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yellowdog

Bewertungen

Insgesamt 1899 Bewertungen
Bewertung vom 08.02.2024
Das Haus verlassen
Menschik, Kat;Kornmüller, Jacqueline

Das Haus verlassen


gut

Inszenierung eines alten Hauses

Ein altes Haus, mehr als 140 Jahre alt. Das färbt auf die Schreibe der Autorin Jacqueline Kornmüller ab. Ihre Sprache wirkt gewollt altmodisch, um die Poesie alter Zeit einzufangen. Dennoch ist die Erzählerin im Heute und sie will das Haus verkaufen. Ganz sicher ist sie sich aber nicht.
Das Haus scheint zu leben. Auch das gelebte vergangene Leben von Vorbewohnern ist noch irgendwie spürbar.
Ein wenig inszeniert ist das ganze schon. Aber man spürt die Verbundenheit der Protagonistin mit dem Haus und hält einen inneren Dialog aufrecht. Das finde ich schön gemacht.
Erwähnt werden müssen natürlich auch die aufwendigen Illustrationen von Kat Menschik, die gut zum Buch passen.

Bewertung vom 03.02.2024
Heilung
Kaleyta, Timon Karl

Heilung


sehr gut

Mann in der Krise

Ein Mann sucht ein Sanatorium auf, denn er fühlt sich schlecht, da er seit langen schlecht schläft. Er kommt in keine Tiefschlafphase, träumt nicht.
Ansonsten ist er gesund, aber diese Müdigkeit und Unbehagen macht ihn fertig.

Die Anfangsszene zum Sanatorium San Vita in Südtirol ist atmosphärisch gemacht, fast unvergesslich. Er wird in einer winterlichen Landschaft von einem kleine Mann abgeholt.
Es gibt Zauberberganklänge, aber die sind dezent.
Schließlich, im zweiten Abschnitt des Buches, verlässt der Mann das Sanatorium und findet Unterschlupf auf dem Bauernhof seines alten Freundes Jespers.

Der Zustand des Mannes ist rätselhaft. Als Leser möchte man genauso sehr wie er die Ursachen findet.

Timo Karl Kayera hat einen einfachen aber guten Stil. Man liest den Roman fast wie in einem Rutsch, könnte es jedenfalls, falls man das möchte.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.02.2024
Glänzende Aussicht
Fang, Fang

Glänzende Aussicht


ausgezeichnet

Fang Fang zeigt sich als glänzende Autorin des Realismus und schreibt über eine vielköpfige chinesische Familie von den sechziger bis in die 80ziger Jahre.
Es ist eine Arbeiterfamilie, der es karg und oft rau zugeht. Die Kinder tragen keine Namen sondern werden als Bruder 2, Bruder 3, usw. bezeichnet.
Nur die beiden Mädchen werden Kleiner Duft und Großer Duft genannt.
Erzählt wird die Geschichte übrigens von Bruder 8, der als Baby gestorben ist und danach die ganze Zeit die Familie beobachtet.
Bruder 7 steht ziemlich im Mittelpunkt, aber im Prinzip erzählt Fang Fang die Geschichte von allen Familienmitgliedern.
Nicht selten erinnern Passagen aus Glänzende Aussicht an Filme des italienische Neorealismus, z.B. Fahrraddiebe.
Diesen leidenschaftlichen Roman darf man nicht unterschätzen. Fang Fang weiß viel von den Menschen und hat mit diesem Buch ein bewegendes, packendes Gesellschaftsporträt geschaffen.

Bewertung vom 01.02.2024
Klarkommen
Hartmann, Ilona

Klarkommen


sehr gut

Das erste Jahr in der Großstadt

Die Autorin Ilona Hartmann erzählt auf realistische Art vom leicht tristen Aufwachsen in einer Kleinstadt und dem damit verbundenen Lebensgefühl. Auch dem Gefühl eines Mangels und dem Wunsch, woanders mehr zu finden.
Die Erzählerin fühlt sich dabei mit ihren Freunden Leon und Mounai verbunden. Sie haben ihr Abitur gemacht und gehen gemeinsam in einer Großstadt. Erste Erfahrungen sind aber enttäuschend.
Der Roman bleibt handlungsarm. Es zeigt das zusammenleben, wie sie sich besser kennen lernen. Auch viele Besuche in Clubs mit vielen coolen Leuten, kann eine Desillusion nicht verhindern.
Die Erkenntnis: Das erste Jahr in der großen Stadt war achtlos an uns vorbegelatscht.
Die Kapitel sind kurz gehalten und lassen auch Leerstellen zu. Außerdem gibt es immer wieder Sätze, die ich für gut formuliert halte.
Ilona Hartmann zeigt, dass man auch mit ruhiger Erzählweise ein gutes Buch gestalten kann.

Bewertung vom 01.02.2024
Kibogos Himmelfahrt
Mukasonga, Scholastique

Kibogos Himmelfahrt


sehr gut

Kibogos Berg

Die in Frankreich lebende Schriftstellerin Scholastique Mukasonga schreibt natürlich über ihr Heimatland Ruanda. Es ist die Zeit des 2.Weltkriegs als viele Kolonisten in Ruanda waren. Das mündet in Ausbeutung. Hinzu kommt eine große Hungersnot auf das ohnehin geschwächte Land hinzu.
Scholastique Mukasonga nutzt die Form der Fabel. Erzählt wird der mythischen Figur Kibogo als Hoffnung für Regen zur Beendigung der Dürrezeit.
In den nachfolgenden Abschnitten kommen weitere Figuren in den Mittelpunkt:
Der Priester Akayezu, dann die als alte Hexe geltende Mukamwezi. Schließlich ein weißer Professor, der den Berggipfel ersteigen möchte.
Es steckt viel drin in diesem kurzen Roman und die Zusammenhänge sind vielleicht nicht auf den ersten Blick sofort zu erkennen. Doch das alles dient dazu, die Geschichte um Kibogo zu weben. Es ist ein Text, der den Leser beschäftigt.

Bewertung vom 30.01.2024
Fall, Bombe, fall
Kouwenaar, Gerrit

Fall, Bombe, fall


sehr gut

Der C.H.Beck-Verlag ermöglicht hier die Entdeckung eines niederländischen Klassikers aus den Jahr 1950.
Im Mittelpunkt steht die Gedankenwelt und Perspektive eines 17jährigen Jungen, Karel Ruis. Er ist ziemlich gelangweilt, dabei vermutlich viel zu klug.
Daher sind seine zum teil merkwürdigen Phantasien vielleicht nicht so ungewöhnlich.
Doch es ist eine schlimme Zeit. 1940 überfällt die deutsche Wehrmacht die Niederlande.

Manchmal ist es wirklich wertvoll, ein Buch der Vergangenheit doch noch entdecken zu dürfen, denn stilistisch ist es wirklich bemerkenswert.

Bewertung vom 29.01.2024
Das Philosophenschiff
Köhlmeier, Michael

Das Philosophenschiff


sehr gut

Der Bericht

Der Österreichische Schriftsteller Michael Köhlmeier hat eigentlich immer einen originellen Schreibstil, so auch hier.
Ein Schriftsteller (Köhlmeier selbst?) erklärt sich bereit aus dem Leben einer 100jährigen Frau ein Buch zu machen. Dabei ist insbesondere die Verschiffung unliebsamer Personen, vor allen Intellektuelle 1922 aus Russland zu schaffen. Diesen Vorgang gab es wirklich.
Das Gespräch zwischen der Dame, die das damals als 14jährige mitmachte und dem Schriftsteller sind nicht ohne Witz.
Es wechselt zwischen ihren Dialogen und den Berichten der Frau.
Diese Berichte sind spekulativer Art. Es gibt viele gute Passagen, wie die Begegnung mit Lenin. Es gibt zahlreiche weitere Abschnitte, die außerordentlich gut verfasst sind.Michael Köhlmeier weiß wirklich zu schreiben, detailliert und gründlich, dennoch behält er eine Leichtigkeit.
Ein gutes Buch, wenn auch nicht mein Lieblingsbuch des Autors, den ich sehr schätze. Aber geschickt erzählt ist auch dieser Roman.

Bewertung vom 29.01.2024
Arctic Mirage
Kokkonen, Terhi

Arctic Mirage


sehr gut

Terhi Kokkonen ist eine neue Autorin aus Finnland, die mit Arctic Mirage ihren ersten Roman vorlegt.
Die Handlung wird stark vom ersten Satz geprägt. „Nachdem Karo Risto umgebracht hat, steht sie auf“.Danach zeigen die folgenden Kapitel, die je mit Wochentagesnamen (Sonntag bis Freitag) bezeichnet sind, wie es dazu kommen konnte. Karo und Ristos hatten im Urlaub einen Autounfall und mussten leicht verletzt im Hotel Arctic Mirage absteigen. Die Stimmung ist gereizt. Auch die Umstände des Autounfalls erinnern beide anders.
Die meiste Zeit ist man als Leser an der Seite von Karo, gelegentlich bei dem Hotelpersonal. Hinzu kommen Rückblenden.
Man erkennt zunehmend eine toxische Beziehung.
Das Buch ist lange geheimnisvoll und atmosphärisch sowie geschickt gemacht.

Bewertung vom 28.01.2024
Nachbarn
Oliver, Diane

Nachbarn


sehr gut

Nachbarn und andere Geschichten

Diane Oliver ist eine amerikanische Schriftstellerin (1943 - 1966), die schon im Alter von 22 Jahren durch Unfall ums Leben kam.
Dieses Buch versammelt Kurzgeschichten von ihr. Angesiedelt sind die Geschichten in den sechziger Jahren, in einer Zeit des möglichen Umbruchs, die Hoffnung auf Inklusion und aber auch der Widerstände.
Die erste Geschichte ist die Titelgeschichte.
Tommy, ein schwarzer Junge, soll morgen zum ersten mal auf eine rein weiße Schule gehen. Das wird schwer. Wichtige Figur der Geschichte ist Tommys ältere Schwester Ellie.
Unerwartet kurz, aber kompakt zeigt die Geschichte einen besonderen, schicksalsträchtigen Moment und eine Familie in einer moralischen, verantwortungsvollen Entscheidungsfindung. Man spürt die Anspannung.
Diane Oliver zeigt die Situation der Charaktere in großer Tiefe, das ist beeindruckend. Spätere Geschichten haben mich weniger erreicht.
Daher würde ich die Autorin auch keineswegs in die Nähe von Gigantinnen wie Toni Morrison oder Ann Petry rücken. Die Geschichten können auch ohne so einen Vergleich lesenswert sein.

Bewertung vom 25.01.2024
Der Aschenmensch von Buchenwald
Ivanji, Ivan

Der Aschenmensch von Buchenwald


ausgezeichnet

Der 1929 geborene Ivan Ivanji ist Zeitzeuge. 1944 war er in Buchenwald, überlebte und hat viele Romane geschrieben.
Der Aschenmensch ist ein Roman, der 1999 bereits erschienen war und jetzt wiederveröffentlicht wurde.

1997 wurden über 700 Urnen mit der Asche ermordeter Menschen gefunden.
Ivanji lässt sie als Stimmen auferstehen, die ihre Geschichten erzählen. Man erfährt viel über das Leben in Buchenwald, aber insbesondere über das Sterben.
Zwischendurch lässt Ivanji auch Menschen unserer Zeit zu Worte kommen, z.B. der Dachdecker, der die Urnen fand oder Schüler, die die Gedenkstätte besuchen. Einiges an leichtfertigen Reden ist unter ihnen, auch Unkenntnis. Die Erinnerung, wie es wirklich war, können nur die vermitteln, die da waren.
Aus der Asche der Urnen entsteht ein Aschenmensch. Das Kollektiv der Erinnerungen.

Ivan Ivanjis literarische Leichtigkeit beim Umgang mit dem Stoff ist bewundernswert.