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Circlestonesbooks.blog
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Lesebegeisterte Literaturbloggerin, https://www.circlestonesbooks.blog/

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Insgesamt 411 Bewertungen
Bewertung vom 13.02.2022
Ballade vom Tag, der nicht vorüber ist
Loschütz, Gert

Ballade vom Tag, der nicht vorüber ist


sehr gut

„Ich habe dir erzählt, daß es das erste Hotel war, in dem ich übernachtet habe, und daß vielleicht alle anderen, die unzähligen, die ihm später gefolgt sind, nur dem einen Zweck gedient haben, dieses erste ungeschehen zu machen, wie auch die Reisen, ja, mein Beruf diesem einen Zweck gedient haben mochten, die erste Reise über die Grenze durch unendliche Wiederholung auszulöschen.“ (Zitat Seite 66)

Inhalt
Karsten Leiser ist zehn Jahre alt, als er an diesem Tag im Mai buchstäblich über Nacht aus seinem gewohnten Umfeld und Landschaft seiner Kindheit gerissen wird. Der Zorn darüber, nicht gefragt worden zu sein, von seinen Eltern nicht auf die geplante Flucht aus der DDR vorbereitet worden zu sein, hindert ihn daran, in Wildenburg im Westen anzukommen. Er wird Reisejournalist, rastlos, getrieben, doch jedes Jahr an genau diesem Tag kommen die Erinnerungen an damals zurück, immer wieder holt ihn die Vergangenheit ein und löst ihn aus seiner Gegenwart, in der er nie wirklich ankommt.

Thema und Genre
Als dieser Roman 1990 zum ersten Mal erschienen ist, trug er den Titel „Flucht“. Es geht um dieses Gefühl des „Entwurzelt-Werdens“, das Unverständnis und die Wut eines Menschen, der plötzlich die vertraute Heimatstadt, seine Freunde und damit seinen Lebensmittelpunkt und seine Wurzeln verliert, als die Familie in den Westen flieht. Ein wichtiges Thema sind auch die Erinnerungen.

Charaktere
Am Tag der Flucht in den Westen ist Karsten zehn Jahre alt. Inzwischen ist er längst erwachsen, doch es ist ihm nicht gelungen, seine Erinnerungen hinter sich zu lassen und sich mit der Vergangenheit zu versöhnen. Alle Ereignisse in seinem späteren Leben bezieht er auf diesen Tag. „Dieses Rückwärtsgucken, dieses Nichtdrüberwegkommenwollen“ (Zitat Seite 192)

Handlung und Schreibstil
Der Ich-Erzähler, Reisejournalist, schildert Episoden aus seinem Leben, prägende Erinnerungen und Erlebnisse mit unterschiedlichen Handlungsorten. Rastlos schweifen seine Gedanken immer wieder ab, gehen zurück in die Vergangenheit, er erzählt über die Landschaft seiner Kindheit in Plothow, die Stunden der Flucht, dann wieder ein Fragment, ein Erlebnis von einer seiner Reisen viele Jahre später. Auch dabei bleibt er bruchstückhaft, wechselt Ort und dort erlebte Geschichte, um im späteren Verlauf irgendwann den Faden wieder aufzunehmen. Genau genommen sind es viele Fäden und manche bleiben auch am Schluss der Geschichte lose, lassen uns mit Fragen und eigenen Versuchen zurück, das Gelesene zu entwirren und zu deuten. Großartig dagegen ist die Erzählsprache des Autors, er brennt Bilder und Gefühle in unsere Gedanken und kommt mit gut zweihundert Seiten für eine intensive, dichte Geschichte aus, wofür andere sechshundert Seiten brauchen.

Fazit
Dieser Roman ist weniger die Geschichte einer Flucht, sondern vielmehr die Schilderung der nachfolgenden Auswirkungen dieser einen Nacht im Mai, dieser Bahnfahrt aus der DDR in den Westen, auf einen damals zehn Jahre alten Jungen und sein ganzes späteres Leben.

Bewertung vom 11.02.2022
Insel der blauen Gletscher (eBook, ePUB)
Kabus, Christine

Insel der blauen Gletscher (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Unterhaltungsroman mit Fernweh-Faktor, gelesen als Taschenbuch

„Das Licht brach sich tausendfach an den unzähligen Eiszapfen, die von der gewölbten Decke hingen, und ließ die glasklaren Wände glitzern, in denen sie eingeschlossene Luftblasen und Gesteinsbrocken erkannte.“ (Zitat Seite 279)

Inhalt
Ihr jüngerer Bruder Max studiert in Berlin, doch Emilies Eltern haben 1907 kein Verständnis für für den Wunsch ihrer Tochter, die gerade einundzwanzig Jahre alt geworden ist, auf die Kunstakademie zu gehen. Dann erhält Max die einmalige Chance, an einer Forschungsexpedition in das nördliche Polarmeer teilzunehmen, was ihn völlig überfordert. Die perfekte Gelegenheit für seine sportliche, abenteuerlustige Schwester. Als Max reist sie mit der Forschergruppe in die Arktis und meistert mutig und zupackend kritische Situationen. Doch bald erkennt sie, dass Kälte, Eis und Eisbären nicht die größten Gefahren darstellen.
Die Reisejournalistin Hanna Keller ist beinahe fünfundvierzig Jahre alt, als ihr Ehemann Thorsten sie verlässt, um mit der jungen Biggi auf Weltumsegelung zu gehen. Als man Hanna anbietet, nach Spitzbergen zu reisen und einen Bericht über die einzigartige Landschaft zu verfassen, zögert sie nicht. Der sympathische Polarforscher Kåre Nybol zeigt ihr die großartige arktische Wildnis abseits der Tourismuspfade. Eine Entdeckung in einer Gletscherspalte und die damit verbundenen Recherchen führen Hanna und Kåre zurück in die Anfangsjahre des 20. Jahrhunderts.

Thema und Genre
In diesem Roman geht es um die Arktis, um spannende Abenteuer, aber auch um Gesellschaftsthemen, Gleichberechtigung, Familie und die Liebe.

Charaktere
Emilie und Hanna trennen auf ihrer Reise in die Arktis mehr als einhundert Jahre, doch für beide ist es eine einmalige Chance. Für Emilie als „höhere Tochter“ aus sehr begüterten Verhältnissen ist es eine Gelegenheit, den strengen gesellschaftlichen Zwängen ihrer Zeit zumindest kurz zu entfliehen, für Hanna ein Weg, Abstand zu gewinnen vom Scheitern ihrer langjährigen Ehe.

Handlung und Schreibstil
Die spannende, unterhaltsame Geschichte wird in zwei Handlungssträngen erzählt, die einander abwechseln. Emilies Reise in die Arktis findet 1907 statt, Hannas Reise 2013. Die Figuren sind sympathisch, interessant und jede einzelne Figur hat ihre besonderen Eigenheiten. Die Beschreibungen der einmaligen arktischen Landschaft und des Lebens dort damals und heute sind intensiv und lebendig. In den Schilderungen von Rügen im Jahr 1907 gibt es jedoch gravierende Fehler, so spricht die Autorin zum Beispiel vom Seebad Bergen und dem Sandstrand, nun, die heutige Inselhauptstadt Bergen lag auch 1907 schon mitten auf der Insel, umgeben von Wiesen, Feldern und Hügeln. Die vier Kilometer lange Strecke zwischen Wissower Klinken und Victoriasicht legt Emilie in wenigen Minuten zurück und ärgert sich noch über ihren langen, engen Rock. Bei einer Autorin, die als Lektorin und Drehbuchautorin vom Fach ist, erstaunt mich, dass hier so achtlos recherchiert wurde. Dass man nicht mal einfach so nach Spitzbergen reisen kann, ist klar, aber Rügen ist nun wirklich leicht zu erreichen, um sich den Ort der Handlung anzusehen. Dennoch, es ist kein Reisebericht, sondern ein Unterhaltungsroman, und genau dies tut er auch.

Fazit
Ein unterhaltsamer, abwechslungsreicher Roman, der in der wilden, einsamen arktischen Landschaft spielt. Lesevergnügen mit Fernweh-Faktor.

Bewertung vom 10.02.2022
Flucht
Landin, Mike

Flucht


ausgezeichnet

Facettenreich, spannend, menschlich

„Seine Träume waren nie wirklich fort gewesen. Sie hatten sich in seinem Unterbewusstsein versteckt und auf den Tag gewartet, in dem man sie wieder herausließ.“ (Zitat Seite 27)

Inhalt
Mit achtzehn wollten sie aus der DDR flüchten, aber es waren Jugendträume. Heute, 1979, ist der Journalist Martin Wolf einunddreißig Jahre alt, frustriert und desillusioniert. Für eine Reportage besucht er das Hochsicherheitsgefängnis Bautzen und steht dort plötzlich einige Sekunden lang seinem damaligen Freund gegenüber. Ein paar leise Worte, gefolgt von einem Versprechen. Kurz darauf trifft Martin die angehende Ärztin Paula und sie werden ein Paar, was Martins Leben völlig verändert. Paula, Martin und sein Cousin Claus werden Fluchthelfer. Zehn Jahre später ist es Zeit, das Versprechen einzulösen, doch plötzlich ist nicht nur die Stasi hinter ihnen her, sondern auch ein skrupelloser Gewalttäter, der niemals aufgibt, während die Stasi schon längst Geschichte ist.

Thema und Genre
Natürlich sind auch das Leben in der DDR und der Wunsch nach Freiheit in diesem spannenden Roman wichtige Themen, doch es geht um wesentlich mehr. Es geht um Freundschaft, Liebe, persönliche Überzeugungen, Verantwortung, Mut, aber auch spontane Entscheidungen mit weitreichenden Folgen.

Charaktere
Die einzelnen Charaktere agieren glaubhaft, nachvollziehbar, menschlich und machen Fehler. Dies macht sie sympathisch.

Handlung und Schreibstil
Die Geschichte spielt in den Jahren 1979 bis 2006, wird ergänzt durch erklärende Rückblenden, und ist in eine Rahmenhandlung eingebettet, die im Jahr 2021 stattfindet. Es ist eine packende, facettenreiche Geschichte, deren lose Enden sich tatsächlich erst 2021 schließen. Die Erzählform stellt die Hauptfiguren abwechselnd in den Mittelpunkt der jeweiligen Ereignisse, wechselt zwischen personal und neutral, doch zwischendurch wird der Erzähler auktorial. Diese Perspektivwechsel sorgen für zusätzliche Spannung, man weiß plötzlich mehr, als einzelne Figuren selbst, schüttelt manchmal den Kopf über ihre Entscheidungen und bangt mit ihnen, wenn Gefahr droht. Die Sprache ist sehr angenehm zu lesen. Was mich beeindruckt, ist das hervorragende Lektorat, das gerade für Selbstverleger nicht selbstverständlich ist. Der kleine Tippfehler im Zitat ist einer der ganz wenigen, die auf den insgesamt 301 Seiten übersehen wurden, natürlich habe ich gerade dieses Zitat aus anderen Gründen gewählt, es ist für mich eine wichtige Aussage zur Person Martins.

Fazit
Eine facettenreiche, spannende Geschichte über Verantwortung, Mut und Entscheidungen, die Leben verändern.

Bewertung vom 04.02.2022
Eine verdächtig wahre Geschichte
Laurain, Antoine

Eine verdächtig wahre Geschichte


ausgezeichnet

Facettenreich und überraschend

„Vor langer Zeit ist etwas geschehen. An diesem Winternachmittag in der großen Stadt, auf der Terrasse dieses Cafés, unter diesem mondgrauen Himmel beschließe ich: Bald wird alle Schuld beglichen sein.“ (Zitat Pos. 609)

Inhalt
Zehn bis fünfzehn Manuskripte treffen täglich in diesem Pariser Verlag ein. Pro Jahr werden zwei bis drei davon angenommen. „Die Zuckerblume“ von Camille Désencres ist einer dieser Romane und ist nun auch für den Prix Goncourt nominiert. Als Violaine Lepage, Cheflektorin und Leiterin der Manuskriptabteilung, nach einem Unfall aus dem Koma erwacht, hat sie ein paar persönliche Fakten aus ihrem Leben vergessen, das jedoch nicht. Denn der Autor ist verschwunden. Ein berühmter Literaturpreis für ein von ihr veröffentlichtes Buch, bei dem sie nicht in der Lage ist, den Autor zu präsentieren, würde das Ende ihrer beeindruckenden Karriere bedeuten. Nun interessiert sich auch Sophie Tanche, Kommissarin der Kriminalpolizei Rouen, für die bekannte Lektorin und für diesen Roman. Vor einem Jahr hat die Kommissarin in einem immer noch ungelösten Fall mit zwei Toten ermittelt, deren Ermordung genau der Beschreibung in diesem Buch entspricht. Nun ist auch die Kommissarin auf der Suche nach dem Autor, denn in dem Roman sind streng vertrauliche Details erwähnt, die nie an die Öffentlichkeit gelangt sind, und es geht um insgesamt vier Morde.

Thema und Genre
Dieser Roman spielt in der Literaturszene. Themen sind Verlage, Bücher, Manuskripte und Buchpreise. Doch es geht auch um persönliche Entscheidungen und Geheimnisse, die tief in der Vergangenheit begraben sind.

Charaktere
Die Figuren sind authentisch, zeigen viele menschliche Facetten und ziehen uns Lesende sofort in ihren Bann.

Handlung und Schreibstil
Die Geschichte wird in drei Teilen erzählt, wobei der zweite, mittlere Teil zwanzig Jahre früher spielt, die berufliche Entwicklung von Violaine schildert, und so die aktuelle Handlung unterbricht, gleichzeitig jedoch mit wichtigen Informationen ergänzt. Dieser interessante Aufbau der Geschichte macht sie packend und erhöht das intensive Vergnügen, sich Seite um Seite durch diese geheimnisvolle Suche nach einem unbekannten Autor zu lesen und gleichzeitig der ermittelnden, misstrauischen Kommissarin zu folgen.

Fazit
Eine Geschichte, deren Manuskript auch die strenge Lektorin Violaine sofort mit einer Sonne, dem internen Zeichen der Manuskriptabteilung für „angenommen“, versehen und veröffentlicht hätte. Denn dieser unterhaltsame, facettenreiche und überraschende Roman ist pures, großartiges Lesevergnügen.

Bewertung vom 29.01.2022
Gott aus Stroh
Dommel, Frank

Gott aus Stroh


ausgezeichnet

Vielschichtig, beeindruckend, ein packendes Leseerlebnis

„Der Wald roch schon nach Herbst, obwohl noch keine Birke gelb trug. Die Landschaft bestand nur aus den notwendigsten Elementen, eine sparsame Malerei aus Immergrün, rotbraungrauen Erhebungen, einem kreidigen Himmel und dem Fjord, der glänzte wie gebläuter Stahl.“ (Zitat Seite 82)

Inhalt
Eigentlich wollte sich der Münchner Kriminaloberkommissar Falk Sebastiani in der Musikabteilung des Kaufhaus Beck nur genussvoll durch einige Jazz-Neuerscheinungen auf CD hören, doch er gerät in einen Terroranschlag, ist sofort im Einsatzmodus und erschießt die drei Attentäter, um weitere Tote zu verhindern. Seine Vorgesetzten legen ihm eine sofortige Auszeit nahe. Falk besitzt ein altes, entlegenes Ferienhaus in Norwegen. Auf dem Weg besucht er seine Ex-Frau, die mit der gemeinsamen Tochter Hannah, demnächst achtzehn Jahre alt, in Oslo lebt. Falk will endlich seine Tochter sehen, die seit der Scheidung vor vier Jahren jeden Kontakt zu ihm abgebrochen hat. Angeblich ist Hannah gerade in Madrid, doch plötzlich melden sich Entführer mit einer Lösegeldforderung, und zwar aus Norwegen. Auf der Suche nach seiner Tochter versinkt Falk immer tiefer in einem undurchsichtigen, verworrenen Fall, den zu lösen nicht seine Aufgabe war, und dessen mögliche Zusammenhänge ihm Angst machen.

Thema und Genre
Dieser Nordic Noir Roman ist mehr, als nur ein Kriminalroman, denn in diesem Genre geht es immer auch um gesellschaftskritische, soziale Aspekte, um die Probleme unserer modernen Gesellschaft. Themen in dieser Geschichte sind Beziehungen, Eltern-Kind-Konflikte, Drogen, das freie, genügsame Leben der Samen mit ihren Rentierherden, die Flüchtlingsproblematik auf der „Eisroute“ von Russland nach Norwegen, und die psychologischen Facetten von Schuld.

Charaktere
Falk Sebastiani ist ein sympathischer Ermittler mit persönlichen Problemen. Er hinterfragt sich selbst und sein Handeln bei diesem Anschlag in München, das jahrelange Schweigen seiner heranwachsenden Tochter belastet ihn. Als die aktuellen Ereignisse es erfordern, ist er sofort bereit, sich für seine Tochter einzusetzen, mit allen Konsequenzen und um jeden Preis. Der Autor nimmt sich Zeit für seine Figuren, zeichnet sie glaubwürdig und menschlich. Es sind lebensnahe Charaktere, deren Entscheidungen und Handeln sich wie im realen Leben in allen Schattierungen der Graubereiche bewegen.

Handlung und Schreibstil
Die Geschichte spielt überwiegend im Nordosten von Norwegen, in der weiten, einsamen Natur der Finnmark. Bewusst habe ich diesmal als Zitat eines dieser poetischen Stimmungsbilder gewählt, das uns sofort in die spätsommerliche Landschaft Nord-Norwegens versetzt. Der Autor kennt Norwegen sehr gut und daher sind viele der Handlungsorte real und die online verfügbaren Bilder ergänzen unsere Phantasie mit Fotografien der Örtlichkeiten und Umgebung. Zwei Erzählstränge wechseln einander ab, der erste Erzählstrang schildert die Nachforschungen und aktuellen Erlebnisse von Falk, der zweite Erzählstrang trägt nach der jeweiligen Kapitelnummer Koordinaten, welche ebenfalls real sind und die abenteuerliche Flucht einer Flüchtlingsfamilie als Symbol unterstreichen, um die es in dieser Parallelgeschichte geht. Die Handlung ist durch die unterschiedlichen Problematiken facettenreich, durch ihre Figuren packend und wird anschaulich durch die erzählenden, ruhigen Beschreibungen ergänzt. Es ist dieses Gesamtbild, das uns Lesende bei und nach der Lektüre atemlos macht und zu vielen weiteren Gedanken anregt.

Fazit
Ein bunter, aber auch dunkler, vielschichtiger Nordic Noir Kriminal- und Gesellschaftsroman, ein beeindruckendes, packendes, überzeugendes Leseerlebnis.

Bewertung vom 18.01.2022
Im Ruin
Kadletz, Barbara

Im Ruin


ausgezeichnet

Modern und poetisch, easy, würde Katharina sagen

„Man kann auch an einem guten Ort auf einer Irrfahrt sein. Man irrt dabei halt nicht durch die Welt, sondern dreht sich immer auf der Stelle, permanent im Kreis herum.“ (Zitat Seite 73, 74)

Inhalt
Als David und Katharina das kleine Lokal im zehnten Wiener Gemeindebezirk von den alten Vorbesitzern übernehmen, liegt ihr Leben noch vor ihnen, denken sie. Jetzt ist David tot und Katharina. erst dreinundreißig Jahre alt, ist damit beschäftigt, das Leben im Andenken an ihn und die gemeinsame Vergangenheit weiterzuführen, sie funktioniert (meistens), und an weniger guten Tagen verlässt sie sich auf ihre Mitarbeiterin und beste Freundin Sabina. Ari ist auf der Flucht aus seinem Leben und landet durch Zufall in Wien. Schlaflos, erstaunt und verwirrt streift er durch Favoriten, diesen besonderen Bezirk, gleichsam eine Insel in der Großstadt, und entdeckt plötzlich diese kleine Bar „Ruin“ im Erdgeschoss eines ungewöhnlichen Hauses. Bekannt für den hervorragenden Kaffee, bietet das „Ruin“ seinen Gästen Frühstück ab siebzehn Uhr und dazu Getränke bis spät in die Nacht hinein. Es ist neunzehn Uhr, ein besonders gemütlicher Tisch in einer Nische ist frei und Ari hat Lust auf Frühstück, von nun an täglich, immer pünktlich um neunzehn Uhr.

Thema und Genre
In diesem Roman geht es um Veränderungen, die Suche nach einem neuen oder alten Platz im eigenen Leben, um Trauer, Verlust, Freundschaft und um Wien und ein typisches Grätzellokal, das für die unterschiedlichsten Menschen so etwas wie Geborgenheit und Heimat bedeutet.

Charaktere
Die Figuren dieser Geschichte sind moderne Großstadtmenschen. Einfühlsam und humorvoll lässt die Autorin sie auch unkonventionelle Wege gehen, während sie realistisch die Probleme und Konflikte schildert. Gerade weil sie bisher nicht Teil eines gemeinsamen Lebens waren, können Katharina und Ari einander unvoreingenommen begegnen und auch dort interessierte und kritische Fragen stellen, wo andere aus Rücksicht und Sorge dies nicht tun.

Handlung und Schreibstil
Die Geschichte spielt in Wien, genau gesagt, im zehnten Wiener Gemeindebezirk, und der Zeitrahmen umfasst weniger als ein Jahr, vom Spätsommer bis zum nächsten Frühling. Rückblenden in Form von Katharinas Erinnerungen ergänzen die aktuelle Handlung, in der auch immer die entsprechende Musik mitklingt. Die Sprache der Autorin ist modern, manchmal kantig, grantig, aber immer auch charmant, Eigenschaften, mit denen man auch Wien und das Wienerische beschreiben könnte. „Easy“, wie Katharina zu sagen pflegt.

Fazit
„Romantischer Dadaismus“, diesen Begriff erfinden Katharina und Ari in einem Dialog in Bezug auf ihre unterschiedlichen Strategien, wieder in das eigenen Leben zu finden, und besser kann man diese kluge, poetische Geschichte nicht beschreiben.

Bewertung vom 16.01.2022
Das verlassene Haus / Armand Gamache Bd.3
Penny, Louise

Das verlassene Haus / Armand Gamache Bd.3


ausgezeichnet

Facettenreich und spannend

„Wir laden die Weisheit der Welt in unseren geweihten Kreis an, um uns zu schützen und zu führen und über unser Werk in dieser Nacht zu wachen, während wir dieses Haus von allen Geistern, die es besetzt halten, befreien.“ (Zitat Seite 74)

Inhalt
Der Frühling hält Einzug in Three Pines und das Dorf bereitet sich auf das Osterfest vor. In Gabri Dubeaus Pension trifft ein Feriengast ein, Jeanne Chauvet, ein Medium. Spontan plant Gabri eine Séance in Oliviers Bistro, doch diese wird unterbrochen. Plötzlich kommt das Gespräch auf das düstere Hadley-Haus. Auf Grund der vergangenen Ereignisse sind die Dorfbewohner überzeugt, dass dieses düstere Haus böse ist. Daher findet die nächste Séance am Ostersonntagabend direkt im Hadley-Haus statt, um das Böse endgültig zu vertreiben. Kerzen, Salz, ein geweihter Sesselkreis als sicherer Ort und dann plötzlich Schritte, ein Schrei und jemand fällt vom Sessel. Armand Gamache verbringt den Ostermontag mit der Familie, als seine Frau Reine-Marie den Artikel in der Zeitung entdeckt. Im alten Hadley-Haus in Three Pines ist jemand buchstäblich zu Tode erschrocken und Armand Gamache hat einen neuen Fall voller Rätsel und Geheimnisse.

Thema und Genre
In diesem dritten Fall von Armand Gamache geht es um Religion und Spiritualität in unterschiedlichen Formen, aber auch um Ängste, Intrigen, um Entscheidungen und ihre gravierenden Folgen. Themen sind aber auch Freundschaft, Liebe und der Zusammenhalt einer kleinen Dorfgemeinschaft.

Charaktere
Armand Gamache muss erkennen, dass die Dinge nicht so sind, wie sie scheinen. Nicht in diesem neuen Fall und nicht in seinem Team. „Alles, was er bisher als gegeben betrachtet hatte, als Tatsache, als real und unbestritten, war zusammengebrochen.“ (Zitat 97). Doch Gamache gibt nicht auf, denn die Bedrohung richtet sich nicht mehr nur gegen ihn, er muss auch die Menschen schützen, die ihm nahestehen.

Handlung und Schreibstil
Die spannende, geheimnisvolle Geschichte wird chronologisch erzählt. Lebhafte Beschreibungen von Three Pines und dem Osterfest in diesem schönen, meistens gemütlichen Dorf, ergänzen die Handlung. Mit viel Humor und sehr anschaulich geschilderte Episoden und Dialoge der liebenswerten, teilweise etwas schrulligen Dorfbewohner sorgen für zusätzlichen Spaß beim Lesen. Parallel zu den Ermittlungen halten die bedrohlichen Vorgänge innerhalb der Sûreté Gamache in Atem. Auch hier fehlen ihm noch wichtige Fakten, bis es zum entscheidenden Showdown kommt.

Fazit
Ein neuer, geheimnisvoller Fall für Chief Inspector Armand Gamache, Leiter der Mordkommission der Sûreté du Québec. Auch dieser dritte Band der Serie überzeugt durch die Vielfalt der Themen und bringt spannendes Lesevergnügen.

Bewertung vom 16.01.2022
Tief eingeschneit / Armand Gamache Bd.2
Penny, Louise

Tief eingeschneit / Armand Gamache Bd.2


ausgezeichnet

Ein facettenreiches Lesevergnügen

„Gamache wusste, dass dieses Rätsel, wie bei jedem Mord, vor langer Zeit begonnen hatte. Das hier war weder der Anfang noch das Ende.“ (Zitat Seite 91)

Inhalt
Three Pines ist ein kleines, verstecktes Dorf in den Eastern Townships, weniger als neunzig Autominuten von Montreal entfernt. Jetzt, während der Weihnachtszeit, ist alles mit einer dicken, weißen Schneedecke bedeckt. Einer der Höhepunkte der Aktivitäten der Dorfgemeinschaft während der Weihnachtstage ist das Curling-Turnier und vor allem der Moment zum Abschluss, wenn Mother das Haus räumt. Was damit gemeint ist, ist eines der vielen Rätsel, die auch Chief Inspector Armand Gamache, Leiter der Mordkommission der Sûreté du Québec, lösen will, denn genau in diesem besonderen Augenblick, als alle gebannt auf die Eisbahn schauen, passiert ein Mord.

Thema und Genre
Dieser Kriminalroman spielt in Kanada und ist der zweite Band aus der Serie um Chief Inspector Armand Gamache. Themen sind menschliches Verhalten, Erfahrungen und Gefühle, die Menschen prägen und Ermittlungen, die genau in diesen Konflikten die Hintergründe einer Tat suchen.

Charaktere
Es sind mit allen ihren Eigenheiten liebenswerte Figuren, die in dem verschlafenen, meistens friedlichen und gemütlichen kleinen Ort Three Pines leben. Armand Gamache fragt als Ermittler immer erst nach dem „Warum?“, später erst nach dem „Wer?“. Seine Antworten sucht er in der Vergangenheit und Gefühlen, die dort entstanden sind.

Handlung und Schreibstil
Die Handlung spielt in der aktuellen Zeit, in welcher der Roman geschrieben wurde, wird chronologisch erzählt. In den Büchern dieser Autorin geht es nie nur um eine Tat und die damit verbundenen Ermittlungen. Sie führt uns gleichzeitig auch mitten in das gesellschaftliche Dorfleben und ergänzt die Geschichte mit eindrücklichen Schilderungen von Landschaft, Natur und den Menschen mit ihren persönlichen Konflikten und Entscheidungen, vor die sie gestellt wurden und werden. Sie alle entwickeln sich weiter und wir folgen ihrem Weg in jedem Buch dieser Serie. Gleichzeitig zu den laufenden Ermittlungen verläuft eine Parallelgeschichte, da Gamache in der jüngeren Vergangenheit aus persönlicher Überzeugung eine Entscheidung getroffen die, welche die Sûreté intern in zwei Lager spaltet. Der Schreibstil der Autorin ist im Original sehr elegant und mit Vergnügen zu lesen, dagegen wirkt die deutsche Übersetzung leider etwas plump. Dies mag auch daran liegen, dass die englische Sprache feiner nuanciert, unterschiedliche Ausdrücke hat, um etwas genauer auszudrücken, wo die deutsche Sprache nur einen einzigen Ausdruck kennt und für weitere Definitionen zusätzliche Nebensätze braucht, oder aber darauf verzichtet. Wer englische Bücher auch in der Originalsprache liest, sollte dies bei Louise Penny unbedingt tun.

Fazit
Ein facettenreicher, packender Kriminalroman, der auch durch die Vielfalt der Themen und kauzige, unkonventionelle Figuren überzeugt.

Bewertung vom 27.12.2021
DAS EULENTOR
Gruber, Andreas

DAS EULENTOR


ausgezeichnet

Ein packender, vielschichtiger Pageturner

„Denn bis auf einen verdammt tiefen, geometrisch exakten Schacht, ein paar Gesteinsproben, unheimliche Vogelgerippe und einer Menge vager Theorien haben wir nichts zu bieten.“ (Zitat Seite 177)

Inhalt
Im August 1911 bricht der junge Wiener Arzt und Schriftsteller Dr. Alexander Berger mit einer Gruppe von insgesamt sechs Personen in die Arktis auf. Mit im Team ist auch die Isländerin Marit Ragnarsdóttir, eine Kartografin. Ihr Ziel ist die Erkundung und Kartografierung von Spitzbergen. Am 11. August starten sie mit drei Hundeschlitten die Inselumrundung, dann schlägt das Wetter um. Sie müssen die Expedition abbrechen, zuvor jedoch entdecken sie einen geheimnisvollen Schacht. Schon im Frühjahr 1912 kehren sie zurück und errichten eine richtige Station auf dem Plateau, wo sie 1911 gescheitert waren. Ihr Ziel ist nicht mehr die Kartografierung, sondern die Erforschung dieses Schachts, dessen dunkle, noch rätselhafte Tiefe sie magisch anzieht und gleichzeitig in tiefe Angst versetzt. Im November 2021 kommt die Huskytrainerin Neele Tujunen in die inzwischen moderne, groß ausgebaute Forschungsstation. Sie hat das erste Tagebuch von Alexander Berger im Nachlass ihres Großvaters gefunden und will wissen, was damals passiert ist.

Thema und Genre
Vom Verlag als Horrorthriller eingestuft, ist dieses Buch gleichzeitig auch ein spannender Abenteuerroman. Es ist eine interessante Geschichte über naturwissenschaftliche Expeditionen und Entdeckungen. Sie spielt auf der arktischen Inselgruppe Spitzbergen.

Charaktere
Der Autor nimmt sich Zeit für seine unterschiedlichen Charaktere. Sie sind glaubhaft und ihre Handlunge nachvollziehbar, dadurch sind sie nahe an uns Lesenden und man fiebert gepackt mit. Alexander Berger und Marit Ragnarsdóttir sind eher skeptisch, während sein Freund, der Abenteurer Jan Hansen, und Ing. Gottfried Prehm wie Besessene sind, sie sehen diesen Schacht als persönliche Herausforderung, sich selbst als wissenschaftliche Pioniere. Hansen ist ungeduldig und emotional, Prehm der besonnene, rationale Wissenschaftler. Neele will 2021 unbedingt herausfinden, ob es einen Zusammenhang zwischen ihrer Familie und dieser Geschichte gibt.

Handlung und Schreibstil
Die Handlung ist in zwölf Teile gegliedert und wird in zwei unterschiedlichen Erzählsträngen und Zeitebenen erzählt. Die erste Geschichte, in personaler Erzählform mit Neele im Mittelpunkt, findet im aktuellen Jahr 2021 statt. Sie bildet die Rahmenhandlung für die zweite Geschichte, die Erlebnisse von Alexander Berger ab 1911, erzählt als Aufzeichnungen in der ersten Person. Die Ereignisse werden jeweils chronologisch geschildert und beide Zeitebenen wechseln einander ab. Diese Art des Erzählens passt perfekt zum Genre. Das Handlungstempo ist rasant und umfasst einerseits die wissenschaftlichen Erkenntnisse, logisch nachvollziehbare physikalische Überlegungen, Erfahrungen, andererseits die rätselhaften Ereignisse im Zusammenhang mit dem Schacht. Auch die Gefahren der Natur mit tiefer Kälte und Eis zwischen Mitternachtssonne und Dunkelheit sind so gut und eindrücklich beschrieben, dass wir uns sofort mitten in den Schneestürmen fühlen und uns das dunkle, mystische Grauen, das Ahnen von etwas Übernatürlichem, beim Hinabgleiten in den Schacht erfasst.

Fazit
Eine packende, interessante, sehr spannende Mischung aus Entdeckergeschichte, Abenteuerroman und Horrorthriller, ein großartiges Lesevergnügen. Ein Pageturner, perfekt für kalte, dunkle Winterabende, aber nicht nur für diese.

Bewertung vom 25.12.2021
Mama
Lind, Jessica

Mama


gut

Interessant, beklemmend, verwirrend

„Und da ist dieses vertraute Gefühl, gemeinsam einen Augenblick zu erleben, den sie gleich empfinden, anstatt Menschen auf zwei verschiedenen gedanklichen Kontinenten zu sein.“ (Zitat Pos. 100)

Inhalt
Josef und Amira verbringen einige Tage in einer einsamen Hütte im Wald. Josef hat dort die Sommer seiner Kindheit verbracht. Drei Tage Urlaub in der Natur, völlig abgeschieden, Zeit füreinander. Der Zeitpunkt ist von Amira bewusst gewählt, sie hofft, dass es endlich mit dem lang ersehnten Kinderwunsch klappt. Tatsächlich wird Amira schwanger und sechs Wochen vor der Geburt fahren die beiden wieder zur Hütte, Babymoon, der letzte Urlaub ohne Kind. Die nächsten Ferien folgen mehr als drei Jahre später, diesmal mit Tochter Luise, ihr Vater will ihr die Natur zeigen. Doch immer öfter gleitet Amira in unterschiedliche Zeit- und Wahrnehmungsebenen ab, die Grenzen zwischen Einbildung und Realität verschwinden.

Thema und Genre
In diesem Roman mit starken psychologischen Themen wie Ängsten, Realitätsverlust und Zwängen, geht es im die Veränderungen im Leben einer Frau, wenn sie Mutter wird, um den Schritt von Beziehung und Partnerschaft zur Familie. Im Laufe der Geschichte gleiten die Ereignisse durch übernatürliche, unerklärbare Wahrnehmungen ins Horrorgenre ab.

Charaktere
Amira ist keine sympathische Figur. Sie ist besessen von ihrem Kinderwunsch, was auch die Beziehung zu ihrem Ehemann Josef belastet. Dann wird sie zur Übermutter, will eine perfekte Mutter sein, gleichzeitig belasten sie Zweifel und Ängste, Andeutungen weisen auf das Gegenteil hin. Ständig hinterfragt sie sich selbst zwanghaft in ihrer Mutterrolle, ihre Tochter wird zum Mittelpunkt ihres Lebens, um den sich alles dreht.

Handlung und Schreibstil
Die Geschichte wird in vier übergeordneten Teilen erzählt. Im personalen Mittelpunkt steht immer Amira; ihr Ehemann Josef und ihre Tochter Luise bleiben Nebenfiguren. Weitere Hauptprotagonisten sind eine einsame Hütte am Waldesrand, der Wald selbst, ein altes Märchenbuch, das Josefs Vater vor vielen Jahren geschrieben hat, und eine Hündin, vor der Amira panische Angst hat. Was zunächst leise und alltäglich beginnt, wird rasch durch kurze Episoden und viele unterschiedliche Andeutungen surreal und beklemmend. Wir folgen der Hauptfigur Amira durch einige Jahre, wobei sie selbst immer öfter hinterfragt, in welcher Zeit- und Wahrnehmungsebene sie sich befindet, und wir Lesende fragen uns das ebenso. Das Leben ein Traum, der Traum ein Leben, die Autorin lässt uns mit dieser etwas wirren, unglaubwürdigen Geschichte und vielen losen Enden zurück, gibt uns damit jedoch viel Stoff zum Nachdenken. Ich habe diesen Roman mit dem Gefühl beendet, dass sich nicht nur die Hauptfigur Amira im dichten Gedankenwald dieser Geschichte verirrt hat, sondern irgendwann auch die Autorin.

Fazit
Eine beklemmende, packende, etwas wirre Geschichte, ein Beziehungsroman mit starken psychologischen Themen und Elementen aus dem Horrorgenre.