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wanderer.of.words

Bewertungen

Insgesamt 216 Bewertungen
Bewertung vom 25.04.2021
Südlich vom Ende der Welt
Possnig, Carmen

Südlich vom Ende der Welt


ausgezeichnet

Was hat das Fliegen einer Sojus-Kapsel mit einem Aufenthalt in der Antarktis zu tun? Mehr als man denkt: die mitten in der Antarktis gelegene Forschungsstation Concordia ist der Ort auf der Erde der die größte Ähnlichkeit mit einer Station auf einem anderen Planeten oder mit einem Langzeitweltraumflug hat. Daher lässt sich hier beispielsweise erforschen wie sich motorische Fähigkeiten im Laufe einer langen Isolation verändern. Dann es wäre natürlich verheerend, wenn zukünftige Astronauten nach einem Flug zum Mars nicht mehr in der Lage wären sicher zu landen. Das und mehr erzählt Carmen Possnig in ihrem Buch.

Die klimatischen Bedingungen sind dabei enorm fordernd: monatelang kein Sonnenschein, dazu Temperaturen bis zu -80 °C. Auch die Isolation stellt eine Herausforderung dar. Das 13-köpfige Team ist über mehrere Monate komplett von der Außenwelt abschnitten, sie haben keine Möglichkeit im Notfall evakuiert zu werden, auch Helfer könnten nicht zu ihnen durchdringen.

Das Buch beginnt mit der Auswahl der Bewerber und der Vorbereitung auf die Zeit in der Antarktis. Bereits diese Einblicke fand ich enorm spannend, denn sie umfassen weit mehr als die Koffer zu packen und sich gesundheitlich fit zu halten. Possnig berichtet von den Tests und Forschungen die sie während des Aufenthalts in der Antarktis durchführen muss, welchen Hintergrund und welche Ziele diese haben. Das alles ist so einfach erklärt, dass selbst ich als Laie keine Verständnisprobleme hatte.

Der Leser erhält auch einen kurzen Überblick über die politische Lage der Antarktis und die Vereinbarungen der Länder. Das Ganze ist aber so kurz gehalten, dass man interessantes Hintergrundwissen erhält, aber nie durch zu viele Details ermüdet wird. Denn das Hauptthema des Buches ist natürlich der Aufenthalt in der Antarktis. Und über diesen berichtet Possnig mit mitreißender Begeisterung. Einen großen Teil nehmen Berichte über den Alltag ein, denn so einfach wie man es sich vielleicht vorstellt ist das Leben in der Forschungsstation gar nicht. Aufgrund der enorm abgelegenen Lage müssen beispielsweise Ressourcen wie Wasser aufbereitet werden - und schon die Verwendung des falschen Shampoos kann die Aufbereitungsanlage beschädigen. Auch dem Essen, der Zusammenarbeit mit den Kollegen und der Konflikte wird Platz gewidmet. Sehr amüsant fand ich zu erfahren, dass eines der Forschungszelte für regelmäßige Partys verwendet wird und es sogar eine Sauna gibt! Die Temperaturunterschiede zwischen der Sauna und der Außenwelt betragen dabei bis zu 180 °C! Die Erzählung wird abgerundet durch Erzählungen und Vergleiche mit den Zeiten der Polarreisenden Scott, Amundsen und Shackleton. Ein paar dieser Geschichten kannte ich schon, doch da sie nur wenige Seiten einnehmen war das nicht weiter schlimm.

Fazit
Carmen Possnigs Begeisterung für die Antarktis ist auf jeder Seite spürbar, so dass selbst Menschen die Schnee und Kälte wenig abgewinnen können, von diesem Buch begeistert sein werden. Für mich war es eine sehr spannende Lektüre über einen enorm faszinierenden Ort!

Bewertung vom 25.04.2021
Als wir uns die Welt versprachen
Casagrande, Romina

Als wir uns die Welt versprachen


sehr gut

Auf zwei Zeitebenen erzählt Romina Casagrande die Geschichte von Edna. In der Gegenwart geht es um ihre Reise nach Ravensburg zum verloren geglaubten Freund und in der Vergangenheit um das Schicksal als sogenanntes „Schwaben- oder Hütekind“. Von diesen Kindern habe ich durch das Buch zum ersten Mal gehört. Bis ins frühe 20. Jahrhundert gaben arme Familien ihre Kinder als Arbeitskräfte an Bauern, doch um zu den Höfen zu gelangen mussten die Kinder erst einmal über die Alpen ziehen um dann in der Fremde harte Arbeiten unter strengen Dienstherren zu verrichten. Die in der Vergangenheit spielenden Kapitel sind daher oft eine eher schwere Kost, konnten mich insgesamt aber mehr überzeugen als die in der Gegenwart angesiedelten.

Bei Ednas in der Gegenwart stattfindenden Reise über die Alpen tat ich mich teilweise etwas schwer was die Glaubwürdigkeit angeht. Schon für einen jungen Menschen ist so ein langer Fußweg enorm beschwerlich, an vielen Stellen konnte ich nicht nachvollziehen wie eine knapp 90-Jährige mit einem sperrigen und schweren Transportkäfig auf den unebenen und steilen Bergpfaden zurechtkommen soll. Denn Edna ist keineswegs übermäßig fit. Auch das Verhalten einiger Personen war nicht immer nachvollziehbar. So wird der gänzlich erschöpften Edna von einer Freundin angeboten, sich von ihr mit dem Auto fahren zu lassen. Doch als dieses den Dienst versagt soll die alte Dame alleine mit dem Zug reisen. Warum die Freundin sie zwar mit dem Auto chauffieren, aber nicht auch im Zug begleiten will bleibt ungeklärt. Solche Ungereimtheiten trüben die Lesefreude ein wenig. Auch Ednas Begegnungen erschienen mir teils etwas konstruiert und ich konnte mir nicht immer vorstellen, dass etwas in der Realität so ablaufen könnte. Die Stärken des Buches liegen für mich in den eher unspektakulären Begegnungen, aus denen oft Gespräche mit fast philosophischer Note entstehen. Insgesamt muss man aber sagen, dass die Charaktere wunderbar herausgearbeitet sind und selbst die Nebencharaktere immer sehr lebendig wirken. Edna und Papagei Emil schließt man schnell ins Herz, die beiden sind zwar etwas kauzig aber absolut liebenswert. Sehr gut haben mir auch die Erzähl- und Schreibweise der Autorin gefallen. Das Buch liest sich flüssig mit vielen tollen Formulierungen die mein literaturbegeistertes Herz höherschlagen lassen.

Fazit
Wenn man über die nicht ganz runden Stellen hinwegsehen kann, ist es ein sehr schöner Roman mit gut herausgearbeiteten Figuren, den zu lesen sich durchaus lohnt.

Bewertung vom 25.04.2021
Eine Frage der Zeit
Capus, Alex

Eine Frage der Zeit


gut

Das Buch beginnt mit einem rasanten Prolog und so freute ich mich auf einen spannenden, exotischen und unterhaltsamen Roman. Leider legt die Geschichte nach wenigen Seiten erstmal eine Vollbremsung hin und fast 100 Seiten passiert nur sehr wenig. Der Autor führt seine Figuren recht umständlich ein und verliert sich gerne und oft in Details. So listet er etwa über eine halbe Seite auf welche Tiere und wie viele davon einer seiner Protagonisten auf der Reise erblickt hat. Das macht das Lesen schnell mühsam und sehr zäh. Interessanter wird es erst ab Ausbruch des ersten Weltkrieges, wenn sich der entspannte Aufenthalt der drei deutschen Bootsbauer gravierend verändert. Plötzlich sind sie keine Zivilisten mehr, sondern Teil der deutschen Armee und die am anderen Ufer stationierten Belgier sind vom einen Tag auf den anderen ihre Feinde.

Die Helden des Romans sind einfache Menschen, wobei die drei deutschen Werftarbeiter deutlich besser wegkommen als der britische Marineoffizier, dieser wirkt oft grotesk und lächerlich. Auch die Reise des deutschen Bootes erhält im Roman mehr Platz als die der beiden englischen. Man ist sehr gespannt, wie die Engländer es schaffen zwei Schiffe über viele Kilometer Land zu schaffen, doch am Ende erzählt Capus diese Episode nur rückblickend in einem Brief und auf sehr wenigen Seiten. Auch beim Ende hätte ich mir etwas mehr Klarheit gewünscht oder zumindest einen Anhang erwartet der mich über das Schicksal der Protagonisten aufklärt.⠀⠀

Was Capus hingegen gut gelingt ist die Absurdität des Krieges zu verdeutlichen. Auch Kritik am Kolonialismus und die Diskriminierung und Ausbeutung der Einheimischen finden Platz im Roman. Dabei wirkt der Autor nie belehrend sondern lässt den Leser die Szenen beobachten und seine eigenen Schlüsse ziehen.

Ich tue mich schwer das Buch zu bewerten. Es hat starke Stellen, dafür auch einiges das ich weniger gelungen fand. Ein großer Minuspunkt ist für mich das unklare Ende in Kombination mit einem fehlenden Anhang bei dem erkenntlich wird ob und welche Teile der Geschichte vom Autor verändert wurden. Bei Büchern die auf einer wahren Geschichte basieren ist das für mich ein Muss. Insgesamt ist es kein Buch das man jedem empfehlen kann. Mein Exemplar wird in den Bücherschrank und nicht ins Regal wandern, denn nochmal lesen werde ich es nicht.

Bewertung vom 16.04.2021
Meine Schwester, die Serienmörderin
Braithwaite, Oyinkan

Meine Schwester, die Serienmörderin


sehr gut

Um das Buch ist ein kleiner Hype entstanden, es wurde von der Presse wie auch in den sozialen Medien hoch gelobt und hat es in die Bestsellerlisten geschafft. Auch der Klappentext verspricht viel: „Beiläufig feministisch“, „abgründig“, „wahnsinnig komisch“ – mit diesen Worten wird das Buch beworben. Meine Erwartungen waren entsprechend hoch, konnten am Ende aber nicht komplett erfüllt werden.⠀

Das Buch ist ein bunter Genre-Mix aus Krimi, Satire und Roman. An manchen Stellen fühlte ich mich an einen Tarantino Film erinnert, auch wenn es im Buch deutlich weniger blutrünstig zugeht. Wer die Mörderin ist steht natürlich schon sehr früh fest, die Spannung fußt auf der Frage wohin die Entwicklung der beiden Schwestern geht und ob sie am Ende gefasst werden.

Die Autorin erzählt ihre rasante Geschichte dabei in sehr kurzen Kapiteln. Die Ich-Erzählerin bleibt dabei immer etwas distanziert und kommentiert die Ereignisse recht lässig und trocken, was ich unterhaltsam fand. Auch der Stil von Braithwaite hat mir sehr gut gefallen, sie braucht nicht viele Worte und setzt diese sehr gezielt ein.

Die Kapitel spielen abwechselnd in der Gegenwart und der Vergangenheit, so dass der Leser nach und nach die Geschichte der beiden Schwestern kennenlernt und zu ahnen beginnt wie eine von ihnen zur Serienmörderin wurde. Über die Motive kann der Leser dennoch nur spekulieren. Es gibt einige Andeutungen, doch für tiefere Einblicke in die Seele der Serienmörderin ist in der Story kein Platz. Dafür ist ein wenig Gesellschaftskritik ist enthalten, die Autorin wirft einen kritischen Blick auf die Rolle der Frau oder die Bestechlichkeit der Polizei. Den auf dem Klappentext angekündigten Feminismus konnte ich allerdings nirgends entdecken.

Schade fand ich, dass die regelmäßig verwendeten nigerianische Begriffe und Ausdrücke nicht erklärt werden. An diesen Stellen muss man entweder zu Google greifen oder darüber hinweglesen. Hier hätte ich mir dringend ein Glossar mit Erklärungen/Übersetzungen gewünscht.

Fazit
Die Idee ist super, insgesamt kann das Buch die durch den Hype entstandenen hohen Erwartungen nicht ganz erfüllen. Ich habe es trotzdem gerne gelesen und wurde sehr kurzweilig unterhalten.

Bewertung vom 19.03.2021
QualityLand Bd.1
Kling, Marc-Uwe

QualityLand Bd.1


ausgezeichnet

Mit seiner Känguru-Trilogie hatte Marc-Uwe Kling großen Erfolg und hat es im letzten Jahr damit auch schon ins Kino geschafft. Sein zweites Werk ist ebenfalls sehr unterhaltsam, geht aber in eine andere Richtung. Im Vergleich zu den Känguru Büchern, die eher aus vielen kleinen Geschichten bestanden, ist „QualityLand“ zusammenhängender und romanhafter erzählt. Gleich geblieben sind die gesellschaftskritischen Ansätze und jede Menge Komik.

Kling gelingt es eine Zukunft zu entwerfen, die an vielen Stellen nur wenige technologische Schritte von unserer entfernt zu sein scheint. Ergänzt durch witzige Ideen erschafft er eine sehr originelle Welt von Morgen. Die Geschichte besteht aus drei groben Rahmenhandlungen die Einblick in die unterschiedlichen sozialen Ebenen der futuristischen Gesellschaft geben. Eine allzu komplexe Handlung mit tiefgreifenden Charakteren darf man zwar nicht erwarten, das ist aber auch gar nicht Ziel des Buches. Kling schafft es trotzdem, dass der Leser an vielen Stellen ins Grübeln kommt.

Ergänzt wird die Erzählung durch Ausschnitte aus dem QualityLand-Reiseführer sowie Internet-Zeitungsartikeln mitsamt Werbung und Kommentaren. Übrigens liegt hier begründet, warum es das Buch mit einem hellen und einem dunklen Cover zu kaufen gibt. Die Bücher unterscheiden nämlich sich nicht nur durch die Coverfarbe, sondern die Auszüge aus dem Reiseführer und die Zeitungsartikel sind inhaltlich unterschiedlich formuliert, bei der hellen Ausgabe optimistischer als bei der dunklen. Der Leser muss aber nicht auf Inhalte verzichten, ein Link am Ende des Buches verschafft Zugriff auf die Texte der jeweils anderen Ausgabe.

Fazit
„Qualityland“ hat mich sehr kurzweilig und gut unterhalten. Das Buch endet mich einem Knall, daher bin ich schon sehr gespannt auf die Fortsetzung in Band 2.

Bewertung vom 05.03.2021
Lautlose Schreie / Mara Billinsky Bd.2
Born, Leo

Lautlose Schreie / Mara Billinsky Bd.2


sehr gut

Passend zu dem erschreckenden Thema ist die Geschichte beherrscht von einer eher düsteren Atmosphäre. Bei der Story konnte ich leider sehr schnell erahnen wie es weitergeht und welche Rolle die Personen spielen. Hier hätte ich gerne noch etwas länger zu rätseln gehabt und mich über die eine oder andere Überraschung gefreut. Da ich trotzdem immer wissen wollte wie die Geschichte ihren Lauf nimmt und deshalb zu keiner Zeit gelangweilt war, wiegt dieser Kritikpunkt für mich nicht allzu schwer. Auch die zügig vorangetriebene Handlung in Kombination mit kurzen Kapiteln und wechselnden Perspektiven konnten trotz der Vorhersehbarkeit der Story die Spannung bewahren.

Wie schon im ersten Band haben mich die Charaktere absolut überzeugt. Ihre Macken und Schwächen machen sie glaubwürdig und sympathisch. Aufbauend auf dem ersten Band kann man zudem eine interessante Weiterentwicklung der Protagonisten und ihrer Beziehungen untereinander verfolgen, so dass ich auf die nächsten Bände schon sehr gespannt bin.

Wer die Bücher noch nicht kennt sollte allerdings besser mit Band 1 beginnen, denn einige Figuren tauchen auch in der Fortsetzung wieder auf und werden nicht von neuem vorgestellt. Obwohl ich den ersten Band vor gut einem Jahr gelesen habe, hatte ich aber keine Probleme mich zurechtzufinden. Daher empfand ich es als sehr angenehm, die Charaktere und ihre Beziehungen untereinander nicht nochmals erklärt zu bekommen.

Fazit:
Ein solider und sehr atmosphärischer Thriller mit interessanten Charakteren. Ich werde der Reihe auch weiterhin treu bleiben!

Bewertung vom 25.02.2021
Der zweite Schlaf
Harris, Robert

Der zweite Schlaf


gut

Von Robert Harris habe ich bereits großartige Bücher gelesen, „Der zweite Schlaf“ gehört leider nicht dazu. Die Idee hinter dem Buch ist faszinierend und zu Beginn ist die Geschichte wirklich interessant, zwar an manchen Stellen etwas langatmig, doch stets möchte man wissen wie es weitergeht, wie es zu dem großen Zusammenbruch kam und wie die Zusammenhänge zu verstehen sind. Zum Ende hin wirkt es dann aber als wären Harris die Seiten, vielleicht auch die Ideen ausgegangen um seine Geschichte zu einem runden Abschluss zu bringen. Er beendet das Buch mit vielen losen Enden und offenen Fragen und macht sich nicht mal die Mühe in einem kurzen Anhang zu erklären was der Titelgebende „zweite Schlaf“, der auch im Roman immer wieder Erwähnung findet, eigentlich ist. Dabei war es für mich ein Aha-Erlebnis als ich mit Hilfe von Google herausgefunden habe, dass die Menschen im Mittelalter nicht durchgeschlafen haben. Es gab zwei Schlafphasen, der erste und der zweite Schlaf, getrennt durch einen Zeitraum in dem die Menschen Bücher lasen oder Gebete sprachen. Sehr schade, dass Harris sich für diese Erklärung keine Zeit nimmt.

Seine Welt entwirft Harris gewohnt detailreich und lebendig. Gemeinsam mit Fairfex entdeckt der Leser Relikte aus der „alten Welt“, die unsere aktuelle ist, und während Fairfex noch über das flache Ding mit dem angebissenen Apfel auf der Rückseite rätselt ist dem Leser längst klar was der Priester in den Händen hält.

Fazit:
Ich hatte mir erhofft, dass das Buch mehr aus dem Szenario macht, dass Harris uns noch mehr von seiner erdachten Welt zeigt, doch leider beschränkt er sich auf sehr wenige Handlungsorte und Sichtweisen. Was bleibt ist ein Buch mit vereinzelt genialen Stellen, mit einer großartigen Idee, aber leider einem enorm schwachen Ende das für mich die positiven Aspekte überdeckt.

Bewertung vom 29.01.2021
Der Gin des Lebens / Kulinarische Kriminalromane Bd.1
Henn, Carsten Sebastian

Der Gin des Lebens / Kulinarische Kriminalromane Bd.1


gut

Das Buch trägt den Untertitel „Kriminalroman“ und fällt hier ganz klar in die Kategorie gemütlicher Regionalkrimi, ist also auch für zartbesaitete Krimileser gut geeignet. Eine viel größere Rolle als der Kriminalfall spielt allerdings der Gin. Der Autor berichtet sehr viel und ausführlich über die die Herstellung und Zutaten von Gin. Da er diese Details sehr kurzweilig in seine Geschichte einbaut fand auch ich, als (bisher) kein Gintrinker, dieses Hintergrundwissen sehr interessant. Auch der Handlungsort, Plymouth, spielt eine zentrale Rolle und ebenso wie beim Gin bekommt der Leser auch zur Stadt viele Informationen, so dass man nur allzu gerne in den nächsten Flieger steigen möchte. Da auch eine Liebesgeschichte (zum Glück ohne großes Herzschmerzdrama) nicht fehlen darf, bleibt für den Krimi am Ende kaum noch Platz, was ich mit Blick auf das gewählte Genre dann doch ein wenig Schade fand. Erst im letzten Drittel fanden die Krimiaspekte mehr Platz, dennoch bleibt es eher gemütlich. Den großen Showdown fand ich dann leider etwas konstruiert und durch einige Logiklücken stellenweise sogar absurd. Hier hätte ich mir ein weniger spektakuläres, dafür aber sinnvolleres Ende gewünscht.

„Der Gin des Lebens“ liest sich sehr flüssig, dazu tragen auch die lockeren Dialoge und die leicht verständliche Sprache bei. Die Figuren sind teils etwas klischeehaft, die meiste Zeit über aber trotzdem sympathisch. Die Geschichte ist an einigen Stellen zwar unterhaltsam, bleibt insgesamt aber ohne richtig lustige Momente. Zu mehr als einem vereinzelten Schmunzeln reichte es bei mir daher nicht.

Die Aufmachung des Buches finde ich allerdings sehr gelungen. Das Cover ist großartig und absolut passend gestaltet, dazu kommen sehr treffende Zitate zu Beginn jedes Kapitels. An mehreren Stellen wird die Geschichte durch Einschübe unterbrochen, bei denen der Leser als Art Sachbuch im Roman etwas zur Geschichte des Gins oder den wichtigsten Zutaten erfährt. Am Ende des Buches warten dann noch ein paar Rezepte.

Fazit
Für einen Kriminalroman war für meinen Geschmack zu wenig Krimi enthalten, doch die interessanten Hintergründe und die sympathischen Figuren machten das Buch dennoch lesenswert. Kein must-read, aber durchaus ein Buch zu dem man zwischendurch greifen kann. Geeignet ist das Buch mehr für Gin- als für Krimifans.

Bewertung vom 23.01.2021
Die Frau in der Themse
Price, Steven

Die Frau in der Themse


ausgezeichnet

„Die Frau in der Themse“ ist ein sehr komplexes Buch. Grundsätzlich geht es um den rätselhaften Fall der Charlotte Reckitt, doch zugleich sucht der Pinkerton-Detektiv nach einem angeblich bereits verstorbenen Mann und irgendwie ist alles mit allem verknüpft. Es braucht Konzentration um den Überblick über all die Personen und deren Zusammenhänge zu. Aber gerade diese Verflechtungen machen den Fall so interessant und lassen den Leser viel spekulieren.

Price nimmt sich auch die Zeit die Hintergründe seiner Charaktere ausführlich zu erzählen. Es gibt lange Kapitel aus der Vergangenheit, etwa über die Beziehung zwischen Charlotte Reckitt und Adam Foole oder Ausflüge in die Jugend des William Pinkerton bei denen der Leser die Arbeit des Detektivbüros kennenlernt. Vor allem letzteres empfand ich als sehr interessant, auch weil es der Name Pinkerton war der mich ursprünglich zu dem Buch greifen lies.

Die Geschichte glänzt durch die hervorragende Beschreibung eines düsteren viktorianischen London. Es ist neblig, dunkel, schmutzig und voller Kohlenrauch - nur selten hat es ein Buch geschafft mir so klare Bilder vor Augen zu führen. Dazu gibt es Verfolgungsjagden per Kutsche, Besuche zwielichtiger Spelunken, sogar bis in die Kanalisation Londons führt Price den Leser.

Der hohen Seitenzahl (knapp 1000) wird der Autor zum Glück gerecht. Er hat seine Geschichte nicht mit Nebensächlichkeiten aufgebläht oder unnötig in die Länge gezogen, sondern er erzählt sie sehr durchdacht. Gewöhnungsbedörftig empfinde ich allerdings den Verzicht auf Anführungszeichen oder eine andere Hervorhebung des Gesprochenen. Price vermischt die wörtliche Rede einfach mit der restlichen Erzählung und verwendet nicht mal Absätze um sie zumindest ein wenig Hervorzuheben. Zu Beginn hat mich das enorm irritiert, ich habe mich aber erstaunlich schnell daran gewöhnt. Warum er sich so komplett gegen eine Interpunktion bei der wörtlichen Rede entschieden hat verstehe ich allerdings nicht.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.01.2021
Als wir von Freiheit träumten
Walter, Jon

Als wir von Freiheit träumten


gut

Mit Jon Walters Schreibstil bin ich nicht gleich zurechtgekommen, er geht auf seine Charaktere eher wenig ein und schreibt auch insgesamt sehr distanziert. Das Buch ist aus der Sicht von Nancy und Clara erzählt, doch es hat ein wenig gedauert, bis ich die Schwestern überhaupt auseinanderhalten konnte. Wirklich nahegekommen sind mir die Charaktere jedoch leider bis zum Ende nicht.

Auch die Beweggründe, Ideen und die Organisation der Suffragetten bleiben Großteiles im Dunkeln. Nachdem Nancy sich ihnen angeschlossen hat, hätte ich mir hier tiefere Einblicke erhofft, doch auch dann werden nur recht wenige Hintergründe vermittelt. Da ich zu dem Thema noch kein Vorwissen hatte, fiel es mir zudem schwer historische Ereignisse oder Figuren einzuordnen. Hier hätten weitere Perspektiven viele Möglichkeiten eröffnet.

Sehr gelungen beschrieben ist allerdings die damalige Zeit und die Rolle der Frauen. Mehrmals musste ich mich vergewissern, dass der Roman wirklich im 20. Jahrhundert und nicht schon früher spielt. Das Jahr 1913 kommt einem gar nicht so fern. Für die Frauen damals war ein selbstbestimmtes Leben jedoch kaum möglich. Das Dilemma sich zwischen Arbeit und Selbstständigkeit oder Familie entscheiden zu müssen gelingt Jon Walter sehr gut zu schildern. Auch die Geschehnisse im Frauengefängnis, etwa die Zwangsernährung der sich im Hungerstreik befindlichen Suffragetten, sind sehr spannend, teils aber auch verstörend zu lesen. An diesen Stellen legt der Autor seine Distanziertheit ab und das Buch wird plötzlich sehr fesselnd.

Fazit
Insgesamt hat mir das Buch gefallen. Auch wenn es die meiste Zeit eher distanziert geschrieben ist lässt es sich sehr flüssig lesen. Für ein tieferes Wissen zum Thema muss der Leser allerdings nach zusätzlicher Lektüre suchen.