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Benutzername: 
Igelmanu
Wohnort: 
Mülheim

Bewertungen

Insgesamt 1008 Bewertungen
Bewertung vom 07.05.2023
Die Wälder am Fluss
Lansdale, Joe R.

Die Wälder am Fluss


ausgezeichnet

»Aber wollen Sie denn nicht, dass der Mörder geschnappt wird?«
»Das wird nicht passieren, Junge. Verlass dich drauf. Meine Leute sind wie Spreu, weißt du – sie werden einfach weggeweht, und keinen kümmert’s. Da musst du schon ’nen Weißen um die Ecke bringen, damit du bestraft wirst.«

Marvel Creek, eine winzige Ortschaft in Texas im Jahr 1933. Der elfjährige Harry und seine kleine Schwester Tom entdecken im Wald zufällig die grausam zugerichtete Leiche einer schwarzen Frau. Harrys Vater, der neben seiner Arbeit als Farmer auch als Friseur und Constable arbeitet (die Zeiten sind schlecht und die Familie braucht das Geld), ist sich sicher, dass hier kein wildes Tier verantwortlich ist, sondern dass die junge Frau das Opfer eines überaus brutalen Mörders wurde.

In der weißen Bevölkerung macht er sich mit seinen Nachforschungen nicht beliebt. Der Mörder muss ein Schwarzer sein, da ist man sich sicher. Kein Grund also, sich einzumischen, das werden die Schwarzen schon untereinander regeln. Doch es bleibt nicht bei diesem einen Opfer. Und während um ihn herum die gesamte Situation eskaliert, versucht Harry weiter, den Mörder zu finden…

Dieses Buch hat mich gleich von der ersten Seite an gepackt. Ich hatte schon zuvor Bücher des Autors gelesen und mag seinen Stil sehr. Immer spannend, immer nah dran und mit Worten, die eine überaus stimmige und dichte Atmosphäre schaffen.
Hier wird alles aus der Perspektive von Harry erzählt. Die kindliche Sicht sorgt für zusätzliche Dramatik, denn als Erwachsener, zumal rückblickend, weiß man natürlich um den weit verbreiteten Rassismus, doch Harry und Tom führten trotz der ärmlichen Verhältnisse, in denen sie aufwuchsen, ein schönes Leben. Jedenfalls bis zu dem Tag, an dem sie den grausigen Fund machten. Mit viel kindlicher Fantasie, Entdeckungs- und Abenteuerlust spielten sie täglich in den Wäldern, doch das Verbrechen raubt ihnen diesen sicheren Ort und in der Folge auch den Glauben an das Gute in ihren Mitmenschen. Es ist eine noch heile Welt, die da zerstört wird.

An zahlreichen Stellen wurde ich so wütend und merkte, dass ich mich glatt mehr über die „braven“ weißen Bürger aufregte als über den Serienmörder. Das Buch lässt einen nicht kalt und fesselt bis zum Schluss.

Fazit: Sehr spannend und berührend mit toller Atmosphäre. Ein großartiges Buch!

Bewertung vom 28.04.2023
Prost, auf die Gaukler
Kalpenstein, Friedrich

Prost, auf die Gaukler


ausgezeichnet

»Warum hängen wir eigentlich keine Poster auf, auf denen vor Einbrechern gewarnt wird?«
»Weil in Brunngries mehr ermordet als eingebrochen wird.«

Eine sehr wahre Aussage, auch das jährliche Volksfest kommt in Brunngries nicht ohne Leiche aus. Gerade noch stand Ron Goldinger singend auf der Bühne im Festzelt, angeschmachtet von zahlreichen Frauen und im nächsten Moment liegt er tot auf dem Platz, niedergestreckt von dem Pfeil aus einer Armbrust. Hauptkommissar Tischler und sein Kollege Fink erkennen schnell, dass es sich um keinen verirrten Pfeil vom Schießstand handeln kann. Ron Goldinger wurde eindeutig ermordet! Aber wer hatte ein Motiv, den populären Frauenschwarm zu töten?

Das hat wieder Spaß gemacht! Auch der sechste Band dieser Reihe konnte mich begeistern. Dem Autor gelingt es, eine ordentliche Krimihandlung in einen humorvollen Rahmen zu packen, ohne dass darunter Logik und Schlüssigkeit leiden. Großartige Action gibt es nicht, aber ich kann gut verzichten, wenn der Rest passt.
Tischler und Fink sind mir beide sehr sympathisch, tolle Ermittler mit gegensätzlichen Charakteren, was auf mich sehr unterhaltsam wirkt. Ich mag auch das ganze Umfeld, das Örtchen Brunngries im Chiemgau, welches man zwar unter diesem Namen nicht finden wird, aber sicher gibt es kleine Ortschaften in dieser Ecke Deutschlands, die ihm ähnlich sind. Nicht zu übertreffen ist Dackeldame Resi, ich habe mich schon immer über jeden ihrer Auftritte gefreut und dass sie in diesem Band ständig an der Seite Tischlers ist, ließ mich beim Lesen fast pausenlos schmunzeln. Ich wünsche ihrem tatsächlichen Herrchen ja nichts Schlechtes, aber vielleicht könnte Herr Ferstel sich nach der Reha noch eine lange Weltreise gönnen?

Fazit: Gelungener Krimi mit hohem Unterhaltungsfaktor und einer bezaubernden Resi. Ich freue mich auf den nächsten Band!

Bewertung vom 23.04.2023
Durch Mark und Bein / Tempe Brennan Bd.4
Reichs, Kathy

Durch Mark und Bein / Tempe Brennan Bd.4


sehr gut

»In den kommenden Wochen würden [sie] alles Erdenkliche tun, um jedes am Schauplatz gefundene Gewebefetzchen zu identifizieren. Fingerabdrücke, medizinische und zahnmedizinische Daten, DNS, Tätowierungen und Familienfotos würden die Hauptinformationsquellen sein … Trotz all unserer Bemühungen war abzusehen, dass einige Särge nur sehr wenig enthielten. Eine abgetrennte Extremität. Eine verkohlte Backenzahnkrone. Ein Schädelfragment. In vielen Fällen würde das, was man nach Hause schicken konnte, nur wenige Gramm wiegen.«

Es ist eine furchtbare Aufgabe, die auf die forensische Anthropologin Tempe Brennan und ihr ganzes Team zukommt, sie sollen die Opfer eines Flugzeugabsturzes identifizieren. Nach einigen Tagen voller blutiger Puzzle-Arbeit findet Tempe ein Körperteil, das zu niemandem auf der Passagier- und Besatzungsliste passt. Als sie weiterforscht, tritt sie offenbar jemandem mächtig auf die Füße und bald ist nicht nur ihre Karriere, sondern auch ihr Leben in Gefahr…

Ich mag diese Reihe! Natürlich wird es oft reichlich blutig, aber ich finde es schlicht faszinierend, was alles aus irgendwelchen Gewebefetzchen ermittelt werden kann. Die Autorin ist vom Fach, das merkt man deutlich an ihren detaillierten Schilderungen. Und Tempe ist mir als Protagonistin schwer sympathisch, eine ansonsten völlig durchschnittlich wirkende Frau, die sich aber in ihre Aufgabe mit ganzem Einsatz reinhängt. Es wird wieder sehr spannend, ich mochte das Buch nicht aus der Hand legen.

Fazit: Blutig, aber faszinierend und mit einer tollen Protagonistin. Ich freue mich auf weitere Fälle mit ihr.

Bewertung vom 23.04.2023
Tote lächeln nicht
Hafermeyer, Franz

Tote lächeln nicht


weniger gut

»Das muss gespritzt haben, als würdest du eine vorher geschüttelte Sektflasche öffnen.«

Ein brutaler Killer zieht eine blutige Spur durch Augsburg, seine Opfer wurden gefoltert und übertötet. Kommissarin Elsa Dorn, frisch aus München gewechselt, versucht sich bei der Ermittlung in der Soko zu beweisen, stößt aber mit ihren Theorien auf massiven Widerstand. Lediglich bei dem Privatermittler Sven Schäfer findet sie Unterstützung, aber können die beiden es mit einem solchen Täter aufnehmen?

Eigentlich mag ich Regionalkrimis sehr, aber diese Reihe und ich werden keine Freunde. Dass die Taten sehr brutal und eklig dargestellt wurden, macht mir nichts, aber dass sich das sprachliche Niveau an vielen Stellen anpasste, stört mich gewaltig. Da wurde in einer Tour geflucht und geschimpft, Worte wie „Glotzofon“ gewählt und zahlreiche abwertende Begriffe genutzt. Normalerweise hätte ich mit beiden Protagonisten Mitgefühl haben sollen, da sie im Grunde Opfer von Korruption, Vorurteilen und Diskriminierung sind, aber die beiden machten es mir schwer bis unmöglich. Schade.

Vieles war wohl humorvoll gedacht, doch ich konnte nur gelegentlich schmunzeln, meist erreichte mich diese Art von Humor nicht. Die Stellen, die eigentlich sehr spannend sein sollten, wurden für mein Empfinden durch stark übertriebene Actionszenen verdorben. Und das Ende empfand ich nicht nur als schwer konstruiert, sondern auch als reichlich fragwürdig.

Fazit: Erinnerte mich häufig an die Zeitung mit den großen bunten Bildern. Diese Reihe muss ohne mich auskommen.

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Bewertung vom 13.04.2023
Tod in Siebenbürgen / Paul Schwartzmüller ermittelt Bd.1
Werrelmann, Lioba

Tod in Siebenbürgen / Paul Schwartzmüller ermittelt Bd.1


sehr gut

»Ich muss wirklich dringend, dachte er, mit jemandem reden. Mit jemandem, der einen klaren, analytischen Verstand hat. Der nicht so müde ist wie ich. Und der nicht mit einer Frau unter einem Dach wohnt, die Schaufensterpuppen in kleine Stücke schneidet und bizarre Figuren in Türen ritzt.«

Es ist ein richtiger Kulturschock für Paul Schwartzmüller. Obwohl der Journalist in einem kleinen Dorf in Siebenbürgen einen Großteil seiner Kindheit verbracht hat, war er seit Jahrzehnten nicht mehr dort und muss nun feststellen, dass hier, nahe dem geheimnisvollen Dracula-Schloss, die Zeit stehengeblieben ist.

Paul war in die alte Heimat gereist, um ein Erbe anzutreten. Groß war die Freude, als er einen Freund aus Kindertagen wiedertraf. Und riesig das Entsetzen, als genau dieser Freund am Folgetag verhaftet wurde, weil er einen Touristen im Schloss ermordet haben soll. Paul glaubt an die Unschuld seines Freundes und macht sich an die Ermittlung. Der erfolgreiche Investigativjournalisten rechnet mit einem schnellen Erfolg, stößt jedoch bald auf große und lebensbedrohende Schwierigkeiten, begründet auf Korruption und Aberglauben…

Bei diesem Buch hatte mich vor allem der Schauplatz gereizt, diese Gegend voller alter Mythen. Was das angeht, wurden meine Erwartungen voll erfüllt, die Beschreibungen von Landschaft und Kultur sind sehr gelungen und schaffen eine tolle Atmosphäre für diesen Krimi.

Im Mittelpunkt der Handlung steht Paul, der ursprünglich nur sein Erbe regeln und die Unschuld des Freundes beweisen will. Plötzlich jedoch steht er vor einem Berg von Erinnerungen, macht eine Reise in seine eigene Vergangenheit und stößt auf mehr als eine Überraschung. Der Fall selbst wird manchmal zur Nebensache, doch trotzdem fesselte mich die Handlung und ich mochte das Buch nicht aus der Hand legen.

Fazit: Ein faszinierender Schauplatz und ein Ermittler mit Kulturschock auf der Suche nach seiner eigenen Vergangenheit. Mich hat es richtig gepackt!

Bewertung vom 13.04.2023
Inspector Jury schläft außer Haus / Inspektor Jury Bd.1
Grimes, Martha

Inspector Jury schläft außer Haus / Inspektor Jury Bd.1


sehr gut

»Ja, auf das Konto eines anderen. Es fragt sich nur, auf wessen? Die Bevölkerung hier in der Gegend nimmt von Tag zu Tag ab.«

Wenige Tage vor Weihnachten ist in dem tiefverschneiten Dorf Long Piddleton von Frieden auf Erden nichts zu merken, zwei gruselige Morde mit bizarr zur Schau gestellten Opfern sorgen für Angst und Schrecken. Inspector Jury, aus London von Scotland Yard angereist, macht sich an die Ermittlung und ist sich schon nach kurzer Zeit sicher, dass der Täter jemand aus der Gegend sein muss. Und leider muss Jury außerdem feststellen, dass der Mörder mit seinem Werk noch nicht fertig ist…

Malerische Häuschen, schöne Natur, diverse skurrile Charaktere und mittendrin ein Serienmörder – das ist der Stoff für dieses Buch. Dieser erste Band der umfangreichen Reihe war auch mein erster Kontakt mit Inspector Jury. Anfangs begeisterte mich der Stil nicht gerade, alles lief dörflich-gemächlich ab, da musste ich mich erst einmal reinfinden. Aber dann, nach einer Weile, hatte das Buch mich doch gepackt. Der Inspector hat eine nett unangepasste Art, die mir gefiel. Seinen Assistenten Wiggins mochte ich ebenfalls, ein dauer-erkälteter junger Mann, der möglicherweise schwer unterschätzt wird. Die Nebencharaktere präsentierten sich in einer großen Vielfalt, von sympathisch bis extrem nervig.

Fazit: Ruhiger Krimi vor schöner Kulisse, mit so einigen interessanten Charakteren, die das Ganze unterhaltsam machen.

»Und Ihre Berufsethik? Ein anständiger Polizist würde so etwas nie tun.«
»Ich habe auch nie behauptet, ich wäre einer, oder?«

Bewertung vom 30.03.2023
In nomine mortis
Rademacher, Cay

In nomine mortis


sehr gut

»Ein großes Rätsel, fürwahr … Doch ist es nicht das größte Glück eines Inquisitors, Rätsel zu lösen?«

Paris, im Frühjahr 1348. Eigentlich hat der junge Dominikanermönch Ranulf Higden den beschwerlichen Fußmarsch von seinem Kloster in Köln auf sich genommen, um hier, an der berühmtesten Universität des Abendlandes, seinen Wissensdurst beim Studium der Theologie zu stillen. Doch kaum angekommen, stellt der Prior ihn Meister Philippe, dem gefürchtetsten Inquisitor der Stadt, zur Seite. Gerade nämlich wurde vor Notre-Dame ein weiterer deutscher Glaubensbruder ermordet aufgefunden und Ranulf soll Meister Philippe unter anderem mit seinen Sprachkenntnissen unterstützen.
Eingeschüchtert, doch gleichzeitig hochmotiviert und fest im Glauben stürzt sich Ranulf in die Arbeit. Die kommenden Ereignisse aber werden ihn an seine Grenzen bringen. Geheimnisvolle Dinge geschehen, eine Verschwörung scheint im Gange zu sein und drei schöne Frauen, mit denen er während der Ermittlung konfrontiert wird, machen es dem jungen Mönch auch nicht gerade leicht. Zu allem Übel steht auch noch die Pest vor den Toren der Stadt! Als ein weiterer Mönch ermordet wird, fordert die ohnehin schon verängstigte Bevölkerung die Ergreifung des Schuldigen, um Gottes Zorn zu besänftigen. Inmitten blutiger Verhöre beginnt der junge Inquisitor, sich selbst Fragen zu stellen…

Ich habe schon einige Bücher von Cay Rademacher gelesen. Regelmäßig schafft er es, einen spannenden Kriminalfall in einen hochinteressanten historischen Rahmen zu packen und auch hier ist es ihm gelungen. Die Atmosphäre ist sehr dicht und auf mich, die ich immer schon sehr, sehr dankbar war, dass ich nicht in dieser Zeit geboren wurde, wirkte alles höchst beängstigend. Wer empfindlich ist, sollte vielleicht besser verzichten, es wird an einigen Stellen schon sehr grausam. Auf mich wirkte das Szenario authentisch.

Im Zentrum der Handlung steht die Gewissensnot des jungen Ranulf, der bis zu seiner Ankunft in Paris ein zwar ärmliches, aber doch behütetes Leben geführt hat. Alles wird aus seiner Perspektive erzählt, dazu passend sind regelmäßig Sätze in lateinischer Sprache eingefügt, für die sich im Anhang eine Übersetzung findet. Natürlich gibt es diverse Klischees, in Versuchung geführte Mönche und Verschwörungen in Kirchenkreisen sind wirklich keine neuen Themen, aber hier trotzdem gut umgesetzt.

Fazit: Auch dieser historische Kriminalfall des Autors konnte mich überzeugen. Sehr blutig, aber auch fesselnd.

Bewertung vom 21.03.2023
Vielleicht - Eine Geschichte über die unendlich vielen Begabungen in jedem von uns
Yamada, Kobi

Vielleicht - Eine Geschichte über die unendlich vielen Begabungen in jedem von uns


ausgezeichnet

»Du bist du. So jemanden wie dich hat es noch nie gegeben und wird es auch nie mehr geben. In dir steckt so viel.«

Während ich ein Buch lese, mache ich mir Notizen, die ich dann für die Rezension zu Hilfe nehme. Wenn ich jetzt auf meinen Zettel schaue, dann stehen da ausschließlich Begriffe der Begeisterung. Da steht zum Beispiel „wunderschön“, „poetisch“, „verträumt“, „mutmachend“ und „liebevoll“, ich kann ohne Übertreibung sagen, dass dies das schönste Buch ist, das ich seit langer Zeit in der Hand hatte.

Auf den traumhaft schön illustrierten Seiten kommt ein kleines Mädchen, immer begleitet von einem süßen Schweinchen, in die unterschiedlichsten Situationen. Mal probiert es sich aus, lebt seine Kreativität, mal steht es vor Herausforderungen, begibt sich in Abenteuer oder hilft anderen Lebewesen. Nicht immer ist es erfolgreich, auch ein mögliches Scheitern kommt zur Sprache, verbunden mit sehr mutmachenden Worten.
Jeder Mensch ist etwas Besonderes, er hat besondere Fähigkeiten, kann vielleicht einzelne Dinge nicht so gut, aber dafür andere umso besser. Und jeder sollte nun herausfinden, wo seine Begabungen liegen, sich nicht mit anderen vergleichen und entmutigen lassen. Ich wünschte, ich hätte dieses Buch als Kind lesen können. Aber auch als Erwachsener lohnt es sich, diese Gedanken mal auf sich wirken zu lassen.

Die Verbundenheit mit der Natur ist ebenfalls ein Thema, das sich durch das Buch zieht. Schön fand ich auch, dass das Mädchen optisch keinen Klischees folgt. Es trägt weder rosa, noch Kleidchen und es hat auch keine Zöpfe. Bekleidet ist es mit einem graublauen Overall, auf dem Kopf trägt es eine gebastelte Vogelmaske. Ich könnte mir daher gut vorstellen, dass ein fantasievoller Junge sich mit dem Kind ebenfalls identifizieren kann.

Fazit: Eins der schönsten Bücher, das ich seit langer Zeit in der Hand hatte. So mutmachend! Ich wünschte, ich hätte es als Kind gelesen.

Bewertung vom 20.03.2023
Der Würger von der Cater Street - Historischer Roman
Perry, Anne

Der Würger von der Cater Street - Historischer Roman


sehr gut

»Wie stellen Sie sich die Unterwelt denn vor, Miss Ellison? Als etwas was man findet, wenn man einen Kanaldeckel öffnet?«

London, 1881. Im noblen Wohnviertel, wo auch das Heim von Charlotte Ellison und ihrer Familie liegt, geht die Angst um. Dem Würger fielen bereits mehrere junge Frauen zum Opfer, die Polizei wirkt ratlos. Und die feine Gesellschaft muss zu ihrer großen Beunruhigung feststellen, dass die Ermordeten nicht nur einfache Dienstmädchen waren, denen man unmoralisches Verhalten unterstellen könnte. Was aber noch beängstigender ist, ist die Tatsache, dass der Täter irgendwo unter ihnen leben muss…

Bei diesem Buch war ich wieder einmal sehr froh, dass ich gewöhnlich keine Bücher abbreche, denn bis etwa Seite 60 habe ich mich ziemlich gelangweilt. Das lag wohl an der Erwartungshaltung, denn ab diesem Zeitpunkt erst startet der eigentliche Krimi. Ohnehin ist dieses Buch mehr ein Gesellschaftsroman, sehr deutlich werden zum einen die Klassenunterschiede herausgearbeitet und zum anderen die mindestens so großen Unterschiede in der gesellschaftlichen Bewertung von Frauen und Männern. Das Buch ist aus Sicht von Charlotte und ihren Schwestern geschrieben, was bedeutet, dass ich viel über Kleider, nachmittägliche Teestunden, Schwärmereien und gesellschaftliche Umgangsformen las, aber bis zum Ende nicht erfahren konnte, was die Männer des Hauses eigentlich den ganzen Tag treiben. Dies war aber kein Versäumnis der Autorin, sondern sollte klarstellen, dass dieser Punkt die Frauen nicht zu interessieren hat. Passend dazu durften die Damen des Hauses auch nicht die Tageszeitung lesen, sondern bekamen ausgesuchte Artikel vom Herrn des Hauses serviert.

Kein Wunder also, dass niemand, der in einem so heilen Kokon lebt, sich vorstellen kann, dass etwas Böses im eigenen Umfeld existieren könnte. Der Täter muss ein krankes, gestörtes Wesen aus der Unterwelt sein, das ist doch klar! Inspector Pitt, der die Ellisons im Rahmen seiner Ermittlungen mit Fragen „belästigt“, erfährt gewaltige Ablehnung, als er diesem Kokon immer mehr Risse verpasst. Ich fand die Wortgefechte zwischen ihm und der recht undamenhaften Charlotte höchst erfrischend und fühlte mich von dem Buch nach diesen ersten 60 Seiten, in denen sich alles nur (s.o.) um Kleider, Teestunden usw. dreht, sehr gut unterhalten.

Packend war auch die Schilderung des sich stetig steigernden Klimas aus Angst und gegenseitigem Misstrauen. Ab einem gewissen Punkt wurde praktisch jeder Mann verdächtigt, eine Atmosphäre, unter der natürlich alle enorm litten. Die Auflösung deutete sich früh an, war aber schlüssig. Und tatsächlich erfreute ich mich hier auch der zarten Beziehung, die zwischen Charlotte und Pitt entsteht, einfach auch deshalb, weil sie gesellschaftlich aufgrund des Standesunterschiedes ein No-Go ist.

Fazit: Mehr Gesellschaftsroman als Krimi, aber wirklich gut gemacht. Die Reihe verfolge ich weiter.

Bewertung vom 17.03.2023
Dunkle Tage
Kunz, Gunnar

Dunkle Tage


sehr gut

»Halb Berlin dürfte ein Motiv gehabt haben, Max Unger umzubringen, und ich wage zu behaupten, dass sein Tod mehr Sektkorken knallen als Tränen fließen lässt.«

Berlin, 1920. Es ist ein sehr blutiger Tatort, an den Kriminalkommissar Gregor Lilienthal gerufen wird. Der Unternehmer Max Unger hat sich zu Lebzeiten reichlich Feinde gemacht, ein Motiv für den brutalen Mord hätten nicht wenige Menschen. Gregor bittet seinen Bruder Hendrik, Professor für Philosophie, ihn mit seinem wachen Verstand bei einigen kniffligen Ermittlungsansätzen zu unterstützen. Und noch jemand stürzt sich auf eigene Faust in die Suche nach dem Täter: Diana Escher, Physikstudentin und Nichte des Ermordeten.

Einen klassischen Krimi vor hochinteressanter historischer Kulisse hat der Autor hier geschaffen. Ihm gelingt es mit intensiven Schilderungen die Atmosphäre der Nachkriegszeit darzustellen, viele Menschen leiden Not und sorgen sich um ihre Zukunft. Rechte Tendenzen, der Kapp-Putsch, die Morde an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg – die Stimmung ist politisch aufgeheizt. Hat der Mord womöglich ebenfalls einen politischen Hintergrund?

Der Krimi liest sich flott, ist spannend und die Auflösung wirkt schlüssig. Bei den Ermittlern liegt der Fokus auf Hendrik und Diana, beide Charaktere sind gut ausgearbeitet, wogegen Gregor etwas blass bleibt. In der Summe fühlte ich mich gut unterhalten.

Fazit: Klassischer Krimi vor hochinteressanter historischer Kulisse. Ich fühlte mich gut unterhalten.