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Benutzername: 
Stanzick
Wohnort: 
Ober-Ramstadt

Bewertungen

Insgesamt 587 Bewertungen
Bewertung vom 24.06.2019
Walter Knoll
Polster, Bernd

Walter Knoll


ausgezeichnet

Bernd Polster, Walter Knoll. Möbelmarke der Moderne, teNeues 2019, ISBN 978-3-96171-098-0

Den Kennern und Kulturhistorikern, den Innenarchitekten und den Freunden gehobenen Wohnens gilt der Name Walter Knoll als die klassische Möbelmarke der Moderne. Eine Marke, die unter verschiedenen Eigentümern nichts weniger als Klassiker und Ikonen der Avantgarde geschaffen hat. Diese Möbelfirma ist eine der erfolgreichsten der letzten 150 Jahre, auch und gerade weil ihre Möbelstücke sehr oft stilbildend wirkten und das Lebensgefühl der Menschen nachhaltig geprägt haben.

Das vorliegende schwergewichtige und reich illustrierte Buch des bekannten Sachbuchautors Bernd Polster schafft es auf unterhaltsame und informative Weise, dass der Leser die Geschichte des Unternehmens von 1865 bis heute nachvollziehen und auf diese Weise auch ein wichtiges Stück Zeit- und Kulturgeschichte nachvollziehen kann.
Über anderthalb Jahrhunderte wird die Entstehung dieser Möbeldynastie geschildert und eine umfassende Designgeschichte der Marke in Beziehung zu wichtigen kulturhistorischen Entwicklungen dargestellt.

Bernd Polster tut das in drei Abschnitten:

• Erste Moderne 1865 bis 1945
• Zweite Moderne 1945 bis 1993
• Dritte Moderne 1993 bis heute


Das Buch ist für alle Menschen von Interesse, die sich für Möbel und Inneneinrichtungen aller Art begeistern können. Sie werden ihre Freude an den unzähligen Bildern und Zeichnungen haben. Menschen, die über Möbel hinaus ein kulturgeschichtliches Interesse an der Avantgarde der letzten 150 Jahre, insbesondere aber seit Ende des Zweiten Weltkrieges haben, finden in den hohen wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden und dennoch spannenden Texten von Bernd Polster eine anregende und informative Lektüre.

Das Buch lässt den Leser ein Stück Zeit-und Designgeschichte miterleben.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.06.2019
Karo Kanonenkugel und der Löwe
Easton, Grace

Karo Kanonenkugel und der Löwe


ausgezeichnet

Grace Easton, Karo Kanonenkugel und der Löwe, Knesebeck 2019, ISBN 978-3-95728-234-7

Diese schöne und originelle Bilderbuch von Grace Easton, das Kathrin Köller aus dem Englischen übersetzt hat, verbindet mit kräftigen und außergewöhnlichen Illustrationen zwei Themen, die insbesondere für Mädchen interessant sein können. Zum entführt das Buch die es betrachtenden Kinder in die fantastische Welt des Zirkus und zum anderen ist es die Mut machende und anrührende Geschichte eines Mädchen, das in Vielem anders ist als die anderen Mädchen.

Karo, so heißt das Mädchen, ist besonders. Sie ist lustig und mutig, verrückt und auch ein bisschen komisch. Sie lebt im Wald, mag keine Regeln, und kann viele außergewöhnliche Kunststücke. Das Problem ist nur, dass es niemand gibt, der ihr dabei zuschauen könnte.

Eines Tages ziehen Akrobaten, Trompetenspieler, Trommler und Jongleure durch den Wald und sie haben auch einen Löwen dabei. Sie werben für einen Zirkus und Karo beschließt spontan, sich ihnen anzuschließen.

Am Zirkuszelt angekommen, freundet sie sich mit dem Löwen an, ganz ohne Worte. Auch mit einem Mann, der aussieht, als wäre er der Chef, redet sie ohne Scheu, sagt ihm, dass sie jede Menge Kunststücke könne und gerne mit dem Löwen befreundet wäre.

Sie darf ihre Kunststücke vorführen, der Löwe ist sprachlos begeistert, nicht so aber der Mann mit dem großen Hut. Er mag nicht, wenn andere Gefühle füreinander haben. Doch er kann sich Karo für eine ganz besondere Attraktion vorstellen. Sie soll als menschliche Kanonenkugel herhalten. Sie fürchtet sich ein wenig, doch mit dem Trost des Löwen wagt sie es. Es gelingt gut, doch der Mann mit Hut ist nicht zufrieden mit ihrem Auftritt, meckert rum und schickt sie weg.

Doch die anderen Künstler des Zirkus lassen sich das nicht gefallen und der Löwe pustet mit seinem Brüllen den strengen Direktor weg. Er zeigt Karo, dass sie genau so perfekt ist, wie sie ist. Und dann ziehen alle in den Wald. „Jetzt gibt es eine Gruppe von Freunden, die im Wald lebt und keine Regeln mag.“

Ein lustiges, leicht anarchistisches Bilderbuch aus der faszinierenden Welt des Zirkus, in dem ein Löwe und seine Freunde das Selbstbewusstsein eines Mädchens stärken.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.06.2019
Warum merke ich nicht, dass die Erde sich dreht?
Doyle, James

Warum merke ich nicht, dass die Erde sich dreht?


ausgezeichnet

James Doyle, Warum merke ich nicht, dass die Erde sich dreht, Knesebeck 2019, ISBN 978-3-95728-253-8

Mit dem vorliegenden von Claire Goble witzig illustrierten Sachbuch für Kinder ab dem Grundschulalter, das Johanna Ellsworth aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt hat, gelingt es James Doyle auf eine interessante und lockere Weise, Kindern 22 spannende Fragen aus unterschiedlichen Bereichen der Naturwissenschaften zu stellen und sie zu beantworten.

Viele Fragen sind dabei, die sich das eine oder andere Kind, aber auch der interessierte Erwachsene schon gestellt hat. Etwa wie die Berge entstanden sind, warum das Meer blau ist oder woher das Internet kommt und wie es funktioniert.
Das empfehlenswerte Buch deckt auf lustige und interessante Weise alle wichtigen Gebiete der Wissenschaft ab, einschließlich Biologie, Chemie, Physik, Geografie, Technik und Psychologie und es gelingt ihm so, schon Grundschulkinder zu motivieren, die eher ungeliebten naturwissenschaftlichen Fächer ernst zu nehmen und sich für die spannenden Fragen, die sie beantworten können und sich für die faszinierende Welt, die sie eröffnen, zu begeistern.

Auch für die Erwachsenen in der Familie bietet das Buch erstaunliche bisher unbekannte Einsichten.

Es zeigt, dass und wie man auch an Naturwissenschaften einen großen Spaß haben kann.

Bewertung vom 18.06.2019
40 Supertrails in den Alpen
Beimfohr, Gitta;Greber, Markus

40 Supertrails in den Alpen


ausgezeichnet

Gitta Beimfohr, Markus Greber, 40 Supertrails in den Alpen. Epische Pfade für Mountainbiker, Delius Klasing 2019, ISBN 978-3-667-11468-6

Während drei langen Sommern waren die Journalistin Gitta Beimfohr und ihr Fotograf Markus Greber mit ihren Mountainbikes in den Alpen unterwegs, haben unzählige Naturtrail-Abfahrten zwischen den Dolomiten und den Seealpen bei Nizza getestet und dann die 40 landschaftlich schönsten und fahrtechnisch aufregendsten Abfahrten für das vorliegende Buch ausgesucht. Beraten wurden sie dabei von prominenten Fahrern der europäischen Enduro - Elite.

Für erfahrene Mountainbiker, aber auch für Durchschnittsfahrer ist in diesem Buch etwas dabei. Es enthält auf insgesamt 160 Seiten mit unzähligen traumhaften Fotografien:
• Kulttrails für Mountainbiker in Österreich, Frankreich, Italien und der Schweiz
• Mit einer Einstufung zu Kondition, Fahrtechnik, Landschaft und EMTB-Tauglichkeit
• Höhenprofile, 3D-Karten und GPS-Daten erleichtern die Planung der MTB-Tour
• Infos zur Anreise, Übernachtung und Tipps zum Einkehren

Für alle passionierten Mountain-Biker sind diese Kulttrails eine echte Versuchung. Auch für die erfahrenen unter ihnen bietet dieses Buch mit Sicherheit neue Strecken, die sie noch nicht kennen und die die Anschaffung des Buches rechtfertigen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.06.2019
Ich umarme den Tod mit meinem Leben
Sägebrecht, Marianne

Ich umarme den Tod mit meinem Leben


ausgezeichnet

Marianne Sägebrecht, Ich umarme den Tod mit meinem Leben, Gütersloher Verlagshaus 2019, ISBN 978-3-579-07319-4

Es ist schon ein sehr eigenwilliges und ungewöhnliches Buch, das die Autorin und Schauspielerin Marianne Sägebrecht hier im Gütersloher Verlagshaus als eine Art persönliches und spirituelles Vermächtnis vorlegt.

Erwachsen ist es unter anderem aus ihrer langjährigen ehrenamtlichen Arbeit in der Hospizbewegung und ihrem erstaunlich leidenschaftlichen Interesse für andere Menschen. So wie sie in vielen Filmen ungewöhnliche Rollen verkörperte und ihnen einen unverwechselbaren und nachdrücklich im Zuschauer nachwirkenden Charakter gab, so erzählt sie auch in diesem Buch in direktem Dialog mit ihren Lesern von ihren Erfahrungen, ihrer sehr spirituell geprägten Sicht auf das Leben und die Dinge.

Hat man sich einmal auf ihren eigenwilligen Stil eingelassen, wird man von Sägebrechts Worten regelrecht verzaubert. Wenn man offen dafür ist. Denn sie vertritt warmherzig und offen ihren unerschütterlichen Glauben an Gott, an die Unsterblichkeit der Seele, an das Gute im Menschen und an die große Kraft der Liebe.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.06.2019
Ein Sohn ist uns gegeben / Commissario Brunetti Bd.28
Leon, Donna

Ein Sohn ist uns gegeben / Commissario Brunetti Bd.28


ausgezeichnet

Donna Leon, Ein Sohn ist uns gegeben. Commissario Brunettis achtundzwanzigster Fall, Diogenes 2019, ISBN 978-3-257-07060-6

Donna Leons Kriminalromane um den Commissario Guido Brunetti aus Venedig erfreuen mich jedes Jahr im Frühsommer aufs Neue. Habe ich früher schon mal kritisiert, dass seine handelnden Personen, insbesondere Brunetti selbst und seine Familie, aber auch seine Kollegen und Kolleginnen und Vorgesetzten sich über all die Jahre nicht verändern, finde ich das mittlerweile fast angenehm. Das reale Venedig mit seinen Belastungen durch den Tourismus und die drastische Veränderung vieler alter Strukturen kommt seit vielen Jahren in Donna Leons Romane immer wieder kritisch zur Sprache, doch die Personen bleiben immer im gleichen Alter. Brunettis Kinder Chiara und Raffi gehen immer noch in die Schule, seine Frau Paolo lehrt Literatur an der Universität und ihr ganzes Familienleben ist wohltuend konfliktfrei.

Im neuen Buch beginnt die Handlung mit einem Gespräch Brunettis mit seinem adligen und schwerreichen Schwiegervater, dem Conte Falier, der sich Sorgen um einen alten Freund macht, den ehemaligen Galeristen und Kunstkenner Gonzalo Rodriguez de Tejeda. Dieser homosexuelle Mann ist mittlerweile schon 85 Jahre alt und will, wie der Conte erfahren hat, einen 40 Jahre jüngeren adligen Mann als seinen Sohn adoptieren. Dem Conte gefällt das gar nicht und er bittet Brunetti, ihn etwas abseits der normalen dienstlichen Wege dabei zu unterstützen, mehr über diesen jungen Mann herauszufinden, um seinen Freund von seinen Absichten abzubringen

Brunetti sieht sich schnell in der Zwickmühle. Einerseits will er seinem Schwiegervater helfen, andererseits seine dienstlichen Pflichten nicht verletzen. Doch es gelingt ihm, einen Mittelweg zu finden. Natürlich tauchen alle aus den früheren Romanen bekannten Charaktere aus seiner Dienststelle wieder auf, und Brunettis Chef Patta zeigt sich von einer bisher kaum an ihm wahrgenommenen menschlichen Seite, als er in einer Nebenhandlung, die andere zu einem ganzen Buch verarbeitet hätten, seinen Commissario mit einem eher privaten Auftrag konfrontiert.

Immer mehr wird in Leons letzten Romanen die philosophische Seite ihres aus einfachen Verhältnissen stammenden hochgebildeten und menschenfreundlichen Commissarios lebendig. Seine Nachdenklichkeit und seine Gedanken, seine Art zu ermitteln und mit Menschen umzugehen, haben aus Leons Romanen eine ganz eigene spezifische Form des Kriminalromans gemacht, in dem das Verbrechen nur eine Variante möglicher seltsamer Verhaltensweisen ist, die Menschen an den Tag legen. Auch der vorliegende achtundzwanzigste (!) Fall kommt über lange Zeit ganz ohne ein klassisches Verbrechen aus. Der Mord am Ende kommt überraschend, führt aber letztendlich dazu, dass die vorher lange mit allen Hintergründen erzählte Geschichte von Gonzalo in ll seinen Verwicklungen und Geheimnissen klarer wird.

Der Roman war für mich eine unterhaltsame Lektüre, auf die ich mich schon seit der Verlagsankündigung gefreut habe. Ich lese Leons Bücher auch schon lange nicht mehr als Krimis, sondern als Milieustudien einer verfallenden Stadt und als Charakterstudien von interessanten Menschen.

Es scheint, als würden Leons Figuren mit jedem neuen Buch nachdenklicher und weiser. Vielleicht haben sie das mit ihrer Schöpferin gemeinsam.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.06.2019
Das Glück des Augenblicks
Augé, Marc

Das Glück des Augenblicks


ausgezeichnet

Marc Auge, Das Glück des Augenblicks. Liebeserklärung an den Moment, C.H. Beck 2019, ISBN 978-3-406-73135-8

Die Menge der in jedem Jahr zuverlässig erscheinenden Glücksratgeber ist unüberschaubar. Ihre schiere Zahl und die Tatsache, dass sehr viele Verlage solche Bücher in ihrem Programm haben (manche bestreiten es ausschließlich mit solchen Büchern), zeigt ein Bedürfnis vieler Menschen an, über ihr von Hektik und Stress geprägtes Leben nachzudenken und zeigen ihre Hoffnung, in den Ratgebern einen Hinweis dafür zu finden, wie sie aus dem Hamsterrad ihres Alltags aussteigen und wieder einen Sinn für ihr Leben finden können.

Der französische Intellektuelle Marc Auge gilt als Begründer einer Ethnologie des Nahen. Er ist sozusagen ein Anthropologe des Augenblicks, der in kurzen Momenten, flüchtigen Sinneseindrücken und allzu zerbrechlichen Erinnerungen Zeitfenster des Lebens sucht und entdeckt, die den Widrigkeiten des Lebens und der menschlichen Existenz Widerstand bieten und um derentwillen, so ist er überzeugt, es sich zu leben lohnt.

Mit seinem auch stark biographisch geprägten Essay, den er eine „Liebeserklärung an den Moment“ nennt, decouvriert der altersweise Marc Auge die herkömmlichen Glücksversprechen der mannigfaltigen Ratgeber und sonstiger „Glücksverwalter“ als leer und ohne wirkliche Substanz.

In insgesamt 11 Teilen seines Essays spürt Marc Auge sensibel und aufmerksam den großen und den kleinen Momenten der Menschlichkeit nach. Oft sind es unscheinbare, nicht selten Sekundenaugenblicke währende Situationen und Wahrnehmungen, die uns als Menschen glücklich machen. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie, anders als die unzähligen Werbeversprechen für persönliches Glück, immateriell sind.

Da ist der tiefe Eindruck einer wunderbaren Landschaft, ein Lied, ein geschmackvolles Gericht, da ist das unvergessene Wort oder die Umarmung eines lieben Menschen. Für mich persönlich etwa wird das Erlebnis der Geburt meines Sohnes solch eine Erfahrung bleiben, die mich bis zu meinem Tod beglücken wird. Viele solcher kleinen Schätze können wir in der Kammer unserer Erinnerung sammeln und sie immer wieder wachrufen. Denn erst wenn diese flüchtigen Augenblicke des Glücks vergangen sind, wird uns klar, wie notwendig und wertvoll sie sind.

Ein nachdenkliches Buch, das den kleinen unscheinbaren Dingen des Lebens und der Welt ihre wahre Bedeutung zurückgibt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.06.2019
All das zu verlieren
Slimani, Leïla

All das zu verlieren


ausgezeichnet

Leila Slimani, All das zu verlieren, Luchterhand Verlag 2019, ISBN 978-3-630-87553-8

Nach ihrem großen Erfolg „Dann schlaf auch du“ hat sich der Luchterhand Verlag in München entschlossen, nun auch Leila Slimanis ersten in Frankreich schon 2015 erschienenen Roman unter dem deutschen Titel „Alles zu verlieren“ zu veröffentlichen. Schon in diesem Erstling zeigt sich die enorme erzählerische Kraft der 1981 in Rabat in Marokko geborenen und nun mit ihrer Familie in Paris lebenden Schriftstellerin.

Selten zuvor hat eine Schriftstellerin die weibliche Perspektive einer destruktiven und gewaltbreiten Sexualität mit ihren selbstzerstörerischen Folgen so überzeugend, aber schockierend zu Papier gebracht und beschrieben. Zu lesen, was sich die Protagonistin Adele in ihrem suchthaften Begehren, das man kaum mehr als solches akzeptieren mag, antut, ist über weite Strecken verstörend.

Adele ist eine Journalistin, die den Job in ihrer Redaktion durch Beziehungen ihres Ehemannes bekommen hat. Ihr Arbeitsleben und auch ihr Ehe- und Familienleben öden sie an. In einer ärmlichen Arbeiterfamilie aufgewachsen, hat sie immer von dem geträumt, was sie jetzt hat. Einen erfolgreichen Arzt als Ehemann, einen süßen und gesunden kleinen Sohn und genug Geld, sich alle Träume zu erfüllen.

Doch sie langweilt sich hier wie dort und gibt sich einer selbstzerstörerischen Sexsucht hin. Sie muss zwanghaft mit möglichst vielen, oft ihr auch völlig fremden Männern schaffen, nicht selten brutal und ungeschützt und meist unter erheblichem Konsum von Alkohol. Sie tut das alles hinter dem Rücken ihres Mannes während dessen Nachtdiensten und unter erheblicher Vernachlässigung ihres kleinen Sohns. Was sie da treibt ist abstoßend und man fragt sich, wieso sie so geworden ist. Etliche Rückblicke in ihre Kindheit und Jugend geben aber für die Entstehung ihrer Sucht kaum Aufschluss.

Während Adele regelrecht läufig durch Paris streift auf der Suche nach dem nächsten beliebigen Mann, der sie benutzen darf, träumt ihr als Arzt sehr erfolgreicher Mann Richard davon, aufs Land zu ziehen und sich in eine Klinik einzukaufen und mit Adele ein weiteres Kind zu haben. Es ist ihm nicht klar, dass er seine Frau mit diesen immer wieder verbindlich vorgetragenen Plänen immer weiter in die Einsamkeit ihrer Sucht drängt.

Die Sucht wird stärker und stärker, der Sohn und die Arbeit lästig, das Lügenkonstrukt immer brüchiger und irgendwann bricht es in sich zusammen. Alles fliegt auf.

Dann macht Leila Slimani in der Handlung einen radikalen Schnitt. Wo der Leser erwartet hatte, der Arzt hätte Adele den Laufpass gegeben, leben sie jetzt alle in einem schönen Haus auf dem Land und Adele bemüht sich, eine ordentliche Ehefrau zu sein. Er kontrolliert sie Tag und Nacht, was sie akzeptiert, weil sie Angst hat, „all das zu verlieren“, was ihr eben auch wichtig ist, ihren Sohn und ihre Familie.

Als ihr Vater stirbt, erlaubt Richard Adele, alleine zu dessen Beerdigung zu reisen. Schon als sie aufbricht, ahnt man, dass nichts vorbei ist, dass sie wieder rückfällig werden und den lange erfolgreichen Kampf gegen ihre Sucht verlieren wird.

Der Schluss des Buches lässt offen, wie das Leben von Adele weitergehen wird und deutet an, dass es auch in dieser Form der Sexsucht eine Co-Abhängigkeit gibt.

Zurückbleibt ein erschütterter Leser, der angesichts der Ausweglosigkeit des Schicksals der Protagonistin und ihrer Familie sich fragt, ob es für eine solche Sucht wirklich keine Heilung gibt.

Leila Slimani jedoch enthält sich jeglichen Urteils. Nüchtern und schmerzhaft beschreibt sie Adeles Schicksal aus einer streng weiblichen Perspektive. Das Porträt einer zerrissenen Frau. Wie viele von mögen unsichtbar unter uns leben?

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.