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Aus Liebe zum Lesen
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Rannungen

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Insgesamt 203 Bewertungen
Bewertung vom 08.05.2022
Die Wut, die bleibt
Fallwickl, Mareike

Die Wut, die bleibt


ausgezeichnet

Passend zum heutigen Muttertag habe ich eine Buchempfehlung für euch, allerdings ganz sicher kein Wohlfühlbuch! Kennt ihr das, wenn ihr euch selbst in einem Buch wiederentdeckt? So ging es mir mit „Die Wut, die bleibt“ von Mareike Fallwickl. Meine innere Stimme hat fortwährend gebrüllt: Ja! Jaaaa! So siehts aus! Endlich sagt mal einer die Wahrheit!

Die dreifache Mutter Helene stürzt sich vom Balkon – zurück bleibt ihr Mann, der einfach so weitermacht wie bisher, ihre zwei Kleinen, die noch nicht so recht verstehen, was da passiert ist, ihre Teenager-Tochter Lola, die sehr wohl versteht und ihre beste Freundin, Sarah, die für sie einspringt und in der ungewohnten Mutterrolle die volle Wucht des Patriarchats zu spüren bekommt.

Die Geschichte ist erschütternd und doch so nah an der Realität, dass sie wohl in fast jeder Familie so, oder so ähnlich hätte passieren können. Mareike Fallwickl zeigt die Probleme des Patriarchats, macht den Mental Load und Care Gap sichtbar, die Misogynie und das fatale Frauenbild, das auch im 21. Jahrhundert noch weitgehend vorherrscht und sie zeigt, wohin das führen kann, was das mit den Menschen, mit den Frauen macht.

Ganz nebenbei und dennoch wie der rote Faden durchziehen diese Themen den Roman, sodass er den Informationsgehalt eines Sachbuchs ganz nebenbei mitliefert und dennoch flüssig und spannend zu lesen ist. Sprachlich und stilistisch überzeugt die Autorin dabei auf ganzer Linie.

Für mich ist es schon jetzt eines meiner absoluten Jahreshighlights. Mich hat der Roman tief berührt und er hallt lange nach. Ich wünsche mir, dass ihn möglichst viele Frauen lesen, um zu verstehen, dass sie nicht alleine sind, dass sie gesehen werden und dass sich der Kampf lohnt, und ich wünsche mir, dass ihn alle Männer lesen, um zu verstehen, dass das Patriarchat ausgedient hat, dass es so nicht weitergeht, dass wir Frauen und andere unterdrückte Menschen nicht länger still bleiben!

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.05.2022
Und andere Formen menschlichen Versagens
Loß, Lennardt

Und andere Formen menschlichen Versagens


sehr gut

Mein erstes Buch meiner #12für22 habe ich eigentlich schon vor ein paar Wochen gelesen und hier kommt auch die Rezension zu „Und andere Formen menschlichen Versagens“ von Lennardt Loß.

Der Autor erzählt in einzelnen Kapiteln auf unterschiedlichen Zeitebenen die Geschichten diverser Personen, die alle miteinander zusammenhängen – mal mehr und mal weniger - und die letztendlich mit dem Absturz eines Flugzeugs über dem Pazifik in Verbindung stehen.

Die Charaktere sind absolut einzigartig, vom scheiternden Boxer, über ein Handmodel für Apple bis hin zum Provinzbürgermeister. Die Geschichten, die sie erleben sind mal komisch, mal tragisch und meist sehr skurril. Überhaupt ist Skurrilität wohl das, was dieses Buch ausmacht. Einzig der Schluss konnte mich nicht ganz überzeugen.

Lennardt Loß liefert einen unterhaltsamen Erzählband, der ein breites Spektrum an Eigenheiten, Seltsamem und Schrägem bietet.

Bewertung vom 04.05.2022
Der Markisenmann
Weiler, Jan

Der Markisenmann


ausgezeichnet

„Und mein Papa strahlte über das ganze Gesicht, trat auf mich zu, bremste sich wieder und sagte: »Aber klar. Zu zweit ist man schon mal doppelt so viel wie alleine.«“

Jan Weiler steht für Unterhaltungsromane mit urigen Figuren. Genau so einer ist auch „der Markisenmann“ in seinem neuen gleichnamigen Roman.

Eigentlich heißt er Ronald Papen und verkauft Markisen mit fragwürdigen Designs aus altem DDR-Bestand (siehe Buchcover und Innenseiten). Als seine 15-jährige Tochter Kim etwas Ungeheuerliches tut, lernen sich die beiden erstmals kennen und verbringen die Sommerferien gemeinsam. Doch auch der Markisenmann kann auf eine ebenso wenig ruhmreiche und folgenschwere Tat in der Vergangenheit zurückblicken.

Jan Weilers Schreibstil ist gewohnt locker und lässt sich entsprechend leicht lesen. Ich war geradezu in einem Lesefluss - endlich mal wieder. Die Nebencharaktere fand ich klasse und auch die Protagonisten sind in ihren Handlungsmustern schlüssig, leider fehlt mir aber vor allem zur Ich-Erzählerin Kim die Nähe. Mir blieb sie ein bisschen fremd und unsympathisch, was mein Lesevergnügen doch etwas stört.

Während mich die erste Hälfte des Buchs überzeugen konnte, war ich vom großen Geheimnis um Papens Vergangenheit etwas enttäuscht und der Schluss geht mir zu locker und letzten Endes auch ziemlich unglaubwürdig über die Bühne.

Dennoch liefert Jan Weiler einmal mehr solide Unterhaltung mit ein bisschen Ost-West-Drama, Ruhrpottromantik und schrulligen Charakteren.

Bewertung vom 29.04.2022
Meter pro Sekunde (MP3-Download)
Pilgaard, Stine

Meter pro Sekunde (MP3-Download)


ausgezeichnet

Nach den allgemeinen Freudenrufen hier zu Stine Pilgaards Buch „Meter pro Sekunde“, bin ich natürlich nicht daran vorbeigekommen.

Zum Inhalt ist schon viel gesagt worden, wobei der in diesem Roman nicht die tragende Rolle spielt. Die namenlose Ich-Erzählerin zieht mit ihrem Mann und Baby in die Provinz und versucht sich, in das dortige Leben einzufinden und ihren Führerschein zu machen.

Das Buch lebt also nicht von einer bahnbrechenden Story, sondern vielmehr von der Kunst den Alltag in Worte zu fassen. Viel wichtiger als die Geschehnisse sind zudem die Personen, die allesamt ihre Eigenheiten haben und dennoch in ihrer Konstellation funktionieren.

Stine Pilgaard hat einen Wohlfühlroman geschrieben, für ruhige Stunden, zum Runterkommen. Mich konnte er allerdings nicht ganz packen und den allgemeinen Hype kann ich nicht wirklich nachvollziehen.

Die Hörbuchversion wird von der Schauspielerin Caroline Peters gelesen, was ich ganz passend finde.

Bewertung vom 28.04.2022
Genderleicht
Olderdissen, Christine

Genderleicht


ausgezeichnet

„Gendern ist […] das Bewusstmachen, wie männlich dominiert die deutsche Sprache ist […]. Und dann zu überlegen, wie können wir darin Frauen sichtbar machen?“
So definiert es Christine Olderdissen, Juristin, Journalistin und ehemalige Leiterin des Projekts „Genderleicht“ in ihrem gleichnamigen Buch aus dem Dudenverlag und ich finde die Definition ziemlich passend.

Natürlich geht die Autorin nicht nur auf die Sichtbarmachung von Frauen, sondern auch von anderen nichtmännlichen Personen ein. Zunächst erklärt sie die historischen Hintergründe der männerdominierten Sprache und des generischen Maskulinums, um dann die besten Formen des Genderns vorzustellen. Generell plädiert sie allerdings dazu, Genderstern und Co möglichst elegant durch neutrale Formulierungen zu umgehen.

Der Tonfall der Autorin ist wertschätzend und sachlich und sie möchte zwischen den Lagern vermitteln, um allen gerecht zu werden. Wer versucht, geschlechtergerecht zu schreiben, findet hier den optimalen Ratgeber mit vielen Beispielen, Vorschlägen und Tipps.
Was mich ein bisschen gestört hat, sind einige Wiederholungen, z. B. dass sich der Rat für deutsche Rechtschreibung nicht dazu durchringen kann, Regeln fürs Gendern aufzustellen oder anzuerkennen, was an zig Stellen erwähnt wird.

Bewertung vom 26.04.2022
Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße
Leo, Maxim

Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße


ausgezeichnet

Braucht es wirklich noch einen Wende-Roman? Wenn es um Maxim Leos „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ geht, dann unbedingt ja!

Besagter Held heißt eigentlich Michael und hat durch seine Weichenstellung eine S-Bahn von der DDR in den Westen fahren lassen und damit 127 Menschen zur Flucht verholfen. Als ihn 2019 ein Journalist aufsucht, um seine Geschichte publik zu machen, nimmt die Katastrohe ihren Lauf, denn ein Held ist Michael eigentlich nicht.

Was sich vielleicht eher nach Klamauk anhört und zunächst nur nach DDR-Roman, ist so viel mehr. In dem Roman steckt Gesellschaftskritik durch alle Schichten, vom Bundespräsidenten bis hin zum „kleinen Mann“. Die Medien und ihre Nutzer bekommen den Spiegel vorgehalten und dennoch geht es auch um die zwischenmenschlichen Beziehungen der Figuren.

Und die Charaktere sind authentisch, komplex und sympathisch angelegt, sodass man sich gut in sie und ihre Situationen einfühlen kann. Hier und da arbeitet der Autor mit kleinen Übertreibungen, aber dennoch bleibt die Geschichte realistisch und stets interessant.

Ich habe den Roman als Hörbuch gehört und bin begeistert von Schauspieler Peter Kurth, der durch seine atmosphärisch dichte Lesung eine Glanzleistung abgelegt hat.

Bewertung vom 22.04.2022
Niemals satt
Monchi

Niemals satt


ausgezeichnet

Mein Lieblingssänger hat ein Buch geschrieben, klar dass ich das lesen muss – und dann geht es auch noch um ein Thema, das mich selbst betrifft: „Fett sein“. In »Niemals satt – Über den Hunger aufs Leben und 182 Kilo auf der Waage« schreibt Monchi, der Sänger der Punk-Band „Feine Sahne Fischfilet“ über sein Gewicht, die Abnahme von über 60 Kilo und sein Lebensgefühl.

Ich habe noch nie, wirklich niemals, jemanden so schonungslos ehrlich über sein Übergewicht reden hören. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass dick sein mit Schamgefühlen einhergeht und auch Monchi ist davon nicht frei. Dennoch schreibt er offen, mit seiner bekannt derben vorpommerschen Schnauze, über die Probleme, die starkes Übergewicht mit sich bringt und über seinen Weg der Erkenntnis.

Er analysiert sein Leben und schafft es, mit Sport und einer Ernährungsumstellung 65 Kilo abzunehmen. Doch ein Geheimrezept oder eine Siegerstory mit Happy End sucht man vergebens. Denn auch hier bleibt er authentisch und zeigt den täglichen Kampf mit Fressattacken und dem immer drohenden Rückfall in alte Muster. Daneben gibt Monchi aber auch einen Einblick in sein Leben, seine Familie, Hansa Rostock, Feine Sahne und MeckPomm.

Ich bin immer noch geflasht. Ich kann so viele Gedanken von Monchi nachvollziehen und auch wenn es kein Motivationsbuch per se ist, hat es mich trotzdem motiviert, selbst den Kampf gegen die Kilos wieder voranzutreiben. Aber auch wenn man kein Gewichtsproblem hat, ist das Buch absolut lesenswert, nicht nur für Fans.

Bewertung vom 20.04.2022
Unsere 8 Planeten
Ferrie, Chris

Unsere 8 Planeten


ausgezeichnet

Heute habe ich wieder mal ein Sachbuch für unsere Kleinsten: „Unsere 8 Planeten“ von Christ Ferrie in der Übersetzung von Silke Pöppel mit Illustrationen von Lizzy Doyle.

Das erste Highlight des Buchs sind die kreisrunden, farbigen Ausschnitte, die sich durch alle Seiten ziehen und immer die Sonne im Zentrum abbilden. Das gefällt tatsächlich schon unserem Einjährigen, auch wenn er denn Sinn natürlich noch nicht versteht ;) Auf jeder Seite wird dann ein lanet vorgestellt, angefangen bei Neptun, dem äußersten der Acht.

Der Text ist in Reimform verfasst und beinhaltet die wichtigsten Fakten und Besonderheiten des jeweiligen Planeten. Die Reime sind für die Zielgruppe ab 3 Jahren altersgerecht und gut verständlich. Neben den reinen Sachinformationen enthält der Text außerdem noch eine wichtige Botschaft: Alle (Planeten) sind einzigartig und in ihrer Individualität etwas ganz Besonderes.

Was für die Liebe zum Detail spricht ist zudem eine kleine Botschaft auf der hinteren Umschlagseite: „Dieses Buch ist dem Zwergplaneten Pluto gewidmet.“ Wenn das mal nicht herrlich ist!

Unsere Kids konnte das Buch vollends überzeugen. Während der Jüngste eher Interesse an den Ausstanzungen hatte, haben die 3- und 5-jährige eine erste Vorstellung von unserem Sonnensystem erhalten.

Bewertung vom 19.04.2022
Der Geruch des Paradieses
Shafak, Elif

Der Geruch des Paradieses


sehr gut

Jetzt habe ich tatsächlich auch endlich mein erstes Buch von Elif Shafak gelesen. In „Der Gesuch des Paradieses“ erzählt sie die Lebensgeschichte der Türkin Peri, die als Mutter und Ehefrau auf eine Dinnerparty in gehobener Gesellschaft in Istanbul eingeladen ist.

Während sich die Handlung in der Jetztzeit nur über diesen einen Abend erstreckt, wird in Rückblenden Peris Kindheit beleuchtet sowie ihre Zeit als Studentin in Oxford. Dabei schafft es die Autorin gekonnt, Spannung in allen Erzählsträngen aufzubauen, denn es gibt so einige Spannungsfelder und Wendungen im Leben der Protagonistin. So toll der Spannungsbogen aufgebaut ist, so enttäuscht war ich dann doch von den Auflösungen und dem Ende des Buchs, das sehr parat kommt und extrem offenbleibt.

Dass Shafak als DIE Stimme der türkischen Literatur gehandelt wird, kann ich dennoch gut nachvollziehen. Ihr Sprachstil ist gewaltig. Sie ist geradezu eine Meisterin der Metaphern. Und auch wenn der Roman einige Längen enthielt, bin ich nur so durch die Seiten geflogen. Auch die behandelten Themen: Gott, Glaube und Atheismus, Tradition und Moderne, Türkei und Europa und die damit einhergehenden Kontroversen hat sie differenziert erörtert und gekonnt in die Handlung und das Seelenleben ihrer Figuren eingewoben.

Auf den ersten 500 Seiten konnte mich Elif Shafak sehr überzeugen, mit dem Ende bin ich dann leider nicht so glücklich. Schade, und dennoch hat sich das Lesen gelohnt und es wird sicher nicht mein letztes Buch von ihr sein.