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LichtundSchatten

Bewertungen

Insgesamt 237 Bewertungen
Bewertung vom 26.05.2023
Gehirnwäsche trage ich nicht
Sprenger, Reinhard K.

Gehirnwäsche trage ich nicht


ausgezeichnet

Ein gelungenes Manifest zum selbstständigen Denken und Handeln.

“Es gibt unendlich viele öffentliche Instanzen, die die gelernte Hilflosigkeit der Menschen ausbeutet, um sich unersetzlich zu machen. Je hilfloser die Menschen, desto mehr können Politiker verteilen und regulieren.”

"In der Abenddämmerung der Sozialdemokratie hat dagegen Rousseau noch einmal gesiegt. Sie haben nicht die Produktionsmittel, sondern die Therapie verstaatlicht. Dass der Mensch von Natur aus gut sei, diese merkwürdige Idee hat in der Sozialarbeit ihr letztes Reservat. Pastorale Motive gehen dabei eine seltsame Mischung ein mit angejahrten Milieu- und Sozialisationstheorien und mit einer entkernten Version der Psychoanalyse. Solche Vormünder nehmen in ihrer grenzenlosen Gutmütigkeit den Verirrten jede Verantwortung für ihr Handeln ab.“ („Aussichten auf den Bürgerkrieg“, 1994, S. 37)

Der demokratische Sklave wird aus den Fängen einer überwölbten Bürokratie, öffentlich-lobhudelnder Medien und korrupter Politiker entlassen und muss wieder selbstständig handeln. Der Nanny- und Angstmacherstaat kommt an seine Grenzen, sein Ende wird nicht nur Bürgerkriege auslösen.

Reinhard K. Sprenger schreibt an der Nahtstelle der Risse, die unserer Demokratie aktuell zu schaffen machen. Seine Aussagen sind für Unternehmen, Institutionen, politische Parteien, Universitäten ebenso relevant wie für Privatpersonen.

Mitarbeiter sind keine Adresse zur Pflichterfüllung moralischer Ziele (oder der Sinnstiftung, engl. Purpose), sondern selbstständige autonome Wesen, die in Freiheit leben und arbeiten wollen. "Fürsorgliches Verhalten hat immer einen Zug der Entmündigung."

Heute wird umfassend angeklagt und Angst gemacht, vorrangig geführt von Menschen, "deren Moral über die ökonomische Urteilskraft triumphiert."

Selten habe ich in einem Buch so viele Sätze unterstrichen. Reinhard K. Sprenger bietet eine höchst aufschlussreiche Textsammlung, deren Ziel es ist, persönliche Freiheit und Eigenständigkeit zu erreichen und einem überversorgenden Staat / Unternehmen entgegenzuwirken. Natürlich wird dies nicht alle erreichen, denn viele arbeiten lieber nach dieser Maxime: "Es ist auch heute noch sicher einigen Mitarbeitern rechte, unter dem Regenschirm des Vorgesetzten die behütete Sicherheit des Kindes zu genießen."

Wer klein bleiben will, wählt beschützende Parteien oder Vorgesetzte, wer aber etwas erreichen will, muss dies in Freiheit und Eigenverantwortung tun. Für ihn ist dieses Buch geschrieben, er / sie wird nicht im distanzlosen Du weitermachen, sondern respektvollen Abstand halten zu allen, um sich in den Tsunamis der Konflikte flexibel und eigeninitiativ zu bewähren. Dabei gelten wenig Regeln und die Tatsache eines immer schnelleren Wandels fordert alle täglich neu heraus. "Nur der Konflikt löst von den Fesseln vergangener Erfolge."

Reinhard K. Sprenger blickt pessimistisch in die Zukunft. Er ist der Meinung, dass wir in naiver Weise unsere Freiheit verspielen. "Auch unsere Geistige." Trotzdem, wer bestehen will in härteren Zeiten, ist mit dem Buch "Magie des Konflikts" sehr gut beraten.

Bewertung vom 22.05.2023
Think Again - Die Kraft des flexiblen Denkens
Grant, Adam

Think Again - Die Kraft des flexiblen Denkens


ausgezeichnet

Ein wirklich beeindruckendes Buch, das mir ermöglicht hat, kreativer und flexibler zu denken. An konkreten Beispielen fächert der Autor auf, wie man heute auf Veränderungen reagieren und besser vorankommen kann.

Einser Uni-Abschlüsse garantieren nicht den Karriere Erfolg, sondern Flexibilität und schnelles Umdenken.

Lernen muss intrinsisch sein, Herausforderungen bieten, die den Lernenden in die Lehr-Funktion ver-setzen, um selbstständig agieren zu können. Nicht pauken, sondern selbst denken und handeln sind Kern dieser Denkweise.

Ich irre, also lerne ich.

„Menschen, die sich rühmen, ihre Ansichten niemals zu wechseln, sind Toren, die an ihre Unfehlbarkeit glauben.“ (Balzac)

Bewertung vom 19.05.2023
Die Welt verdient keinen Weltuntergang
Hamm, Peter

Die Welt verdient keinen Weltuntergang


ausgezeichnet

Peter Hamm stand nie in der ersten Reihe bekannter Kritiker. Er wollte sogar nie ein Literaturkritiker sein, die Bezeichnung Großkritiker stammt gleichwohl von ihm (aus dem Buch "Kritik - von wem, für wen, wie?") wohl als Pfeil gegen allzu laute Töne des damit Adressierten abgeschossen. Reich-Ranicki hat dann mit scharfem Geschütz zurückgeschossen, das Gedicht "Niederlegen" des Lyrikers Peter Hamm hatte für ihn nun überhaupt nichts.

Umso wohltuender und besser sind die Kommentare und Einordnungen von Peter Hamm in dieser von Michael Krüger zusammengestellten Anthologie.

In diesem Band von Aufsätzen und Kritiken ist insbesondere der erste Artikel: "Goethe's Nöte – Nöte mit Goethe" hervorzuheben, er zeigt, "wie Peter Hamm sich über Jahre hinweg mit dem Werk eines Autors auseinandergesetzt hat." (aus dem Nachwort von Michael Krüger).

Peter Hamm schreibt: "Die Widersprüchlichkeit Goethes entspricht genau seiner Größe." Bei ihm findet sich Negatives und Positives eng beisammen, vor allem eine Verachtung der Masse. "Zur Popularität gehört Eindeutigkeit, die Eindeutigkeit Schillers etwa." Goethe selbst sagte zu Eckermann: "Meine Sachen sind nicht für die Masse geschrieben, sondern nur für einzelne Menschen, die etwas Ähnliches wollen und suchen." Trotzdem versuchte Eckermann ihn populär zu machen, was ihm in Teilen auch gelang.

Der Tod Goethes wurde 1832 fast nicht zur Kenntnis genommen, die führende deutsche Literaturzeitschrift, das "Stuttgarter Literaturblatt", in dessen Verlag Goethe's Bücher veröffentlicht wurden, brachte keine Meldung darüber. Damals war Schiller der Mann der Stunde, ihm wurde 1837 in Stuttgart ein Denkmal gesetzt, das ihn als Schriftsteller zeigt. 1849 blieb der 100 Jährige Geburtstag Goethes fast unbemerkt, während Deutschland beim 100-jährigen von Schiller in ein Begeisterungstaumel geriet. "Das sich emanzipierende deutsche Bürgertum verzieh Goethe den Höfling nicht, den Fürstendiener, sein Ausweichen vor der Politik und der Revolution."

Beethoven schrieb über Goethe: "Ihm behagt die Hofluft sehr, mehr als einem Dichter ziemt." Aber Goethe dachte nicht in solchen Kategorien, Polarität bedeutete ihm mehr als Parteinahme: "Mir scheint, dass sich alles gut verbindet, wenn man den Begriff der Polarität zum Leitfaden nimmt." Er schrieb dies zur Erläuterung der Farbenlehre und zielte damit auf die Einheit der Gegensätze wie von Hegel formuliert.

Ein schöner Satz von Goethe fasst das alles zusammen: "Willst Du ins Unendliche schreiten, geh im Endlichen nach allen Seiten." Peter Hamm ging ebenfalls nach allen Seiten, er analysierte fein und wog ab. Eindeutigkeit zeigte er aber auch, wenn ihm etwas nicht gefiel, vor allem zu Beginn seiner Tätigkeit. Später analysierte er stärker über die Zeitachse, übergreifender, die Einheit hinter den Gegensätzen greifen wollend.

Das Nachwort von Michael Krüger skizziert die Person Peter Hamm aus der Erinnerung und mit großer Empathie. Er beschreibt vor allem auch die Inhalte, die nicht mehr Platz fanden in diesem Buch, allen voran die Ausführungen über Musik, die bei Peter Hamm eine zentrale Stellung einnahmen. Darüber habe ich die Ballade von den Säckeschmeißern wiederentdeckt, ein zweifellos linkes Lied. Peter Hamm war links, zweifellos, aber seine Kritiken waren frei von seichtem Populismus, sie hatten andere Horizonte.

Bewertung vom 19.05.2023
Das Schaltbild
Engell, Lorenz

Das Schaltbild


ausgezeichnet

Ich musste mehrere Anläufe nehmen, um in dieses Buch zu kommen. Es ist herausfordernd geschrieben, auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau. Also stellte ich zunächst einige Fragen an den Autor - über Tante Google. Und siehe da, Professor Engell spricht mündlich klar und verständlich, ein sympathischer Mensch mit dem lustvollen Zwang, Dinge wirklich erklären zu wollen. Besonders das FAZ Interview auf der Buchmesse Frankfurt ist zu empfehlen. Zudem gibt es eine Vorlesungsreihe auf radiolotte, ganz hervorragend.

In diesem Buch wird die Philosophie des Fernsehens in seinem Bezug zur Welt und der menschlichen Existenz ergründet, seine Geschichte erzählt, um die Absichten und Beziehungen zwischen Absender und Empfänger zu deuten und zu verstehen. Um den häufigen Ansprache-Stil zu verdeutlichen, hier zwei Saetze von Seite 11: „Das Einschalten jedoch lässt das Gerät „zuhanden“ sein: Es ist handhabbar und mit uns verbunden. Es bindet uns jetzt in die Welt ein, sodass unser Dasein als ein „In-der-Welt-Sein“ hervortritt.“

Abstrahiert man von diesen Heidegger-Texten, die in sich durchaus gelungen sind, und konzentriert sich auf Zentrales (im Verbund mit dem FAZ Interview und radiolotte Vorlesungen) entfaltet das Buch erst seine Stärke.

Mir war z.B. nicht klar, dass Fernsehen zu Beginn immer live war, es zeichnete nichts auf, es war ein reines Übertragungsmedium und wurde sozusagen von einer Bühne gesendet, bei der es unterschiedliche Unter-Bühnen gab: z.B. drei Handlungsbühnen und eine Werbeecke, in denen live gesendet und zwischen diesen hin- und her geschaltet wurde.

Es war dies das Goldene Zeitalter des Fernsehens in den USA und reichte von ca. 1948 bis 1960. Damals wurde also auch Werbung live aufgeführt. Der Billy Wilder Film „Das verflixte siebte Jahr“ enthält eine Parodie auf diese Art der Reklame: Marylin Monroe nutzte darin ihren Zahnpasta Auftritt, um vor einem angeblichen Sex-Unhold zu warnen.

Aber man wollte dieses Live-Fernsehen aussehen lassen wie aufgezeichnet, alles war genau geprobt und musste 100% sitzen! „Die Zuschauer sollten denken, es handele sich eben um die Aufzeichnung eine eingespielten , in seinem Verlauf bereits feststehenden und prinzipiell so auch wiederholbaren Geschehens.“

Daneben gab es aber auch echte Live-Events, die als solche so angekündigt wurden. Man konnte also dabei sein, fern sehen, während irgendwo anders etwas geschieht, vor allem Sport-, aber auch Staatsakte, royale Hochzeiten und Konzerte etc. Das Fernsehen zeigt diese Veranstaltungen im Stil des „Instant Composing des Jazz“ (nach Umberto Ecco) mit einer Vielzahl von Perspektiven, der Zuschauer nimmt so strukturiert und kunstvoll in Szene gesetzt Teil an einer Welt-Erfahrung. „Sie ist ein gewisses Analogon zur Erschlosssenheit der Welt in Heideggers Daseinsanalyse.“

Wir schreiten mit diesem Buch durch die Möglichkeiten des Fernsehens, z.B. Serien, Instant Replay, All-Bild, Remote Control, Flow, Second Screens, Reality, History zu den Abschaltbildern. Tatsächlich macht es das Fernsehen dem Zuschauer schwer, wieder abzuschalten, schreibt Lorenz Engell. Mag sein, die Techniken dafür sind raffiniert. Und doch habe ich Fernsehen weitgehend ausgeblendet, oftmals ist es für uns nur noch ein Hintergrundrauschen zum Einschlafen und die Nachrichten oder den hundersten hochmoralisch aufgeladenen Krimi NICHT zu sehen, ist das beste Anti-Depressiva. Das schnellste Medium zu meiden, also das Fernsehen, lässt die innere Welt wieder auferstehen, jene, die man mit Büchern genießen kann.

Bewertung vom 18.05.2023
Radiozeiten
Krass, Stephan

Radiozeiten


ausgezeichnet

Der Rundfunk startete 1923 und wir sind mit diesem Buch live dabei, an verschiedenen Stationen & Entwicklungen dieses Mediums, dem ersten breit streuenden Kommunikations-Mittel.
„Das Radio versammelte Abwesende in einem imaginären Raum.“

Am 29.10.1923 meldete sich aus dem Himmel über Berlin eine Stimme: „Achtung, hier ist die Sende Stelle Berlin im Vox-Haus auf Welle 400 Meter .“ Die Stimme gehörte Friedrich Georg Knöpfke, der damit einen neuen Beruf aus der Taufe gehoben hatte, den Radiosprecher. Hinter dieser ersten Stunde stand die 1922 gegründete, privatwirtschaftliche „Gesellschaft für drahtlose Belehrung und Unterhaltung mbH“ mit dem Namen Deutsche Stunde.

Der Flug von Charles Lindbergh und der Absturz des Zeppelins Hindenburg waren erste Stationen des neuen Mediums, das begann Millionen von Menschen zu faszinieren, bevor Joseph Goebbels mit ihm neue, engere Wege ging.

Das Radio belehrt, unterhält und informiert, bis heute, für viele ein unverzichtbarer Teil ihres Alltags. Für mich begann nach 99 Jahren die zweite Revolution, mit dem Internet-Radio und einem Sender der sich Kontrafunk nennt. Ich kann diesen Sender inzwischen überall mit dem Mobilfunk hören, aber auch Podcasts und Dinge, die mich interessieren.

Stephan Krass hat mit diesem Buch spannende Episoden aufgefächert, die mir Radio noch näher brachten als es sowie schon war. Ganz hervorragend. Immer wieder wundert mich bis zum heutigen Tag, dass der Hörer immer noch kein gleichberechtigter Partner ist, der mitmachen, mitreden kann. Aber Influencer - Podcasts sind inzwischen möglich, jeder kann seine Sprache, Ideen und Einstellungen hinzufügen.

Bewertung vom 18.05.2023
Von anderer Hand
Barner, Ines

Von anderer Hand


ausgezeichnet

Wenig ist wirklich bekannt aus der Zusammenarbeit zwischen Autor und Lektor, also einem Mitarbeiter, besonders bei einem Verlag, der Manuskripte prüft und bearbeitet, Projekte vorschlägt und Kontakt mit Autoren aufnimmt bzw. unterhält.

Schreiben ist tatsächlich ein fortlaufender Revisionsprozess, „welcher darin besteht, die Nähe zum Geschriebenen immer wieder zu durchbrechen, indem die Position des Schreibenden mit derjenigen des Lesenden vertauscht wird.“

Der Lektor ist also die Simulation eines Lesers, ein Kritiker, der Autoren immer wieder auf ihre ureigene Klasse zurückbringt, auf seine eigentlichen Fähigkeiten. Weit mehr als ein Korrektor ist ein Lektor ein zuarbeitender, mit-helfender, korrigierende Kritiker, der um- und hinzuschreibt, ändert, mit-um-denkt und filtert.

Ich antizipiere Texte in ihrer Schreibweise rasch und be-merke bei Frau Barner einen hoch-abstrakten, aber höchst-interessanten Duktus, der mir sehr gefällt. Das Ganze entspricht literaturwissenschaftlichen Weihen, die ich von den Publikationen des Deutschen Literaturarchivs kenne. Man muss es nicht mögen, aber kann es bewundern. Und tatsächlich Nutzen daraus ziehen.

Besonders spannend für mich war das Kapitel 3. Anleiten, begradigen: Christian Morgenstern und Robert Walser überarbeiten Geschwister Tanner (1907). Morgenstern war Spürhund und Lektor beim Berliner Verlag Bruno Cassirer, der allerdings die Vorschläge bzw. neue Autoren nur zögerlich annahm. Morgenstern als ein Meister der kurzen Sätze bemängelte bei Robert Walser folgende Sünden: „das ohne Not Weitschweifige, das Saloppe des Satzbaus, die zur Trivialität führende Selbstgefälligkeit, die grammatikalische Unsicherheit, die Schiefe und mangelhafte Durchführung eines gewählten Bildes.“

Wer solche Lektoren hat, braucht wohl sonst keine Kritiker mehr. Wie weit darf er / sie gehen, das ist die Frage in diesem Buch und die Problemkreise, wie man Optimierungen möglichst nett und höflich einbauen kann.

Meister Morgenstern möchte Walser zu einer generellen Umkehr bewegen: „Im Augenblick des Hinschreibens mag man in einen Satz verliebt sein, hinterher aber muss diese „Affenliebe“ des Verfassers der anspruchsvollen und verwöhnten Strenge des Lesers weichen. Nicht nur aber sein erster und sein bester sondern auch sein unnachsichtigster Leser zu seine, halte ich für ein Grundprinzip jeder Schriftstellerei.“

Morgenstern selbst erkennt, dass seine Ausführungen pedantisch und magistral sind, aber doch ist es an ihm, den kritik-empfindlichen Walser zu erziehen, auch in der Nutzung korrekter Korrekturzeichen. Am nächsten Tag schreibt Morgenstern gleich noch etwas Lobhudelei hinterher, weil er fürchtet zu kritisch gewesen zu sein. Sie arrangieren sich und Geschwister Banner habe ich vor diesem Hintergrund gleich nochmals gelesen. Ein echtes Erlebnis.

Ebenso lehr- und kenntnisreich sind die anderen 3 Lektorats-Mitarbeiten: 1. bei Rainer M. Rilke (Lektor Fritz A Hünich für Duineser Elegien), 2. Peter Handke (Lektorin Elisabeth Büchers für Langsame Heimkehr) und 3. Marcel Beyer (Lektor Christian Döring für Flughunde).

Alles an diesem Buch ist gelungen, der Umschlag, der Rücken, der Rücken ohne Umschlag, die Kennzeichnung, farbliche Hintergründe, bei mir sehr wichtig in der Bibliothek, erkennbar, ich nehme es oft und gerne zur Hand, ein Lichtblick und textlich inhaltlicher Genuss. Vor allem auch für mich als Rezensent.

Bewertung vom 18.05.2023
Buchgestaltung in Deutschland

Buchgestaltung in Deutschland


ausgezeichnet

Über die Einheit von Inhalt und Form. Und die Lust zum Lesen.

Aus dem Inneren der Buchgestaltung, aus seinen Darlegungs- bzw. Umsetzungsideen der Inhalte kommt dieses Werk in der Reihe eher textorientierter Bücher. Es hält sich deshalb im Äußeren angenehm zurück und portraitiert einige herausragende Typographen. Vorangestellt werden Gedanken zur aktuellen Gestaltung des Buches bzw. wichtige Einflussfaktoren.

Genauer wäre zu definieren, es geht hier weniger um die Titelgestaltung, sondern eher um Typographie also die Auswahl von Schrifttypen und die Anordnung langer oder kurzer Texte auf den Innenseiten, von der Headline zur Body Copy zum Zitat etc. Wie macht man das am besten, ohne Texte zu verstecken oder sie langweilig aufzubereiten, sondern wie schafft man es, einen Diskurs, ein Gespräch zu beginnen, das der Leser mit dem Autor führen sollte?

Es stimmt: „Berufsleser unterschätzen die unterschwellige Wirkung von Typografie.“ Tatsächlich ist für schlecht gemachte Bücher das Papier zu schade. Alleine, es gibt wie in allen kreativen Berufen keine Regeln. Sie sind Krücken für kreativ Lahme.

Trotzdem, für mich hält sich der Typograph demütig zurück und sorgt dafür, dass ich gut und gerne lesen kann. Ganz entscheidend ist für mich die Titelgestaltung, sie macht Lust zum Kauf, wie ich es momentan mit einem neuen Buch erlebe: Patrick Eiden-Offe: HEGELS LOGIK LESEN. Ein Selbstversuch. Ich lasse den Titel einige Tage neben dem Computer stehen und freue mich auf den Inhalt. Zurückhaltend, pastellig, den Titel in Versalien, LOGIK in kursiv, darunter das merkwürdige Tierlogo von Matthes & Seitz. Ein sehr guter Spannungsaufbau. Ich finden diesen Hinweis auf eine echte Könnerin: Satz und Gestaltung: Gaby Michel, Hamburg. Hier erkennt man die Gewichtung: Satz vor Gestaltung, obwohl beides in gelungener Harmonie stehen.

Ich erkenne von Autoren selbst gemacht Buchtitel sofort, sie nehmen aktuell zu und wirken schon vorm Äußeren her leider oft abstoßend. Im Inneren setzt sich das dann fort mit falschen Textplazierungen, Probleme mit dem Bund, Seitenzahlenverwirrung etc.

Tatsächlich ist die eigentliche Typographie auf den Innenseiten eines Buches echtes, traditionelles Handwerk. Wer hier nicht auf einen echten Handwerksmeister zurückgreift, hat verloren, oder er muss wochenlang üben, um zu einem guten Ziel zu kommen.

Dieses wunderschöne Buch von Silvia Werfel hält sich angenehm zurück, es ist gut zu lesen, mein Gespräch mit den Gedanken der Autorin war höchst spannend.

Es ist aber kein Hand- oder Lehrbuch, sondern eher für Bibliophile wie mich oder Typographen interessant.

Bewertung vom 16.05.2023
Magie des Konflikts
Sprenger, Reinhard K.

Magie des Konflikts


ausgezeichnet

Aller Ärger ist das Ergebnis zwanghafter Erwartungen. (R.K. Sprenger)
Krisen sind Chancen.

Ein ganz hervorragendes Buch, das man sowohl auf die eigene Person beziehen kann als auch auf ein Unternehmen bzw. alle dabei auftretenden Interdependenzen. Wir alle stehen täglich vor immer größeren Problemen und müssen kulturelle Unterschiede ebenso ausgleichen wie jene von Temperamenten. Tatsächlich wird das Fahren auf Sicht, das pragmatische "Händeln" des Tages immer relevanter und ob das Leben gelingt, entscheidet sich immer mehr im Konflikt.

Letzten Endes ist Harmonie trügerisch, wenn Konflikte unausgesprochen bleiben. Ebenso problematisch ist, wenn die Gesellschaft verlernt, Probleme öffentlich zu diskutieren. "Das Einfachste als das Schwierigste: das fundamentale Anerkennen der Tatsache, dass die Welt mehrdeutig ist. Dass alle Werte ambivalent sind, alle Interessen berechtigt und alle Erwartungen erfahrungsgesättigt."

Wir müssen lernen, diese Mehrdeutigkeit auszuhalten, die Konsensgesellschaft gehört der Vergangenheit an, wir müssen mitten durch Konflikte gehen, dabei gehört Beleidigt-sein zum gestern, Offenheit und Ehrlichkeit zum notwendigen Rüstzeug.

Besonders schön am Ende des Buches, im Anhang: "Das Einzige, was wir tun können, ist korrigieren. Immer wieder." Die Ambivalenzen Hondrichs (Geben und Nehmen, Aufwerten und Abwerten, Teilhaben und Ausschließen, Verbergen und Mitteilen, Bestimmen und Bestimmt werden) sind es wert, gelesen und verinnerlicht zu werden.

Alle Konflikte sind Eigenwert-Konflikte, Herr Sprenger hat Recht, auch in dieser Aussage: "Jeder Konflikt ist Selbstbegegnung." Und weiter: "Ziel eines Konflikts ist nicht der Konsens, sondern das Weitermachen. Je mehr Selbstwert präsent ist, um so besser können Konflikte erlöst werden."

Bewertung vom 16.05.2023
Verehrte Denker
Ritter, Henning

Verehrte Denker


ausgezeichnet

Auf Jacob Taubes kam ich über Norbert Bolz, dessen Art zu denken ebenso weit scheint wie jene seines Lehrers und mit jener von Carl Schmitt verglichen werden könnte. Henning Ritter schreibt beeindruckt über Carl Schmitt: „Eine Mischung von altmodischer Höflichkeit und anarchischer Freiheit im Gespräch. Er wirkte nicht wie ein Professor, sondern wie ein Künstler, der ein uferloses Werk erläutert.“ Er brachte immer wieder höchst originelle Gesichtspunkte ins Gespräch ein ebenso wie dies Jacob Taubes zweifellos konnte, ein jüdischer Denker aus Galizien, der wenig Schriftliches hinterließ, dafür aber umso mehr Ideen und Gedanken, ein Ideenhändler und Menschenfänger.

Henning Ritter skizziert die Denker Carl Schmitt, Jacob Taubes, Klaus Heinrich, Isaiah Berlin und Hans Blumenberg, die er im Haus seines Vaters, des Professors Joachim Ritter, kennen- und schätzen lernte.

Jacob Taubes nimmt von den 107 Seiten immerhin 40 Seiten ein, er war es, warum ich dieses Buch erwarb. Die Schilderungen von Henning Ritter faszinieren, sie zeigen das Bild des Menschen Jacob Taubes, der alles und noch mehr denken wollte, alle Aspekte einer Sache un-ideologisch spannend fand.

Taubes ermunterte seine Schüler zum Denken ohne Scheuklappen, zum Infrage stellen und neu denken ohne Berührungsängste. Wollte man es negativ sehen, war er ein Mensch, der immer beeindrucken, interessant sein wollte. Im positiven Sinne war er ein echter Wissenschaftler, der über Zweifel und Versuchungen weiter kommen wollte. Er wollte alles drehen und wenden, erkennen und Bücher las er , um „den einen Satz oder das eine Wort zu finden, in dem das Wesentliche eines Buches kondensiert war.“

Weites, unerhörtes, vorurteilsfreies Denken war für Taubes ein Synonym für jüdisches Denken, für theologisches Denken. „Alle säkulare Philosophie hatte für ihn eine antitheologische Spitze, dies es abzubrechen galt: Denn sie wollte den Menschen als von Natur aus gutes Wesen hinstellen, sie war, selbst wenn sie vom radikal Bösen sprach, eine Leugnung des Bösen.“

Taubes war ein Meister des Gesprächs, seine unsagbar lebenssprühenden Sujets faszinieren bis heute, er wusste seine Zuhörer zu fesseln, egal bei welchen Themen. „Geist sollte beleben, sonst nichts, uns so wurde es die Mission von Jacob Taubes, solche geistige Erregtheit zu übermitteln.

Carl Schmitt formulierte seine Sichtweise der damaligen Universitäten, de er von ich-bezogenen Priestern durchzogen sah. „Die Kanzel wurde zum Katheter für philosophische und moralische Vorlesungen. Dann wandelte sich das Katheter zur Bühne, in dem die Bühne zur moralischen Anstalt und die moralische Anstalt zur Bühne wurde.“ Er sah drei bürgerliche Gesichter zusammenkommen, die den geistigen Typus der Zeit charakterisierten: das eines Predigers, eines Professors und eines Schauspielers. Heute würde man meinen, dass sich diese Menschen auch in der Politik und im Journalismus finden, ihre Kunst besteht darin, moraliingetränkte Sichtweisen zu versprühen, um Macht auszuüben.

Ebenso spannend wie Jacob Taubes sind die Ausführungen Ritters zu Carl Schmitt, Klaus Heinrich, Isaiah Berlin und Hans Blumenberg. Von allen Begegnungen wird man nachdenklich gestimmt und höchst angeregt. Im Anschluss an dieses Buch lese ich von Jerry Z. Muller: Professor der Apokalypse, die vielen Leben des Jacob Taubes.

Bewertung vom 16.05.2023
Wir verlieren unsere Kinder!
Müller, Silke

Wir verlieren unsere Kinder!


ausgezeichnet

Eine Flut von unglaublichen Bildern zerstört das unbeschwerte Großwerden unsere Kinder. Niemand weiß wirklich, welche Inhalte heute auf den Smartphones unserer Jüngsten geteilt und besprochen werden, welche Challenges heute en vogue sind.

Dieses Buch ist ein Schock, den alle Eltern verstehen und mit gemeinsamen Anstrengungen verhindern müssen. Kinder werden immer früher Erwachsene und können Meinungen, Erfahrungen, Gefühle und Gedanken abrzfeb, die ungefiltert, 24/7, kaum reguliert, auf sie einprasseln.

Silke Müller beschreibt konkrete Probleme der Kinder und analysiert entsprechende Plattformen wie TikTok sowie die Probleme der Künstlichen Intelligenz. Sie vermittelt Hilfestellungen und Wege für Eltern, um den Problemen richtig zu begegne.

Zentral scheint mir der Hinweis, dass alle Eltern selbst ein Profil in entsprechenden Netzwerken eröffnen sollten, um tatsächlich das zu sehen, was ihre Kinder schauen und hören können.

Online Spiele für Kinder dürfen nur freigegeben werden, wenn Erwachsene sie mindestens eine Woche gespielt haben. Wichtig dabei ist der Chat-Suchtfaktor, mit dem Kinder eingefangen und gehalten werden.

Wenn heute Drag-Queens schon in Kitas vorlesen, muss man sich nicht wundern, wenn sich Kinder in Tik-Tok Filmchen als Mangas in sexualisierten Posen darstellen.

Silke Müller weiß, wovon sie redet. Ihre Warnungen sind nachvollziehbar und die zukünftigen Maßnahmen für Staat und Eltern lassen keinen Zweifel: hier muss schnellstens gehandelt werden.

Dabei steht für mich die Verantwortung der Eltern an erster Stelle, dieses Buch verhilft zu dem notwendigen Experten- vor allem aber dem schnellen Handlungswissen.

4 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.