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Bücherfreundin

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Insgesamt 265 Bewertungen
Bewertung vom 18.05.2023
Als Großmutter im Regen tanzte
Teige, Trude

Als Großmutter im Regen tanzte


gut

Berührende Nachkriegsgeschichte
Der Roman "Als Großmutter im Regen tanzte" der norwegischen Autorin Trude Teige, der bereits 2015 erschienen ist und lange auf den norwegischen Bestsellerlisten stand, liegt nun auch in deutscher Übersetzung vor.

Die Ich-Erzählerin Juni ist schwanger und verlässt ihren gewalttätigen Ehemann Jahn. Sie flieht auf die kleine norwegische Insel, auf der sie einen Großteil ihrer Kindheit verbracht hat. Ihre Mutter Lilla hat das Haus der Großeltern bis zu ihrem Tod bewohnt und ihrer Tochter vererbt. Nun muss Juni sich entscheiden, ob sie Jahns Kind zur Welt bringen möchte. Neben einem Brief, den ihre Großmutter Tekla aus Deutschland geschickt hat, entdeckt sie eine Aufnahme, die sie nie zuvor gesehen hat. Sie zeigt Tekla neben einem deutschen Soldaten. Juni findet heraus, dass ihre Mutter Lilla bereits 9 Monate vor der Hochzeit der Großeltern geboren wurde. Ihre Neugier ist geweckt, und sie begibt sich auf Spurensuche. Dabei ist ihr Georg behilflich, ihr neuer Nachbar und Freund. Gemeinsam reisen sie nach Berlin und Demmin.

Die Geschichte wird in 67 Kapiteln auf zwei Zeitebenen erzählt. Wir begleiten im Hier und Jetzt Juni bei ihren Recherchen. Auf der zweiten Zeitebene steht Junis Großmutter Tekla im Fokus, die sich in den vierziger Jahren in den deutschen Soldaten Otto verliebt. Ihre Beziehung stößt auf Ablehnung und Verachtung. Tekla und Otto reisen nach Deutschland aus, wo Ottos Familie in Demmin ihren Wohnsitz hat. Doch dort haben russische Soldaten den Hof besetzt, und nichts ist mehr wie früher ...

Nach und nach erfahren wir, was Tekla nach dem Zweiten Weltkrieg widerfahren ist. Als Norwegerin, die in einen Deutschen verliebt war, wurde sie als "Deutschenmädchen" verachtet und verlor nach ihrer Heirat die norwegische Staatsbürgerschaft. Die Schilderung der Massensuizide in Demmin hat mich sehr erschüttert, davon hatte ich bisher nie gelesen. Junis Suche nach der Wahrheit ist sehr spannend erzählt, sukzessive werden Teklas traumatische Erlebnisse und ihre Geheimnisse aufgedeckt.

Das gut recherchierte und flüssig zu lesende Buch ist in einfacher und klarer Sprache geschrieben. Teklas Geschichte wird sehr authentisch und berührend geschildert, sie ist mir sehr nahe gegangen. Den Erzählstrang um Juni fand ich dagegen recht unglaubwürdig und vorhersehbar. Außerdem hätte ich gern mehr über den gemeinsamen Lebensweg der Großeltern und Lillas Leben erfahren. 

Bewertung vom 15.05.2023
So weit der Fluss uns trägt
Read, Shelley

So weit der Fluss uns trägt


ausgezeichnet

Wunderbar erzählter Debütroman über eine mutige Frau
Shelley Read erzählt in ihrem aufsehenerregenden Debütroman, der in über 30 Ländern erscheint, die Geschichte der jungen Victoria Nash, die als Tochter eines Pfirsichbauern in Iola, einem kleinen Städtchen nahe des Gunnison River, in Colorado aufwächst. Als sie 12 Jahre alt ist, verliert sie durch einen tragischen Autounfall ihre Mutter, ihre Tante und ihren Cousin. Sie sieht fortan ihre Aufgabe darin, ihre Mutter zu ersetzen und übernimmt alle anfallenden Hausarbeiten. Darüber hinaus hilft sie dem Vater auf der Pfirsichplantage und kümmert sich um ihren 2 Jahre jüngeren Bruder Seth und den kriegsversehrten Onkel Og. Die Familie bringt ihr wenig Zuneigung entgegen, ihr Alltag besteht aus Arbeit.
 
Als Victoria 17 Jahre alt ist, begegnet sie im Ort einem Fremden, von dem sie sofort fasziniert ist. Wilson Moon ist aus den Kohlebergwerken in Dolores weggelaufen und auf der Suche nach einer Unterkunft. Doch im Ort begegnet man dem dunkelhäutigen Mann mit Ablehnung. Wil und Victoria verlieben sich ineinander und treffen sich heimlich. Bald kommt es zu einer Tragödie, und Victoria verlässt ihr Elternhaus. In der Wildnis muss sie Hindernisse überwinden, um ihr Leben und das ihres ungeborenen Kindes kämpfen und trifft in ihrer Verzweiflung eine folgenschwere Entscheidung .....
 
Der wunderschön geschriebene Roman wird in der Ich-Form aus der Perspektive von Victoria erzählt und umfasst die Zeitspanne zwischen 1948 und 1971. Während dieser 23 Jahre erleben wir Victorias Schicksal, ihre Tragödien und Verluste. Die junge Frau erlebt Leidenschaft und Verrat, dennoch schafft sie es, sich mit Stärke und Ausdauer ein neues Leben aufzubauen. 
Ein wichtiger Teil des in ruhigem Schreibstil verfassten Buches widmet sich der kargen und rauen Natur Colorados. Die faszinierenden Naturbeschreibungen haben mich sehr beeindruckt. Auch fand ich es sehr interessant, Einblicke in viele Tätigkeiten zu bekommen, die auf einer Pfirsichplantage notwendig sind, um eine außergewöhnliche Pfirsichernte von hoher geschmacklicher Qualität zu erzielen.

Das Buch, das sich auch mit den Themen Tod und Trauer, Heimat und Rassismus auseinandersetzt, hat mich von der ersten Seite bis zum hoffnungsvollen Ende fasziniert und zutiefst berührt. Ich mochte Victoria, ihr Schicksal ist mir sehr nahegegangen, und ich habe mit ihr gelitten und gehofft. Gleichzeitig war ich aber auch voller Bewunderung für ihren Mut und ihre Kraft. Shelley Read hat nicht nur die Hauptprotagonistin Victoria, sondern auch alle Nebenfiguren liebevoll und authentisch skizziert. 

Der Roman hat mir sehr viel Lesefreude bereitet, und ich freue mich bereits jetzt auf das nächste Werk der Autorin.
Absolute Leseempfehlung von mir für diesen beeindruckenden und ergreifenden Debütroman über eine mutige Frau, die ihren Weg sucht.

Bewertung vom 15.05.2023
Wovon wir leben
Birnbacher, Birgit

Wovon wir leben


ausgezeichnet

Beeindruckender Roman
Birgit Birnbacher erzählt in ihrem neuen Roman "Wovon wir leben" die Geschichte der 37-jährigen Julia Noch. Diese hat sich nach einer Bürolehre in einem Autohaus zur Krankenschwester ausbilden lassen und ist seither in einem Krankenhaus tätig. Durch einen fatalen Irrtum verabreicht sie einer Patientin ein Medikament, auf das diese allergisch reagiert. Die Patientin überlebt, Julia jedoch verliert nicht nur ihre Arbeit, sondern muss auch noch ihre Personalwohnung räumen. Sie ist nun arbeitslos und muss sich neu orientieren, denn als Krankenschwester möchte sie nicht mehr arbeiten. Darüber hinaus wird sie von einer asthmatischen Erkrankung gequält und versucht, sich aus einer aussichtslosen Beziehung mit einem verheirateten Arzt zu befreien.
Sie kehrt in ihren Heimatort zurück und trifft im Elternhaus nur auf ihren Vater. Die Mutter ist nach Italien gezogen und möchte sich dort ein neues Leben aufbauen. Schon bald lernt Julia den Städter Oskar Marin kennen, der sich nach einem Herzinfarkt einer Rehamaßnahme unterzieht. Sie beneidet ihn, weil er eine Art Grundeinkommen für die Dauer eines Jahres gewonnen hat und sich dadurch im Gegensatz zu ihr ganz in Ruhe nach einer neuen Tätigkeit umsehen kann. 
 
Die Autorin schildert das Zusammenleben Julias mit ihrem verbitterten Vater, der ganz selbstverständlich davon ausgeht, nach dem Weggang seiner Frau nun durch die Tochter versorgt zu werden. Interessant ist die Beschreibung der Dorfgemeinschaft, in der viele Männer ihre Arbeit verloren haben, seit die letzte Fabrik geschlossen wurde. Nun sind sie arbeitslos, wenden sich dem Alkohol zu und verbringen ihre Zeit mit Glücksspielen in der Wirtschaft. 

Das Buch ist in sehr schöner und ruhiger Sprache geschrieben, die Charaktere sind authentisch skizziert. Birgit Birnbacher lässt uns tief in Julias Gefühls- und Gedankenwelt eintauchen und seziert mit feiner Beobachtungsgabe die Dorfgemeinschaft. Sprachlosigkeit innerhalb der Familie ist ebenso Thema in diesem Buch wie Vorurteile und Rollenklischees. Die Beziehung Julias zu ihrem behinderten Bruder schildert die Autorin sehr eindrucksvoll und mit viel Empathie.

Das unterhaltsame Buch, das Raum lässt für eigene Gedanken, hat mir sehr gut gefallen - Leseempfehlung von mir!

Bewertung vom 13.05.2023
Gidget. Mein Sommer in Malibu
Kohner, Frederick

Gidget. Mein Sommer in Malibu


gut

Neuauflage eines Jugendromans
Der Fischer Verlag hat "Gidget - Mein Sommer in Malibu", den Roman von Frederick Kohner, veröffentlicht. Das Buch erschien bereits 1957 in Amerika und liegt nun in neuer Übersetzung vor. Der Autor schildert darin die Erlebnisse seiner Tochter Kathy im Sommer 1956 am Strand von Malibu.

Die Ich-Erzählerin Franzie erzählt die Geschichte des ereignisreichen Sommers im Jahr 1956. Sie ist 15 Jahre alt und immer schon gern im wilden Pazifik geschwommen. Als sie in Malibu die ersten jungen Surfer sieht, ist sie fasziniert und wünscht sich, auch surfen zu lernen. Ihr Vater ist dagegen, er ist der Meinung, dass Surfen viel zu gefährlich und nichts für Mädchen sei. Heimlich sucht Franzie Kontakt zu der Surferclique und schafft es, von der Gruppe aufgenommen zu werden. Da das hübsche Mädchen nur 1,50 m groß ist, wird es bald nur noch "Gidget" genannt, was so viel bedeutet wie "Mädchen - Zwerg". Gidget verlebt einen aufregenden Sommer, in dem sie sich nicht nur in die faszinierende Sportart verliebt ...

Frederick Kohner hat in seinem Roman die Geschichte seiner Tochter Kathy, die zu einer Ikone der weltweiten Surfkultur wurde, geschrieben. Der Roman entstand innerhalb eines Zeitraums von nur 6 Wochen und basiert auf Gesprächen zwischen Vater und Tochter. Er trug dazu bei, dass der bis dahin nur von jungen Männern ausgeübte Sport zur Massenbewegung wurde.

Das Buch liest sich flüssig, ist allerdings in einer recht flapsigen und gewöhnungsbedürftigen Jugendsprache, die mich zunehmend genervt hat, geschrieben. Der Jugendroman hätte mir besser gefallen, wenn er ohne diese flapsige Sprache ausgekommen und in der dritten Person geschrieben worden wäre. Leider hat mir der Autor die Gefühls- und Gedankenwelt seiner Tochter nicht überzeugend nahebringen können.

Sehr interessant fand ich das Vorwort von Kathy Kohner-Zuckerman, der realen Gidget, sowie das Nachwort von Volker Weidermann, in dem er auf 10 lesenswerten Seiten über sein Telefonat mit der inzwischen 81-jährigen Kathy sowie das Schicksal der Familie Kohner berichtet.

Bewertung vom 07.05.2023
Die Klinik / Erdmann und Eloglu Bd.2
Borck, Hubertus

Die Klinik / Erdmann und Eloglu Bd.2


gut

Leider nur mäßig spannend
Der Rowohlt Verlag hat "Die Klinik" veröffentlicht, den neuen Thriller von Hubertus Borck. Es handelt sich um den zweiten Teil der Reihe um Hauptkommissarin Franka Erdmann und ihren jungen Kollegen Alpay Eloğlu, der seit Beendigung seines Studiums beim Landeskriminalamt Hamburg arbeitet. Vielleicht ist es hilfreich, den ersten Band zu kennen. Mir fehlte das Basiswissen, da "Die Klinik" mein erster Roman der Serie ist. Trotzdem habe ich mich sofort zurechtgefunden, zumal die Fälle in sich abgeschlossen sind.
 
Der 39-jährige Malte Ostersetzer erleidet durch einen schweren Fahrradunfall schwerste Kopfverletzungen und wird ins Koma versetzt. Als der junge Familienvater auf der Intensivstation endlich aus der Bewusstlosigkeit erwacht ist, stirbt er vollkommen unerwartet. Seine Witwe Anna ist davon überzeugt, dass er eines gewaltsamen Todes gestorben ist. Durch die Unterstützung eines befreundeten Rechtsanwalts erreicht sie, dass ihrem Verdacht nachgegangen wird. Die Rechtsmedizin findet heraus, dass Malte Ostersetzer durch Verabreichung eines starken Herzmedikaments getötet wurde. Handelt es sich hier um ein Versehen seitens des Personals oder um Mord?
Franka Erdmanns und Alpay Eloğlus Suche nach dem Mörder gestaltet sich schwierig, da sie klinikintern auf eine Mauer des Schweigens stoßen. Bei Befragungen des Personals finden sie heraus, dass es in der Vergangenheit auffallend viele mysteriöse Todesfälle in der Klinik gegeben hat. 
 
Parallel zu den Ermittlungen durch Franka Erdmann und Alpay Eloğlu begleiten wir von der ersten Seite an den Mörder und blicken in seine Gefühls- und Gedankenwelt sowie seine Beweggründe für die Morde.
Die beiden Ermittler sind sympathisch und authentisch dargestellt, mehr und mehr raufen sich die Hauptkommissarin und ihr junger Assistent, der von ihr noch viel lernen kann, zusammen. Wir erleben das ungleiche Ermittler-Duo auch in privaten Situationen, z.B. wenn die kettenrauchende Franka gegen ihre Energydrink-Sucht ankämpft und Alpay sich um seinen kranken Vater sorgt.
 
Die Geschichte, die für mich mehr ein Krimi als ein Thriller ist, ist in einfacher Sprache sehr flüssig erzählt. Durch die frühe Enttarnung des Mörders fehlte es mir an Spannung, und nach der unerwarteten Wendung hatte ich sofort die richtige Vermutung. Ich mag Thriller, bei denen ich bis zur Auflösung im Dunkeln tappe - bei "Die Klinik" war das leider nicht der Fall. Wenig glaubwürdig fand ich den Vorfall mit dem Blumenkohl. Eine solche Treffsicherheit mit derart dramatischen Folgen halte ich für unmöglich.
Sehr interessant fand ich die Ausführungen zu den Themen Pflegenotstand in Deutschland und Pflegealltag, den das Klinikpersonal zu bewältigen hat.

Bewertung vom 06.05.2023
Adas Fest
Burseg, Katrin

Adas Fest


sehr gut

Bewegende Familiengeschichte
Der Diana Verlag hat "Adas Fest", den neuen Roman der Autorin Katrin Burseg, veröffentlicht.
 
Im Mittelpunkt der warmherzigen Geschichte steht die 74-jährige Ada, die in ihrem Strandhaus "Les Vagues" in Laplage-sur-mer ankommt. Sie liebt das Haus, in dem sie mit ihrem Ehemann Leo Kwant glücklich war. Leo, der vor 2 1/2 Jahren gestorben ist. war einst ein berühmter Maler, dessen Werke noch heute gefragt sind. Es wird Adas letzter Aufenthalt im Strandhaus sein, und sie plant ein großes Fest. Nach diesem Fest wird sie ihren drei Töchtern sagen, dass sie das Haus nach 50 Jahren aufgeben wird. Durch den steigenden Meeresspiegel und Stürme ist der Abstand zum Meer immer kleiner geworden, so dass die Gefahr besteht, dass das Haus in absehbarer Zeit überspült wird. Nach und nach treffen Adas Töchter Esther, Imme und Kiki ein, sie sind belastet durch eigene Probleme und Sorgen.
 
In zahlreichen Rückblicken erfahren wir vieles über Adas Vergangenheit, über ihre schwierige Ehe mit Leo, ihre Töchter, ihren langjährigen Freund Vincent und dessen Frau Mathilde. Nach und nach werden Adas Geheimnisse und Lebenslügen aufgedeckt, und wir erleben neben ihren Höhen und Tiefen auch ihre Tragödien und ihr Leid. Auch die Lebenswege der Töchter und das Verhältnis der Schwestern untereinander werden sehr anschaulich geschildert.
Die in schönem und ruhigem Sprachstil erzählte Geschichte hat mich von Beginn an gefesselt. Katrin Burseg hat die sehr unterschiedlichen Charaktere der Haupt- und Nebenfiguren authentisch und bildhaft gezeichnet. Ihre Beschreibung der lukullischen Köstlichkeiten ließ mir mehr als einmal das Wasser im Mund zusammenlaufen. Sehr gut gefallen haben mir auch die Ausführungen zum wichtigen Thema Klimawandel.

Die Lektüre von "Adas Fest"  hat mir sehr viel Lesefreude bereitet - Leseempfehlung für diesen berührenden Familienroman!

Bewertung vom 03.05.2023
30 Tage Dunkelheit
Madsen, Jenny Lund

30 Tage Dunkelheit


sehr gut

Spannender und humorvoller Krimi
Der Tropen Verlag hat den Kriminalroman "30 Tage Dunkelheit" veröffentlicht. Für ihren Debütroman, der bereits 2020 in der dänischen Originalfassung erschienen ist, wurde Jenny Lund Madsen mit dem Harald Mogensen Prize für den besten dänischen Kriminalroman ausgezeichnet.
 
Hannah Krause-Bendix lebt in Kopenhagen und ist eine anerkannte Schriftstellerin. Sie hat bereits vier Romane geschrieben und eine treue Fangemeinde, allerdings ist der kommerzielle Erfolg bisher ausgeblieben. Mit einem neuen Roman will es nicht so recht klappen, sie leidet unter einer Schreibblockade und trinkt zu viel Alkohol.
Bastian, seit 14 Jahren ihr treuer Lektor, überredet sie zur Teilnahme an einer Buchmesse. Dort kommt es vor Publikum zu einer Auseinandersetzung mit ihrem äußerst erfolgreichen Schriftstellerkollegen und Erzfeind Jørn Jensen. Hannah schleudert ihm entgegen, dass "jeder Idiot in einem Monat einen Krimi schreiben kann". Wenige Stunden nach dieser Kampfansage sitzt sie im Flugzeug nach Reykjavik. Hannah wird in den nächsten 30 Tagen bei einer Bekannten Bastians, der Seniorin Ella, in der abgelegenen Kleinstadt Húsafjördur wohnen, um dort in Ruhe einen Krimi zu schreiben.
 
Wenige Tage nach Hannahs Ankunft wird Ellas Neffe Thor ertrunken aufgefunden. Der 17-Jährige ist der Sohn eines Fischers, konnte nicht schwimmen und näherte sich nie dem Wasser. Hannah, die mit dem Schreiben ihres Krimis nicht so recht weiterkommt, ist davon überzeugt, dass es sich bei dem Tod des Jungen um einen Mord handelt, und beginnt zu ermitteln .....
 
Der Roman ist in ruhigem und humorvollem Stil geschrieben und liest sich sehr flüssig. Die Spannung steigert sich langsam, aber stetig. Die Geschichte ist gut durchdacht und hat mich gefesselt. Neben Hannahs Charakter sind auch die Nebenfiguren sehr bildhaft beschrieben. Hannah ist arrogant, nicht gerade sympathisch, aber auch direkt und ehrlich, und sie schafft es immer wieder, in verschiedene Fettnäpfchen zu treten. Ihre Ermittlungen gestalten sich schwierig, da sie die isländische Sprache nicht beherrscht und bei ihrer Spurensuche immer wieder auf Ablehnung und Misstrauen stößt. Sie überschreitet Grenzen, legt sich mit dem örtlichen Polizisten Viktor an und bringt sich selbst in Gefahr. Es gab viele verdächtige Personen, gut gehütete Geheimnisse, und ich tappte bis zur Aufklärung vollkommen im Dunkeln. Allerdings fand ich das Ende dann doch etwas zu spektakulär und nicht glaubhaft.
 
Die Beschreibung der rauen und unberührten Natur Islands ist der Autorin sehr gut gelungen.

Bewertung vom 29.04.2023
Die unglaubliche Grace Adams
Littlewood, Fran

Die unglaubliche Grace Adams


ausgezeichnet

Großartiger Familienroman mit Tiefgang
Der Ullstein Verlag hat "Die unglaubliche Grace Adams", den Debütroman der englischen Autorin Fran Littlewood, veröffentlicht.
Wie die Autorin in ihrem Nachwort verrät, hat sie sich von "Falling Down", dem bekannten Film mit Michael Douglas in der Hauptrolle, inspirieren lassen. Douglas spielt darin einen Mann, der seinen Job und seine Familie verliert und unterwegs ist zu seiner Tochter, um ihr ein Geburtstagsgeschenk zu überreichen. Mitten im Stau verlässt er sein Auto und geht in die Stadt, wo er immer zorniger wird und schließlich randaliert.

Genau wie im Film spielt "Die unglaubliche Grace Adams" an einem einzigen Tag in London. Grace ist 45 Jahre alt, Übersetzerin und unterrichtet Französisch an einer Grundschule. Ben, ihr Ehemann, hat sie vor einigen Monaten verlassen, die gemeinsame Tochter Lotte lebt nach einem heftigen Streit mit Grace seit kurzem bei ihrem Vater. Sie feiert ihren 16. Geburtstag, und Grace möchte sie besuchen, obwohl sie hierzu ausdrücklich nicht eingeladen ist. Es ist der heißeste Tag des Jahres, und die Wechseljahre machen Grace zu schaffen. Sie steht mit ihrem Auto im Stau, lässt kurzentschlossen das überhitzte Fahrzeug stehen und begibt sich zu Fuß in die Stadt. Ihr Plan ist es, in der Bäckerei am anderen Ende der Stadt eine Geburtstagstorte für Lotte abzuholen, um sie ihr dann in der Hoffnung auf Versöhnung zu überreichen. 

Während die Hauptgeschichte an einem einzigen Tag spielt, bilden zwei weitere Zeitebenen den Hintergrund für die aktuellen Ereignisse. Wir begleiten Grace sowohl am Geburtstag ihrer Tochter als auch über einen Zeitraum von vor einigen Monaten.
Die dritte Zeitebene beginnt mit dem Jahr 2002. Grace ist 28 Jahre alt und gewinnt dank ihrer hervorragenden Sprachkenntnisse den Wettbewerb "Polyglott des Jahres". Sie lernt hierbei Ben kennen, der Zweiter wird und mit dem sie sich den Hauptgewinn teilt.  Nach und nach werden neben der großen Tragödie ihres Lebens die Höhen und Tiefen der vergangenen 20 Jahre enthüllt. 

Das Buch hat mir sehr gut gefallen und mich von der ersten Seite an gefesselt. Es ist in beeindruckendem Sprachstil geschrieben und liest sich flüssig. Die Autorin beschreibt die schwierige Mutter-Tochter-Beziehung und Grace' Kampf um die Liebe ihrer Tochter sehr sensibel. Die Charaktere skizziert sie dabei äußerst authentisch. Ich mochte die chaotische und unberechenbare Grace, der es so oft an Diplomatie fehlt und die hilflos dabei zusehen muss, wie sich ihre Tochter immer mehr von ihr abwendet.

Leseempfehlung von mir für diesen großartigen Familienroman mit Tiefgang! 

Bewertung vom 25.04.2023
Das Café ohne Namen
Seethaler, Robert

Das Café ohne Namen


ausgezeichnet

Großartige Erzählkunst
Der Claassen Verlag hat "Das Café ohne Namen", den neuen Roman von Robert Seethaler, veröffentlicht. Ich habe bereits mehrere Bücher des Autors gelesen und mich sehr auf sein neues Buch gefreut - und ich wurde nicht enttäuscht!

Wien 1966: Der Krieg ist seit 21 Jahren vorbei, die Stadt ist erwacht, überall herrscht Aufbruchstimmung.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht der 31-jährige Robert Simon. Er hat kein leichtes Leben, sehr früh hat er seine Eltern verloren und seine Jugend in einem Heim für Kriegswaisen verbracht. Seit Jahren lebt er als Untermieter in einem Zimmer bei einer Kriegerwitwe. Acht Jahre harter Arbeit auf dem Markt liegen hinter ihm, als er beschließt, sich seinen Lebenstraum zu erfüllen. Robert pachtet ein heruntergekommenes Café am Karmelitermarkt, renoviert es und eröffnet es neu als "Café ohne Namen". Sein Café ist kein klassisches Café, sondern eher eine Gaststätte, in der er seinen Gästen Schmalzbrote, frische Gurken sowie Bier und Wein serviert. Er hat auf Anhieb Erfolg und stellt nach kurzer Zeit eine Hilfskraft ein. Die Hilfsnäherin Mila hat gerade ihre Stelle verloren und unterstützt ihn nun tatkräftig.

Robert Seethaler ist ein begnadeter Geschichtenerzähler. In seinem gewohnt ruhigen und kraftvollen Sprachstil schildert er in 39 Kapiteln die Schicksale und Tragödien der einfachen Leute, die sich regelmäßig in Roberts Café begegnen. Sie kommen, um sich zu unterhalten, Karten zu spielen und um ihre Probleme zu vergessen. Manche halten Ausschau nach der Liebe. Wir erfahren von ihren Sorgen, Nöten und Sehnsüchten, lernen den Ringer René kennen, den Fleischermeister Johannes Berg von gegenüber, die Witwe Martha Pohl, den Vermieter Kostja Vavrovsky, den Hilfsarbeiter Arnie Stjanko und begegnen Jascha mit der Taube. 

Liebevoll und mit viel Empathie beschreibt der Autor Roberts Lebensweg und die Wege seiner Gäste. Es geht um ihre Höhen und Tiefen, um Liebe und Schuld, Leid und Tod. Die Charaktere sind ganz wunderbar und authentisch skizziert. Ich habe das großartige Buch mit sehr viel Freude gelesen, es hat mich fasziniert und zutiefst berührt.

Leseempfehlung für diesen ruhigen und melancholischen Roman!

Bewertung vom 19.04.2023
Wenn Worte töten / Hawthorne ermittelt Bd.3
Horowitz, Anthony

Wenn Worte töten / Hawthorne ermittelt Bd.3


ausgezeichnet

Unterhaltsamer ruhiger Krimi in britischer Tradition
Der Insel Verlag hat "Wenn Worte töten" von Anthony Horowitz veröffentlicht. Bei dem klassischen Kriminalroman handelt es sich um den dritten Band einer Reihe um den ehemaligen Polizisten Daniel Hawthorne, der jetzt bei komplizierteren Ermittlungen für die Polizei arbeitet, und seinen "Assistenten", den Schriftsteller Anthony Horowitz.
Für mich war es der erste Krimi dieser Reihe. Vielleicht ist es hilfreich, die ersten beiden Bände zu kennen. Mir fehlte das Basiswissen, dennoch habe ich mich sehr schnell zurechtgefunden.
 
Der Ich-Erzähler Anthony Horowitz ist wenig begeistert, als sein Verlag ihn und Daniel Hawthorne zwecks Vorstellung ihres neuen Buches auf die kleine Kanalinsel Alderney zu einem Literaturfestival schickt. Der normalerweise eher zurückhaltende Daniel tritt die Reise bereitwillig an, während der eifersüchtige Anthony befürchtet, dass Daniel sich als Held seiner Romane zu sehr in den Vordergrund spielen könnte.
Auf der Insel lernen die beiden die fünf anderen Teilnehmer des Festivals kennen: den Fernsehkoch Marc Bellamy, der mit seiner Assistentin Kathryn angereist ist, die durch Diabetes erblindete Hellseherin Elizabeth Lovell und ihren Ehemann Sid, den Historiker George Elkin, die Kinderbuchautorin Anne Cleary sowie die französische Lyrikerin Maissa Lamar.
 
Am Morgen nach einer Party, zu der der wohlhabende Charles le Mesurier, der Sponsor des Festivals, eingeladen hatte, wird dieser tot aufgefunden. Daniel und Anthony werden gebeten, sich an den Ermittlungen zu beteiligen. Sehr schnell finden sie heraus, dass mehrere Bewohner wegen einer geplanten Stromleitung zwischen Frankreich und Großbritannien, die durch Alderney geführt werden soll, hoffnungslos zerstritten sind. Schon bald geschieht ein weiterer Mord ...
 
Mit großer Begeisterung habe ich bereits zwei Bücher des Autors aus der Susan Ryeland-Reihe gelesen. Ich schätze seinen intelligenten und humorvollen Stil und habe "Wenn Worte töten" mit sehr viel Freude gelesen. Die Geschichte ist ruhig erzählt, die Spannung baut sich langsam, aber stetig auf. Daniel und Anthony erinnern mich an den Krimihelden Sherlock Holmes und dessen Gehilfen Watson. Auch hier tappt der Gehilfe noch im Dunkeln, während sein Partner ihm bei der Aufklärung immer mindestens einen Schritt voraus ist. Ich fand den gut durchdachten Krimi bis zur für mich überraschenden Auflösung sehr spannend. Es gab viele Verdächtige und Wendungen, es wurden Geheimnisse und Verbindungen aufgedeckt, und mehr als einmal wurde ich in die Irre geführt.

Der Autor skizziert die Hauptcharaktere sehr bildhaft: hier den wortkargen und sehr speziellen Daniel und dort den sympathischen, zeitweise etwas unbeholfenen Anthony. Auch die Charakterisierung der Nebenfiguren ist äußerst gelungen. Ich mochte das ungleiche Ermittlergespann, dessen Verhältnis zueinander nicht ohne Konflikte ist, und habe aufgrund einer Andeutung am Ende des Buches die Hoffnung, dass die Serie fortgesetzt wird.
 
Leseempfehlung für alle, die ruhige und intelligent geschriebene Krimis ohne blutiges Gemetzel lieben.