Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
sleepwalker

Bewertungen

Insgesamt 495 Bewertungen
Bewertung vom 08.08.2022
Nachtschattenwald. Auf den Spuren des Mondwandlers
Tordasi, Kathrin

Nachtschattenwald. Auf den Spuren des Mondwandlers


ausgezeichnet

„Geh niemals nach Sonnenuntergang in den Wald.“ – so lautet die wichtigste Regel für die Menschen in Karin Tordasis Buch „Nachtschattenwald. Auf den Spuren des Mondwandlers“. Den Kindern wird die Regel von klein auf eingetrichtert, denn „die Nacht gehört dem Wald. Sie gehört dem Mondwandler“. Und dieser holt sich diejenigen, die die Regeln brechen und versetzt sie in einen immerwährenden Schlaf. Finns 13jährige Schwester Hanna hat vor sechs Jahren die Regeln gebrochen, seither ist sie verschwunden. Damit beginnt eine Science-Fiction-Dystopie für junge Leser. Ich bin kein Teil der Zielgruppe, aber mein zehnjähriges Ich hätte mit dem Thema nicht wirklich umgehen können, weshalb ich das Buch eher für Jugendliche ab 13 Jahren empfehlen würde. Denn das, was die Autorin da in eine extrem spannende, wenn auch sehr düstere Abenteuergeschichte verpackt, ist keine leichte Kost.
In Finns Welt hat die Natur begonnen, sich alles zurückzuerobern, was die Menschen ihr im Lauf der Zeit abgerungen haben. Bestehende Häuser wuchern von unten nach oben zu und ohne Schutzhandschuhe kann man nicht mehr vor die Tür gehen. „Man musste jedoch darauf achten, dass alles Gleichgewicht blieb, damit die Natur nicht doch noch alles überwucherte“ – es gibt keine Infrastruktur mehr, Telefone und Internet funktionieren nicht mehr, dafür ist alles grün und die Menschen leben in einem riesigen Urwald. Das Gleichgewicht zu halten, sichert das Überleben. Finns Leben dreht sich seit dem Verschwinden seiner Schwester Hanna hauptsächlich um seine beste Freundin Samira, seine Eltern und seine Oma Vera. Bis eine marodierende Bande Jugendlicher, genannt „die Elstern“, nachts bei seiner Oma einbrechen. Und eines der Mädchen in der Gruppe trägt die schwarz-weiße Pandamütze von Finns Schwester. Obwohl es schon dunkel ist, macht sich Finn auf die Jagd nach dem Mädchen. Ehe er es sich versieht, befinden er und Samira sich in einem wilden Abenteuer und plötzlich ist der Nachtwandler nicht die einzige Gefahr im Urwald. Weitere Ausführungen zum Inhalt spare ich mir, da ich das Buch uneingeschränkt weiterempfehle – also: selber lesen! Es lohnt sich!
Einerseits ist Karin Tordasis Buch ein Abenteuerroman für Jungleser, wobei ich die Altersempfehlung von zehn Jahren etwas nach oben korrigieren würde. Tatsächlich steckt in dem Buch nämlich viel mehr, als auf den ersten Blick ersichtlich ist. Natürlich ist es eine wilde Jagd mit dem Ziel, den Mondwandler zur Strecke zu bringen und die Nachtschwärmer zu finden und zurückzuholen. Aber es ist auch ein dystopischer Roman über die Folgen der Umweltzerstörung und die Frage, was passieren könnte, wenn die Natur „zurückschlägt“. Dazu ist es ein Buch über Freundschaft, Vertrauen, Zusammenhalt und Verrat und über die Chancen und Gefahren von Technik und künstlicher Intelligenz.
Die Autorin hat die Geschichte mit sehr viel Fantasie hervorragend erdacht und gekonnt und mit viel Liebe zum Detail umgesetzt. Ihre Charaktere sind gut ausgearbeitet, auch da folgt sie der Maxime, dass das Gleichgewicht gehalten werden muss: die Geschichte ist zwischen Gut und Böse, Stärken und Schwächen großartig ausbalanciert. Auch die Atmosphäre und die Landschaft, die sie beschreibt, sind greifbar und plastisch. Auch ich möchte das Gleichgewicht halten, daher bei so viel positiven Aspekten auch ein Manko: die Geschichte hat ein paar Längen, die zugegebenermaßen zum Querlesen einladen. Außerdem hätte dem Text an ein paar Stellen ein sorgfältigeres Lektorat nicht geschadet.
Aber alles in allem fand ich das Buch überwiegend atemberaubend spannend und habe es in einem Rutsch durchgelesen. Der Schluss ist stimmig und schlüssig und er hat mich wirklich überrascht, so eine Auflösung hätte ich nicht erwartet. Für diesen Twist ziehe ich meinen Hut vor der Autorin und vergebe für das Buch fünf Sterne.

Bewertung vom 27.07.2022
Fürst der Füchse
Hechelhammer, Bodo V.

Fürst der Füchse


ausgezeichnet

Als 1977 Geborener muss ich gestehen, dass ich mit Fix und Foxi nur wenig in Berührung gekommen bin. Bussi Bär fand in meiner Kindheit auch nicht statt und Asterix und die Schlümpfe kenne ich nur im nicht eingedeutschten Original. Daher kannte ich auch den Namen Rolf Kauka vor der Lektüre von Bodo V. Hechelhammers Biografie des vor rund 20 Jahren verstorbenen „deutschen Walt Disney“ nicht. Das Buch mit dem Titel „Fürst der Füchse“ ist eine lesenswerte und aufschlussreiche Aufarbeitung des Lebens von Rolf Kauka – und zeigt den Verleger nicht unbedingt als den cleveren und äußerst geschäftstüchtigen Visionär, der er war, sondern vielmehr als sehr zwiespältigen und eher unsympathischen Charakter. So hatte ein kreatives Verhältnis zur Wahrheit, war getrieben ehrgeizig und seinem Erfolg hatte sich alles und jeder, nicht zuletzt seine Familie, unterzuordnen.
Aber von vorn.
Paul Rudolf Kauka, Jahrgang 1917, war ein Kind seiner Zeit, geboren im ersten Weltkrieg, erwachsen geworden im zweiten. Dazwischen war er ein mittelmäßiger Schüler ohne formalen Schulabschluss, aber mit abgeschlossener Lehre als Drogistengehilfe. Der zweite Weltkrieg bescherte dem überzeugten Nazi und begeisterteren Soldaten außer dem Eisernen Kreuz und dem Deutschen Kreuz in Gold chronisches Rheuma und ein Kriegstrauma samt Alpträumen. Als der Krieg endete, war er 28 Jahre alt und musste sich neu orientieren. Er nahm das mit dem „sich neu erfinden“ zu wörtlich, so er sich einen neuen Lebenslauf. Um seine nationalsozialistische Gesinnung und seine Organisationszugehörigkeiten zu verschleiern, machte er gegenüber der Behörde falsche Angaben zu Person und Lebenslauf, er ging sogar so weit, dass er sich als promovierten Literaturwissenschaftler ausgab. Allerdings konnte er die amerikanischen Besatzer nicht überzeugen, der Kontrolloffizier, der für die Vergabe von Verlagslizenzen zuständig war, glaubte ihm nicht und verweigerte ihm die Lizenz. Über Umwege erlangte er sie dennoch und ab den 1950er Jahren erlebte er ein stetes Auf und Ab aus großen Erfolgen und Misserfolgen.
Bodo V. Hechelhammer richtet, vermutlich zum Leidwesen der Fans, sein Haupt-Augenmerk nicht auf die Comics des „Bayerischen Walt Disney“, sondern vielmehr auf dessen Person, verbunden mit seiner Verlagstätigkeit, schließlich hat Kauka die Comics ja nicht selbst gezeichnet, sondern nur verlegt. Akribisch geht der Autor bei Kaukas Nazi-Vergangenheit, seinen Frauengeschichten und den Verlagsgeschäften ist Detail, manchmal etwas zu akribisch, einige Kapitel hätte er gerne etwas straffen können. Interessant für mich war aber vor allem die Gesamtschau des Vermächtnisses von Kauka, das weit über Fix und Foxi und Bussi Bär hinausgeht.
Die Darstellung von Rolf Kaukas Arbeit und seiner facettenreichen Persönlichkeit gelingt dem Verfasser meiner Meinung nach hervorragend. Er stellt ihn als ideenreichen und kreativen Visionär dar und erzkonservativen Freund preußischer Tugenden. Er zeichnet das Bild eines egoistischen neureichen Unsympathen und Schürzenjägers, der in seinem Ehrgeiz bereit war, seinem Erfolg alles unterzuordnen, nicht umsonst sprach von den fünf Kindern aus seinen vier Ehen gegen Ende seines Lebens nur noch eines mit ihm, die anderen hatten sich mit ihm überworfen. Dazu war er ein arroganter Selbstdarsteller und hatte, wenn es um seine Person ging, einen starken Hang zur Beschönigung. Ja, er war DER deutsche Comic-Pionier und hat die deutsche Comic-Landschaft geprägt wie kein Zweiter, aber er war auch ein Lügner und neigte dazu, andere für seine Zwecke auszunutzen. Ich fand „Fürst der Füchse“ aber trotz allem ein gut zu lesendes und interessantes Buch über einen für mich abstoßenden Menschen. Ich empfehle das Buch am ehesten Menschen, die gerne Biografien lesen, Comicfans könnten davon enttäuscht sein, da Kaukas Comics darin nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen. Ich fand es allerdings eine lohnende Lektüre, mir hat es ein Stück Kulturgut nahegebracht und ich vergebe daher fünf Sterne

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.07.2022
Braunes Erbe
Jong, David de

Braunes Erbe


ausgezeichnet

„Ich bin Kapitalist. Mir gehört ein Viertel von Bahlsen, da freue ich mich schon drüber.“ Mit diesen Worten redete sich Verena Bahlsen 2019 um Kopf und Kragen. Dass sie mit ihrem Geld auch weiterhin Segeljachten und so was kaufen möchte, war da nur ein Sahnehäubchen. Um Jachten und so was ging es auch in einem Interview mit einer anderen schwerreichen Deutschen: „Manche glauben, dass wir ständig auf einer Jacht im Mittelmeer herumsitzen“, so Susanne Klatten, Milliardärin und Mitglied des Quandt-Clans, als sie betonte, wie hart ihr Leben sei („Wer würde mit uns tauschen wollen?“). Was die beiden gemeinsam haben, hat der Wirtschaftsjournalist David de Jong in seinem Buch „Braunes Erbe. Die dunkle Geschichte der reichsten deutschen Unternehmerdynastien“ beleuchtet. Exemplarisch erzählt er am Beispiel der Unternehmerfamilien Quandt, Porsche, Flick, von Finck und Oetker über ihren Aufstieg in der Nazizeit. Dabei schlägt er in dem informativen, interessanten und äußerst lesenswerten Buch einen Bogen vom Damals der Kaiserzeit zum Heute, von den Patriarchen zu den oben genannten Erben der Dynastien.
Aber von vorn.
Sowohl bei Bahlsen wie auch in der Familie Klatten/Quandt entstand ein nicht unbeträchtlicher Teil des Vermögens zwischen 1933 und 1945. Durch großzügige Spenden an die NSDAP („Der NSDAP drohte permanent die Pleite, sie brauchte alle Mittel, die sie bekommen konnte.“), Investitionen in Rüstungsindustrie und die Beschäftigung von Zwangsarbeitern wurden Familien wie Quandt, Flick, Oetker/Kaselowsky, Porsche/ Piëch oder von Fink, die zum Großteil vorher schon wohlhabend waren, schwerreich. Und ihre Spenden an die NSDAP leisteten dem Nationalsozialismus enormen Vorschub.
Und als wären ihr Kriegsprofit, die Arisierungen (dadurch rissen sie nicht nur Fremde und Konkurrenten, sondern ehemalige Kollegen und sogar Freunde ins Verderben) und die Ausbeutung von Zwangsarbeitern nicht schockierend genug, beschreibt de Jong ausführlich den Umgang der Nachkommen mit ihrem „braunen Erbe“. Nachdem die Firmenchefs nach 1945 überwiegend mit einem „Klaps auf die Finger“ (persil)reingewaschen in die Nachkriegszeit gingen, bekamen sie größtenteils ihr Vermögen zurück, mehrten es und hatten weiterhin ihre Finger in allen möglichen Firmen, unter anderem auch in solchen, die sie sich durch Arisierung angeeignet hatten. Nur einer der Finanzmagnaten der Nazizeit wurde bei den Nürnberger Prozessen verurteilt. Und statt mit sich selbst wegen des begangenen Unrechts ins Gericht zu gehen, praktizierten sie, wie beispielsweise Ferry Porsche, eine Täter-Opfer-Umkehr. „Nach dem Krieg wirkte es so, als würden diese Menschen, die von den Nazis verfolgt worden waren, es als ihr Recht ansehen, zusätzlichen Gewinn zu machen, selbst in Fällen, in denen bereits eine Entschädigung gezahlt worden war“, schrieb er unter anderem über den ehemaligen Porsche-Mitbegründer Adolf Rosenberger, dessen Firmenanteil „arisiert“ worden war.
Intransparenz ist bei vielen Firmenerben heute noch Programm, Leugnen, Relativieren und Verharmlosen an der Tagesordnung. Nach Aussage der Erben waren ihre Vorfahren also alle keine überzeugten Nationalsozialisten und keiner verfolgte ideologische Ziele und Zwangsarbeiter wurden immer gut behandelt. Und wenn man ihnen anhand von Quellen nachweisen kann, dass alles doch ganz anders war? Dann geben sie exakt so viel zu, geben eigene Studien zum Thema in Auftrag und spielen, wenn möglich, die Beteiligung ihrer Vorfahren herunter.
Das möchte der Niederländer David de Jong, dessen Großeltern die Nazizeit nur durch Glück überlebt haben, nicht so stehenlassen. Er hat ein wahres Fleißwerk abgeliefert. Minutiös ackert er sich durch Welt- und Familiengeschichte, belegt mit zahllosen Quellen und Querverweisen seine Ergebnisse. Es ist ein teilweise spannendes, auf jeden Fall aber schockierendes Buch, das sehr nachdenklich macht. Von mir eine absolute Lese-Empfehlung für alle, die sich für das Thema interessieren, und fünf Sterne.

Bewertung vom 18.07.2022
Meines Vaters Heimat
Wächter, Torkel S

Meines Vaters Heimat


ausgezeichnet

Michaël Wächter war wohl ein vielseitiger Mensch. Unter anderem arbeitete er als Leiter des militärpsychologischen Instituts und als Hochschullehrer und er schrieb bis zu seinem Tod Kolumnen für schwedische Zeitungen. Genauso kannte Torkel S Wächter seinen Vater. Als Michaël Wächter 1983 starb, räumte der 1961 geborene Torkel zusammen mit seiner älteren Schwester den Nachlass des Vaters in Kartons, diese verschwanden dann für fast 20 Jahre auf seinem Dachboden. Als Torkel beginnt, sie durchzusehen, ändert sich sein Leben ein für allemal und er findet nicht nur einen völlig neuen Zugang zu seinem Vater, sondern auch zu sich selbst. Das Ergebnis einer Suche, auf die er sich gar nie machen wollte, hat er in seinem dokumentarischen Roman „Meines Vaters Heimat“ niedergeschrieben, das schwedische Original mit dem Titel „Ciona“ schrieb er unter dem Pseudonym „Tamara T.“ – um „den Text für sich selbst sprechen zu lassen“. Ein bedrückendes Werk über zwei Generationen, die in unterschiedlicher Weise durch den 2. Weltkrieg und den Holocaust beeinflusst wurden.
Aber von vorn.
Als Torkel S Wächter in Kisten mit dem Nachlass seines Vaters Briefe eines Walter Wächter findet, geht er erst davon aus, dass es sich um einen unbekannten Onkel handeln müsse. Walter und Michaël Wächter haben dasselbe Geburtsdatum. Zwillinge? Nur langsam begreift er, dass Walter sein Vater ist, der 1938 in Schweden Asyl suchte und dort zu Michaël wurde. Eine mühevolle, oft schmerzhafte, fast 20 Jahre dauernde Suche des Sohnes beginnt, eine Suche nach der Wahrheit, den eigenen Wurzeln und der eigenen Identität. Um die Briefe, Dokumente und Tagebücher des Vaters lesen zu können, fängt Torkel an, Deutsch zu lernen, er nimmt sogar die deutsche Staatsbürgerschaft an. Er gibt Transkriptionen der in Sütterlin geschrieben Texte in Auftrag und nähert sich so einem unbekannten Menschen an, von dem er eigentlich dachte, er kenne ihn.
Und er findet nicht nur einen Mann, der viermal verheiratet war, sondern auch einen Menschen, der als Jude im Nazi-Regime die erste große Liebe (eine Christin mit nazitreuer Familie) und Studien- und Karrierepläne aufgeben musste. Einen Menschen, der wegen versuchten Hochverrats im KZ Fuhlsbüttel und in einem Gefängnis bei Bremen saß, gequält wurde, später über Umwege statt nach Palästina nach Schweden kam, sich niederließ, eine Familie gründete, Karriere machte – und doch immer fremd blieb („Ja, auch in Schweden wurden Juden als fremde Vögel betrachtet.“). Und ihm wird klar, wieso sein Vater ihm auf Fragen nach seinem früheren Leben nie wirklich geantwortet hat und ihm auch kein Deutsch beibringen wollte.
Torkel S Wächter nimmt sein Publikum auf beeindruckende Weise mit auf eine spannende Reise: sowohl auf seine eigene Suche und parallel dazu durch die Tagbücher/Briefe/Dokumente mit in die 1930er Jahre in Deutschland und den aufkeimenden Nationalsozialismus. Er besucht Stationen aus dem Leben des Vaters und der Familie, auch von Familienmitgliedern, die er selbst nie kennengelernt hat. So reist er unter anderem nach Hamburg und Italien, aber auch nach Riga, wo seine Großeltern Minna und Gustav im KZ ermordet wurden. Bei der Spurensuche stößt er auf noch lebende Weggefährten seines Vaters, knüpft Kontakte, trifft sich mit der ersten Frau seines Vaters und mit seiner Cousine Jessica, der Tochter seines nach Südamerika emigrierten Onkels Max.
Torkel S Wächter schließt das Buch mit einer gewissen Befriedigung. Er hat einen neuen Zugang zu seinem Vater gefunden, ihn neu kennen- und verstehen gelernt. Er hat viel über sich selbst und die SGSD (Second Generation Stress Disorder, einer Art Posttraumatischem Belastungssyndrom der nächsten Generation) gelernt. Man könnte sagen, er hat sich und seine Identität in einer Mischung aus Deutsch und Schwedisch, Atheismus und Judentum gefunden. Er ist angekommen, das Puzzle seiner Familiengeschichte ist zum Bild geworden, keinem schönen Bild, aber einem stimmigen. Von mir 5 Sterne.

Bewertung vom 07.07.2022
Todesbrandung / Emma Klar Bd.7
Peters, Katharina

Todesbrandung / Emma Klar Bd.7


ausgezeichnet

Mit „Todesbrandung“ hat Katharina Peters einen neuen Teil ihrer Serie um die Privatermittlerin Emma Klar vorgelegt. Und, obwohl das Buch bereits der siebte Band der „Ostsee-Krimi“-Reihe ist, besticht er durch seine Spannung, eine gekonnt konstruierte Geschichte und sauber ausgearbeitete Charaktere – sowohl bei den „Guten“ als auch bei den „Bösen“. Peters präsentiert ihrem Publikum einen verworrenen Fall mit einem teuflischen Puppenspieler und bringt ihre Protagonistin in höchste Gefahr und die Leserschaft um die Nachtruhe. Schön ist auch das Wiedersehen mit „alten Bekannten“: Emmas Lebensgefährte Christoph (Inhaber einer Securityfirma) und der ehemalige Journalist Jörg Padorn sind ebenfalls wieder mit von der Partie. Letzterer greift Emma auch in diesem Band mit seinen Recherchen unter die Arme.
Aber von vorn.
„Suchen Sie Jana!“ lautet die Anweisung eines anonymen Anrufers an die Wismarer Privatdetektivin Emma Klar. Dabei handelt es sich um die junge Journalistin Jana Kühn, mit der Emma schon einmal zusammengearbeitet hat. Zuerst macht sich außer ihr niemand Sorgen über deren spurloses Verschwinden, denn als Investigativjournalistin recherchierte häufig im Umfeld der organisierten Kriminalität und tauchte nach Aussagen von Kollegen oft für einige Zeit unter. Als Jana kurz darauf tot aufgefunden wird, steht für die Polizei schnell fest, dass die junge Frau mit einer Überdosis Schlaftabletten Suizid begangen hat. Die Akte wird geschlossen, „das Ergebnis lag längst auf der Hand“. Doch Emma „hatte Angst, Janas Freitod zu akzeptieren“, außerdem gibt es für sie einige Ungereimtheiten. Und dann findet sie nach akribischer Suche in der Wohnung der Toten eine sorgfältig versteckte Mini-SD-Karte. Inhalt: eine Liste mit Namen. Drei Menschen, deren Namen auf der Liste stehen, sind vor kurzem durch Unfälle ums Leben gekommen. Nach dieser Entdeckung nimmt Emmas Ermittlung Fahrt auf und sie muss erkennen, dass der Fall wesentlich weitere Kreise zieht, als sie zunächst dachte. Und er entwickelt sich schnell zu ihrem bislang brisantesten Fall.
„Todesbrandung“ ist ein Krimi wie ein guter Wein, er braucht eine Weile, um sich zu entwickeln. Nach dem Prolog, in dem die Leserschaft eine kleine Idee bekommt, wo die Geschichte hinführen könnte, kommt einiges erstmal anders als man denkt. Nach ein paar Dutzend Seiten nimmt die Geschichte aber Fahrt und Spannung auf und man mag das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen. Katharina Peters‘ Sprache ist angenehm, der Krimi ist flüssig zu lesen und weitgehend angenehm unblutig, von Gewalttaten wird hauptsächlich aus zweiter Hand berichtet.
Wie von der Autorin gewohnt, sind die Charaktere gut ausgearbeitet und das Buch mit Personen nicht überladen. Katharina Peters konzentriert sich auf einen sehr begrenzten Kreis von Charakteren und gibt jedem ganz spezielle Eigenheiten mit. Die Spannung wird langsam aufgebaut und dann auf hohem Niveau weitgehend gehalten. Die Geschichte dreht sich fast ausschließlich um die Ermittlungen, ein bisschen aus Emmas Privatleben wird eingeflochten, aber da ihr Lebensgefährte an den Ermittlungen beteiligt ist, sind diese unterschwellig immer präsent. Der Schluss ist stimmig und beinhaltet einen Cliffhanger, der direkt Lust auf den nächsten Teil macht.
Obwohl es schon der siebte Teil der Reihe ist, kann man das Buch problemlos auch ohne Vorkenntnisse lesen, alles Wissenswerte wird erklärt. Allerdings empfehle ich allen Krimifreunden natürlich auch die Lektüre der anderen Teile und lege ihnen die anderen Serien der Autorin ebenfalls ans Herz. Emma Klar ist nämlich nicht die einzige starke Ermittlerin aus der Feder von Katharina Peters. Die einzige Frage, die sich mir stellt, ist, wie der Titel „Todesbrandung“ zustande kam. Vermutlich nur qua Gesetz der Serie (alle Titel beginnen mit „Todes“ und enden mit einem maritimen Begriff), denn mit dem Buch selbst hat er nichts zu tun. Das tut der Qualität des Buchs keinen Abbruch, daher gibt es von mir natürlich fünf Sterne.

Bewertung vom 05.07.2022
Perfect Day (eBook, ePUB)
Hausmann, Romy

Perfect Day (eBook, ePUB)


gut

„Perfect Day“ war mein erstes Buch von Romy Hausmann und es lässt mich zwiegespalten zurück. Einerseits fand ich den Zugang zur Handlung vor allem am Anfang schwierig, andererseits konnte ich das Buch aber auch nicht aus der Hand legen, da die Neugier auf den Schluss überwog. Insgesamt wird der Thriller mir nicht im Gedächtnis bleiben. Oder vielleicht werde ich mich doch an ihn erinnern, unter der Überschrift: schwierige Charaktere tun schwer nachvollziehbare Dinge.
Aber von vorn.
Ausgerechnet mit Lou Reeds „Perfect day“ als Hintergrundmusik wird der 55jährige Philosophieprofessor und Anthropologe Doktor Walter Lesniak sechs Wochen vor Heiligabend vor den Augen seiner Tochter Ann verhaftet. Er soll im Verlauf von fast 15 Jahren zehn Mädchen im Alter zwischen sechs und zehn Jahren entführt und getötet haben. Rote Schleifen wiesen der Polizei wie bei einer makabren Schnitzeljagt den Weg zu den Leichen. Zuerst wurde er daher „Schleifenmörder“ genannt, später bezeichnet ihn die Boulevardpresse als „Professor Tod“. Ann kann nicht glauben, dass ihr Vater ein Serienmörder sein soll. „Deswegen ist es jedes Mal wieder ein Schock. Da hilft auch kein verpixeltes Fotogesicht. Sie schreiben über dich, sie sind sich ihrer Sache so sicher. Ein Zufall, ich weiß, Papa. Du bist kein Mörder. Sie irren sich so schrecklich, aber das wollen sie einfach nicht einsehen. Lieber verbreiten sie weiter ihre Lügen, ihre Lügen, ihre gottverdammten Lügen.“ Während ihr Vater in Untersuchungshaft sitzt, macht sie sich auf die Suche nach dem wahren Mörder, denn die Schuld des einen wird die Unschuld des anderen beweisen. Und Ann, ihre Freundin Eva und ihr Freund Jakob begeben sich bei ihren Nachforschungen in größte Gefahr.
So weit, so gut. Und vor allem so spannend und fast genial durchdacht. Die Art und Weise, wie Romy Hausmann ihre Geschichte aufbaut, ist sowohl clever als auch kompliziert. Sie erzählt sie hauptsächlich aus der Sicht von Ann. Dabei ist unter der Überschrift „Ann“ die eigentliche Handlung, datiert, beginnend im Dezember 2017. Es gibt Einflechtungen, die an Tagebucheinträge mit Gedankenfragmenten aus Anns Kindheit erinnern (gekennzeichnet durch kursive Schrift und Vermerke wie „Ann, 7 Jahre alt“), Kapitel mit der Überschrift „Wir“ sind Anns Erinnerungen an Erlebnisse und Begebenheiten mit ihrem Vater, die beiden haben ja nach dem Tod der Mutter nur noch einander. Und es gibt die transkribierten Gespräche mit dem inhaftierten Täter aus dem Jahr 2021. So, wie die Perspektiven wechseln, wechseln natürlich auch die Zeitebenen, mal ist die Geschichte im Präsens, mal in der Vergangenheit erzählt.
Romy Hausmanns Sprache ist angenehm, aber gewöhnungsbedürftig. Zwar schreibt sie sehr anschaulich und in gefälliger Sprache, dennoch fand ich die Lektüre durch die vielen Perspektivwechsel einfach nur anstrengend und oft hatte ich Probleme, die vielen Nebencharaktere auseinanderzuhalten. Die Hauptcharaktere fand ich hingegen eher blass und vor allem mit der Protagonistin Ann konnte ich bis zum Schluss nicht warm werden. Viele ihrer Aktionen kann ich zwar nachvollziehen, andere hingegen sind so naiv und unbedacht, dass ich nachschauen musste, wie alt sie eigentlich ist, da ihre Handlungen oft eher zu einer Zehnjährigen als zu einer Mittzwanzigerin passen. Insgesamt finde ich aber, dass die Autorin psychologische Eigenheiten ihrer Charaktere sehr gekonnt auf- und ausarbeitet.
Den Spannungsbogen fand ich im ersten Drittel sehr hoch, er flaut aber im Verlauf der Geschichte stark ab. Viele Passagen hätten ersatzlos gestrichen werden können, da sie zum Buch nicht wirklich beitragen. Alles in allem schöpft die Autorin das Potential ihrer an sich guten Idee bei weitem nicht aus. „Logik entwirrt den Knoten“ schreibt die Autorin an einer Stelle, doch leider basiert ein Großteil ihrer Logik auf (weit hergeholten) Zufällen. Ich bin zwar nicht wirklich enttäuscht, aber auch nicht begeistert. Daher vergebe ich wegen der guten Idee und der angenehmen Sprache drei

Bewertung vom 27.06.2022
Der Mann in den Dünen
Johannsen, Anna

Der Mann in den Dünen


ausgezeichnet

Menschen verschwinden. Ältere Menschen verschwinden. Schwerreiche Menschen verschwinden. Reinhardt Dormann ist 79 Jahre alt, Reeder aus Hamburg und verschwindet am hellichten Tag am Strand von Sylt. Damit beginnt Anna Johannsens neues Buch „Der Mann in den Dünen“. Es ist der erste Fall für Kriminalhauptkommissarin Lena Lorenzen nach ihrer Elternzeit (insgesamt aber schon der neunte Teil der „Inselkommissarin“-Reihe) und sie und ihr Kollege Johann Grasmann stoßen auf ungeahnte Schwierigkeiten. Denn die Kinder des Verschwundenen sind nicht wirklich hilfreich bei den Ermittlungen und nach und nach tauchen Dinge auf, die das Leben des Reeders wenig harmonisch erscheinen lassen, aber reichlich Potential für einen spannenden bieten, vor allem, als nach kurzer Zeit Blutspuren am Strand gefunden werden.
Aber von vorn.
Reinhardt Doormann, Reeder im Ruhestand, geht jeden Tag mit seinem Hund Hermann am Strand spazieren. Als der 79-Jährige nach einigen Stunden nicht zurückgekehrt ist, informieren Angehörige die Polizei und Lena Lorenzen und ihr Kollege Johann Grasmann beginnen mit ihren Ermittlungen. Parallel dazu sucht ein Team aus Freiwilligen nach dem rüstigen Rentner. Als sein Hund erschossen und vergraben aufgefunden wird und in der Nähe auch seine Brieftasche auftaucht, wird immer klarer, dass Doormann sich nicht einfach nur verlaufen hat. Ermittlungen im Familienkreis gestalten sich schwierig, die drei Kinder (zwei eheliche und ein uneheliches) sind nicht wirklich kooperativ nur sehr eingeschränkt bereit, der Polizei zu helfen. Nur zögerlich gibt Marc Doormann, der älteste Sohn des Reeders und CEO der Reederei, zu, dass die Firma seit längerem von militanten Umweltschutzorganisationen bedroht wird. Er hat die Drohungen nie ernst genommen – steckt eine der Organisationen hinter dem Verschwinden des Seniorchefs? Und dann verschwindet auch noch Walter Rubert, der eine Mischung aus Hausmeister und Leibwächter von Reinhardt Doormann ist. Es beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit und ein Kampf gegen die Mauern aus Schweigen, die die Kinder des Verschwundenen bauen.
Ich kannte die Autorin von den Büchern ihrer „Enna-Andersen-Reihe“ und mag ihren geradlinigen Stil sehr gerne und schätze die Bodenständigkeit ihrer Geschichten. Ihre Sprache ist alltagsnah und kommt fast gänzlich ohne Kraft- und Fäkalausdrücke aus, was ich als äußerst angenehm empfinde. Die Autorin schafft es, die Spannung im Verlauf des Buchs stetig zu steigern, in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen flicht sie Episoden aus dem Privatleben ihrer Protagonistin ein. Diese ist nach der Elternzeit wieder zurück im Beruf und sie ist hin- und hergerissen zwischen der Freude über ihren Einsatz („Ich habe ihr gesagt, dass ich rausmuss aus dem Büro.“) und der Tatsache, dass sie ihren kleinen Sohn Bent und ihren Mann Erck sehr vermisst. Diese Passagen bieten der Leserschaft eine wohltuende Verschnaufpause in der sonst hohen Spannungskurve.
„Der Mann in den Dünen“ ist ein solider Krimi mit aktuellem Bezug (unter anderem geht es um CO2-Emissionen im Allgemeinen und von Frachtschiffen im Besonderen und die Radikalisierung von Umweltschützern). Er ist angenehm zu lesen, die Spannungskurve ist hoch, es gibt einige Verdächtige, sodass ich Spaß am Miträtseln hatte – alles in allem bietet das Buch also alles, was die Herzen von Krimifans erfreut. Es ist mir ein Rätsel, wie mir die Serie bislang entgehen konnte. Von mir daher natürlich fünf Sterne und eine klare Lese-Empfehlung.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.06.2022
Die Gottesmaschine
Kleindl, Reinhard

Die Gottesmaschine


gut

Die Idee hinter „Die Gottesmaschine“ von Reinhard Kleindl hat mich als Agnostiker sehr angesprochen: ein mathematischer Beweis der Existenz Gottes, das Thema interessiert mich enorm. Herausgekommen ist für mich aber ein eher halbgarer Thriller vor der malerisch-gruseligen Kulisse eines abgelegenen Klosters und eine Geschichte, die mich abwechselnd an Umberto Ecos „Der Name der Rose“ und Dan Browns Robert-Langdon-Reihe erinnerte. Knackige Episoden mit packender Spannung wechselte sich für mich mit langatmigen Passagen ab, sodass mich das Buch letzten Endes nicht wirklich begeistern konnte.
Aber von vorn.
Der römische Weihbischof Stefano Lombardi ist auf Einladung seines alten Freundes Alessandro Badalamenti im abgelegenen Kloster L’Archange Michel nahe dem Montblanc. Im Kloster geht es allerdings weniger um ora et labora oder das benediktinische Credo „Ora et labora et lege“ (bete, arbeite und lies), sondern mehr um wissenschaftliche Forschung. Genauer gesagt: die Schaffung eines Quantencomputers, mit dem sich die Geheimnisse der Schöpfung ergründen, und damit auch die Existenz Gottes beweisen lassen. An der Forschung beteiligt ist Bruder Sébastian, der Ziehsohn von Lombardis Freund Badalamenti. Als dieser ermordet im Computerraum aufgefunden wird, beginnt einerseits die Jagd nach dem Mörder, andererseits aber auch die Suche nach der Entdeckung, die der Mönch gemacht hat. Oder haben soll. Auf jeden Fall versucht irgendjemand, die Entdeckung genauso verzweifelt geheim halten zu wollen, wie andere versuchen, den Mörder zu finden. Eine wilde Jagd durch alte Gemäuer beginnt.
Die Geschichte begann für mich spannend und packend, sodass ich leicht ins Geschehen eintauchen konnte. Die wissenschaftlichen Aspekte fand ich spannend, die (mathematik-)historischen Elemente gut verständlich und sehr interessant dargebracht. Trotzdem lässt mich das Buch eher unbefriedigt zurück. Der Autor selbst hat theoretische Elementarteilchenphysik studiert und sein Diplom mit Auszeichnung gemacht – die wissenschaftliche Seite des Buchs hat also Hand und Fuß. Aber weder sprachlich noch formal konnte es mich wirklich begeistern, da hatte ich etwas anderes erwartet.
Zwar besticht die Geschichte durch eine Menge (sicherlich korrekter) Informationen und eine sehr gute Idee, schwächelt aber bei der Umsetzung sowohl in puncto Handlung als auch bei der Ausarbeitung der Charaktere. Diese bleiben eindimensional und ohne jegliche Tiefe, selbst der Protagonist blieb blass und unnahbar, von den anderen Charakteren möchte ich gar nicht erst reden. Dabei hätte vor allem die Figur Lombardis ein immenses Potenzial geboten, das der Autor meiner Meinung nach verschenkt.
Sprachlich konnte mich das Buch ebenfalls nicht begeistern. Zwar ist es einerseits flüssig zu lesen, aber es besteht ein für mich zu krasser Kontrast zwischen den wissenschaftlichen Passagen und dem Rest, der auf mich sehr umgangssprachlich wirkt. Da zeigt der Autor zwar großes Wissen, aber wenig Fingerspitzengefühl für Sprache und hat mich nicht wirklich angesprochen. Die vielen zum Teil sehr kurzen Kapitel enden zum Teil mit einem Cliffhanger. Das sorgte zwar einerseits für ein sehr hohes Erzähltempo, was aber oft durch „verkopfte“ Passagen ausgebremst wurde. Dadurch entstand für mich statt des einheitlichen Spannungsbogens eher eine Sinuskurve und auch die Geschichte an sich wird, statt linear zu verlaufen, eher zum reichlich unrunden Flickenteppich, gewebt aus eine Menge Geheimniskrämerei, einem Mord und einer wilden Mischung aus Religion, Philosophie und Wissenschaft mit einer Prise Misstrauen gegen alle und jeden.
Alles in allem hat das Buch mich zwar gut unterhalten und ich habe eine Menge Neues gelernt, kommt aber über ein „okay“ nicht hinaus. Der Autor hat meiner Meinung nach zu viel gewollt und sich stellenweise verrannt und alles wird zu einem eher mauen Abklatsch von Dan Brown oder David Baldacci. Von mir 2,5 Sterne, aufgerundet auf 3.

Bewertung vom 21.06.2022
Meeressarg / Fabian Risk Bd.6
Ahnhem, Stefan

Meeressarg / Fabian Risk Bd.6


ausgezeichnet

Kurz gesagt: „Meeressarg“ war mein erstes Buch von Stefan Ahnhem – aber ganz sicher nicht mein letztes. Da ich in vielen Rezensionen gelesen habe, man könne den sechsten Band um den schwedischen Polizisten Fabian Risk nur mit Vorkenntnissen aus den anderen Teilen der Serie lesen und verstehen, war ich sehr unsicher und habe mir bei meinem dänischen Streaming-Anbieter auch schon die anderen fünf Teile besorgt, aber meine Befürchtungen haben sich als unnötig herausgestellt. Ja, vielleicht hätten mir Vorkenntnisse mehr Einblick gegeben, vor allem, da Fabian Risk in „Meeressarg“ keine so große Rolle spielt, aber meine Begeisterung für das Buch ist auch so groß und ich werde auf jeden Fall die anderen Bücher des Autors auch noch lesen.
Eher zufällig finden zwei Paddler einen versenkten Mercedes mit zwei Leichen im Hafenbecken von Kopenhagen. Der Mann auf dem Fahrersitz stellt sich als hoher Beamter heraus, die junge Frau auf dem Rücksitz ist nackt und kann zuerst nicht identifiziert werden. Während der Mann offenbar erschossen wurde, weist sie Würgemale am Hals auf. Der junge Ermittler Jan Hesk wird mit der Leitung der Ermittlungen betraut, aber nicht, weil er der beste Mann für diese Aufgabe ist, sondern eher das Gegenteil. Denn nach und nach kommen die Verstrickung seines Vorgesetzten Kim Sleizner in kriminelle Machenschaften ans Licht und dieser hat die Hoffnung, dank eines eher unerfahrenen Kollegen wieder mal unbehelligt aus der Sache rauszukommen. Aber ihm sind bereits andere auf den Fersen: die ehemalige Polizistin Dunja Hougard ermittelt privat mit ein paar Helfern gegen ihn und möchte ihm endlich das Handwerk legen. Denn Sleizner steckt bis über beide Ohren in einem Sumpf aus Korruption und Gewalt. Und dann kommt auch noch Fabian Risk aus Schweden nach Kopenhagen und hat den Tod seines Sohnes in einem dänischen Gefängnis zu verarbeiten. Hat Sleizner damit auch etwas zu tun? So ganz kann Risk nämlich die Geschichte vom Selbstmord des 16jährigen Theo nicht glauben. Und sehr schnell schaukelt sich alles hoch und die Situation wird für einige der Beteiligten lebensgefährlich.
Und für die Leserschaft vor allem gegen Ende unerträglich spannend, zumindest ging es mir so. Während ich am Anfang noch gerätselt habe, wo mich das Buch wohl hinführen wird und die Spannung ein bisschen brauchte, um sich aufzubauen, so war ich nach etwa hundert Seiten komplett in der Geschichte gefangen und konnte das Buch kaum noch aus der Hand legen. Die verschiedenen Handlungsstränge mit den unterschiedlichen Perspektiven finde ich sehr clever miteinander kombiniert, was dem Spannungsbogen zusätzlich zugutekommt. Die Charaktere finde ich gut ausgearbeitet, wobei das Buch für mich keinen wirklichen Protagonisten hat, eher ein gleichberechtigtes Nebeneinander. Unterschiedliche Charakterzüge wie die Naivität von Jan Hesk (er freut sich so sehr über seinen ersten eigenen Fall und dass er nicht merkt, dass ihn sein Chef nur als trotteliges Mittel zum Zweck sieht), die Verbissenheit von Dunja Hougard und Fabian Risk (sie sind auf einem Rachefeldzug gegen Kim Sleizner und möchten ihn zur Strecke bringen, wobei Fabian Risk dazu noch um seinen Sohn trauert) bieten einen interessanten Kontrast. Dazu dann auch noch Kim Sleizner, „ein durch und durch böser Mensch“ – das alles gibt dem Thriller auch noch eine gewisse psychologische Note.
Sprachlich fand ich das Buch gut zu lesen, allerdings sind ein paar Dialoge auf Englisch, was mich persönlich nicht gestört hat. Die dänischen Namen von Straßen und Stadtteilen brachten mich zum Schmunzeln, da mein bester Freund in Kopenhagen wohnt. Ja, das Ende ist vielleicht ein bisschen sehr vorhersehbar und manche Szenen sind eventuell zu brutal ausgearbeitet. Aber es ist ein Thriller und damit musste ich rechnen. Für den hohen Spannungsfaktor und die clever psychologische Komponente und die gute Unterhaltung, die mir das Buch geboten hat, vergebe ich fünf Sterne und mache mich jetzt an die Lektüre der anderen Teile der Rei

Bewertung vom 17.06.2022
Hier geht's lang!
Heidenreich, Elke

Hier geht's lang!


ausgezeichnet

Um Elke Heidenreichs Buch „Hier geht’s lang“ eine lohnende Lektüre zu finden, muss man die Autorin nicht mögen. So ging es mir auf jeden Fall. Es war mein erstes Buch der Autorin und ich denke ernsthaft darüber nach, noch mehr von ihr zu lesen. Denn die Reise durch ihr Leben anhand der Bücher, die sie im entsprechenden Lebensabschnitt gelesen hat, hat mich nicht nur gut unterhalten, ich habe mich in vielem wiedergefunden.
Aber von vorn.
Elke Heidenreich ist inzwischen fast 80 Jahre alt, wuchs in einem Haushalt mit nur wenigen Büchern auf, und trotzdem weist unsere literarische Playlist einige Parallelen auf („Ich suchte mir meine Freunde, Geschwister, Familie in den Geschichten.“). Bei mir liegt es übrigens daran, dass mein kindlicher Lesegeschmack durch meine Oma (Jahrgang 1913) geprägt wurde. So lasen Elke Heidenreich und ich nicht nur Enid Blytons Abenteuergeschichten, sondern auch Margot Trotts „Försters Pucki“, Else Urys „Nesthäkchen“ und Emmy von Rhodens „Trotzkopf“. Und natürlich dürfen auch Astrid Lindgren und Selma Lagerlöf in diesem Reigen nicht fehlen. Fazit: unsere Kindheiten waren (abgesehen von Karl May) überwiegend von weiblichen Autorinnen geprägt. „Mädchen konnten ruhig auch Jungsbücher lesen, aber nie hätte man einen Jungen mit einem ausgewiesenen Mädchenbuch erwischt.“ Wir bekamen also „brave Mädchen“ und wilde Jungs in Buchform vorgesetzt und mussten unseren eigenen Weg finden. Literarisch und persönlich.
Obwohl unsere Herangehensweise an Bücher völlig verschieden ist, führten unsere Wege uns nach den Kinderbüchern zuerst einmal zu Hans Falladas „Kleiner Mann – was nun“. Während ich dann aber eher in der Trivialliteratur verblieb, begann sie ein Germanistikstudium, las die wichtigen Werke der Weltliteratur, wurde Literaturkritikerin und Moderatorin und liest, anders als ich, „ernsthaft“. Und dennoch fühlte ich mich mit ihrem Buch irgendwie verstanden. Die Wandlung, die das Lesen im Laufe eines Lebens erfährt („Als Kind liest man neugierig und entdeckt die Welt, dann sucht man sich selbst, dann das unbegreiflich Andere, man liest aus Pflicht, aus Bildungshunger, aus Unterhaltungslust.“), dass Bücher in unterschiedlichen Lebensphasen unterschiedlich gedeutet werden („Um manches zu verstehen, braucht man eine gewisse Erfahrung.“) und dass ein Roman, von dem man in der Pubertät denk „Der handelt ja von mir!“ zwanzig Jahre später ein völlig andere Buch sein kann („es ging überhaupt nicht um mich!) – die Erfahrung hat wohl jeder Lesende schon gemacht.
Andere ihrer Erfahrungen kann ich nicht teilen. So ist mir das Geschlecht eines Verfassers nach wie vor völlig egal, ich kann mich mit jeglichem (gut beschriebenen) Protagonisten identifizieren und kann mich in die Geschichte einleben, egal, ob Verfasser oder Protagonist weiblich oder männlich gelesen sind. Aber natürlich kann ich jeden verstehen, dem die Sichtbarkeit der Frauen in der Weltliteratur ein Anliegen ist. Ich habe bei der Lektüre von „Hier geht’s lang“ aber mein Haupt-Augenmerk weniger auf den Feminismus denn auf Elke Heidenreichs Leben und ihre Leseliste gelegt – und beides hat mich angesprochen. Vor allem ihre Aussagen zur dänischen Autorin Tove Ditlevsen trafen bei mir einen Nerv.
Auch sprachlich fand ich ihr Buch sehr ansprechend, locker und bis auf ein paar sehr spezielle Ausdrücke (Was sind denn eigentlich „Norwegerstöcke?“ – ich kenne höchstens Nordic Walking Stöcke) sehr bodenständig geschrieben und leicht zu lesen. Das „Ausrichten“ ihrer Lebensgeschichte an der Literaturliste fand ich gelungen und ich habe diese besondere Art der Autobiografie sehr gerne gelesen, vor allem auch, weil ich ihre absolute Liebe zur Literatur in jeder Zeile herauslesen konnte. Daher vergebe ich fünf Sterne und empfehle es gerne weiter.

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.