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schreibtrieb

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Insgesamt 174 Bewertungen
Bewertung vom 12.09.2015
Familiensafari
Drust, Rike

Familiensafari


sehr gut

Nachdem Mutter Jutta einen kleinen Nervenzusammenbruch hat, beschließt sie kurzerhand, dass ihre Familie dringend einen gemeinsamen Urlaub braucht. Da gerade das Abitreffen ihres Mannes, ein Vorsprechen ihrer Tochter und ein Skateboard-Wettbewerb ihrer Tochter ansteht, will sie einfach alles verknüpfen und verpflichtet die Familie zum Mitmachen. Damit es nicht zu schnarchig wird, lädt Töchterlein Anna noch die Hippie-Oma Rose ein, dann kann die Familiensafari mit Selbstfindungscharakter starten.
Klingt etwas kitschig. Etwas kitschig ist es auch. Die Hippie-Oma war mir eins zu viel. Die anderen Figuren sind schon wieder so realistisch, dass sie sich super zusammenfügen. Da Oma Rose zeitweilig eher ein Steinchen im Getriebe ist, passt also auch ihr Dasein als übertriebenes Element. Aber noch ein paar Momente, in denen Rose wichtig ist, waren mir zu aufgesetzt und haben die sonst so lustige, leichte und auch fesselnde Geschichte etwas gestört.
Der Stil aber ist genial. Eine packende Mischung aus frech, lustig, ernst und klar, die mich sofort für sich gewonnen hat. Dass die Geschichte dann für jeden Topf sein Deckelchen hat und die verschiedenen Figuren in den unterschiedlichen Stationen jeweils ihre Wow-Momente haben, war klar strukturiert. Große Überraschungen blieben aber aus.
Das stört den fließenden Verlauf der Geschichte aber keineswegs. Denn zwar erwartete ich zumindest die jeweiligen Erfahrungsmomente der Figuren, aber auch nicht zwangsläufig so, wie sie dann kamen. Erwartungshaltung und tatsächliche Überraschung haben sich also nicht 1:1 überschnitten, sondern durchaus für Unterhaltung und Spannung gesorgt.
Toll fand ich auch, wie die Geschichte zwischen den Figuren hin und her gereicht wird. Jeder steht mal im Mittelpunkt. Der Erzähler gibt sich dabei immer wieder personell, wird aber immer wieder als auktorial enttarnt, etwa wenn er zwischen den Figuren springt oder eben auch deren Gedanken und Gefühle kennt. Mitunter eine seltene Wahl, die hier aber gut angewandt wird und der Fokus während der Geschichte von der Mutter Jutta schnell zur Tochter Anna wandert, die für den letzten großen Spannungsmoment sorgt.
Familiensafari erzählt dabei nicht nur die Geschichte einer Reise und den unterschiedlichen Wegen zu sich selbst und dem persönlichen Glück, sondern auch von Erwachsenwerden. Denn diesen Punkt haben alle Figuren überein: Sie sind auf die ein oder andere Art in ihrer Kindheit gefangen und schaffen es hier endlich dies zu überwinden. Dabei profitiert der Roman von den differenten Blickwinkeln, die manche Situationen auf die unterschiedlichsten Arten beleuchten.
Mir hat das Buch gut gefallen. Es war locker und leicht zu lesen, ließ mich schmunzeln und brachte etwas Entspannung. Eine gemütliche Lektüre für Zwischendurch.

Bewertung vom 09.09.2015
Nüchtern steh ich das nicht durch
Evans, Lyranda Martin; Stevenson, Fiona

Nüchtern steh ich das nicht durch


gut

In 101 Episoden berichten die Autorinnen vom Leben als frisch gebackene Mutter und führen daneben Cocktailrezepte auf, die mit eine Schnullerskala versehen anzeigen sollen, wie dringend die Mutter nun diesen Drink nötig hat. Von unangenehmen Überraschungen bei und nach der Geburt, nervigen Alltagssituationen mit Kind, Mann, Familie und Fremden und sketschartigen Szenen ist hier einiges dabei. Gemeinsam haben Texte wie Drinkempfehlungen dabei vor allem eins: Sie sind mit der nötigen Prise Ironie zu genießen.
Ich sehe schon die kopfschüttelnden Leser*innen und kann euch beruhigen: Diesen Buch ist kein Leitfaden zum schnellsten Weg Alkoholiker*in zu werden. Mal davon abgesehen, dass es auch alkoholfreie Getränke gibt, stellen die Autorinnen mehr als einmal klar: Die Masse macht’s. Sie verweisen auch klar auf die Notwendigkeit das Stillen auszusetzten, wenn Mama den Wein nicht lassen kann. Das große Provozieren an der Geschichte ist also vor allem der Titel.
Und der ist schon wieder so umgangssprachlich, dass er wenig genug provoziert, um keine Kinderschütze Drohbriefe schreiben zu lassen. Denn, zugegeben, die Situation, die die beiden Autorinnen da aus dem Hut zaubern sind gleichzeitig alltäglich wie nervenaufreibend und genau solche, in denen das Klischee des Getränks zum besseren Verkraften des Schocks auf den Plan gerufen werden kann. Ob die Odysee im Reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln, dem Flugzeug, die Vorstellung des Nachwuchses auf der Arbeit, die abgedroschenen Sprüche, die Mütter noch in ihre Albträume verfolgen, die Damen wissen, wovon sie schreiben.
Und, vielen Dank dafür, sie machen nicht etwa ihre Kinder verantwortlich. Hier ist endlich mal nicht das Kind der Böse, selbst nach durchgezechten Zahnungsnächten, fallen neben den Worten der Erschöpfung noch die des Verständnisses. Mehrere Seiten werden hier aufgezeigt, was ich durchaus nett fand.
Etwas irritiert hat mich, dass sich die Kapitel an das Kind richten, es mit „du“ ansprechen und dementsprechend von Mann und Frau nur in Bezug auf Papa und Mama sprechen. Die Cocktailrezepte und die Schnullerskala richtet sich dann aber wieder an die Eltern. Da hat sich im Übrigen auch die Ironie durchgesetzt. Das Erwachsenen-Fläschchen, das Krippen-Tonikum und der Baby-Belly-ni sind nur einige der abgewandelten oder neu erfundenen Rezeptnamen.
Als lustiges Geschenk an Schwagere und (Neu-)Eltern mit Humor durchaus zu empfehlen, bitte nicht zu ernst nehmen und im schlimmsten Fall den Ärger mit etwas Flüssigem runterspülen.

Bewertung vom 07.09.2015
Gehen, ging, gegangen
Erpenbeck, Jenny

Gehen, ging, gegangen


ausgezeichnet

Richard hat Zeit. Er ist emeritiert, Witwer, ohne Zeitplan oder Termine. Er weiß sie nicht zu füllen, diese Zeit. Zeit haben auch die Männer, die auf dem Berliner Oranienplatz kampieren. Flüchtlinge sind es. Asylbewerber aus unterschiedlichen Ländern. Sie suchen Arbeit, ein besseres Leben, Schutz vor dem Krieg in ihrem Land. Sie haben Menschen verloren, Freunde, Frauen, Eltern, Kinder. Sie wurden erschossen, sind ertrunken, einfach verschollen. Richard startet ein Projekt, von dem er nicht weiß, wohin es ihn führt. Er befragt die Männer, die in einem nahegelegenem Altenheim zwischenstationiert werden nach ihren Geschichten. Er besucht mit ihnen den Deutschunterricht. Er erfährt ihre Geschichten, die Behandlung, die sie erfahren, das Schicksal das sie teilen. Richard und diese Männer könnten unterschiedlicher nicht sein, kommen aus verschiedenen Welten und haben doch alle unfreiwillig Zeit.
Der Roman ist bewegend. Er fasst unglaublich präzise das Leben von in Deutschland gestrandeten Flüchtlingen auf. Unterschiedliche Wege haben sie nach Berlin geführt, wo sie alle eigentlich nicht bleiben dürfen, weil sie dort eben nicht zuerst angekommen sind. Herzergreifend sind manche Geschichten, erschreckend, aufrüttelnd.
Und dabei greift Erpenbeck nicht in die Kitsch-Schublade. Erstaunlich sachlich bleibt sie, bleibt der personale Erzähler bei Richard, der eben Professor war und alles etwas sachlicher sieht. Zwischen den Zeilen steckt die Emotion. Sie wird deutlich in Richards Schweigen, in seinem Handeln, in seiner Zeit und darin, wie er sie nutzt. Vielleicht sind es die kleinen Stellen, die diesen Roman so groß machen, die sich festsetzten und nicht mehr loslassen, auch noch Tage nach dem Lesen nicht.
Wie der Moment, an dem Richard zweifelt, an einem seiner Schützlinge, an sich selbst. Und keine Antwort findet. Der Zweifel steht im Raum des Romans. Er verletzt auf viele Arten. Dass es hier keine Antwort gibt, ist so ein großer Moment. Ein Moment, der auf alle „aber was ist wenn“ ein etwas stures aber klares „na und“ liefert.
Gehen, ging, gegangen ist dabei so sehr kein politisches Buch, wie es im Grunde eben doch eines ist. Richard zumindest ist nicht politisch. Er hat eine Meinung, er hat viel erlebt, diese Erlebnisse haben ihn geprägt und prägen den Leser im Lesen mit, prägen die Geschichte. Als ehemaliger Bewohner der DDR hat er den Mauerfall so emotionslos aufgenommen, wie er sich auch den Asylbewerbern auf dem Oranienplatz annähert. Der Leser ahnt mehr von dem Brodeln in Richards Innern, als dass er es offenbart.
Immer wieder geht es dabei nicht nur um Schicksale, sondern um Zeit. Zeit, die vergeht, Zeit, die aufgezwungen ist, festgelegt, Zeit, die vergangen ist und nicht mehr zurück geholt werden kann. Richard eignet sich diese unsichere Zeit der Asylbewerber an, indem er mit den Bestimmungen hadert, denen sie ausgesetzt sind – und denen er ebenso ausgesetzt ist. Er erfährt, wie unterschiedlich Zeit sein kann und wie ähnlich sie doch verläuft.
Erpenbecks Roman rüttelt auf, vielleicht nicht als gewaltiger Aufschrei, dafür aber als tief durchdachtes Fundament. Ungerechtigkeiten, Bürokratie und Einzelschicksale treffen aufeinander, vermischen sich um Richard, der in eine neue Welt eintaucht und einen neuen Rhythmus findet. Ein großartiges Buch, eine phänomenale Geschichte, die nicht nur im Sommer 2015 aktuell und lesenswert ist.

8 von 9 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 31.08.2015
Schattenherz / Mystery Diaries Bd.1 (eBook, ePUB)
Jungwirth, Xenia

Schattenherz / Mystery Diaries Bd.1 (eBook, ePUB)


sehr gut

Kurz nach ihrem Geburtstag wird Sarah von fremden Männern überfallen. Auf der Flucht trifft sie auf einen weiteren Unbekannten, der sie besser kennt, als sie ahnt und sie vor eine schwere Entscheidung stellten muss.

So ein kurzes, fantastisches Intermezzo ist gerade richtig für eine Bahnfahrt oder eine halbe Stunde Ruhe am Nachmittag. Der Stil ist verträumt, ahnungsvoll, mit der richtigen Betonung und der Portion Spannung, die so eine Kurzgeschichte braucht. Schnell, heftig, aber nicht zu überdreht.

Auch die Geschichte dabei ist gut durchdacht, trotz der Kürze mit Überraschungen und Andeutungen versehen, die teilweise aufgedeckt werden, anderes bleibt im Dunkel. Sarah wird vor eine schwere Entscheidung gestellt, die sie plötzlich trifft und darum auch nur aus dem Bauch heraus getroffen werden kann.

Ich war erstaunt, wie schnell die Autorin es schafft, Nähe zu den Figuren entstehen zu lassen, so dass die Handlung gleich mit starten kann. Vieles ist auf den Punkt gebracht, dafür fehlen die manchmal nervigen Vorankündigungen, die den Leser nur auf das Unausweichliche hinführen soll. In der Kürze aber auch alles gleich so zu verpacken, dass trotzdem nichts mit dem Zaunpfahl herbeigewinkt wird, ist wirklich toll gemacht.

Die weiteren Geschichten der Reihe behandeln andere Figuren, die Erzählung von Sarah ist also, insofern ich das beurteilen kann, erst mal abgeschlossen. Das lässt viel Platz für eigene Vorstellungen, trotz rundem Ende. Wer Kurzes mag oder für Längeres gerade einfach keine Zeit hat, sollte zugreifen und sich verzaubern lassen.

Bewertung vom 31.08.2015
Rabenmütter
Kilmartin, Laurie; Moline, Karen

Rabenmütter


weniger gut

In 12 Teilen und 52 Kapiteln berichten die selbst benannten Rabenmütter vom Leben mit Kind, seinen Tücken und Grausamkeiten – und wie sie sich am besten durchgemogelt haben. Vom kranken Kind in der KiTa, dem weiterreichen einer gefüllten Windel und der Suche nach dem besten Kinderaufpasser gehen die vier Autorinnen alltägliche Probleme an und versuchen sie auf witzige Weise nicht nur leichter erscheinen zu lassen, sondern geben jeweils auch Tips und Ratschläge, die nicht immer ernst gemeint sind.
Vor allem provozieren sie. Schon allein der Titel Rabenmütter ist im ewigen Streiten um die ideale Mutter Provokation. Auch die Beschreibung des Babys als egoistischem Miesmacher, dessen Lebensaufgabe es sei, das Leben der Mutter zu zerstören, ist pure Übertreibung, die wohl lustig sein soll. Der Witz kommt bei mir aber nicht an. Auch nicht, wenn die Damen raten, das Baby bei kleinen Besorgungen allein im heißen Auto zu lassen (ernsthaft, das kann nur Übertreibung sein, ein richtig schlechter Witz).
Das Leben mit Kind (noch nicht einmal das Muttersein per se) wird so dermaßen negativiert, dass ich mich einfach nur frage, wieso diese Menschen Kinder bekommen haben und wieso gleich mehrmals. Denn natürlich sind die Rabenmütter Mütter und lieben ihre Kinder (wie sie aber erst in der Danksagung zugeben).
Anzumerken ist dabei, dass die Autorinnen Journalistinnen, Komiker und TV-Produzentinnen sind, das Buch also bitte wirklich nicht ernst zu nehmen ist, sondern komödiantischer Blick auf das Leben mit Kind sein soll. Auf der Bühne würde der Humor vielleicht besser wirken.
Das Buch aber ist voll mit gezwungener Komik, drückendem Witz und nach ein paar Seiten ist mir jedes Schmunzeln vergangen, so wenig Abwechslung kam dabei auf, weil es eben immer nur darum geht, Elternsein (Muttersein) und Kinderhaben schlecht aussehen zu lassen, übertrieben schlecht. Der Übersetzerin Karin Wirth ist es dabei noch gelungen, das Buch so sinnvoll aus dem Amerikanischen zu übersetzen, dass sie regionale Begebenheiten eingebracht hat und das Buch so wirklich dem Deutschen übermitteln konnte. Hut ab dafür, denn bei diesem Buch nicht irgendwann zu schreien: „Jetzt ist aber mal gut!“, war bestimmt nicht leicht.
Zugegeben, mal so eben schnell eines der Kapitelchen gelesen, das könnte Unterhaltsam sein. Als Buch in einem Rutsch wird es aber nicht nur nervig, sondern fade, weil der Witz ohne Pointen kommt, sondern einem andauernden Höhepunkt gleich die Spitze flach werden lässt. Es gibt sie schlicht nicht.
Zumindest in den Lesefluss haben die Rabenmütter dann etwas Abwechslung gebracht. Kleine Listen, abschließende Fingerzeige, dialogische Szenen lockern auf und lenken ab, wirken wie ein Resümee, setzten Schlussstriche. Wer dann auch eine Pause macht hat mehr vom Buch und verliert vielleicht auch nicht sein Schmunzeln.

Bewertung vom 23.08.2015
Muttergefühle. Gesamtausgabe
Drust, Rike

Muttergefühle. Gesamtausgabe


ausgezeichnet

In Muttergefühle berichtet Rike Drust als Autorin und Erzählerin von der Geburt ihres Sohnes und der neuen Zuschreibung als Mutter, der sie sich gegenüber sah. Zwischen Himmelhochjauchzend und Zutodebetrübt ist da alles dabei. Und immer wieder kämpft sie mit ihrer Rolle als Mutter in der Gesellschaft und in ihrem Leben, denn so sehr sie ihren Sohn liebt, kann und will sie sich nicht damit abfinden, nun zum Muttertier abgestempelt zu werden. „Denn als Mutter verspürte ich einen extremen Druck, perfekt sein zu müssen“ (S. 11). Ohne sich als notorisch sarkastische Mutter oder betüdelnde Obermamie einzuordnen bleibt sie dabei vor allem ehrlich, legt sich selten fest und spricht mit ihren Zerrissenheiten Klartext, von rosa Schmetterlingen und der akuten Langeweile mit Kind.
Ich liebe dieses Mut. „Das muss ich nicht lesen, das hab ich schon selbst“, murrte mein Mann beim Über-die-Schultergucken und fand es dann doch gut. Mir zumindest spricht Rike Drust aus der Seele. Die Verwunderung in all der Gruppen von Müttern und Mütterliteratur einfach nicht den Platz zu finden, an den man gehört, weil jede Mutter nur ein Mensch und damit einzigartig ist, wir aber immer wieder gesagt bekommen, Mütter seien alle so oder so, kenne ich nur zu gut. Der tiefe Wunsch, dem Kind immer und überall nahe zu sein, ihm beschützend und eben mütterlich beiseite zu stehen. Daneben der tiefe Wunsch, Abstand zu haben, ein Selbst zu haben, und dieses Selbst nicht zu verlieren zwischen Kind, Mann und Mutteransprüchen. Der tiefe Wunsch, zu arbeiten, sich zu behaupten, den Kopf nicht zu vernachlässigen. Ich fühle mit Rike Drust, denn mir geht es genauso.
Das schöne ist, wie einfühlsam diese „ich bin halt nicht wie die anderen“-Masche funktioniert, wie viel Identifikationsmomente es durch die unterschiedlichen Gesichtspunkte gibt, denn selbst wenn ich aus dem einen Blickwinkel völlig anderer Meinung bin, stimme ich im nächsten wieder zu. Wie bei einer Freundin, mit der man streitet, lacht, sich versteht, auch wenn man sich nicht versteht, ist mir dieses Buch ans Herz gewachsen. Dabei gibt es genug Augenrollmomente. Etwa wenn die Erzählerin über andere Mütter spricht.
Der Stil ist dabei gekonnt, kolumnistisch und voller Varianten. Mal witzig, mal romantisch, mal resignierend, wie das Leben selbst und nie zu viel von einer Richtung, immer wieder schafft sie die Kurve, den runden Bogen. Etwas zwiegespalten bin ich hinsichtlich der Stichpunkte, die die Autorin nach jedem Kapitel gibt. Mehrmals wiederholt sie, dass ihr Buch eben kein Ratgeber sein soll und zeigt dann mit den Methoden, die bei ihr geholfen haben, eben doch Ratschläge, wie es auch bei anderen gehen könnte, mit dem Hinweis, dass es eben aber auch damit nicht gehen muss. Ein Ratschlag, der keinen Rat gibt, also. Und für mich tatsächlich ein kleines Manko, lassen sich die meisten Punkte doch ohnehin auf den erste Blick aus den Kapitel herauslesen.
Für mich war Muttergefühle ein absoluter Hit, lesenswert für jede Mutter und die meisten Väter, für jeden, der gerne etwas über die Stellung der Mutter in unserer Gesellschaft und den Druck von außen für uns Frauen mit Kindern, lesen möchte.

Bewertung vom 07.08.2015
Vater, Mutter, Staat
Stadler, Rainer

Vater, Mutter, Staat


sehr gut

Stadler stellt es gut an. Nirgendwo sagt er direkt, dass kein Kind fremdbetreut werden sollte oder unter einem Jahr bei den Eltern sein muss. Immer wieder ruft er die Individualität der Kinder in den Vordergrund. Dass es eben solche gibt, die kein Problem mit Fremdbetreuung haben, und die, die noch zur Einschulung nicht wirklich mit einer anderen Umgebung als ihrem Elternhaus klar kommen. Ein dickes Plus dafür. Ein dickes Plus, das Stadler ehrlich bleibt und nicht sagt: Ich spreche für alle und alle Kinder noch dazu. Nein, er ist ja auch gar nicht per se gegen Ganztagesbetreuung. Nicht einmal das kann ich ihm vorwerfen.

Stattdessen war ich beim Lesen fasziniert, wie plausibel und strukturiert er argumentiert, unterfüttert mit Beispielen und Zeitungsartikeln. Dass der Staat die Ganztagesbetreuung gar nicht eingeführt hat, um die Familie zu entlasten, sondern, um mehr Arbeitskräfte zu gewinnen und dadurch letztlich auch die Individualität von Familie und Kindern abzuschaffen. Wer aus der Norm fällt, wird zurechtgebogen. Rabiat, will man meinen, wenn das Buch aufgeschlagen ist.

Eine interessante und sicher nicht ganz falsche These. Dass der Staat nach Jahrzehnten der Unterdrückung der Frau, eingesehen hat, dass dies heute nicht mehr geht und prompt die Kehrtwende macht hin zur Frauenquote und den schnellen Einstieg ins Berufsleben. Dass Frauen, die „nur“ Mütter sind immer noch stigmatisiert werden. Sogar nettes über das mittlerweile abgeschaffte Betreuungsgeld kann er sagen, so dass ich es ihm nicht komplett um den Kopf werfen will. Ausdrücken, ja ausdrücken kann er sich.

Gerade darum finde ich es etwas schade, dass er frevelhaft ähnlich vorgeht, wie die, die er kritisiert. So sagt er, Studien, die einen positiven Effekt von Ganztagesbetreuung gezeigt hätte, würden verschweigen, dass dieser minimal ist und noch dazu auch ein negativer Effekt besteht. Ebenso minimal. Andere Kinder betreffend. Schon sind wir wieder bei der Individualität und Stadlers Argument gegen die Betreuung verpufft, wenn eine Abschaffung den kleinen positiven Effekt für manche Kinder wieder zunichtemachen würde. Wäre das denn nicht genauso schlimm? Dass es durchaus Kinder gibt, die mit eins oder früher nicht so weit sind, stimme ich blind zu. Dass sie deswegen grundsätzlich schädlich sind, nicht.

Diese Struktur zieht sich ziemlich durch das ganze Buch. Wo immer ich mit dem Autor einer Meinung bin kommt ein Punkt hinzu, in dem ich mich stark wehre.
Stadler will mitnichten, dass die Frau brach Heimchen am Herd spielt und Mann und Kinder versorgt. Jedenfalls sagt er das nicht (kluger Mann). Vielmehr plädiert er für eine wirkliche Wahlfreiheit, ob jemand arbeiten geht, oder nicht. Ob jemand sein Kind fremdbetreuen lässt, oder nicht. Für mehr Zeit mit den Kindern und miteinander. Für mehr Väter, die mehr unternehmen – im Haushalt und mit den Kindern. Für mehr Familie.

Bewertung vom 07.08.2015
Böse Mutter - gute Mutter
Jolig, Sam

Böse Mutter - gute Mutter


schlecht

Anhand verschiedener Begriffe die Psyche betreffend stellt Jolig zeigt Jolig auf, dass an unserem Ganzen Sein unsere Mütter Schuld haben. Jeder Mensch wäre seine Mutter und noch etwas mehr, so drückt sie es aus und lässt den Vater dabei ziemlich im Abseits. Ab und An gibt sie zwar zu, dass es ihn gibt und dass seine Position zur Mutter, bzw. die Position der Mutter zu ihm auch wichtig sei, er selbst spiele aber keine Rolle, nein, er könne das, was die Mutter ihm durch die Schwangerschaft und Stillzeit voraus hat, gar nicht aufholen und wolle das ja auch nicht, wie unsere Gesellschaft zeigt.
Spätestens hier schreie ich innerlich auf. Dass die Gesellschaft den Mann in diese Rolle drückt und im Gegenzug die Mutter als Leitfigur für das Kind deklariert, wird ziemlich außer Acht gelassen. Auch die Fälle, die nicht nur wünschenswert, sondern durchaus schon die Realität sind, wenn auch selten, in denen Väter sich die Aufgabe der Kindererziehung und –pflege mit der Frau teilen oder gar hauptsächlich übernehmen, ignoriert Frau Jolig absolut. Fadenscheinig finde ich es aber prinzipiell die Rolle des Vaters für die Psyche so klein zu reden, denn natürlich prägt auch die Vaterfigur jeden Menschen von klein auf entscheidend.
Unverständlich wird es für mich auch, wenn die Autorin in den Beispielen, die sie zur Veranschaulichung reichlich eingestreut hat, die Mutter als dem Vater untergeben aufzeigt. Diese Beispiele zeigen stets, in welchen Positionen sich die betroffenen „Klienten“ in Bezug auf ihre Eltern sehen. Strikt festgelegt ist von der Analyseseite dabei, an welcher Stelle „normalerweise“ Mutter und Vater und Kind(er) zu stehen haben. Stellt ein Klient aber seine Mutter auf die „falsche“ Seite, sagt das sofort, dass sie dominant sei, über den Vater herrsche und ihm damit seine natürliche Position beraube, was beim Kind eine Störung verursachen würde.
In welchem Jahrhundert – und an dieser Stelle schreie ich nicht mehr, ich weine nicht, ich schüttle nicht meinen Kopf, ich starre fassungslos auf die Seiten – leben wir, wenn eine starke Frau, die in einer Beziehung den Ton angibt, als „krankhaft“ angesehen wird, als dem Mann seiner Macht raubend, seiner fest vorgeschriebenen Stelle in unserer Ordnung? Mal davon abgesehen, dass Frau Jolig auch immer gerne darauf verweist, eine berufstätige Mutter schade dem Kind, weil sie ja keine Zeit für es habe. Die Macht der Mutter, die laut Untertitel Thema sein soll, ist dann also doch nur die der artigen Hausfrau, die maximal ein paar Stunden arbeiten geht und dem Manne alles bereit hält, wenn er heim kommt, schon allein, weil sie sonst ihrem Kind psychische Störungen verursache.
Ja, verdammt, ich dramatisiere hier. Ich übertreibe, vielleicht auch maßlos. Denn es gibt natürlich die feinen Stellen, die sagen, dass es Kinder gibt, die mehr oder weniger „Muttermacht“ brauchen, dass Frauen ein Recht haben, arbeiten zu gehen und sich zu verwirklichen. Im Großen und Ganzen aber steht unterm Strich: Eine Frau, die Mutter ist, verliert sich selbst, denn wenn sie nicht alles tut, was laut Jolig richtig ist, wird ihr Kind psychisch krank.
Die psychischen Auffälligkeiten, die die Autorin dann nennt, sind auch noch so allgemein verfasst, dass sie für alle und niemanden zutreffen. Sich selbst darin zu finden, ist leicht, mehrmals sogar. Mischtypen seien eigentlich normal, was mich zur Frage bringt, ob diese Einteilung dann überhaupt sinnvoll ist. Denn wenn eh jeder hier und da zu einem oder mehreren der genannten Typen gehört, ist die Aufregung doch ziemlich umsonst. Dann geht es weniger um Muttermacht, als um die Akzeptanz, wie wir sind. Immerhin geht es in den letzten 20 Seiten dann auch noch um „richtige“ Meditation, um eben das zu schaffen und mit sich ins Reine zu kommen. Wer dazu seiner Mutter die Schuld geben muss, darf das Buch gerne lesen, interessant war es allemal, und ich konnte mich mal wieder so richtig aufregen.

Bewertung vom 24.07.2015
Fortpflanzung nach Tagesform
Buddenkotte, Katinka

Fortpflanzung nach Tagesform


ausgezeichnet

Maike und ihr Freund Hummel sind soweit, sich an den praktischen Teil des Kinderwollens zu machen. Sie sind bereit, haben eine Liste abgearbeitet, die sie vorbereiten soll, beide sind voll des Tatendrangs. Doch nach Wochen und Monaten stellt sich bei Maike Panik ein. Es klappt nicht. Soll es vielleicht nicht klappen? Oder kann es gar nicht klappen? Sie wird hysterisch und auch Hummel ist am Rande des Nervenzusammenbruchs. Dass seine Arbeit ihn sowieso auslaugt und ihre Doktorarbeit mehr und mehr ins Stocken gerät hilft da so wenig, wie ein unselbstständiger Schwager und dessen Bitch (Hund, meine Güte, es ist ein Hund, tatsächlich, regt euch ab).

Anschaulich und eindrucksvoll zeigt Buddenkotte, dass auch ein im ersten Augenblick perfektes Paar durch den fremd- und selbstauferlegten Druck der Zeugung in Wanken gerät und schnell in der Luft hängt. Selbstzweifel und Unsicherheit ist die Folge. Noch dazu kommt das Einsehen, dass auch sichere Alltäglichkeiten eben keinesfalls so sicher sind, wie wir kleinen Spießer gerne denken und dass allen voran immer noch die Frage steht, ob wir dabei auch glücklich sind.

Schnell zeigt sich auch, dass Unsicherheit mit der eigenen Person auch dazu führt, die Umgebung in Frage zu stellen. Maike etwa sieht sich nicht nur überall mit ihrem Nichtmuttersein konfrontiert, sondern ist zunehmend empfindlicher gegenüber allem, was Hummel macht. Und der scheint gerade zu Beginn des Buches fast zu perfekt zu sein. Kein Draufgänger, gemütlich, wortgewandt, immer zur Stelle, wenn Maike ihn braucht. Es braucht, um klar zu werden, dass Kinderwunsch nicht immer Kinderwunsch ist und auch unausgesprochener Druck Druck.

Der sarkastische, böse Humor gefällt mir dabei sehr gut. Voller ironischer Momente, die eigentlich nur das Leben schreibt, ist die Geschichte von Maike und Hummel nicht nur erschreckend realistisch, sondern auch mit einem halbwegs glücklichen Ende versehen, das keine wirkliche Antwort liefert, aber viel Möglichkeit. Ich bin mir sicher, dass Fortpflanzung nach Tagesform nicht für jeden Leser geeignet ist. Es hat Herz und Kopf, von beidem viel, so dass es unterhaltsam und anspruchsvoll zugleich ist, nimmt Kinderwunsch und Fortpflanzungsdruck zum Thema und sieht dabei vor allem Maike als Erzählerin mit der Mutterfigur konfrontiert, die sie absolut nicht leiden kann. Gut zu lesen, sehr interessant und absolut mein Fall.

Bewertung vom 23.07.2015
Minions
Chesterfield, Sadie

Minions


sehr gut

Die Handlung ist die des neuen Films. Die Minions brauchen einen neuen Anführer, einen Bösewicht, dem sie (mehr oder weniger) helfen können. Bob, Stuart und Kevin machen sich auf, jemanden zu finden. Ihr Weg führt sie nach New York City, wo sie auf einer Bösewichterkonferenz eine Anführerin (Scarlett) finden, die alles hat, was sie je gesucht haben. Prompt sollen sie die Kronjuwelen der Queen stehlen. Dass bei den Minions aber selten alles nach Plan verläuft, ist uns ja bereits bekannt.

Was gibt es zur Handlung noch viel zu sagen. Liebenswert stolpern die Minions von einem Fettnäpfchen ins nächste und bestehen dabei mehr aus Versehen als mit Absicht ihre Abenteuer. Sie sind liebenswert und nichts anderes als gelbe, knuddlige Kinder, so dass ich nicht ganz verstehe, warum sie ausgerechnet einem Bösewicht dienen wollen. Der große Vorteil der Anonymität der Minions, ihrer Austauschbarkeit und eben klonhafter Gleichheit wird hier zugunsten einfach gestrickter Persönlichkeiten aufgegeben. So werden Stuart, Kevin und Bob zu den eigenwilligen Helden der Geschichte, was sie als Massenprodukt nicht werden könnten.

Die Geschichte spielt mit Klischees, die für Kinder oft nicht ganz verständlich sind. Etwa, die etwas spießige Kleinbürgerfamilie, die in Wirklichkeit eine Verbrecherdynastie ist. Oder Scarletts Ehemann Herb, der wie die Minions im Innern noch ein großes Kind ist. So gesehen haben also auch Eltern durchaus etwas von der Handlung (Nein, man muss natürlich keine Kinder haben, um die Minions zu mögen, das geht auch gut ohne)

Der Erzähler ist ruhig und nicht zu hektisch. Liebevoll spricht er auch die Wortschnipsel der Minions nach. Bei einem Hörbuch kann an spannenden Stellen durch das Vorlesen immer etwas Spannung verloren gehen. Mancher Sprecher kann da mit Stimmkraft nachhelfen. Hier bleibt die zusätzliche Energie eher schwach, erzählhaft, weniger augenblicklich.

Gestört hat mich vor allem die lange Einleitung, ehe die Handlung einsetzt. Was im Film mit Witzen und Humor daherkommt, ist im Hörbuch eher ein langer Atem, ehe es wirklich losgeht. Die Unterschiedlichkeiten der Minions kommen erzählt aber besser rüber, auch weil das allzu ähnliche Aussehen der kleinen Dinger wegfällt. So werden Bob, Stuart und Kevin noch etwas differenzierter. Die angenehme und eher ruhige Stimme von Oliver Rohrbeck macht die CDs dann auch als Hörbuch vor dem Einschlafen für den Großen gelungen.

Immerhin ist es immer wieder schön, wenn jemand noch richtig erzählen kann und nicht nur abspult, was da so steht, sondern mit seiner Stimme noch richtig spielt. Rohrbeck macht das, dezent genug, um Minions zu einer Unterhaltung für die ganze Familie werden zu lassen und jeden bei Laune zu halten.