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Top-Rezensenten Übersicht

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MarcoL
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Füssen

Bewertungen

Insgesamt 210 Bewertungen
Bewertung vom 14.04.2023
Picknick im Dunkeln
Orths, Markus

Picknick im Dunkeln


ausgezeichnet

Ein gelungener Mix aus Biographien und philosophischen Fragen. Stan Laurel meets Thomas von Aquin.

Es ist dunkel, man findet sich umgeben von purer Schwärze. Tast- und Gehörsinn scheinen zu funktionieren, dann kann es wohl doch nicht ganz so schlimm sein. Aber wie ist derjenige dorthin gelangt? Eine Erinnerung daran gibt es nicht, sehr wohl an das eigene Leben. Irgendwo sollte sich doch ein Ausgang finden lassen, könnte man meinen. Und so tastet sich unser Held durch die Dunkelheit vorwärts. Es ist niemand anderes als Arthur Stanley Jefferson, uns besser bekannt als Stan Laurel. Seine ersten Gedanken in dieser bizarren Situation galten seinem langjährigen Filmpartner und Freund Oliver Hardy. Ein klägliches „Ollie?“ verstummte unbeantwortet.
Und so beginnt eine abenteuerliche Reise durch die Finsternis. Orths erzählt uns viele interessante Dinge über Stan Laurel, über seinen Werdegang und sein Leben. Und währenddessen stolpert Stan auf seinem Weg entlang einer Wand über eine Person, die am Boden kauerte – Thomas von Aquin, welcher sich im Jahre 1273 wähnt.
Es beginnen interessante Dialoge zwischen den beiden, natürlich vorerst geprägt durch den kleinen Unterschied von 700 Jahrhunderten, welche Stan voraus ist. Doch bald bekommt das Gespräch eine philosophische Natur, geprägt von der Frage, warum sie beide hier sind. Absolut fesselnd! Die Gedanken dehnen sich aus, drehen sich bald um Glaubensfragen. Stan Laurel ist mehr oder weniger Atheist, und so treffen dogmatisch zwei Welten aufeinander. Laurels „Religion“ besteht in der Faszination des Lachens, denn nichts war ihm in seinem Leben wichtiger, als Menschen zum Lachen zu bringen. Dazwischen, aufgelockert, gibt es immer wieder passende Kapitel über den Lebenslauf der beiden Protagonisten.
Ich bin total fasziniert von diesem Buch, so „trocken“ sich der Inhalt auch anhören mag. Aber: ich glaube, man sollte ein Fan des Komikers Laurel sein, und seine Filme kennen (auch wenn viele Szenen beschrieben werden), um im Gedankenkarussel der beiden nicht schwindelig zu werden. Sehr gerne gebe ich hier eine Leseempfehlung für dieses äußerst gelungene Werk und geniale Buch. Für mich ist es eine große Erzählkunst, ein solches Thema derart unterhaltsam zu beschreiben!

Bewertung vom 11.04.2023
Charlotte Löwensköld
Lagerlöf, Selma

Charlotte Löwensköld


ausgezeichnet

Viele verbinden die Autorin „nur“ mit ihrem großen Erfolg Nils Holgerson. Aber mit diesem Roman stellte sie einmal mehr ihr schriftstellerisches Können unter Beweis (nebenbei erwähnt, erste Frau, welche den Nobelpreis für Literatur gewann, sehr zu recht). Allein Sprache und Erzählweise hat mich in ihren Bann geschlagen, und der tiefere Inhalt sowieso. Auch wenn es manchmal an Geplänkel, Schweigen, Missverständnissen nicht mangelte, und sich meiner Meinung nach so manches in die Länge ziehen mochte, so der Anschein, wurde mir die Lektüre nie langweilig.
Lagerlöf bediente sich wunderbarer Stilmittel, wie zum Beispiel einen feinen, hintergründigen Humor, strickte gefühlt tausende von Fäden, welche kreuz und quer gesponnen waren, und überzeugte von der starken Frauenfigur der Charlotte Löwensköld. Diese ging ihren Weg, mutig, mit Liebe und dem nötigen Schmunzeln.
Nur kurz zum Inhalt, denn ohne Spoiler wäre der gar nicht zu erzählen. Charlotte ist seit fünf Jahren mit Karl-Artur Ekenstedt verlobt. Eine recht lange Zeit, und Charlotte sehnt sich nach der Ehe, es geht ja letztendlich auch darum, versorgt zu sein. Aber es hakt … und ein anderer versucht bei ihr sein Glück. Doch sie schlägt aus, trotz verlockendem Wohlstand. Jetzt müsste doch Karl-Artur nun wirklich den letzten Schritt tun, sollte man meinen, aber er ist zu verbohrt, steigert sich in die Sache hinein, und keine Erklärungs- oder Versöhnungsversuche von Seiten Charlottes fruchten. Sie kämpft … und nimmt ihr Schicksal letztendlich selbst in die Hand.
Lagerlöf zeichnet starke Figuren (die Mitleid und Wut erzeugen), erzählt detailverliebt, und schafft es, die Gesellschaft (sehr misogyn) plastisch darzustellen. Die Kritik am „System“ ist nicht zu übersehen, und so ist der Roman ein Aufbäumen, ein Aufzeigen, eingepackt in das subtile Thema der Liebe, mit welchem sich gewiss viele Leser:Innen damals und heute identifizieren konnten und können.
Sehr gerne gebe ich eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 30.03.2023
La Vie
Levashova, Katharina

La Vie


ausgezeichnet

La Vie – das Leben. Vielfältig, bunt, heiter, tragisch. Es endet und beginnt von Neuem. Und mittendrin: der Mensch, in all seinen Facetten. „Kein Ende ohne Anfang“
Ferdinand ist fast hundert Jahre alt, sitzt oft und gerne im Café oder auf einer Parkbank im Städtchen Melk in der Wachau. Er beobachtet die Menschen, zieht seine Schlüsse. Seine lange Lebenserfahrung hat ihm ein besonderes Gespür gegeben. Und so wird Ferdinand (man muss ihn einfach liebhaben) in diesem Debütroman der Autorin zum Dreh- und Angelpunkt von einigen Episoden der Protagonist:Innen. Die meisten davon sind mit dem Greis verwandt, haben so ihre Ängste und Nöten, wie es einem das Leben nur bieten kann. Seien es berufliche Probleme, oder Beziehung, die neu keimen, sowie Flüchtlinge, die erst mal ankommen müssen.
Vieles erkennt Ferdinand, den alle kennen. Und so plaudert Ferdinand zwischen den einzelnen Kapiteln von der Zeit im und nach dem Krieg, seiner große Liebe Elisa, und natürlich von seinen Kindern und Enkeln. Vieles hat er zu berichten. Und in den Episoden lernen wir das kleine Knäuel Menschen sehr gut kennen, sitzen ebenfalls auf der Parkbank, und lassen uns einlullen in den ständigen fließenden Strom, genannt Leben (alles weitere wäre gespoilert, also bitte selber lesen).
Nebenbei, der Roman ist eine Liebeserklärung an die oberösterreichische Stadt Melk. Am Eingang zu schönen Wachau, an der Donau gelegen (da ist er wieder, der Strom), mit vielen schönen Locations, macht es Lust, es Ferdinand gleich zu tun. Ich bin sicher hundertmal oder öfter auf der Autobahn vorbei gerauscht, ohne auch nur einmal einen Abstecher dorthin zu machen (shame on me).
In einer angenehmen, unaufdringlichen Sprache entführt uns Levashova in das Leben der Stadt. Der Roman ist angereichert mit einer guten Beobachtungsgabe, authentischen Dialogen und so manchem Getuschel unter Freundinnen. Es ist ein sehr feines Buch, gerne gelesen, und bin gespannt, was wir von der Autorin noch erwarten dürfen. Ich gebe hier gerne eine Leseempfehlung ab für die quirligen Lebensgeschichten, welche auch mal mit einer gewürzten Prise Humor daherkommen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.03.2023
Zeit der Schuld
Kapoor , Deepti

Zeit der Schuld


ausgezeichnet

Ein packendes Epos aus Indien um Loyalität, Schuld, Sühne, Verrat

Indien. Uttar Pradesh, Delhi und der Norden zu Nepal.
Ajay war acht Jahre jung, als er von seiner Mutter verkauft wurde. Sie gab ihm die Schuld, dass ihre Ziege ausbüxte, sich an Nachbars Spinat gütlich tat und darauf hin sein Vater ermordet wurde. Ajay kam in ein Gehöft im Norden, musste arbeiten und war der Meinung, sein Lohn bekäme direkt seine Mutter. Das geschah 1991. Dreizehn Jahre später sitzt er im Gefängnis, … was dazwischen geschah und kurz danach ist der Inhalt dieses fesselnden Romans, der durch alle Gesellschaftsschichten Indien pflügt.
Er reißt nie verschlossene Wunden auf, wirft die Tatsachen wie die Erdschollen ans Licht. Ohne Erbarmen zeigt er uns ein Indien, das vom Kastenwesen, Korruption und Syndikaten beherrscht ist. Bittere Armut versus unermesslicher Reichtum, dazu eine Ausbeutung der Gesellschaft, vor der man meint, sie sei seit Jahrhunderten vorbei.
Das kurze Leben Ajays ist unser Reiseleiter. Als sein Besitzer im Norden starb, war er zwar frei, aber mittellos. Er hatte Glück, fand Arbeit, und auch nötige Kontakte. Und so spülte ihn das Leben wie der Monsun eines Tages nach Indien zu Sunny, Thronfolger eines Syndikatoberhauptes. Er wurde Diener, Bewacher, Mädchen für alles. Sunny hingeben lebte in Saus und Braus, hatte sogar durchaus ansprechende Zukunftsvisionen. Ajays früh erlernte Fähigkeit bedingungslos zu gehorchen kam ihm nur zu Gute. Er verdiente viel Geld, hatte Freizeit. Und dennoch verhedderte er sich in den imaginären Fußfesseln des Clans. Er war Opfer, wurde zum Täter, und wieder zum Opfer. Im Hinterkopf war immer seine Sorge um seine Mutter und Schwester. Zu gerne würde er sie besuchen. Eines Tages ergab sich eine Gelegenheit, und die wahren Verstrickungen seinen Lebens kamen ans Tageslicht. Mehr wird nicht verraten – ich kann aber sagen: es hat epische Züge und ist ein Lied über Schuld und Sühne, Freundschaft, Loyalität und Verrat. Ein knapp 700 Seiten starker Bericht aus dem zeitgenössischen Indien, ganz ohne Romantik und Bollywood.
Die Sprachführung der Autorin ist sehr direkt, angenehm zu lesen, und schon nach den ersten Seiten weiß man: das ist ein Pageturner. Deepti Kapoor versteht es, die Leserschaft in und durch ihre Welt zu führen, als wäre man permanent direkter Begleiter der Protagonist:Innen. Das ist für mich hohe Erzählkunst. Somit gebe ich hier sehr gerne eine absolute Leseempfehlung.
Dies ist der erste Roman der Autorin, welcher ins Deutsche übersetzt wurde. Ich hoffe, weitere folgen nach.

Bewertung vom 15.03.2023
Besser allein als in schlechter Gesellschaft
Altaras, Adriana

Besser allein als in schlechter Gesellschaft


ausgezeichnet

Teta Jele, die Tante der Autorin, ist 99 Jahre jung. Ein Oberschenkelhalsbruch fesselt sie ans Bett. Und so muss sie ihre Tage in einer Pflegeanstalt fristen, niemand darf sie besuchen, nicht mal ihre geliebte Nichte Adriana. Das C-Virus greift um sich, es ist der erste Lockdown. „Wie im Krieg“ meint die ansonsten rüstige Greisin, und vermisst natürlich ihre Nichte. Deren Leben läuft auch nicht so, wie es sollte. Ihr Mann ist auf und davon, die erwachsenen Söhne außer Haus, und die Coronamaßnahmen lassen weder Proben noch Inszenierungen an den Opern zu.
So bleibt nur mehr das Telefon, um die Strecke zwischen Adrianas Wohnsitz Berlin und dem Pflegeheim in Mantua zu überwinden. Sie erzählen einander von ihren Tagen, an welchen sich die Monotonie die Hand gibt. Es werden Anekdoten ausgepackt und längst vergessene Erinnerungen sickern wieder hervor. Abwechselnd lässt die Autorin die Tante und dann wieder sich selbst erzählen, vom Leben damals, als die junge Adriana, noch ein Kind, zu ihrer Tante nach Mantua kam, oder in den Ferien zu deren Ferienhaus am Gardasee.
Tante Jele hat viel erlebt – und überlebt. Zuerst die spanische Grippe, dann das Lager, in welche sie als Jüdin verschleppt wurde. Es gelang ihr die Flucht nach Italien, heiratete. Das Land wurde zu ihrer neuen Heimat. Und dennoch blieb das kroatische Zagreb immer in ihrem Herzen. Sie war eine sehr besondere Frau, hatte Glück im Leben, und konnte doch nie von sich behaupten, völlig glücklich zu sein. So schön es in Mantua war, die alte KuK-Zeit, Wien, Prag, Zagreb, vermisste sie zeitlebens. Aber Verzagen galt nicht, vielmehr kümmerte sie sich um Adriana wie die eigene Tochter. Es entstand eine enge Bindung der beiden, welche in diesem herrlichen Roman zum Ausdruck kommt.
Der hundertste Geburtstag der Tante steht an, doch wie feiern, wenn alles geschlossen ist, und Besuch nicht erlaubt. Das Pflegepersonal stößt mit ihr an, und Adriana ist mittels Skype dabei. Und Jele ist müde …
Ganz großes Kino, und sehr gerne gebe ich hier eine absolute Leseempfehlung für diesen sehr berührenden Roman.

Bewertung vom 31.01.2023
Der Wisent
Bach, Konrad Boguslaw

Der Wisent


ausgezeichnet

Ein Roadmovie wider Willen, komisch, melancholisch, voller Abwechslung und tiefer Einblicke!

Heniek und Andrzej sind seit ihrer Kindheit enge Freunde. Beide zählen mittlerweile an die 60 Lenze, und können auf so manche Episoden in ihrem Leben zurückblicken.
Ihre Homebase ist das kleine Nest Gajerudki in Polen, wo jeder jeden kennt, und es kaum Geheimnisse gibt.
Umso erschütterter ist Heniek, als ihn seine schöne Frau Beatka nach 36 Jahren Ehe verlässt. Für den Automechaniker, der alles reparieren kann, bricht eine Welt zusammen. Scheinbar versteht er sich mit Autos besser als mit Menschen. Und in ganzen der Zeit hat er wohl das wahre Wesen seiner Frau nie so richtig erfassen können (oder wollen). Kurzum, sie ist nach Domburg/Holland, um erstens dort mehr Geld zu verdienen, und zweitens, ihre Sehnsucht nach mehr Anerkennung zu stillen.
Andrzej war in seiner Jugend ein stadtbekannter „Nichtsnutz“, der einfach in den Tag lebte und sich um nichts kümmerte (außer um seine Libido, die sehr stark war). Doch eine ungewollte Schwangerschaft einer seiner Liebschaften krempelte sein Leben gehörig um.
Und so war es auch Andrzej, der Heniek vorschlug, er möge doch nach Holland fahren, um seine Beatka zurück zu holen. Er begleite und unterstütze ihn natürlich dabei.
Und so beginnt ein RoadTrip ohne Geld, ohne Straßenkarte, ohne weitere Sprachkenntnisse, quer durch Europa bis nach Domburg.
An skurrilen Situationen gibt es genug, genauso wie Rückblenden und Anekdoten aus deren beider Leben.
Mit Witz, Charme, eingepackt in eine wunderschöne Sprache, und einer immer währenden Melancholie, erzählt hier Bach vom Zauber einer Freundschaft, die trotz vieler Widrigkeiten Bestand hat. Der Autor greift so ganz nebenbei, fast schon unscheinbar, wichtige sozial- und gesellschaftspolitische Themen auf. Er bringt es mit einem Lächeln auf den Punkt, wie die Polen, oder die Deutschen ticken.Und ganz Europa.
Einfach Köstlich.
Und somit gebe ich sehr gerne eine Leseempfehlung für diesen wunderbaren, herzerwärmenden Roman – wahrscheinlich Lieblingsbuch für immer.
Übrigens – der titelgebende Wisent taucht auch auf – sehr kurz, aber dessen Geschichte könnte nicht symbolträchtiger sein.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.12.2022
Wilde Stille
Winn, Raynor

Wilde Stille


sehr gut

Eine wunderbare Fortsetzung von „Der Salzpfad“ - ein Neubeginn mit alten Problemen

Dieser Band ist die Fortsetzung des Buches „Der Salzpfad“ der Autorin.
Trotz seiner schweren Erkrankung beschließt Moth, nochmals die Schulbank zu drücken und beginnt ein Studium. Ray hingegen kümmert sich um ein Jobangebot nach dem anderen, wird aber nur abgelehnt. Nebenbei kümmert sie sich um ihre todkranke Mutter, welche nur mehr palliativ behandelt werden kann. Aus Tagen werden Wochen des Bangens, und absolut nichts scheint besser zu werden im Leben der beiden. Die zunehmenden Beschwerden von Moth bewegen Ray letztendlich, ihre Erfahrungen auf dem langen Küstenweg niederzuschreiben. Eigentlich tat sie es nur für ihn, und auch sich selbst, doch letztendlich bot sie das Manuskript Verlagen an – das Ergebnis: Der Salzpfad. Die Dinge wurden etwas einfacher, durch den Verlagsvorschuss und dem Stipendium von Moth kommt endlich etwas mehr Geld in die Kasse.
Durch den Erfolg des Buches wird ihnen von einem Leser die Bewirtschaftung einer verlassenen Farm angeboten. Wieder von vorne beginnen? Wieder (fremden) Menschen vertrauen. Ray meidet Menschen und den Kontakt mit ihnen so gut es geht. Vor ihren ersten Lesungen leidet sie körperlich, aber sie kämpft sich durch. Und dann erfüllen sich die beiden noch einen kleinen Traum und eine weitere, wenn auch kurze Reise, steht auf dem Programm.
Die Autorin erzählt von ihrem Leben mit ihrem Mann Moth. Sie berichtet von ihrem kargen Leben, von Krankheiten, Tod und Ängsten. Aber auch von Neubeginnen, vollgepackt mit Zweifeln und immer dem nötigen Funken Hoffnung. Neue Abenteuer und Erfahrungen warten – und so düster so manche Aussichten auch sein mögen, irgendwo scheint sich immer wieder alles zu fügen.
Der Erzählstil ist einfach, unspektakulär, verströmt aber eine gewisse Ruhe und Neugier. Man möchte wissen, wie es hinter jeder Wegbiegung im Leben der beiden weitergeht.
Gerne gebe ich eine Leseempfehlung für alle, die Lebensgeschichten und natureWriting mögen, und auch alle anderen Leser:Innen, die gerne mal über ihren üblichen Bücherrand schauen möchten.

Bewertung vom 22.12.2022
Die Eroberung Amerikas
Franzobel

Die Eroberung Amerikas


sehr gut

Ein spannender historischer Roman um das Erbe der indigenen Völker Amerikas.
Sehr fundiert recherchiert, allerdings etwas zu überladen.


Trutz Finkelstein ist Anwalt. Er möchte den indigenen Völkern der USA ihr geraubtes Territorium, sprich die kompletten Vereinigten Staaten, zurückgeben. Er schafft es, alle Häuptlinge der Stämme zu einer Sammelklage zu bewegen.
Den Hintergrund zu dieser fiktiven Annahme erzählt Franzobel in einem packenden, historischen Roman. Er rekonstruiert den Eroberungsfeldzug von Fernando Desoto in den Jahren 1538 - 1542, auf der Suche nach dem sagenhaften Eldorado durch den Süden der USA. Er hinterlässt eine Spur der Zerstörung, von Florida ausgehend bis nach Texas. Die Indigenen werden, sofern sich nicht kooperierten und sich sofort der heiligen katholischen Kirche und dem spanischen König anschlossen, niedergemetzelt. Natürlich alles unter dem wohlwollenden Schirm von Papst und König. Der Feldzug war eine einzige Schlacht – und auch nicht von Erfolg gekrönt, sondern ein morbides Desaster auf beiden Seiten. Soviel zum groben Inhalt.
Die einzelnen Episoden und Stationen beschreibt der Autor teilweise sehr genau. Für meinen Geschmack verzettelt er sich manchmal in zu beiläufige Geschichten. Mit viel Fantasie wird die Leserschaft eingeladen, sich ein Bild der teilweise unmenschlichen Bedingungen zu machen. Man könnte fast meinen, der Gestank, Schlamm, Dreck, oder das Toben und Schreien springen aus den Zeilen und benebeln einen im wahrsten Sinne des Wortes. Und dennoch versprühen die Zeilen einen gewissen Wortwitz und eine Ironie, ohne der es wahrscheinlich nur halb so erträglich gewesen wäre. Zwischendurch werden von den Protagonist:Innen Football, Pommes, oder andere Dinge der Neuzeit erfunden, nur um immer wieder mit den Worten: „das setzt sich eh nicht durch“ abzutun. Meines Erachtens war das überflüssig.
In Summe ist es ein interessanter historischer Roman, erzählt mit viel Einfallsreichtum, der das ganze Werk auf 540 Seiten aufbauscht – und den Leser:Innen vollste Konzentration abverlangt.
Dennoch gebe ich eine Leseempfehlung für alle, die den Mut und Muse haben, sich auf dieses Reise zu begeben. Es ist kein Buch für Zwischendurch – amüsant, lehrreich, aber auch sehr fordernd.

Bewertung vom 05.12.2022
Die Katze, die von Büchern träumte
Natsukawa, Sosuke

Die Katze, die von Büchern träumte


sehr gut

Wunderbare Aufmachung, eine zarte Verführung in die Magie der Buchwelt!

Dieses Buch ist nicht nur optisch ein Genuss mit fein bedrucktem Vorsatz, auch der Inhalt schließt sich der Liebe zu Büchern voll an. Es ist ein Bücherbuch, und gehört, so finde ich, in jedes Bücherregal.
Der fünfzehnjährige Rintaro verbringt sehr viel Zeit im Antiquariat seines Großvaters. Dort wird unter anderem noch die klassische Literatur verehrt und geschätzt. Erstausgaben zieren die Auslagen des Buchgeschäftes, alte Schmöker tummeln sich in dunklen Stellagen, der Geruch der Bücher überströmt alles. Rintaro ist Waise, still und in sich gekehrt. Er zeigt selten seine Emotionen, ist aber alles andere als teilnahmslos. Seine komplette Welt spielt sich neben der Schule in der Welt der Bücher ab. Als sein Großvater plötzlich stirbt, bricht eine Welt zusammen, der Schüler weiß vorerst weder ein noch aus. Eine Tante veranlasst die Übersiedlung des Jungen, das Antiquariat soll geräumt und die Geschäftsräume verkauft werden. Rintaro ist vorerst wie vor den Kopf gestoßen, schwänzt fortan die Schule und nützt die verbleibende Zeit bis zum Fortgehen mit vielem Nichtstun im Laden. Täglich kommt seine Klassensprecherin Sayo vorbei, der Hauch einer Freundschaft beginnt.
Dem nicht genug, taucht ein sprechender Kater auf, mit der Bitte ihm und den Büchern zu helfen. Rintaro verstand zu nächst nicht, um welche Bücher es sich wohl handeln mag. Aber sehr schnell beginnen ein paar phantastische Reisen, welche alle im hinteren Bereich des Antiquariats wie durch Zauberhand beginnen. Es ist tatsächlich die Welt der Bücher in Gefahr, und nur ein wahrer Bücherfreund (so wie Rintaro) kann helfend und rettend einschreiten.
Die Abenteuer kommen ohne großen Pomp oder Action daher, sondern gehen in einer besonnenen und ruhigen Weise an die kleinen und nicht so kleine Probleme heran (ich möchte fast schon sagen: typische japanische Literatur, so weit ich sie kenne).
Dieses schöne Buch mag mehr ein Jugendroman sein, als eine stilistisch hochwertig verfasste, zeitgenössische Literatur. Im Original 2017 erschienen, mittlerweile in 34 Sprachen übersetzt, zählt der Roman zu den erfolgreichsten Publikationen aus Japan. Wie schon gesagt ist die Aufmachung toll gemacht, der Einband passt ein wenig in die Weihnachtszeit, und auch der Showdown … naja, fast schon zu viel verraten.
Fazit: sehr gerne gebe ich eine Leseempfehlung für diesen sanften Roman, der einen sehr tief in die Welt der Bücher abtauchen lässt.

Bewertung vom 02.12.2022
Die Bücher, der Junge und die Nacht
Meyer, Kai

Die Bücher, der Junge und die Nacht


ausgezeichnet

Spannung. Unterhaltung. Geschichte. Bücherliebe. Leipzig als einstiges Mekka der Buchbranche.

Ich habe schon viele Bücher von Kai Meyer gelesen, kein einziges hat mich enttäuscht, ganz im Gegenteil. Und sein neuestes Werk hat es mir besonders angetan. Es ist der perfekte Mix aus historischem – und Abenteuerroman, leicht gewürzt mit einer Prise Phantastik. So ganz frei nach dem Motto: könnte ja sein ...
Der Roman spielt auf drei Erzählebenen bzw. Zeiten. Zum einen im Jahr 1933, als vieles seinen Anfang nahm – auch die Handlung in diesem Buch rund um den Buchbinder Jakob Steinfeld. Er ist ein Meister seines Faches, und zusammen mit dem sehr sympathischen Russen Grigori betreibt er seinen kleinen Laden mitten im grafischen Viertel der Bücherstadt Leipzig. Leipzig war damals eine Art Mekka des Buchhandels, der Verleger und Buchbinderei. Ein ganzes Viertel war der Arbeit mit Büchern gewidmet. Zahlreiche Gassen, Hinterhöfe und schmale Durchgänge dürften der Gegend wohl ein sehr pittoreskes Aussehen verliehen haben. Leider gibt es heute kaum mehr Fotos von jener Zeit. Im Jahr 1943 wurde die Stadt ausgebombt, das grafische Viertel, in welchem auch zahlreiche Propagandaschriften gedruckt wurden, wurde dem Erdboden gleichgemacht und als Bücherzentrum nie mehr aufgebaut. Hier beginnt ein zweiter Erzählstrang rund um den damals zehnjährigen Robert Steinfeld, welcher in letzter Sekunde von einem mysteriösen Helfer namens Mercurio aus dem Inferno gerettet wurde. Dieser nimmt sich Robert an, und zusammen streifen sie durch das kriegsgebeutelte Land, immer auf der Suche nach besonderen Büchern im Allgemeinen – und einem ganz besonderen Band im Speziellen.
Ewige Begleiter sind die Mitglieder der Verlegerfamilie Pallandt, die einen wesentlichen Beitrag zum Spannungsaufbau des Romans beitragen. 1971 stirbt der Patriarch der Familie, welcher schon während des Krieges sein Schaffen von Leipzig nach München umlagerte. Robert Steinfeld blieb den Büchern treu, obwohl er weder seinen Mutter noch seinen Vater kannte. Zusammen mit der Bibliothekarin stößt er im Kreise der Pallandts auf das Mysterium eines Buches, welches eng mit seiner Vergangenheit verknüpft ist – und eine spannende Schnitzeljagd beginnt. Denn die Wahrheit über jenes besondere Buch führt zwangsläufig zur Wahrheit über Roberts Herkunft.
Perfekt und nägelabkauend spannend lässt der Autor Fiktion und historische Gegebenheiten ineinander verfließen, und schafft hierbei eine wunderbare Symbiose.
Der Roman ist ein Bücherbuch par excellence, die Liebe zur Literatur und Buchdruckkunst verbreitet ihr Odeur mit jeder Zeile. Absolute Leseempfehlung für diesen wunderbaren Pageturner.