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carola1475

Bewertungen

Insgesamt 162 Bewertungen
Bewertung vom 14.11.2021
Das Geheimnis
Sandberg, Ellen

Das Geheimnis


sehr gut

Unverarbeitete Traumata und ihre Auswirkungen

Ulla steht kurz vor ihrem 60. Geburtstag und hat ihr Leben lang darunter gelitten, dass ihre Mutter Helga sie als Sechsjährige verlassen und den Kontakt völlig abgebrochen hat, als sie neun war.
Ulla beschließt im Corona-Sommer 2020, in dem Häuschen ihrer Mutter am Chiemsee, das sie geerbt hat, Urlaub zu machen und stößt unerwartet auf Kassetten, die Helga 1975 für sie besprochen hat, um sich und ihr Verhalten zu erklären.

Helga erzählt auf den Kassetten von sich ab ihrer Jugend. Nach der Trennung von Mann und Tochter lebt sie als Künstlerin in einer Hippiekommune, malt Bilder, die sich dem Betrachter nicht erschließen und veranstaltet verstörende Performances, von denen es Fotos und Filme gibt.
Sie ist nur mit sich und ihrem Trauma beschäftigt, das sich Ulla nur langsam erschließt. Der Spannungsbogen bleibt erhalten, da Ulla die Kassetten nicht chronologisch hört, sondern so, wie sie sie findet.

Die dritte Protagonistin ist Luise, sie stellt eine Verbindung zwischen 1975 und 2020 dar, da sie Helga kannte. Es bleibt lange unklar, welche Rolle die verbitterte, neidische und auch raffinierte Frau spielt.

Ellen Sandberg hat einen flüssigen, lebendigen Schreibstil, wechselnde Erzählperspektiven und Zeitebenen sorgen für Spannung. Jedem Kapitel ist der Name einer der Protagonistinnen und das Jahr der Handlung vorangestellt. Manche für den Handlungsverlauf eher unwichtige Details sind zu ausführlich beschrieben, was meine Leselust zwischendurch auch mal gedämpft hat. Kritisch möchte ich auch anmerken, dass Ullas aktuelle Lebenssituation mir klischeehaft und nicht wirklich realistisch erscheint.

Die Themen des Romans sind Schuld und die Auswirkung unverarbeiteter Traumata innerhalb einer Familie. Die Autorin lässt Geschichte lebendig werden und das gelingt ihr überzeugend. Die Zeitgeschichte der verschiedenen Jahrzehnte finde ich authentisch wiedergegeben, auch die Charaktere sind psychologisch spannend beschrieben. Alle drei Protagonistinnen kreisen um sich selbst und lassen so keine Nähe zu. Dennoch haben sie und ihre Geschichte mich berührt und auch erschüttert.

Bewertung vom 10.10.2021
Die andere Tochter
Golch, Dinah Marte

Die andere Tochter


sehr gut

Spannende Traumabewältigung in mehr als einer Hinsicht

Antonia, genannt Toni, verliert durch einen Arbeitsunfall fast ihr Augenlicht und kann dank einer Hornhauttransplantation wieder sehen. Ihr Dankesbrief an die Familie der Spenderin wird versehentlich nicht anonymisiert und so kommt es zum persönlichen Treffen. Toni hat eigentlich genug eigene Probleme psychischer und sozialer Art und sieht sich allmählich auch mit denen der Spenderfamilie konfrontiert.
Eine Spirale immer neuer Wendungen, Überraschungen und Entdeckungen entwickelt einen starken Sog, der mich als Leser nicht mehr losgelassen hat, nachdem einige Längen im Mittelteil des Buchs überwunden waren.
Das Cover passt perfekt: Toni deckt ein Puzzleteil nach dem anderen auf und nicht nur die Geheimnisse der Spenderfamilie treten zu Tage, sondern auch die ihrer eigenen Familie.

Geschickt gestaltet, gibt es zwei sich abwechselnde Zeitebenen, die nur sechs Monate auseinander liegen und sich am Schluss vereinen. Die Ereignisse in der Vergangenheit werden von einem personalen Erzähler aus Tonis Perspektive geschildert, während in der Gegenwart Toni die Ich-Erzählerin ist und schon der Auftakt „Ich bin nicht mehr Toni. Ich bin jetzt eine andere.“ erzeugt große Spannung und nimmt den Leser von Beginn an gefangen.
Der Schreibstil ist flüssig und bildhaft, sehr angenehm zu lesen. Dinah Marte Golch ist eine erfolgreiche und preisgekrönte Drehbuchautorin, die ihr Können auch in diesem Roman unter Beweis stellt.
Das Buch behandelt eine Vielzahl von Themen, die alle plausibel zur Erzählung beitragen und mir gut recherchiert erscheinen. Als besonders hilfreich und glaubwürdig empfand ich die Ausführungen von Tonis Therapeuten und auch das Nachwort der Autorin.

Eine Identifikationsfigur gibt es für mich im Roman nicht, aber alle Protagonisten sind authentisch und glaubhaft beschrieben, vor allem Tonis schmerzhafte Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit, ihren Gefühlen und den Träumen ist völlig nachvollziehbar und hat mich sehr berührt.

Ich kann das Buch allen Lesern empfehlen, die sich für Familiengeschichten und -geheimnisse interessieren, für Traumabewältigung und mögliche psychische Folgen von Organtransplantationen.

Bewertung vom 28.09.2021
Reality Show
Freytag, Anne

Reality Show


sehr gut

Sehr spannend und unterhaltsam

Zehn superreiche mächtige Personen werden ausgerechnet an Heiligabend in ihrem Zuhause als Geisel genommen. In einer auf allen Sendern live übertragenen „Reality Show“ werden diese einflussreichen Menschen, die die Politik und das wirtschaftliche Geschehen in Deutschland bestimmen, einzeln zur Rechenschaft gezogen und die Fernsehzuschauer stimmen darüber ab, ob und wie sie bestraft werden sollen.
Das Geschehen spielt in einer nahen Zukunft, die Corona-Pandemie ist vorbei und es hat einen politischen Rechtsruck gegeben.

Das Cover passt hervorragend zum Buch mit der Signalfarbe Orange im schummrigen Dunkel und dem ungehinderten Blick durch eine Fensterfront in ein Zimmer, in dem ein bewaffneter Mann drohend steht.
Das Buch besteht aus vielen Kapiteln, die auf zwei Zeitebenen spielen, die Überschriften machen klar, wer hier wann im Mittelpunkt steht, so dass ich gut den Überblick behalten habe.
Der Schreibstil ist flüssig und angenehm zu lesen.

Durch den ständigen Perspektivwechsel entwickelt die Geschichte eine große Dynamik und es fällt zunehmend schwer, das Buch aus der Hand zu legen. Der Anfang des Buchs, in dem die Geiseln einzeln vorgestellt werden, zieht sich etwas, aber mit der Vorstellung der jungen Leute, die den Plan nicht nur zur Geiselnahme und der Reality Show, sondern auch zu einem „Systemneustart“ austüfteln und nach jahrelanger Vorbereitung akribisch durchführen, fesselt die spektakuläre Geschichte immer mehr und lässt bis zum Ende nicht mehr los.
Der Roman ist spannend, abwechslungsreich und sehr geschickt angelegt, immer wieder werden zum Beispiel auch die Gedanken und Reaktionen der Fernsehzuschauer eingestreut, was am Ende zu einem runden Schluss beiträgt.

Die jungen Protagonisten werden durch Rückblenden in ihrer Entwicklung glaubhaft dargestellt und durch die jeweilige Ich-Perspektive sieht der Leser die anderen Gruppenmitgliedern aus verschiedenen Blickwinkeln, wodurch die Charaktere sehr nahbar und authentisch erscheinen.

Anne Freytag kann offensichtlich nicht nur Jugendbücher, sondern auch Thriller schreiben und ich empfehle das Buch jedem Leser intelligenter Spannungsliteratur und durchdachter Utopien. Mich hat es bestens unterhalten.

Bewertung vom 12.09.2021
Diese Frauen
Pochoda, Ivy

Diese Frauen


ausgezeichnet

Beeindruckende Sozialkritik

Ende der 90er Jahre wurden entlang der Western Avenue im südlichen Los Angeles insgesamt 13 Frauen „aus dem Milieu“ ermordet und jetzt, nach 15 Jahren, scheint es eine neue Mordserie an nicht-weißen Frauen aus unterprivilegierten Gesellschaftsschichten zu geben. Es gab damals wie heute kaum Ermittlungen durch die Polizei, die „diese Frauen“ geringschätzt, ihnen gar eine Mitschuld am Verbrechen unterstellt und die Angehörigen nicht anhört und nicht ernst nimmt. Erst eine kleingewachsene Latina-Polizistin, der ebenfalls in der Vergangenheit von ihren Kollegen nicht geglaubt wurde, wird allmählich aufmerksam, hört zu und ermittelt, denn es gibt für jedes Rätsel eine Lösung und die einfache Antwort ist oft die richtige.

Das Cover zeigt eine „dieser Frauen“, jung und schön, im grün-roten Licht einer Neonreklame, es passt zum Roman.

Der Leser lernt 6 Frauen kennen, die alle mit den Morden zu tun haben, diese Frauen sind unkonventionell und kennen extreme Gewalt gegen Frauen, sie erleben die Verletzlichkeit, den Schrecken und die Wut in der unsicheren Stadt, die doch ihre Stadt ist.
Die Autorin passt ihren Schreibstil sehr gekonnt der jeweiligen Protagonistin an, sprach- und bildgewaltig werden die Charaktere lebendig und konfrontieren den Leser mit ihrem Leben. Ivy Pochoda beschreibt die Situation der Frauen authentisch, wie bei den Fotos einer der Protagonistinnen stehen sich Selbstsicherheit und Leere gegenüber, Macht und Verzweiflung, Stärke und Hoffnungslosigkeit.
Die Autorin zeichnet auch ein beeindruckendes, realistisches Bild des heruntergekommenen Viertels West Adams in South Central Los Angeles, das Lebensumfeld all dieser Frauen, das in der Vergangenheit auch bessere Tage gesehen, aber unter straßenbaulichen Maßnahmen und den Unruhen Anfang der 90er Jahre gelitten hat.

Das Buch beginnt mit einem Monolog und endet auch mit einem Monolog derselben Frau, die bedrückende und erschreckende Atmosphäre des Romans lässt am Ende Raum für einen kleinen Hoffnungsschimmer für zumindest diese eine Frau.

Ich empfehle den Roman nicht den Krimi-Fans, die auf Action und Ermittlungsarbeit aus sind, sondern eher Lesern, die sich für gesellschaftliche Probleme in westlichen Großstädten und für weibliche Selbstbestimmung interessieren.

Bewertung vom 05.09.2021
Was bleibt, wenn wir sterben
Brown, Louise

Was bleibt, wenn wir sterben


ausgezeichnet

Der Tod gehört zum Leben

Das Cover gefällt mir gut, es passt zum Buch und steht für mich für Loslassen, Freiheit, Aufbruch in noch unbekannte Gefilde. Der Schreibstil ist flüssig, sehr angenehm zu lesen und hat mich mit seinen klaren und doch einfühlsamen Worten von Anfang an mitgenommen.
Das Buch besteht aus vielen kurzen Kapiteln, in denen Louise Brown unterschiedliche Aspekte der Trauer anschaulich beschreibt.

Der Tod beider Eltern innerhalb weniger Monate konfrontierte die Journalistin Louise Brown mit einer tiefen Trauer. Bis dahin hatte sie sich kaum mit dem Tod geliebter Menschen auseinandersetzen müssen und sie empfand die Trauerfeiern bei den Beerdigungen der Eltern als unbefriedigend und den geliebten Menschen nicht gerecht werdend. Ihr eigener langer Trauerprozess, die Auseinandersetzung mit dem Tod und unserer Endlichkeit und die Begegnung mit einer Trauerbegleiterin führten dazu, dass sie als Trauerrednerin zu arbeiten begann.

Das Buch will kein Ratgeber sein, sondern erzählt von zahlreichen Begegnungen und persönlichen Gesprächen mit Trauernden, in denen die Verstorbenen durch Erinnerungen und Gefühle bei den Hinterbliebenen lebendig bleiben. Diese Erinnerungen spenden Trost und die immer individuelle Erfahrung der Trauer macht den Menschen verletzlicher und empathischer, die Sicht auf das Leben und darauf, was wichtig ist, kann sich ändern.
Die Autorin ermuntert uns, unsere Trauer zu leben und sie nicht zu verstecken, und uns mit dem Tod zu beschäftigen, darüber zu reden, denn dadurch wird er weniger groß und erschreckend.

Ich empfehle das Buch jedem, der bereit ist, sich mit dem Tod und der eigenen Sterblichkeit auseinanderzusetzen. Dieses Thema geht früher oder später jeden an.

Bewertung vom 21.08.2021
Ich hätte da was für Sie
Cordes, Vera

Ich hätte da was für Sie


ausgezeichnet

Tipps und Tricks für die Gesundheit

Meine besten Tipps, selbst erprobt … bei körperlichen Beschwerden … für Kopf und Seele … zum Vorbeugen und Wissen

von Vera Cordes, seit mehr als 20 Jahren Medizinjournalistin und Moderatorin des NDR-Gesundheitsmagazins „Visite“.

Ihr Buch soll Hilfe zur Selbsthilfe sein und schildert vielseitige, teilweise erstaunliche Tipps und Tricks für verschiedenste Beschwerden. Alle Empfehlungen sind einfach umzusetzen, haben keine Nebenwirkungen und können zu Linderung oder sogar Heilung führen. Frau Cordes vermittelt Ihr Wissen überzeugend und glaubhaft, sie wendet ihre Tipps selbst im Alltag an und hat ihre Wirksamkeit überprüft. Auch indem sie mich als Leser/in direkt anspricht, schafft sie schnell eine Vertrauensbasis.

Die Wirkungsweise alter Hausmittel, interessante, auch historische medizinische Fakten und neuere Forschungsergebnisse werden verständlich und informativ beschrieben. Anekdoten aus dem Familien- und Bekanntenkreis machen das Buch darüber hinaus unterhaltsam. Das Layout überzeugt durch bunte, anschauliche Zeichnungen und farblich abgesetzte Tipps, Zusammenfassungen und Erläuterungen und auch das handliche Format des Buchs ist ein Pluspunkt. Das Sachregister am Ende des Buchs ist das i-Tüpfelchen auf einem überzeugenden kleinen Ratgeber.

Ich habe viel Neues gelernt und werde einige von Frau Cordes' persönlichen Empfehlungen unbedingt ausprobieren.

Bewertung vom 20.08.2021
Heimatsterben
Höflich, Sarah

Heimatsterben


ausgezeichnet

Eine bedrohliche Alternative

Das Cover ist ein Hingucker mit dem verfaulten Apfel - der trotz seiner Berechtigung im Kreislauf des Lebens zuallererst Ekel erzeugt - und dem unterschiedlichen Druck der Titel-Buchstaben. Da steht nicht nur Heimatsterben, sondern auch Heimat erben, schwarz umrahmt wie eine Trauerkarte! Eigentlich folgt das Erben auf das Sterben, aber auch das geerbte kann verkümmern und sterben, wenn die Erben es so weit kommen lassen... Eine großartige, aussagekräftige Gestaltung von Cover und Titel, wie ich sie selten erlebt habe.

Nach dem Tod ihrer Großmutter Tilde bemüht sich die freigeistige Journalistin Hanna, dem letzten Wunsch der Matriarchin nachzukommen, die Familie zusammenzuhalten, ist jedoch schnell überfordert mit dem Spagat zwischen Loyalität dem konservativen Schwager gegenüber, der tatsächlich mit seiner nationalistischen BürgerUnion neuer deutscher Regierungschef wird, und ihrer persönlichen Integrität.

Die zahlreichen Mitglieder der großen Familie Ahrens verkörpern die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schichten und politischen Überzeugungen, und gekonnt verknüpft die Autorin Familiengeschichte und politisches Geschehen. Hilfreich besonders zu Beginn der Lektüre ist der Familien-Stammbaum vorne im Buch.

Die Autorin schildert ausgesprochen spannend, wie schnell moralische und demokratische Grenzen überschritten werden und eine ungute Entwicklung eine Eigendynamik bekommt und eskaliert, wenn entsprechende Voraussetzungen gegeben sind und dass ein einzelner Akteur das dann nicht mehr aufhalten kann, selbst wenn er wollte.
Die Ereignisse spielen sich 2023 ab und Sarah Höflich zeichnet ein vielschichtiges Bild der immer stärker werdenden Rechten bis zum Faschismus, wie auch der Beweggründe der Protagonisten. Es gibt nicht nur Schwarz oder Weiß, Gut oder Böse - auch die Übeltäter haben ein Gewissen, über das sie sich aber hinwegsetzen...

Der flüssige, bildhafte Schreibstil hat mich schnell gefangen genommen, der anhaltend hohe Spannungsbogen ließ mich das Buch kaum aus der Hand legen. Die Charaktere sind authentisch und realistisch beschrieben.
Glaubwürdig wird eine mögliche nahe Zukunft in Deutschland entworfen, die erschreckend und bedrohlich ist.

Ich empfehle das Buch allen gesellschaftspolitisch Interessierten, aber auch Lesern, mit einer Vorliebe für Familiengeschichten oder auch für Dystopien.

Ich gratuliere Sarah Höflich zu diesem grandiosen Romandebüt.

Bewertung vom 14.08.2021
Tote schweigen nie / Raven & Flyte ermitteln Bd.1
Turner, A. K.

Tote schweigen nie / Raven & Flyte ermitteln Bd.1


ausgezeichnet

Ein neues Ermittler-Dream-Team

Das Cover ist farblich und haptisch sehr schön gestaltet und passt zum Thema, es gefällt mir mit seinen organischen bunten Formen.

Cassie Raven ist Sektionsassistentin und auch optisch eine ganz besondere junge Frau, sie ist tätowiert, gepierced und bevorzugt einen Gothic-Look. Sie ist sehr mitfühlend und spricht mit den Toten und empfängt manchmal eine letzte Schwingung der Verstorbenen, eine Veränderung in der Atmosphäre, eine vage Information zum Tod der Person.

Als unerwartet ihre verehrte Mentorin Mrs. E auf ihrem Sektionstisch liegt, ist Cassie schockiert und fragt sich, woran die erst 50-jährige plötzlich gestorben ist. Sie erhält keine Antwort und auch die Sektion ergibt keine Anhaltspunkte. Damit eine umfassendere forensische Autopsie angeordnet wird, benötigt Cassie die Hilfe der zunächst steifen, unnahbaren Polizistin Flyte.
Zusammen mit der hartnäckigen Beamtin gelingt es der scharfsinnigen Cassie, nicht nur das Rätsel um den Tod ihrer Lehrerin zu lösen.
Dieser Auftaktband der neuen Forensik-Krimireihe ist stimmig und spannend bis zum Ende.

Sektionen und die Arbeit in der Leichenhalle werden detailliert, aber immer respektvoll und sachlich geschildert, die Autorin vermittelt medizinisches Wissen, wo es angebracht ist. Der Schreibstil ist flüssig, locker, bildhaft und sehr angenehm zu lesen.
Nicht nur die außergewöhnlichen Protagonistinnen werden authentisch und glaubwürdig beschrieben, auch viele andere Akteure werden zu lebendigen und teilweise ganz besonderen Charakteren.

Cassie Raven und Phyllida Flyte sind ein starkes und originelles Team, die beiden haben Gemeinsamkeiten und ergänzen sich andererseits. Ich wurde großartig unterhalten, freue mich auf den zweiten Band der Reihe und empfehle das Buch jedem Krimileser, der neugierig auf außergewöhnliche Charaktere ist und sich für Forensik interessiert.

Bewertung vom 02.08.2021
Die Gottesmaschine
Kleindl, Reinhard

Die Gottesmaschine


gut

zu viel gewollt

Weihbischof Lombardi reist in ein abgelegenes Kloster, um dort Sébastien zu treffen, den Ziehsohn eines Freundes. Sébastien ist nicht nur Mönch, sondern auch Wissenschaftler und arbeitet mit Hilfe eines Supercomputers an der Erforschung der Geheimnisse der Schöpfung.
Lombardi findet jedoch nur die Leiche Sébastiens und versucht zusammen mit der Physikerin Amirpour herauszufinden, warum der junge Mann sterben musste und welche Entdeckung er vor seinem Tod gemacht hat.

Die Erzählung steigert sich kontinuierlich, wird immer komplexer und auch spannender. Aber blasse und wenig authentische Charaktere, hölzerne Dialoge, gelegentlich eine sprachlich ungeschickte Wortwahl, ein einfacher, nicht immer flüssiger Schreibstil mit manchmal umständlichen Beschreibungen beeinträchtigen nicht nur den Lesefluss, sondern auch die Freude am Buch.
Erst gegen Ende des Romans wird klar, dass Lombardis Orientierungslosigkeit im Kloster auch Sinnbild für ihn selbst ist. Schade, dass seine Verunsicherung in Bezug auf seinen Glauben und auch seine Zukunft nicht eher thematisiert wird, das hätte dem Protagonisten mehr Tiefe verliehen. Nur vage Andeutungen haben leider dazu geführt, dass mein Interesse an der Person im Lauf des Buches eher nachgelassen hat.

Es werden sehr viele Themen angesprochen, dadurch zerfleddert jedoch die Erzählung und manche Aspekte werden nicht wieder aufgenommen und weitergeführt, sondern enden in Sackgassen. Hier wäre weniger mehr gewesen.
Auch die kurzen Kapitel, die das ganze Buch über mit Cliffhangern enden und oft auch den Schauplatz wechseln, unterbrechen eher den Lesefluss als die Spannung zu steigern.

Die verschiedenen angesprochenen Versuche, Gottes Existenz oder auch Nicht-Existenz zu beweisen, sowie ganz allgemein die wissenschaftlichen Teile des Buchs zeigen, dass der Autor Wissen auf spannende Weise vermitteln kann. Das reicht aber nicht für einen Thriller.
Das Cover ist gut gewählt, aber den Titel finde ich missverständlich, er weckt falsche Erwartungen. Genau so die „Schlagzeile“ auf dem hinteren Cover (Wer nach Gott sucht, wird den Tod finden) – das ist inhaltlich nicht zutreffend.

Zugute halten kann ich dem Buch, dass ich viel gelernt habe, auch über die katholische Kirche, ich hab viel nachgelesen über Physik und Mathematik und auch über Kirchenkritiker.

Bewertung vom 31.07.2021
Gegen alle Regeln / Strafverteidiger Pirlo Bd.1
Bott, Ingo

Gegen alle Regeln / Strafverteidiger Pirlo Bd.1


ausgezeichnet

Unkonventionell und sehr unterhaltsam

Strafverteidiger Dr. Anton Pirlo wird zum Sündenbock und verliert seine Anstellung in einer angesehenen großen Kanzlei. Nach einigen Tagen voller Selbstmitleid und Alkohol nimmt er einen neuen Fall an, der von den Indizien her aussichtslos erscheint. Damit nicht genug, nehmen auch noch seine Brüder Kontakt zu ihm auf, Clan-Mitglieder, von denen er sich sein ganzes Erwachsenenleben fern gehalten und derentwegen er sogar einen anderen Namen angenommen hat.

Selbstironisch, temporeich und spannend erzählt der Autor, selbst erfahrener und erfolgreicher Anwalt, die Geschichte des charismatischen Protagonisten und seiner neuen Co-Anwältin. Details aus dem Privatleben der beiden und die Schilderung der umfangreichen anwaltlichen Arbeit halten sich in diesem Justizkrimi angenehm die Waage. Sehr interessant waren für mich die realitätsnah beschriebene Arbeitsweise der Strafverteidiger in ihrer Wohnzimmerkanzlei, die verschiedenen Arten der Informationsbeschaffung und der Ablauf an den Verhandlungstagen bei Gericht.

Die Protagonisten sind glaubwürdig und authentisch beschrieben, auch die anderen Charaktere werden einfühlsam und lebensnah geschildert, nur die Tatverdächtige in Untersuchungshaft bleibt für mich auf Distanz, vielleicht ist das aber auch beabsichtigt, Herr Dr. Bott?
Auch das treffend eingefangene Düsseldorfer Lokalkolorit hat mich oft schmunzeln lassen. Genau so isset!

Das Cover zeigt ein zersplittertes Bild von Pirlo und zielt vielleicht auf seinen familiären Hintergrund ab. Es gefällt mir nicht, ist aber passend. Die optische Ähnlichkeit zum Autor halte ich für einen augenzwinkernden Marketing-Gag.
Ingo Bott hat einen unkonventionellen und doch gut lesbaren stimmigen Schreibstil, er verwendet oft kurze Sätze, die auch durch Kommata getrennt funktionieren würden, aber so das Tempo erhöhen. Den Lesefluss haben sie für mich nicht beeinträchtigt.
Jedes Kapitel beginnt mit einer Datums- und Ortsangabe, was sinnvoll ist, da der Roman nicht chronologisch erzählt wird. Darüber hinaus ist jedes Kapitel betitelt mit (mindestens) einem wichtigen, zusammenfassenden Schlagwort - unkonventionell und ein Wiedererkennungsmerkmal.

Dieser Justizkrimi der etwas anderen Art hat mich bestens unterhalten, er ist witzig, spritzig, spannend und ich freue mich auf den zweiten Fall für Pirlo.