausgeführt und ist dabei zum Meister geworden. Bis er dann einmal von dem vorgefertigten Plan der Plotter abwich und einen Mord anders ausführte als geplant. Seitdem steht er selbst auf der Abschussliste!
Die Zeiten haben sich auf dem "Fleischmarkt" geändert, aufgrund einer veränderten politischen Struktur gibt es nicht mehr so viele Auftragsmorde, Old Racoon ist alt geworden und hat viel von seiner Macht verloren und ein neuer Stern namens Hanja steigt am Plotterhimmel auf. Auch er ein Zögling von Old Racoon, der seinem Ziehvater aber nun Konkurrenz macht.
Raeseng ist orientierungslos, einen Ausbruchsversuch aus dem Killerleben bricht er wieder ab, so ganz bin ich nicht dahintergestiegen, was er eigentlich will.
Es treten einige interessante Nebenfiguren auf, der Schreibstil ist gut lesbar, aber es fehlt doch an Spannung und an mancherlei Erklärungen. Nach dem vielversprechenden Anfang war ich etwas enttäuscht vom weiteren Verlauf des Buches und mir wurde nicht klar, was der Autor uns damit eigentlich sagen will. Ich fremdele eigentlich nicht mit Büchern und Filmen aus Japan und Korea, im Gegenteil, aber hieraus bin ich irgendwie nicht schlau geworden.

Bewertung vom 05.12.2018
Lenz / Kommissar Eschenbach Bd.6
Theurillat, Michael

Lenz / Kommissar Eschenbach Bd.6


ausgezeichnet

Politthriller? Untypischer Krimi, eher ein spannender und mysteriöser Roman über die Gemengelage der heutigen Welt
Der Prolog - eine Reflektion über Menschen, die anders als die anderen sind - wirkte gar nicht wie ein Krimi. Aber dann geht es weiter mit der Versteigerung einer Nobelpreismünze bei Christie's, der titelgebende Herr Lenz telefoniert über ein altmodisches, schwarzes Bakelittelefon mit Wählscheibe, das jedoch mit modernster Sicherheitstechnik aufgerüstet wurde mit seinem alten Freund Walter, der sehr krank ist und kaum noch aus dem Haus geht, und Lenz um einen kleinen Gefallen bittet. Lenz soll einer alten Freundin einen Umschlag übergeben. Er hat früher im Archiv der Züricher Kripo gearbeitet, daher kennt er den Kommissar Eschenbach, einen der wenigen Kollegen, mit denen ihn eine persönliche Sympathie verbindet.
Ewald Lenz, Walter Habicht und Isabel Cron kennen sich seit ihren Studententagen an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, alle drei sind hochintelligent und brillant, haben aber nicht die von ihnen erwartete große Wissenschaftskarriere gemacht. Lenz und Habicht waren beide in Isabel verliebt, aber Lenz hat aus Mitleid mit dem kleinwüchsigen Habicht einen Rückzieher gemacht und hat Isabel seit nunmehr 40 Jahren nicht mehr gesehen.
Kommissar Eschenbach kehrt nach mehrmonatiger Auszeit bei seiner Tochter in Kalifornien wieder in sein Präsidium zurück. Er hat seiner Tochter einen längeren Besuch abgestattet, fühlt sich erfrischt und gestärkt, merkt aber, dass sich die Atmosphäre unter den Kollegen inzwischen verändert, bzw. verschlechtert hat, was vor allem an seiner jungen Stellvertreterin Ivy Köhler zu liegen scheint. Ein aktueller Fall soll schnell abgeschlossen werden, es scheint sich um einen natürlichen Tod gehandelt zu haben, aber Eschenbach entdeckt Unstimmigkeiten und hakt nach.
Der Roman wird abwechselnd aus Lenz‘ und Eschenbachs Perspektive erzählt, es ist kein typischer Whodunnit mit Mord, Spurensuche und Beweisen, jedoch fand ich ihn außerordentlich spannend. Bevölkert von interessanten Charakteren mit ungewöhnlichen Lebensläufen, Einsichten über die Machenschaften von Regierungsorganisationen und Geheimdiensten, von außen angezettelte Kriege, die letztlich nur dazu dienen sollen, die Versorgung Europas und der USA mit Erdöl und Erdgas zu gewährleisten. Und eine sehr ausdrucksstarke Sprache, ein gut zu lesender Schreibstil. Mit der üblichen Krimikost nicht zu vergleichen und daher vermutlich nicht jedermanns Sache, aber mir hat die Lektüre sehr gut gefallen.

Bewertung vom 28.11.2018
Deutsches Haus
Hess, Annette

Deutsches Haus


sehr gut

Vergangenheitsbewältigung
Interessant verpackte Geschichtslektion! Die junge Frankfurter Gastwirtstochter und Dolmetscherin Eva Bruhns wird zufällig als Übersetzerin beim ersten Auschwitzprozess eingesetzt. Beim ersten Vortermin ist sie noch ganz naiv und versteht nicht, worum es eigentlich geht. Sie ist zu dem Zeitpunkt eher daran interessiert, dass ihr Freund bei ihrem Vater um ihre Hand anhält.
Doch je mehr sie sich damit beschäftigt, desto mehr ist sie involviert und empört über das, was in Auschwitz passiert ist und von weiten Kreisen der Bevölkerung immer noch geleugnet wird. Gegen den Wunsch ihrer Eltern und auch ihres Verlobten beschließt sie, den ganzen Prozess als Dolmetscherin zu begleiten. Diese Erfahrung verändert sie und lässt sie reifen. Außerdem entdeckt sie, dass auch ihre Familie am Rande in die Naziverbrechen verwickelt war, was zum Zerwürfnis mit ihren Eltern führt.
Wie schon in den Fernsehspielen Kudamm 56 und 59 ist es der Autorin hervorragend gelungen, die Atmosphäre der Zeit (hier die mittleren 60er Jahre) zu erfassen. Man kann es kaum glauben, dass im Jahr 1964 ein Ehemann (hier ist es sogar nur ein Verlobter, also ein zukünftiger Ehemann) noch das Recht hatte, ein Arbeitsverhältnis seiner Frau zu kündigen! Die Zeugenaussagen über die Gräueltaten sind ergreifend, nicht nur für die Protagonistin Eva, sondern auch für den heutigen Leser. Durch die Verknüpfung mit Evas Geschichte ist das keine dröge Geschichtslektion, sondern eine spannende, zeitgeschichtliche Erzählung. Angesichts der momentanen politischen Entwicklungen ist dies der richtige Roman zur richtigen Zeit - sehr zu empfehlen!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.11.2018
Der Mann am Grund
Procházková, Iva

Der Mann am Grund


sehr gut

Melancholischer Krimi mit Niveau
Wer hat "das Dreckschwein" umgebracht? Das Dreckschwein ist ein korrupter Polizist, dem kein Mensch nachtrauert. Es gibt viele Menschen, die er unter Druck gesetzt und deren Leben er zur Hölle gemacht hat.
Der Prager Kommissar Marián Holina, dem gerade ein neuer, junger Mitarbeiter als Partner zugeteilt wurde, stößt auf einen Wust von Spuren. Am Wochenende zuvor hatte er gerade seine Geliebte Sabina - pikanterweise die Frau eines Kollegen - zu einer Konferenz über Astrologie begleitet. Es hat ihn sehr beeindruckt, dass man auch in der Kriminalistik Horoskope zu tieferer Einsicht in die an einem Verbrechen beteiligten Persönlichkeiten verwenden kann. Bei seinen Kollegen stößt er mit seinen neuen Ideen allerdings eher auf Spott.
Holina und sein Partner kommen nicht voran, die Spuren passen hinten und vorne nicht zusammen. Zum Kreis der Verdächtigen gehören unter anderem ein Marihuana-Züchterpärchen, ein renommierter Architekt und dessen kubanische Ehefrau, Inhaberin einer Sprachenschule. Ich habe bis ganz kurz vor Ende nicht geahnt, wer nun wirklich der Täter ist, es bleibt spannend bis zum Schluss. Der Schreibstil liest sich sehr gut und die beiden Ermittler sind sympathisch, nur ein wenig mehr Prager Lokalkolorit hätte ich mir gewünscht!

Bewertung vom 27.10.2018
Stern des Nordens
John, D. B.

Stern des Nordens


ausgezeichnet

Spannender Politthriller mit viel Hintergrundinformationen über Nordkorea
Wann immer ich auf ein Buch oder einen Film mit dem Thema Nordkorea stoße, bin ich sofort fasziniert. Entsprechend reizte mich ein Thriller vor der Kulisse dieses geheimnisvollen und undurchsichtigen Landes.
Das Buch beginnt mit dem Protokoll eines Ereignisses aus dem Jahre 1998, bei dem ein koreanischer Student und eine halbkoreanische Studentin mit amerikanischem Pass an einem Strand Südkoreas verschwinden. Dann geht es weiter im Jahr 2010 in Washington DC, wo die 30jährige Dozentin Jenna Williams von einem Freund ihres verstorbenen Vaters kontaktiert wird, der sie als Agentin für die CIA anwerben will. Jenna ist die Schwester der 1998 verschwundenen Studentin und ihr Vater ist Afroamerikaner, ihre Mutter Koreanerin. Ihr Schicksal ist verwoben mit dem des Parteifunktionärs Cho und dem der Bäuerin Moon.
Die drei Handlungsstränge um diese Protagonisten wechseln sich ab und das liest sich sehr spannend und informativ. Vor allem eins wird deutlich: das nordkoreanische Volk wird mit Angst beherrscht, und das trifft für jeden zu, sei es eine arme Bäuerin, die ums tägliche Überleben kämpfen muss, sei es ein priviligierter Kader, der auch jederzeit in Ungnade fallen kann. Auf der einen Seite große Not und Armut, auf der anderen Seite extremer Luxus für die regierende Dynastie und ihre Höflinge. Grausame Arbeitslager, unter Folter erzwungene Geständnisse, Eliteinstitute für halbkoreanische Kinder, die später als Spione ausgesandt werden sollen, Gehirnwäsche für alle - ein Schreckensregime, aus dem es so gut wie kein Entkommen gibt. Bei all dem ist das Buch jedoch vor allem ein spannender Thriller, den man kaum aus der Hand legen kann. Von mir unbedingte Leseempfehlung!