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Havers
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Vaihingen an der Enz
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Top100-Rezensent und Buchflüsterer

Bewertungen

Insgesamt 153 Bewertungen
Bewertung vom 22.10.2023
Hope's End
Sager, Riley

Hope's End


gut

Ein dem Verfall preisgegebenes Herrenhaus mit einer dunklen Vergangenheit. Lenora, die einzige Überlebende einer Familientragödie, die sich 1929 zugetragen hat. Die bis zum heutigen Tag ungeklärte Frage nach Täter oder Täterin. Kit, eine ungelernte Altenpflegerin ohne sichere Zukunft, die in ihrem neuen Job bei Lenora nicht versagen darf, auch wenn sie dafür mit dem Teufel tanzen muss. Das sind die Zutaten, aus denen Riley Sager seinen Gothic-Thriller „Hope’s End“ gestrickt hat, dessen Ähnlichkeiten mit Daphne du Mauriers „Rebecca“ vielleicht nicht beabsichtigt, aber dennoch offensichtlich sind.

Durch entsprechend intensive Beschreibungen des Settings erschafft Sager eine latent gruselige Atmosphäre, und die im ersten Drittel kaum greifbaren Personen tragen zu den zwiespältigen Gefühlen bei, die im Hinterkopf mehrmals die Frage nach deren Zuverlässigkeit aufploppen lassen.

Über allem steht natürlich die Frage nach Täter und Motiv. Läuft die Antwort tatsächlich auf Lenora hinaus, die nach diversen Schlaganfällen nur noch schriftlich mit ihrer Umwelt kommunizieren kann, aber nun an dem Punkt ist, an dem sie sich das Geschehene von der Seele schreiben will? Aber auch Kit, über deren Vergangenheit man anfangs kaum etwas weiß, ist ein interessanter Charakter. Und was ist mit ihrer Vorgängerin geschehen, die, warum auch immer, Hals über Kopf das Anwesen verlassen hat?

Lenoras Blick in die Vergangenheit und die Ereignisse in der Gegenwart wechseln sich ab, sind im Text durch unterschiedliche Schriftarten kenntlich gemacht. Aber immer wieder stellt man sich die Frage, ob sie die Wahrheit sagt und man ihren Aussagen trauen kann oder ob sie eine begnadete Lügnerin ist. Wer weiß?

Und dennoch, hier wird viel Lärm um nichts gemacht. Klischee reiht sich an Klischee, die immer unglaubwürdigere Handlung wird unnötig in die Länge gezogen, so dass man über kurz oder lang das Interesse verliert, zumal wohl auch der Autor sich in seinem Konstrukt verheddert hat. Und zu allem Überfluss werden dann auch noch übersinnliche Elemente eingearbeitet, oft ein Zeichen für den Mangel an logischen Erklärungen.

Gute Ansätze, die allerdings in der Ausarbeitung bis zum Gehtnichtmehr überstrapaziert werden und die Handlung dermaßen überfrachten, dass man aus dem Kopfschütteln gar nicht mehr herauskommt.

Bewertung vom 20.10.2023
Florence Butterfield und die Nachtschwalbe
Fletcher, Susan

Florence Butterfield und die Nachtschwalbe


gut

Eine Seniorenresidenz für Gutbetuchte in Oxfordshire, eine 87-jährige mit scharfem Verstand, ein Geheimnis aus der Vergangenheit, ein pensionierter Lateinlehrer als Sidekick, ein mysteriöser Todesfall, der vorschnell als Selbstmord abgetan wird. Gewollt oder ungewollt, allesamt Zutaten, die einen englischen Krimi im Stil der erfolgreichen Donnerstagsmordclub-Reihe suggerieren. Aber davon sollte man sich nicht in die Irre führen lassen, denn dies ist für die Autorin lediglich ein Hilfsmittel, um für ihre Protagonistin eine Ausgangssituation zu schaffen, in der diese am Ende des Wegs auf ein gelebtes Leben voller Liebe und Abenteuer zurückblicken kann.

Die Handlung plätschert über weite Strecken vor sich hin, zieht sich in die Länge und wird unterbrochen von den Erinnerungsfetzen der Hauptfigur, die sich einen Platz an der Oberfläche suchen. Keine Frage, Susan Fletcher hat bereits in der Vergangenheit hinlänglich bewiesen, dass sie es versteht, mit Sprache umzugehen, dass sie schreiben kann, insbesondere dann, wenn es gilt, mit wenigen Pinselstrichen Atmosphäre zu kreieren oder uns Menschen in ihrer Individualität nahe zu bringen.

Leider hat sie in „Florence Butterfield und die Nachtschwalbe“ für meine Begriffe den Bogen überspannt, verliert sich in ausufernden Beschreibungen, die diesen Roman zu einer langatmigen Lektüre machen, bei der man nicht nur das Interesse an der Aufklärung des Todesfalls sondern auch an den Leichen im Keller der beteiligten Personen verliert.

Bewertung vom 18.10.2023
Der Botaniker
Craven, M. W.

Der Botaniker


ausgezeichnet

Einmal mehr muss man sich über die seltsame Veröffentlichungspraxis der deutschen Verlage wundern, denn M. W. Cravens „Der Botaniker“ ist bereits Band 5 der 2019 mit dem CWA Gold Dagger ausgezeichneten Reihe mit Detective Sergeant Washington Poe und seiner Partnerin Tilly Bradshaw. Und es wäre in der Tat schade, wenn man uns die anderen Bände vorenthielte.

Worum geht es? Die Frage lässt sich leicht beantworten. Das Team um DS Poe bekommt es mit einer Mordserie zu tun, in der der Täter den zukünftigen Opfern Gedichte und Trockenblumen zusendet, weshalb er in der Berichterstattung der Presse als Botaniker bezeichnet wird (Fall 1). Die Öffentlichkeit beklatscht seine Taten, hat mit den Opfern wenig Mitleid, waren es doch allesamt zwielichtige Unsympathen, die in der Vergangenheit vor allem durch ihr abstoßendes Verhalten auffielen.

Die Reihe lebt von dem Zusammenspiel des Teams um DS Poe, den knorrigen Zyniker, der für die Serious Crime Analysis Section arbeitet, einer Unterabteilung innerhalb der britischen National Crime Agency, die die schwierigen Fälle auf den Tisch bekommt. Unterstützt wird er von Tilly Bradshaw, einer hochbegabten externen Analystin, die aber außerhalb ihrer Arbeit kaum in der Lage ist, den Alltag zu meistern. Dann wäre da noch die in diesem Band unter Mordverdacht stehende, scharfzüngige Pathologin Estelle Doyle, deren Unschuld es zu beweisen gilt (Fall 2). Nicht zu vergessen DI Stephanie Flynn, die Chefin im Ring. Und keine/r dieser Vier schleppt ein unbewältigtes Trauma mit sich herum.

Sympathische Protagonisten, trockene, humorvolle Dialoge, zwei raffiniert konstruierte Locked-Room-Fällen mit überraschenden Wendungen, eine rasch voranschreitende Handlung, ein fesselnder, cleverer Kriminalroman, der ohne Einschränkung unterhält.

Bewertung vom 15.10.2023
Wie Sterben geht
Pflüger, Andreas

Wie Sterben geht


ausgezeichnet

Wie bereits in „Operation Rubikon“ und „Ritchie Girl“ legt Andreas Pflüger mit „Wie sterben geht“ einen spannenden Politthriller vor, dessen komplexe Handlung eng mit realen Vorkommnissen der internationalen Politik verwoben ist. Und einmal mehr steht mit Nina Winter nach Sophie Wolf, Jenny Aaron und Paula Bloom eine beeindruckende Frauenfigur im Mittelpunkt (übrigens werden sowohl Jenny als auch Sophie in einem Nebensatz kurz erwähnt).

Hier also Nina Winter, nach einem Zwischenstopp im Kulturreferat des Auswärtigen Amtes vom BND als Analystin angeworben. Eine Langstreckenläuferin, die gewohnt ist, über die Schmerzgrenze zu gehen und von Rem Kukura, dem russischen Top-Agenten des BND, Deckname Pilger, als Führungsoffizier angefordert wird. Nina, die in Moskau zwischen die Mühlsteine der Geheimdienste gerät und mehr als einmal dem Tod ins Auge blickt, in Augenblicken der Gefahr über sich hinauswächst, um diejenigen, die ihr am Herzen liegen zu beschützen.

Die Weltlage ist angespannt, hinter den Kulissen bringen sich die Kalten Krieger in Stellung. Nichts Neues im Osten und Westen. Schmutzigen Spielchen sind an der Tagesordnung. Opfer? Zählen nicht. CIA, KGB, HVA. Und mittendrin der BND.

Berlin, 1983. Der Anfang ist das Ende. Fast. Als die Glienicker Brücke in die Luft, scheint es, als wären alle ihre Anstrengungen vergebens gewesen. Bleibt die Frage, wer und warum ist dafür verantwortlich. Um diese Frage zu beantworten, ist eine Reise in die Vergangenheit unumgänglich. Und so begleiten wir Nina auf ihrem Weg zurück zu den Anfängen. Beobachten ihre Ausbildung durch Thräne (neben Nina meine Lieblingsfigur), folgen ihr nach Moskau, bewegen uns auf Schüttelstrecken und Reinigungsschleusen durch die dunklen Gassen der russischen Hauptstadt auf dem Weg zu Treffpunkten und toten Briefkästen. Immer auf der Hut und bereit, den Berserkergang zu gehen. Koste es, was es wolle. Und wenn es das eigene Leben ist.

„Wie Sterben geht“ ist ein actionreicher Spionagethriller der Superlative, in dem einfach alles stimmt: Sprachlich auf höchstem Niveau, wobei der trockene Humor des Autors immer wieder für leises Schmunzeln sorgt. Hervorragend geplottet, hier merkt man den langjährigen Drehbuchautor und Filmliebhaber. Sehr gut recherchiert und mit realistischem Zeitkolorit durch die Verbindung von Zeitgeschichte und Fiktion, aber auch der beiläufigen Erwähnung von Musik und Filmen. Bitte mehr davon!

Bewertung vom 12.10.2023
Alles schweigt
Harper, Jordan

Alles schweigt


ausgezeichnet

Mit „Alles schweigt“ hat der ehemalige Drehbuchautor und Lead Writer Jordan Harper ein düsteres Epos geschrieben, dessen spannender Handlung reale Ereignisse zugrunde liegen. In einander abwechselnden Kapiteln nehmen uns die beiden Protagonisten mit auf einen wilden Ritt ins Auge des Sturms. Wesentlich interessanter ist allerdings die persönliche Veränderung, die sie gemeinsam durchlaufen. Während sie anfangs eher mit zynischem Blick auf das schauen, was um sie herum passiert, sich nur ihrem Job und ihrer jeweiligen Aufgabe verpflichtet fühlen, leisten sie Abbitte, finden zu ihrer Menschlichkeit zurück. Übernehmen, je tiefer der Morast wird, in dem sie waten, Verantwortung. Lassen zu, dass ihre persönliche Moral, ihre Ethik die Oberhand gewinnt und ihr Handeln bestimmt. Auch wenn sie dafür einen hohen Preis zahlen müssen.

Wenn bei den Reichen, Schönen und Einflussreichen in Los Angeles ein Skandal darauf lauert, es in die Schlagzeilen zu schaffen, ist Mae Pruett zur Stelle. Angestellt bei einer Agentur für Krisenmanagement ist sie damit beauftragt, deren Dreck wegzuschaufeln.

Chris Tamburro, Ex-Bulle und ihr ehemaliger Lover, arbeitet für eine Sicherheitsfirma, „das Ungeheuer“, ein Konglomerat aus PR-Agenturen, Anwälten und Investoren. Er ist kein Feingeist, setzt lieber die Fäuste ein, wenn es gilt, der gleichen Klientel persönlichen Schutz zu bieten.

Maes Loyalität gegenüber ihrem Arbeitgeber kommt an ihre Grenzen, als ihr Kollege ermordet wird, und sie setzt alles daran, den oder die Täter dingfest zu machen. Dafür benötigt sie Unterstützung, denn diejenigen, die dafür verantwortlich sind, setzen alles daran, dass ihre schmutzigen Geheimnisse nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Der einzige Mensch in ihrem Umfeld ist Chris. Ihm vertraut sie, kann sich hundertprozentig auf ihn verlassen. Und so kommt er wieder zurück in dieses Spiel, in dem alle schweigen, doch alle flüstern.

Auch wenn dieser Roman in Los Angeles verortet ist und wir spätestens seit dem Harry-Weinstein-Skandal wissen, was in Hollywood im Hinblick auf die Vergabe von Filmrollen gang und gäbe ist, spielt dies in Jordan Harpers Roman „Alles schweigt“ nur eine Nebenrolle. Wesentlich interessanter sind hier die Bezüge, die zu den skandalösen Vorfällen rund um Jeffrey Epstein und dessen elitärer Freundesclique hergestellt werden. Dabei ist es aber kein #metoo Roman, sondern eine Verbeugung vor James Ellroy, dem großen Sohn der Metropole, der in seinen Werken immer wieder, aber insbesondere in seinem L.A.-Quartett, nicht nur die hässlichen Auswüchse der Metropole sondern auch die hässlichen Seiten des „Land of the Free and Home of the Brave“ thematisiert hat.

Lesen. Unbedingt!

Bewertung vom 11.10.2023
Blinde Tunnel
Alsterdal, Tove

Blinde Tunnel


ausgezeichnet

Historische Romane, so sie sich auf konkrete Ereignisse beziehen, sollten gut recherchiert sein. Das gilt insbesondere dann, wenn sie in Unterhaltungsliteratur verpackt sind. Tove Alsterdals „Blinde Tunnel“ erfüllt diese Vorgabe und noch viel mehr, rückt sie doch in diesem als Krimi vermarkteten Roman Geschehnisse in den Vordergrund , die wahrscheinlich zumindest im Bewusstsein der jüngeren Generation wohl nicht mehr bekannt sind.

Noch ahnen Sonja und Daniel nicht, was sie erwartet, als sie beschließen, einen Neuanfang zu wagen und ein stark renovierungsbedürftiges Weingut in Tschechien kaufen. Bei der Renovierung zeigt sich, dass das Anwesen Geheimnisse birgt, die niemals ans Tageslicht kommen sollten.

„Blinde Tunnel“ beeindruckt durch seine Themenvielfalt. Natürlich kann man dieses Buch als Krimi lesen, denn das ist ja bereits durch den Fund in den Gewölben vorgegeben. Aber schon allein durch die Verankerung im historischen Kontext hat es weit mehr zu bieten.

Ein kurzer Blick zurück: Nach dem Münchner Abkommen 1938 annektiert Hitler das Sudetenland, ein Gebiet im heutigen Tschechien, in dem viele Deutsche leben. Es gibt Spannungen unter der Bevölkerung, denn die einen sympathisieren mit den Nationalsozialisten, die anderen nicht. Nach Kriegsende gibt kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Tschechen und Deutschen, schließlich werden letztere, legitimiert durch die Dekrete der Siegermächte vertrieben und ihre Besitztümer den tschechischen Nachbarn übereignet. Ein historisches Ereignis der Zeitgeschichte, dessen tiefe Wunden bis in die Gegenwart sichtbar sind und nachwirken.

Tove Alsterdal hat eine gut recherchierte Geschichte über Vertreibung und Flucht geschrieben, heute aktueller denn je. Über Heimat und deren Verlust, über Schuld, Schweigen und Verdrängung, über Traumata und deren Weitergabe an die nachfolgende Generation und nicht zuletzt über einer Region im Wandel, die sich ihrer Vergangenheit nicht stellen will. Ein sehr empfehlenswertes Buch, dem ich viele Leser wünsche!

Bewertung vom 08.10.2023
Holly
King, Stephen

Holly


gut

In seinem neuen Roman rückt Stephen King eine Figur in den Vordergrund, die wir zwar aus verschiedenen anderen Werken kennen, die aber bisher eher im Hintergrund agieren durfte. Zuletzt bewusst wahrgenommen habe ich „Holly“ von der Detektei Finders Keepers in „Mr Mercedes“, wo sie allerdings hinter den Kulissen auf Mörderjagd ging. Und sie ist nicht die einzige Bekannte aus dem King‘schen Universum, mit der es ein Wiedersehen gibt

Wir sind mitten in der Pandemie. Pete, Hollys Partner ist an Covid erkrankt und in Quarantäne, was dafür sorgt, dass sie als Einzelkämpferin an dem neuen Fall arbeiten muss. Sie ermittelt im universitären Umfeld und sucht nach einer jungen Frau, die ohne Spuren zu hinterlassen von heute auf morgen verschwunden ist. Dabei gerät ein Professorenpaar in ihren Fokus, dessen Ernährungsgewohnheiten, bedingt durch die gesundheitlichen Einschränkungen des Alters, äußerst ungewöhnlich sind…

Es gab einiges, was mir an diesem Buch missfallen hat. Zum einen ist da die zeitliche Einordnung. Die Handlung ist während der Pandemie angesiedelt, und King macht keinen Hehl daraus, dass dieses Ereignis ihn bis in die Grundfesten erschüttert hat. Das kann ich ja noch nachvollziehen, auch wenn ich diese Thematik in einem Roman ziemlich über habe. Was mich allerdings immens gestört hat, ist das permanente Bashing der Menschen in Holly Umfeld, die sich gegen eine Impfung entschieden haben. Tut mir leid, aber dieses sich ständig wiederholende, fast schon wahnhafte Statement des Autors ist mir ziemlich auf den Keks gegangen. Und wenn wir schon von Wahn sprechen, dann kann natürlich besagtes Professorenpaar nicht unter den Tisch fallen. Die Ausführlichkeit, mit der King deren Besessenheit samt Auswirkungen beschreibt, hat einen dermaßen hohen Ekelfaktor, dass ich mehrmals kurz davor war, das Buch abzubrechen.

Glücklicherweise gibt es aber auch Positives zu berichten. Da gibt es immer wieder Passagen, in denen der Autor glänzt, nämlich dann, wenn er mit wenigen Pinselstrichen bedrohliche Situationen aus ganz banalen, alltäglichen Beobachtungen/Beschreibungen kreiert. Ich kenne keinen Autor, der das so meisterhaft beherrscht wie Stephen King. Atmosphäre schaffen, ja, das kann er definitiv.

Fazit: Diese Mischung aus Horror und Splatter ist ein eher durchwachsenes „Lesevergnügen“, für das eine hohe Ekeltoleranz von Vorteil ist.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.10.2023
Gefährlicher Freispruch / Strafverteidiger Pirlo Bd.3
Bott, Ingo

Gefährlicher Freispruch / Strafverteidiger Pirlo Bd.3


weniger gut

Brauchen wir Kriminalromane, die sich mit Corona und den damit einhergehenden kriminellen Aktivitäten beschäftigen? Aus meiner Sicht nicht, denn wer in den vergangenen Monaten die Berichterstattung in den Medien verfolgt hat, ist bereits damit bestens bedient. Ganz gleich, ob es um Überbrückungskredite, Soforthilfen, Maskendeals, dubiose Testzentren, und, nicht zu vergessen, den Auswirkungen der Impfung auf die Erbsubstanz geht. Es zeigt sich wieder einmal, dass dort, wo die Kontrolle fehlt, die Tür für Betrügereien sperrangelweit offen steht.

„Gefährlicher Freispruch“, der dritte Band mit den Rechtsanwälten Pirlo und Mahler, thematisiert genau diese Problematik und benötigt dafür 496 Seiten, die mit jeder Menge Füllstoff aufgeblasen sind. Endlose Dialoge mit sich wiederholenden Inhalten in bandwurmlangen und Tempo killenden Schachtelsätzen sind Spannungskiller und halten dem Vergleich mit den beiden Vorgängern leider nicht stand. Ich habe die knackigen, kurzen Sätze, die Ironie und den virtuosen Umgang mit Sprache vermisst, die diese auszeichneten und hier nur sehr selten aufblitzen (ich sage nur „herumzurelotiussen“), es fehlt den Dialogen an Lebendigkeit.

Ob ich die Reihe weiterverfolge? Stand jetzt eher nicht, aber das wird abhängig von der Thematik und natürlich der Leseprobe sein. Schau‘n mer mal.

Bewertung vom 05.10.2023
Joe Country / Jackson Lamb Bd.6
Herron, Mick

Joe Country / Jackson Lamb Bd.6


ausgezeichnet

Mick Herrons Slow-Horses-Reihe ist für mich das Unterhaltsamste, was momentan auf dem Buchmarkt zur Verfügung steht. Warum? Zum einen sind es die schwarz-humorigen Dialoge und die ihnen innewohnenden entlarvenden Kommentare zum politischen Tagesgeschehen in Großbritannien, zum anderen ist es aber auch das Personenensemble der in Ungnade gefallenen Spione des MI5, auf man auf das Abstellgleis im Slough House verbannt hat. Und dann ist da noch deren unausstehlicher Doyen Jackson Lamb, ein Unsympath erster Güte mit schlechten Manieren, dessen Fürsorge für seine „Joes“ erst auf den zweiten Blick zu erkennen ist.

Apropos Personen, in „Joe Country“, Band 6 der Reihe, wird bereits zu Beginn in einem Nebensatz erwähnt, dass drei der Beteiligten nicht überleben werden. Die Alarmglocken schrillen und man hofft, dass es keine/n der Stammbesetzung trifft. Aber bei Herron weiß man ja nie…

Okay, worum geht’s? Wie immer gibt sich Herron nicht mit einem Handlungsstrang zufrieden, sondern hält verschiedene Eisen ins Feuer. Wie immer beharken sich Peter Judd und Lady Di, letzere damit beschäftigt, nicht nur Emma Flyte sondern auch Lech Wicinski in Richtung Slough House zu entsorgen. Dann taucht bei der Beerdigung von David Cartwright Rivers verhasster Vater Frank Harkness auf, mit dem Lamb noch eine Rechnung offen hat. Und zu guter Letzt muss Louisa ihre Trauer um Min Harper zurückdrängen und sich auf eine lebensgefährliche Mission machen, um gemeinsam mit ihren Kollegen dessen verschwundenen Sohn in Wales ausfindig zu machen. Natürlich belässt es Herron nicht dabei, diese Fäden zu verknoten sondern wärmt damit in bewährter Art auch ein Thema auf, dass nicht nur in GB in jüngster Vergangenheit für Schlagzeilen gesorgt hat.

Kritisch, entlarvend und intelligent, eine spannende Reihe mit sympathischen und unsympathischen Protagonisten, die sich wohltuend von dem üblichen Krimi-Einerlei abhebt und die ich deshalb nachdrücklich empfehle.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.09.2023
Die tiefste Nacht / Vera Stanhope Bd.8
Cleeves, Ann

Die tiefste Nacht / Vera Stanhope Bd.8


sehr gut

Ein Schneesturm in dunkler Winternacht. Vera Stanhope ist auf dem Weg nach Hause, als sie ein verlassenes Auto mit offener Tür am Wegesrand entdeckt. Sie stoppt, schaut nach, findet ein verlassenes Baby auf dem Rücksitz. Im ländlichen Northumberland ist das mit dem Handyempfang so eine Sache, kein Netz eher die Regel als die Ausnahme, vor allem bei diesen Wetterbedingungen. Sie benötigt Hilfe, fährt los und macht sich auf die Suche nach jemandem, der ihr helfen könnte. Und so landet sie auf dem Anwesen ihrer Verwandten, die in der Vergangenheit jeglichen Kontakt mit Hector, ihrem Vater und schwarzes Schaf der Familie, vermieden haben. Als kurz nach ihrer Ankunft ein Nachbar die Leiche einer jungen Frau im Schnee findet, offenbar die Mutter des Säuglings, tut Vera das, was sie am besten kann. Sie informiert ihr Team und startet die Ermittlungen.

Aus dieser Ausgangssituation entwickelt sich ein Geflecht aus verborgenen Familiengeheimnissen und gestörten Beziehungen, die es aufzudröseln gilt. Sie fühlt sich zwischen den Fronten platziert, ist hin und her gerissen zwischen Loyalität und professioneller Pflicht. Gleichzeitig bewirkt diese Konfrontation mit ihren familiären Wurzeln bei Vera ein intensives Auseinandersetzen mit ihrer Vergangenheit, eine Rückschau auf ein Leben, das neben ihrer Karriere keinen Raum für persönliche Wünsche und Träume gelassen hat.

„Die tiefste Nacht“ (die Zeile stammt aus Robert Frosts Gedicht „Stopping by woods on a snowy evening“) ist ein stimmungsvoller Roman, der uns erstmals interessante Innenansichten auf die Protagonisten dieser mittlerweile neunbändigen Reihe bietet. Obwohl es gewaltsame Todesfälle gibt, taugt er als Kriminalroman eher weniger, denn dafür ist die Handlung zu konventionell geplottet, hält kaum Überraschungen bereit und bietet einen recht eingeschränkten Kreis von Verdächtigen. Aber dennoch empfehle ihn und erwarte die Fortsetzung der Reihe mit Ungeduld, erweitert er doch den Blick auf Vera und ihr Team, insbesondere, was ihre Beziehung zu DC Holly Jackman angeht.