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Lesendes Federvieh
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München
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Hinter dem Namen Lesendes Federvieh verbirgt sich das Blogger-Duo kathiduck und Zwerghuhn. Wir lesen querbeet alles, was uns zwischen die Finger kommt und veröffentlichen die Rezensionen dazu auf unserem Blog (lesendes-federvieh.de). Dort gibt es übrigens noch viele weitere Beiträge rund ums Thema Buch. :)

Bewertungen

Insgesamt 539 Bewertungen
Bewertung vom 05.05.2021
Die Kobra von Kreuzberg
Decar, Michel

Die Kobra von Kreuzberg


sehr gut

„Die Kobra von Kreuzberg ist ein vollkommen verrückter, funkensprühender Roman, den ich dem Genre Heist Story zuordnen würde und der seinesgleichen sucht. Angelegt als Kriminalkomödie wird bei diesem Genre die Planung, die Vorbereitungen und der Raub selbst aus Sicht der häufig sympathischen Täter erzählt. Michel Decar bietet seinen Lesern eine Gaunerwelt vom Feinsten, voller Witz und Ironie, flott geschrieben und mit schrägen, skurrilen Charakteren, die bis ins kleinste Detail getreu skizziert sind. Sie wirken so echt und lebendig, mein Kopfkino war schon auf der ersten Seite startklar und einsatzbereit.

Eingebettet sind diese Figuren in eine rasante Räuberpistole voller irrwitziger, funkelnder und grandioser Ideenvielfalt. Unverhofft ist man plötzlich auf Seiten der Gesetzesbrecher und fiebert mit Beverly mit, dass ihr eigentlich undurchführbar scheinender Plan von Erfolg gekrönt sein wird.

Voller überschäumender Situationskomik und flotten, messerscharfen Dialogen wird man wie von einer Welle erfasst und mitten hinein in die Berliner Unterwelt gespült. Die irre Story ist schon allein für sich klasse, aber die teilweise bitterbösen und damit so, so guten , Meinungen und Mutmaßungen setzen dem Ganzen noch ein Sahnehäubchen obendrauf. Gespickt mit wunderbaren Anspielungen, gerade auch denjenigen, die zwischen den Zeilen herauspurzeln, wurde mir ein unvergleichliches Lesevergnügen zuteil.

Bewertung vom 02.05.2021
Der große Sommer
Arenz, Ewald

Der große Sommer


sehr gut

Obgleich „Der große Sommer“ zu Beginn der Achtzigerjahre angesiedelt ist, so umgibt ihn ein Zauber der Zeitlosigkeit. In leichter wie erhellend bildreicher Sprache, die insbesondere durch ihre wunderschönen Naturbeschreibungen besticht, entsteht eine warme Atmosphäre, die ein umarmendes, wohltuendes Gefühl von Nostalgie erzeugt. Man ist selbst wieder Teenager und durchlebt an der Seite von Frieder diesen einen Sommer, der geprägt ist von ersten Malen, unwiederbringlichen Erlebnissen, großer Freundschaft und mitreißender Euphorie, durchbrochen von Momenten der Trauer, jugendlichen Zweifeln und familiärer Vergangenheit.

Dabei lebt der Roman von der Authentizität und Lebendigkeit seiner Charaktere sowie der interessanten Familiendynamik. Mag der Großvater durch sein steifes wie unterkühltes Verhalten, die schroffen Kommentare und seine hohen Ansprüche auf Frieder zunächst sehr streng und respekteinflößend wirken, so schimmert unter dem weißen Kittel der Tadellosigkeit verborgene Zuneigung durch. Umso gegensätzlicher ist die warmherzige, witzige Großmutter Nana, die mir mit ihren Weisheiten mehrmals ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert hat.

Doch neben der besonderen Beziehung Frieders zu seinem Großvater, der zarten Romanze mit Beate, die in ihrer jugendlichen Frische und Unbeholfenheit herrlich vertraut wie amüsant zu lesen ist, lässt dieser erinnerungswürdige Sommer auch die traurigen Töne nicht missen. In sanften wie impulsiven Szenen erhascht man Blicke auf die verschiedenen Gesichter der Trauer, die nachdenklich stimmen.

Viel zu schnell war „Der große Sommer“ vorbei und die Zeit des Abschieds von liebgewonnenen Freunden gekommen. Was bleibt ist ein warmes Gefühl in der Herzgegend, farbenfrohe Bilder der Erinnerung und absolute Sehnsucht nach Sommer.

Bewertung vom 02.05.2021
Big Sky Country
Wink, Callan

Big Sky Country


sehr gut

„Big Sky Country“ hat mich mitten hinein ins Herz Amerikas katapultiert. Durch die bildgewaltigen Beschreibungen und die Kunst von Callan Wink kleinste Details wichtig werden zu lassen, war ich im ländlichen Amerika jenseits der großen Metropolen, sah die Farmen, die Menschen, die verschlafenen Orte, die Natur.

Die Geschichte fließt ruhig dahin, ohne je auch nur eine Sekunde zu langweilen. Der Roman besticht neben seinem klaren, unaufgeregten Schreibstil auch durch seine atmosphärische Dichte. Stimmungen werden dabei gekonnt eingefangen und direkt auf den Leser übertragen. Die Geschichte kommt völlig ohne Spannung aus und ist trotzdem so gut. Genau durch diese Art des Schreibens konnte ich mich ohne wenn und aber in das Landleben einfühlen. Vor dieser grandiosen und ehrlichen Kulisse lernt man nun August kennen, um ihn ein Stück auf seinem Weg zu begleiten.

August ist, wie es zunächst scheint, ein etwas sperriger Protagonist, verfolgt aber dennoch im Grunde seine ganz eigenen Prinzipien. Er muss damit zurechtkommen, aus seiner Heimat gerissen und in eine andere Welt verfrachtet zu werden und das mitten im Übergang zum Erwachsensein. Was ja unter normalen Bedingungen schon nicht immer leicht ist.

Callan Wink schildert eindrucksvoll und völlig unsentimental, wie August sich in seiner neuen Umgebung bewähren muss. Viele Erfahrungen, gute wie schlechte, prasseln auf ihn nieder. Alles ist so realistisch und lebendig dargestellt, man spürt richtig wie August „tickt“, was er denkt und fühlt. Dadurch entwickelt sich eine Nähe, die Stück für Stück seine Ecken und Kanten abrundet und seine Entscheidungen absolut folgerichtig und logisch erscheinen lassen.

„Big Sky Country“ ist nicht nur ein großartiges Buch über Identitätssuche, sondern auch ein Porträt des ländlichen Amerikas. Vielleicht auch in gewisser Weise ein moderner Cowboyroman, der mich von der ersten Seite an begeisterte.

Bewertung vom 28.04.2021
Die Harpyie
Hunter, Megan

Die Harpyie


ausgezeichnet

„Die Harpyie“ polarisiert wie kaum ein anderer Roman in diesem Bücherfrühling, manche bleiben mit Unverständnis und Enttäuschung zurück, während andere sich vor Lobeshymnen nur so überschlagen. In erster Linie ist es wohl Geschmackssache, allerdings bedarf es in meinen Augen in erster Linie verstärkter Aufmerksamkeit, wenn man die unter nüchtern anmutender Sprache verschleierte Tiefgründigkeit in ihrem gesamten Ausmaß als grandioses Psychogramm einer Frau, die an ihrem Interrollenkonflikt zugrunde geht, begreifen möchte.

Der Verrat durch den Ehemann ist nur die Spitze des Eisberges, welcher die lange unter der Oberfläche schwelenden Emotionen der Überforderung durch die Mutterrolle, der Aufgabe ihrer Karriereambitionen zugunsten der von ihr erwarteten Hausfrauentätigkeit und des äußeren Anspruches der Gesellschaft hochkochen lässt. Durch die geschickte Wahl der Ich-Erzählperspektive wird man selbst zu Lucy, findet sich in einer stagnierten Ehe wider, sieht sich mit den argwöhnischen Blicken und anklagenden Kommentaren der scheinbar so perfekten Nachbarn konfrontiert und gleitet unter der erdrückenden Belastung in eine wahnhafte Obsession, die mit zunehmendem Realitätsverlust verbunden ist.

Unterfüttert wird diese von Wut und Verzweiflung durchzogene, mit Hass besprenkelte wie atmosphärisch angehauchte Erzählung, die vielmehr einem Märchen gleicht, von kursiv gedruckten Passagen über die mythologische Figur der Harpyie. Anfangs wirken diese Erinnerungsfragmente wie zusammenhanglos eingeworfen, doch zunehmend ergeben sie ein erschreckend klares Bild einer unaufhaltsamen Metamorphose, die in ein Ende gipfelt, welches die Gemüter spaltet. In meinen Augen ist es jedoch mitsamt des Interpretationsspielraums der passende, in seiner Ausführung konsequente Abschluss dieses präzisen Psychogramms, dessen scharfe Krallen sich nachhaltig ins Gehirn bohren.

Bewertung vom 25.04.2021
Nur vom Weltraum aus ist die Erde blau
Stephan, Björn

Nur vom Weltraum aus ist die Erde blau


ausgezeichnet

Spannend, witzig und präzise auf den Punkt gebracht lässt Björn Stephan ein Stück Zeitgeschichte wieder aufleben. Schauplatz ist dabei eine eintönige Plattenbausiedlung in Ostdeutschland während der Nachwendezeit. Einfühlsam erzählt er vom Erwachsenwerden mit all seinen Problemen, vom Abgehängtsein unabhängig von der Herkunft, von Freundschaft und erster zarter Liebe. Zugleich lässt er aber auch deutlich die Auswirkungen des Zusammenbruchs der DDR, die damit verbundene Orientierungslosigkeit der Erwachsenen und ihrer Angst vor einer ungewissen Zukunft mit in die Geschichte einfließen.

Die drei jugendlichen Protagonisten erleben eine Zeit der großen Umbrüche, in die sie hineinwachsen müssen. Die Erfahrungen, die Sascha, Sonny und Juri machen, sind berührend, melancholisch und auch humorvoll beschrieben. Ich konnte mich unglaublich gut in ihre Gefühlswelt und ihr Tun hineinversetzen. Das liegt sicher auch daran, dass der 13-jährige Sascha als Erzähler fungiert und die Dinge in seiner ganz eigenen, klaren Sprache so schildert, wie er sie wahrnimmt. So lässt der Autor hinter all der Tristesse eine Welt voller Magie entstehen. All das gleichförmigen Grau verbirgt durchaus Buntes, man muss es nur erkennen können.

Ein großartiger Farbklecks sind dabei die mit so viel Herzblut und Liebe zum Detail skizzierten Figuren. Sie sind alle etwas Besonderes und füllen die Siedlung mit Leben. Meine absolute Lieblingsfigur im Buch ist der aus dem Iran stammende Herr Reza, der durch seine klugen Gedanken und seine gewählte, ausdrucksstarke Sprache ein Fels in der Brandung ist. Seine Überlegungen zu Erinnerungen und Vergangenheit werden mich auf jeden Fall noch länger beschäftigen.

Björn Stephan bietet mit seinem großartigen Buch einen eindrucksvollen Einblick in die frühen Jahre des wiedervereinigten Deutschlands. Das war sehr interessant und für mich als Süddeutsche auch sehr lehrreich zu lesen.

Bewertung vom 25.04.2021
Zwischen Du und Ich
Funk, Mirna

Zwischen Du und Ich


sehr gut

Das Einzigartige an diesem Roman ist die unerschrockene, direkte und gleichzeitig sensible Art der Autorin mit schweren Themen umzugehen. Es ist ein unbequemes Buch, weil man nicht einfach wegschauen kann und genau das hat mir so gut gefallen. Man muss sich einlassen auf Traumata - entstanden im Hier und Jetzt sowie in der Vergangenheit und auf eine komplizierte Liebesgeschichte zwischen zwei Menschen, die großen Ballast mit sich herumtragen.

Mirna Funk erzählt diese mitreißende und hochemotionale Geschichte abwechselnd aus der Sicht von Nike und Noam. Bei beiden haben sich Erfahrungen von körperlicher Gewalt tief in ihre Seelen eingebrannt. Doch trotz aller Vertrautheit ist es schwierig, den Panzer des anderen zu knacken, zu stark sind sie mit der Aufarbeitung der eigenen Erlebnisse beschäftigt. Diesen Weg mit den beiden zu gehen war nicht immer einfach. Das liegt zum einen an einigen heftigen Szenen (die aber genau so sein mussten), bei denen man nicht zartbesaitet sein sollte, zum anderen an den recht sperrigen Charakteren, zu denen man im Laufe der Geschichte immer besser Zugang findet, obwohl mir das bei Noam wirklich schwer fiel.

Genau das lässt diesen Roman so authentisch und lebendig wirken. Sie beschönigt nichts und schreibt direkt und unverblümt über Missstände in unserer modernen Gesellschaft, achtet jedoch darauf, die Gräueltaten der Vergangenheit nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Gleichzeitig lässt sie immer wieder die interessante Frage durchblicken, in wieweit Traumata vorangegangener Generationen das Leben ihrer Nachkommen bestimmen könnten. Dabei entfaltet sich eine Sogwirkung, derer ich mich nicht entziehen konnte und wollte. Zudem erfährt man einiges über jüdisches Leben hierzulande und auch in Tel Aviv. Ebenso grandios geradeheraus geschildert und eindrucksvoll dargestellt.

„Zwischen Du und Ich“ ist ein faszinierendes und wahnsinnig gut geschriebenes Buch, das mich von der ersten Seite an gepackt hat. Man muss, nein, darf es sich erarbeiten, um alle Feinheiten auch wirklich zu entdecken - und es arbeitet auch noch nach dem Lesen lange nach.

Bewertung vom 17.04.2021
Die Farbe des Nordwinds
Jahn, Klara

Die Farbe des Nordwinds


sehr gut

Durch Klara Jahns anschauliche und präzise Landschaftsbeschreibungen hatte ich die Hallig sofort vor Augen. Ich hörte das Rauschen des Meeres und das Kreischen der Möwen, spürte den kräftigen Wind und roch die salzige, würzige Luft. Vor dieser herrlichen Kulisse spinnt Klara Jahn zwei gelungene Geschichten, die die Situation auf einer Hallig im Gestern und Heute schildern. Im Mittelpunkt stehen dabei die beiden Halliglehrer Arjen Martenson im 19. Jahrhundert, der vehement für einen besseren Küstenschutz kämpft und Ellen, die einen Neustart wagt, um eine neue Heimat zu finden und alsbald ebenso die Wichtigkeit der Zukunft der Halligen erkennt.

Historisch fundiert und absolut spannend geschrieben taucht man in den „Damals“-Kapiteln ein in das entbehrungsreiche, beschwerliche Leben der Halligbewohner, das ständig den Gefahren des Blanken Hans ausgesetzt war. Zweihundert Jahre später ist diese Gefahr zwar immer noch da, die Lebensbedingungen haben sich aber grundlegend geändert. Auch dieser Erzählstrang ist flott und mitreißend geschrieben und sehr unterhaltsam zu lesen.

Ich habe "Die Farbe des Nordwinds" sehr gerne gelesen, denn er verknüpft anschaulich und interessant die Welt der Halligen und wie sie sich verändert hat. Ich habe aus jeder Zeile heraus die Begeisterung und Liebe der Autorin für dieses Stück Land inmitten der Nordsee gespürt und genau dieses Gefühl hat sich beim Lesen auch auf mich übertragen. Ich verbrachte 397 wundervolle, kurzweilige Seiten inmitten einzigartiger Natur und ganz besonderen Menschen. Nebenbei konnte ich einiges über Küstenschutz, historische Bauten und Naturschutz lernen.

Bewertung vom 17.04.2021
Noah - Von einem, der überlebte
Würger, Takis

Noah - Von einem, der überlebte


ausgezeichnet

Nach seinem die Literaturwelt spaltenden Roman über die jüdische Greiferin Stella Goldschlag hat Takis Würger nun eine andere Perspektive gewählt, um das Grauen der NS-Zeit in all seiner Abscheulichkeit wiederaufleben zu lassen. „Noah“ sind die Erinnerungen von Noah Klieger, einem, der drei Todesmärsche, vier Konzentrationslager und noch viel mehr überlebte.

In nüchterner, geradezu distanzierter Sprache erzählt Takis Würger die beeindruckende wie Übelkeit evozierende Geschichte eines Überlebenskünstlers, dessen Erinnerungen durchsetzt sind von Szenen des nagenden Hungertodes, abscheulicher Qualen sowie willkürlicher Brutalität und bestialischen Tötungen. Insbesondere durch die allegorische Aneinanderreihung unvorstellbaren Grauens wird das Erlebte umso eindringlicher, schmerzlicher und abstoßender spürbar. Mir war während des Lesens gleichermaßen schlecht wie ich unfassbar wütend auf diejenigen war, welche die massenhafte Enteignung, entsetzliche Schändung und gewissenlose Ermordung Millionen unschuldiger Menschen zu verantworten hatten.

Doch inmitten all des Grauens und der Verzweiflung gibt es berührende Szenen der Menschlichkeit, die aufgrund ihrer Diskrepanz zu den Taten der Nationalsozialisten für eindrucksvolle Momente der Hoffnung und vergessenen Barmherzigkeit sorgen. Noahs Erinnerungen sind gleichermaßen erschreckend, wie sie auch auf beeindruckende Weise von großem Durchhaltevermögen und dem unerbittlichen Kampf für ein selbstbestimmtes Leben erzählen, welcher mit der Befreiung durch die Alliierten einen neuen Anfang findet.

Obgleich die anschließenden, eingehenden Schilderungen seiner beschwerlichen Reise nach Palästina und des lebenslangen Engagements für die Staatsgründung Israels einen eher kleinen Teil einnehmen, ergänzen und verdichten sie doch anschaulich das Bild der schwer traumatisierten Schicksale und heimatlosen Seelen, die für ihre Grundrechte kämpfen müssen.

Ergänzend finden sich im hinteren Teil des Buches zwei Nachworte von Alice Klieger und Sharon Kangisser Cohen, welche die Erinnerungen von Noah Klieger in einen familiären wie fachlich fundierten Kontext setzen, der Erzählung in meinen Augen jedoch einen kleinen Dämpfer verpassen.

Ohne durch Sprache zu beschönigen oder zu verschleiern erzählt Takis Würger in „Noah – Von einem, der überlebte“ ungefiltert von den beeindruckenden wie abscheulichen Erinnerungen Noah Kliegers an seinen Überlebenskampf in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten und seinem lebenslangen Engagement für die Gründung des Staates Israel.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.04.2021
Drei Kameradinnen
Bazyar, Shida

Drei Kameradinnen


ausgezeichnet

Gute Geschichten gibt es viele, aber nur wenigen gelingt es von Beginn an eine Verbindung zu knüpfen, deren unsichtbares Band mit jeder Zeile, jedem treffsicheren Argument stärker wird, um letztlich ins Regal der Lieblingsbücher zu wandern. Shida Bazyars „Drei Kameradinnen“ ist eines jeder seltenen Exemplare, das mich unglaublich beeindruckt und in meinem Denken nachhaltig erschüttert wie beeinflusst hat.

Sprachlich herausragend wie eigenwillig erzählt, ist bei mir der Funke sofort übergesprungen, welcher schon bald ein loderndes Feuer der Begeisterung entfacht hat. Kasihs Erzählstimme ist in ihrer Form unkonventionell, springt sie doch teils von einer Situation zur nächsten, um rückblickend ihre kompromisslose Sicht der Dinge auf das schreckliche terroristische Inferno, das die Welt erschütterte und ihre Freundin Saya als Islamistin brandmarkte, zu schildern.

Aber genau jenes scheinbar ausufernde Abschweifen der Gedanken fühlt sich in seinem natürlichen Gedankenfluss absolut authentisch an, beinahe so, als würde man ihrer Erzählung unmittelbar gegenübersitzend lauschen. Nahezu spielerisch lässt sie dabei die außergewöhnliche Freundschaft der drei Kameradinnen lebendig werden und zeichnet ein scharfes, schillerndes Portrait von Hani, Saya und sich selbst, woraus sich eine unnachahmliche Dynamik entwickelt.

Gnadenlos präzise seziert Kasih anhand alltäglicher Ereignisse das in Deutschland ubiquitär vorherrschende weiße wie bräunlich eingefärbte Gedankengut, erzählt von geradezu natürlich vorkommendem strukturellen Rassismus sowie rechtem Terror und hält unserer Gesellschaft den Spiegel der Schande vor. Ihre anklagende, direkte Anrede tut weh, trifft sie doch genau den Nerv und offenbart dabei typische gedankliche Irrtümer wie Verhaltensweisen des Privilegs weiß zu sein.

Selten habe ich mich so sehr geschämt, war peinlich berührt oder gedanklich ertappt, zugleich aber auch nachhaltig von der aufklärenden Präzision und Weisheit ihrer Beobachtungen beeindruckt. Denn jeder einzelne Satz mit der darin enthaltenen Kritik ist perfekt dosiert, sodass ich diese nie als anklagend wehleidig empfunden habe, sondern vielmehr als wohlüberlegte, erschreckende Beschreibung der real existierenden Verhältnisse. Diese Kombination aus Roman gespickt mit jeder Menge fundierter Fakten getarnt als Erfahrungsberichte ist in seiner Fülle schmerzlich eindringlich ohne dabei einen belehrenden Sachbuchcharakter anzunehmen.

„Drei Kameradinnen“ ist für mich DAS Highlight 2021, denn begonnen bei der mitreißenden Dynamik der Frauenfreundschaft, dem anklagenden wie nachdenklich stimmenden Erzählstil, der mit den Regeln des konventionellen Romans in seiner absolut passenden Form bricht, beeindruckt es mit der unnachahmlichen Klugheit und treffsicheren Präzision strukturellen Rassismus und rechten Terror für Außenstehende sichtbar zu machen.

Bewertung vom 15.04.2021
Die Himmelskugel
Jalonen, Olli

Die Himmelskugel


sehr gut

Dieser außergewöhnliche Roman wird aus der Sicht von Angus erzählt, einem intelligenten, wissbegierigen, aufgeweckten und liebenswerten Jungen. Die Geschichte wird getragen von Angus, man taucht ein in seine Welt, in seine Gedanken, seine Zielstrebigkeit, man spürt seine absolute Aufrichtigkeit, seinen Eifer und erlebt alles hautnah mit. Zu Beginn ist er etwa acht Jahre alt und berichtet ohne Wertung, was um ihn herum geschieht. In seinem kindlichen Verständnis ereignen sich die Dinge einfach, es ist so wie es ist. Mit zunehmendem Alter wandelt sich diese Sichtweise, er hinterfragt mehr und zieht eigene Schlüsse. Gerade diese Weiterentwicklung fand ich großartig geschildert. Durch die Art des Schreibens aus der Sicht eines Kindes kommen die gesellschaftlichen Unterschiede und Ungerechtigkeiten noch eindringlicher zur Geltung, es wird zum Teil nur angedeutet und so kann man sich den Rest selbst vorstellen. Genau das wirkt viel bedrückender und eindringlicher, als das Geschehen direkt zu benennen.

Gerade durch den klaren, ruhigen, pointierten und bildgewaltigen Schreibstil ist man von Beginn an auf der Insel dabei, man beobachtet etwa mit Angus hoch oben zwischen den Zweigen des Araukariebaumes die verschiedenen vorüberziehenden Vogelarten und nachts den funkelnden Sternenhimmel, später begleitet man ihn dann nach London. Der Alltag und das Leben auf St. Helena, auf dem Schiff sowie in London erschließen sich von Seite zu Seite immer deutlicher. Dabei sind die einzelnen Figuren so genau und plastisch skizziert, alles wirkte lebendig und authentisch.

Die Lebensbedingungen im 17. Jahrhundert, der meilenweite Graben zwischen Arm und Reich, werden detailliert geschildert. Ehrlich und ohne etwas zu beschönigen oder im Nachhinein zu glorifizieren. Es ist eine Zeit des Umbruchs, die Wissenschaft gewinnt immer mehr an Einfluss. So erfährt man sehr ausführlich über den Beginn der wissenschaftlichen Forschungen und ihrer Experimente. Hier benötigt man schon eine ruhige Leseecke, um ungestört diese Passagen wirken zu lassen.

Der Roman ist wirklich lesenswert und insgesamt so fesselnd, dass man auch über einige Längen, gerade im zweiten Teil während sich Angus in London befindet, hinwegsehen kann. Es hat mir große Freude bereitet, Angus ein Stück seines Lebensweges zu begleiten, eines Weges, der zeigt, dass Träume wahr werden können, wenn man den Mut behält.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.