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Herbstrose

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Insgesamt 209 Bewertungen
Bewertung vom 28.05.2020
Der Sommer der Islandtöchter
Baldvinsson, Karin

Der Sommer der Islandtöchter


ausgezeichnet

1978. Monika, die kurz vor ihrer Hochzeit mit ihrem Verlobten Peter steht, macht ein letztes Mal Familienurlaub mit ihren Eltern in Island, wo sie bei Freunden wohnen. Sie träumt von einer Zukunft als Malerin und hofft auf ein Kunststudium, doch ihre Eltern verlangen, dass sie in das Familienunternehmen einsteigt. Dann lernt Monika Kristján kennen, ein Arbeiter in der Fischfabrik der Freunde, und verliebt sich Hals über Kopf in ihn. Er zeigt Verständnis für ihre Träume und Monika kann sich eine gemeinsame Zukunft vorstellen. Doch ihre Eltern sind dagegen und haben einen perfiden Plan …

2018, vierzig Jahre später. Hannah braucht eine Auszeit, ihre Ehe ist auf dem Nullpunkt und ihren Beruf als Geigerin kann sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben. So mietet sie in Island ein Häuschen, um ein ruhiges Jahr mit ihrem kleinen Sohn Max dort zu verbringen und sich über ihre Zukunft klar zu werden. Kaum angekommen, entdeckt sie auf dem Dachboden eine alte Truhe, die mit Seevögeln bemalt ist, die in ihr eine vage Erinnerung wecken. Und mit der erhofften Ruhe ist es auch bald vorbei, als sie im Café ihrer Vermieterin Freyja zu arbeiten beginnt und dort den Maler Jón kennenlernt …

Die Autorin Karin Baldvinsson wurde 1979 in Erlenbach/Main geboren. Während ihrer mehrjährigen Tätigkeit für eine isländische Firma lernte sie ihren Ehemann, die Kultur und die Sprache Islands kennen. Unter ihren Namen Karin Lindberg und Karin Baldvinsson schrieb sie schon mehrere erfolgreiche Romane über die raue Insel im hohen Norden, die ihr zur zweiten Heimat geworden ist. Heute lebt sie mit ihrem Ehemann, zwei Kindern und einem Hund in der Lüneburger Heide.

Zwei Erzählstränge bilden die Grundlage des Romans „Der Sommer der Islandtöchter“, die zunächst scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Kapitelweise abwechselnd erfahren wir über die Ereignisse im Leben der beiden Protagonistinnen, während ihres Aufenthaltes auf Island und zuvor in ihrer Heimat. Bald wird klar, dass die beiden Frauen irgendetwas verbinden muss – wodurch sich auch die Spannung ungemein steigert. Mit viel Einfühlungsvermögen und sehr unterhaltsam lässt uns die Autorin am Leben auf Island teilhaben, vermittelt uns die besonderen Eigenheiten der Bewohner und macht uns mit den Kapriolen des Wetters vertraut. Der Schreibstil ist dabei schön komponiert und angenehm flüssig zu lesen. Die Charaktere und ihre zwischenmenschlichen Beziehungen wirken authentisch und lebensecht – die Geschichte könnte wohl jederzeit so oder so ähnlich passiert sein.

Fazit: Ein angenehmer Frauen- und Familienroman (eine Seltenheit in diesem Genre), der mich vollkommen überzeugt hat und den ich daher gerne weiter empfehle.

Bewertung vom 19.05.2020
Meine Flucht aus Nordkorea
Park, Yeonmi

Meine Flucht aus Nordkorea


ausgezeichnet

Yeonmi Park war noch ein Kind, gerade mal 13 Jahre alt, als sie mit ihrer Mutter dem Hunger und dem drohenden Straflager ins vermeintlich bessere China entfloh. Doch dort waren sie noch lange nicht in Sicherheit. Chinesische Menschenhändler nutzen die Notlage der Flüchtlinge schamlos aus, verkaufen sie zur Prostitution, als „Ehefrauen“ für einsame Chinesen oder behalten sie selbst als „Geliebte“. Sie drohen ihnen, sie nach Nordkorea zurück zu schicken, wo sie die Exekution erwartet, und zwingen sie so, bei ihren verbrecherischen Geschäften mitzumachen. Doch es gibt auch dort einfühlsame Menschen, die Yeonmi und ihrer Mutter zur weiteren Flucht verhalfen. Nachts, bei Eiseskälte, mussten sie sich durch die Wüste Gobi quälen, bis sie endlich die Mongolei erreichten, wo ihnen südkoreanische Diplomaten die Ausreise nach Seoul ermöglichten. Endlich in Sicherheit - aber auch in Freiheit?

Die Autorin Yeonmi Park wurde im Oktober 1993 in Hyesan/Nordkorea geboren. Sie stammt aus einer einstmals angesehenen Familie der oberen Schicht, bis der Vater nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch des Landes wegen Schwarzmarktgeschäften in ein Arbeitslager kam, wo er Zwangsarbeit leisten musste. Jetzt drohte auch dem Rest der Familie die Inhaftierung, weshalb sie sich 2007 zur Flucht entschlossen. In Südkorea holte Yeonmi Park 2009 die verlorene Schulbildung nach und studierte dann zunächst an der Dongguk University in Seoul. Bekannt wurde sie als Menschenrechtlerin, als sie 2014 auf dem „One Young World“-Gipfel eine aufsehenerregende Rede über ihre Erfahrungen in Nordkorea hielt. Danach zog sie nach New York, wo sie als Aktivistin tätig war und ihre Memoiren schrieb. 2016 setzte sie ihr Studium an der Columbia University fort, heiratete am 1.1.2017 und bekam im März 2018 einen Sohn.

Von Nordkorea weiß man eigentlich nur, was von der dortigen Regierung zensiert über die Nachrichtensender zu erfahren ist. Man kennt das Gesicht des derzeitigen Herrschers Kim Jong-un, Sohn des verstorbenen Kim Jong-il und Enkel des Staatsgründers Kim Il-sung, und hat Bilder der Militärparaden in Pjöngjang im Kopf – das war’s dann auch schon. In dieser Autobiografie berichtet Yeonmi Park schonungslos über Leben und Tod in diesem Land, über die bittere Armut, über Hunger und Kälte und über die unbeschreiblich brutale Unterdrückung der Bevölkerung. Man erfährt, dass sich die Kims wie Götter verehren lassen und jede noch so geringe Abweichung von ihren Regeln unweigerlich ins Straflager oder gar zum Tode führt. Unter diesen Umständen scheint eine Flucht, und ist sie auch noch so beschwerlich, wirklich der einzige Ausweg zu sein.

Fazit: Die erschütternde Lebensgeschichte eines Mädchens, einer jungen Frau, die Unbeschreibliches erleiden musste und die dennoch gestärkt daraus hervorging. Ein Buch, das zu lesen starke Nerven erfordert, das nachdenklich stimmt und das dankbar macht, in einem Land wie Deutschland zu leben.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.05.2020
Der Funke des Lebens
Picoult, Jodi

Der Funke des Lebens


ausgezeichnet

Die Frauenklinik in Jackson/Mississippi ist an diesem Morgen gut besucht, als ein fanatischer Abtreibungsgegner das Wartezimmer der Klinik stürmt, wild um sich schießt und die anwesenden Frauen samt Personal als Geiseln nimmt. Die örtliche Polizei schaltet Hugh McElroy ein, der bereits Erfahrung mit Geiselnahmen hat, um mit dem Täter zu verhandeln. Was McElroy aber noch nicht weiß ist, dass sich auch seine 15jährige Tochter Wren und seine Schwester Bex unter den Geiseln befinden. Nachdem er es erfährt sollte er, laut Dienstvorschrift, den Fall einem Kollegen übergeben. Doch Hugh bemüht sich umso mehr darum, mit dem Geiselnehmer, einem verzweifelten Vater, dessen Tochter kürzlich abgetrieben hatte, zu verhandeln …

Jodi Picoult ist eine US-amerikanische Schriftstellerin, die 1967 auf Long Island / New York geboren wurde. 1987 machte sie an der Priceton University ihren Abschluss in Creative Writing und erwarb danach an der Harvard University den Master in Pädagogik. Sie schrieb über 25 Romane, von denen einige auf der Bestsellerliste der New York Times landeten. 2003 erhielt Jodi Picoult den „New England Bookseller Award“ in der Sparte Belletristik und 2011 gewann sie den „LovelyBooks Leserpreis“ in der Kategorie Hörbuch.

Abtreibung, Demonstration, Rassenkonflikt, Waffenbesitz, Amoklauf und Geiselnahme sind die hervorstechenden Themen dieses Buches, dessen Handlung sich auf einen Tag, unterbrochen von einigen Rückblenden, beschränkt. Zu Anfang ist es schwierig in die Geschichte hinein zu finden, denn das Geschehen an diesem Tag wird zwar chronologisch, aber im nächsten Kapitel immer um eine Stunde zurückversetzt, erzählt. Doch nach einiger Zeit lichtet sich das Dunkel und man möchte als Leser nur noch wissen, wie es dazu gekommen ist, was den Attentäter dazu getrieben hat und wie die Geiselnahme letztendlich ausgeht – was man natürlich erst ganz zum Schluss erfährt.

Schonungslos offen, in einer angenehm einfühlsamen Schreibweise, packt die Autorin das heikle Thema Abtreibung an und lässt durch die einzelnen Figuren Befürworter und Gegner zu Wort kommen. Die Geiseln in der Gewalt des Attentäters sind sehr unterschiedlich, genau so unterschiedlich wie deren Motivationen, die man als Leser nach und nach erfährt. Dabei gelingt es großartig, die einzelnen Standpunkte nachzuvollziehen und sich in die Rolle sowohl des Attentäters, als auch der Opfer, hineinzuversetzen. Wie kann es z. B. sein, dass es mit immensen Schwierigkeiten verbunden ist, eine Abtreibung vorzunehmen, man aber problemlos eine Waffe kaufen kann, um Menschen zu töten?

Der Spannungsbogen ist durchweg hoch, was auch auf die verschiedenen Sichtweisen und Standorte der Protagonisten zurückzuführen ist. Der Arzt, eine Krankenschwester, die 15jährige Wren und ihre Tante Bex, eine Abtreibungsgegnerin, eine ältere Dame, eine frisch Operierte und einige andere Patienten sowie der Mann mit der Schusswaffe, die zufällig in der Klinik aufeinander treffen – Polizei, Sanitäter und andere Hilfskräfte draußen - alle haben naturgemäß eine andere Einstellung und Motivation zum selben Thema. Als Leser ist man hin und her gerissen und … sehr nachdenklich gestimmt!

Fazit: Ein Buch mit brisanten Themen, hervorragendem Schreibstil und ungewöhnlicher Erzählweise - das ich sehr gerne weiter empfehle!

Bewertung vom 03.05.2020
Pandatage
Gould-Bourn, James

Pandatage


ausgezeichnet

Papa Pandabär
Danny Maloony hatte es noch nie leicht im Leben, aber seit seine geliebte Frau vor einem Jahr tödlich verunglückt ist, läuft nur noch alles schief. Er verliert seinen Job als Bauarbeiter, ist mit der Miete im Rückstand, sein Vermieter droht ihm deshalb mit Kündigung und, was Danny am meisten schmerzt, sein 11jähriger Sohn Will, der bei dem Unfall damals mit im Auto saß, spricht seither nicht mehr. Auf der Suche nach Arbeit streift Danny durch die Stadt und bemerkt, dass sich als Straßenkünstler gut verdienen lässt. So kauft er von seinem letzten Geld ein gebrauchtes altes Pandakostüm und versucht sich als Tanzbär im Hyde Park. Doch Danny kann überhaupt nicht tanzen, das erhoffte Geld bleibt aus - aber ein Junge wird auf ihn aufmerksam. Es ist Will, sein Sohn, der plötzlich anfängt mit dem fremden Panda zu reden …
„PANDATAGE“ ist das Debüt des 1982 in Manchester geborenen Autors James Gould-Bourn. Nachdem er mehrere Jahre als Mitarbeiter einiger Organisationen in Afrika und im Mittleren Osten Landminen beseitigte, nahm er in London an einem Kurs für kreatives Schreiben teil, in dem auch dieser Roman entstanden ist. Zurzeit lebt der Autor in Vilnius.
Eine berührende und zu Herzen gehende Geschichte über eine problematische Vater/Sohn-Beziehung, in der sich schicksalhafte Momente mit Situationskomik abwechseln. Dabei ist es dem Autor sehr gut gelungen, die richtige Mischung zwischen Tragik und Humor zu finden. Die Protagonisten Danny und Will sind beide auf ihre eigene Art sehr sympathisch und auch die anderen Personen passen gut in das Geschehen. Neben der beschaulichen Handlung, die ohne Höhen und Tiefen auskommt, besticht vor allem der lebendige, flüssige Schreibstil.
Fazit: Eine schöne Geschichte mit Tiefgang, die trotz einiger Slapstick-Szenen berührt, ermutigt und zu Herzen geht. Meine Leseempfehlung!

Bewertung vom 27.04.2020
Die kleinen Geheimnisse des Herzens
Anderson, Celia

Die kleinen Geheimnisse des Herzens


gut

May Rosevere aus dem idyllischen Dörfchen Pengelly in Cornwall ist bereits 110 Jahre alt, möchte aber unbedingt noch den 111. Geburtstag erleben. Kraft schöpfte sie bisher aus den Erinnerungsstücken anderer Dorfbewohner und schreckte dabei selbst vor Diebstahl nicht zurück, um in den Besitz dieser Gegenstände zu kommen. Dass dadurch deren Erinnerung getrübt wird und deren Gedächtnis leidet, störte May wenig. Nun hat sie plötzlich andere Interessen und schmiedet neue Pläne. Emily, die nette und hilfsbereite Enkelin ihrer Nachbarin Julia, ist angereist und verbringt einige Urlaubstage bei ihrer Großmutter. Es wäre doch bestimmt sehr praktisch und unterhaltsam, wenn sie sich in Andy, den jungen Witwer mit 6jährigem Töchterchen aus der Nachbarschaft, verlieben würde. Außerdem hätte May dann mehr Kontakt mit Julia, die von ihrem kürzlich verstorbenen Mann Don noch einen Stapel alter Briefe aufbewahrt, aus denen sich gewiss sehr gut neue Lebenskraft schöpfen ließe …
„Die kleinen Geheimnisse des Herzens“ („59, Memory Lane“) ist der Debütroman der britischen Autorin Celia Anderson, die mit ihrem Mann und ihrer Katze in Derbyshire lebt. Um am Meer zu sein besucht sie ihre Töchter in Brighton so oft wie möglich, wie sie selbst sagt. Bevor sie sich dem Schreiben zuwandte, war Celia Anderson lange Zeit Lehrerin.
Sehr schöne landschaftliche Schilderungen der Küste von Cornwall und einige interessante Charaktere sind für mich die Pluspunkte dieses Buches, das sich gut und flüssig lesen lässt. Die Geschichte selbst hat mich weniger begeistert, ich empfinde sie nicht rund, nicht fließend, ja irgendwie zusammengestückelt. Es geschieht einfach zu viel und davon zu wenig Wesentliches. Da werden unwichtige Dinge, wie z. B. den Tisch decken oder die Kleidung die eine Person trägt, in aller Ausführlichkeit beschrieben, interessante und für die Handlung wichtige Ereignisse jedoch sind kurz angerissen und werden dann nicht mehr erwähnt. Zudem ist das ganze Geschehen ziemlich vorhersehbar, vieles erscheint konstruiert und manche Begebenheiten sind schlicht unglaubwürdig. Gegen Ende zu häufen sich dann die glücklichen Zufälle und aufgetretene Probleme lösen sich in Wohlgefallen auf, aber dennoch bleiben einige Fragen offen.
Vermutlich bin ich nicht die richtige Zielgruppe für diese Art Lektüre, von der andere Leserinnen wiederum hellauf begeistert sind - zum Glück sind die Geschmäcker jedoch verschieden!

Bewertung vom 25.04.2020
Die letzte Spur
Link, Charlotte

Die letzte Spur


sehr gut

Elaine Dawson wollte zur Hochzeit einer Freundin nach Gibraltar fliegen, aber London lag in dichtem Nebel und sämtliche Flüge wurden gestrichen. Da alle Hotels überfüllt waren nahm sie das Angebot eines Fremden, der ihre Notlage erkannte, zögerlich an, die Nacht in seiner Wohnung zu verbringen. Von da an ist sie spurlos verschwunden. - Fünf Jahre später erhält die damalige Braut, die Journalistin Rosanna Hamilton, den Auftrag, eine Serie über Vermisstenfälle zu schreiben. Dabei ist auch der Fall von Elaine. Rosanna macht den Mann ausfindig, bei dem Elaine die Nacht verbracht hat. Es ist der Anwalt Marc Reeve, dem seine damalige Hilfsbereitschaft die Karriere vernichtete, obwohl er immer seine Unschuld beteuerte. Nach anfänglichem Zögern erklärt er sich zur Zusammenarbeit mit Rosanna bereit, ist es doch auch in seinem Interesse, dass der Fall geklärt und seine Unschuld bewiesen wird. Und tatsächlich stoßen sie auf Hinweise, dass Elaine möglicherweise noch lebt. Ist sie eventuell untergetaucht? Bald wird klar, die Nachforschungen erweisen sich als gefährlich …

Charlotte Link, geb. 1963 in Frankfurt/Main, ist eine der erfolgreichsten deutschsprachigen Autorinnen der Gegenwart. Sie studierte zunächst sechs Semester Jura in Frankfurt, bevor sie 1986 nach München zu den Fächern Geschichte und Literaturwissenschaft wechselte. Sie schrieb zahlreiche Romane mit psychologischem Hintergrund, die zum Teil vom ZDF verfilmt wurden, wurde 2004 für den Deutschen Bücherpreis nominiert und erhielt 2007 für ihr literarisches Werk die Goldene Feder. Zurzeit lebt sie mit ihrem Lebensgefährten in Wiesbaden.

Mit „Die letzte Spur“ ist der Autorin Charlotte Link wieder ein gut durchdachter und logisch aufgebauter Krimi gelungen, der an Spannung kaum zu überbieten ist. Auch psychologische Aspekte kommen nicht zu kurz, denn die Autorin lässt uns Leser tief in das Gefühlschaos der Protagonistin blicken und zugleich darüber rätseln, was wohl mit der verschwundenen Elaine geschehen ist, nachdem sie Marc Reeve verlassen hat. Ist sie entführt oder ermordet worden? Gab es einen Unfall oder ist sie freiwillig untergetaucht, um der erdrückenden Pflege ihres im Rollstuhl sitzenden Bruders zu entgehen? Da gibt es viele Möglichkeiten die uns ständig in Atem halten, bei denen man miträtselt und die des Öfteren Gänsehautfeeling erzeugen. Als dann noch zwei Frauenleichen auftauchen, ist die Verwirrung komplett.

Der Schreibstil ist sehr angenehm, gut lesbar und flüssig. Eine logisch durchdachte, gut aufgebaute Handlung, deren Spannung sich langsam aber stetig steigert. Überraschende Wendungen tun sich auf und man wird von Ereignissen verblüfft, die man so nicht vermutet hätte. Man leidet mit den Charakteren und erlebt, wie diese, ein Wechselbad der Gefühle zwischen Hoffnung und Enttäuschung. Nervenkitzel und Dramatik steigern sich bis zum unerwarteten, aber dennoch logischen und überzeugenden Ende.

Fazit: Ein gut gelungener Krimi, der mit seinen überraschenden Wendungen den Leser in atemlose Spannung versetzt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.04.2020
Die Tanzenden
Mas, Victoria

Die Tanzenden


ausgezeichnet

Paris 1885. In der Salpêtrière, der berühmt-berüchtigten ‚Irrenanstalt‘ der Stadt, herrscht gespannte Erwartung. Bald soll der alljährliche Ball stattfinden, bei dem die Insassen tanzen und dabei von der ‚feinen Gesellschaft‘ bestaunt werden - wie die Affen im Zoo. Besonders Geneviève, die Oberaufseherin der Anstalt, hat viel zu tun. Louise, die schon einige Jahre hier Patientin ist, soll vor versammeltem Auditorium unter Leitung von Dr. Charcot und Dr. Babinski einen epileptischen Anfall bekommen, was einiger Vorbereitung bedarf. Zudem macht ihr Eugénie, die von ihrem eigenen Vater mit dem Vorwurf, mit Toten zu reden und mit dem Teufel im Bunde zu sein, eingeliefert wurde, einige Probleme. Wie kann sie der jungen Frau helfen, von deren übernatürlichen Fähigkeiten sie sich selbst überzeugen konnte? Dann ist der Tag des Balles da, an dem sich das Schicksal von Louise, Eugénie und Geneviève entscheiden soll …

„Die Tanzenden“ ist der Debütroman der französischen Schriftstellerin Victoria Mas, die 1987 in Le Chesnay geboren wurde. Nach einem mehrjährigen Aufenthalt in den USA, wo sie als Script Supervisor, Standfotografin und Übersetzerin beim Film arbeitete, kehrte sie nach Paris zurück, wo sie an der Sorbonne Literatur studierte. Bereits 2019 erschien der Roman in Frankreich unter dem Titel „Le bal des folles“ („Der Ball der Verrückten“). Er wurde in 16 Sprachen übersetzt und mit dem Prix Stanislas und dem Prix Renaudot des lycéens ausgezeichnet. Heute ist Victoria Mas als freie Autorin und Journalistin tätig.

Man kann es kaum glauben, dass diese tragischen und erschütternden Schicksale und Ereignisse in solch flüssig-leichten, ja beinahe beschwingten Schreibstil erzählt werden können. Es ist somit, trotz teilweise schockierender Passagen, eine angenehm zu lesende Lektüre, die den Leser/die Leserin keineswegs deprimiert zurücklässt. Die brutalen Heilmethoden, die die Ärzte damals anwendeten, gehören zum Glück der Vergangenheit an und traumatisierte Opfer sexueller Übergriffe erfahren aus heutiger Sicht eine andere Behandlung. Die verschiedenen Charaktere sind sehr gut herausgearbeitet und wirken, wie auch die gesamte Handlung, für die damalige Zeit sehr realistisch. Die im Roman tätigen Ärzte Charcot und Babinski gab es wirklich und die Salpêtrière ist heute ein Krankenhaus in Paris, das der Universität Pierre und Marie Curie und zu einem Teil der Sorbonne gehört.

Fazit: Eine Geschichte die berührt und erschüttert und letztendlich dankbar macht dafür, dass bei uns die Zeiten der Willkür und Unterdrückung der Frauen vorbei sind.

Bewertung vom 30.03.2020
Rote Kreuze
Filipenko, Sasha

Rote Kreuze


gut

Nach dem Tod seiner Frau braucht Sascha Veränderung, deshalb zieht er in eine neue Wohnung nach Minsk. Er möchte eigentlich nur in Ruhe gelassen werden, doch im Treppenhaus spricht ihn seine neue Nachbarin, eine über 90jährige Frau, an und beginnt, ihm aus ihrem Leben zu erzählen. Zunächst interessiert sich Sascha nicht sonderlich dafür, doch dann merkt er, dass ihn dies von seinem eigenen Kummer ablenkt. Bevor ihre Alzheimer-Erkrankung fortschreitet und sie sich nicht mehr erinnern kann, möchte Tatjana Alexejewna, so ist ihr Name, ihre Erinnerungen weitergeben. Es ist die schier unglaubliche Lebensgeschichte einer Frau, die 1910 in London geboren wurde, 1920 mit ihren russischen Eltern nach Moskau zog, dort ab 1930 für das Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten als Übersetzerin arbeitete, später den Architekten Alexej, genannt Ljoscha, heiratete und 1937 Mutter einer Tochter wurde. Dann kommt der II. Weltkrieg - und das Schicksal schlägt zu …
Laut Angaben auf dem Buch ist der Autor Sasha Filipenko ein weißrussischer Schriftsteller, der 1984 in Minsk geboren wurde und Literatur in St. Petersburg studierte, wo er auch heute mit seiner Familie lebt. Er schrieb bisher vier Romane, von denen „Rote Kreuze“ der erste ist, der auf Deutsch erschienen ist.
Es sind hauptsächlich Tatjanas schockierende Erlebnisse, ihr Überleben während der Stalin-Ära, was das Buch so interessant macht. Man erfährt, dass das Internationale Rote Kreuz sich während des II. Weltkriegs ständig bemühte, der Regierung Russlands die Namen ihrer in Kriegsgefangenschaft geratenen Soldaten zukommen zu lassen – ohne Erfolg. Für Stalin und seine Genossen waren Soldaten, die sich lieber in Gefangenschaft begeben als bis zum Tod zu kämpfen, Deserteure, ihre Familien und Angehörigen waren Verräter und entsprechend zu behandeln und zu verhaften. Auch Tatjanas Mann geriet in Gefangenschaft, ihr Schicksal und das ihrer kleinen Tochter war somit besiegelt …
Die Originaldokumente aus dem Archiv des Roten Kreuzes in Genf waren, lt. Aussage des Autors, die Grundlagen des teils dokumentarisch rekonstruierten und teils fiktiven Romans. Den Schreibstil empfand ich als zu sehr sachlich, sodass bei mir als Leserin kaum Emotionen aufkamen. Vermutlich ist das jedoch so gewollt um auszudrücken, dass man in dieser Zeit der Staatswillkür nur überleben konnte, wenn man jede Gemütsbewegung unterdrückte. In einem sehr interessanten Interview am Schluss des Buches sagt der Autor u.A.: „Der Staat tut alles, damit die Menschen die Grausamkeiten des Sowjetregimes vergessen, und unsere Aufgabe ist es, das nicht zuzulassen.“ Ich meine, dem ist nichts hinzuzufügen.
Fazit: Ein Roman über ein wichtiges Kapitel der Geschichte – leider viel zu emotionslos erzählt.

Bewertung vom 23.03.2020
Die Entscheidung
Link, Charlotte

Die Entscheidung


sehr gut

Simon war schon immer ein hilfsbereiter und gutmütiger Mensch. Er ist geschieden und hatte nun geplant, Weihnachten mit seinen beiden Kindern zu verbringen. Doch diese sagten ihm kurzfristig ab, sie möchten lieber bei ihrer Mutter bleiben. Mit seiner Freundin hat er sich zuvor auch zerstritten, und so sitzt er nun alleine im geräumigen Ferienhaus seines Vaters in Südfrankreich und bemitleidet sich selbst. Bei einem Strandspaziergang trifft er auf eine verwahrloste, völlig verängstigte junge Frau, die behauptet verfolgt zu werden. Simon hat Mitleid mit Nathalie, so ist ihr Name, und bietet ihr seine Hilfe an. Noch ahnt er nicht, dass er sich durch diese Entscheidung in Lebensgefahr begibt und beide gnadenlos gejagt werden, ohne zu wissen von wem und warum …
Zur selben Zeit werden in Bulgarien ahnungslosen jungen Mädchen Versprechungen auf eine Karriere im Westen als Models gemacht. Sie werden abgeholt und verschwinden spurlos – bis auf eine, Selina. Sie konnte den skrupellosen Menschenhändlern entkommen und ist jetzt auf der Flucht …
Charlotte Link, geb. 1963 in Frankfurt/Main, ist eine der erfolgreichsten deutschsprachigen Autorinnen der Gegenwart. Sie studierte zunächst sechs Semester Jura in Frankfurt, bevor sie 1986 nach München zu den Fächern Geschichte und Literaturwissenschaft wechselte. Sie schrieb zahlreiche Romane mit psychologischem Hintergrund, die zum Teil vom ZDF verfilmt wurden, wurde 2004 für den Deutschen Bücherpreis nominiert und erhielt 2007 für ihr literarisches Werk die Goldene Feder. Zurzeit lebt sie mit ihrem Lebensgefährten in Wiesbaden.
„Die Entscheidung“ ist ein spannender Kriminalroman, der sich mit dem brisanten und immer aktuellen Thema Menschenhandel befasst. Der Plot ist auf zwei Handlungssträngen aufgebaut, die sich ergänzen und am Schluss eine Einheit bilden. Der Schreibstil ist sehr ansprechend, flüssig und gut lesbar. Einige Längen, bedingt durch die beinahe 600 Seiten, kann man getrost vernachlässigen – die Geschichte behält trotzdem ihre Spannung. Die Personen sind mit all ihren Stärken und Schwächen sehr liebevoll herausgearbeitet, mit einigen Einschränkungen natürlich nicht immer sympathisch, jedoch stets authentisch und der Handlungsablauf bestens durchdacht und ausgezeichnet gelöst.
Fazit: Ein empfehlenswerter Krimi, bewegend, mitreißend und mit intelligent durchdachter Handlung.

Bewertung vom 19.03.2020
Dankbarkeiten
Vigan, Delphine

Dankbarkeiten


ausgezeichnet

Michka ist alt geworden. Bisher kam sie noch ganz gut alleine zurecht, doch seit einiger Zeit lässt das Gedächtnis nach – sie verliert und verwechselt Wörter und kann sich nicht mehr richtig ausdrücken. Als sie dann infolge häufiger Stürze ans Haus gefesselt ist, verliert sie auch noch sämtliche sozialen Kontakte. Ein Glück, dass es die junge Marie gibt, die als Kind oft von Michka betreut wurde. Sie kümmert sich rührend um sie und hilft ihr, einen Platz im Seniorenheim zu bekommen. Über die Monotonie des dortigen Alltags, ihre Ängste und nächtlichen Albträume helfen ihr die regelmäßigen Besuche des jungen Logopäden Jérôme, zu dem sie sehr rasch Vertrauen fasst. Ihm vertraut sie auch an, dass sie dem Ehepaar, das ihr während des Krieges das Leben gerettet hat, solange es noch möglich ist ihre Dankbarkeit ausdrücken möchte. Marie bemüht sich schon lange darum die Leute zu finden, doch ohne genauen Namen und Adresse ein schwieriges Unterfangen – nun erhält sie Hilfe von Jérôme …

Delphine de Vigan ist eine französische Schriftstellerin. Sie wurde 1966 in Paris geboren und lebt heute noch mit ihren beiden Kindern in dieser Stadt. Neben ihrer Tätigkeit an einem soziologischen Forschungsinstitut hat sie seit 2001 mehrere Romane veröffentlicht, für die sie einige bedeutende französische Literaturpreise erhielt.

„Dankbarkeiten“ ist ein unglaublich berührendes Buch, das zum Innehalten und Nachdenken anregt. Es greift Themen auf, mit denen wir alle früher oder später konfrontiert werden. Zeigen wir denen, die uns zu dem gemacht haben was wir sind, wirklich unsere Dankbarkeit und Zuneigung oder warten wir damit, bis es eines Tages zu spät ist? Sollte man mit seiner Vergangenheit ins Reine kommen, um in Ruhe in die Zukunft blicken zu können? Wie kann man in Würde altern, wenn einem Körper und Geist im Stich lassen?

Doch nicht nur Trauriges und Bedrückendes, sondern auch Hoffnung und Zuversicht ist aus den Zeilen zu lesen. Der Schreibstil ist, wie von der Autorin gewohnt, außerordentlich intensiv und mitreißend. Die drei Protagonisten, aus deren Perspektive jeweils berichtet wird, sind sehr sympathisch und ihre Handlungen jederzeit nachvollziehbar. So erfährt der Leser auch Begebenheiten aus deren Kindheit und Jugendzeit, die ihr ganzes späteres Leben prägen werden.

Fazit: Ein großartiges Buch, das berührt und aufrüttelt – meine absolute Leseempfehlung.