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sleepwalker

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Insgesamt 467 Bewertungen
Bewertung vom 14.02.2022
Ufermord / Romy Beccare Bd.11
Peters, Katharina

Ufermord / Romy Beccare Bd.11


ausgezeichnet

Romy Beccare ist zurück! „Ufermord“ heißt der neue Krimi von Katharina Peters und ist ein durchaus würdiger elfter Teil der Serie um die Rügener Kriminalkommissarin. Wie aus der Reihe gewohnt, ist es eine Mischung aus Cold Case und einem aktuellen Fall, eine unblutige, eher ruhige Erzählung, die es in der Essenz aber in sich hat. Ein fesselnder und überraschender Krimi.
Aber von vorn.
Am Selliner See wird die Leiche des Tierarztes Dr. Michael Bautner gefunden. Der dreifache Familienvater und Ehemann scheint beliebt gewesen zu sein, aber schon bei ersten Ermittlungen im familiären Umfeld bekommt Kommissarin Romy Beccare Zweifel an seinem „Saubermann-Image“, denn die Beschreibungen des Toten wechseln zwischen „mein Mann und ich hatten eine gute Gemeinschaft“ und „ich weiß, dass mein Mann kein Engel war“ und „mein Vater war ein A***loch“. Als dann ein unzufriedener Kunde verhaftet wird, der Bautner für den Tod seines Hundes verantwortlich macht, wird der Fall als aufgeklärt zu den Akten gelegt. Wirklich glücklich ist Romy mit dieser „Lösung“ allerdings nicht. Wenige Wochen später wird ebenfalls am Selliner See ein Skelett gefunden. Nach der Identifizierung des Toten ergeben Nachforschungen, dass er und der tote Tierarzt sich kannten. Und Romy macht sich an die komplexen Ermittlungen, die sie und ihr Team in der Zeit zurück in die ehemalige DDR kurz vor der Wende führen. Und sie findet sich in einem Sumpf aus angeblich heiler Familie, Erpressung und Gewalt wieder.
Ich habe schon mehrere Bücher von Katharina Peters gelesen, auch welche aus ihren anderen Serien. Romy Beccare ist immer ein Garant für kompetente und engagierte Ermittlungsarbeit in scheinbar aussichtslosen Fällen. Die Fälle sind unblutig, meistens nicht sehr gewalttätig (also die Taten selbst schon, aber die sind in der Regel ja lange her) und verzwickt. Romy ist zwar eine sehr gewissenhafte und hartnäckige (oder verbissene?) Ermittlerin, mir aber oft ein bisschen zu forsch und übergriffig („Bei einem Mord muss ich viele Fragen stellen, und einige von ihnen dürften auch indiskret wirken oder sind sehr schmerzhaft. Es tut mir leid.“). Ruth Karnold ist mir mit ihrer bedächtigen Art sympathischer, aber alles in allem ist das Ermittlerteam sehr ausgewogen und passt gut zusammen.
Ich fand das Buch spannend und gut konzipiert, wenn auch sehr komplex und manchmal ein bisschen unübersichtlich. Da muss man schon konzentriert lesen, wenn man den Faden nicht verlieren will. Auch fand ich den Spannungsbogen nicht Fingernägel-abknabber-hoch, aber doch durchgehend so hoch, dass ich das Buch in einem Rutsch durchgelesen habe, weil ich wissen wollte, wie es ausgeht. Denn wie üblich präsentiert die Autorin eine Menge potenzieller Mörder und legt auch gekonnt einige falsche Fährten.
Sprachlich ist das Buch wie ich es von der Autorin gewohnt bin: locker und flockig geschrieben und flüssig zu lesen, nur leider habe ich auch wieder eine Handvoll Fehler gefunden. Aber die gut konstruierte Handlung, die Beschreibungen der Rügener Landschaft, ein Exkurs in die Geschichte der Insel samt DDR und Wende machen das wett. Es ist ein Krimi, den ich sehr gerne gelesen habe und jedem Freund solider, unblutiger und gut konzipierter Geschichten empfehle. Von mir daher 5 Sterne.

Bewertung vom 14.02.2022
Mrs Potts' Mordclub und der tote Nachbar / Mord ist Potts' Hobby Bd.1 (eBook, ePUB)
Thorogood, Robert

Mrs Potts' Mordclub und der tote Nachbar / Mord ist Potts' Hobby Bd.1 (eBook, ePUB)


weniger gut

„»Mrs Potts, Marlow hat in den letzten sieben Jahren jedes Jahr die Auszeichnung ›Beste Blütenpracht‹ gewonnen. Und bei meinem letzten Einsatz dort hatte jemand die Polizei gerufen, weil zwei Schwäne die High Street hinunterspazierten und den Verkehr lahmgelegt hatten. Ich kann Ihnen versichern, in Marlow gibt es keine Auftragskiller.«“ – Spoiler: natürlich gibt es den. Denn er steht im Mittelpunkt von Robert Thorogoods Cosy Krimi „Mrs. Pott’s Mordclub und der tote Nachbar“.
Judith Potts ist eine ziemlich schrullige Dame Ende 70 und lebt allein in einem Herrenhaus an der Themse. Zu ihren Eigenheiten zählt es, dass sie abends eine Runde im Fluss schwimmt – nackt, wie Gott sie schuf. Bei einem dieser Ausflüge hört sie einen Schuss und schlussfolgert sofort, dass ihr Nachbar auf der anderen Fluss-Seite ermordet worden ist. Da die Polizei sich als wenig hilfreich erweist, beginnt sie selbst zu ermitteln, nach und nach wird sie von zwei weiteren Damen aus der Gemeinde Marlow unterstützt. Und dann wird noch ein Mensch getötet.
Woher kommt mir das Strickmuster denn bekannt vor? Eine alte Dame ermittelt in Kriminalfällen, sie ist schrullig und wird von der Polizei nicht wirklich ernst genommen? Ach ja, Miss Marple von Agatha Christie. Oder Agatha Raisin von M. C. Beaton. Na, da hat der Autor meiner Meinung nach ziemlich in fremden Büchern gewildert. Aber natürlich hat er seinen Charakteren einige Eigenheiten mitgegeben, die ganz nett zu lesen sind, in der Hauptsache bleiben die Figuren aber eher blass. Vor allem konnte Mrs. Potts bei mir nicht mit Sympathie punkten. Die Konstellation der doch sehr verschiedenen Frauen, die sich da zum Ermitteln zusammentun fand ich aber ziemlich apart.
Die Geschichte an sich fand ich eher belanglos, so was hat man tausendfach schon gelesen, der Schluss hat mich aber tatsächlich überrascht, auch wenn ich ihn nicht wirklich überzeugend finde. Die Sprache ist eher so altbacken, wie ich mir die 77jährige Mrs. Potts vorstelle. „Nachdem sie vor den Fernsehnachrichten ihr Abendessen eingenommen hatte“ fand ich befremdlich, aber durchaus stimmig und ein wenig charmant. Charmant ist auch das Setting in dem Dorf, das aber absolut auch an Agatha Raisin erinnert. Jeder kennt jeden, („Die Leute in Marlow waren solche Topfgucker!“) – ist in Kleinstädten/Dörfern halt so. Mich wundert da eher, dass sich Mrs. Potts darüber wundert. Verwunderlich fand ich auch, dass der Name Ezra konsequent in einer anderen Schriftart und -größe und teilweise fettgedruckt gesetzt wird (ich habe es in 4 verschiedenen Reader-Programmen getestet und es war überall so).
Sonst fand ich das Buch nett zu lesen, mehr aber auch nicht. Cosy Crime scheint für mich ein bisschen zu cosy zu sein, denn mir fehlte fast komplett die Spannung, was das Buch teilweise ziemlich langweilig machte. Die Geschichte lebt von den Schrullen der Charaktere und das ist mir zu dünn, zumal ihnen für mich im Großen und Ganzen der Charme fehlt, den ich aus anderen Büchern des Genres kenne. Da ist also für die kommenden Teile der Serie viel Luft nach oben, vor allem, was die Entwicklung und Ausarbeitung der zum Teil bislang etwas uninspiriert wirkenden Charaktere betrifft. Von mir daher nett gemeinte 2,5 Sterne, abgerundet auf zwei.

Bewertung vom 26.01.2022
Junge mit schwarzem Hahn
vor Schulte, Stefanie

Junge mit schwarzem Hahn


gut

„Junge mit schwarzem Hahn“ von Stefanie vor Schulte ist ein Buch, das sich für mich sehr schwer einordnen lässt. Das Genre ist schwer zu definieren und ich kann auch nicht sagen, ob das Buch mir gefallen hat, oder nicht. Ist es nun ein Märchen für Erwachsene, eine Fabel, eine gesellschaftskritische Parabel oder eine Allegorie? Vermutlich liegt die Wahrheit dazwischen und es ist eine Mischung aus allem. Schwieriger ist jedoch die Antwort auf die Frage, ob mir das Buch gefallen hat.
Aber von vorn.
Der elfjährige Waisenjunge Martin musste als Kleinkind miterleben, wie der Vater seine Mutter und seine Geschwister erschlagen hat. Zusammen mit ihm überlebt ein schwarzer Hahn, der ihn fortan durch sein schwieriges Leben begleitet: als Freund, Vertrauter und eine Art Bodyguard, denn er verjagt Menschen durch sein Gekreische und mit seinem scharfen Schnabel. Viele meinen, Martin und der Hahn seien mit dem Teufel im Bunde („Dieses Mistvieh von einem Hahn. Der Teufel persönlich.“). Martin ist ein sensibler, intelligenter Junge und er hat sich selbst eine Mission ausgesucht: er möchte die von „schwarzen Reitern“ entführten Kinder suchen, finden und retten. Ein Maler, der in der Dorfkirche das Altarbild malen soll, nimmt sich seiner an und sie reisen gemeinsam weiter. Er ist der erste, der vor Martins Intelligenz keine Angst hat und ihn nicht, wie alle anderen, ständig schlägt.
So weit, so spannend, mystisch und märchenhaft. Könnte es zumindest sein. Und es könnte auch wirklich ans Herz gehen. Der schlaue, empfindsame kleine Junge mitten in einer kalten, rauen Welt voller Aberglauben, Tyrannei und Gewalt. Aber obwohl ich mich dem Protagonisten Martin sehr nahe fühlte, konnte das Buch mich nicht wirklich erreichen. Stefanie vor Schultes Sprache ist bildhaft und schlicht, teilweise fast fragmentiert. Auch kam sie mir bei der Lektüre fast monochrom vor und so rau wie die damaligen Zeiten (die Geschichte ist weder zeitlich noch örtlich bestimmt – sie könnte allerdings irgendwo in Europa im 30jährigen Krieg spielen, denn neben Krieg und Hunger werden auch Pest und Hexenverbrennung erwähnt). Monochrom sind auch die Charaktere – alles ist schwarz oder weiß, gut oder böse. Es gibt praktisch nichts dazwischen. Bunt sind mehr oder weniger nur die Bilder, die der Maler malt, wozu dann auch der Titel des Buchs gut passt, denn „Junge mit schwarzem Hahn“ klingt wie der Titel eines Kunstwerks.
Ist das Buch denn ein Kunstwerk? Für mich war es auf jeden Fall eine Herausforderung, denn so wirklich wurde ich mit der Geschichte nicht warm. Vor allem die erste Hälfte war mir zu verworren, zu konstruiert und zu kryptisch und verlange mehr Konzentration von mir, als ich aufzubringen im Stande war. Insgesamt erinnerte mich das Buch an die Märchen von Hans Christian Andersen, die ich sehr liebe. Das Düstere und die Moral am Ende fand ich daher sehr ansprechend. Aber manchmal fand ich die Geschichte einfach zu gezwungen. Sowohl die gezwungen alte Sprache als auch die gezwungene wirklich strikte Unterscheidung in Gut und Böse machten mir das Buch nicht zum Freund. Martin ist mir zu sehr Lichtgestalt und zu durch und durch gut in einer Welt voller Schlechtigkeit.
Durch die Parallelen zur heutigen Zeit, in der auch jeder sich selbst der Nächste ist, kann ich mir das Buch hervorragend als Schullektüre vorstellen, denn es bietet praktisch unendlich viel Stoff für Interpretationen. Manche der Ideen werden von der Autorin meiner Meinung nach auch nicht hundertprozentig zu Ende gedacht, da hätten dem Buch ein paar mehr Seiten gutgetan, um alle losen Enden befriedigend zu verknüpfen. Es ist alles in allem sicher kein schlechtes Buch und ich kann mir gut vorstellen, dass man von der Autorin künftig noch Großes erwarten kann. Aber das Buch und ich passten einfach nicht zusammen. Daher gebe ich drei Sterne, denn es gibt sicher Menschen, denen das Buch besser liegt als mir.

Bewertung vom 19.01.2022
Der Sucher
French, Tana

Der Sucher


gut

„Der Sucher“ ist der Titel von Tana Frenchs neuestem Roman. Ob das Buch nun „meisterhaft“ ist, wie die Washington Post schreibt, sei dahingestellt, mich lässt es eher zwiegespalten zurück. Aber es ist ein durchaus unterhaltsames Buch mit vielen Wendungen, interessanten Charakteren und einem ansprechenden Setting. Das gemächliche Tempo, mit dem sich die Geschichte entwickelt, hat mich allerdings immer wieder zum Querlesen verleitet und oft habe ich mich gefragt, wo es überhaupt hinführen wird. Manche mögen es „atmosphärisch“ oder „charmant“, vielleicht sogar „literarisch“ finden – ich fand es über lange Strecken relativ langweilig.
Aber von vorn. Der 48jährige ehemalige Polizist Cal verlässt Chicago und kauft sich ein Häuschen in der irischen Kleinstadt Kilcarrow. Die Idylle bekommt einen Knacks, als er mitbekommt, dass in seiner Nachbarschaft Schafe getötet werden. Und dann setzt der Satz des 13jährigen Teenies Trey „Mein Bruder ist verschwunden“ eine Dynamik in Gang, die Cal zu eigenen Ermittlungen bringt und ihm Einblicke ins Dorfleben gibt, auf die er vermutlich gerne verzichtet hätte. So weit, so spannend. Hätte es zumindest sein können. Doch das Verschwinden des 19jährigen Brendan schafft es nicht, das wirklich tragende Thema der Geschichte zu werden. Es geht schlicht immer wieder zwischen reichlich Dialogen und Beschreibungen unter, die nicht wirklich irgendwo hinführen, sie mäandern ebenso, wie der Fluss, an dem Kilcarrow liegt.
Und ehrlich gesagt hat mich die Sprache der Autorin auch nicht wirklich begeistern können. Es war mein erstes Buch von Tana French und ich denke, es wird auch das einzige bleiben. Die Sätze sind teilweise sehr lang und verschachtelt und bei „Das Badezimmerfenster geht so reibungslos und leise auf, als wäre es mit Kontaktspray eingesprüht worden, was es auch wurde.“ oder „Die Spaghetti strapazieren die Kauwerkzeuge, und die Bolognesesoße ist kräftig mit Minze, Koriander und irgendwas gewürzt, das wie Anissamen schmeckt. Das Ganze passt irgendwie, solange Cal es nimmt, wie es ist.“ habe ich mich wirklich gefragt, was die Autorin damit eigentlich bezwecken will.
Insgesamt ist mir das Buch zu klischeehaft und in manchen Punkten passt es nicht so richtig ins 21. Jahrhundert, da hilft auch die Verwendung von WhatsApp und Facebook nicht. Trey wird, obwohl schon 13 Jahre alt, immer wieder als Kind bezeichnet. Die meisten Männer sprühen nur so vor Maskulinität und die Szenen im Pub triefen vor Testosteron. Und wie Cal auf die Aussage kommt, dass 20 ein typisches Alter ist, um Suizid zu begehen, kann ich mir nicht erklären. Trey und Cal sind die beiden gut ausgearbeiteten Protagonisten des Buchs, wobei bei beiden auch sehr viel Stereotyp zum Tragen kommt. Cal ist ein typischer Städter auf dem Land (keine Ahnung, wie er überhaupt mit dem irischen Englisch der Bewohner klarkam und die mit seiner Sprache), außerdem ein klischeehafter Polizist, der einen Verdächtigen durch Folter zu einer Aussage bringt (die moralische Komponente an dieser Stelle war für mich einer der wenigen wirklich tiefgründigen Momente des ganzen Buchs). Abgesehen davon fand ich ihn eigentlich sympathisch. Mein Favorit ist allerdings Trey, das Kind aus schwierigen Verhältnissen, ein Teenie mit eigenem Kopf und Ecken und Kanten.
Rückblickend fand ich das Buch weder besonders schlecht noch übermäßig gut, höchstens solides Mittelmaß, vermutlich am ehesten etwas für Fans von Tana French und irischen Kleinstädten. Spannung sollte man auf jeden Fall nicht erwarten, wenn man anfängt das Buch zu lesen und auch Kleinstadt-Charme und gut beschriebene schrullige Bewohner sucht man eher vergebens. „Egal, was er tut oder nicht tut, er kann sich nicht vorstellen, wie diese Sache gut ausgehen soll. […] Hier gibt es kein Happy End.“ Ein Epilog hätte dem Buch dennoch gutgetan, denn obwohl der Schluss stimmig ist, kommt das ganze über ein „ist okay“ nicht hinaus. Daher vergebe ich 3 Punkte.

Bewertung vom 13.01.2022
Der Blutkünstler / Tom-Bachmann-Serie Bd.1
Meyer, Chris

Der Blutkünstler / Tom-Bachmann-Serie Bd.1


ausgezeichnet

Tom Bachmann ist „Seelenleser“ oder professionell ausgedrückt: Profiler. Sein Lebensinhalt ist die Bekämpfung des Bösen und da hat er in Chris Meyers Thriller „Der Blutkünstler“ jede Menge zu tun. In verschiedenen Teilen der Republik kommen über mehrere Jahre verteilt vier Frauen grausam zu Tode. Sie werden gequält und ihre Leichen grotesk, als kleine Mädchen verkleidet, als eine Art gruseliges „Kunstwerk“ zur Schau gestellt. Tom Bachmann wird hinzugezogen und die Ermittlungen nehmen Fahrt auf. Und dann taucht ein Kindheitsfreund auf, der früher fast wie ein Bruder für ihn war.
Chris Meyer schreibt einfach und bildhaft. Alles in allem ist das Buch, auch dank der kurzen Kapitel, flüssig zu lesen. Zudem ist er in seinen Beschreibungen schonungslos und das Buch ist nichts für schwache Nerven. Insgesamt hat der Autor bei dem Buch also nichts falsch gemacht. Er hat alle essenziellen Aspekte abgehakt. Und darin liegt die Krux: es wirkt manchmal wirklich, als habe er eine Checkliste zum Thema „was braucht ein gelungener Thriller“ abgehakt. Ermittler mit traumatischer Vergangenheit, der mit Schlaflosigkeit und seinen Dämonen kämpft. Feministische Ermittlerinnen. Mehrere brutale Morde. Manipulative Erwachsene, die Kinderleben zerstören. Aber dennoch schafft es das Buch für mich nicht, sich vom guten zum herausragenden Thriller zu mausern.
Das liegt einerseits an den Charakteren, die ich einfach zu klischeehaft finde. Tom finde ich eher interessant als sympathisch. Seine überbordende Genialität fand ich stellenweise sehr anstrengend (vor allem, weil ich ihn gar nicht so genial fand) und auch seine Handlungen waren nicht einmal dann immer nachvollziehbar, wenn man seine Vergangenheit kennt. Er wirkt sehr unnahbar und distanziert, sein Privatleben beschränkt sich auf Sport, Computerspiele und One-Night-Stands, was die Frage für mich aufwirft, inwieweit er selbst ein Psychopath sein könnte („Psychopathie war im Prinzip nichts anderes als eine Persönlichkeitsstörung, und Tom hatte sich in seinem Leben nicht nur einmal gefragt, ob er auch davon betroffen sein könnte. Zumal eines alle Psychopathen einte: Sie konnten nicht lieben.“). Neben ihm wirken alle anderen Charaktere etwas blass und insgesamt fand ich die Personen nicht ganz ausgereift.
Erzählt werden alle vier Handlungsstränge aus der Sicht eines allwissenden Erzählers. Ein Handlungsstrang spielt in Toms Kindheit in den 1980er Jahren, der zweite hat den Blutkünstler zum Protagonisten, der dritte einen lange unbenannten „Beobachter“ und natürlich ist der „Hauptstrang“ die Ermittlungsarbeit. Der Autor flicht in seine Thriller-Handlung einige interessante Fakten aus der Psychologie ein. Vor allem seine Ausführungen zu Psychopathen fand ich sehr nützlich.
Der Spannungsbogen war für mich nicht konstant, nach einem Paukenschlag-Auftakt flacht er rasch ab. Aber wirklich langweilig fand ich das Buch zu keiner Zeit, auch wenn der Autor manchmal die Spannung durch schieren Ekel erzeugt. Was mich allerdings wirklich frustriert hat, ist der Schluss. Der überraschte mich zwar, kam aber einfach zu abrupt und der Hinweis auf den Mörder kam praktisch aus dem Nichts. Kann man cleveren Twist nennen oder unterstellen, dass Chris Meyer rasch zum Schluss kommen wollte und daher seinem Publikum einen fast willkürlich ausgewählt wirkenden Täter präsentiert hat. Hier fehlte mir ein bisschen die Logik und die Ermittlungsarbeit des ach so genialen Profilers ist doch nicht so genial, denn er weiß selbst bis zur Demaskierung nicht, wer hinter dem Blutkünstler steckt.
Alles in allem ist das Buch ein solider Thriller, dem aber das Alleinstellungsmerkmal fehlt. Er wird mir vermutlich nicht im Gedächtnis bleiben. Da es der Auftakt zu einer Serie ist, bleibt zu hoffen, dass der Autor die Charaktere weiter entwickeln wird und seinen eigenen Stil findet, statt sich an tausendfach bewährte Rezepte zu halten. Von mir für die gute Idee, die sprachlich wirklich gute Umsetzung und die gute Unterhaltung aber vier Stern

Bewertung vom 07.01.2022
Weiter Himmel / Jackson Brodie Bd.5
Atkinson, Kate

Weiter Himmel / Jackson Brodie Bd.5


weniger gut

„Weiter Himmel“ von Kate Atkinson ist wirklich ein Buch, das es mir nicht leicht gemacht hat und an dem ich beinahe gescheitert wäre. Ich fand von Anfang an sehr schwer Zugang, obwohl die Geschichte an sich sehr viel Potential versprochen hat. Irgendwie hatte ich das Gefühl, die Autorin hat das brisante und interessante Thema mit Nebengeschichten und Ausschweifungen zerredet und damit jegliche mögliche Spannung komplett zerlegt. Wie schon „Die vierte Tochter“ konnte mich auch der fünfte Band um den Privatermittler Jackson Brodie nicht begeistern und ich werde Autorin und Serie wohl abhaken. Lesen kann man das Buch durchaus auch ohne Vorkenntnisse aus den anderen Teilen, fürs Verständnis braucht man sie nicht.
Aber von vorn.
Andy, Steve und Tommy sind „die drei Musketiere“, drei gutsituierte Familienväter mittleren Alters, die gemeinsam Golf spielen. Sie sind gesellschaftlich anerkannt, sozial gut aufgestellt und führen ein scheinbar geordnetes Leben. Aber hinter der schönen Fassade sieht es anders aus, denn ihr finanzielles Polster stammt aus einem ebenso einträglichen wie illegalen Nebengeschäft. Als dann eine Frau aus ihrem direkten Umfeld zu Tode kommt und die Polizei und der Privatdetektiv Jackson Brodie ermitteln, führen nach und nach alle Wege zum Golfclub und den drei Männern. Und die Entdeckungen, die gemacht werden, sind schockierend.
Eigentlich ist in dem Roman von Anfang an klar, worum es geht: Mädchenhandel. „Sie waren nicht dumm, sie wussten von Menschenhandel, von Leuten, die Mädchen davon überzeugten, dass sie gute Jobs bekommen würden, richtige Jobs, und dann endeten sie unter Drogen gesetzt in einem dreckigen Loch, wo sie mit einem Mann nach dem anderen Sex haben mussten, und sie konnten nicht zurück nach Hause, weil ihnen die Pässe weggenommen worden waren und sie sich erst wieder »verdienen« mussten. APA war nicht so.“
Natürlich ist es auch in diesem Buch nicht so. Natürlich werden auch in diesem Buch Mädchen mit falschen Versprechungen nach Großbritannien gelockt. Die Autorin greift damit ein ebenso schreckliches wie aktuelles Thema auf. Leider schafft sie es aber nicht, es wirklich gut aufzubereiten. Sie verheddert sich in verwirrenden und überflüssigen Nebengeschichten und schafft es für mich weder eine klare Linie noch einen Spannungsbogen aufzubauen. Über weite Teile des Buchs kommen weder die Geschichte noch die Ermittlungen einen Schritt vorwärts. Einzig gegen Schluss kommt ein bisschen Tempo und Spannung in die Handlung, das Ende an sich ist schlüssig, aber da hatte ich mit dem Buch innerlich schon abgeschlossen.
Die Autorin prangert Scheinheiligkeit und moralischen Verfall an, und dass in der „besseren Gesellschaft“ vieles mehr Schein als Sein ist (mit Hinblick auf Prinz Andrews Freundschaft verurteilten Pädophilen sicher berechtigt). Aber für eine wirkliche Gesellschaftskritik fehlt mir die Tiefe.
Die Charaktere sind gut ausgearbeitet, einen Bezug fand ich dennoch zu keinem. Jackson Brodie, der Held der Serie, verkommt zur Randfigur, die Ermittlungen übernehmen die Polizistinnen mit den durchaus männlichen Namen Reggie und Ronnie (in Anlehnung an die Kray-Brüder). Außerdem fand ich das Buch durch die vielen Personen und die oft wechselnde Erzählperspektive sehr unruhig. Die Wortwahl ist eher einfach, die Sätze hingegen oft wirr und überladen, vor allem durch die vielen Sätze in Klammern. Der ansprechende und überraschende Schluss konnte es auch nicht retten und die Enttäuschung blieb.
Sonst war das Buch aber nicht mein Fall. Das Thema hätte so viel mehr hergegeben als die Autorin daraus gemacht hat. Ja, sie prangert an, dass in der „besseren Gesellschaft“ vieles mehr Schein als Sein ist (mit Hinblick auf Prinz Andrews Freundschaft verurteilten Pädophilen sicher eine berechtigte Aussage) und insgesamt spielt sie viel auf Moral und deren Verfall an. Aber das reicht einfach nicht. Schade. Daher vergebe ich zwei Sterne.

Bewertung vom 03.01.2022
Eis. Kalt. Tot.
Nordby, Anne

Eis. Kalt. Tot.


ausgezeichnet

Nach „Kalter Strand“ und „Kalte Nacht“ hat Anne Nørdby mit „Eis. Kalt. Tot.“ einen enorm spannenden Thriller mit sehr hohem Ekelfaktor nachgelegt. Zwar habe ich Tom Skagen als Ermittler vermisst (für seine Fans gibt es übrigens demnächst „Kalter Fjord“), aber mit der in Grönland geborenen Super-Recognizerin Marit Rauch Iversen und dem Ermittler Jesper Bæk hat sie ein für mich ansprechendes neuen Duo ins Leben gerufen.
Aber von vorn. Ein Mörder, den die Presse „Horrormetzger“ nennt, treibt im winterlichen Kopenhagen sein Unwesen. Die Sonderkommission „Eisscholle“ ist hinter ihm her, er ist den Ermittlern aber immer mindestens einen Schritt voraus. Der Killer ist unbeschreiblich grausam, zudem hat er eine ganz spezielle Handschrift: er „bastelt“ aus den Überresten seiner Opfer bizarre neue „Wesen“. Es dauert eine Weile, bis die Ermittler diese mit den Mythen der grönländischen Inuit in Verbindung bringen. Die Erkenntnis bringt sie zwar einerseits weiter, macht aber andererseits den Fall noch wesentlich komplizierter und undurchsichtiger. Dazu kämpft Kommissarin Kirsten Vinther an mehreren Fronten: die Jagd nach dem Mörder, aber auch die Suche nach dem Maulwurf in den eigenen Reihen, denn die Presse veröffentlicht Informationen, die sie überhaupt nicht haben dürfte. Und dann gibt es weitere Opfer.
Ich bin ein großer Fan von Nordic-Noir-Thrillern im Allgemeinen und von dänischen im Besonderen. Anne Nørdbys Bücher haben mich bislang nicht enttäuscht, so auch dieses nicht. Es hat mich schon mit dem Prolog aus persönlichen Gründen gepackt, denn der spielt in direkter Nachbarschaft von meinem besten Freund. Und auch sonst hat mich das Buch die ganze Zeit über gefesselt: die düstere und beklemmende Atmosphäre, die die Autorin schafft, ist dicht und packend, Verschnaufpausen gönnt sie der Leserschaft immer nur am „Ende des Tages“, wenn die Ermittler das Ermitteln sein lassen und in den Feierabend gehen. Ob Kirstens oder Jespers kompliziertes Privatleben – die Ausflüge ins Private sind oft aufschlussreich und eine wohltuende Abwechslung bei so viel Brutalität und Gewalt im Rahmen der Ermittlungen.
Die grönländischen Mythen waren mir seit den Büchern von Mads Peder Nordbo bekannt, daher fand ich vor allem die Themen Allaq und Tupilaq von der Autorin hervorragend aufgearbeitet, ich hätte mir eventuell ein bisschen mehr Tiefe gewünscht, das hätte aber vermutlich neben Themen wie Geldgier und Umweltzerstörung in Grönland (vor allem durch die verlassenen US-Air-Bases) den Rahmen des (ohnehin mit über 500 Seiten nicht gerade schlanken) Buchs gesprengt.
Sprachlich fand ich den Thriller wieder sehr gut gelungen. Er ist flüssig zu lesen, allerdings ist er weder thematisch noch in der Wortwahl etwas für zarte Gemüter. Schimpfworte und derbe Beleidigungen sind ebenso an der Tagesordnung wie blutige Beschreibungen unglaublich brutaler Taten. Jedes einzelne der aus unterschiedlichen Perspektiven erzählten Kapitel endet mit einem Cliffhanger, was das Buch zu einem absoluten Pageturner macht. Der Schluss ist stimmig, wobei die Autorin ihre Leserschaft immer mal wieder in eine völlig falsche Richtung lotst, auch mich hat die Auflösung des Falls ziemlich überrascht. Einzig die Auflösung, wer der „Maulwurf“ im Team ist, der Informationen an die Presse weitergibt, fand ich ein bisschen unbefriedigend.
Die Charaktere sind sehr speziell und nicht unbedingt Sympathieträger. Vor allem die forsche Art von Kirsten Vinther fand ich sehr anstrengend. Ihren Umgang mit Jesper, dem „dahergelaufenen Landei“ fand ich äußerst unprofessionell und machte sie für mich wirklich zu einer Chefin aus der Hölle. Jesper fand ich trotz seiner eher „unmännlich“ weichen Art wesentlich angenehmer.
Für mich war die Lektüre dieses gut konstruierten komplexen Thrillers wieder einmal ein Fest und ich lege ihn jedem ans Herz, der kein Problem mit brutalen und blutigen Beschreibungen hat, die die tiefsten Abgründe der menschlichen Seele zeigen. Von mir daher fünf Sterne.

Bewertung vom 20.12.2021
Betreff: Falls ich sterbe
Setterwall, Carolina

Betreff: Falls ich sterbe


weniger gut

„Falls ich sterbe“ steht im Betreff einer E-Mail von Aksel an seine Frau. Der Inhalt: „Mein Computerpasswort ist: ivan2014. Eine ausführliche Liste befindet sich im Dokument Falls ich sterbe.rtf“. Carolina ist empört, aber kurze Zeit später stirbt Aksel mit Anfang 30 völlig überraschend im Schlaf und sie ist von jetzt auf gleich mit dem gemeinsamen Sohn Ivan allein. In zwei Handlungssträngen erzählt Carolina Setterwall autofiktional eine Geschichte von Liebe, Trauer und Verlust. Herausgekommen ist ein Buch mit einem vielversprechenden Klappentext, zu dem ich nur schwer Zugang gefunden habe und das mich irgendwie unbefriedigt zurücklässt.
Aber von vorn. Die Liebe zwischen Aksel und Carolina ist eher ungewöhnlich. Sie ist die treibende und drängende Kraft, die von Wohnungssuche bis Familienplanung alles in die Hand nimmt. Ihr Wunschkind überfordert die junge Mutter dann aber von Anfang an. Ivan schreit sehr viel und insgesamt entwickelt sich ihr Leben anders, als sie es sich gewünscht hat. Nach dem überraschenden Tod ihres Mannes wird die Überforderung noch größer und Caro braucht einige Zeit und viel Kraft, um mit dem Verlust leben zu lernen.
In zwei gegenläufigen Handlungssträngen erzählt die Autorin die Geschichte. Jeweils abwechselnd beinhalten die kurzen Kapitel Episoden aus der Zeit vor und nach Aksels Tod. So beschreibt sie ihr Kennenlernen, dann ihr Zusammenziehen, ein bisschen Alltag, Caros Kinderwunsch (Aksel wollte eigentlich kein Kind) und schließlich Ivans Geburt. In den anderen Kapiteln schreibt sie über Aksels Tod und wie sie im Anschluss versucht, ihr Leben irgendwie weiterzuleben. Das Thema an sich hätte wirklich Stoff für ein richtig gutes Buch geliefert. Und obwohl die Autorin damit teilweise ihre eigene Geschichte erzählt, schafft sie es nicht, mir ihre Trauerbewältigung näherzubringen. Ihre Protagonistin kreist sehr stark um sich selbst und ich fand sie eher anstrengend als sympathisch. Ihre und Aksels Familie tun ihr Möglichstes, sie zu unterstützen, aber meistens scheint sie es nicht zu schätzen zu wissen. Aber schon vorher empfand ich sie als unangenehm dominant und gleichzeitig fordernd und überfordert.
Auch sprachlich fand ich das Buch nicht unbedingt ansprechend. Der Verzicht auf wörtliche Rede und der distanzierte, fast sterile Stil passten für mich so gar nicht zum berührenden Thema. Sie schreibt tagebuch- oder briefähnlich, so, als erzähle sie ihrem verstorbenen Mann die Geschichte. Wie mit einem „Weißt du noch…?“ in den Kapiteln, in denen er dabei war und dann eher deskriptiv und geradlinig im „Jetzt“-Strang nach seinem Tod. Den Titel fand ich nicht sehr glücklich gewählt, vor allem, da die erwähnte E-Mail im Buch kaum eine Rolle spielt. Der Originaltitel „Låt oss hoppas på det bästa“ (lasst uns auf das Beste hoffen) passt wirklich besser, denn der Titel steht für Aufbruch, Zuversicht und Hoffnung, etwas, was im Buch in leisen Zwischentönen im großen Dunkel anklingt.
Insgesamt war das Buch für mich eher eine mühsame und enttäuschende Lektüre. Über weite Strecken zog es sich wie Kaugummi durch alltägliche, fast belanglose Situationen, Carolina steht so sehr im Mittelpunkt und kreist so extrem um sich selbst und ihr Selbstmitleid, dass neben ihr nichts und niemand anderes auch nur annähernd dreidimensional existieren kann. Außer ihr und Ivan gibt keine wirklichen Charaktere im Buch, die Nebenfiguren sind zwar vorhanden, haben zwar für Carolina nützliche Eigenschaften, aber nicht einmal Namen. So hat mich zwar der Gedanke hinter der Geschichte berührt, nicht aber die Geschichte selbst. Fertiggelesen habe ich sie eigentlich nur, weil ich auf eine Aufklärung hinsichtlich der Mail mit dem „Betreff: Falls ich sterbe“ gewartet habe – die leider aber nicht kam. Von mir daher zwei Sterne für die gute Idee, die gelungene Übersetzung und das clevere Konzept mit den gegenläufigen Handlungssträngen.

Bewertung vom 20.12.2021
Rache / Jane Hawk Bd.4
Koontz, Dean

Rache / Jane Hawk Bd.4


sehr gut

(Techno-)Arkadier versklaven mithilfe von Nanobots die Menschen, es gibt wilde Jagden und eine absolut geniale Heldin mit Muttergefühlen, die scheinbar über unbegrenzte intellektuelle und finanzielle Mittel verfügt. Klingt das bekannt? Für die Leser von Dean Koontz‘ Jane-Hawk-Serie ganz sicher. Denn auch der vierte Teil „Rache“ unterscheidet sich allerhöchstens marginal von seinen Vorgängern. Und darin liegt für mich das Problem.

Aber von vorn. Oder auch nicht. Denn wer „Suizid“, „Gehetzt“ und „Gefürchtet“ aus der Reihe kennt, der kennt im Prinzip auch das neue Buch. Travis, Janes fünfjähriger Sohn ist dieses Mal im Visier der Arkadier. Ihn wollen sie als Köder benutzen, um seine Mutter endlich ausschalten zu können, denn schließlich ist sie die einzige, die ihr perfides Spiel, die Menschheit zu versklaven und zu kontrollieren, durchschaut hat. Das Buch schließt nahtlos an den Vorgängerteil an, diese sollte man aus Verständnisgründen auch wirklich vorher gelesen haben. Auch einige bislang lose Enden finden ihre Auflösung. Mehr kann ich aber nicht wirklich über die Handlung sagen. Denn sie bringt schlicht nichts wirklich Neues oder Überraschendes. Der Schluss ist stimmig, für mich aber trotzdem unbefriedigend. Und mich beschlich das Gefühl, dass sich Dean Koontz mit dem Buch keinen Gefallen getan hat. Denn vermutlich hatten viele Leser:innen wie ich damit gerechnet, dass das Buch die Serie zum Abschluss bringt. Stattdessen kocht der Autor praktisch alles, was in den drei Teilen vorher passiert ist, noch einmal nur in anderer Besetzung neu auf. Das mag bei Eintöpfen funktionieren – bei Thrillerserien klappt das nur sehr mäßig, hier wirkt es ein bisschen wie ein Verlegenheitswerk um die Serie noch ein wenig künstlich in die Länge zu ziehen, weil sie sich gut verkauft. Allerdings macht es das Buch nicht zu einem schlechten Werk, ich hatte nur irgendwie vorher andere Erwartungen.

Sprachlich fand ich das Buch wie immer sehr gut zu lesen, es ist rasant und gut erzählt, die oft sehr langen Sätze sind gut formuliert, allerdings ist die Sprache teilweise extrem vulgär. Es gibt eine Fülle an Charakteren, die meisten davon sehr klischeehaft beschrieben, aber durchaus passend und glaubwürdig. Die Bösen (allen voran Egon Gottfrey) sind abgrundtief böse, unsympathisch, gerissen, vulgär und sadistisch. Die Guten sind clever und schlicht gut. Ich habe mich sehr über das Wiedersehen mit Luther Tillman gefreut. Mein Highlight ist aber Cornell Jasperson, der zwar auch wirklich voller autistischer Klischees steckt, mir aber sehr ans Herz gewachsen ist.

Die Geschichte wechselt zwischen Erzählungen aus der Sicht von Jane, den Arkadiern und Travis ab, somit entsteht auf eine ganz besondere Weise eine hohe Geschwindigkeit, die vor allem gegen Ende die Spannung sehr hochtreibt. Aber vieles wiederholt sich für mich ein bisschen zu oft, vor allem das „nichts ist real“ ging mir zunehmend auf die Nerven. Und ich sehe Bücher, in denen Menschen durch injizierte Nanobots versklavt werden, aufgrund der aktuellen Diskussion um angebliche Chips in Covid-Impfstoffen einfach sehr kritisch.

Sei’s drum. Es ist beileibe kein schlechtes Buch, allerdings auch kein wirklich gutes. Von mir gibt es daher 3,5 Sterne, aufgerundet auf vier. Und man darf gespannt sein, ob Teil 5 die Serie dann wirklich zum Abschluss bringen wird.

Bewertung vom 09.12.2021
Die falsche Zeugin
Slaughter, Karin

Die falsche Zeugin


ausgezeichnet

Karin Slaughters „stand-alone-Krimis“ waren für mich bislang eher Wundertüten, ich wusste vorher nie, was mich erwartet. Überraschenderweise hat der Thriller „Die falsche Zeugin“ mich, vor allem gegen Ende, wirklich begeistert. Aber von vorn.
Trotz einer Kindheit voller Gewalt und Vernachlässigung hat Leigh Collier es geschafft: sie ist eine erfolgreiche Anwältin, hat eine Tochter und ein etwas kompliziertes Verhältnis zu deren Vater – augenscheinlich führt sie ein gutbürgerliches Leben. Aber seit ihrer Jugend trägt sie ein Geheimnis mit sich herum, das plötzlich in ihrem Leben wieder extrem präsent wird, als sie die Verteidigung des mutmaßlichen Vergewaltigers Andrew übernehmen soll. Denn der ist für sie kein Unbekannter. Als Teenager waren Leigh und ihre Schwester Callie seine Babysitterinnen. Und sein Vater Buddy hat sie beide, vor allem aber Callie, bis zu seinem mysteriösen Verschwinden, missbraucht. Dadurch, dass Andrew (der als Kind Trevor hieß) wieder in ihrem Leben auftaucht, kommt eine Dynamik in Fahrt, die nicht nur Leigh in Gefahr bringt, sondern alle, die ihr wichtig sind und sie könnte weit mehr verlieren, als einen Gerichtsprozess.
Wer Karin Slaughters Thriller kennt, der weiß, worauf er sich einlässt. Derbe Sprache, extrem brutale Szenen und ein psychologisch clever gestricktes, aber kaum erträgliches düsteres Plot. Da unterscheidet sich „Die falsche Zeugin“ nicht von ihren anderen Büchern. Anders ist eigentlich nur, dass das Buch genau datiert ist, denn das Buch spielt 1998 und 2021, letzteres ist ganz klar an den Corona-Anspielungen zu erkennen. Masken, Desinfektionsmittel und social distancing sind sehr dominante Themen. Auch Coronaleugner-Geschwurbel („»Reiner Blödsinn.« Phil riss die Packung mit den Zähnen auf. »Ich hab noch nie jemanden getroffen, der daran gestorben ist.«“) fehlen ebenso wenig wie „Absolventen der Juristischen Fakultät Twitter“.
Sehr unterschiedliche Schwestern sind wohl ein Lieblingsthema von Karin Slaughter. Die kennt man beispielsweise aus „Die gute Tochter“ der „Grant County Serie“. Und auch in „Die falsche Zeugin“ sind die beiden Schwestern sehr verschieden, haben aber beide abgesehen von ihrer Vergangenheit auch andere Gemeinsamkeiten. Komplex sind die Charaktere im Buch allerdings wieder alle, wenn auch ab und zu sehr klischeehaft. Sympathisch sind nur die „Guten“, die „Bösen“ sind abgrundtief böse und verstecken ihre unsympathische Art hinter hübschen Gesichtern. Bezüglich der Charaktere fand ich vor allem die Beschreibung der drogensüchtigen Callie angenehm wertfrei und gelungen. Mein Lieblingscharakter ist allerdings der demente Tierarzt Dr. Jerry, bei dem Callie als Aushilfe arbeitet.
Karin Slaughters Stil ist trotz manchmal fragmentierter Sätze flüssig zu lesen, Fäkalsprache und derbe Schimpfwörter dürfen einen allerdings nicht stören. Der Spannungsbogen der Geschichte kam mir wie eine wilde Achterbahnfahrt mit ungewissem Ziel vor, die vor allem gegen Ende immer schneller wurde. Der Schluss war für mich eine Überraschung und rührte mich unerwartet. Die Übersetzung ist gelungen, die schonungslos brutale Sprache von Karin Slaughter ist sehr gut getroffen. Natürlich ist das Buch, wie von Karin Slaughter gewohnt, nichts für schwache Nerven und sensible Mägen. Gewollt oder nicht, wirft die Autorin für mich auch die ethisch-moralische Frage auf: wie weit würde ICH gehen, um die zu schützen, die mir lieb und teuer sind? Die Frage hallte auch noch nach dem Zuklappen des Buchs nach. Auch die psychologische Komponente der Namenswechsel fand ich spannend, denn alle Personen scheinen sich neu erfunden zu haben (oder es zumindest versucht zu haben): aus Trevor wurde Andrew, aus Calliope wird Callie, aus Harleigh Leigh und ihre Mutter Sandra nennt sich Phil. Und dennoch mussten alle feststellen, dass das ihre Vergangenheit nicht tilgen kann.
Mich hat das Buch wirklich überrascht und begeistert, ein echtes Highlight für Slaughter-Fans. Daher vergebe ich selbstverständlich fünf Stern