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gst
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pirna

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Insgesamt 205 Bewertungen
Bewertung vom 21.07.2019
Die Malerin des Nordlichts / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.10
Johannson, Lena

Die Malerin des Nordlichts / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.10


gut

Über das Leben von Edvard Munchs Nichte

1922 hatten Männer es noch leichter, sich der Kunst hinzugeben. Zwar versuchten viele Frauen ihr Glück in der Malerei, doch wenn sie verheiratet waren, mussten sie sich normalerweise vor allem dem Haushalt und dem Wohl der Familienmitglieder widmen, bevor sie sich ihrer Berufung hingeben konnte. So erging es auch Signe Munch, der Nichte von Edvard Munch. Sie konnte sich erst als 38jährige, nach der Scheidung von ihrem ersten Mann, ihrer künstlerischen Karriere widmen.

„Ihr Leben war eine weiche, lange Linie mit Hügeln und Tälern ohne Spitzen, an denen man sich doch nur verletzte. Nett beschaulich, keine Gefahren, keine Risiken, keinerlei Wunden.“ (Seite 162)

Obwohl ich großes Interesse an Signe Munchs Leben hatte, fiel es mir lange schwer, Kontakt mit diesem Buch aufzunehmen. Die Autorin erzählte trocken; es gelang ihr nicht, Gefühle in mir auszulösen. Dabei sind doch genau die es, die ein Buch zum Lieblingsbuch machen.

Erst nach knapp 200 Seiten machte das Lesen mehr Freude, wurde das Buch emotionaler. „Sie war es gründlich leid, am Bügelbrett statt an ihrer Staffelei zu stehen, einen Kochlöffel in der Hand zu haben statt eines Pinsels.“ (Seite 193). Mehrere Jahre nach der Scheidung von ihrem ersten Mann begegnete ihr Einar, ihre große Liebe. Er und der zweite Weltkrieg, während dem auch Norwegen unter Hitlers Ideologie litt, veränderte ihr Leben grundlegend.

Auch, wenn ich mir von diesem Buch mehr erwartet hatte, gebe ich ihm gerne drei Sterne. Immerhin erfuhr ich einiges über das Leben in Kristiania, wie Oslo damals noch hieß, sowie andere Einzelheiten aus Norwegen und seiner Geschichte. Zum Ende hin wurde das Buch sogar noch spannend. Da hatte die Autorin ihren Schreibfluss gefunden, so dass sie mich mühelos in die Geschichte hineinziehen konnte.

Bewertung vom 13.07.2019
Dunkelsommer
Jackson, Stina

Dunkelsommer


ausgezeichnet

In Schwedens Wäldern

„Wie ein Fieber hatte ihn die Wut gepackt, er konnte ihnen [den Dorfbewohnern] nicht in die Augen sehen. Linas Freunde und deren Eltern, Lehrer und Bekannte, Nachbarn und die Nachbarn der Nachbarn. Alle diese Menschen, die etwas gesehen haben mussten, die etwas wissen mussten. Die unter Umständen sogar etwas damit zu tun hatten. Ganz Glimmersträsk stand unter Verdacht. Bis zu dem Tag, an dem er Lina zurückbekam, würde er jedem Bewohner misstrauen.“ (Seite 103)

Nachdem er vor drei Jahren Lina frühmorgens an der Bushaltestelle abgesetzt hat, ist sie spurlos verschwunden. Seitdem ist ihr Vater dabei verrückt zu werden. Seine Ehe mit Anette ist zerbrochen, seine guten Vorsätze, nicht mehr zu trinken und zu rauchen, sind dahin. In den Sommernächten fährt Lelle auf der Suche nach seiner Tochter immer die wieder die gleiche Strecke ab.

Eines Tages zieht die siebzehnjährige Meja mit ihrer Mutter in die Waldeinsamkeit. Während Silje mit ihrer Sehnsucht nach Liebe jedes Hindernis hinnimmt, ist Meja von dem Neuanfang weniger begeistert. Bis sie sich verliebt und Hoffnung auf ein normales Leben aufkeimt. Doch zur selben Zeit verschwindet wieder ein Mädchen.

Stina Jackson, Jahrgang 1983 stammt aus Nordschweden. So fiel es ihr nicht allzu schwer, in ihrem Debütroman die unheimliche Stimmung in den tiefen Wäldern ihrer Heimat einzufangen. Sie legte mehrere Fährten, so dass ihre spannenden Zeilen bei mir einen regelrechten Lesesog entfachten, so dass ich das Buch kaum noch aus der Hand legen konnte.

Bewertung vom 25.05.2019
Der Zopf meiner Großmutter
Bronsky, Alina

Der Zopf meiner Großmutter


sehr gut

Die Helikopteroma
Max ist der Enkel eines russischen Aussiedlerpaares. Durch seine Augen lernen wir die ziemlich übergriffige Großmutter kennen, die einen an manchen Stellen die Haare zu Berge stehen lässt. Da bäckt sie für den Enkel eine Geburtstagstorte und lässt ihn nur daran schnuppern, denn ihrer Meinung nach verträgt er die Buttercreme genauso wenig wie Nudeln…

Doch es kommt noch viel schlimmer: Der Opa verliebt sich in die Nachbarin, die eine Tochter in Mäxchens Alter hat. Max nimmt das alles mit stoischer Ruhe hin und hilft dem Großvater, die Misere vor der Oma zu vertuschen.

Obwohl die Großmutter ihrem Enkel gar nichts zutraut, entpuppt er sich als cleveres Kerlchen. Immerhin ist er in kürzester Zeit der deutschen Sprache mächtig und versucht, die zwischen Lehrerin und Oma vorhandene Sprachbarriere aufzuheben.

Als Leser begleiten wir Max durch seine Kindheit und Jugend und erleben auch eine anfangs nicht für möglich gehaltene Veränderung der Großmutter.

Alina Bronsky hat ein Buch geschrieben, dessen Seiten nur so dahinfliegen. Allerdings ist sie auch eine Meisterin des Weglassens. Da sie nicht alles haarklein erklärt, bleibt viel Raum für Spekulationen. Dieses Buch lässt sich nicht gut lesen, sondern klingt durch die offen gebliebenen Fragen noch länger nach.

Bewertung vom 14.05.2019
Die Lotosblüte
Sok-Yong, Hwang

Die Lotosblüte


sehr gut

„Der Weg, den sie bisher genommen hatte, schien wie ein Traum, dessen Spuren nach und nach verblassten, je weiter sie ihm folgte. Die Morgensonne verwischte die klare Linie des Horizonts, und das Schiff segelte einer ungewissen Zukunft entgegen. Wieder stand ein Neuanfang bevor.“ (Seite 426)

Chong wuchs im 19. Jahrhundert bei ihrem blinden Vater in Korea auf, nachdem die Mutter bei ihrer Geburt verstorben war. Von ihm wurde sie bettelnd ernährt und von der Stiefmutter noch vor der Geschlechtsreife verkauft. Nach einem verwirrenden Ritual erreichte sie ihre neue Heimat und diente als Zweitfrau einem 80jährigen als Jungbrunnen. Sein Tod ließ nicht lange auf sich warten und die nächste Station wurde ein Freudenhaus. Statt sich, wie einige ihrer Mitarbeiterinnen jammend dem Schicksal hinzugeben, verstand sie es, die Hoffnung auf ein besseres Leben nie aufzugeben und trotz der vielen Stolpersteine bewusst dafür zu kämpfen.

Wir Leser dürfen Chongs langes, wechselvolles Leben begleiten. Vor allem ihre jüngeren Jahre hat der Autor sehr ausführlich in gut lesbare Worte gekleidet. Bildhaft beschreibt er die unterschiedlichen Gegenden, in denen „Lotosblüte“ lebte, macht uns mit verschiedensten Charakteren vertraut und lässt auch fremde Traditionen nicht aus. Sein historischer Roman enthält erotische Anteile ebenso wie politische Hintergründe.

Teilweise dachte ich, noch nie etwas ähnliches gelesen zu haben. Doch die letzten zirka 100 Seiten, in denen große Teile der japanischen Geschichte aufgearbeitet wurden, erinnerten mich an James Clavells Roman „Shogun“, der vor Jahrzehnten auf den Bestsellerlisten stand.

Über Hwang Sok-yong erfährt man bei Wikipedia: Geboren am 4. Januar 1943 in Xinjung, damaliges Mandschukuo in der heutigen Volksrepublik China. Er ist einer der bekanntesten Autoren Südkoreas und zugleich einer derjenigen, die sich realistisch und kritisch mit der Vergangenheit und sozialen Wirklichkeit Südkoreas befassen. Er hat den Koreakrieg erlebt und war als Soldat im Vietnamkrieg im Einsatz. Danach begann seine Karriere als Schriftsteller. Zentrales Thema seiner Texte ist der Konflikt zwischen Tradition und Moderne.

Bewertung vom 08.05.2019
Bell und Harry
Gardam, Jane

Bell und Harry


sehr gut

Bell ist acht Jahre alt, als sein Vater das leerstehende Farmhaus an eine Familie aus London als Ferienquartier verpachtet. Das schreibende Familienoberhaupt erhofft sich Ruhe auf dem Land. Doch die gerade stattfindende Heuernte macht seine Hoffnung zunichte. Beinahe hätte er sein Vorhaben wieder aufgegeben. Doch glücklicherweise kommt es anders. Sein sechsjähriger Sohn Harry freundet sich mit dem Bauernjungen an und die beiden erleben abenteuerliche Dinge. Das Leben auf dem Land ist ganz anders als in London und Harry blüht regelrecht auf.

Das Buch beinhaltet neun Kapitel, jedes in sich abgeschlossen. Als Leser lernen wir die unterschiedlichsten Typen kennen und begleiten die Freunde auf ihren wahrlich nicht ungefährlichen Abenteuern. Wie sehr die gemeinsamen Erlebnisse sommers wie winters die beiden geprägt haben, zeigt sich vor allem im letzten Kapitel.

Ich habe das Buch sehr gern gelesen. Es hat mich verzaubert und in eine weitgehend heile Welt entführt.

Bewertung vom 31.03.2019
Die Angehörigen
Dion, Katharine

Die Angehörigen


gut

Auf dem Buchrücken steht: „Dieses klug durchdachte Familiendrama ist ein Juwel.“ Das macht schon mal neugierig. Doch leider scheint nach einigen Seiten die Luft raus zu sein. Beschrieben wird das eigentlich langweilige Leben eines Rentners nach dem plötzlichen Tod seiner Frau, mit der er 49 Jahre verheiratet war. Während er versucht, einen Nachruf für die Trauerfeier zu verfassen, holen Gene zahlreiche Erinnerungen ein, die er nicht in Worte zu fassen vermag. Seine Tochter Dary ist da um einiges tatkräftiger. Sie versucht ihren Vater wieder in die Spur zu bringen.


„Er wusste noch immer nicht, wie er den Nachruf formulieren sollte. Einerseits waren da seine wirren persönlichen Gefühle, andererseits war der Nachruf für die Öffentlichkeit gedacht und verlangte die kluge Raffung eines ganzen Lebens, als eine Kohärenz, die seinen Gefühlen nicht entsprach.“ (Seite 78).


Das Buch ist in drei Teile gegliedert: Im ersten kämpft Gene um Eingebungen für die Trauerfeier, im zweiten Teil erfahren wir von seinem Leben danach und wie er glaubt, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Erst im dritten Teil verarbeitet er seinen Verlust und findet wieder zu sich selbst. Dieser dritte Teil gefiel mir am besten, weil er Ruhe ausstrahlt. Gene ist zwar allein, kommt mir aber nicht einsam vor. Auf sich selbst zurückgeworfen liest er Tolstois Anna Karenina und denkt über sein Leben mit Maida nach.


„Er war jemand, der für sein Leben etwas ersehnt hatte, das er nicht verstand. Er verstand die Liebe nicht. Er hatte zeitlebens versucht, sich anständig und korrekt zu verhalten, dies in dem Glauben, man würde ihn dafür lieben.“


Auch wenn mich der Anfang des Buches nicht sonderlich ansprach, war ich froh, bis zum Ende durchgehalten zu haben. Denn der noch jungen Autorin ist es erstaunlich gut gelungen, in ihrem Debutroman die Gedanken eines alternden Mannes in Worte zu fassen.

Bewertung vom 24.03.2019
Was uns erinnern lässt
Naumann, Kati

Was uns erinnern lässt


sehr gut

Niemandsland
Einst stand im Thüringer Wald am Rennsteig das Hotel Waldeshöh. Es war ein beliebtes Haus für Feriengäste. Die alte Marie Dressel wusste es in Schuss zu halten, bis während des zweiten Weltkrieges Kinder aus Frankfurt einquartiert wurden. Ihr Wunsch, das Hotel nach dem Krieg wieder aufblühen zu lassen, blieb allerdings unerfüllt, da es im 500 Meter-Sperrgebiet der deutsch-deutschen Grenze lag.

Die Rechtsanwaltsgehilfin Milla hat es sich zum Hobby gemacht, „lost places“ aufzuspüren und findet den Keller dieses Gebäudes. In detaillierter Kleinarbeit geht sie der Geschichte des Hauses und der ehemaligen Besitzer auf den Grund.

Die Autorin Kati Neumann hat selbst einen Großteil ihrer Kindheit im ehemaligen Sperrgebiet im Thüringer Wald verbracht. Ihr gelingt es sehr authentisch vom Leben der Familie Dressel zwischen 1945 und 1977 zu erzählen. Sie hat das Buch in zwei Erzählebenen gegliedert. Abwechselnd bleibt sie in der Gegenwart bei Milla und ihrem Sohn Neo, um dann wieder die Vergangenheit aufzurollen.

Als sehr hilfreich empfand ich den auf den Cover-Innenseiten abgebildeten Stammbaum der Familie Dressel. Auch das romantische Cover mit Wiesen, Wäldern und Bergen sprach mich sehr an. In meinen Augen ist es der Autorin recht gut gelungen, das Leben mehrerer Generationen im Sperrgebiet zu beschreiben.

Bewertung vom 17.02.2019
Worauf wir hoffen
Mirza, Fatima Farheen

Worauf wir hoffen


ausgezeichnet

Die Hoffnung stirbt zuletzt
„Es tröstete sie, ihn in ihrer Nähe zu wissen, ein Trost, den es nur zwischen zwei Menschen geben kann, die ihre frühesten Erinnerungen teilen.“ (Seite 25)

Hadia heiratet und wünscht sich nichts sehnlicher, als ihren Bruder Amar wiederzusehen. Aus diesem Grund lädt sie ihn ein – obwohl sie Angst hat, dass ihr Vater Rafik wieder einen Wutanfall bekommt. Amar ist in seiner Jugend zu oft anders gewesen, als der Vater sich seinen Sohn gewünscht hatte.

Hadia stammt aus einer in Amerika lebenden muslimischen Familie, die ursprünglich aus Indien kam. Im zweiten Teil des Buches (das insgesamt vier Teile hat) beschreibt die Autorin das Leben in der Familie von der frühesten Kindheit der drei Geschwister bis ins Erwachsenenalter hinein. Wir Leser erfahren viel über den muslimischen Glauben, über das Gemeindeleben und die Einstellung der Eltern zum Leben.

„Woher kommt, wenn man sich mag, Liebe empfindet, Zärtlichkeit, bisweilen Begehren, diese Scheu? Selbst vor ihrem eigenen Ehemann hat sie Hemmungen etwas auszusprechen.“ wird auf Seite 60 die Einstellung der Mutter zu ihrem Ehemann beschrieben. Ihren Kindern gegenüber verhält sie sich meist loyal. Der eine große Fehler, den sie gemacht hat, wird ihr erst viel zu spät bewusst.

Die Autorin erzählt nicht chronologisch, sie beschreibt viele verschiedene Augenblicke. So entsteht nach und nach ein Gesamtbild. Als Leser erfahren wir von der ersten Liebe, die nicht sein darf. Von der Sehnsucht der Kinder nach Anerkennung. Hadia begehrt auf, möchte ebenso geliebt werden wie ihr Bruder – worauf Ihr Vater antwortet: „Weil es die Rolle der Tochter ist wegzugehen, eine eigene Familie zu gründen, den Namen ihres Mannes anzunehmen – Töchter gehören uns nie wirklich.“ (Seite 205).

Immer wieder werden Stellen aus dem Koran herangezogen. Sie verdeutlichen, wie viele Geschichten denen aus der Bibel gleichen. Es stellt sich beispielsweise die Frage der Integration: Mutter Leila wünscht sich, dass die Kinder zu Hause die Muttersprache Urdu benutzen; doch sie ziehen Englisch vor, die Sprache des Landes, in dem sie zur Schule gehen. Auch wehren sie sich teilweise gegen die althergebrachten Sitten und Gebräuche ihrer Eltern.

Besonders beeindruckt hat mich der vierte und letzte Teil dieses Buches, der den Gedanken des Vaters gewidmet ist und zeigt, wie schwer er sich zwischen dem, was er als Kind gelernt hat und dem modernen Leben bewegt.

In meinen Augen ist der Autorin mit diesem Buch ein ganz besonderer Wurf gelungen. Ich habe mich einerseits durch die angenehme Sprache sehr gut unterhalten gefühlt, habe aber auch eine Menge über Muslime und ihre Lebensart gelernt. Gleichzeitig konnte ich hinter die Fassade einer Familie schauen, die nach außen hin versuchte, allen gerecht zu werden, aber innerlich tiefe Wunden zu verarbeiten hatte.

Bewertung vom 30.01.2019
Allee unserer Träume
Gerold, Ulrike;Hänel, Wolfram

Allee unserer Träume


gut

Ein Leben

Ilse, Jahrgang 1922, wuchs als Kind geschiedener Eltern in Thüringen auf. Obwohl sie bei der Mutter lebte, liebte sie ihren Vater, der sie oft mit in seine Baufirma nahm und in ihr den Wunsch aufkommen ließ, Architektur zu studieren. Auch wenn es ihr die politischen Ereignisse nicht leicht machten, realisierte ihren Wunsch.

Im ersten Teil des Buches wechseln die Kapitel zwischen Ilses Jugend und dem Beginn der DDR. Schon hier fielen mir die vielen Nebenschauplätze auf. Sicher ist es interessant zu lesen, welche Hürden das Leben Ilse in den Weg legte, doch die Vielzahl führte mich zu oft vom eigentlichen Thema weg.

Im zweiten Teil beschreiben die Autoren, wie sie sich den Bau der Ostberliner Prachtstraße Anfang der sechziger Jahre vorstellen. Einige Abschnitte lassen sich gut lesen, aber auch hier sind so viele Nebenschauplätze eingearbeitet, dass mir die Geschichte wie ein Rundumschlag vorkommt. Die kürzeren Abschnitten zum Schluss des Buches runden die Story allerdings gut ab und gefielen mir besser als die weitschweifigen Erzählstränge.

Sicher ist jedes Leben voll gepackt mit vielen verschiedenen Erlebnissen – guten und schlechten. So war es wohl auch im Leben der Mutter des Autors. Denn sie soll das Vorbild für diesen Roman gewesen sein. Als Biografie hätte ich diese Anhäufung von Ereignissen sicherlich gerne gelesen. Doch für einen Roman war mir das Buch viel zu voll gepackt.

Bewertung vom 16.01.2019
Fünf Tage im Mai
Hager, Elisabeth R.

Fünf Tage im Mai


ausgezeichnet

Die erste und die letzte Liebe
Illy wollte mal Pfarrer werden, weil „wenn der Pfarrer sprach, hörten alle zu“ (Seite 15). Die Autorin Elisabeth R. Hager katapultiert die Leser unmittelbar in die Kirche, doch die lange erprobte Erstkommunion verlief anders als geplant. Zum Glück half Tat‘ka, Leonores Urgroßvater dem Kind am 8.Mai 1986 das Missgeschick zu überleben. Er ist ihr Haltepunkt in allen Lebenslagen. Das zeigt sich an den Ich-Erzählungen, die uns an insgesamt fünf verschiedene Mai-Tage im Laufe von 18 Jahren führen. Egal ob es kindliche Einsamkeitsgefühle sind oder die erste Liebe; der tapfer auf die 100 zugehende Tat‘ka gibt Illy immer Geborgenheit.

Dachte ich anfangs noch, dass die einzelnen Geschichten wenig miteinander zu tun haben, rundete sich das Bild zum Ende des Buches ab. Die Autorin schreibt in angenehm ausgefeilter Sprache, in ansprechenden Wortbildern. Zum Beispiel an Tat‘kas Geburtstag, den er eigentlich nicht feiern wollte: „Im Laufe seines Lebens hatte Tat‘ka so viele Leben gestreift, dass die Terrasse sich in kürzester Zeit bis auf den letzten Platz mit Gratulanten füllte.“ (Seite 75).

Wie so häufig im Leben, verlief auch Illys Leben nicht problemlos. Doch bevor sie daran zerbrechen konnte, riet ihr der Urgroßvater (Seite 188): „Für dich und dein Leben musst Du verantwortlich sein! Das klingt nach keiner Heldentat, i weiß. Aber es is‘ eine.“

Der 1981 geborenen Autorin ist es geglückt, mich in ihrer lesenswerten Geschichte einzuhüllen, mich mit ihren Worten zu streicheln. Hier kann ich nur dem Ausspruch auf der Rückseite des Buches zustimmen: „Es ist eine große Kunst, so warmherzig und hoffnungsvoll über Verlust und Abschied zu schreiben, wie Elisabeth R. Hager es tut.“