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Klara

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Insgesamt 174 Bewertungen
Bewertung vom 17.02.2017
Gefährliche Empfehlungen / Xavier Kieffer Bd.5 (eBook, ePUB)
Hillenbrand, Tom

Gefährliche Empfehlungen / Xavier Kieffer Bd.5 (eBook, ePUB)


gut

Das Geheimnis des blauen Buches
Der berühmte luxemburgische Koch Xavier Kieffer wollte eigentlich nur mit seiner Freundin Valérie Gabin in Paris ein rauschendes Fest im neuen Firmengebäude des Guide Gabin feiern, aber es kommt anders. Der Koch wird auch in "Gefährliche Empfehlungen", Tom Hillenbrands fünftem kulinarischem Krimi um Xavier Kieffer, wieder zum Ermittler. Zu dem Großereignis ist viel Prominenz eingeladen, alles was in der Restaurantszene Rang und Namen hat, auch der Food-Kolumnist von "Le Monde", der Ex-Präsident und der aktuelle Amtsinhaber Allégret, der mit Valerie Gabin befreundet ist, sind gekommen. Die Sicherheitsvorkehrungen sind an diesem Abend besonders streng. Dennoch kommt es zu einem Zwischenfall. Ein radikaler Aktivist stürmt auf die Bühne, und während eines kurzen Stromausfalls wird der Guide Gabin aus dem Jahre 1939 gestohlen. Das sehr wertvolle Buch ist eine Leihgabe, was die Angelegenheit besonders brisant macht. Die Romanhandlung beginnt jedoch nicht mit dem Festakt und dem Diebstahl, sondern setzt aus zunächst unbekannten Gründen im Zweiten Weltkrieg ein, wo Captain John Fischer darauf wartet, mit seinem kleinen Radioempfänger über Radio Londres wichtige Informationen zu erhalten, die er später in sein Buch mit dem kobaltblauen Einband eintragen wird. Nur sein Divisionskommandant weiß, dass er nicht für die Army, sondern für jemanden in Washington D.C. arbeitet. Was haben die beiden so verschiedenen Handlungsstränge miteinander zu tun? Als ein Mord geschieht beginnt Kieffer zu recherchieren, auch, weil der Präsident um Hilfe in der Sache gebeten hat. Er findet heraus, dass der Gabin von 1939 die letzte Ausgabe vor dem Krieg war und dass es, aus welchen Gründen auch immer, zwei Fassungen davon gibt.
Tom Hillenbrand gelingt es, neben der Suche nach dem Guide Gabin kulinarische Themen und die örtlichen Gegebenheiten zu einem interessanten, wenn auch überladenen Plot zu vermischen. Es wird getrunken, gegessen, viel geraucht und auch der Humor bleibt nicht auf der Strecke. Hillenbrand bedient sich in dem vorliegenden Roman der Geschichte des Guide Michelin. Sein ehemaliger Sternekoch gerät in lebensgefährliche Situationen, die er mit einer Portion Glück, durch wundersame Zufälle und mit List überlebt. Hilfreich ist das Glossar am Ende des Buches. Ich habe neben „Teufelsfrucht“ "Drohnenland" - für mich das beste Buch des Autors - und "Der Kaffeedieb" gelesen und wurde auch mit „Gefährliche Empfehlungen“ gut unterhalten.

Bewertung vom 16.02.2017
Rain Dogs / Sean Duffy Bd.5
McKinty, Adrian

Rain Dogs / Sean Duffy Bd.5


sehr gut

Tod einer Journalistin
In Adrian McKintys neuem Roman “Rain Dogs“ steht wieder der sympathische Inspector Sean Duffy vom Revier in Carrickfergus im Mittelpunkt. Sein neuester Fall ist der rätselhafte Tod der Journalistin Lily Bigelow, die eine finnische Delegation von potentiellen Investoren begleitet und darüber für ihre Zeitung berichtet. Die wirtschaftlich gebeutelte Region kann die Ansiedlung neuer Firmen dringend gebrauchen. Die Gruppe besichtigt nicht nur stillgelegte Fabriken, sondern auch die Burg Carrickfergus. Im Hof der Burg wird am nächsten Morgen die Leiche der Journalistin gefunden. Niemand konnte das Gelände außerhalb der Öffnungszeiten betreten oder verlassen. Deshalb scheint Selbstmord die einzig mögliche Todesursache zu sein. Duffy kann nicht glauben, dass sich die attraktive lebenslustige Journalistin von der Burgmauer gestürzt haben soll. Bald gibt es jedoch Indizien für einen Mord, aber wie war das möglich?
Duffy ermittelt wie immer gründlich und stur in alle Richtungen, unterstützt von seinen Mitarbeitern, vor allem dem sehr fähigen Neuzugang Lawson. Er findet Hinweise, dass Bigelow an einer sehr brisanten Geschichte arbeitete und jemand großes Interesse daran hatte, dass diese nicht bekannt wurde, weil eine Reihe von hochgestellten Persönlichkeiten und Regierungskreise darin verwickelt waren. Es gelingt Duffy trotz aller Behinderungen seiner Arbeit den Mörder zu ermitteln, der sich allerdings einem Prozess und einer Verurteilung durch Flucht entzieht.
McKinty ist in mehrfacher Hinsicht ein außergewöhnlicher Thriller von hoher Qualität gelungen. Der Autor verbindet historische Fakten der 80er Jahre mit einem fiktiven Kriminalfall. Es gab damals einen unglaublichen Skandal, in den Prominente verwickelt waren und der jahrzehntelang vertuscht wurde. Die Behörden und andere Institutionen schauten weg, keiner glaubte den Opfern, oder die Ermittlungen verliefen immer wieder im Sand. Die in diesem Zusammenhang genannten Personen sind genauso real wie die Troubles, die zum Zeitpunkt der Ereignisse des Romans, also 1987 noch andauerten und noch 11 weitere Jahre anhalten sollten – bis zum Good Friday Agreement des Jahres 1998. Der Roman besticht jedoch nicht nur durch Authentizität, sondern wie immer auch durch sorgfältige Charakterisierung der Figuren und trotz der finsteren Ereignisse durch Humor und Sprachwitz. Ein sehr empfehlenswerter Thriller.

Bewertung vom 16.02.2017
DEAR AMY - Er wird mich töten, wenn Du mich nicht findest
Callaghan, Helen

DEAR AMY - Er wird mich töten, wenn Du mich nicht findest


sehr gut

Vom Erinnern und Vergessen
In Helen Callaghans Erstlingsroman “Dear Amy“ geht es um einen Serientäter, der in Cambridge und Umgebung junge Mädchen entführt und gefangen hält. Der Roman beginnt mit einem Prolog, der die Entführung der 15jährigen Katie Browne aus ihrer Sicht beschreibt. Katie wollte nach einem Streit mit der Mutter und ihrem Partner Brian von zu Hause weglaufen, entscheidet sich dann aber zurückzugehen. In diesem Augenblick wird sie von einem Unbekannten überwältigt und entführt. In den folgenden Wochen glauben weder die Polizei noch die Presse und die meisten von Katies Bekannten an ein Verbrechen. Nur Katies Lehrerin Margot Lewis ist in größter Sorge um ihre Schülerin, zumal sie in ihrer Eigenschaft als Kummerkastentante beim Cambridge Examiner plötzlich Briefe von Bethan Avery, einem vor nahezu zwanzig Jahren entführten Mädchen erhält, die sie in Todesangst bittet, sie zu retten. Margot drängt die Polizei, DNA- und Schriftprobenvergleiche vorzunehmen. Tatsächlich ermittelt die Polizei dann in Katies Fall und untersucht eine Reihe von nie aufgeklärten alten Fällen verschwundener Mädchen. Raffiniert hat es die Autorin so eingerichtet, dass der Leser durch den Prolog einen Informationsvorsprung vor allen Beteiligten hat. Er allein weiß, dass Katie in Lebensgefahr ist.
Überwiegend wird die Geschichte aus Margots Perspektive erzählt. Wir sehen, dass Katies Entführung sie in eine persönliche Krise stürzt, dass Panikattacken und Alpträume ihr Leben zunehmend beeinträchtigen. Häppchenweise bekommt der Leser die Information, dass sie eine Vorgeschichte von psychischen Störungen und Klinikaufenthalten hat. Unterstützung findet Margot bei dem Kriminalpsychologen Dr. Martin Forrester. Er begleitet sie bei ihren verzweifelten Bemühungen, Katie rechtzeitig zu finden. In der zweiten Hälfte wird der Roman durch zahlreiche überraschende Wendungen immer packender bis hin zum großen Finale.
Callaghans Psychothriller liest sich gut und überzeugt vor allem durch den weitgehenden Verzicht auf die detaillierte Darstellung von physischer Gewalt. Stattdessen konzentriert sich die Autorin auf die psychischen Folgen von Verbrechen bei den lebenslang traumatisierten Opfern. Gut informiert beschreibt sie psychische Überlebensstrategien wie Verdrängung und Dissoziation. Ein wirklich vielversprechendes Debüt.

Bewertung vom 29.10.2016
Brot backen in Perfektion mit Hefe
Geißler, Lutz

Brot backen in Perfektion mit Hefe


ausgezeichnet

Das Brotbackbuch "Plötz-Prinzip! Brot backen in Perfektion" Vollendete Ergebnisse statt Experimente von Lutz Geißler ist recht handlich und auf sehr gutem Papier gedruckt. Zwei verschiedenfarbige Lesebändchen erleichtern das Blättern zwischen den Grundschritten und dem Rezept. Das Buch ist 192 Seiten stark. Am Ende steht eine Umrechnungstabelle, die es ermöglicht, Teige bis zu 5 kg herzustellen, danach folgt das Register. Zum Schluss verweist der Autor auf verschiedene hilfreiche Internetseiten, z. B. seinen Blog, seine anderen Brotbackbücher und auf eine Zubehörseite. Vom ersten Eindruck her ist das Buch schon einmal ein Hingucker, vor allem wegen der hervorragenden Fotos. Nach einem kurzen Vorwort erhält der Hobbybäcker interessante Informationen u.a. zu den wichtigsten Utensilien, die benötigt werden, einen Exkurs: Backen im Topf und einen Exkurs: Mehle. Die Standardanleitungen für den Brotteig auf S. 22 und für den Brötchenteig auf S. 118 sind einfach und Schritt-für-Schritt erklärt. Wenn man sich genau daran hält, gelingt selbst einem Anfänger alles. Das Ergebnis ist unglaublich schmackhaft und überzeugend. Insgesamt umfasst das Brotbackbuch 70 Rezepte für Baguettes, Brötchen, Hörnchen, Körner- und Mischbrote u.v.a.m.

Mein erstes Brot war das Mischbrot mit Roggen auf S. 64. Das ist mir sehr gut gelungen und schmeckte hervorragend. Für mein zweites Brot habe ich mir im Vorfeld die Videoanleitungen des Autors auf seinem Blog angesehen. Danach ging mir alles wesentlich leichter von der Hand. Der Teig klebt nicht mehr so sehr, weil ich ihn jetzt richtig dehne und falte, außerdem bekommt das Brot eine wesentlich bessere Form. Weil ich schon seit längerer Zeit mein Brot selber backen möchte und endlich das richtige Buch dazu in der Hand habe, habe ich mir einen Brotbackstein aus Schamotte gekauft und backe nicht in Töpfen. Backen mit dem Brotbackstein ist einfach und sehr empfehlenswert. Hierüber hat der Autor in seinem Buch nichts geschrieben, was ich nicht als Manko empfinde. Wer nur ab und zu ein Brot backen möchte, braucht keinen Backstein, für den sind die Anleitungen für das Backen im Topf nützlicher. Es gibt verschiedene Brotbackbücher, aber keins ist so wie dieses.

Der Autor, ursprünglich Geologe, veröffentlicht seit 2009 seine Rezepte, gibt Brotbackkurse in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die regelmäßig ausgebucht sind. Sein Blog (ploetzblog.de) wird monatlich von etwa 70.000 Lesern besucht. Hier mal reinzuschauen kann ich auch sehr empfehlen. Dort kann man stundenlang stöbern und sich Anleitungen und auch weitere Rezepte herunterladen, aktuell sind 756 Rezepte gelistet. 2013 ist "Das Brotbackbuch Nr. 1" erschienen, verkaufte sich über 55.000 Mal und wurde von der Gastronomischen Akademie Deutschlands 2014 mit der Goldmedaille ausgezeichnet, im April 2015 erschien "Das Brotbackbuch Nr. 2". Das alles zeigt, wie erfolgreich der Autor ist und wie gut seine Rezepte ankommen. Ich bin jedenfalls begeistert und werde seine künftigen Veröffentlichungen im Auge behalten und vielleicht mal einen seiner Backkurse besuchen.

Bewertung vom 12.08.2016
The Girls
Cline, Emma

The Girls


gut

Im Mittelpunkt von Emma Clines vielbeachtetem Debütroman “The Girls“ steht die 14jährige Evie Boyd. Sie befindet sich gerade in einer Übergangsphase, kein Kind mehr, aber auch noch keine Erwachsene. Ihre Familie ist zerbrochen, die Eltern frisch geschieden. Sie sehnt sich nach Liebe und Bestätigung, aber ihre Eltern geben ihr nicht den dringend benötigten Halt. In dieser Situation ist sie das ideale Opfer für die Verlockungen einer Sekte. Sie lernt einige Anhängerinnen des Sektenführers Russell kennen und verbringt einen Sommer auf der Farm, auf der sich die Kommune eingerichtet hat. Schon bald gibt sie die Kontrolle über ihr Leben ab und macht alles mit, was von ihr verlangt wird. Das Besondere an dieser Geschichte ist, dass sie nicht vom Anführer der Sekte und seinen Lehren fasziniert ist, wie man erwarten könnte, sondern von Suzanne, einem 19jährigen Mädchen. Da die Autorin sich von Charles Manson und seiner Sekte hat inspirieren lassen, endet die Sache blutig mit einigen grausamen Morden. Der Sommer 1969 ist die Zeit, in der sich Evies Leben entscheidend und für immer ändert.
Die Autorin erzählt die Geschichte im Rückblick aus der Perspektive der erwachsenen Evie, die durch zwei junge Leute im Haus eines alten Freundes mit ihrer Vergangenheit konfrontiert wird. Die Szenen in der Erzählgegenwart zeigen, dass Evie ihr Leben nie wieder in den Griff bekommen hat, dass sie unter diffusen Ängsten und Panikattacken leidet. Das Porträt der jungen Evie und der Frau in mittleren Jahren ist der Autorin gut gelungen.
Allerdings gibt es auch einiges, was mir nicht gefallen hat. Die langen Rückblenden sind nicht spannend zu lesen, vor allem deshalb nicht, weil durch allerlei deutliche Hinweise und explizite Vorausdeutungen schon frühzeitig klar ist, worauf alles hinausläuft. Eine chronologische Erzählung eignet sich wesentlich besser zum Spannungsaufbau. Hinzukommt, dass mir Evie nicht besonders sympathisch ist. Keine Figur dieses Romans bietet Identifikationsmöglichkeiten oder eignet sich als Sympathieträger. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, ob wohl jugendliche Leser hier die intendierte Zielgruppe sind. Insgesamt bin ich eher enttäuscht, weil ich mehr und anderes erwartet habe.

Bewertung vom 28.06.2016
Die Frau, die allen davonrannte
Snyder, Carrie

Die Frau, die allen davonrannte


ausgezeichnet

In Carrie Snyders Romandebüt “Die Frau, die allen davon rannte“ geht es um Aganetha Smart, die 1928 als 20jährige in Amsterdam die Goldmedaille über 800m gewann. Der Medaillengewinn und der damit verbundene Ruhm war der Höhepunkt eines langen Lebens, denn Aganetha ist inzwischen 104 Jahre alt und lebt in einem Pflegeheim. Sie hat ihren großen Augenblick um mehr als 80 Jahre überlebt. Niemand erinnert sich mehr daran, wer sie einmal war – bis auf Max und Keyla, die sie eines Tages besuchen, um angeblich eine Spazierfahrt mit ihr zu machen. Aganetha kennt sie nicht, ist aber dankbar für die Abwechslung in ihrem eintönigen Alltag. Die jungen Leute haben sie ganz bewusst aufgespürt, um sie zu befragen und einen Film zu drehen. Wie sich gegen Ende des Romans zeigt, verfolgen sie dabei ihre eigenen Ziele.
Aus Aganethas Sicht erzählt der Roman auf zwei Zeitebenen die Geschichte ihres Lebens, von ihrer Kindheit und Jugend auf der Farm, dem Leben in der Großfamilie mit den Kindern aus der ersten und zweiten Ehe des Vaters bis zum Endpunkt der Entwicklung, der Rückkehr der alten Dame auf die Farm ihrer Familie. Aganetha wird dadurch mit Geschehnissen in der Vergangenheit konfrontiert, die sie ein Leben lang verdrängt hat. Ihr Geheimnis erfährt am Ende nur der Leser.
Der Roman behandelt eine Vielzahl von Themen, vor allem natürlich die Besessenheit der Protagonistin vom Laufen. Sie kann nie damit aufhören. Ihr Denken kreist auch im hohen Alter noch immer ständig darum, obwohl es physisch nicht mehr möglich ist. Daneben spielen Themen wie Freundschaft und Liebe, die damalige Schwierigkeit für Frauen, sich als Sportlerin zu behaupten und generell die weitgehende Unmöglichkeit, ein selbstbestimmtes Leben zu führen eine Rolle, aber auch die Folgen der Weltwirtschaftskrise und der 1. Weltkrieg. Die Autorin hat gründlich recherchiert und vermittelt vor allem die sportliche Seite – sie ist selbst Läuferin – sehr authentisch.
Mich hat das in den historischen Kontext eingebettete Porträt einer außergewöhnlichen Frau beeindruckt und berührt. Ich empfehle den Roman ohne Einschränkung.

Bewertung vom 13.06.2016
Die Sommer mit Lulu
Nichols, Peter

Die Sommer mit Lulu


gut

In Peter Nichols Roman “Die Sommer mit Lulu“ (Originaltitel: The Rocks) geht es um Lulu Davenport und Gerald Rutledge, deren Ehe noch während der Hochzeitsreise im August 1948 scheiterte. Beide haben Mallorca nie verlassen, leben noch immer im gleichen Ort, haben sich aber seitdem kaum jemals gesehen. Lulu hat die von Gerald so dringend gewünschte Aussprache über ein Geschehnis in der Vergangenheit immer verweigert. Als sie beide schon in den 80ern sind und ihre Ehe fast 60 Jahre zurückliegt, begegnen sie sich eines Tages durch Zufall. Gerald will das Gespräch erzwingen. Sie streiten und stürzen von den Klippen ins Meer.
Das besondere an diesem Roman ist seine ungewöhnliche Erzählstruktur. Der Autor erzählt die Geschichte rückwärts, beginnend im Jahr 2005 mit dem Tod der beiden Protagonisten bis zum Jahr 1948, als ein noch unbekanntes Ereignis die Liebenden für immer trennte. Niemand weiß, was damals passiert ist, auch nicht Aegina , Geralds Tochter aus zweiter Ehe mit der Spanierin Paloma und auch nicht Luc, Lulus Sohn aus der kurzen Ehe mit Bernard. Der Leser verfolgt die Geschichte, bewegt sich auf diesen alles entscheidenden Moment zu und gewinnt somit Erkenntnisse über etwas, das längst passiert ist, nicht über ein Geschehen in der Zukunft. Der Autor macht deutlich, worum es ihm geht. Er stellt ein Zitat aus dem Ithaka-Gedicht von Konstantinos Kafavis an den Anfang. Nicht das Ziel ist das Entscheidende, sondern der Weg dorthin, d.h. wichtige Erfahrungen und ein Zugewinn an Erkenntnissen.
In dem Roman spielen nicht nur die genannten Personen eine Rolle, sondern eine Vielzahl von Freunden, die jahrzehntelang die Sommer in dem von Lulu geführten Hotel Los Roques verbringen. Hier findet jeder von ihnen Aufnahme – auch in schwierigen Lebenssituationen und ohne finanzielle Mittel. Die Sommer auf einer wunderschönen Insel vor ihrer touristischen Erschließung mit Wein, Weib und Gesang sind eine Seite. Es gibt aber auch noch eine dunklere, die von sexuellen Übergriffen inklusive Vergewaltigung über Drogenschmuggel bis zu einem betrügerischen Grundstücksdeal reicht, bei dem Gerald seinen geliebten, jahrzehntelang gehegten Olivenhain für eine lächerliche Summe zugunsten einer nicht gewollten massiven Bebauung einbüßt.
Weitere Themen sind Geralds schriftstellerische Tätigkeit und seine Segeltouren auf den Spuren des Odysseus. Er hat darüber ein hoch gelobtes Werk geschrieben, das später noch einmal neu aufgelegt wird. Segeln und die Antike sind wichtige Themen im Roman.
Der umfangreiche Roman liest sich nicht schlecht, erfordert aber etwas Geduld. Am Ende gibt es mit der Rückkehr zum Jahr 2005 einen positiven Ausblick. Ein ungewöhnliches Buch.

Bewertung vom 18.07.2015
STRAFE (Restexemplar)
Polanski, Paula; Nesser, Hakan

STRAFE (Restexemplar)


ausgezeichnet

In dem neuen Roman „Strafe“ von Hakan Nesser, den er zusammen mit der deutschen Publizistin Paula Polanski geschrieben hat, begegnen wir dem zweiundsechzigjährigen Schriftsteller Max Herrgott Schmeling. Am fünften September 2013 erhält er über seinen Verlag einen Brief seines früheren Klassenkameraden Tibor Schittkowski, dem er wahrscheinlich vor fünfundvierzig Jahren das letzte Mal begegnet ist. Tibor schreibt, dass er ihm (Max) zweimal das Leben gerettet habe, dass er seine Hilfe brauche und, …“es gibt da etwas, was ich noch in Angriff nehmen muss. Und dabei brauche ich deine Hilfe . (S. 10) Max erinnert sich, dass er Tibor nicht besonders mochte. Wegen seines ungewöhnlichen Nachnamens wurde er früher von einigen Leuten Scheißhaufen genannt. „Und so kommt es, dass er eine gute Stunde später mit dem sterbenden Scheißhaufen Tibor Schittkowski vereinbart, sich mit diesem in dessen Zuhause im früheren Pokerwald in Gimsen zu treffen.“ (S. 19) Max begibt sich auf eine Reise in die Vergangenheit, an deren Beginn er von Tibor herzlich empfangen wird. Tibor ist an ALS erkrankt und sitzt im Rollstuhl. Er hat für Max einen Bericht über sein Leben verfasst, und wenn er ihn gelesen hat, teilt Tibor ihm mit, um was es ihm geht und wofür er einen Helfer braucht. Max ahnt da noch nicht, dass nach der Lektüre dieser fünfzig beschriebenen DIN-A4-Seiten sein Leben vollkommen aus der Bahn gerät.

Der Roman „Strafe“ von Hakan Nesser & Paula Polanski ist hervorragend. Er besticht durch Intelligenz, eine verzwickte Handlung und interessante Wendungen. Nesser führt den Leser über mehrere Kapitel auf eine falsche Fährte, stellt Fallen und zeigt wieder einmal, dass er ein Garant für anspruchsvolle Literatur ist. "Strafe" ist mehr ein Rätsel, eine Detektivgeschichte, und die Auflösung dieses Rätsels ist der Beginn der Geschichte. Es geht auch um die großen Enttäuschungen des Lebens, die man anderen, ob nun bewusst oder unbewusst, mit seinen Entscheidungen zufügt. Dass daraus ein großes Potential an Rachegedanken entstehen kann, lernt der Protagonist am eigenen Leib kennen. Nesser ist ein hervorragender Menschenkenner, der in die Abgründe der menschlichen Seele blickt. Und wer ist nun Paula Polanski? Warum möchte sie anonym bleiben? Sie bleibt lange anonym. Ein Geniestreich, den man am Ende des Buches erkennt. Ich gebe eine uneingeschränkte Leseempfehlung für diesen wunderbaren Roman.

Bewertung vom 18.07.2015
Heimweh
Raabe, Marc

Heimweh


ausgezeichnet

Der neue Psychothriller "Heimweh" des Kölner Bestsellerautors Marc Raabe beginnt mit einem düsteren Prolog, der im September 1981 spielt. Ein noch namenloser 13jähriger Junge wird von einem Jugendlichen entführt, der eine Maske trägt. Wenig später wird er in eine Grube geworfen und bei lebendigem Leib begraben.

Noch immer quälen den 45jährigen Jesse Berg Alpträume, noch immer meint er die Erde zu schmecken. Selbst 32 Jahre später quälen ihn die Ereignisse von damals. Heute arbeitet er in Berlin und ist ein erfolgreicher Kinderarzt. Von seiner Ehefrau Sandra, die er damals im Kinderheim Adlershof in Garmisch-Partenkirchen kennengelernt hat, lebt er getrennt. Um die gemeinsame Tochter Isa kümmert er sich liebevoll. Als er eines Abends zu spät zu einem vereinbarten Treffen erscheint, ist Sandra ermordet und Isa entführt worden. Über ihrem Bett steht in roten Druckbuchstaben: Du hast sie nicht verdient. Jule, Sandras beste Freundin, erscheint zufällig zur gleichen Zeit in Sandras Wohnung und vermutet, dass Jesse sie ermordet hat. Da er die Polizei nicht informieren will und Jule misstraut, zwingt er sie, mit nach Garmisch-Partenkirchen zu fahren. Irgendjemand aus seiner Vergangenheit scheint noch eine Rechnung mit ihm offen zu haben. Fast zeitgleich erhält der frühere Heimleiter Artur Messner eine Schachtel mit einer abgetrennten Hand. Er erkennt sie als die seines früheren Schulkameraden Wilbert. Artur, Wilbert, sein Bruder Herman und Sebi Kochl waren Mitte der 50er Jahre Freunde. Doch warum schickt man jetzt Artur Wilberts abgetrennte Hand? Als er dann auch noch einen Anruf bekommt und der Absender des Päckchens nach der Adresse von Jesse fragt, ahnt er, dass ihn die Geister der Vergangenheit einholen werden.

Heimweh verspürt man, wenn man vereinsamt ist, und in der Fremde ist es die Sehnsucht nach der Heimat, nach einem sicheren Hafen, den man in der Kindheit hatte. Der Titel zu Marc Raabes neuem Psychothriller hat jedoch eine vollkommen andere Bedeutung, denn Jesse Berg hat auf keinen Fall Heimweh nach Adlershof. Hier geschah vor vielen Jahren ein schrecklicher Unfall, wenn man ihn als solchen bezeichnen kann, und seitdem fehlt ihm die Erinnerung an die Zeit davor. Niemand hat ihm bis heute erzählt, was wirklich geschehen ist. Er weiß nur, dass er eine Narbe hat, die vielleicht von einem Messerstich, einem Schrauberzieher oder einem Schuss mit einer Armbrust herrührt. Neben anderen Verletzungen hatte er einen Schädelbruch, der zu seiner Amnesie führte.

Es ist eine große Hilfe für den Leser, dass der Autor Datumsangaben zu den einzelnen Kapiteln macht. Das erleichtert die zeitliche Zuordnung der Ereignisse. Die Geschichte wird nämlich auf zwei Zeitebenen erzählt. Zum einen ist der Leser bei Jesse und Artur in der Gegenwart, zum anderen wird die Vergangenheit in dem Heim Adlershof in der Zeit von 1979 bis 1981 erzählt. Dieser Erzählstrang endet mit dem Prolog, der den Leser vor die Frage stellt, wer das Opfer ist und ob es überlebt. Eins ist jetzt schon klar: die Zustände im Heim Adlershof waren nicht idyllisch und geben keinen Anlass zu nostalgischen Gefühlen. Die einzelnen die Vergangenheit betreffenden Abschnitte sind zum besseren Verständnis kursiv gedruckt. Das Besondere an diesem Thriller ist, dass es keine polizeilichen Ermittlungen gibt. Jesse nimmt den Entführungsfall seiner Tochter selbst in die Hand, und sieht sich plötzlich wieder mit der Vergangenheit konfrontiert. Er löst den Fall schließlich, und mit ihm sieht der Leser den Zusammenhang gegenwärtigen Geschehens mit den Ereignissen der Vergangenheit. "Heimweh" ist ein lesenswerter, sehr spannender Psychothriller mit einem für den Leser nicht ganz unerwarteten aber trotzdem hervorragend konstruierten Ende.