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gst
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pirna

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Insgesamt 201 Bewertungen
Bewertung vom 18.12.2019
Die Zeit der vergessenen Kinder
Kliemann, Charlotte

Die Zeit der vergessenen Kinder


sehr gut

Gelungener Debütroman
„Eine Geschichte wird erst zur Geschichte, wenn jemand sie gelesen hat.“
Der Journalist Martin liest die Lebensgeschichte einer fremden Frau und entbrennt in Liebe zu ihr. Gerne würde er sie persönlich kennenlernen, doch seine diesbezüglichen Versuche bleiben erfolglos. Erst zwei Jahre später, inzwischen hat er ein Buch über seine Mutter (eine Roma) veröffentlicht, meldet sich die Fremde bei ihm. Beide wissen durch die Lektüre schon viel voneinander, doch als Leser dieses Buches tappt man lange im Dunkeln. Erst nach und nach entpuppen sich die Kindheitsdramen.
Je weiter ich in diesem Buch vordrang, desto stärker zog es mich an. Anfangs dachte ich noch: „Wie kann eine Frau so über männliche Gefühle schreiben?“ Martin zeigt als Ich-Erzähler zu Beginn ein Einfühlungsvermögen, das sich wohl so manche Frau von einem Mann erhofft. Die Geschichte seiner Mutter – und was sie ihm angetan hat – bleibt lange Zeit im Dunkeln. Nur häppchenweise erfährt der Leser von seinem Trauma und der Angst vorm Verlassen werden. Dadurch gewinnt das sehr emotional geschriebene Buch unglaublich an Spannung.
Dieser Roman führt dem Leser deutlich vor Augen, wie die Vergangenheit in die Gegenwart hineinreicht, wie Erlebnisse der Eltern in den Kindern weiter rumoren. Obwohl mir das Buch sehr gut gefallen hat, bin ich der Meinung, dass die Autorin zu viele Probleme in Angriff genommen hat: Da ging es um die Verfolgung der Roma im Krieg, um Scheidungskinder, einen Suizid, um das Fremdheitsgefühl von Martin, um die Probleme einer jungen Liebe und um psychische Auffälligkeiten.
Auf jeden Fall werde ich mir den Namen der Autorin merken. Denn nach diesem Debüt können wir sicherlich noch einiges von ihr erwarten.

Bewertung vom 19.10.2019
Walter Chandoha. Cats. Photographs 1942-2018
Michals, Susan

Walter Chandoha. Cats. Photographs 1942-2018


ausgezeichnet

Herzerwärmender Bildband nicht nur für Katzenliebhaber

Lebendige Katzenfotos zum Verlieben. Ein Bildband, der gute Laune macht und dem Betrachter ein Strahlen aufs Gesicht zaubert.
Wer nicht sowieso schon auf Katzen steht, gewinnt ihnen durch Walter Chandoras Aufnahmen sicherlich etwas ab. Dem Fotografen ist es gelungen, neugierige Kitten und gestandene Kater, die eine ganze Katzengang anführen, zur Geltung zu bringen. Nicht umsonst schmückten seine im Laufe von über 60 Jahren entstandenen Aufnahmen über 300 Zeitschriftencover, Hunderte Packungen Tiernahrung und Tausende Werbeanzeigen.
In diesem Buch zeigen kleinen Raubtiere ihre Krallen und großformatige Schmusekater ihre ganze Schönheit. Manche sind für sich allein beschäftigt, andere in Interaktionen mit Tieren oder Menschen.
Besonders ansprechend fand ich die Fotos mit den Kindern des Fotografen. Dem in drei Sprachen gehaltenen Informationstext konnte ich entnehmen, dass die ganze Familie (Frau Maria und sechs Kinder) an den Aufnahmen beteiligt waren. Begründet wurde die Liebe zu den Katzen durch einen zugelaufenen Kater, den sie Loco (den Verrückten) nannten.
Ich habe mich in dieses Buch verliebt und bin der Meinung, dass es viel zu schade fürs Bücherregal ist. Ich werde es so liegen lassen, dass es leicht zur Hand genommen werden kann, damit die wunderschönen Fotos nicht nur mir noch oft ein Strahlen aufs Gesicht zaubern.

Bewertung vom 29.08.2019
Drei
Mishani, Dror

Drei


ausgezeichnet

Einsamkeit vermeiden

Die frisch geschiedene Orna treibt sich ebenso wie Gil auf einem Datingportal für Geschiedene herum. Die beiden treffen sich und lassen sie sich auf eine Beziehung ein, ohne völlig voneinander eingenommen zu sein.
Emilia kommt aus Lettland und pflegt den alten Nachum. Nach seinem Tod braucht sie den Rat eines Anwalts und wendet sich vertrauensvoll an Gil.
Emma ist Mutter von drei kleinen Kindern und schreibt in einem Café an ihrer Masterarbeit. Dort lernt sie Gil kennen.

Somit ist der Titel „Drei“ schon mal erklärt. Das Buch erzählt von drei Frauen mit völlig verschiedenen Hintergründen, emotionalen Welten, Träumen, Beziehungen und Schicksalen, wie der Autor in einem Interview sagt. Er sieht es als „unsere Pflicht, die Menschen um uns herum und ihre Leben zu sehen, wahrzunehmen. Es ist vor allem ein Roman über unsere Verantwortung gegenüber den Lebenden und den Toten.“

Dies war meine erstes Buch des 1975 geborenen israelischen Schriftstellers Dror Mishani, der bereits eine in Deutschland veröffentlichte Krimireihe um Inspektor Avi Avraham geschrieben hat. Der Schreibstil hat mich ebenso angesprochen wie der Inhalt dieses Romans, der auch kriminelle Aspekte beleuchtet und viele israelische Lebensgewohnheiten und Bräuche beinhaltet. Vor allem die unerwarteten Wendungen und Entwicklungen ließen mich das Buch kaum aus der Hand legen. Ich bin vollauf begeistert!

Bewertung vom 16.08.2019
Tagebuch eines Buchhändlers
Bythell, Shaun

Tagebuch eines Buchhändlers


gut

Leben im Bookshop

Ich war „so naiv zu glauben, dass man im Universum der gebrauchten Bücher als Antiquar idyllisch in einem Sessel vor einem prasselnden Feuer sitzt, die Füße in Hausschuhen bequem hochgelegt, dabei eine Pfeife pafft und in Gibbons Verfall und Untergang liest, während man von einem Strom charmanter Kunden in anregende Gespräche verwickelt wird, ehe diese sich bereitwillig von Koffern voller Geld trennen“ (Seite 6)

Natürlich verlief Shaun Bythells Leben als Buchhändler völlig anders, wie sein akribisch über ein Jahr geführtes Tagebuch beweist. In den 15 Jahren, in denen er seinen Laden betreibt, besuchte er, statt gemütlich zu lesen, Leute, die ihre Bibliotheken auflösten und nahm kaum das Geld ein, das seine in dieser Zeit nötigen Aushilfen verdienten. Er fasste seinen Frust auf Amazon und Co in Worte und verdeutlichte, wie das Internet den Offline-Verkauf beeinträchtigt. Auch Kindles liebt er nicht, weshalb er in seinem Laden ein erschossenes Gerät an die Wand heftete.

Als Leser kann man hinter die Kulissen von zwei Lese-Festivals schauen und erfährt einiges darüber, woran man einzelne Verlage erkennt und welche Art von Büchern von dort angeboten werden. Schade, dass es sich dabei um englische Verlage handelt, die mir nicht geläufig sind. Auch viele der genannten Titel haben mir nichts gesagt, wodurch mein Lesegenuss gelitten hat. Die vielen erwähnten Alltäglichkeiten interessierten mich nicht besonders – auch wenn sie durch einige humorvolle Begebenheiten untermalt wurden: „Ich habe Bücher schon immer geliebt und werde das auch immer tun. Wäre es gesetzlich möglich, so hätte ich ein Buch geheiratet“, schrieb beispielsweise eine erfolglose Autorin, die im Bookshop arbeiten wollte.

Literarisch ist das Buch nur Mittelmaß, doch die Hintergrundinformationen, Georges Orwells Erfahrungen (aus Erinnerungen an eine Buchhandlung), die jeden Monatsbeginn eingeflochten sind, sowie die Fotos aus dem Laden hielten mich bis zur letzten Seite am Buch fest.

Fazit: Wer das Buch gelesen hat, weiß, wie schwer es Buchhändler und Antiquare im Zeitalter des Internets haben.

Bewertung vom 30.07.2019
Fünf Lieben lang
Aciman, André

Fünf Lieben lang


gut

Gedanken eines Träumers

Paul war bereits mit zwölf zum ersten Mal verliebt. Nach dem Abschluss seines Studium reist er auf die italienische Insel, auf der er früher mit der Familie die Ferien verbrachte. Inzwischen ist das Ferienhaus abgebrannt, doch er will noch einmal sehen, was die frühere Faszination ausmachte. Während seines Inselrundgang erinnert er sich an den Jungen, der er einmal war. Damals wusste er noch wenig von der Liebe, obwohl er sie schon deutlich fühlte.

Im Laufe des Buches erfährt der Leser von weiteren vier Lieben zu Frauen und Männern. Paul weiß nicht so recht, wo er sich hingezogen fühlt. Er träumt mehr von der Liebe, als sie wirklich zu leben. Das nimmt dem Buch im Laufe der Seiten etwas den Reiz.

„Sie kommt mir vor wie die verliebten Frauen in den Filmen aus den 1940er-Jahren, jene Frauen, die allein mit dem Schiff reisen, sich auf kein Buch mehr konzentrieren können und nur eines im Sinn haben: nachts an Deck zu promenieren, bis der geliebte Mann wieder auftaucht und sich anschickt, ihnen Feuer zu geben.“ So beschreibt er auf Seite 116 das Verhalten seiner Freundin Maud.

Empfand ich die Sprache des Autors zu Beginn noch mitreißend und gefühlvoll, langweilte mich der so langgezogene Stoff im letzten Viertel des Buches. Zwar fesselten mich teilweise die tiefen Einblicke in die Gedankenwelt eines bisexuellen Mannes, doch das nie zu einer Entscheidung kommen konnte ich nicht nachvollziehen. Wäre das Buch kürzer gewesen, hätte ich es bestimmt besser bewertet.

Bewertung vom 30.07.2019
Im Wald der Wölfe / Jan Römer Bd.4
Geschke, Linus

Im Wald der Wölfe / Jan Römer Bd.4


gut

Abgestempelt

Jan Römer ist Journalist in Köln. Sein Genre sind ungelöste Mordfälle. Es ist nicht einfach für ihn, immer in der dunklen Materie zu graben. Nach der Trennung von seiner Frau braucht er dringend Urlaub. Dafür sucht er sich eine einsame Hütte im Thüringer Wald. Er genießt die Zeit, bis eines Abends eine blutüberströmte Frau bei ihm anklopft und ihm von einem vor drei Jahren geschehenen Mord erzählt. Die Stirn des Toten hatte einen Wolf eingebrannt. Natürlich kann Römer nicht anders, als seinem Beruf nachzugehen.

Autor Linus Geschke arbeitet als freier Journalist für führende deutsche Magazine. Er verfasst Reisereportagen und weiß, wie es in den Redaktionen zugeht. Dass er Recherchearbeit kennt, wird in diesem Krimi deutlich. Es gelingt ihm, die Vergangenheit vom Frauenwald auferstehen zu lassen. Alte Seilschaften kommen zum Zug und verwirren den Leser, der schon früh den Wolf und seine Gedanken kennenlernt, ohne ihn zuordnen zu können.

Gerade jetzt im Sommer greife ich gerne mal auf Krimis zurück, die sich so gut lesen lassen wie dieser. Er enthält ein wenig Gefühl, ganz viel Freundschaft, entführt in eine schöne Gegend und charakterisiert unterschiedliche Menschen.

Dies ist der vierte Fall von Jan Römer und Stefanie „Mütze“ Schneider. Ich kenne die ersten drei nicht und hatte keine Probleme die Personen und ihr Verhalten zuzuordnen. Man kann dieses Buch also auch ohne Kenntnis der ersten drei lesen.

Bewertung vom 21.07.2019
Die Malerin des Nordlichts / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.10
Johannson, Lena

Die Malerin des Nordlichts / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.10


gut

Über das Leben von Edvard Munchs Nichte

1922 hatten Männer es noch leichter, sich der Kunst hinzugeben. Zwar versuchten viele Frauen ihr Glück in der Malerei, doch wenn sie verheiratet waren, mussten sie sich normalerweise vor allem dem Haushalt und dem Wohl der Familienmitglieder widmen, bevor sie sich ihrer Berufung hingeben konnte. So erging es auch Signe Munch, der Nichte von Edvard Munch. Sie konnte sich erst als 38jährige, nach der Scheidung von ihrem ersten Mann, ihrer künstlerischen Karriere widmen.

„Ihr Leben war eine weiche, lange Linie mit Hügeln und Tälern ohne Spitzen, an denen man sich doch nur verletzte. Nett beschaulich, keine Gefahren, keine Risiken, keinerlei Wunden.“ (Seite 162)

Obwohl ich großes Interesse an Signe Munchs Leben hatte, fiel es mir lange schwer, Kontakt mit diesem Buch aufzunehmen. Die Autorin erzählte trocken; es gelang ihr nicht, Gefühle in mir auszulösen. Dabei sind doch genau die es, die ein Buch zum Lieblingsbuch machen.

Erst nach knapp 200 Seiten machte das Lesen mehr Freude, wurde das Buch emotionaler. „Sie war es gründlich leid, am Bügelbrett statt an ihrer Staffelei zu stehen, einen Kochlöffel in der Hand zu haben statt eines Pinsels.“ (Seite 193). Mehrere Jahre nach der Scheidung von ihrem ersten Mann begegnete ihr Einar, ihre große Liebe. Er und der zweite Weltkrieg, während dem auch Norwegen unter Hitlers Ideologie litt, veränderte ihr Leben grundlegend.

Auch, wenn ich mir von diesem Buch mehr erwartet hatte, gebe ich ihm gerne drei Sterne. Immerhin erfuhr ich einiges über das Leben in Kristiania, wie Oslo damals noch hieß, sowie andere Einzelheiten aus Norwegen und seiner Geschichte. Zum Ende hin wurde das Buch sogar noch spannend. Da hatte die Autorin ihren Schreibfluss gefunden, so dass sie mich mühelos in die Geschichte hineinziehen konnte.

Bewertung vom 13.07.2019
Dunkelsommer
Jackson, Stina

Dunkelsommer


ausgezeichnet

In Schwedens Wäldern

„Wie ein Fieber hatte ihn die Wut gepackt, er konnte ihnen [den Dorfbewohnern] nicht in die Augen sehen. Linas Freunde und deren Eltern, Lehrer und Bekannte, Nachbarn und die Nachbarn der Nachbarn. Alle diese Menschen, die etwas gesehen haben mussten, die etwas wissen mussten. Die unter Umständen sogar etwas damit zu tun hatten. Ganz Glimmersträsk stand unter Verdacht. Bis zu dem Tag, an dem er Lina zurückbekam, würde er jedem Bewohner misstrauen.“ (Seite 103)

Nachdem er vor drei Jahren Lina frühmorgens an der Bushaltestelle abgesetzt hat, ist sie spurlos verschwunden. Seitdem ist ihr Vater dabei verrückt zu werden. Seine Ehe mit Anette ist zerbrochen, seine guten Vorsätze, nicht mehr zu trinken und zu rauchen, sind dahin. In den Sommernächten fährt Lelle auf der Suche nach seiner Tochter immer die wieder die gleiche Strecke ab.

Eines Tages zieht die siebzehnjährige Meja mit ihrer Mutter in die Waldeinsamkeit. Während Silje mit ihrer Sehnsucht nach Liebe jedes Hindernis hinnimmt, ist Meja von dem Neuanfang weniger begeistert. Bis sie sich verliebt und Hoffnung auf ein normales Leben aufkeimt. Doch zur selben Zeit verschwindet wieder ein Mädchen.

Stina Jackson, Jahrgang 1983 stammt aus Nordschweden. So fiel es ihr nicht allzu schwer, in ihrem Debütroman die unheimliche Stimmung in den tiefen Wäldern ihrer Heimat einzufangen. Sie legte mehrere Fährten, so dass ihre spannenden Zeilen bei mir einen regelrechten Lesesog entfachten, so dass ich das Buch kaum noch aus der Hand legen konnte.

Bewertung vom 25.05.2019
Der Zopf meiner Großmutter
Bronsky, Alina

Der Zopf meiner Großmutter


sehr gut

Die Helikopteroma
Max ist der Enkel eines russischen Aussiedlerpaares. Durch seine Augen lernen wir die ziemlich übergriffige Großmutter kennen, die einen an manchen Stellen die Haare zu Berge stehen lässt. Da bäckt sie für den Enkel eine Geburtstagstorte und lässt ihn nur daran schnuppern, denn ihrer Meinung nach verträgt er die Buttercreme genauso wenig wie Nudeln…

Doch es kommt noch viel schlimmer: Der Opa verliebt sich in die Nachbarin, die eine Tochter in Mäxchens Alter hat. Max nimmt das alles mit stoischer Ruhe hin und hilft dem Großvater, die Misere vor der Oma zu vertuschen.

Obwohl die Großmutter ihrem Enkel gar nichts zutraut, entpuppt er sich als cleveres Kerlchen. Immerhin ist er in kürzester Zeit der deutschen Sprache mächtig und versucht, die zwischen Lehrerin und Oma vorhandene Sprachbarriere aufzuheben.

Als Leser begleiten wir Max durch seine Kindheit und Jugend und erleben auch eine anfangs nicht für möglich gehaltene Veränderung der Großmutter.

Alina Bronsky hat ein Buch geschrieben, dessen Seiten nur so dahinfliegen. Allerdings ist sie auch eine Meisterin des Weglassens. Da sie nicht alles haarklein erklärt, bleibt viel Raum für Spekulationen. Dieses Buch lässt sich nicht gut lesen, sondern klingt durch die offen gebliebenen Fragen noch länger nach.

Bewertung vom 14.05.2019
Die Lotosblüte
Sok-Yong, Hwang

Die Lotosblüte


sehr gut

„Der Weg, den sie bisher genommen hatte, schien wie ein Traum, dessen Spuren nach und nach verblassten, je weiter sie ihm folgte. Die Morgensonne verwischte die klare Linie des Horizonts, und das Schiff segelte einer ungewissen Zukunft entgegen. Wieder stand ein Neuanfang bevor.“ (Seite 426)

Chong wuchs im 19. Jahrhundert bei ihrem blinden Vater in Korea auf, nachdem die Mutter bei ihrer Geburt verstorben war. Von ihm wurde sie bettelnd ernährt und von der Stiefmutter noch vor der Geschlechtsreife verkauft. Nach einem verwirrenden Ritual erreichte sie ihre neue Heimat und diente als Zweitfrau einem 80jährigen als Jungbrunnen. Sein Tod ließ nicht lange auf sich warten und die nächste Station wurde ein Freudenhaus. Statt sich, wie einige ihrer Mitarbeiterinnen jammend dem Schicksal hinzugeben, verstand sie es, die Hoffnung auf ein besseres Leben nie aufzugeben und trotz der vielen Stolpersteine bewusst dafür zu kämpfen.

Wir Leser dürfen Chongs langes, wechselvolles Leben begleiten. Vor allem ihre jüngeren Jahre hat der Autor sehr ausführlich in gut lesbare Worte gekleidet. Bildhaft beschreibt er die unterschiedlichen Gegenden, in denen „Lotosblüte“ lebte, macht uns mit verschiedensten Charakteren vertraut und lässt auch fremde Traditionen nicht aus. Sein historischer Roman enthält erotische Anteile ebenso wie politische Hintergründe.

Teilweise dachte ich, noch nie etwas ähnliches gelesen zu haben. Doch die letzten zirka 100 Seiten, in denen große Teile der japanischen Geschichte aufgearbeitet wurden, erinnerten mich an James Clavells Roman „Shogun“, der vor Jahrzehnten auf den Bestsellerlisten stand.

Über Hwang Sok-yong erfährt man bei Wikipedia: Geboren am 4. Januar 1943 in Xinjung, damaliges Mandschukuo in der heutigen Volksrepublik China. Er ist einer der bekanntesten Autoren Südkoreas und zugleich einer derjenigen, die sich realistisch und kritisch mit der Vergangenheit und sozialen Wirklichkeit Südkoreas befassen. Er hat den Koreakrieg erlebt und war als Soldat im Vietnamkrieg im Einsatz. Danach begann seine Karriere als Schriftsteller. Zentrales Thema seiner Texte ist der Konflikt zwischen Tradition und Moderne.