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Benutzername: 
meldsebjon
Wohnort: 
Hattingen

Bewertungen

Insgesamt 138 Bewertungen
Bewertung vom 18.07.2010
Weiß der Himmel von dir
Bessette, Alicia

Weiß der Himmel von dir


sehr gut

Was man so an Klischees kennt aus amerikanischen Filmen, findet man auch in dem Buch "Weiß der Himmel von dir" von Alicia Bessette. Wer sich daran stört, der sollte dieses Buch nicht lesen. Wer so etwas aber mag, der wird das Buch genießen!

Zell ist die 34jährige Witwe des Fotographen Nick, die auch 14 Monate nach dessen plötzlichem Unfalltod noch nicht zurück ins Leben gefunden hat. Bisher hat sie einfach nur funktioniert, aber so allmählich ist sie bereit für eine Zukunft ohne Nick. Ausgelöst wird das durch die neunjährige Ingrid, die mit ihrem Vater ins Nachbarhaus einzieht und die sich bedenkenlos in Zells Leben drängt und ihr eine neue Sichtweise vermittelt. Gemeinsam nehmen sie an einem Kochwettbewerb teil

Parallel zu der sich entwickelnden Zukunft erfährt der Leser auch einiges aus Zells bisherigem Leben, von ihrer Arbeit, ihren Freunden, ihrer Familie und natürlich auch von Nick. Dies geschieht, indem Nicks Freunde und auch Zell selbst Erinnerungen haben, Zell an ihren toten Mann Emails schreibt und auch Nick selbst zu Wort kommt durch alte Emails.

All das findet zum größten Teil statt in Wippamunk, einer amerikanischen Kleinstadt. Und wie das eben so ist in amerikanischen Kleinstädten, hält man zusammen, unterstützt sich, begleitet einander das ganze Leben. Auch hier gibt es viele Schicksalsschläge, aber gemeinsam schafft man es, diese zu ertragen. Als Zells Hund verschwindet, sucht die ganze Stadt nach ihm, als Ingrid wegläuft, sind alle da und helfen, als Zells Küche beinah in Brand gerät ist auch sofort Hilfe da.

Auf unterschiedliche Weise gehen die Menschen mit der Trauer um. Zells Schwiegervater selbst ist früh verwitwet, eine alte, höchst unbeliebte Lehrerin hat ihren Mann verloren und sich ein neues Hobby gesucht, mit dem sie ihre Aggressionen abbauen kann und der neue Nachbar erzieht seine Tochter ohne Mutter und bildet sich gleichzeitig weiter.

Dieses Buch ist leichte Kost mit etwas Tiefgang, gerade richtig, wenn man sich mitreissen lassen möchte. Es ist einfühlsam, aber nicht kitschig, vermittelt ausgezeichnet die Gefühle, die bei einem solch plötzlichen Verlust entstehen und gibt Hoffnung, aus diesem tiefen Loch wieder herauszukommen. Ich bin gespannt auf die nächsten Bücher dieser Autorin!

Bewertung vom 03.06.2010
Die Gauklerin von Kaltenberg
Freidank, Julia

Die Gauklerin von Kaltenberg


gut

Das Leben im Mittelalter

So muss sich das Leben im Mittelalter angefühlt haben: wenn man der ständigen Hunger und die Kälte überstanden hatte, musste man aufpassen, dass man den Herrschern nicht bei ihren Machtkämpfen im Wege stand.

Die Haupfigur des Romans ist Anna, die Tochter eines Schmiedes, die aus wirtschaftlichen Gründen mit dem Gesellen ihres Vaters verkuppelt werden soll. Untypisch für eine Frau in dieser Zeit hat sie nicht nur rote Haare auf dem Kopf, sondern auch widerspenstige Gedanken darin. Sie hat sich in den Herrn der Burg Kaltenberg verliebt oder eigentlich in das Bild, dass sie von ihm hat. Nach Brandschatzungen durch die Österreicher wird sie als Hexe angeklagt und muss fliehen. In der Ferne liebt sie weiterhin ihren Ulrich, denn die Realität hat keine Gelegenheit, ihre Wunschvorstellung eines Helden zu korrgieren. Dabei ist die wahre Liebe ganz in der Nähe...

Soweit die Geschichte in groben Zügen, die ja so ungewöhnlich nicht ist. Während der verschiedenen Reisen, die Anna in unterschiedlicher Begleitung macht, erfährt der Leser so manches über das Leben im Mittelalter, was diesen Roman zu einem historischen macht. Innerhalb dieses Genres ist das alles aber nicht herausragend. Ungewöhnlich und interessant wird das Ganze, weil Anna auf der Suche nach einem Beweis ihrer Unschuld auch auf die Suche nach dem Ursprung der Carmina Burana geht. Gelegentlich werden auch Lieder zitiert und der Zusammenhang zum alltäglichen Leben wird hergestellt.

Leider hält das Buch nicht ganz, was Leseprobe und der wirklich gute Einband versprechen. Ärgerlich finde ich immer, wenn der Autor sich nicht konsequent an seine Vorgaben hält: Anfangs ist Anna als Tochter eines Schmiedes frei, dann auf einmal Leibeigene von Geburt. Die Werbung, die im Bucheinband für das Kaltenberger Ritterturnier gemacht wird, wird aber dennoch gut unterstützt! Besonders die Schilderung des Turniers mit dem gesamten Umfeld von Gauklern und Händlern ist sehr gelungen.

Fazit: Ein flüssig geschriebener und gut zu lesender Roman, der allerdings seine Schwächen hat. An manchen Stellen ist er meiner Meinung nach zu langatmig; wenn z.B. die Wanderungen von einem Ort zum anderen sehr häufig sehr ausführlich beschrieben werden. Auf der anderen Seite hätte ich mir für die interessanten Dinge, wie die historischen Hintergründe und die Carmina mehr Informationen gewünscht. Meiner Meinung nach sind auch nur die Hauptfiguren, Anna, Ulrich, Raoul, wirklich mit Leben gefüllt. Andere Randfiguren wie Maimun, die Gaukler, Ulrichs Frau, Raouls Vater und Annas Familie bleiben blass.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.05.2010
Tödlicher Mittsommer / Thomas Andreasson Bd.1
Sten, Viveca

Tödlicher Mittsommer / Thomas Andreasson Bd.1


ausgezeichnet

Auch im schwedischen Sommer ist nicht immer Sonnenschein

In dem Buch "Tödlicher Mittsommer" von Viveca Sten gibt es Tote. Zunächst glaubt man beim ersten Toten an einen Unfalltod durch Ertrinken. Bis auch seine Kusine stirbt. Da deren Tod eindeutig kein Unfall ist, wird auch der erste Todesfall untersucht. Danach sterben noch mehr Menschen. Zunächst tappt die Polizei im Dunkeln, sieht gar keine Zusammenhänge, verfolgt viele Spuren, die ins Leere gehen. Nach und nach wird ein Muster erkennbar und am Ende klärt sich alles auf.

Das hört sich eigentlich gar nicht so spannend an, ist es aber! Der Leser wird behutsam mit den handelnden Personen vertraut gemacht, kann all die Sackgassen nachvollziehen, in die die Ermittler erst einmal geraten und ahnt gegen Ende, wohin die Lösung führen kann. Neben der reinen Krimihandlung laufen aber noch einige andere Handlungsstränge ab, die auch alle eine Spannung in sich tragen. Da ist Thomas, der Ermttler, der erst seine Tochter verloren hat, woran auch seine Ehe gescheitert ist, und der ganz allmählich wieder aus seiner Deppression ins Leben zurückfindet. Da ist Nora, seine Jugendfreundin, die versucht, neben der Rolle als zweifache Mutter auch eine eigene Karriere aufzubauen. Da sind viele Kollegen, die in den Sommermonaten eigentlich auch ein Privatleben haben möchten. Sie kämpfen mit vielen Schwierigkeiten, mit der schlechten Besetzung wegen der Ferienzeit, gegen die Presse, die ihr Sommerloch stopfen möchte und gegen Wichtigtuer, die in die Polizeiarbeit 'reinreden wollen.

Alle handelnden Personen sind Menschen, die eigentlich die Sommermonate genießen möchten. Sie sind gut beschrieben, mit Leben gefüllt und deshalb fühlt und leidet der Leser mit ihnen. Man erfährt, dass auch in Schweden vieles so ist, wie vermutlich überall auf der Welt: Männer wollen immer noch Entscheidungen treffen, ohne Rücksicht auf andere zu nehmen und auch ohne sich an der familiären Belastung zu beteiligen. In abgelegenen Gegenden, in denen man von Tourismus lebt, ist eine schlechte Presse wegen einer langwierigen Morduntersuchung nicht gerade förderlich für den Lebensunterhalt. Auch in Schweden ist eine Ermittlung langweilige Kleinarbeit und manchmal braucht man sachkundige Unterstützung um auf eine wichtige Fährte zu kommen.

Das war wieder einmal eines der Bücher, die ich ganz langsam lesen musste, damit ich länger etwas davon hatte. Die Autorin hat in ihren Erstling eine Welt beschrieben, die ihr vertraut ist: Die Schäreninseln, die Menschen dort und ihre Sorgen, aber auch die Welt einer Mutter mit akademischer Ausbildung und juristische Gegebenheiten, die letztlich entscheidende Hinweise geben. Man merkt, dass die Autorin weiß, wovon sie schreibt und man kann den Krimi von der ersten bis zur letzten Seite genießen, weil er sich zwar nachvollziehbar, aber nicht vorhersehbar entwickelt.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.05.2010
Der Pathologe
Kellerman, Jonathan

Der Pathologe


gut

Mehrere Morde sind geschehen, ein Zusammenhang scheint zu bestehen. Genaueres ist aber nur der Polizei bekannt und auf deren Liste der Verdächtigen steht der Psychologe ganz oben, dessen Freundin auch zu den Opfern gehört.

Ein wenig aus Notwehr gegen diese Verdächtigungen, ein wenig aus eigener Motivation aber auch bestärkt durch kleine Hinweise, die er von einem geheimnisvollen Unbekannten erhält, macht dieser sich selbst auf die Suche nach dem Täter. Natürlich übt er auch weiterhin seinen Beruf aus und natürlich entwickelt sich auch sein Privatleben weiter, so dass der Leser einen Einblick in die Strukturen des Krankenhausalltages erhält. All dies ist miteinander verbunden. Der Psychologe recherchiert, basierend auf den geheimnisvollen Hinweisen in der Vergangenheit und weltweit und so erhält er weitere Spuren, die zu dem Mörder führen. Oder hat er bei seinen Schlussfolgerungen einen Fehler gemacht? Und bringt er möglicherweise sich selbst und andere in Gefahr?

Sehr spannend geschrieben, so wie das eben typisch für diesen Autoren ist, ist das ein Buch, das man nur ungern aus der Hand legt. Auch der Leser kann mit den Hinweisen seine eigenen Gedankengänge entwickeln und so mit der Hauptfigur fiebern. Allerdings finde ich persönlich die Lösung am Ende doch etwas sehr unwahrscheinlich, weshalb ich das Buch nicht ohne Einschränkungen weiterempfehlen kann.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.03.2010
Das Leben kleben
Lewycka, Marina

Das Leben kleben


ausgezeichnet

Auch der Leser bleibt kleben.

Georgie, eine ehemals erfolgreiche Journalistin, ist eine erfolglose Romanautorin und verdient ihren Lebensunterhalt mit der Arbeit an einem Klebstoffmagazin. Warum ausgerechnet Klebstoff? Weil er eine phantastische Metapher abgibt für die verschiedensten Strukturen in diesem Buch:

Schicksale der unterschiedlichsten Personen geraten aneinander und kleben fest, wie Georgie und ihre seltsame Nachbarin, Mrs. Shapiro, wie der Handwerker und eigentliche Ingenieur Mr. Ali, wie die Kollegen aus der Klebstoffbranche, betrügerische Sozialarbeiter und Makler, geizige Schnäppchenjäger und nicht zuletzt die Familie. Wie beim Klebstoff ist es schwierig, das, was einmal zusammengeklebt wurde, wieder ohne Verletzungen zu trennen.

Die Handlungsstränge sind sehr vielschichtig und komplex, so dass es schwer fällt, eine knappe Inhaltsangabe zu verfassen. Hier ein Versuch:

Georgie hat gerade ihren besserwisserischen Ehemann vor die Türe gesetzt und all seine Habe in einem Müllcontainer deponiert. Dort trifft sie Mrs. Shapiro, die gerade Schallplatten und Bücher einsammelt und die Leute, die so etwas abgeben als Barbaren beschimpft. Einige Zeit später kommt es zu einem weiteren Zusammentreffen mit der Nachbarin, als diese im Lebensmittelmarkt mit unsauberen Methoden um heruntergesetzte Waren kämpft. Diese Begegnungen reichen Mrs. Shapiro, um Georgie als nächste Angehörige anzugeben, als sie wegen eines Handbruches ins Krankenhaus kommt. Pflichtbewußt kümmert sie sich. Dann entdeckt sie, dass eine Sozialarbeiterin gemeinsame Sache mit einem Makler ztu machen scheint mit dem Ziel, ihre Nachbarin zu betrügen. Das lässt ihr Gerechtigkeitssinn nicht zu und sie wird immer weiter in die Angelegenheit verstrickt.

In der weiteren Handlung kommen weitere Personen hinzu, so der Handwerker Mr. Ali und seine Neffen. Er und auch Mrs. Shapiro haben eine Geschichte, die nach und nach zu Tage tritt. Dann gibt es noch Georgies pubertierenden Sohn Ben, der fest an den in der Bibel prophezeiten Weltuntergang glaubt.

Meine Meinung: Das ist eines der besten Bücher, die ich in der letzten Zeit gelesen habe!! Einmal, weil es so vielschichtig ist. Man kann es als eine Geschichte mehrerer skuriller Typen lesen, die per Zufall aufeinandertreffen. Wenn man tiefer geht, hat es eine politische Aussage, denn der Konflikt zwischen Juden und Palästinensern wird aus den verschiedenen Blickwinkeln dargestellt. Es ist auch ein humorvolles Buch. Eine Stelle hat mir besonders gut gefallen: Als Mr. Ali es nach vielen Mühen geschafft hat, ein Schloss auszutauschen ohne die Türe zu beschädigen und dann sagt: "Immer besser....zuerst gewaltfreie Lösung probieren". Es ist auch ein tolerantes Buch, denn der Leser versteht all die verschiedenen Menschen und ihre Positionen, weil die Beweggründe so gut dargestellt werden. Das sind nicht nur Juden und Palästinenser, das sind auch reiche Leute wie Georgies Schwiegereltern und Leute der Arbeiterklasse wie Georgies Eltern. Dann sind es alte Leute wie Mrs. Shapiro und junge Leute wie Ben. Es gibt auch gute Sozialarbeiter, die nie Zeit haben und andere, die versuchen aus der schlechten Arbeit einen Gewinn zu erzielen. Und all diese verschiedenen Menschen kleben irgendwie zusammen.

Nicht zuletzt zeigt diese Buch ein wirklich gutes Abbild der englischen Gesellschaft mit dem Sozialgefälle und den vielen Einwanderern. Bemerkenswert finde ich auch die geschliffene und vielfach doppeldeutige Sprache, die trotz der Übersetzung ins deutsche nichts verloren zu haben scheint. Hierfür hat sich die sehr sorgfältige Übersetzerin ein Lob verdient!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.03.2010
Entrissen / Marina Esposito Bd.1
Carver, Tania

Entrissen / Marina Esposito Bd.1


ausgezeichnet

Titel "Entrissen" - Eindruck: Hingerissen

Spannung von der ersten bis zur letzten Seite! Wenn ich das Buch (sehr ungern!) zur Seite legen musste, habe ich überlegt, wodurch diese ständige Spannung erzeugt wurde und hatte folgende Ideen:

Das Buch ist ausgesprochen gut geschrieben. Es sind zwar schon Morde geschehen, es ist aber zu erwarten, dass der Täter noch kein Ende gefunden hat, und Schlimmeres nur verhindert werden kann, wenn er rechtzeitig gefasst wird. Der Leser fiebert mit, weil eine schnelle Aufklärung Leben retten kann und er ahnt, welche Opfer als nächste auf der Liste stehen. Weil diese Opfer in ihrem Umfeld und ihren Gefühlen sehr gut dargestellt werden, werden sie zu realen Personen, die man gerne in Sicherheit wüsste. Nicht zuletzt sollen Babys immer gerettet werden!

Auch die ermittelnden Polizisten und die Profilerin in einer doppelten Funktion sind mit Leben gefüllte Personen, deren Leben auch im privaten Bereich spannend ist. Da der Leser als Betrachter mehr Informationen hat als die Ermittler, ahnt er, wenn die Ermittlungen in die falsche Richtung zielen und auch dadurch wird die Spannung erhöht.

Dieser Thriller erinnert mich an wirklich gute Autorinnen: Martha Grimes, Tess Gerritsen, Joy Fielding oder Patricia Cornwell. Er ist aber keine Kopie, sondern ein eigenständiges Werk. Tania Carver wird sich in die Reihe dieser Autorinnen einreihen können, wenn ihre nächsten Bücher die Erwartungen erfüllen, die man nach der Lektüre dieses Erstlings haben muss. Ich bin jedenfalls sehr gespannt und werde bestimmt zu dem nächsten Produkt aus dieser Feder greifen!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.02.2010
Finstere Orte
Flynn, Gillian

Finstere Orte


sehr gut

Eine brutale Gewalttat hat vor über 20 Jahren zerstört, was von einer Familie noch übrig war: Mutter und zwei Töchter tot, der Sohn im Gefängnis und die jüngste Tochter, Libby, damit beschäftigt, ihre Erinnerungen zu verdrängen und damit eigentlich lebensuntüchtig.

Bisher konnte sie ihr einsames Dasein führen, weil sie von einem Hilfefond lebte, der aus Spenden für sie als Überlebende dieser Gewalttat, finanziert wurde. Dass diese Mittel inzwischen fast aufgebraucht sind, führt dazu, dass Libby sich Gedanken über ihren Lebensunterhalt machen muss. Nicht wirklich lebenstüchtig, wie sie ist, kommt Arbeit für sie nicht in Frage. Also versucht sie weiterhin Kapital aus dem ihr widerfahrenen Unglück zu schlagen. Jetzt ist das aber nur noch möglich, wenn sie der Vergangenheit und der Rolle, die sie darin gespielt hat, wirklich ins Gesicht schaut. Bisher hat sie das vermieden, wollte sich nicht erinnern, wollte ihre Erinnerung nicht in Frage stellen.

Da sie dies nun gezwungenermaßen doch endlich tut, kommt sie zu überraschenden Erkenntnissen und Entwicklungen. Sooo eindeutig sind die Beweise für die Schuld ihres Bruders gar nicht. Im Gegenteil, da tauchen plötzlich noch viele mögliche Verdächtige auf. Da ist der lange abgelehnte Begegnung mit dem Bruder gar nicht so schrecklich, sondern eher heilsam. Aber wenn ihr Bruder nicht der Täter war, warum hat er dann nichts getan um seine Unschuld zu beweisen? Wie reagiert der wirkliche Täter, wenn alle Ereignisse wieder aufgewühlt werden? Begibt sich Libby in Gefahr?

Die Gestaltung des Covers steht in unmittelbarem Zusammenhang zu dem Inhalt: Verschlossene Türen werden geöffnet. Libby hat alles fest in ihrem Unterbewusstsein verschlossen, was jetzt langsam herauskommt. Dies führt dazu, dass auch andere Personen Türen öffnen müssen. Vielleicht auch die zu Bens Gefängniszelle?

Das Buch ist von der ersten bis zur letzten Seite gut und spannend geschrieben. Die ganze schwierige Situation der Familie Day damals und heute wird glaubwürdig und einfühlsam beschrieben. Obwohl der Leser manche Dinge schnell ahnen kann, wird er von neuen Entwicklungen immer wieder überrascht. Auch diese sind glaubwürdig dargestellt.

Besonders beeindruckt hat mich das Ende: Für Libby und den Leser ist zwar alles aufgeklärt, es sind Türen geöffnet worden, die Libby und anderen einen Weg in eine Zukunft eröffnen, aber ob alle diese neuen Chancen nutzen können, steht nicht fest. Es ist kein "Heile-Welt-Ende", sondern ein hoffnungsvoller Ausblick. Besonders Libby hat persönlich eine Entwicklung zum Positiven hin gemacht, sie kann sich eine Zukunft vorstellen. Und das ist mehr, als sie zum Beginn des Buches konnte.

Bewertung vom 29.01.2010
Stumm
Hayes, Sam

Stumm


sehr gut

Ein Psychothriller kann seine Spannung auch aus einem Geflecht von Beziehungen und Geheimnissen beziehen. Es muss nicht immer um blutige Details oder um rasante Verfolgungsjagden gehen. Hierfür ist "Stumm" von Sam Hayes ein gutes, wenn auch nicht überragendes Beispiel. Ein spannendes Buch, das den Leser aber nicht um seinen Nachtschlaf bringt.

Ein junges Mädchen, Opfer eines Überfalls, wird von seiner Lehrerin Julia gefunden, und diese wird immer weiter in diesen Fall verstrickt. Julia hat daneben aber auch noch an anderen Fronten zu kämpfen: Ihre eigentlich geistig und körperlich agile Mutter hat plötzlich das Sprechen eingestellt und ist kaum ansprechbar. Jemand muss sich um deren Pflegekinder kümmern, die eine schwere Vergangenheit haben. Außerdem hat sich Julia gerade von ihrem Mann getrennt, den sie zwar noch zu lieben scheint, dessen Alkoholismus sie aber nicht länger ertragen kann.

Die Geschichte wird von drei Ich-Erzählern im Wechsel erzählt: Julia, ihrem Mann Murray und ihrer Mutter Mary. Wechselnde Erzähler sind für den Leser immer interessant, weil die Dinge von verschiedenen Warten aus betrachtet werden. Hier ergibt sich aber eine besondere Spannung daraus, dass die für die übrigen Personen stumme Mutter sich dem Leser auch mitteilt. Deshalb ist der Leser immer einen kleinen Schritt vor den anderen Akteuren. Allerdings wird er so auch manchmal auf eine falsche Fährte gelockt.

Der Schlüssel für das aktuelle Geschehen liegt in der Vergangenheit. Und diese kommt Stückchen für Stückchen zum Vorschein. Am Ende des Buches ist nicht wieder die ganze Welt heil, aber die Vergangenheit ist abgeschlossen, der Leser kennt alle Geheimnisse, und die Hauptpersonen haben eine Zukunft vor sich.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.