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Havers
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Bewertungen

Insgesamt 1378 Bewertungen
Bewertung vom 21.07.2022
How to kill your family
Mackie, Bella

How to kill your family


gut

Der Ausgangspunkt für Bella Mackies „How to kill your family“ ist eine simple Lovestory: Eine außereheliche Affäre bleibt nicht ohne Folgen, der reiche Schnösel entzieht sich der Verantwortung, kehrt in den Schoß der feinen Familie zurück, die Mutter kämpft ihr gesamtes Leben mit dieser Zurückweisung und Enttäuschung und packt dieses Trauma auf die Schultern des Kindes, das im Laufe der Jahre einen eigenen Weg findet, damit umzugehen.

Grace, das ehemalige Kind, ist mittlerweile erwachsen. Und Grace sitzt momentan für einen Mord, den sie nicht begangen hat, hinter Gittern. Aber sie ist dennoch nicht unschuldig, hat Blut an den Händen. Ihre Enttäuschung über den abwesenden Vater hat sich in Hass verwandelt. Sie hat beobachtet, akribisch geplant und schließlich die Familien ihres Vaters getötet. Sie ist zwar damit davongekommen, sitzt jetzt aber dennoch in einer Zelle, mag mit den Mithäftlingen nicht reden und schreibt deshalb einen Rückblick auf ihr Leben.

Dabei versorgt sie die Leser nicht nur mit Einzelheiten zu ihren Taten, sondern schwadroniert zusätzlich endlos über alles, was ihr gerade so durch den Kopf geht. Männer, Millenials, Babyboomer, die Reichen und den allgemeinen Zustand der Welt. Way too much. Anfangs mögen ihre rotzigen und durchaus auch schwarzhumorigen Kommentare ja noch einen gewissen Charme haben, aber mit ansteigender Seitenzahl werden diese zunehmend ermüdender und man möchte ihr nur noch ein entnervtes Komm-endlich-auf-den-Punkt zurufen. Dazu kommt diese unglaubliche Arroganz, gepaart mit unterschwelligen Hassgefühlen gegenüber allen und jedem, die aus ihren Bemerkungen spricht und mich absolut nicht für ihre Person einnehmen konnte. Als Gesamtbild betrachtet lassen ihre Auslassungen eher die Vermutung zu, dass es sich bei Grace um eine Soziopathin handelt, die im Erwachsenenalter keinen Weg gefunden hat, sich von den Verletzungen der Kindheit zu befreien.

Bewertung vom 20.07.2022
Saftig vom Grill
Mangold, Matthias F.

Saftig vom Grill


weniger gut

Sommerzeit ist Grillzeit, und wie jedes Jahr erscheinen neue Kochbücher zu diesem Thema. Nun also „Saftig vom Grill“ aus der GU Reihe Magic cooking. Was an den Rezepten allerdings magisch sein soll, erschließt sich mir nicht. Die Gerichte sind samt und sonders fleischlastig und wenig innovativ. Standard, sozusagen, und ambitionierte Grillmeister/innen werden hier wenig Anregung finden. Alles in allem eine völlig überflüssige Rezeptsammlung.

Hier kommt allerdings ein weiteres großes Manko hinzu, denn die Rezepte setzen den Besitz eines Gasgrills voraus. Natürlich könnte man einwerfen, dass es ganz gleich ist, welchen Grill man zur Zubereitung benutzt. Leider ist dem nicht so, denn insbesondere wenn es um das Thema indirekte Hitze geht, fällt schon einmal ein Großteil der Hobbygriller/innen weg. Es sei denn, sie haben einen ausreichend dimensioniert Grill mit einer regulierbaren Haube, auf dessen Grundfläche das entsprechende Grillgut je nach benötigter Hitze einen Platz finden kann. Und seien wir doch mal ehrlich, wenn es um den Geschmack geht, ist der Holzkohlegrill dem Gasgrill meilenweit überlegen.

Wer ein Kochbuch für die Zubereitung leckerer Grillgerichte sucht, sollte zu der Grillbibel, dem Klassiker, greifen. Dann bleibt die Enttäuschung erspart.

Bewertung vom 20.07.2022
Die Hennakünstlerin / Jaipur Bd.1
Joshi, Alka

Die Hennakünstlerin / Jaipur Bd.1


ausgezeichnet

Wenn ein Roman auf Reese Witherspoons Auswahlliste landet, ist das zumindest in den Vereinigten Staaten ein Garant dafür, dass in kürzester Zeit dessen Verkaufszahlen durch die Decke gehen. So auch geschehen mit „Die Hennakünstlerin“, dem Debüt von Alka Joshi, in dem uns die amerikanische Autorin auf eine farbenprächtige Reise in ihr Geburtsland Indien mitnimmt.

Im Mittelpunkt der Handlung steht Lakshmi Sastri, die titelgebende Hennakünstlerin, die im postkolonialen Indien der fünfziger Jahre eine folgenschwere Entscheidung für ihre Zukunft fällt. Indien ist ein Land voller Gegensätze. Aber über der üppigen, farbenprächtigen Vegetation und den beeindruckenden Bauwerken sollte man nicht nur die Slums in den Großstädten nicht vergessen. Wir erinnern uns, ist Indien nicht das Land, in dem in den ländlichen Regionen bis zum heutigen Tag der Brauch der Witwenverbrennung hochgehalten wird? In dem Menschen ab dem Zeitpunkt ihrer Geburt in Kasten eingeordnet werden aus denen, die sie in ihren Rechten, nicht aber in ihren vorgegebenen Pflichten einschränken?

Aber es gibt sie, die Frauen, die sich nicht mit ihrem vorgegebenen Platz in der Gesellschaft abfinden, die ihre Vision von einem selbstbestimmten Leben gegen alle Widerstände verwirklichen, ganz gleich, welche Opfer sie dafür bringen müssen. Wie Lakshmi. In Erinnerung an diese Frauen hat Alka Joshi diesen Roman geschrieben, mit dem sie sich auch vor der Lebensleistung ihrer eigenen Mutter verbeugt.

Bewertung vom 18.07.2022
Die versteckte Apotheke
Penner, Sarah

Die versteckte Apotheke


gut

Zwei Zeitebenen, zwei Handlungsstränge. Zwei Frauen, die ihr Leben selbst in die Hand und Verantwortung für sich selbst und ihr Handeln übernehmen.

Nella lebt im London des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Sie betreibt eine Apotheke, deren Dienst weniger darauf ausgerichtet ist, Krankheiten zu heilen, sondern vielmehr Frauen durch spezielle Kräutermischungen zu helfen, sich von unliebsamen Menschen in ihrem Umfeld zu befreien. Eine Frau, die ihren Weg geht. Im Verborgenen.

In der Gegenwart hat Caroline die Nase von ihrem betrügerischen Ehemann voll, packt ihren Koffer und fliegt nach London, um sich über ihre Gefühle klar zu werden. Beim Mudlarking am Themse-Ufer findet sie ein Apothekenfläschchen mit einer Gravur, das ihre Neugier weckt. Und sie erinnert sich an die Frau, die sie vor ihrer Ehe war, bevor sie ihre Träume begraben und den Wünschen ihres Mannes untergeordnet hat. Noch ist ihr nicht bewusst, dass diese Auszeit einen Wendepunkt in ihrem Leben markieren wird.

Natürlich hat man das so ähnlich schon gelesen. Allerdings haben sich die Autorinnen dann meist in ihren historischen Romanen auf eine Epoche beschränkt, was insgesamt ein runderes, ein stimmigeres Bild abgibt. Aber auch wenn die Verbindung zwischen den beiden Zeitebenen der Autorin nicht sonderlich gut gelungen und ein Spannungsbogen eher nicht vorhanden ist, kann ich diesen Schmöker all jenen empfehlen, die auf der Suche nach einem unterhaltsamen und leicht zu lesenden Roman sind, der sie für ein paar Lesestunden mit in eine weiter zurückliegende Vergangenheit nimmt.

Bewertung vom 13.07.2022
Die Arena
Djavadi, Négar

Die Arena


ausgezeichnet

Négar Djavadi stammt aus dem Iran und musste 1980 als Elfjährige aus politischen Gründen auf abenteuerlichen Wegen mit ihrer Familie aus ihrem Heimatland nach Frankreich fliehen. Seit vielen Jahren lebt sie nun in Belleville im Osten von Paris, wo auch ihr zweiter Roman „Die Arena“ verortet ist.

Belleville ist ein geschichtsträchtiges Quartier, fielen dort doch 1871 die letzten Barrikaden der „Commune“. Mit dem Zuzug der Menschen aus den Kolonien, vornehmlich aus dem Maghreb, veränderte sich die Bevölkerungsstruktur hin zu der eines typischen multikulturellen Einwandererviertels, in dem die unterschiedlichsten Nationalitäten ihren Platz fanden. In den letzten beiden Jahrzehnten wurde dieses Viertel von der Künstlerszene entdeckt, Galerien eröffnet und viele der alten Häuser abgerissen oder von Investoren saniert, um Wohnungen für einen neue Klientel zu schaffen. Doch noch gibt es sie, die Straßenzüge, die ihren alten Charakter beibehalten haben, nicht gentrifiziert sind. Die Frage ist nur, wie lange diese Gegensätze noch nebeneinander existieren können, bevor die Luft zu brennen beginnt. Und es ist genau dieser Zustand der Ungewissheit, den Djavadi in ihrem Roman beschreibt, wo nur ein Funke genügt, um diese explosive Mischung in die Luft zu jagen.

„Die Arena“ ist ein Noir- bzw. Polar-Roman, in dem die Autorin offen Kritik an den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen ihrer Wahlheimat übt. Djavadi beschönigt nichts, ist kompromisslos in ihren Beschreibungen, und ja, man spürt ihren Furor, denn es sind Aussagen, die eigentlich für alle westlichen Gesellschaften zutreffen. Dabei bricht sie Allgemeines auf Individuelles herunter, wählt quasi Stellvertreter, nennt Opfer und Täter ohne zu bewerten. Sei es Social Media, die Unterhaltungsindustrie, Fake News, Angst vor Statusverlust, Konkurrenzkampf, überforderte Eltern, Perspektivlosigkeit und daraus folgerndes Abrutschen in die Kleinkriminalität, bis hin zu blindwütigem Aktionismus wie dem Umgang mit Migranten. Aber trotz dieser Themenvielfalt wirkt die Handlung nie überfrachtet, jedes Rädchen hat seinen Platz und erledigt seine Aufgabe.

Ein aktueller, ein großer Roman in der Tradition Zolas und Hugos, der den Zeitgeist in all seinen Facetten einfängt, in dem wir als Zuschauer auf der Tribüne Platz nehmen und mit Kopfschütteln betrachten, was unten in der Arena geschieht.

Bewertung vom 12.07.2022
Ein Versprechen aus dunkler Zeit / Inspektor Rebus Bd.23
Rankin, Ian

Ein Versprechen aus dunkler Zeit / Inspektor Rebus Bd.23


gut

Jeder neue Krimi mit einem meiner Lieblingsschotten wird sehnlichst erwartet. So auch „Ein Versprechen aus dunkler Zeit“, Band 23 der Reihe, in dem John Rebus in einem Fall gefordert wird, dessen Aufklärung ihm ganz besonders am Herzen liegt. Warum? Weil seine Tochter ihn um Hilfe bittet.

Dass Rebus gesundheitlich angeschlagen ist, Zigaretten und Whisky abgeschworen hat, wissen wir mittlerweile. Jetzt hat er endlich die notwendige Konsequenz gezogen und ist in eine Wohnung im Erdgeschoss umgezogen. Noch hat Siobhan Clarke, die ihm beim Umzug hilft, nicht alle Kisten ausgepackt, als ihn ein Anruf seiner völlig aufgelösten Tochter Samantha erreicht. Ihr Lebensgefährte ist verschwunden. Ohne Nachricht, ohne Ankündigung. Und obwohl Rebus alles andere als ein Familienmensch und das Verhältnis zu seiner Tochter mehr als angespannt ist, lässt er alles stehen und liegen, setzt sich in sein Auto, fährt umgehend zu Tochter und Enkelkind in den äußersten Norden Schottlands und setzt alles daran, den Schwiegersohn in spe zu finden. Tot oder lebendig.

Zuhause in Edinburgh ermitteln Siobhan und der ihr überraschend zur Seite gestellte Malcolm Fox im Fall eines getöteten saudischen Millionärssohnes und versuchen in dessen Oberschicht-Clique Hinweise dafür zu finden, wer ein Interesse an seinem Tod haben könnte. Parallel dazu nimmt ein alter Bekannter Kontakt zu Fox auf. Big Ger Cafferty, der in die Jahre gekommene Boss der Edinburgher Unterwelt, braucht Fox‘ Hilfe und schlägt ihm einen Deal vor. Natürlich nicht, ohne eine entsprechende Belohnung in Aussicht zu stellen.

Mich konnte dieser Band leider nicht überzeugt, und das hat verschiedene Gründe. Obwohl Rebus‘ graue Zellen wie eh und je hervorragend funktionieren, fehlt ihm der Schwung, wirkt er gezeichnet und müde. Ihm geht die Luft aus, was leider auch auf diesen Krimi zutrifft. Es fehlt die Härte und die Unnachgiebigkeit, die wir von Rebus kennen, wenn er sich in einen Fall verbeißt. Und wo bleibt Rankins kritischer Blick auf die gesellschaftlichen Verwerfungen, die üblicherweise Teil der Handlung sind? Es gibt zwar die eine oder andere Randbemerkung, aber diese bleiben hinsichtlich der Story fast gänzlich ohne Relevanz. Und dann das Ende. Gosh, banaler geht’s ja kaum.

Der Krimi liest sich sehr gefällig. Keine Haken, keine überraschenden Wendungen, absolut vorhersehbar. So, wie man es aus unzähligen anderen Büchern dieses Genres kennt. Vielleicht hat sich Rankin dann doch zu sehr von Rebus‘ aktueller Lektüre inspirieren lassen. Lee Child und Karin Slaughter. Autsch.

Bewertung vom 11.07.2022
Beifang
Simons, Martin

Beifang


ausgezeichnet

Beifang ist eine Zechensiedlung am Rande von Selm, errichtet für die Bergmänner des ehemaligen Steinkohle-Bergwerks Zeche Hermann. Die Zeche wird 1926 wegen unzumutbarer und gefährlicher Arbeitsbedingungen stillgelegt, was gravierende ökonomische Auswirkungen auf die Bergleute und ihre Familien hat, da die wenigsten eine neue Arbeit finden. Armut, Verelendung und Perspektivlosigkeit sind die Folgen.

Frank Zimmermann ist in Beifang aufgewachsen, lebt aber seit dem Studium in Berlin, mehr oder weniger allein. Hat zwar einen Sohn, aber keinen Kontakt zu ihm. Hat zwar eine Freundin, trifft sie allerdings eher selten. Er lebt planlos vor sich hin, wurschtelt sich so durch. Mal hat er Arbeit, dann wieder nicht. Weiß nicht, was er will, was er vom Leben doch erwartet kann.

Als sein Elternhaus verkauft wird und sein Vater ihn auffordert, die auf dem Dachboden eingelagerten Hinterlassenschaften zu sichten, macht er sich auf den Weg ins Ruhrgebiet, im Hinterkopf den Rat seiner Freundin, sich endlich mit seiner Herkunft auseinanderzusetzen. Antworten auf die Fragen nach der Vergangenheit des Vaters zu finden, mit denen er sich auseinandersetzen möchte und sollte, die aber durch dessen Verweigerung und Sprachlosigkeit bislang unbeantwortet geblieben sind. Daran ändert sich auch nichts, als er anlässlich dieses Besuchs das Thema nochmal anschneidet.

Also macht er sich auf, die Geschwister seines Vaters aufzusuchen, elf an der Zahl, hoffend, dass deren Erinnerungen Licht in das Dunkel bringen können. Natürlich hat jede/r von ihnen eine individuelle Sicht auf die Vergangenheit, aber allmählich fügen sich die Bruchstücke zu einem Bild zusammen, das von Armut, Gewalt und Fremdbestimmung erzählt. Eigene Wünsche zählen nicht, Begabung spielt keine Rolle, weil es immer nur darum geht, das Überleben zu sichern. Ja, man fügt sich, arrangiert sich mit den Umständen, vergräbt den lebenslangen Groll und die Enttäuschung über das ungelebte Leben, das Trauma, tief in sich, gibt ihn aber auch weiter an die nachfolgende Generation.

Über weite Strecken finden wir in „Beifang“ Merkmale des naturalistischen Romans, speziell dann, wenn die allmähliche Verelendung der Großfamilie und die Ohnmacht des Einzelnen angesichts der prekären finanziellen Lage, der Wohnsituation, der Ausgrenzung etc. geschildert wird. Aber es ist auch ein warmherziger Roman über Kraft und Zusammenhalt, der aus schwierigen Verhältnissen erwachsen kann, ein Plädoyer für den verständnisvollen Umgang miteinander trotz aller Widrigkeiten.

Bewertung vom 05.07.2022
Unser Feuer erlischt nie
Lee, Elizabeth

Unser Feuer erlischt nie


sehr gut

Zwischen 1550 und 1650 gehört die Hexenverfolgung zum Alltag. Und wer sich intensiver mit der englischen Geschichte beschäftigt, stolpert mit Sicherheit auch über die Hexenprozesse von Pendle Hill: 1612 wird neun Frauen und zwei Männern der Prozess gemacht, zehn Angeklagte werden schuldig gesprochen und gehenkt.

1620 sind die Nachwirkungen dieses Prozesses in den verstreuten Weilern in Lancashire noch immer zu spüren. Die Menschen bespitzeln einander, begegnen sich mit Misstrauen, wer anders ist wird ausgegrenzt. So auch Sarah Haworth, die mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern in einem verlassenen Weiler außerhalb des Dorfes lebt. Am Tag ausgestoßen, in der Nacht oft die letzte Rettung, denn Mutter und Tochter sind heilkundig, haben für fast jedes Problem eine Tinktur zur Hand. Aber Sarah möchte nicht länger eine Ausgestoßene sein, sie sehnt sich nach der Akzeptanz der Dörfler, möchte dazu gehören, ein Leben in Würde führen und einen guten Mann finden. Und es kommt natürlich wie es kommen muss. Sie begegnet Daniel, Sohn des örtlichen Bauern, er ist freundlich zu ihr, sie verlieben sich ineinander und zack sind sie ein Paar. Aber schon Friedrich Schiller wusste, dass der Frömmste nicht in Frieden leben kann, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Und bald machen hässliche Gerüchte die Runde…

Elizabeth Lee ist mit „Unser Feuer erlischt nie“ ein atmosphärischer historischer Roman gelungen, der die aufgeladene und misstrauische Stimmung innerhalb einer Dorfgemeinschaft anschaulich widerspiegelt. Natürlich kommt auch sie nicht ohne Klischees aus, aber interessanterweise ist es der Pfarrer, nicht Daniel, bei dem sie Unterstützung findet, was so nicht zu erwarten war. Er hilft ihr, beschützt sie und fungiert quasi als Brücke zwischen mittelalterlicher Ignoranz und längst fälliger Aufklärung.

Randnotiz: Bis 1950 wurden in England auf Grundlage des Witchcraft Act von 1735 Frauen angeklagt und verurteilt. Abgeschafft wurde dieses Gesetz erst 1951.

Bewertung vom 03.07.2022
Blinde Furcht / Kate Burkholder Bd.13
Castillo, Linda

Blinde Furcht / Kate Burkholder Bd.13


sehr gut

Rachael Schwartz wird in einem Motel in Painters Mill tot aufgefunden. Sie wurde erschlagen, und ihre Verletzungen deuten darauf hin, dass der Täter in blinder Wut auf sie eingeprügelt hat. Kate Burkholder, die Polizeichefin, übernimmt mit ihrem Team den Fall. Sie kannte diese junge Frau von früher, hatte als Teenager dieses eigenwillige, wilde Mädchen, für das es keine Grenzen gab, beaufsichtigt. Rachael testete Grenzen aus, haderte mit den strengen Vorschriften der amischen Glaubensgemeinschaft und wurde wegen ihrem rebellischen und unangemessenen Verhalten nach der Rumspringa von den Kirchenoberen aus der Gemeinde verbannt. Aber was wollte sie ausgerechnet jetzt in ihrer Heimatstadt? Und wer könnte ein Motiv haben, sie so sehr hassen, dass er sie zu Tode prügelt?

Die Ermittlungen gestalten sich schwierig. Niemand, der die Tote kannte, möchte mit der Polizei reden, selbst ihre Eltern hüllen sich in Schweigen, und so bittet Kate ihren Lieblingsmenschen Tomasetti und dessen Behörde um Hilfe. Im Laufe der Ermittlungen erfährt Kate von Rachaels brisantem Enthüllungsbuch über ihr Leben bei den Amischen, in dem sie ihre Erfahrungen mit deren Regelverletzungen, über die der Mantel des Schweigen ausgebreitet wurde, anprangert und beim Namen nennt. Lag dem Mordmotiv etwa „Blinde Furcht“ vor diesen Enthüllungen zugrunde?

Leser*innen von Kriminalromanen kennen das Gefühl. Wenn man eine Reihe über einen längeren Zeitraum verfolgt, kommt unweigerlich irgendwann der Punkt, an dem man das Gefühl hat, dass jede Fortsetzung nur noch eine Variation des Themas ist, neue Impuls fehlen und nur noch Altbekanntes aufgewärmt wird. So ging es mir mit dem Vorgängerband, und das ist üblicherweise der Zeitpunkt, an dem ich aus einer Reihe aussteige. Allerdings hat mich mein Interesse an den Amischen, dieser Glaubensgemeinschaft, die sich dem Fortschritt verweigert und aus der Zeit gefallen scheint, auch zu diesem Band greifen lassen. Und was soll ich sagen, ich wurde angenehm überrascht. Die Story ist gut geplottet, wendungsreich, spannend erzählt, flüssig geschrieben und lässt sich flott herunterlesen. Ein ideales Urlaubsbuch also. Allerdings hätte ich die überdramatisierte Schlusssequenz so nicht gebraucht. Das war dann doch etwas too much und überflüssigerweise in die Länge gezogen.

Bewertung vom 02.07.2022
Liebesheirat
Ali, Monica

Liebesheirat


sehr gut

Gesellschaftsromane haben in der britischen Literatur eine lange Tradition, dafür stehen so großartige Autorinnen/Autoren wie Jane Austen, Charles Dickens, William Thackeray und George Eliot, um nur einige zu nennen. In der Gegenwart fallen mir dazu als erstes Ian McEwan, Julian Barnes, Zadie Smith und Monica Ali ein, letztere mit ihrem Debüt „Brick Lane“ 2003 in der Endauswahl/Shortlist für den renommierten Booker Prize.

Nun also ihr neuer Roman „Liebesheirat“, in dem sie über die Komplexität von Beziehungen, über kulturelle Identität, über Emanzipation, Rassismus und das multikulturelle Großbritannien nach dem Brexit schreibt. Und diesmal sind wir nicht bei den Migranten im East End, sondern schauen auf zwei Familien aus der gehobenen Mittelschicht. Die Familie der angehenden Ärztin Yasmin, die bengalischen Ghoramis, eine gutsituierte, vierköpfige Einwandererfamilie im Londoner Süden, und die weißen Sangsters in Primrose Hill mit ihrem zukünftigen Ehemann Joe, der bei seiner radikalfeministischen Mutter Harriet aufgewachsen ist. Man könnte meinen, dass diese Ausgangssituation jede Menge Konfliktpotenzial bietet, aber weit gefehlt. Es gibt keine unangenehmen Gesprächspausen, keine politisch unkorrekten Bemerkungen, die beiden Mütter verstehen sich prächtig.

Interessant wird es, als Harriet auf einer traditionellen muslimischen Hochzeitszeremonie besteht, denn damit betritt die Autorin das verminte Gelände der kulturellen Identität und rüttelt an den Stereotypen. Aber das ist nicht das einzige Thema, an dem sie sich in diesem fast 600seitigen Roman abarbeitet. Die mediale Welt, der Brexit und seine Auswirkungen, die Frage danach, wie heutzutage Feminismus gelebt werden kann, plus die persönlichen Baustellen und die sich daraus ergebenden Konflikte. Zu viele Themen, die zwar die Handlung überfrachten, aber dennoch unterhaltsam und stellenweise auch sehr humorvoll sind. Außerdem regen sie dazu an, eigene Positionen zu hinterfragen. Und deshalb habe ich Alis Plädoyer für einen toleranten Umgang miteinander sehr gerne gelesen.