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sleepwalker

Bewertungen

Insgesamt 467 Bewertungen
Bewertung vom 16.03.2022
Violas Versteck / Tom Babylon Bd.4
Raabe, Marc

Violas Versteck / Tom Babylon Bd.4


ausgezeichnet

Wow. Einfach nur wow. „Violas Versteck”, der vierte und letzte Teil von Marc Raabes Reihe um Tom Babylon hat mich einfach nur komplett überrollt. Noch jetzt, ein paar Stunden nach Lektüre der letzten Seite fühle ich mich, als hätte mich ein LKW überfahren. Das Buch ist auf den ersten Blick konzeptionell ein heilloses Durcheinander, inhaltlich aber einer der mit Abstand rasantesten und spannendsten Thriller, die ich in der jüngeren Vergangenheit gelesen habe. Ich habe mich sehr auf das Buch gefreut und wurde zu keiner Zeit enttäuscht.
Aber von vorn.
Auch im vierten Band der Serie sucht LKA-Ermittler Tom Babylon seine seit über 20 Jahren verschwundene Schwester Viola. Dieses Mal führt ihn die Suche nach England. Wieso, weiß er allerdings nicht mehr, denn er wurde nackt in einem Müllcontainer in einem Londoner Hinterhof gefunden und hat sein Gedächtnis verloren, an die Ereignisse der vergangenen vier Wochen kann er sich nicht erinnern. Das hindert ihn allerdings nicht daran, seine Nachforschungen wieder aufzunehmen. Dieses Mal steht ihm seine behandelnde Ärztin Jillian Harris zur Seite, denn auf Sita Johanns kann er nicht zählen. Diese gerät beim Versuch, ihn bei den Ermittlungen zu unterstützen, in eine psychiatrische Einrichtung und hat mit ganz eigenen Problemen zu kämpfen. Denn dort ist auch ihr alter Widersacher, der ehemalige Berliner LKA-Chef Dr. Walter Bruckmann. Und obwohl dieser ohne Kontakt zur Außenwelt eingesperrt ist, passieren Morde, die eindeutig seine Handschrift tragen. Und wieder einmal sind alle, aber wirklich ausnahmslos alle Menschen rund um Tom Babylon in größter Gefahr.
Das Buch hat mich von der ersten Seite an gepackt und nicht mehr losgelassen. Allerdings muss ich dazu sagen, dass für mich das Konzept mit den vielen Zeitsprüngen nicht aufgegangen ist, ich habe die „vier Tage zuvor“ – „zehn Tage später“ usw. Hinweise einfach überlesen und bin mit dem Plot trotzdem zurechtgekommen, die Zeitangaben haben für mich nur eine sehr untergeordnete Rolle gespielt. Zwar geben die Sprünge der Geschichte noch einen Hauch mehr Pfiff und Rasanz, manchmal fand ich sie aber auch verwirrend, da ich mir nie wirklich merken konnte, was wie aufeinander folgte. Das tat aber der Spannung keinen Abbruch. Zudem ist die Geschichte inhaltlich so dicht und vollgepackt, dass ich mich wie in einem Strudel oder einem Sog fühlte, der mich immer schneller werdend in Richtung Ende zog.
Da die Geschichte aber so aufgebaut ist, dass das Publikum vollkommen das Gespür für Wahrheit und Realität verliert, wusste ich oft nicht, wem ich eigentlich trauen konnte. Die Charaktere sind gut ausgearbeitet und beschrieben, die „Bösen“ vielleicht manchmal ein bisschen zu plakativ gezeichnet, aber immer durchaus gekonnt und dreidimensional. Die Sprache ist alltagsnah, das Buch ist flüssig zu lesen, allerdings muss man sich darauf einlassen, dass es nicht linear geschrieben ist, sondern die Handlung eher im Zickzack verläuft. Dann ist aber die Spannung konstant hoch, der Schluss absolut stimmig und der Autor schafft es, sämtliche lose Enden aus allen vier Teilen zu verknüpfen und alles zu einem befriedigenden Abschluss zu bringen. Davor ziehe ich bei (wie der Autor selbst sagt) insgesamt über 2000 geschriebenen Buchseiten wirklich den Hut.
Für mich war „Violas Versteck“ ein echter Pageturner und eine rasante Achterbahnfahrt (unter anderem auch durch Teile Londons, die ich gut kenne). Von mir daher fünf Sterne und eine echte Lese-Empfehlung, die natürlich auch für die ersten drei Teile der Serie gilt.

Bewertung vom 10.03.2022
Kalter Fjord
Nordby, Anne

Kalter Fjord


ausgezeichnet

Wie können Ermittlungen gegen eine rechtsradikale Gruppierung und deren Waffengeschäfte mit einem 20jährigen Abiturjubiläum verknüpft sein? Eigentlich vermutlich gar nicht. Dass das aber der Grundstoff für einen rasanten Thriller sein kann, beweist Anne Nørdby mit ihrem neuen Buch „Kalter Fjord“ und legt damit den dritten Teil um den Skanpol-Ermittler Tom Skagen vor. Und nimmt ihr Publikum nicht nur mit auf eine Kreuzfahrt, sondern auch auf eine Reise in Gewalt, verklärte Ideologien und Flashbacks.
Aber von vorn.
Tom Skagen und seine Skanpol-Kollegen ermitteln in einem sehr komplexen und enorm heiklen Fall: in einer Kooperation zwischen Skanpol, Europol und den norwegischen Behörden sind sie einer Gruppierung namens „Åsgards Sønner“ auf der Spur, die im großen Stil Waffen nach Norwegen schmuggeln. Auch ein möglicher großer Anschlag auf norwegischem Boden steht im Raum, schließlich scheint die Gruppe den norwegischen Attentäter Anders Breivik zu verehren, den Mann, der 2011 auf der Insel Utöja 69 Menschen erschossen hat und durch eine Bombe im Regierungsviertel von Oslo acht Menschen tötete. Der Einsatz von Skagen und seinem Team geht allerdings schrecklich schief und seine Chefin versetzt ihn, um etwas Ruhe in die Ermittlungen zu bekommen, auf ein Kreuzfahrtschiff. Auf diesem ist auch eine große Gruppe ehemaliger Schüler eines Hamburger Internats, die ihr 20jähriges Abiturjubiläum feiert. Innerhalb dieser Gruppe kochen alte Freund- und Feindschaften wieder hoch und plötzlich wird einer aus der Runde vermisst. Und als dann seine Leiche auf dem Kutter eines norwegischen Fischers im wahrsten Sinne des Wortes „aufschlägt“, wird aus der lustigen Seefahrt mit „alten Freunden“ bitterer Ernst und Tom Skagen, gefangen zwischen Ermittlungsarbeit und Flashbacks, muss sein ganzes Können und Wissen aufbieten, um alles aufzuklären.
Wow. Was für ein Fall, dachte ich beim Lesen des neuen Buchs von Anne Nørdby. So sehr ich mich über das Wiedersehen mit Tom Skagen gefreut habe – in diesem Buch wird so viel von ihm abverlangt, dass er mir einerseits (vor allem wegen seiner vielen Flashbacks, die auf dem Kreuzfahrtschiff noch viel schlimmer sind als sonst) leidtat, andererseits fand ich seine Genialität manchmal fast unrealistisch. Aber alles in allem stimmt für mich die Balance, das Buch ist absolut ausgewogen: genau die richtige Menge an Sympathen und Unsympathen, an Privatleben und Ermittlungen, an Erzählungen mit Tom Skagen im Mittelpunkt und denen, die sich um andere Charaktere drehen. Skagen selbst muss sich etwas mehr öffnen als in den Vorgängerbänden, was ihn mir noch nähergebracht hat, als er ohnehin schon war. Das Buch ist zwar in sich abgeschlossen und sicherlich als Einzelband lesbar und verstehbar, aber das „große Ganze“ braucht dann doch die beiden ersten Teile auch. Für mich war der Bezug auf den norwegischen Attentäter Breivik ganz besonders pikant, da just in dem Moment, als ich das Buch las, über dessen Bewährung verhandelt wurde.
Sprachlich ist das Buch flott geschrieben und gut zu lesen. Leider sind mir verhältnismäßig viele Rechtschreib- und Grammatikfehler aufgefallen, was mir den Lesegenuss etwas verdorben hat. Die Charaktere sind gut ausgearbeitet, wenn auch manche, vor allem die Unsympathischen, etwas plakativ gezeichnet. Die Landschaft entlang der norwegischen Küste ist rau, aber sehr verlockend beschrieben.
Alles in allem war das Buch für mich eine absolut fesselnde Lektüre mit heiklen und völlig unterschiedlichen Themen (rechtsgerichtete Waffenschieber und Mobbing unter Schülern, das sich bis ins Erwachsenenalter zieht). Von mir daher fünf Sterne und eine klare Lese-Empfehlung.

Bewertung vom 07.03.2022
Brunnenstraße
Sawatzki, Andrea

Brunnenstraße


ausgezeichnet

Andrea Sawatzki kannte ich bislang als Schauspielerin und als Verfasserin der eher launigen Reihe rund um „Familie Bundschuh“. Jetzt hat sie mit ihrem neuen Buch „Brunnenstraße“ ein autofiktionales Werk vorgelegt, das seine Leserschaft bewegt, berührt und oft fassungslos zurücklässt. Ein Werk, das vermutlich nur Menschen nicht vor Abscheu zurückschrecken lässt, die Ähnliches erlebt haben wie die Autorin. Sie liest das Hörbuch, auf das ich mich beziehe, selbst, was der Geschichte noch mehr Tiefgang beschert, sei es bei den eher grausamen Momenten oder bei den schönen, bei denen sie mit hörbarem Augenzwinkern auch mitreißende Freude oder kindliche Unschuld und Naivität präsentiert.
Aber von vorn.
Andrea Sawatzki wurde 1963 als uneheliches Kind einer Krankenschwester geboren, ihr Vater war ein verheirateter Journalist, der viel älter war als die Mutter. Obwohl er Affäre und Kind vor seiner von Depressionen geplagten Ehefrau geheim hielt, unterstützte er die Geliebte und allen war klar: wenn seine Frau nicht mehr lebt, ziehen sie zusammen. Und das taten sie auch, als Andrea Sawatzki acht Jahre alt war. Nach dem Suizid von Günther Sawatzkis Ehefrau zogen sie und ihre Mutter vom schwäbischen Vaihingen/Enz in die Brunnenstraße nach Bayern. Aber schnell legten sich dunkle Wolken über das neue Familienleben. Der Vater hatte keine Arbeit mehr und war verschuldet, die Mutter musste wieder als Krankenschwester arbeiten und war fortan nachts außer Haus. Und nach und nach wurde allen klar, dass die Zerstreutheit des Vaters einen Grund hat: Alzheimer. Andrea Sawatzki übernahm als Kind die Versorgung des Vaters, eine Rolle, die viele Erwachsene überfordert. Und mit Fortschreiten der Krankheit wünschte sie sich nichts sehnlicher als seinen Tod.
Dieses vehemente Hoffen auf sein baldiges Ableben mag manche Teile des Publikums abstoßen. Aber mich persönlich beeindruckt die Geduld von Andrea, die nur ab und zu gegen Ende Risse bekommt. Sie, die sich jahrelang nur gewünscht hat, von ihm geliebt zu werden, beginnt, den Vater anzuschreien, ihn sogar an einen Sessel zu fesseln. Die Mutter weigert sich, den Vater ins Heim zu geben – und erwartet von der Tochter etwas für einen so jungen Menschen schier Übermenschliches. Wenn die Mutter nachts arbeitet oder tagsüber schläft, übernimmt das Kind alle Aufgaben. Es schneidet dem Vater Haare und Fußnägel und nimmt hin, dass er es verprügelt. Überhaupt wird in dem Buch sehr viel geschlagen, vor allem Ohrfeigen bekommt Andrea als Strafe oder erzieherische Maßnahme ständig.
Das Fortschreiten der Demenz beschreibt sie sehr anschaulich, ich kann es aus eigener Erfahrung nachvollziehen. Der Altersunterschied zwischen ihr und ihrem Vater entspricht ziemlich genau dem von meiner Mutter zu deren Vater und auch charakterlich sind sich die Männer ähnlich. So mochte ihr Vater nicht, dass sie schwäbisch sprach („Das heißt nicht die wo!“) und deklinierte lateinische Vokabeln. Andrea fühlt sich von ihm nie geliebt, obwohl sie inzwischen weiß, dass er sie wohl geliebt haben muss. Die Autorin zitiert ein paar Briefe des Vaters an die Mutter, in der er so liebevoll schreibt, dass es ein Jammer ist, dass sie ihn nie so kennenlernen konnte, wie er vor der Krankheit war.
Ich rate jedem, der das Buch lesen oder hören möchte, vorher in sich zu gehen. Das Buch ist keine leichte Kost, Gewalt wie Ohrfeigen oder eine Tracht Prügel sind eher die Regel als die Ausnahme, Gewalt gegenüber Tieren kommt darin vor und eine stetige Überforderung eines Kindes, die meiner Meinung nach an Kindeswohlgefährdung grenzt und mir beim Hören Gänsehaut machte. Vielleicht war das ja in den 1970er Jahren üblich, das kann ich nicht beurteilen, dafür bin ich zu jung. Aber solche Themen können schon mal triggern. Für mich war das Hörbuch enorm bewegend und traf mich tief ins Herz. Von mir daher ganz klare fünf Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.03.2022
Walter muss weg / Frau Huber ermittelt Bd.1
Raab, Thomas

Walter muss weg / Frau Huber ermittelt Bd.1


weniger gut

Zu Thomas Raabs „Walter muss weg“ bin ich eher zufällig gekommen. Eigentlich habe ich es mir nur deshalb ausgesucht, weil mein Mann Walter heißt. Nicht, dass dieser wegmüsste, aber, naja. Bei dem Buch war ich mir auf jeden Fall lange nicht sicher, ob es nicht auch wegmuss. Selten bin ich so schlecht in ein Buch hineingekommen, wie in dieses. Dabei fand ich die Idee hinter der Geschichte wirklich gut.
Aber von vorn.
Die 70jährige Hannelore Huber wohnt im (fiktiven) Ort Glaubenthal und hat nach 53 Ehejahren ihren Mann Walter verloren. Jetzt möchte sie ihn beerdigen, so wirklich traurig ist sie nicht über sein Dahinscheiden. Und dann die Überraschung: im Sarg liegt bei der Beisetzung nicht ihr Mann, sondern der Bestatter selbst. Und der Rest des Buchs handelt von der Suche nach der „richtigen“ Leiche und den Hintergründen.
Es war mein erstes Buch von Thomas Raab, vermutlich aber auch mein letztes. Ich konnte mich weder mit seiner Sprache noch mit dem Aufbau des Textes so wirklich anfreunden. So tat ich mich mit Aufzählungen (durchnummeriert oder mit „Bullet-Points“) oder gar einer Tabelle zur Bildung des grammatikalischen Passivs in einem Roman/Krimi wirklich schwer. Und sowohl sein Satzbau als auch die Länge seiner Sätze machten mir die Lektüre nicht einfacher. Es gibt hauptsächlich entweder sehr lange verschachtelte Sätze oder hingeworfene Fragmente. Dieses Buch erfordert sehr viel Konzentration beim Lesen und ich war ein paar Mal kurz davor, die Lektüre abzubrechen.
Die Charaktere waren zahlreich und schrullig, mir aber alles in allem zu blass und eindimensional. Einige der beschriebenen Charaktere sind sehr gut gelungen, vor allem natürlich die Hauptfigur, aber auch der zehnjährige Kurti und die fünfjährige Amelie, letztere war mit ihrer altklugen Art ein Lichtblick für mich. Andere Figuren bleiben aber leider recht blass, da legt der Autor sehr viel Augenmerk auf Schrullen und insgesamt fiel es mir schwer, die vielen Personen auseinander zu halten. Vor allem der Dorfpolizist und der Bürgerdoktor waren für mich einfach nur nervig. Und wo Frau Huber wirklich „ermittelt“ kann ich auch nicht sagen, hauptsächlich unterhält sie sich mit unzähligen Leuten.
Für einen Krimi fand ich das Buch auch sehr schwach auf der Brust. Wirkliche Spannung kam für mich nicht auf, eher Langeweile und Verwirrung, oft verlor ich den Faden, musste zurückblättern und nachlesen. Als Persiflage auf einen Krimi taugt das Buch für mich allerdings auch nicht, dafür ist es zu durcheinander, die Personen zu blass und die Handlung zu träge. Ich bin ein großer Freund schwarzen Humors, manchmal brachte mich das Buch auch zum Lachen, aber eher selten. Denn der Grat zwischen schwarzem Humor und Verbitterung ist sehr schmal und für mich hat der Autor den Ton allzu oft nicht getroffen und rutscht in einen eher schalen Witz ab.
Alles in allem habe ich das Gefühl, der Autor hat einfach zu viel gewollt und das Buch hoffnungslos überladen. Schade. Denn die Idee ist wirklich toll und das Buch hätte das Potential zum echten Highlight gehabt. Einzig der Schluss konnte mich wirklich begeistern, was aber nach 58 Kapiteln meine Laune auch nicht mehr heben konnte. Von mir daher zwei Sterne und für den Rest der Serie kann die Huberin gerne ohne mich ermitteln.

Bewertung vom 02.03.2022
Nur noch eine Folge!
Mittermeier, Michael

Nur noch eine Folge!


ausgezeichnet

„In seinem Soloprogramm ZAPPED rauschte Michael Mittermeier vor 25 Jahren nur so durch die Kanäle.“ – haha, kann ja gar nicht sein, dachte ich. Ich habe das Buch zum Soloprogramm doch neulich erst gekauft. Und dann habe ich ein bisschen geweint. Selber alt, Herr Mittermeier! Aber sei’s drum. „Nur noch eine Folge!“ heißt das neue Buch des Comedians, mit dem er zu seinen Wurzeln zurückkehrt und auch viel Aktuelles verarbeitet. Und was soll ich sagen? Das Buch hat mich wirklich zum Lachen gebracht und das war etwas, was ich momentan wirklich dringend gebraucht habe.
Natürlich kannte ich einige der Passagen schon aus „Zapped – Ein TV-Junkie knallt durch“ und seinen Live-Programmen, aber trotzdem hat mich der Ausflug in die Fernsehwelt enorm gut unterhalten. Endlich ein Wiedersehen mit der dem Pärchen mit den Holzdeckenlamellen (Fans wissen, wovon ich spreche), dem Auslandskrankenschein und Lassie und den pupsenden Eichhörnchen! Inzwischen Mittermeier kifft auch neuen Fernsehstoff („Nostalgiefernsehkiffen ist gut für den Geist“. Immer noch.) Dank Streaming hat beispielsweise „Game of Thrones“ „Diese Drombuschs“ abgelöst. Natürlich kommt er auch in diesem Buch nicht an Corona-Pandemie und Lockdown vorbei, und Running-Gags aus dem Alltag dürfen auch nicht fehlen. So erklärt er unter anderem auch die Herkunft der Frage „wieso liegt hier eigentlich Stroh.“
Beim Lesen hatte ich bei jedem Satz Michael Mittermeiers Stimme und Tonfall im Kopf, was mir die Lektüre zusätzlich noch versüßt hat. Ich fand das Buch sehr gut zu lesen. Schön fand ich auch, wie viel er über seine Tochter schreibt und mit wie viel Ehrfurcht und Begeisterung er über seine Treffen mit Jerry Lewis und Leonard Nimoy (für diejenigen, die ihn nicht mehr kennen: er spielte in Star Trek den Mr. Spock) berichtet. Sein A bis Z von „Aktenzeichen xy ungelöst“ bis „Zapped“ brachte mich in düsteren Zeiten dankenswerterweise immer wieder zum Lachen. Daher von mir fünf Sterne und eine Lese-Empfehlung für alle, die dringend eine Aufmunterung brauchen.

Bewertung vom 01.03.2022
Enna Andersen und der falsche Täter
Johannsen, Anna

Enna Andersen und der falsche Täter


ausgezeichnet

„»Vierunddreißig.« Enna fuhr mit dem Finger über die Liste. »Der Fall Erken.«“ – mit diesem Satz beginnen die Ermittlungsarbeiten von Kriminalkommissarin Enna Andersen und ihrem Team in einem fünf Jahre alten Fall. Und damit beginnt die Handlung von „Enna Andersen und der falsche Täter“, dem neuen Krimi von Anna Johannsen. Und wie schon in den vorherigen Teilen der Reihe nimmt die Autorin ihre Leserschaft mit auf eine spannende Reise mit ungewissem Ausgang.
Aber von vorn.
Rieke Erken wurde vor fünf Jahren ermordet, in eine Plastikfolie eingewickelt und vergraben aufgefunden. Der Ehemann stand vor Gericht, denn seine DNA wurde auf der Folie gefunden. Die Ehe der beiden stand vor dem Aus, Rieke Erken war im zweiten Monat schwanger, aber nicht von ihrem Mann. Als sich allerdings herausstellt, dass die DNA-Spuren ihres Mannes von ihrem Vater gefälscht wurden, um den verhassten Schiegersohn ins Gefängnis zu bringen, erreichte der ehemalige Polizist das Gegenteil: der Verdächtige wurde wegen der manipulierten Beweise freigesprochen. Zwar ermittelten zwei SOKOs, aber beide schafften es nicht, einen Täter zu finden. Enna und ihr Team geben sich drei Wochen Zeit, in dem Cold Case Fortschritte zu machen. Sollte es ihnen nicht gelingen, würden sie sich per Los einen neuen Fall suchen. „Der Fall ist cool. Wenn wir den lösen, schreiben wir Kriminalgeschichte“, stellt Ennas Kollegin Pia fest und damit gehen die Ermittlungen weiter. Und unversehens finden sich die Ermittler zwischen einem unkooperativen Ehemann und ebenso unkooperativen Wegbegleiter:innen der Toten wieder und schnell stellt sich heraus: der Mord ist nicht das einzige Verbrechen, mit dem sie es zu tun haben.
Ich kannte von Anna Johannsen schon zwei weitere Bücher aus der Enna-Andersen-Reihe und bin nach wie vor beeindruckt, wie viele lose Enden und falsche Fährten die Autorin schaffen kann – und wie gekonnt sie am Schluss immer alles gekonnt und stimmig auflöst. Zum Schluss kann ich, ohne zu spoilern, nur eines sagen: er hat mich wirklich überrascht. Ihre Sprache ist angenehm, flott zu lesen, manchmal ein bisschen derb, aber hauptsächlich gebräuchliche Alltagssprache. Die Charaktere sind gut ausgearbeitet und haben sich seit dem ersten Teil der Serie weiterentwickelt. So kann man das Buch natürlich unabhängig von den anderen lesen und auch verstehen, aber um einen Gesamteindruck zu bekommen, empfiehlt es sich, alle Teile zu lesen.
Ich mag das ausgewogene Verhältnis zwischen Ermittlungsarbeit und dem Privatleben der Ermittler. So war ich sehr gespannt darauf, wie es zwischen Enna und Aaron weitergeht, denn das Verhältnis zwischen den beiden ist ja nicht unbelastet (Aaron vertritt den mutmaßlichen Mörder an Ennas Eltern anwaltlich, der sich nach Verbüßen einer 22jährigen Haftstrafe um ein Wiederaufnahmeverfahren bemüht). Und das Verhältnis ihrer Kollegin Pia Sims mit Ennas polnischem Au-Pair Alina ist ebenfalls in einem interessanten Stadium. Die Themen, aus denen die Autorin ihren Krimi strickt, gehen weit über toxische Vater-Kind Beziehungen und schwierige Ehen, Untreue und Affären hinaus und schnell gerät der Fall, in dem das Team eigentlich ermittelt, in den Hintergrund, denn plötzlich stehen auch große Geldsummen aus unbekannten Quellen im Raum. Dadurch ist der Spannungsbogen des Buchs wie gewohnt konstant und sehr hoch. Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen, so sehr hat mich die Handlung gefesselt. Ein solider Krimi, der Lust auf mehr macht. Von mir ganz klar fünf Sterne.

Bewertung vom 01.03.2022
Warum Diversity uns alle angeht
Buschbaum, Balian

Warum Diversity uns alle angeht


schlecht

Das Leben von Balian Buschbaum drehte sich lange Zeit nur um Sport, Geschwindigkeit und Frauen. Und um seine Transsexualität. Aus seiner Lebensgeschichte entstand sein Buch „Blaue Augen bleiben blau“, das jetzt unter dem Titel „Warum Diversity uns alle angeht“ neu aufgelegt wurde. Als Betroffener habe ich mich auf das Buch gefreut und muss sagen, dass ich auf ganzer Linie enttäuscht bin.
Aber von vorn.
Balian Buschbaum ist ein trans Mann. Schon früh war ihm klar, dass er mit seiner ihm bei der Geburt zugewiesenen weiblichen Identität nicht glücklich werden würde. Seine Karriere im Stabhochsprung, seine Vorliebe für hohe Geschwindigkeiten und später seine Beziehungen zu (wie er nie müde wird zu betonen) heterosexuellen Frauen schildert er sehr ausführlich. Ein Riss der Achillessehne stoppte seine Leistungssport -Karriere und sein Wunsch, den Körper dem Geschlechtsempfinden angleichen zu lassen, wuchs. 2007 outete er sich öffentlich als trans Mann und begann eine Hormontherapie, Operationen folgten.
Wäre Balian Buschbaum weniger selbstverliebt, hätte das Buch wirklich gut sein können. Aber das Einzige, was ich an ihm sympathisch fand, war die Liebe zu seiner Oma. Der Rest des Werks ist eine Selbstdarstellung eines arroganten, teilweise naiven, Menschen, der meiner Meinung nach zu oft nicht erkennt, wie privilegiert er ist. Therapie und Gutachten gemäß des Transsexuellengesetzes können sehr lange dauern, eine Menge Geld kosten – und oft werden Operationen und Therapien verweigert. Bei ihm liest sich das alles eher wie ein Spaziergang. Die Kosten, für die manche Betroffene Kredite aufnehmen müssen, wurden beispielsweise für ihn als Sportsoldaten durch die Bundeswehr übernommen. Ob und inwiefern er Kämpfe ausfechten musste, Diskriminierung oder gar Ablehnung und Hass erlebt hat, darauf geht er nicht ein. („Dass ich mich wie ein Junge benahm und auch so aussah, hat die anderen Kinder nicht gestört. Nie wurde ich gehänselt oder ungerecht behandelt.“) Es wäre ihm zu wünschen, dass er es nie erleben musste, ebenso die tiefe Verzweiflung vieler trans Menschen. Sein Weg entspricht nicht der Realität, die die meisten Betroffenen erleben und das sollte sein Publikum auch wissen.
Insgesamt zeichnet Balian Buschbaum seinen Weg zu seinem Ich als Mann sehr oberflächlich und viel zu einfach. Und sich selbst stellt er gerne als tollen Typen dar, sein Umgang mit Frauen ist mir unsympathisch. Schon in der Grundschule war er wohl schon so jungenhaft, dass sich die Mädchen reihenweise in ihn verliebten und auch später scheint ihm nie eine heterosexuelle Frau einen Korb gegeben zu haben. Selbstzweifel sucht man in seinem Buch vergeblich, Regeln gelten auch nur für andere, was auch seine Haltung zu Verkehrsregeln (er fährt sehr gerne sehr schnell) deutlich zeigt. Ob er seine innere Zerrissenheit durch den Sport kompensiert hat, vermag ich nicht zu sagen, denn er schreibt nur, dass er sich damit immer wieder selbst herausforderte, um Frauen zu beeindrucken.
So gerne er seinen Körper zeigt, so gerne gibt er sich als Philosophen, kommt aber über Küchentischphilosophie nicht hinaus und das gipfelt oft nicht in weisen Worten, sondern in Geschwafel. Und auch sonst ist das Buch stilistisch nicht wirklich ausgereift, da wäre noch viel Luft nach oben.
Für mich war das Buch schlicht der literarische Versuch eines selbstverliebten Selbstdarstellers, sich mit einem machohaften Frauenbild als der große Männer- und Frauenversteher zu zeigen. Um dieser zu sein, fehlen ihm aber sowohl tieferes Verständnis als auch die nötige Empathie. Trotz seiner Transsexualität zeigt er sich ziemlich abschätzend und überheblich gegenüber anderen, was mir das Buch zu einer quälenden und unbefriedigenden Lektüre gemacht haben. Es tut mir in der Seele weh, aber ich kann das Buch weder Betroffenen noch am Thema Interessierten empfehlen, da das, was der Autor beschreibt zwar seiner, aber nicht der allgemeinen Lebenswirklichkeit entspricht. Von mir daher 1 Stern.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.02.2022
Nebelopfer / Frida Paulsen und Bjarne Haverkorn Bd.5
Fölck, Romy

Nebelopfer / Frida Paulsen und Bjarne Haverkorn Bd.5


ausgezeichnet

Jawohl, so wie „Nebelopfer“ von Romy Fölck müssen Krimis sein! Ich habe mich sehr über ein Wiedersehen mit Frida Paulsen, Bjarne Haverkorn und Co gefreut und wurde für mein Warten mit einem enorm spannenden, wie immer gut durchdachten Krimi belohnt. Nur kam für mich dieses Mal die Landschaftsbeschreibungen der Elbmarsch fast ein bisschen zu kurz.
Aber von vorn.
„Justitia ist blind! Ich gestehe, im Prozess gegen Cord Johannsen wissentlich falsch ausgesagt zu haben.“ – dieser Satz steht auf dem Schild, das um den Hals eines toten Mannes hängt. Kommissar Bjarne Haverkorn kann sich an den Fall Johannsen erinnern: 30 Jahre zuvor waren die Frau des Bauers und zwei seiner drei Söhne erschossen aufgefunden worden. Er selbst wurde als Täter verurteilt. Seither sitzt er im Gefängnis, allerdings leidet er an unheilbarem Nierenkrebs und hat nicht mehr lange zu leben. Grundlage für seine Verurteilung waren mehrere Aussagen aus seinem Bekanntenkreis. Der einzige wirkliche Zeuge, der jüngste Sohn Thies, war seinerzeit schwer traumatisiert in der Güllegrube des Hofs gefunden worden. Er sprach lange Zeit überhaupt nicht und kann sich nach wie vor an nichts erinnern. Kurz nach dem ersten Leichenfund, gibt es ein weiteres Opfer. Wieder ist es ein Mann, der vor 30 Jahren gegen Johannsen ausgesagt hat. Bjarne Haverkorn hatte damals in dem Fall ermittelt und er und auch seine Tochter Henni sind plötzlich in großer Gefahr, denn der Mörder stellt ihm ein Ultimatum: „Justitia ist blind! Cord Johannsen im Knast. Finde den wahren Täter, oder du wirst vor den Richter treten! Dir bleiben 48 Stunden.“
Gut, das Jahr ist noch jung. Aber bislang ist „Nebelopfer“ mein absolutes Krimi-Highlight des Jahres. Die Geschichte ist, wie ich es von der Autorin gewohnt bin, gut durchdacht und so spannend geschrieben, dass ich das Buch nicht aus der Hand legen konnte. Da es schon der fünfte Band der Reihe um der Ermittler-Team Frida Paulsen/Bjarne Haverkamp ist, sind mir die Protagonisten inzwischen ziemlich ans Herz gewachsen und auch das Privatleben der beiden kommt neben der Spannung nicht zu kurz. Dazu führt die Autorin mit Leonard Bootz einen Neuen ins Team ein, der muss sich aber meine Sympathie erst noch verdienen, so richtig konnte er bei mir noch nicht punkten.
Sprachlich fand ich das Buch, wie üblich, locker geschrieben und leicht zu lesen. Allerdings ist mir ein Fehler aufgefallen, der mir immer wieder begegnet: „Die Ausreißerin war im Herbst bei ihnen gestrandet, und Frida hatte die Vormundschaft für das Mädchen übernommen, bis sie im nächsten Frühjahr achtzehn würde.“ – da ist das „sie“ nicht korrekt, „das Mädchen“ verlangt ein „es“, das „sie“ bezöge sich ja auf Frida. Aber sonst fand ich das Buch wie immer gut geschrieben und gut lektoriert. Pikant fand ich, dass die Geschichte für mich zum Lesezeitpunkt in der Zukunft (zwischen dem 1. Februar und dem 1. Mai 2022) spielte. Die Handlung selbst ist gut konzipiert und stimmig ausgearbeitet, der Spannungsbogen ist sehr hoch und (bis auf Ausflüge ins Privatleben der Ermittler) durchgehend. Diese Ausflüge brauchte ich bei so viel Hochspannung aber auch zum Luftholen und auch das Wiedersehen mit Fridas Lebensgefährten Torben hat mich sehr gefreut. Der Apfelhof ihrer Eltern und ihr Freundeskreis (ihr Mündel Cat, Boxtrainer Milan und ihre Freundin Jo) sind allerdings weniger präsent als in den anderen Teilen. Der Schluss ist stimmig, allerdings hatte ich schon sehr früh den richtigen Riecher bezüglich der Lösung, nur kurzzeitig habe ich mich mit einer falschen Fährte in die Irre führen lassen.
Für mich also alles in allem echt ein Highlight, dem ich gerne fünf Sterne gebe. Eine klare Lese-Empfehlung für Fans vom Team Paulsen/Haverkamp und solche, die es werden wollen.

Bewertung vom 25.02.2022
Warnung vor Büchern
Fallada, Hans

Warnung vor Büchern


ausgezeichnet

Mehr als 70 Jahre nach seinem Tod gibt es im Nachlass von Hans Fallada immer noch unentdeckte Kleinode. In „Warnung vor Büchern“ sind, herausgegeben von Carsten Gansel, einige veröffentlichte und unveröffentlichte Anekdoten, Berichte, Autobiografisches, Erzählungen und Reden zusammengestellt, die der Schriftsteller von Mitte der 1920er Jahre bis zu seinem Tod 1947 verfasst hat. Ich beziehe mich hier auf das von Ulrich Noethen eingelesene Hörbuch, das mit sieben Geschichten nur einen Teil des im Reclam-Verlag erschienenen Buchs umfasst (die Geschichte mit dem titelgebenden Namen “Warnung vor Büchern” fehlt im Hörbuch allerdings).
Das Hörbuch beginnt mit einer Ausführung, wie man Schriftsteller wird, beziehungsweise, wie Fallada vom Landwirt zum Schriftsteller wurde. („Ich glaube nicht daran, dass man ein Schriftsteller wird, sondern dass man einer ist, vom Beginn des Lebens an. Es kann sehr lange dauern, bis man es erkennt, ich zum Beispiel war 37 Jahre alt, bis ich meinen ersten richtigen Roman schrieb. Bis dahin hatte ich mich, im Allgemeinen, mit sehr anderen Dingen beschäftigt.“) - solche Aussagen kannte ich schon aus seiner Rede „Meine lieben jungen Freunde“. Er erzählt mal launig, mal ziemlich bitter, wie er beispielsweise beinahe Hausbesitzer geworden wäre. Das Geschäft war von seiner Seite aus schon in trockenen Tüchern, dann aber denunzierte ihn das Ehepaar, dem er das Haus abkaufen wollte und sollte und, statt Eigentümer der Villa zu werden, wurde er nach einer Hausdurchsuchung durch die SA verhaftet und auf dem Weg zur Haftanstalt beinahe erschossen. Und auch sonst handeln seine Texte überwiegend von Nazis und den Problemen, die durch sie entstanden. So schreibt er sehr ausführlich und bedrückend in dem Essay „Das Todeshaus formt einen Dichter“ über seinen Schriftstellerkollegen Alfred Schmidt-Sas. Sehr beeindruckend fand ich auch die Rede „Meine Damen und Herren“, eine flammende Ansprache im Zusammenhang mit den Nürnberger Prozessen. Diese zeigt ganz deutlich, dass Fallada trotz seiner sehr schlechten Erfahrungen ein glühender Fürsprecher für die Demokratie ist – ein Buch, das aktueller nicht sein könnte, mit Säbelrasseln und geistigen Brandstiftern an allen möglichen Ecken und Enden.
Selten hat mich ein Hörbuch so in den Bann gezogen, wie dieses. Sowohl der Text an sich hat mich, als bekennenden Fallada-Fan, begeistert, als auch die Art und Weise, wie Ulrich Noethen ihn liest. Er liest empathisch und sensibel, nuanciert und pointiert und kurz gesagt: er trifft immer den rechten Ton. Wie auch Fallada für mich den rechten Ton trifft. Er legt den Finger in Wunden, zeigt Probleme auf und verliert trotzdem nie den Glauben an die Menschen und die Hoffnung auf den Sieg des Anstands über das Unrecht.
Nicht umsonst wurde Ulrich Noethen mit dem “Deutschen Hörbuchpreis” ausgezeichnet und Fallada gilt als einer der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Falladas Texte und Noethens Stimme passen hervorragend zusammen und bilden eine fesselnde Einheit. Gerne hätte ich noch mehr als die sieben Kapitel des Hörbuchs gehört. Eine ganz klare Hör-Empfehlung von mir und fünf Sterne.

Bewertung vom 21.02.2022
Eddie van Halen
Brannigan, Paul

Eddie van Halen


gut

„Eddie van Halen. Ein Leben“ von Paul Brannigan ist für Fans des Musikers (und vor allem der Band van Halen) sicher ein Schmankerl und die Lektüre ein Muss. Für diejenigen, die noch Fans werden wollen (wie ich zum Beispiel), fand ich das Buch weniger geeignet, denn es konzentriert sich nach ein paar Seiten hauptsächlich auf die Band und deren Werdegang. Es ist mit Sicherheit kein schlechtes Buch und die Recherchearbeit des Autors ein enormer Akt, aber dennoch hat es mich nicht hundertprozentig abgeholt. Oder besser gesagt: ich hatte mir durch den Titel etwas anderes vorgestellt.
Aber von vorn.
Als Sohn niederländischer Einwanderer hatte es Edward Lodewijk van Halen in den 1960er Jahren nicht leicht, in den USA Fuß zu fassen. Sein Bruder Alex übrigens auch nicht. Und sein Weg zum „Mozart der Gitarre“ war steinig. Und vor allem seiner Mutter Eugenia hätte es wohl lieber gesehen, wenn er Informatik studiert hätte. Aber, unter anderem geprägt von ihrem Vater Jan, der Berufsmusiker war, hatten die beiden Söhne andere Pläne. Und die sollten die Musikwelt nachhaltig verändern und prägen. Ursprünglich von Eric Clapton, Led Zeppelin und den Beatles beeinflusst, schuf Eddie van Halen seinen eigenen Stil und wurde in den 1980er Jahren zu einer Ikone an der Gitarre. Neben seinem Werdegang beleuchtet Paul Brannigan hauptsächlich die Geschichte der Band, unterfüttert mit zahllosen Zitaten der Bandmitglieder und Wegbegleiter, ein wahres Schaulaufen des Who-is-Who der Musikwelt. Und natürlich lässt der Autor auch die Sex-Drugs-Rock’n’Roll-Aspekte nicht weg. So schreibt er neben Affären und Band-Streitereien (die Episoden mit Sänger David Lee Roth fand ich nach einer Weile wirklich nervtötend) auch über Eddie van Halens Alkohol- und Kokainsucht und seine mehrfachen Entzugsversuche, seine erste Krebsdiagnose und schließlich seinen Tod 2020 mit 65 Jahren.
So weit so gut.
Insgesamt finde ich das Buch gut und sensibel geschrieben, minutiös recherchiert und aufbereitet, aber es ist nicht das Leben von Eddie van Halen, über das der Autor da in manchmal sehr langen, verschachtelten Sätzen schreibt. Vielmehr ist es die Geschichte der Band Van Halen, zu viele Informationen über David Lee Roth inklusive. Ich möchte in einem Buch mit dem Titel „Eddie van Halen. Ein Leben“ nicht zwingend Roths Geburtsdatum erfahren und dass er wegen seines ADHS Ritalin nahm. Mehr Eddie und weniger Van Halen (die Band) hätte mir besser gefallen, da hat der Autor meiner Meinung nach die Balance nicht hundertprozentig gefunden. Das liegt vielleicht auch daran, dass das Buch auf Sekundärquellen fußt, schließlich hat Paul Brannigan Eddie van Halen nur ein einziges Mal getroffen. Viele Ausführungen und Aneinanderreihungen von Konzerten, Tourneen, Hits, Erfolgen und Misserfolgen hätte ich auch in den Archiven der einschlägigen Musikzeitschriften nachlesen können.
Da mich aber interessiert, wer und wie Eddie van Halen wirklich war, werde ich wohl die Biografie seiner ersten Frau Valerie Bertinelli noch lesen, in der Hoffnung, dass sie mir den wohl sehr sensiblen Musiker näherbringt, den Menschen, der selten zufrieden mit sich und seiner Arbeit und, so scheint es, noch seltener glücklich gewesen ist (David Lee Roth sagte in einem Interview „Ich glaube, dass Eddie van Halen keine zehn Minuten seines Erfolgs wirklich genossen hat.“). Dieses Buch hier lässt mich ziemlich unbefriedigt zurück, daher vergebe ich drei Sterne.