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seschat
Buchflüsterer: 

Bewertungen

Insgesamt 895 Bewertungen
Bewertung vom 24.10.2022
Wer glaubt uns noch?
Bosbach, Wolfgang

Wer glaubt uns noch?


ausgezeichnet

Ehrlicher Lagebericht

Der CDU-Vollblutpolitiker Wolfgang Bosbach hat ein informatives Buch über die anhaltende politische Vertrauenskrise in Deutschland geschrieben. Ungeschönt offen geht er darin mit den Versäumnissen und Fehlern der Parteien ins Gericht. Während die Kluft zwischen Bürgern und Regierenden immer größer wird, zeigt Bosbach Wege aus der Krise auf. Doch der politische Nachwuchs fehlt, keiner hat mehr Lust sich zu engagieren und wenn, dann nur wenn's der eigenen Tasche nützt. Die Politikverdrossenheit und vor allem die Enttäuschung über "Die da oben" ist groß.

Man muss kein Anhänger der Christdemokraten sein, um dieses vielschichtige wie hochaktuelle Buch lesen zu können. Bosbach ist ein guter Erzähler. Komplizierte politische Zusammenhänge stellt er so dar, dass auch Ottonormalverbraucher es versteht. Löblicherweise verzichtet er dabei auf die übliche verklausulierte Politikersprache und das Gendern. Auch biedert er sich dem Leser nicht an, sondern offenbart vielmehr sein Verständnis für die Sozialschwachen. Selbst mit seiner eigenen Partei und der ehemaligen Kanzlerin ist er nicht immer einer Meinung und lässt sich diese auch nicht verbieten. Weiter so!

Gäbe es in Deutschland mehr Politiker wie Bosbach, die Politik wäre eine andere. Bleibt nur zu hoffen, dass seine Appelle und Ratschläge bei den richtigen Personen Gehör finden.

Bewertung vom 23.10.2022
New York Christmas Story (MP3-Download)
Bell, Karin

New York Christmas Story (MP3-Download)


ausgezeichnet

Karin Bell hat das Märchen "Aschenputtel" ins 21. Jh. verfrachtet und daraus eine überaus herzige Story gezaubert.

Im Zentrum des leichten Unterhaltungsromans steht die 25-jährige Cathlyn Jones, die zwar im New Yorker Einkaufszentrum Macy's arbeitet, aber noch lieber Modedesign studieren würde. Als ihr eines Tages der smarte Anwalt Steven Hartford in der Damenabteilung begegnet, fühlt sie sich ab dem ersten Moment zu ihm hingezogen. Doch spielt er gesellschaftlich in einer ganz anderen Liga und hat einen einflussreichen Vater, der für den Posten des Senators kandidiert. Als einfache Verkäuferin bei ihrem Traumprinzen zu landen scheint geradezu aussichtslos...

Karin Bells 176-seitiger Roman las sich ungemein leichtfüßig. Hauptfigur Cathlyn war mir mit ihrer kindlichen Begeisterung für Weihnachten auf Anhieb sympathisch. Sie hat das Herz am rechten Fleck, wohnt bei ihren liebenswerten Großeltern und ein gutes Gespür für Mode. Steven bringt ihr ach so aufgeräumtes Leben gehörig durcheinander. Ihre Dates wirken fast schon zu perfekt, sind aber gleichwohl ungeheuer romantisch. Natürlich stehen Stiefmutter und Stevens Ex-Verlobte dem gemeinsamen Glück entgegen, doch im Märchen ist nun einmal alles möglich. Insofern ist Bells Buch der perfekte Seelentröster in persönlichen wie weltpolitischen Krisenzeiten.

FAZIT
Kurzweiliger Winterroman für Freunde romantischer wie märchenhafter Belletristik.

Bewertung vom 09.10.2022
Die Hoffnung auf ein neues Morgen
Sahler, Martina

Die Hoffnung auf ein neues Morgen


ausgezeichnet

Die Faszination fürs Alte Ägypten hat mich dazu gebracht, Archäologie zu studieren. Bis heute kann ich an fast keinem Buch über das Pharaonenland vorbeigehen.

An Martina Sahlers Historienroman "Die Hoffnung auf ein neues Morgen" hat mich das Cover auf den ersten Blick in seinen Bann gezogen. Mit der wagemutigen Frau im Vordergrund konnte ich sofort identifizieren und die zauberhafte Nillandschaft dahinter hat Erinnerungen an die eigene Nilrundreise wachgerufen.

Der Inhalt von Sahlers Roman war nicht weniger spannend. Gleichzeitig Leichtfüßig und kenntnisreich entführt die Autorin die Leser in die Zeit der Entdeckung des Grabes des Tutanchamun. Der ägyptische Sensationsfund des 20. Jhs. bildet allerdings nur die Rahmenhandlung. Im Focus steht Victoria Parker (20), die den letzten Wunsch ihres verstorbenen Adoptivvaters, des britischen Ägyptologen Richard Parker, gegen alle gängigen gesellschaftlichen Konventionen erfüllen will. Obschon ihr Verlobter, der vermögende Hotelierssohn Caleb Rutherford, sie unbedingt heiraten möchte, reist Victoria mit ihren 13-jährigen Halbbruder Jamie allein nach Luxor - eine abenteuerliche Reise, die beide verändern wird...

Mich hat Sahlers Handlung von Beginn an gepackt. Ihre atmosphärisch stimmigen Landschaftsbeschreibungen und wohlrecherchierten Einblicke in die altägyptische Geschichte trugen ebenso dazu bei, dass ich förmlich über die 302 Buchseiten (E-Book) geflogen bin. Hauptprotagonistin Victoria Parker ist eine starke und selbstbestimmte Frau, die ich auf Anhieb sympathisch fand. Auch ihren hochintelligenten Bruder Jamie mit seiner Ägyptenleidenschaft schloss ich sofort in mein Leserherz. Daneben lernt man in diesem Buch frühe Ägyptologinnen wie z.B. Hilda Petrie und emanzipierte Frauen der Zeit kennen, die sonst eher nur am Rande betrachtet werden. Diese starken Frauen machen den Historienroman besonders. Natürlich darf auch in dieser Story keine Liebesgeschichte fehlen, wobei es derer gleich mehrere gibt. Am interessantesten fand ich hierbei Victorias Tändelei mit dem britischen Ägyptologen Lucas Hodgson, weil sich beide anfangs so gar nicht ausstehen konnten und Missverständnissen aufgesessen sind. Fernab der strengen Regeln des Empires kann sich Victoria in der britischen Kolonie Ägypten als Frau frei bewegen und wird später sogar von Howard Carter als Zeichnerin engagiert. Gleichwohl diese Wendung Sahlers Fiktion entspringt, gefiel mir die Verquickung von Dichtung und Wirklichkeit in diesem Punkt sehr. Die Geschehnisse rund um die Ausgrabung des Königsgrabs von Tutanchamun hat die Autorin faktenbasiert und damit ungemein realistisch, wenn auch zeitlich gestrafft, dargestellt.

FAZIT
Ein spannender Historienroman mit starken Frauen, emotionalen Momenten und überzeugenden historischen Sequenzen. Die Leidenschaft für das Land der Pharaonen spricht aus jeder Zeile. Ich freue mich schon auf die weiteren Bände von Sahlers neuer Buchreihe namens "Die Frauen von Luxor".

Bewertung vom 09.10.2022
Ungeschönt
du Mont, Sky

Ungeschönt


ausgezeichnet

Altern ist für viele heutzutage eine Horrorvorstellung und mit allerlei Negativattributen versehen. Doch wer kann und will schon bis in alle Ewigkeit jung und jugendlich sein?

Der Schauspieler und Autor Sky du Mont (*1947) möchte mit seinem Buch "Ungeschönt altern" anderen die Angst vorm Altern nehmen und Vorfreude auf diesen durchaus spannenden Lebensabschnitt wecken.

Als 75-Jähriger weiß Sky du Mont wovon er spricht. Er schaut nicht mit Wehmut zurück, sondern nur noch nach vorn und genießt jeden Tag. Sicherlich plagen auch ihn gesundheitliche Zipperlein mehr als früher, aber er verteufelt den Alterungsprozess deshalb nicht. Lieber lacht er über sich selbst und wagt den Schulterschluss mit der Jugend. Für ihn ist Alter auch eine Frage der Einstellung.

Unverstellt und mit Witz schildert er in seinem Buch eigene Erlebnisse und Entscheidungen. Ich habe mich herrlich über seinen Schreibstil amüsiert und bewundere ihn gleichzeitig für seine ungeschönte Ehrlichkeit. Er, den man aus Funk und Medien stets korrekt gekleidet kennt, kommt in diesem Buch recht uneitel und menschlich daher. Die eingestreuten Bonmots von Promis fand ich durchweg passend, was bei mir eher selten vorkommt.

Am witzigsten fand ich folgendes selbstironisches Zitat von Keith Richards (Rolling Stones): "So alt wie ich aussehe, kann ich nie werden."

Insgesamt habe ich Sky du Monts Büchlein mit Gewinn und Freude gelesen. Sowohl für die ältere als auch die jüngere Generation kann ich es empfehlen.

Bewertung vom 10.09.2022
Ein Sommer in Niendorf
Strunk, Heinz

Ein Sommer in Niendorf


gut

Heinz Strunk habe ich vor allem wegen seines Teemännchen-Kurzgeschichtenbandes in mein Leserherz geschlossen. Kein Autor versteht es auf so sarkastische und vor allem dunkle Weise die Ausgegrenzten und von der Gesellschaft Abgehängten zu porträtieren.

In seinem neuesten Werk "Ein Sommer in Niendorf", das für den Deutschen Buchpreis 2022 nominiert ist, geht es wieder um eine bedauernswerte Gestalt. Der Jurist Dr. Roth (51) will in Niendorf seine Familiengeschichte schriftstellerisch aufarbeiten, doch die selbst verordnete 3-monatige Auszeit an der Ostsee läuft komplett aus dem Ruder. Zwischen Alkohol, falschen Freunde und Niendorfer Sargruhe wird er sich seiner unbedeutenden Existenz gewahr.

Ich bin Strunks abgründige Schreibe gewöhnt und mag seine demaskierenden Alltagsbeschreibungen sehr, doch im vorliegenden Roman wurde es selbst mir zu viel. Hauptfigur Roth verliert sich für meinen Geschmack zu sehr im Alkohol und Spinnereien. Sein Schicksal scheint aussichtslos zu sein und zieht ihn von Buchseite zu Buchseite immer mehr nach unten. Der Plot kommt ohne Überraschungen aus und plätschert so vor sich hin, was dazu führte, dass ich mich mehrmals dazu zwingen musste, das Buch weiter zu lesen. Vor allem das Ende widerte mich beim Lesen regelrecht an.

Ich habe mir im Vorhinein mehr von diesem Buch versprochen, doch in Sachen Inhalt und Stil nur einen Abklatsch von Strunks bisherigen Werken bekommen. Dieses Buch kann nur lesen, wer stark genug ist, den menschlichen Abgründen ins Auge zu schauen. Die Nominierung für den Deutschen Buchpreis kann ich leider nicht nachvollziehen.

Bewertung vom 04.09.2022
Das Geheimnis der Museumsinsel
Averdunk, Moritz

Das Geheimnis der Museumsinsel


ausgezeichnet

Der Roman "Das Geheimnis der Museumsinsel" bietet von Anfang bis Ende spannende Unterhaltung. Ausgehend vom 200-jährigen Jubiläum der Berliner Museumsinsel im Jahr 2030 nimmt der Autor den Leser mit seiner temporeichen Zeitreise-Story gefangen. Verschiedene Personen - Kuratorin Annabel, Geheimdienstler Tim und Ratsmitglied Lennard - wollen das Prunkstück der Berliner Sonderausstellung, einen ominösen antiken Armreifen, an sich bringen. Doch sie kennen die Macht des grünen Schmuckstücks nicht. Mithilfe des Armreifens kann man nämlich zurück in die Vergangenheit, zu den Gründungsveranstaltungen der jeweiligen Museen, reisen. Auch gibt es nicht nur einen magischen Armreifen, sondern ganze 6 Stück.

Mich hat Averdunks Geschichte von Beginn an gefesselt. Besonders die Idee der magischen Reifen fand ich als Museumsliebhaberin und Altertumswissenschaftlerin faszinierend. Die Jagd nach den Schmuckstücken wurde durch anhaltende Personen- und Szenenwechsel spannend gestaltet. Noch dazu haben mir Averdunks wohl recherchierte Ausführungen zu den Museen gefallen und Lust auf einen neuerlichen Besuch gemacht. Einzig der etwas zu positive und rasche Schlussakkord konnte mich nicht so überzeugen.

FAZIT
Ein durchweg spannender Zeitreisekrimi, der die bewegte Geschichte der Berliner Museumsinsel interessant wiedergibt.

Bewertung vom 27.08.2022
Die rote Tänzerin
Weng, Joan

Die rote Tänzerin


sehr gut

INHALT
Die Berber (eigentlich Anita Berber) liebte es in den 20ern, ihr Publikum mit wilden Tänzen zu schockieren. Sie tanzte vorzugsweise nackt und exzessiv. Niemand konnte sich dem Charme der als Dämonin verschrienen Künstlerin entziehen, auch der Maler Otto Dix nicht. Er trifft Anita Berber 1925, als sie den Zenit ihrer Karriere bereits überschritten hat und lernt dabei die sensible Frau hinter der mondänen Femme-Fatale-Fassade kennen. Er will sie unbedingt malen und ihr keinesfalls verfallen.

MEINUNG
Ich habe bisher alle Zwanziger-Jahre-Romane von Joan Weng mit Begeisterung gelesen und mich dabei spielerisch in diese ereignisreiche Zeit zurückversetzen können. Ihr neuestes Werk "Die rote Tänzerin" empfand ich als etwas schwächer als ihre Vorgänger. Das lag vor allem an den anhaltenden Zeitsprüngen innerhalb der Handlung, welche eine genaue Lektüre und damit Geduld erforderten. Sicherlich zeichnet diese Sprunghaftigkeit den Charakter der Berber aus, aber das Lesevergnügen litt darunter.

Anita Berber war eine Antiheldin. Sie liebte ihre Kunst und reizte diese bis zum Äußersten aus. Noch dazu kaufte sie sich gern teure Kleider, trank vornehmlich Champagner und war abhängig von Kokain. Am enfant terrible der 20er hat mich vor allem der ständige Spagat zwischen künstlerischer Perfektion und sozialer Brüchigkeit/Zerrissenheit fasziniert. All ihre Beziehungen, besonders jene zu ihrer großen Liebe Fritz, scheiterten und vermochten ihr nicht den nötigen Halt zu geben. Die Liaison mit Otto Dix, ob wahr oder eine Erfindung der Autorin, brachte ihr allerdings mit dem "Bildnis der Tänzerin Anita Berber" unsterblichen Ruhm. Die Affäre mit dem verheirateten Familienvater dominierte den letzten Teil der Geschichte und zeigte eindrücklich wie brüchig Glück sein kann.

Joan Wengs Sprache war witzig, tiefsinnig und intensiv zugleich. Zudem enthielt sie allerhand zeittypische Ausdrücke, die ein umfangreiches Studium der Literatur/Kultur der 20er voraussetzen.

Die handelnden Figuren sind wie immer recht unterschiedlichen Charakters und damit spannend gewesen.

FAZIT
Ein Roman über eine spannende, weil selbstzerstörerische Persönlichkeit, der zwar mit einem effektvollem Cover aufwartet, mich aber inhaltlich nicht zu 100 % mitreißen konnte.

Bewertung vom 22.08.2022
Bunte Schnurrbart-Tage
Brown, Shelly;Morris, Chad

Bunte Schnurrbart-Tage


ausgezeichnet

Schnurrbärte machen das Leben leichter
INHALT

Die 10-jährige Maddie ist ein aufgewecktes Mädchen mit einer blühenden Fantasie und einem Faible für Schnurrbärte. Wenn immer der Alltag sie vor Herausforderungen stellt, klebt sie sich einen ihrer bunten Schnurrbärte an und bereitet damit sich und ihrem Umfeld gute Laune. Maddie geht in die 4. Klasse und würde in Shakespeares Romeo und Julia gern die weibliche Hauptrolle spielen. Doch ihre Probleme beim Gehen und Greifen werden täglich größer und münden letztendlich in der Diagnose Hirntumor. Aber Maddie wäre nicht Maddie, würde sie diesem Monster in ihrem Kopf nicht Paroli bieten.

MEINUNG

Ich habe das Kinderbuch von Shelly Brown und Chad Morris ungemein schnell und mit Gewinn gelesen. Trotz der traurigen Thematik macht dieses Buch Mut und zeigt, welche Kraft Humor haben kann.

"Bunte Schnurrbarttage" basiert auf einer wahren Geschichte. Das Autorenpaar hat die Erkrankung ihrer Tochter als Aufhänger für dieses Buch genommen.

Hauptprotagonistin und Ich-Erzählerin Maddie war mir durch ihre humorvolle und unerschrockene Art auf Anhieb sympathisch. Sie agiert gleichermaßen verspielt und für ihr Alter ungemein sozial. Durch ihr Schicksal lernt sie wahre von falschen Freunden zu unterscheiden. Ihre Familie gibt ihr Halt und viel Platz zum Sein. Maddies Schnurrbartmacke greift rasant um sich und durchzieht die kurzweilig geschriebene Geschichte wie ein roter Faden. Neben Maddie mochte ich vor allem ihren jüngsten, ebenso kreativen Bruder Max und den Nachbarsjungen Devin. Cassie, die sich als Klassenkönigin aufspielt und alle Mitschüler manipuliert, war mir regelrecht unsympathisch.

Insgesamt lasen sich die 304 Seiten des Kinderbuchs ziemlich flüssig. Sprache und Handlung wurden kindgerecht und authentisch angelegt, wobei der Witz nicht zu kurz kam. Den Schluss empfand ich als ziemlich abrupt und damit unbefriedigend. Hätte es das erklärende Nachwort nicht gegeben, hätte ich einen Stern abgezogen. Zudem hätte es mir gefallen, wenn im Text noch lustige Schnurrbartzeichnungen enthalten gewesen wären.

FAZIT

Ein Buch, das Mut macht und eindrücklich zeigt, dass Humor beim Heilen hilft. Nicht nur für Kinder eine lohnenswerte Lektüre.

Bewertung vom 22.08.2022
Mademoiselle Oppenheim - Sie liebte das Leben und erfand die moderne Kunst
König, Mina

Mademoiselle Oppenheim - Sie liebte das Leben und erfand die moderne Kunst


ausgezeichnet

Ich bin zwar sehr kunstinteressiert, muss aber dennoch gestehen, dass ich Meret Oppenheim (1913-1985) vor der Lektüre nicht kannte.

Mina König zeichnet in "Mademoiselle Oppenheim" ein sehr lebendiges Porträt der emanzipierten Künstlerin. 1932 entflieht Meret Oppenheim der deutsch-schweizerischen Provinz, um in Paris durchzustarten. Hier inmitten der Pariser Bohème bieten sich ihr ungeahnte Möglichkeiten sich künstlerisch auszutoben und gängige gesellschaftliche Konventionen zu überschreiten. Akzeptiert von Dadaisten und Surrealisten der damaligen Zeit verblüfft sie das Publikum mit eigenwilligen Kreationen. Einmal überzieht sie Armreifen und Tassen mit Fell, ein andermal bildet sie das Ohr ihres Künstlerfreundes Alberto Giacometti in Bronze nach. Doch bis sie von ihrer avantgardistischen Kunst leben kann, vergehen Jahre, in denen sie sich Geld von ihren Eltern leiht und einen Job als Näherin annimmt. Zudem hat sie Affären mit bekannten Künstlern, wie Max Ernst und Marcel Duchamp, welche ihr zeigen, dass ihr Herz vor allem für die Kunst schlägt.

Mina Königs 512-seitiges Buch habe ich mit Verve gelesen. Meret Oppenheim war eine bewundernswert freigeistige Frau mit großer Fantasie. Sie hat für die Kunst gelebt und dem gängigen Frauenbild vom biederen Hausmütterchen mit Freude widersprochen. Neben der Kunst nahmen Merets schwieriges Verhältnis zu ihrem Vater und die Beziehungen zu den genannten Künstlergrößen innerhalb des Romans viel Raum ein. Während die Liaison mit Max Ernst, einem verheirateten Egomanen, sie an ihre Grenze brachte, beflügelte sie die Affäre zum sanftmütigen Marcel Duchamp. Ich bin gern mit Mina König in diese spannende Zeit zurückgereist, in der Picasso, Dali & Co die Kunstwelt aus den Angeln hoben, obschon die politische Radikalisierung in Deutschland und seinen Nachbarstaaten unaufhaltsam voranschritt. Auch den zunehmenden Antisemitismus hat König in ihrem Werk realistisch nachgezeichnet.

Insgesamt las sich das Buch wie aus einem Guss. Ich habe gern mit der starken Hauptprotagonistin mitgefiebert und das positive Ende, Meret Oppenheim befindet sich gerade auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. begrüßt. Die folgende düstere Periode spart die Autorin aus und beantwortet in ihrem aussagekräftigen Nachwort alle offenen Fragen. Man merkt diesem Roman das intensive Quellenstudium an - Fiktion und Realität gehen eine stimmige Melange ein.

Ein wirklich lesenswerter Roman über eine zu Unrecht relativ unbekannte deutsche Künstlerin der Moderne.

Zum Schluss noch mein Lieblingszitat:

"Freiheit wird einem nicht gegeben, man muss sie sich nehmen."

Bewertung vom 31.07.2022
Den Wind im Haar, das Meer im Blick
Warda, Manuela

Den Wind im Haar, das Meer im Blick


ausgezeichnet

Eine mutige Entscheidung

Manuela Warda (*1975) wagt nach Trennung von Mann und Grundschule 2019 den Neustart auf Hallig Hooge. Inmitten des nordfriesischen Wattenmeers arbeitet sie fortan als einzige Lehrerin und wohnt gemeinsam mit ihrer jüngsten Tochter Ella (8) im Schulgebäude der 100-Seelen-Gemeinde. In der Halligschule unterrichtet sie 13 Schüler unterschiedlichen Alters bis zur 9. Klasse in einem Klassenraum. Daneben wartet das Inselleben mit einigen Überraschungen und vor allem viel Zeit zur Kontemplation auf.

Ich habe Wardas Buch mit großem Interesse gelesen, da ich selbst unterrichte und naturverbunden bin. Ihren Mut und ihren Optimismus bewundere ich. Sie lässt sich mit allen Sinnen auf ihren Neuanfang ein und lernt das Leben dabei auf eine andere, entschleunigte, Weise kennen. Auf Hallig Hooge ticken die Uhren langsamer. Die Gemeinschaft hat einen großen Stellenwert und man lebt im Einklang mit der rauen Natur. Auch wenn die Post mit drei Wochen Verspätung eintrifft oder die Festlandfähre nicht fährt, verzweifelt man nicht, sondern nimmt dies mit stoischer Gelassenheit hin. Das Mutter-Tochter-Gespann gewöhnt sich mit der Zeit an diesen speziellen Lebensrhythmus und will die Hallig fürs Erste nicht verlassen. Manuela Warda scheint angekommen zu sein und hat gelernt, dass Heimat sich nicht örtlich begrenzen lässt. Die Halligschule ist ihr Anker und gleichzeitig eine Mammutaufgabe. Den Unterricht für Schüler unterschiedlicher Klassenstufen und Fächer täglich vorzubereiten und allein zu halten, erfordert Können und gerade in Pandemiezeiten Improvisationstalent. Durch ihr fröhliches und offenes Wesen wird sie von den Halligbewohnern sofort angenommen und mit feinstem Plattdeutsch konfrontiert.

Die 240 Buchseiten lasen sich wie im Flug, wobei mich vor allem die Einblicke ins ursprüngliche Inselleben auf Hallig Hooge faszinierten. Wardas ehrliche und anekdotenreiche Schreibe mochte ich auf Anhieb. Sie ist eine sympathische Macherin, die ihren Weg geht. Obschon Warda Namen und Personen teilweise erfunden hat, packte mich mich bereits ab der ersten Seite das Inselfieber.

FAZIT
Ein aufschlussreiches Buch über einen mutigen Neufang mit vielen inspirierenden Momenten.