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dj79
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Ilsenburg

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Insgesamt 200 Bewertungen
Bewertung vom 21.08.2019
Schneewittchensarg / Ingrid Nyström & Stina Forss Bd.7
Voosen, Roman;Danielsson, Kerstin Signe

Schneewittchensarg / Ingrid Nyström & Stina Forss Bd.7


sehr gut

Nach siebenundvierzig Jahren taucht während der Eröffnung einer Kunstausstellung im småländischen Glasreich eine vermisste Person wieder auf. Anstelle von gläsernen Knochen enthält ein Exponat, der Schneewittchen-Sarg, plötzlich die Gebeine der damals frisch verheirateten Berit auf, die nach der traditionellen Brautentführung nicht wieder aufgetaucht war. Ist das ein perfider Witz oder echt? Dieser Frage gehen Ingrid Nyström und Stina Forss mit ihren Kollegen nach.

Zunächst befinden sich sowohl die Ereignisse von damals als auch die Platzierung des menschlichen Skeletts in der Kunstausstellung komplett im Dunkeln. Nur sehr langsam nähern sich die Ermittler dem Rätsel durch Befragung damaliger Zeugen und Sichtung alter Unterlagen an. Besonders herausfordernd ist neben dem Ausfindigmachen der noch nicht verstorbenen Zeugen dabei die gemeinsame Vergangenheit von Nyström und Forss mit den schrecklichen Ereignissen darin. Es kostet vor allen Anderen Nyström Überwindung, sich mit Forss auf Augenhöhe auszutauschen und so die Ermittlungen voranzubringen.

Rein technisch betrachtet, ist das Buch in Tage eingeteilt, die sich dann wiederum in durchnummerierte, sehr kurze Kapitel gliedern. Dabei wechseln die Kapitel zwischen den verschiedenen Ermittlern hin und her, präsentieren so dem Leser immer neue Puzzleteile. Aus meiner Sicht wird dadurch der Lesefluss ungemein gefördert, weil man als Leser bis zur nächsten Dienstbesprechung einen Vorteil gegenüber den Ermittlern zu haben glaubt. Natürlich lässt man sich dadurch auch gern auf eine falsche Fährte locken. Am Ende eines jeden Tages bekommt der Leser noch zusätzliche Informationen über eingestreute Tagebucheinträge des Opfers.

Neben Nyström und Forss hat mir aus dem Ermittlerteam besonders Hugo Delgado gefallen. Als Schreibtischtäter hat er eine Menge Hintergrundarbeit geleistet, auf deren Basis die übrigen Ermittler ihre Arbeit aufbauen konnten. Obwohl er aus meiner Sicht den langweiligsten Part hat, kämpft er sich tapfer durch Aktenberge und Warteschleifen bei Telefonauskünften. Das machte ihn für mich sehr sympathisch. Überhaupt gefallen mir die Ermittlercharaktere insgesamt mit ihren kleinen und großen Schwächen in diesem 7. Fall schon deutlich besser als beim Erzengel, der für mich den Einstieg in die Serie markiert hatte.

Nachdem es recht viel Zeit in Anspruch genommen hat, den Fall überhaupt fassbar zu machen, geht es dann im Fall, aber auch mit dem Schicksal der Ermittler, sehr schnell voran. Ein Cliffhanger jagt den nächsten, so dass ich das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen konnte. Das Ende mündet in einem Showdown, der mich nun auf den 8. Fall warten lässt.

Fazit: Vossen und Danielsson haben hier wieder einen spannenden Krimi vorgelegt, der insbesondere die Herzen der Fans des skandinavischen Krimis höher schlagen lässt. Es erscheint mir hilfreich, wenn schon Vorgängerbände bekannt sind, was jedoch nicht unbedingt zwingend ist. Gern spreche ich eine Leseempfehlung aus.

Bewertung vom 21.08.2019
Die Leben der Elena Silber
Osang, Alexander

Die Leben der Elena Silber


ausgezeichnet

Jelena ist gerade zwei Jahre alt als zaristische Häscher ihren revolutionären Vater auf brutalste Weise ermorden. In der Kälte der Nacht ist sie gemeinsam mit der Mutter und dem älteren Bruder Pawel zur Flucht gezwungen, um den Mördern zu entrinnen. Die nun folgenden Lebensumstände drängen Jelena in ein Dasein zunächst im Schatten von Halbgeschwistern, später von ihrem deutschen Ehemann und dessen Familie und schließlich im Schatten ihrer selbst. Revolution, Bürgerkrieg und Weltkriege beeinträchtigen das Familienleben einer ganzen Generation. Familie hat zu funktionieren, ist weniger von liebevollem Umgang gekennzeichnet. Das Einzige, das zählt, ist das Überleben.

Die Geschichte wird in verschiedenen Zeitebenen erzählt, die von 1905 und 2017 ausgehend, aufeinander zulaufen. Der historische Erzählstrang begleitet Jelena vom Kleinkind, durch die Jugend, als Ehefrau und Mutter. Der aktuelle Strang ist Konstantin Stein, Jelenas Enkel, gewidmet. Er betrachtet Jelenas Leben aus der eigenen und der Erinnerung von Verwandten heraus. Auch wenn zwischen den Kapiteln immer mehrere Jahre fehlen, ergibt sich durch die Erzählweise ein erschreckendes, gleichzeitig beeindruckendes Gesamtbild, das aus meiner Sicht eine umfassende Erklärung für mache, von uns unverstandene, Reaktion oder Verhaltensweise der Kriegs- und Nachkriegsgeneration geben kann.

Obwohl Konstantin Stein als 43-jähriger eigentlich mitten im Leben stehen sollte, wirkt er auf mich wie ein kleiner Junge. Er läßt sich sorglos durchs Leben treiben, agiert spontan und impulsiv. Er ist ein Familienmensch, aber auch nur so halb. Konstantin vollendet im Prinzip nichts. Die im Roman mehrfach gebrauchte Formulierung „Er findet sein Thema nicht“ ist hier mehr als zutreffend. Seine ganze Haltung zum Leben wirkt ziel- und planlos. Überraschend konfrontiert mit der Demenz-Krankheit seines Vaters stellt Konstantin fest, dass er eigentlich kaum etwas über seine Eltern, deren Familie und damit über seine Herkunft, sich selbst weiß. Ist das sein Thema? Das Verhindern des Vergessens, das Finden seiner selbst. Er stürzt sich jedenfalls darauf. Seine ungelenke, stolperhafte, manchmal hilfsbedürftige Art machte mir Konstantin sehr sympathisch. Als Mutter möchte man sich am liebsten gleich um ihn kümmern.

Jelena steht komplett im Gegensatz zu Konstantin. Sie ist eine starke Frau, wobei abgehärtet wahrscheinlich die bessere Formulierung ist. Diverse Schicksalsschläge mussten ohne die heute übliche Unterstützung der Familie verkraftet werden. Verdrängung und eine eigene Wahrheit sind Jelenas Strategie, um mit dem Unerträglichen fertig zu werden. Der seelische Zusammenbruch ist zeitweise ganz nah. Leider schafft Jelena es nicht, jedem ihrer Kinder die gleiche Liebe zuteil werden zu lassen, geschweige denn sie gleich zu behandeln. So geht das Schicksal der Mutter anteilig auch auf die Kinder über. Trotz ganz viel Verständnis für ihr Handeln aus der Not heraus, hadere ich in diesem Punkt mit Jelenas Charakter.

Alexander Osang hat mit seinem Roman ein ganzes Jahrhundert umspannt, vermittelt damit zwischen den Generationen. Dabei hat mir nicht nur die Thematik und ihre literarische Verarbeitung gefallen, sondern auch die Gestaltung des Buches. Die Vorsatzblätter sind mit der kartografischen Einordnung der Geschichte und Jelena Silbers Familienstammbaum versehen. Neben einem Namenverzeichnis am Anfang ist am Ende des Buches ein Inhaltsverzeichnis enthalten. Insgesamt also eine runde Sache, die ich nur weiter empfehlen kann.

Bewertung vom 16.08.2019
Die geheime Mission des Kardinals
Schami, Rafik

Die geheime Mission des Kardinals


ausgezeichnet

„Die geheime Mission des Kardinals“ ist nicht nur ein sanft langsamer, sehr nachdenklicher Krimi. Der Roman ist noch vielmehr. In einer philosophisch anmutenden Betrachtungsweise geht er auf diverse Elemente bzw. Erscheinungen der syrischen Kultur ein. Kleine sympathische Angewohnheiten wie das Mokka-Trinken in allen Lebenslagen gehören genauso dazu wie auch hoch politische Themen, wie zum Beispiel die Ursachen des Terrorismus. Der Roman macht uns zudem bewusst, dass wir Europäer aus Unwissenheit zwangsläufig mit Muslimen anecken müssen. Wir kennen weder die verschiedenen Glaubensrichtungen, geschweige denn ihre Bedeutung und ihr Verhältnis untereinander, noch ahnen wir den Stellenwert, den der Aberglaube für die Menschen einnimmt. Darüberhinaus dürften den meisten von uns die Zusammenhänge in totalitären Systemen völlig fremd sein. Mit seinem Krimi gewährt uns Rafik Schami einen Einblick in die syrische Seele.

Vor dem gesellschaftspolitischen Hintergrund ermitteln nun der syrische Kriminalbeamte Barudi und der Italiener Mancini in einem heiklen Fall. Ein Kardinal wurde ermordet und in einem Fass Olivenöl an die italienische Botschaft in Damaskus übergeben. Beide sind ruhige, mir sehr sympathisch erscheinende Zeitgenossen, die sich gegenseitig perfekt ergänzen. Während Barudi durch seine langjährige Laufbahn bei der Kriminalpolizei sich bestens im Umgang mit Geheimdienst und Politik auskennt, ist Mancini mit einer Kombinationsgabe ausgestattet, die den beiden mit unorthodoxen Maßnahmen so manche Hintertür offen hält. Sie sind einfach ein perfektes Team.

Als wären der komplizierte Fall und der gesellschaftliche Aspekt nicht genug für ein literarisches Werk, krönt Rafik Schami seinen Roman mit sehr weisen Äußerungen, die sich prima zum zitieren eignen. Am besten hat mir das Folgende gefallen, weil es nicht nur allgemeingültig ist, sondern sehr genau die Grundaussage des Romans wiedergibt: „Sobald Fanatismus die Seele erobert, verkommt das Wissen zur toten Information, die keinen Einfluss mehr auf die Seele hat. So ist es auch mit dem Wohlstand. […] Sobald er eine gewisse Grenze überschreitet, macht er die Menschen dumm. Da kannst du manchen von ihnen im Fernsehen Gurken oder leidende Kinder zeigen, sie reagieren immer gleichgültig.“ (S. 350)

Fazit: Ich habe „Die geheime Mission des Kardinals“ gern gelesen. Ich mochte sowohl den Augen öffnenden Charakter des Romans wie auch den Wechsel zwischen Kapiteln, die sich mit dem Fall beschäftigen, und Kapiteln, die Barudis Tagebucheinträge widerspiegeln. Die literarische Aufbereitung hat mich regelrecht in den Roman hineingezogen, obwohl es kein reißerischer Pageturner im wörtlichen Sinne war. Das durchgehend hohe sprachliche und inhaltliche Niveau finde ich dermaßen ansprechend, dass ich die Lektüre nur empfehlen kann.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.07.2019
R.I.P. / Kommissar Huldar Bd.3
Sigurdardóttir, Yrsa

R.I.P. / Kommissar Huldar Bd.3


gut

Die Grundstory des dritten Falls von Kommissar Huldar und Psychologin Freyja ist schnell erzählt. Ein brutaler Mörder geht um. Bevor er zur Tat schreitet, müssen die Opfer um Verzeihung bitten, sich entschuldigen. Zwei Jugendliche sind bereits in seine Fänge geraten. Schnelle Erfolge bei den Ermittlungen sollen weitere Opfer verhindern.

Obwohl höchste Konzentration zur Aufklärung der Morde angebracht wäre, sind die Ermittler gefangen in einer privaten Fehde. Durch ihre nicht konformen privaten Interessen ist ihr Zusammenwirken gehemmt, die Suche nach dem Mörder leidet. Ich mag es zwar ganz gern, wenn Kommissare ein bisschen „kaputt“ bzw. vom Leben gezeichnet sind, hier nimmt mir jedoch der private Background zu viel Raum ein. In meiner Wahrnehmung geht dadurch ein Großteil der möglichen Spannung verloren.

Trotzdem mochte ich Freyja und Huldar. Mit Freyja konnte ich mich gut identifizieren. Sie hat ein relativ normales Leben mit Problemen, die man gut nachvollziehen kann, mit denen ich mich teilweise auch schon auseinander setzen musste. Huldars etwas trotteliges Wesen und seine männlichen Schwächen machten mir ihn sympathisch. Weniger konnte ich Ersa leiden. Sie war mir übertrieben eingeschnappt, brauchte für mein Empfinden zu lange, um wieder etwas mehr Professionalität walten zu lassen.
Dadurch verlaufen die Ermittlungen zäh. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit bis erste belastbare Anhaltspunkte gefunden werden. Dabei sind sie schon von Beginn an da. Zum Ende hin überschlagen sich dann die Ereignisse, die neben Motiv auch Täter offenbaren.

Schade finde ich, dass sowohl der Titel „R.I.P.“ als auch der Klappentext nicht hundertprozentig zum Inhalt passen. Wenn ich die Morde Revue passieren lasse, hat das weniger mit „Ruhe in Frieden“ als viel mehr mit „Fahr zur Hölle“ zu tun. Im Klappentext wird etwas erwähnt, was im ganzen Buch in dieser Form nicht wieder zu finden ist. Ich könnte mir vorstellen, der ein oder andere lässt sich davon vielleicht in die Irre führen und ist dann wohl möglich enttäuscht.

Fazit: „R.I.P.“ kann ich als soliden Krimi durchgehen lassen, das Prädikat Thriller würde ich nicht verleihen. Es gibt ein paar Spannungsmomente, für mich nicht genug. Da man Acht in seiner Erwartungshaltung geben muss, kann ich den Krimi nur eingeschränkt weiterempfehlen.

Bewertung vom 11.07.2019
Stella
Würger, Takis

Stella


ausgezeichnet

Stella ist ein Roman, der sehr gegensätzliche Gefühle auslöst, weil er sich intensiv mit augenscheinlichen Widersprüchen, die während des Zweiten Weltkrieges nebeneinander existiert haben, beschäftigt. Darüber hinaus offenbart der Roman die Abgründe des Menschseins. Am Beispiel der Stella zeigt er, zu welchen Handlungen Menschen fähig sind, um Drohpotential der eigenen Person oder dem eigenen Umfeld gegenüber abzuwenden, wenn die Bedrohung nur groß genug ist. Takis Würger zwingt den Leser, sich mit dem eigenen Gewissen auseinander zu setzen, indem er geschickt die Frage nach dem Richtig oder Falsch aufwirft, ohne sie konkret zu stellen.

Takis Würger beginnt jedes Kapitel mit Schlagzeilen, die so aus einer Tageszeitung entnommen sein könnten und skizziert somit den historischen Hintergrund seiner Geschichte. Darin finden neben aktuellen Kriegsnachrichten und immer neuen Einschränkungen für Juden auch die Gewinner von Goldenen Schallplatten und den Oscars, sowie frisch geborene, heute berühmte Persönlichkeiten Erwähnung. Sehr passend darin, aber mehr als denkwürdig, habe ich die eingestreuten zehn Gebote für jeden Nationalsozialisten empfunden.

Trotz der jeweiligen Kapiteleinleitung würde der Leser zunächst inhaltlich gar nicht richtig merken, um welches Thema es tatsächlich geht, wären da nicht die Auszüge aus den Protokollen des sowjetischen Militärtribunals. Anfangs nimmt man eigentlich nur die entspannte Atmosphäre der Kunstschule und die Leichtigkeit der Nachtclub-Szene wahr. Mit der Zeit entwickelt sich dann ein Störgefühl gegen so viel Frohsinn und diesen überschwänglichen Genuss, wo doch weltweit der Krieg tobt. Darf man so etwas überhaupt? Dann kippt die Stimmung des Romans. Überschwänglichkeit weicht Entsetzen. Ich wurde nun regelrecht hineinkatapultiert in die unmögliche Situation der Stella. Wie sie damit umgeht, ist für mich gleichzeitig abstoßend wie auch nachvollziehbar.

Bis zu dem Zeitpunkt, wo mir letztlich klar wurde, wie viele Andere Stella auf dem Gewissen hat, mochte ich sie sehr gern. Ich konnte sie als Aktmodell ebensogut leiden wie als Sängerin. Auch innerhalb ihrer Beziehung mit dem schüchternen Schweizer, Friedrich, ist sie mir richtig ans Herz gewachsen. Sogar als ich mitbekam, was sie aus ihrer Zwangslage im Hintergrund tut, hatte ich noch Verständnis für Stella. Erst kurz vor dem Ende hat sich meine Sympathie vollständig aufgelöst.

Warum meine Gefühlslage nicht eindeutiger ausgefallen ist bzw. meine Sympathie sich nicht schon früher verflüchtigt hat, wie es gemäß unserer heutigen historischen Bildung politisch korrekt gewesen wäre, kann ich gar nicht sagen. Ich bin hier ehrlich auch im Nachhinein nicht in der Lage, zu beurteilen, ab wann genau Stellas Handeln als falsch zu bewerten ist. Wer soll auch entscheiden, welches von zwei Menschenleben erhalten werden soll, wenn nur eines überleben darf?

Ingesamt hat mir die Aufbereitung des umrissenen Ausschnitts der Gesellschaft als ein Bestandteil im Rahmen der Judenverfolgung extrem gut gefallen. Sie bewegt, lässt einen nachdenklich werden und am eigenen Gewissen zweifeln. Am ausschlaggebendsten für mich war jedoch, dass sie die Bewertung der Sachlage dem Leser überlässt. Von mir gibt es eine ganz klare Leseempfehlung.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.07.2019
All die unbewohnten Zimmer
Ani, Friedrich

All die unbewohnten Zimmer


sehr gut

Die Basis für den neuen Roman von Friedrich Ani bilden zwei Kriminalfälle. Ein recht schnell gelöster Fall beschäftigt sich mit einer Frau, die erschossen wurde und einem angeschossenen, nun schwer verletzten Polizisten. Ein zweiter, zunächst völlig unklarer Fall zu einem erschlagenen Polizisten lässt die Ermittler des K112 lange im Trüben fischen. Erst mit der Übergabe der Ermittlungen an das K111 lichtet sich langsam der Nebel. Obwohl der leicht gelöste Fall bald keine vordergründige Rolle mehr spielt, so ist er doch Stressor für den zweiten komplizierteren Fall, da es in beiden polizeiliche Opfer zu beklagen gibt.

Insbesondere im komplexeren Fall ermitteln die vier, recht speziellen, mir allerdings noch unbekannten, Ani-Charaktere Polonius Fischer, ehemals Mönch jetzt Leiter des K111, Jakob Franck, ehemaliger Leiter des K112, der trotz Pensionierung immer noch den Angehörigen der Opfer die schlimmste Nachricht überbringt, Fariza Nasri, Ermittlerin mit syrischen Wurzeln und einem schweren Rucksack zur Vergangenheitsbewältigung, und schließlich Tabor Süden, ehemaliger Polizist, der jetzt als Privatdetektiv vermisste Personen ausfindig macht. Sie nähern sich dem Fall aus unterschiedlicher Motivation heraus. Ohne das Bewusstsein, an derselben Sache dran zu sein, kreuzen sich bald ihre Wege.

Abwechselnd werden dafür den Ermittlern Kapitel gewidmet, die die Ereignisse aus ihren jeweiligen Perspektiven darstellen. Dabei sind Farizas Kapitel in der ersten Person gehalten, die anderen werden in der dritten Person erzählt. Das Umfeld der Vier tut sich für den Ani-Neuling recht umfangreich auf, zugegebenermaßen hat es ein Weilchen gedauert, bis ich alle richtig zusammenhalten konnte. Durch die verschiedenen Blickwinkel verliert der Kriminalroman an Rasanz, wird regelrecht ausgebremst und wirkt dadurch auch weniger spannend.

Trotzdem ist die Lektüre lohnenswert. Der Detailreichtum in der Beschreibung der Beziehungsgeflechte der Polizisten untereinander sowie zwischen Polizei und diverser Bevölkerungsgruppen ist bemerkenswert. Die intensiven Gespräche mit potenziellen Zeugen fand ich sehr ansprechend. So zeichnet Ani scheinbar nebenbei einen aktuellen Querschnitt durch unsere Gesellschaft. Er berichtet beispielsweise von fehlendem Vertrauen in die Polizeiarbeit, von rechtem Gedankengut in allen sozialen Schichten und von der Hoffnungslosigkeit gescheiterter Existenzen. Für mich stellt er zudem die positive Integration einer syrischen Familie der gescheiterten nachhaltigen Integration eines Ostdeutschen in der Bundesrepublik gegenüber ohne dies zu verallgemeinern.

Fazit: Aus meiner Sicht ist dieser Kriminalroman mehr feinsinnige Gesellschaftskritik als spannende Verfolgungsjagd. Je nach Empfänglichkeit des Lesers können unterschiedliche Kritikpunkte mehr oder weniger deutlich wahrgenommen werden. Wenn man allerdings - wie ich - sehr stark seine Gedanken zum Roman fließen lässt, hat man am Ende etwas Mühe den Blick auf den roten Faden nicht zu verlieren. Für mich trotzdem ein Vergnügen.

Bewertung vom 29.05.2019
All das zu verlieren
Slimani, Leïla

All das zu verlieren


ausgezeichnet

Adèle führt gemeinsam im ihrem Ehemann, einem Chirurgen, und ihrem kleinen Sohn ein luxuriöses Leben in einem schicken Pariser Viertel. Sie selbst arbeitet als Journalistin bei einer Pariser Tageszeitung. Dieses Leben betrachtend, lässt sich zunächst schwer nachvollziehen, warum Adèle so unglücklich und hoffnungslos wirkt. Dennoch spürt man eine unendliche Leere, die nicht recht zu fassen ist. Immer, wenn Adèle nicht gerade aus ihrem „langweiligen“ Leben ausbricht, ist sie regelrecht lustlos in der Abwicklung ihrer Angelegenheiten. Im Job beginnt sie beispielsweise erst kurz vor den Abgabeterminen mit der Recherche für ihre Artikel. Ihren Sohn lässt sie so oft es geht in der Obhut von anderen, um für sich selbst Freiraum zu schaffen.

Die Leere insgesamt versucht Adèle, mit spontanen sexuellen Handlungen, vornehmlich mit Fremden, auszufüllen. Sie begibt sich auf die Jagd, verführt scheinbar beliebige Männer, doch schon während des eigentlichen Aktes ist der Reiz oft verflogen. Die Langeweile macht sich wieder breit und so bleibt Adèles Leben, wie die Seiten im Buch, wenn ein neues, aber unbetiteltes Kapitel beginnt, leer.

Erst nach und nach erkennt man zwischen den Zeilen, die erdrückende Last, die auf Adèles Schultern ruht. Wie genau diese ausgeprägt ist, obliegt der Interpretation des Lesers. Beim Lesen stolpert man über Erinnerungsfetzen aus Adèles Kindheit, über Ereignisse im Zusammenhang mit ihrem Job, über ihre Gedanken im Rahmen ihrer sozialen Kontakte, über Essgewohnheiten und Weiteres. Insgesamt entsteht ein Bild von oder eine Sichtweise zu Adèle, das/die je nach Erfahrungsschatz des Lesers unterschiedliche Schwerpunkte enthalten kann.

Ich mag Romane besonders gern, die mir nicht die ganze Story haarklein vorkauen, sondern genau diese Spielräume zum Weiterdenken lassen. Leïla Slimani spricht hier mutig, klar und ungeschönt ein Alltagsproblem „höherer“ Schichten unserer heutigen Wohlstandsgesellschaft an. Sie bringt die Frage nach den Parametern, die in unserer heutigen Konsumblase das Glück bestimmen, nicht genau bzw. überhaupt nicht auf den Punkt, sondern kreist vielmehr, wie die Betroffenen selbst um den Zwiespalt, zwischen den schier unendlichen Möglichkeiten entscheiden zu müssen. Mir hat das gefallen. Ich konnte Adèle gut verstehen, ihre Gefühlslage nachvollziehen, obwohl die Art ihres Ausbruchs aus dem Alltag so gar nicht in mein Weltbild passt.

Fazit: Leïla Slimanis Roman ist sehr empfehlenswert. Er ist aufwühlend, zum Teil unfassbar, dennoch realistisch vorstellbar.

Bewertung vom 22.05.2019
Golden Cage. Trau ihm nicht. Trau niemandem / Golden Cage Bd.1
Läckberg, Camilla

Golden Cage. Trau ihm nicht. Trau niemandem / Golden Cage Bd.1


gut

Wenn man aufgrund des spannungsgeladenen Titels „Golden Cage. Trau ihm nicht. Trau niemandem.“ in Verbindung mit dem Namen Camilla Läckberg glaubt, einen Thriller serviert zu bekommen, dann wird man vielleicht enttäuscht sein, da der vorliegende Text dafür einfach nicht spannend genug ist.

Aber warum ist das so? In meinen Augen wird zu lang, nämlich etwa bis zur Buchmitte, in die Situation eingeführt. Als Leser taucht man in ein Familiendrama ein, wo Faye und Jack nach außen hin das perfekte Paar mimen. Gekrönt wird das scheinbare Glück von Julienne, der bezaubernden Tochter. Da Faye diese Perfektion auch nach innen aufrechterhalten will, tut sie absolut alles für Jack. Faye gibt sich mit Leuten ab, die sie nicht mag, wohnt mit Jack in einem Luxusapartment wie aus dem Hochglanzprospekt, lässt sich regelmäßig von ihm maßregeln, erniedrigt sich selbst vor ihm, nur um ihm weiterhin zu gefallen. Fayes unterwürfiges Verhalten ihrem Ehemann gegenüber passt aus meiner Sicht nicht zu ihrem in Rückblenden erzählten Hintergrund. Im Zusammenhang mit ihrem Studium und mit ihrem Beitrag während der Entstehungsphase des gemeinsamen Unternehmens Compare machte sie einen durchaus intelligenten Eindruck. Trotzdem hat sich Faye von Jack unterbuttern lassen. Zudem hätte ich erwartet, dass Faye aus den Erlebnissen ihrer Kindheit erstarkt hervorgegangen ist. Weil diese Verhaltensweisen überhaupt nicht mit meinem Frauen-/Weltbild in Einklang zu bringen sind, bleibt Faye mir bis zu Ende fremd.

In der zweiten Buchhälfte emanzipiert sich Faye endlich aus ihrem Goldenen Käfig. Es wird ein wenig spannender. Ohne eine Öre in der Tasche startet sie wie ein Phoenix aus der Asche eine neue Karriere. Nach all der Unterdrückung, jetzt zunächst mit finanziellen Sorgen belastet, entwickelt sie einen genialen Businessplan, während sie gleichzeitig einen Aushilfsjob ausübt. Als wäre das nicht schon zu viel, denkt Faye sich außerdem einen Racheplan für den gemeinen Jack aus. Für meinen Geschmack läuft es ab hier zu glatt, jede Idee schlägt ein, nichts geht schief, nur noch einmal wird es eng für Faye. Das hat nichts mehr mit Lebenswirklichkeit zu tun. Hier erschient mir die Handlung unglaubwürdig.

Das positive Ende hat mich dann auch irgendwie überrumpelt. Es passte zwar sachlich zu den vorher beschriebenen Tatsachen, wirkte aber trotzdem aufgesetzt.

Zudem finde ich den Titel „Golden Cage. Trau ihm nicht. Trau niemandem.“ nicht ganz passend. Natürlich klingt der Titel nicht mehr so spannend, wenn man den letzten Teilsatz „Trau niemandem.“ weglässt. Dennoch finde ich ihn irreführend, da Faye ja doch der ein oder anderen Person sehr stark vertraut. Einen weiteren Kritikpunkt möchte ich für das recht penetrante Productplacement vergeben. Diese massive Form mag ich einfach nicht.

Trotz all der Kritik hat sich der Roman gut lesen lassen. Wenn man es nicht so genau nimmt, kann man das Buch mal zwischendurch oder im Urlaub durchschmökern. Die beiden bzw. drei Zeitebenen, in denen erzählt wird, lassen beim Leser Ahnungen entstehen. Richtig gut hat mir auch die unterschwellige Kritik zum „Schönen Schein“ gefallen. Golden Cage ist vielleicht insgesamt ein Thriller-light und für Einsteiger in dieses Genre gut geeignet. Da sich die schwedische Polizei meiner Meinung nach bei ihren Ermittlungen hier einen gravierenden Fehler leistet, sollten Angehörige ebendieser vielleicht die Finger von dem Roman lassen, um unnötigen Ärger zu vermeiden.

Bewertung vom 21.05.2019
Kaschmirgefühl
Aichner, Bernhard

Kaschmirgefühl


weniger gut

Lügen am Telefon
Da ich außergewöhnliche Sprachstile mag, musste ich mich natürlich auch mit dem Kaschmirgefühl auseinandersetzen. Die Idee, eine ganze Geschichte mit Hilfe von Telefonatsaufzeichnungen zu erschaffen, hatte mir sehr gut gefallen. Interessant war für mich, ob sich die Geschichte nur durch die Sprechaktivitäten der Protagonisten in den Kopf des Lesers transportieren lässt. Da Bernhard Aichner in seinem Thriller Bösland, den ich megagut fand, in einigen Kapiteln schon einen ähnlichen Stil gepflegt hat, hatte ich mir von diesem Liebesroman viel versprochen.

Leider konnte der Roman meine Erwartungen nicht erfüllen. Dabei ist das Buch so schön gestaltet in Farbtönen aus türkis, weiß und pink. Auch wenn es schon fast an Papierverschwendung grenzt, mag ich die Extra-Seiten, die ein neues Kapitel ankündigen, die man auch im Buchschnitt erkennen kann. Auch die nur zu zwei Dritteln vollgeschriebenen Seiten hatten ihren Charme. Kein einziger Buchstabe wurde von meinem Daumen verdeckt.

Die Telefongespräche ließen sich super lesen, entsprechende Bilder wurden ohne Schwierigkeiten erzeugt. Dennoch frage ich mich, was Bernhard Aichner dem Leser mit diesem Roman sagen will. Will er Gesellschaftskritik üben, weil wir unsere Selbstdarstellung heutzutage überall, wo wir unbeobachtet sind, tunen? War das Ganze ein Rollenspiel? War es eine Schreibübung für ihn, die er als vermarktungsfähig empfand? Mich lässt das Buch etwas ratlos zurück, denn inhaltlich im Sinne einer Liebesgeschichte wurde ich überhaupt nicht abgeholt.

Die beiden Charaktere Gottlieb und Marie frotzeln sich die ganze Zeit an. Es beginnt mit Gottliebs ersten Anruf bei einer Sexhotline. Marie müsste es ihm besorgen, aber stattdessen reden die beiden miteinander bzw. lügen sich gegenseitig an. Man versucht sich gegenseitig aus der Reserve zu locken und den jeweils anderen zu übertrumpfen. Das Telefongespräch dauert mit kleinen Unterbrechungen, weil immer mal wieder einer von beiden gekränkt auflegt, die ganze Nacht. Sympathie habe ich weder zu Marie, und erst recht nicht zu Gottlieb aufbauen können. Eine Liebesgeschichte konnte ich nicht erkennen. Klar, Gottlieb erfindet eine Story, in der er der Held für Marie ist. Denken Männer wirklich so? Zwischendurch hatte ich den Eindruck, als ob das Genre in Richtung Thriller wechselt. Aber auch diese Hoffnung wurde enttäuscht.

Glücklicherweise war dieser Nicht-Liebesroman witzig und ließ sich in einem Zug lesen. Es reicht, um sich nach einem „besch… Arbeitstag“ abzulenken. Wirklich empfehlen kann ich diesen Roman allerdings nicht.