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Lesendes Federvieh
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München
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Hinter dem Namen Lesendes Federvieh verbirgt sich das Blogger-Duo kathiduck und Zwerghuhn. Wir lesen querbeet alles, was uns zwischen die Finger kommt und veröffentlichen die Rezensionen dazu auf unserem Blog (lesendes-federvieh.de). Dort gibt es übrigens noch viele weitere Beiträge rund ums Thema Buch. :)

Bewertungen

Insgesamt 539 Bewertungen
Bewertung vom 05.06.2021
Versprechen kann ich nichts
Parrella, Valeria

Versprechen kann ich nichts


sehr gut

Valeria Parrella schafft es auf nur 137 Seiten hochaktuelle und berührende Einblicke in die gesellschaftlichen Strukturen Italiens zu geben. Kraftvoll und detailliert beschreibt sie den Alltag der 50 -jährigen Lehrerin Elisabetta, der zum einen von Einsamkeit und Schmerz über den Tod ihres Ehemannes geprägt ist. Zum anderen schildert sie aber auch ihre Eindrücke als Mathematiklehrerin im Jugendgefängnis von Neapel. Klar und präzise arbeitet sie die Diskrepanz zum privilegierten bürgerlichen Milieu heraus und gerade hier blitzen zwischen den Zeilen immer wieder klare Spitzen gegen das gesellschaftliche System durch, das jungen Menschen viel zu wenig Perspektiven bietet, um (wieder) ein normales Leben führen zu können.

An diesem unwirtlichen Ort trifft Elisabetta nun auf die junge Rumänin Almarina. Sie freundet sich mit ihr an und fühlt immer mehr, wie wichtig es ist, den Insassen Chancen für eine bessere Zukunft zu eröffnen, aber auch ihrem eigenen Leben wieder Sinn zu geben.

Für diese leise, berührende Geschichte lohnt es, sich Zeit zu nehmen, um das Erzählte nachhaltig wirken zu lassen. Durch den kühlen, leicht distanzierten, aber dennoch poetischen Schreibstil wird dem Leser die Rolle des Beobachters zuteil, so konnte ich unvoreingenommen in die Geschichte eintauchen und mir eine eigene Meinung bilden.

„Versprechen kann ich nichts“ ist ein lesenswertes, kluges Porträt über das heutige Italien, das noch lange nachhallt.

Bewertung vom 05.06.2021
The Hills
Faldbakken, Matias

The Hills


ausgezeichnet

Gleich zu Beginn wurde ich in eine nostalgische Stimmung voller Sicherheit und Wärme eingehüllt, die bis zum Ende des Buches anhielt. The Hills ist ein beruhigendes Refugium der Stabilität. Alles ist bis ins kleinste Detail präzise und genau beschrieben, seien es nun die Figuren oder auch das Setting. Man merkt bei jedem Wort und jeder Beschreibung, dass der Autor nicht nur ein Schriftsteller ist, sondern auch ein bildender Künstler und die Dinge nochmal aus anderen Blickwinkeln wahrnimmt als der Leser. Diese wunderbare Detailverliebtheit zieht sich durch das ganze Buch und erweckt dadurch nicht nur das Restaurant zum Leben, sondern auch die erstklassig skizzierten Charaktere. Der dazu gewählte elegante und ruhige Ton passt perfekt zu dieser sprachlich absolut gelungenen Lektüre.

Ich fühlte mich als Leserin in die Rolle einer Beobachterin versetzt, die das Geschehen ungestört verfolgen konnte. Ich war im „The Hills“ selbst zu Gast, konnte diese nostalgische Atmosphäre spüren und das war ein wundervolles Gefühl. In diesem ganz und gar gediegenen Rahmen platziert nun der Autor mit leiser Stimme, seine mit messerscharfer Klinge geführte Kritik an unserer Gesellschaft. Ich finde das gerade auch deshalb so großartig und gelungen, da man gerade in der vermeintlichen Komfortzone viel eindringlicher getroffen wird. Das wird am Verhalten des so herrlich angespannten, überforderten Kellners deutlich.

„The Hills“ bereitete mir ein unterhaltsames, elegantes und formvollendetes Lesevergnügen. Wer Sprache liebt, erlebt hier ein wahres Sahnestückchen.

Bewertung vom 31.05.2021
Geiger / Geiger-Reihe Bd.1
Skördeman, Gustaf

Geiger / Geiger-Reihe Bd.1


gut

Mit dem knallgelben Seitenschnitt, welcher die farblichen Elemente des Titels aufnimmt, ist „Geiger“ rein äußerlich bereits ein absoluter Hingucker und hält auch inhaltlich einiges bereit. Obgleich ich die Richtung, in welche sich die Handlung schnell entwickelt hat, so nicht erwartet hatte.

Denn dieser Thriller ist hochpolitisch, da er sich eingehend mit der ehemaligen DDR und der Rolle Schwedens in der Anerkennung des kommunistischen Staates sowie den tief verzweigten Verwicklungen des Geheimdienstes beschäftigt. Dabei erfordert die Lektüre für ein Buch dieses Genres ungewohnt viel Aufmerksamkeit sowie ein gewisses zeitgeschichtliches wie politisches Interesse, da Gustaf Skördeman sich nicht mit Oberflächlichkeiten begnügt, sondern inhaltlich in eine analytische gesellschaftskritische Tiefe geht. Dies wiederum fiel stellenweise zu Ungunsten der Spannung aus, wenngleich die wechselnden Erzählperspektiven dieses Defizit ausgleichen.

Neben eingehenden Einblicken in die Hintergründe der DDR sowie die abscheulichen Methoden der Stasi-Spione findet die sexuelle Ausbeutung von Frauen lautstark Ausdruck. Zum einen geschieht dies durch Übelkeit erregend authentisch geschilderte Szenen der Vergewaltigung von Minderjährigen und entführten, zur Sexarbeit gezwungenen Frauen. Zum anderen macht Kommissarin Sara Nowak, die für die Verhaftung der Sexkäufer zuständig ist, ihrem berechtigten Ärger an den schrecklichen Schicksalen der Frauen häufig Luft. Ihre Frustration ist durchaus nachvollziehbar, allerdings sind ihre impulsiven Aggressions- und Gewaltausbrüche, die wiederkehrenden Schimpftiraden sowie das zwanghaft eifersüchtige und klammernde Verhalten in Bezug auf ihre Familie auf Dauer ziemlich unangenehm.

„Geiger ist ein hochpolitischer Spionagethriller, der einen eingehenden Blick in die verstrickten Spionagetechniken und die Abgründe der DDR erlaubt.

Bewertung vom 25.05.2021
Die Schnüfflerin Bd.1
Vaszary, Anne von

Die Schnüfflerin Bd.1


ausgezeichnet

Ich hatte schon immer ein Faible für schräge Typen, eigenwillige Protagonisten mit Ecken und Kanten, die gerne den unkonventionellen Weg gehen. Deshalb bin ich mit dem erfrischenden Ermittlungsgespann aus der Schwangeren-Super-Spürnase Nina und dem fortwährend Hundevergleiche heranziehenden Hauptkommissar Koller gänzlich auf meine Kosten gekommen. Insbesondere die herrlich amüsanten Dialoge, die von treffsicheren Schlagabtauschen dominiert werden, haben mich mehrmals zum Schmunzeln gebracht.

Erfrischenderweise sind die beiden nicht durch romantische Verflechtungen miteinander verbunden, vielmehr haben sich zwei einsame Seelen in einer Vater-Tochter-ähnlichen Beziehung gefunden. Nina, die neben ihres herausragenden Geruchssinns durch ihren klugen Kopf, die scharfe Beobachtungsgabe und kreative Denkansätze beeindruckt, fühlt sich von der Mutter vernachlässigt und findet in Koller einen väterlichen Freund. Er wiederum ist seit dem Tod seines treuen Begleiters inmitten eines Einsatzes, in welchem er selbst schwer verletzt wurde, ein wenig aus der Spur geraten, sodass seine Ermittlungsmethoden immer unkonventioneller werden.

Dabei gelingt es Anne von Vaszary ohne blutrünstige Szenen für jede Menge Spannung, einen wendungsreichen Plot und vor allem großen Lesespaß zu sorgen, der die Sinne anspricht: Durch die eingehende Schilderung der verschiedenen Duftnoten sind mir die einzelnen Gerüche förmlich in die Nase gezogen – unabhängig davon ob es sich dabei um den belebenden Rosenduft oder die schweißige Käsenote von Buttersäure handelt.

„Die Schnüfflerin“ ist ein mitreißender Cosy Crime Roman, der mit eigenbrötlerischen wie liebenswerten Charakteren punktet und von einer ganz besonderen Duftnote aus Scharfsinn, Situationskomik und Spannung umweht wird.

Bewertung vom 23.05.2021
Mein Mann
Buzarovska, Rumena

Mein Mann


ausgezeichnet

Rumena Bužarovska gibt in 11 unterhaltsamen Kurzgeschichten geniale, emotionale, witzige und nachdenkliche Einblicke in den Kampf der Geschlechter. Erzählt werden die einzelnen Stories aus der Sicht der Frau, wobei immer eine andere ihre Geschichte erzählt. Daraus ergibt sich für jede einzelne Kurzgeschichte ein anderer Ton und Rhythmus und gerade das lässt das Gelesene so herrlich lebendig und authentisch wirken.

Die Damen, die mit beiden Beinen im Leben stehen, gehen dabei sehr hart mit ihren Männern ins Gericht, sind teilweise aber auch selbstkritisch und scheuen sich auch nicht andere, modernere Frauen zu kritisieren. Auf eine gewisse Art und Weise kriegen so alle ihr Fett weg. Obwohl wir uns literarisch in Nordmazedonien befinden, könnten die Geschichten überall in Europa spielen.
Es geht also über die Beziehungen zwischen den Geschlechtern, um vielfältige Ausprägungen des Patriarchats, wobei die Männer ziemlich schlecht wegkommen, sie taten mir manchmal direkt leid; aber wirklich nur manchmal.

Alle Geschichten sind im bürgerlichen Milieu angesiedelt, so dass die Frauen mehr oder weniger gut situiert sind und dennoch gibt es auch hier ganz klare Abhängigkeiten. Es zeigt, dass noch viel zu tun ist, um das Patriarchat zu überwinden, denn keine der Frauen schafft es sich zu lösen. Vielleicht gelingt dies der nächsten Frauengeneration, wenn ihre Mütter sie unterstützen.

Die Figuren sind ehrlich und psychologisch differenziert entworfen und egal in welche Abgründe sie den Leser blicken lässt, tut die Autorin dies unglaublich gut. Zwischen den Zeilen verbergen sich so viele Emotionen, Wut, Humor aber auch eine ordentliche Portion Boshaftigkeit, die daraus entstehenden Sogwirkung lässt die Seiten verfliegen. Man glaubt ihre Charaktere zu kennen, so realistisch agieren sie in den unterschiedlichsten Situationen, die auf gewisse Weise vertraut sind. Es ist alles nachvollziehbar und bietet viel Stoff über die Rolle der Frau nachzudenken.

Dabei beschreibt die Autorin alles so herrlich klar und neutral, sie ergreift nicht Partei und gerade das finde ich so großartig. Sie überlässt es dem Leser sich vorbehaltlos auf dieses Buch einzulassen und sich seine eigenen Gedanken über das Gelesene zu machen. Jede einzelne ihrer Stories gilt es nachwirken lassen, denn es gibt in diesem Buch so viele weitere Perlen ihres literarischen Können zu entdecken.

Bewertung vom 23.05.2021
Niemand hat Angst vor Leuten, die lächeln
Ovaldé, Véronique

Niemand hat Angst vor Leuten, die lächeln


sehr gut

Dieses spannende, komplexe und hochinteressante Frauenporträt übte auf mich eine ganz besondere, einzigartige Faszination aus. Man lernt zunächst Gloria, die Hauptfigur, an einer Weggabelung ihres Lebens kennen, in der sie versucht sich und ihre Kinder zu schützen, das Warum wird noch offen gelassen. Auch über die Person Gloria selbst lässt die Autorin den Leser zunächst im Dunkeln.

Stück für Stück taucht man mit Hilfe der Rückblicke in Glorias Werdegang, tief in ihr Denken, ihr Fühlen und in ihr Handeln ein, aus der zunächst schwach scheinenden Frau entpuppt sich immer stärker ihr wahres Wesen. Gloria war für mich von Anfang an keine richtige Sympathieträgerin, sie blieb unnahbar, sie ist nicht greifbar, aber genau diese Charaktermerkmale lösen sich immer mehr auf und man blickt in ihre Seele und ihre Gedankenstrukturen, auch wenn man ihre Handlungsweise nicht verstehen kann, nachvollziehbar ist sie unter ihrem kruden Blickwinkel durchaus.

So entwickelt sich leise eine Geschichte, die von Seite zu Seite immer dichter gesponnen wird und so eine unglaubliche Sogwirkung entfaltet. Gerade im zweiten Teil des Buches entsteht durch unvorhersehbare brillante Wendungen eine solch emotional aufgeladene Atmosphäre, die wirkliches Thrillerpotential aufweist. Auch der Schluss hat es in sich, denn erst nach der letzten Seite hatte ich die wirkliche Gloria vor Augen.

Neben dieser interessant und fesselnd gestalteten Handlung spielt der Schreibstil, der diesem Roman eine ganz spezielle Note verleiht, ebenso eine große Rolle. Wie sich bereits im ersten Satz des Buches erkennen lässt, hegt die Autorin ein Faible für lange Sätze. Aus diesem Grund sollte man sich Zeit für diese Lektüre nehmen, um alle Feinheiten, Einschübe und die eingestreuten Bemerkungen eines imaginären Erzählers genießen zu können. Es lohnt sich.

Ich habe diesen vielschichtigen Roman sehr gerne gelesen, denn ich konnte immer wieder Neues in der Geschichte entdecken. Dieses Porträt einer freiheitsliebenden Frau ist eine absolut gelungene Kombination von psychologischen Elementen, knisternder Spannung und starken Gefühlen.

Bewertung vom 17.05.2021
Leute wie wir
Evans, Diana

Leute wie wir


ausgezeichnet

Das ganz Besondere an diesem Buch ist der phänomenal gute Schreibstil der Autorin. Sie beschreibt einfach alles bis ins kleinste Detail, seien es Orte, Charaktere oder auch Gefühle, Gedanken und Situationen. Sie tut dies mit einer solch atmosphärischen Dichte, ich konnte ohne Wenn und Aber in die Geschichte eintauchen. Alles erscheint so bildhaft und treffend, man identifiziert sich ganz automatisch mit den Figuren und kann somit deren Handeln locker nachvollziehen, auch wenn ich an manchen Stellen anders gehandelt hätte. Gerade dieses Miteinander mit den Charakteren verleiht dem Buch eine ungewöhnlich kraftvolle Authentizität, denn es sind wirklich Leute wie wir, die hier agieren.

Diana Evans schreibt hier auf so wunderbare Art und Weise über zwei Beziehungen, die sich am Limit befinden, wobei sie dabei den Schwerpunkt auf das Paar Melissa und Michael legt. Die beiden befinden sich in einer ernst zu nehmenden Krise, denn die Schere zwischen ihren Träumen, seien sie nun beruflicher oder privater Natur, und der knallharten Wirklichkeit wird immer größer. Klar und absolut neutral beleuchtet sie diese Schwierigkeiten und auch die Gründe dafür, großflächig und präzise von jeder Seite, so kann sich der Leser selbst seine Meinung bilden.

Allerdings geht es hier nicht nur um das Scheitern einer Beziehung, sondern auch um andere Schieflagen unserer Zeit. Messerscharf richtet sie den Blick auf unsere Gesellschaft, erhebt aber nicht den Zeigefinger, sondern lässt die Missstände ohne Wertung in die Handlung einfließen. Immer wieder blitzt dabei auch das Thema Rassismus zwischen den Seiten hervor. Wie nebenbei schickt sie ihre Botschaften so an ihre Leser. Gerade durch diese trocken formulierten Aussagen haben diese Benachteiligungen und Ungerechtigkeiten noch eine viel stärkere Wirkung entfaltet, denn sie gehören leider immer noch zum Alltag. Und genau das bringt die Autorin hervorragend zum Ausdruck.

Mit diesem Roman ist Diana Evans ein großartiges, harmonisches Porträt über das ganz normale Leben und den damit verbundenen Aufs und Abs gelungen. Durch ihre einfühlsame Sichtweise und die Liebe zum Detail hat mich das Buch nicht von der ersten Seite, sondern bereits vom ersten Satz an gepackt und nicht mehr losgelassen. Für mich ein literarisches Highlight 2021.

Bewertung vom 09.05.2021
Kleine Wunder um Mitternacht
Higashino, Keigo

Kleine Wunder um Mitternacht


sehr gut

Ebenso wundersam wie es der Titel verspricht, kommt „Kleine Wunder um Mitternacht“ mit einer bezaubernd tiefgründigen wie erhellenden Geschichte daher, die eine ganz besondere Magie versprüht. Keigo Higashino, der bisher in der Welt der Kriminalromane Zuhause war, verknüpft darin die großen Fragen des Lebens mit einem Hauch von Zeitreise.

Geradezu märchenartig wird man in eine ferne Welt entführt, der etwas Magisches anhaftet, und mit drei jungen Ganoven beginnt, die in Namiyas Gemischtwaren auf wundersame Weise einen Brief aus der Vergangenheit erhalten. In fünf Kapiteln, die sich ihrerseits in weitere Geschichten verzweigen, um ein komplexes, schillerndes Netz aus Träumen, Lebensentscheidungen und Schicksal zu formen, lernt man die unterschiedlichsten Menschen mitsamt ihrer Sehnsüchte und Stolpersteine kennen, die allesamt vor einer schwierigen Entscheidung stehen.

Rat suchen sie bei Namiyas Gemischtwaren und das weit über die Lebenszeit des alten, weisen Mannes hinaus, was der Erzählung einen Hauch von übernatürlichem Flair verleiht und zugleich versinnbildlicht, welch grenzenlose Wirkung Anteilnahme und die Fähigkeit zuzuhören haben.

Gerade in Zeiten wie diesen braucht es Geschichten wie „Kleine Wunder um Mitternacht“, die wie ein heller Sonnenstrahl voller Hoffnung und der Gewissheit auf Besserung mitten ins Herz scheint und einfach glücklich macht.

Bewertung vom 05.05.2021
Die Wahrheit der Dinge
Thiele, Markus

Die Wahrheit der Dinge


sehr gut

Gerade bei spektakulären Fällen habe ich mich oft gefragt wie es ist Richter zu sein und Urteile zu sprechen, die gerecht sind. Was machen die Fälle mit dem Menschen unter der Richterrobe? Auf genau solche Überlegungen, bekam ich in diesem wirklich lesenswerten Buch einen kleinen Einblick hinter die Fassade geboten. Mit Petersen kam auch ich ins Grübeln über all die vielschichtigen und komplizierten Komponenten, die bei einer Urteilsfindung von großer Wichtigkeit sind. Über Recht und Gerechtigkeit, über Schuld und Moral, aber auch darüber, wieviel Menschlichkeit eigentlich wert ist. Wenn man sich einmal, wie hier durch dieses Buch, Zeit zum Nachdenken nimmt, merkt man sehr schnell, wie schwierig diese Thematik zu beurteilen ist.

Eingebettet in zwei spannende und emotional hoch aufgeladene Fälle entstand so ein überaus realistischer Einblick in die Mühlen unserer Rechtsprechung. Gekonnt verwebt Markus Thiele hier Realität und Fiktion, denn das Buch basiert zum einen auf dem Fall Marianne Bachmeier, die 1981 im Gerichtssaal den Mörder ihrer kleinen Tochter erschoss. Zum anderen orientiert er sich am Fall des Schwarzafrikaners Amadeu Antonio Kiowa, der 1990 eines der ersten Opfer rassistisch motivierter Gewalt wurde und an den Folgen des brutalen Übergriffs verstarb.

Es gibt hier also noch viel mehr, um sich darüber Gedanken zu machen, denn es geht auch um so wichtige Themen wie Vorurteile, Rassismus, Hass gegenüber Fremden und Selbstjustiz. Mit seinen beiden Protagonisten Corinna und Steve gibt er der Problematik ein sympathisches Gesicht, sodass ich beim Lesen noch direkter und emotionaler über ihre Schicksale betroffen war. Ebenso auch darüber, dass sich bis heute nichts an der Problematik gebessert, sondern eher verstärkt hat.

„Die Wahrheit der Dinge“ ist ein spannendes und hoch emotionales Buch, das von der ersten Seite an durch die klare, mitreißende Erzählweise besticht und beste Unterhaltung bietet. Aber nicht nur das, es zeigt auch deutlich, wie nötig es gerade in unserer turbulenten Zeit ist, sich Schieflagen in unsere Gesellschaft Gedanken bewusst zu machen und nicht einfach wegzusehen.

Bewertung vom 05.05.2021
Die Mitternachtsbibliothek
Haig, Matt

Die Mitternachtsbibliothek


sehr gut

Wie wäre das Leben verlaufen, wenn man sich in diesem einen Moment anderes entschieden hätte? Wäre man an dem gleichen Ort wie heute, mit den gleichen Freunden, der gleichen Vergangenheit? Wäre man glücklich in dem Leben, das man sich ausgesucht hat?

Äußerst feinfühlig, lebensklug wie melancholisch nähert sich Matt Haig in „Die Mitternachtsbibliothek“ den Fragen des Lebens, indem er seine Protagonistin Nora ausgehend von der Mitternachtsbibliothek in verschiedene Versionen ihres Lebens eintauchen lässt. Obwohl für mich von den ersten Seiten an klar war, in welche Richtung sich diese Geschichte entwickeln würde und ich am Ende tatsächlich recht behalten sollte, so hatte diese Vorhersagbarkeit auch etwas Beruhigendes. Denn jedes Kapitel stimmt auf seine Art nachdenklich, ist es doch gefüllt mit verstrichenen Gelegenheiten voller Bedauern, nie ausgelebten Träumen und letztlich voller Weisheit.

Insbesondere die erste Hälfte ist durchtränkt von schwerer Traurigkeit, lähmender Hoffnungslosigkeit und stummer Resignation beinahe so als läge ein mattierender Filter auf Noras Wahrnehmung. Doch genau jener am eigenen Körper spürbare Schwermut verleiht dieser Erzählung ihre eindrucksvolle Authentizität und Glaubhaftigkeit. Schließlich hat Nora insgeheim mit ihrem Leben abgeschlossen, leidet unter einer schweren Depression und sieht sich beruflich wie privat mit unüberwindbaren Hindernissen konfrontiert. Glaubhafte Heilung benötigt ihre Zeit, die sie in dieser Geschichte bekommt, sodass Noras Reise zu sich selbst inklusive der inneren Entwicklung empfindsam deutlich wird.

„Die Mitternachtsbibliothek“ lotet feinfühlig die Facetten der menschlichen Psyche vor dem Hintergrund getroffener Lebensentscheidungen aus und ist gleichzeitig eine lebensbejahende Ode an das Leben mitsamt seiner Schattenseiten.