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Volker M.

Bewertungen

Insgesamt 397 Bewertungen
Bewertung vom 01.10.2023
Keine Posaunen vor Jericho
Finkelstein, Israel;Silberman, Neil Asher

Keine Posaunen vor Jericho


ausgezeichnet

Die biblische Archäologie ist ein Minenfeld. Zwei grundsätzlich verschiedene Ansätze konkurrieren heute über die Deutungshoheit: Die einen wollen militant die Wahrheit der biblischen Texte auf Punkt und Komma beweisen, die anderen halten die Bibel eher für eine Sammlung von Volkserzählungen mit geringem Wahrheitsgehalt. Israel Finkelstein gehört zwar tendenziell zur zweiten Gruppe, aber er ist auch ein großer Vermittler zwischen den verfeindeten Fronten. Sein Buch „Keine Posaunen vor Jericho“ ist zwar schon über 20 Jahre alt, aber für die neue Taschenausgabe waren kaum Änderungen nötig, weil sich seine Schlussfolgerungen in der Zwischenzeit sogar verfestigt haben und immer mehr zum Mainstream werden. Auf einen kurzen Nenner gebracht, misst Finkelstein der Bibel eine sehr hohe Bedeutung bei der historischen Identitätsbildung Israels zu, die viel wichtiger ist als die Korrektheit einzelner Erzählungen oder Daten. Gerade hier ist die Verlässlichkeit der biblischen Texte nämlich besonders schlecht. Essenzielle Teile der biblischen Geschichte haben nachweislich nie stattgefunden: Der Auszug aus Ägypten, die kriegerische Inbesitznahme Kanaans und das glorreiche Königreich Davids und Salomos hat es nie gegeben. Und hier enden die Diskrepanzen keineswegs.

Das Buch verwendet einen streng wissenschaftlichen Ansatz, indem der Urtext der Bibel mit den archäologischen Funden und Befunden präzise abgeglichen wird. Finkelstein wirft dabei einen generalistischen Blick auf die ganze Levante (und darüber hinaus), deren komplexe Geschichte er mit einbezieht. Die fehlende Schriftlichkeit des frühen Israel/Juda wird mehr als ausgeglichen durch die zahlreichen Archive, die die Ägypter, Hethiter, Assyrer und Babylonier hinterlassen haben. Auch die Ausgrabungen in Israel sind dank neuer Methoden heute viel aussagekräftiger als früher. So nehmen Finkelstein und sein Mitautor jeden Aspekt des Bibeltextes sprichwörtlich auseinander. Dabei liegt ihnen nichts ferner, als den Text insgesamt zu diskreditieren. Im Gegenteil, sie interpretieren ihn vor dem Hintergrund der tatsächlichen geschichtlichen Ereignisse und da bekommen die Geschichtsverdrehungen bzw. die Heroisierung der (zum Zeitpunkt der Niederschrift weit zurückliegenden) Vergangenheit plötzlich einen tieferen Sinn. Die Bibel dient der Traumabewältigung eines verstörten Volkes, der kulturellen Abgrenzung gegenüber dem Fremden, sie ist Therapie, Rechtfertigung und Identitätserzählung zugleich.

Ganz nebenbei erfährt der Leser von „Keine Posaunen vor Jericho“ was damals wirklich geschah, mit sehr anschaulichen, wenn auch zuweilen anspruchsvollen Beschreibungen der großen historischen Linien und des jüdischen Alltags. Die Ausgewogenheit der Darstellung und der immer spürbare Respekt vor der literarischen Leistung der Bibelautoren macht das Buch eben nicht zur kategorischen Abrechnung, die man hinter dem etwas reißerischen Titel vielleicht vermuten könnte. Die Autoren argumentieren streng wissenschaftlich, wobei sie ungeklärte Aspekte genauso offen ansprechen, wie eklatante Widersprüche. Am Ende steht die Bibel aber als bedeutender historischer Text, der wie alle historische Texte im Kontext seiner Zeit und im Bewusstsein gelesen werden muss, was seine Autoren damals politisch bezweckten. Deren Rechnung ist im Übrigen voll aufgegangen.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 29.09.2023
Life After Life
Mckenzie,Thomasin/Clifford,Sian/Mcardle,James/+

Life After Life


ausgezeichnet

Was wäre, wenn? Was wäre, wenn wir nach dem Tod unser Leben noch einmal leben könnten, aber an den vielen Abzweigungen der Biografie anders abbiegen würden? Welche Auswirkungen hätten kleine Änderungen? Führen alle große Entscheidungen zu großen Konsequenzen?
Ursula Todd ist schon dutzende Male gestorben und immer wieder wird sie 1910 in die Familie des wohlhabenden Bankers Hugh Todd geboren. Jedes Mal nimmt sie ein kleines bisschen ihrer vorangegangenen Erfahrungen mit in die neue Existenz und entwickelt daraus ein Gespür, Unglücke zu vermeiden. Oder auch nicht. Die Würfel fallen jedes Mal ein wenig anders und manchmal ergeben sich gewaltige Folgen aus winzigen Änderungen.

Die auf den ersten Blick monotone Geschichte ist so raffiniert erzählt, dass an jeder Wendung neue Überraschungen lauern. Während bei „Ewig grüßt das Murmeltier“ der komische Inhalt im Vordergrund steht, ist „Life After Life“ deutlich tiefgründiger. Hier geht es um Fragen nach dem Schicksal, der Möglichkeit sein Leben grundlegend zu ändern und es in eine bestimmte Richtung zu lenken. Es geht um die Macht des Zufalls und um das, was unvermeidlich ist. Kann eine einzelne Person die Weltgeschichte ändern? Letztlich geht es auch um die Frage nach unserer Existenz und der Realität, denn es ist unmöglich zu beweisen, dass wir nicht alle in einem ewigen Kreislauf stecken. Es wäre eine Reinkarnation mit verändertem Vorzeichen, aber wie alle philosophischen Grundannahmen, nicht beweisbar.

Neben der stimmig und spannend erzählten Geschichte ist auch die Ausstattung äußerst gelungen. Die Sets wurden mit enormem Aufwand eingerichtet, genauso detailverliebt wie die stilecht geschneiderten Kostüme. Es gibt wunderbar symbolistische Bildideen, wie der fallende Schnee in den Sterbeszenen und einige der Protagonisten wachsen einem wirklich ans Herz. Erstaunlicherweise ist es gerade die Nebenrolle des Vaters Hugh, die sich mir am stärksten ins Gedächtnis gebrannt hat. Ihm gelingt es tatsächlich, in allen Varianten, trotz traumatischer Erlebnisse im Ersten Weltkrieg, ein erfülltes Leben zu führen. Man sollte genau darauf achten, wie er das macht. Denn vielleicht haben wir doch nur ein einziges Leben, um es auszuprobieren.

(Diese DVD wurde mir von Polyband kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 28.09.2023
Wenig Zeit und trotzdem Selbstversorger
Remmel, Ina

Wenig Zeit und trotzdem Selbstversorger


sehr gut

Eines gleich vorweg: Die 30 Aktionstage, die Ina Remmel für ihren Selbstversorgergarten ansetzt, sind keine kompletten Arbeitstage, sondern sie markieren bestimmte Arbeitsschritte im Gartenjahr, wie z. B. die Beetplanung oder die Bodenvorbereitung. Meistens ist man in ein paar Stunden damit durch. Sieht also fast so aus, als könnte man wirklich einfach nur faul im Gras liegen, aber ganz so ist es natürlich nicht. Gerade ein Gemüsegarten braucht ständige Pflege, aber mit Remmels Anleitung in der Hand wird es nie zu viel und vor allem behält man die Übersicht.

Das Buch ist sehr gut strukturiert und nach einer kurzen Einleitung mit der Kurzbeschreibung der wichtigsten Gemüsepflanzen geht es sofort mit Januar im Gartenjahr los. Nach Monaten sortiert, werden die fälligen Arbeiten beschrieben, wobei die Autorin Wert darauf legt, dass der Gärtner auch versteht, warum er etwas tut. Das Grundprinzip ist der biologische Anbau, Pestizide oder Herbizide werden nicht eingesetzt. Das mag moralisch edel sein, aber aus meiner Sicht ist dieser kategorische Ansatz nicht immer zielführend, denn Schneckenfraß wird man auch im kleinsten Garten z. B. nicht durch Absammeln unter Kontrolle bekommen. Bereits eine Wegschnecke kann in einer einzigen Nacht eine halbe Salaternte vernichten. Die Schädlings- und Krankheitsproblematik wird von der Autorin zwar immer wieder kurz angesprochen, aber aus meiner Sicht nur halbherzig angegangen. Da gerade Anfänger Erfolge sehen wollen, um nicht die Motivation zu verlieren, ist es umso wichtiger, die Ernte wirksam zu schützen.

Ansonsten gibt es aus meiner Sicht kaum Kritikpunkte. Die Erklärungen sind anschaulich und auch gut illustriert. Die Struktur ist durchdacht und insbesondere für Neulinge geeignet. Remmel verzichtet auf den Anbau anspruchsvoller Pflanzen, wie Blumenkohl und fokussiert lieber auf Bohnen oder Salat, bei denen man wenig falsch machen kann. Auch gibt sie qualifizierte Tipps zur Anzucht, um früh ins Erntejahr zu starten.

Ein Punkt hat mir allerdings wirklich gefehlt, da er im Titel angesprochen wird: Um wirklich Selbstversorger zu sein, müsste man wissen, wie groß die Anbauflächen für die jeweiligen Gemüse sein müssen. Dazu erfährt man leider kaum etwas (ich habe nur eine vage Angabe bei Kartoffeln gefunden) und außer einem etwas ausufernden Kapitel über das Einkochen von Tomatensoße gab es auch wenig zum Thema Vorratshaltung.

Bis auf die genannten Informationslücken wird man auf dem neuesten Stand informiert. Ein gutes Buch für Einsteiger.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.09.2023
Tatsächlich Transsilvanien
Klaus, Rita

Tatsächlich Transsilvanien


sehr gut

Ein eigenes Häuschen in Garmisch Partenkirchen gegen einen maroden Bauernhof in einem transsilvanischen Dorf eintauschen? Rita Klaus hat das gemacht. Mit Mann, Maus und Kindern. Und wenn man dem sehr unterhaltsamen Integrationsbericht glauben darf, ist ihr die Flucht sogar gelungen, denn in dem Jahr, das sie beschreibt, wurde aus der Hofruine ein bewohnbares Zuhause, mit fast autarker Energieversorgung und diversen tierischen Mitbewohnern (dauerhafte und gelegentliche), die Nachbarschaft hat sich als äußerst hilfsbereit und aufgeschlossen gezeigt und die vielen Probleme des Alltags wurden bisher glücklich gemeistert.

Rita Klaus hat einen komödiantischen Schreibstil, humorvoll, pointensicher und getragen von einem unerschütterlichen Optimismus. Den braucht sie auch, denn es ist nicht alles Idylle, was auf den ersten Blick so aussieht. Die unberührte Natur der Karpaten wird am Dorfrand durch wilde Müllkippen verschandelt, das „biologische“ Gemüse hat mehr Glyphosat gesehen als eine Sondermülldeponie, die nächste höhere Schule liegt 2 Stunden Fahrt entfernt und wehe, jemand wird krank. Aber die Herzlichkeit der Menschen, der Zusammenhalt und die vielen kleinen Abenteuer, die man nur auf dem Dorf erleben kann, die machen für Rita Klaus alle Schwierigkeiten wieder wett.

Zum Ende des Buchs gehen der Autorin langsam die Geschichten aus, wodurch Tempo und Pointendichte deutlich abnehmen, aber das liegt vielleicht auch daran, dass sie noch nicht sehr lange in Transsilvanien lebt. Man kann Rita Klaus allerdings nicht vorwerfen, dass sie sich mit der Kultur, der Sprache und den Sitten nicht intensiv und ernsthaft auseinandersetzt. Das tut sie mit sympathischem Augenzwinkern und viel Verständnis, wo mir wahrscheinlich längst der Kragen geplatzt wäre. Die soziale Kontrolle im Dorf hat etwas Übergriffiges und während Rita Klaus und ihr Mann durch das Internet problemlos ihrem Beruf nachgehen können, weiß ich z. B. nicht, was die Kinder davon halten, in Transsilvanien aufs Internat gehen zu müssen. In erster Linie erfährt man Ritas Sicht auf die Dinge, der Rest der Familie kommt nur zu Wort, wenn es lustig wird. Das ist vielleicht mein größter Kritikpunkt an dem ansonsten sehr kurzweiligen und auch informativen Bericht: Die wirklichen Probleme bleiben unter dem Bullerbü-Teppich. Kein Wort über die in Rumänien ausufernde Korruption, die kriminelle Polizei, die fehlende Rechtsstaatlichkeit. Die (vor allem durch Korruption) mangelhafte Infrastruktur wird als lustige Anekdote verarbeitet, genauso wie das katastrophale Gesundheitswesen im ländlichen Raum. Rita Klaus wird von einem riesigen Hund angefallen und braucht einen halben Tag bis zum (richtigen) Krankenhaus. Wäre sie noch schwerer verletzt worden, hätte sie es wohl kaum überlebt. Das bietet Stoff für witzige oder abenteuerliche Geschichten, aber die Faszination und fast kindliche Begeisterung für diesen Lebensstil habe ich persönlich nicht nachvollziehen können. Meine Empfehlung ist jedenfalls: Nicht nachmachen! Nur lesen.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.09.2023
Werthers Welt
Saltzwedel, Johannes

Werthers Welt


ausgezeichnet

1774 erscheint Goethes „Werther“ und wird augenblicklich ein europaweiter Erfolg. Er scheint einen Nerv getroffen zu haben, aber welchen? Was trieb die Gesellschaft an, was tat sich politisch? Und was bereitete den fruchtbaren Boden für das Buch?

Johannes Saltzwedel durchleuchtet das Jahr 1774 an jedem einzelnen Tag, indem er jeweils nur ein kleines Schlaglicht auf einen winzigen Aspekt wirft. Wer wem schrieb. Was in den Zeitungen stand. Welche Neuerungen Technik, Wissenschaft oder Literatur hervorbrachten. Das klingt zunächst etwas willkürlich und trocken, aber beim Lesen setzen sich diese Mosaiksteine zu einem immer komplexeren und farbigeren Bild zusammen. Oft gibt es Rückbezüge auf Vorangegangenes und was zunächst wie zufällig ausgewählt wirkt, ist in Wirklichkeit raffiniert komponiert. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der vernetzten Welt der Bildungselite. Fast jeder ist mit jedem in Kontakt, direkt oder indirekt. Saltzwedel macht es dabei besondere Freude, die Verbindungen zu Goethe mit geradezu detektivischem Spürsinn aufzudecken und so kann auch schon mal der Onkel eines Autors als Studienfreund Goethes erkannt werden. Geradezu unglaublich ist die Vielfalt an Quellen, die Saltzwedel dafür heranzieht. Oft steckt in einem Dreizeiler die Quintessenz aus drei oder vier Rechercheebenen, locker ineinander gewoben, als sei es das Natürlichste der Welt. Die Arbeit, die darin steckt, muss gigantisch gewesen sein. Saltzwedel zitiert aus französischen und englischen Quellen (nicht übersetzt!), hat also nicht nur Deutschland, sondern auch das nähere Ausland im Blick. Wie leicht kann man sich da verzetteln, aber der Autor ist fern davon.

Nach jedem Monat gibt es einen Einschub, in dem mehrere interessante Bücher aus dem Jahr 1774 vorgestellt werden. Sie stammen aus allen Wissensgebieten, aber vornehmlich der Literatur. Saltzwedel beleuchtet die Entstehungs- und vor allem Wirkungsgeschichte dieser Werke, die oft über ihre Zeit hinaus wegweisend waren, während andere sich völlig verstiegen, trotz illustrer Namen.

„Werthers Welt“ zeigt die Welt der Bildungselite, nicht die des einfachen Volkes. Es ist die Welt derjenigen, die den Werther lasen, die Welt des Bürgertums, der Wissenschaften, der Politik. Es ist eine Welt im Umbruch, mit vielen Unsicherheiten, in der die Revolution schon brodelt. Zwei Jahre später führt sie die englischen Kolonien in Amerika in die Unabhängigkeit, gut 15 Jahre später den französischen König aufs Schafott. Diese Rastlosigkeit und Suche nach Neuem spiegelt sich auch in den kurzen Tagebuchnotizen, die Saltzwedel aus dem Jahr 1774 extrahiert hat, mit unendlicher Geduld und Diderotschem Fleiß. Wer seine Bildungslandkarte um die eine oder andere Insel erweitern will, dem sei das Buch wärmstens empfohlen.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.09.2023
Arsène Lupin gegen Herlock Sholmes
Leblanc, Maurice

Arsène Lupin gegen Herlock Sholmes


ausgezeichnet

Drei rätselhafte Verbrechen in Paris bringen Inspektor Ganimard an den Rand der Verzweiflung. In allen drei Fällen ist der Täter auf mysteriöse Weise vom verschlossenen Tatort verschwunden, ohne Spuren zu hinterlassen. Doch der Polizeipräsident weiß Rat: Er engagiert kurzerhand den berühmten englischen Privatdetektiv Herlock Sholmes, der bisher noch jedes Rätsel gelöst hat. Und Arsène Lupin freut sich bereits diebisch auf ein Duell auf Augenhöhe.

Arsène Lupin war bereits eine literarische Berühmtheit, als sein Schöpfer Maurice Leblanc auf die Idee kam, ihn mit dem größten Detektiv seiner Zeit in den Ring steigen zu lassen. Natürlich versuchte Conan Doyle die Verwendung des Namens Sherlock Holmes zu verhindern, genutzt hat es nichts: Herlock Sholmes ist in jeder Hinsicht seinem Vorbild aus dem Gesicht geschnitten: Arrogant, von sich selbst überzeugt, völlig rücksichtslos gegen seinen Gehilfen Wilson, aber ein Meister der Deduktion. Im Roman prallt er auf Arsène Lupin, dessen geschliffene Umgangsformen und nicht minder ausgeprägtes Selbstbewusstsein einen würdigen Gegner abgeben. Natürlich steckt hinter der Geschichte die uralte Konkurrenz zwischen Frankreich und England, die hier literarisch ausgetragen wird. Wer gewinnt, will ich nicht verraten, aber eines schon: Die Geschichte wurde 1908 geschrieben und als ich sie las, habe ich das nicht für möglich gehalten. Sie ist dermaßen rasant, raffiniert konstruiert und auf jeder Seite aufs Neue überraschend, dass es Doyle behäbige Sherlock Holmes Romane in jeder Hinsicht deklassiert. Doyle hat Staub angesetzt, Leblanc nicht im Mindesten. Seine Dialoge sind geschliffen (übrigens auch geschliffen übersetzt!), die Figuren sind satirisch überzeichnet und spielen mit nationalen Eigenarten, ohne sie zu diffamieren. Man spürt auch den Respekt, den Leblanc gegenüber seinem Konkurrenten hat, wenn er Lupin z. B. sagen lässt, Sholmes sei von einer Scharfsinnigkeit, als hätte ihn Conan Doyle erfunden. Diese augenzwinkernde Ironie durchzieht das Buch wie ein Leitmotiv und macht es auch heute noch äußerst unterhaltsam, genau wie seine atemberaubende Erzählgeschwindigkeit. Es passieren buchstäblich auf jeder Seite unerwartete Wendungen und wenn man glaubt, jetzt gäbe es kein Entkommen mehr, hat Lupin wieder ein As im Ärmel. Auf der anderen Seite denkt Sholmes immer zwei Schritte voraus und holt den Flüchtigen irgendwie wieder ein. Ein herrliches Katz-und-Maus Spiel vor der malerischen Kulisse des Paris der Jahrhundertwende.

Es ist absolut unverständlich, warum der Stoff noch nicht verfilmt wurde, sieht man von einer Stummfilmadaption von 1910 mal ab. Es würde sich in jeder Hinsicht lohnen. Die Lektüre lohnt sich sowieso.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.09.2023
Die besten ETF-Strategien der Welt
Krieger, Sinan

Die besten ETF-Strategien der Welt


ausgezeichnet

ETFs sind bei Anlegern beliebt, weil sie eine kostengünstige und diversifizierte Investition in den Markt ermöglichen. Die meisten ETFs bilden einen bestehenden Index wie den MSCI World 1:1 ab. Aber kann man mit geeigneten ETF-Strategien und einem optimierten ETF-Mix eine Outperformance erzielen? Ja, behauptet Sinan Krieger in seinem Buch und stellt 17 allgemeingültige Anlagestrategien vor, die nach seinen Recherchen nachweislich besser als der Markt abgeschnitten haben.

Wer in ETFs investieren will, muss aus der Vielzahl der angebotenen ETFs den für ihn passenden auswählen. Schnell greift man dann (bequemerweise) zu einem ETF, der den MSCI World Index abbildet. Dieser ist aber nicht wirklich diversifiziert, da er zu über 67% (!) aus US-Aktien besteht und Schwellenländer (Emerging Markets) nicht berücksichtigt.
Krieger verzichtet auf die Beschreibung der Grundlagen und steigt in der Einleitung direkt in die konkrete Welt der ETFs ein. Er erklärt, warum Haltedauer und Drawdown eine zentrale Rolle für den Erfolg spielen und stellt einige wichtige Werkzeuge vor, die für ETF-Strategien unverzichtbar sind. Nachhaltigen ETFs (sog. ESG-ETFs) steht Krieger sehr kritisch gegenüber und begründet ausführlich, warum diese in seinem Buch keine Berücksichtigung finden.

Bereits mit der ersten Strategie und drei konkreten ETF-Empfehlungen optimiert Krieger das Portfolio und gleicht damit die Schwächen eines reinen MSCI World ETF aus. In diesem Zusammenhang erläutert er Rendite-Risiko-Kennzahlen wie die Sharpe Ratio oder die Sortino Ratio und beschreibt, wie man durch eine entsprechende Gewichtung sein Risikoprofil abbilden kann.
Weitere vorgestellte Strategien basieren häufig auf Methoden von Nobelpreisträgern oder erfolgreichen Vermögensverwaltern/Fondsmanagern (z.B. Harry Brownes „Permanent Portfolio“ oder Ray Dalios „Allwetter-Depot“). Aber auch der erfolgreiche norwegische Staatsfonds oder der Yale Stiftungsfonds sind Vorbilder für die beschriebenen Ansätze.
Neben diesen Buy-and-Hold-Strategien stellt Kriener auch Timing-Strategien vor, die eine regelmäßige Überwachung des Portfolios und gegebenenfalls ein Eingreifen erfordern. Diese Strategien sind Beispiele dafür, dass ETFs nicht ausschließlich für passives Investieren geeignet sind.

Jede der vorgestellten ETF-Strategien ist für den Anleger umsetzbar und erfordert keine besonderen Fähigkeiten. Krieger empfiehlt konkrete ETFs und gibt Handlungsempfehlungen zur Gewichtung und gegebenenfalls zum Timing. Ob die Strategien auch in Zukunft eine Outperformance erzielen werden, weiß auch Kriener nicht, aber die Chancen stehen gut.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.09.2023
Japanische Muster sticken
Sakamoto, Keiko

Japanische Muster sticken


ausgezeichnet

Im Norden der Hauptinsel Honshu hat sich eine besondere Tradition der Stickerei entwickelt, deren geometrische Bildmotive sofort Assoziationen mit Japan auslösen. Sie leiten sich von den repetitiven Mustern der japanischen Weberei ab, deren Wurzeln allerdings deutlich weiter zurückreichen. Die Kogin- und Hishizashi-Stickerei ist seit der Mitte des 18. Jahrhunderts nachgewiesen, auch wenn sich aus der Zeit keine Originalstoffe erhalten haben. Man vermutet, dass die Stickerei mit robusten Baumwollfäden die relativ brüchigen Flachsgewebe der Region stabilisieren sollte, um deren Haltbarkeit aber auch Wärmerückhaltung zu verbessern. Der Höhepunkt der Produktion lag in der frühen Meijizeit, als Baumwolle allgemein verfügbar wurde.

Das Buch erklärt zunächst die grundlegenden Unterschiede zwischen Kogin- und Hishizashi-Mustern, die aus unterschiedlichen Regionen stammen und unterschiedlichen Konstruktionsregeln folgen. Beide Motivgruppen lassen sich nicht kombinieren, weshalb man die Unterschiede (er)kennen muss.
Die Technik unterscheidet sich von europäischer Rahmenstickerei vor allem dadurch, dass der Stoff frei gehalten wird, weshalb einige sehr wichtige Zwischenschritte nötig werden, um das Grundgewebe nicht zu verziehen. Das wird sehr anschaulich und mit zahlreichen Abbildungen illustriert. Etwa ein Drittel des Buches nehmen „Projekte“ ein, wie das Herstellen von Lesezeichen, gerahmten Stickbildern oder Wandbehängen. Hier gibt es einige inhaltliche Wiederholungen, denn das Prinzip ändert sich ja nicht. Sehr umfangreich ist der Musterteil, der getrennt nach Kogin und Hishizashi etwa 200 Muster vorstellt, insbesondere auch solche, die sich für repetitive Flächenmuster eignen. Den Schluss bilden Beispiele von komplexen Musterkombinationen, die außerordentlich dekorativ sind.

Die einfachen Schritt-für-Schritt Anleitungen sind auch für blutige Anfänger problemlos nachzuvollziehen. Man benötigt nur wenig Arbeitsmaterial, das zudem auch in Europa leicht zu beschaffen ist. Mittlerweile gibt es hier sogar Anbieter von original japanischen Grundgeweben. Ein schönes, auch schön gestaltetes Buch, das die japanische Stickerei in ihrer ganzen Vielfalt zeigt und zum Nachmachen anregt.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.09.2023
Ohne Aktien Wird Schwer
Leidinger, Noah;Adomeit, Florian

Ohne Aktien Wird Schwer


ausgezeichnet

Zur Diversifizierung zählt eine breite Geldanlage in Aktien, da der Aktienmarkt bisher (!) noch jede Krise gemeistert hat. Ein Anleger, der den Aufwand scheut, sollte in breit gestreute Aktien-ETF investieren (z.B. auf den Referenzindex MSCI World), muss dann aber in Kauf nehmen, dass die Rendite des Marktes nicht wesentlich übertroffen wird. Wer mehr möchte, kann sich einen aktiv gemanagten Fonds suchen und muss hoffen, dass dieser auch die versprochene Mehrrendite bringt. Ergänzend oder alternativ kann man selbst auf die Suche nach Einzelaktien gehen, mit dem Risiko, teure Fehlgriffe zu machen.

Wie findet man also die „richtigen“ Einzelaktien? Noah Leidinger und Florian Adomeit erklären in ihrem Buch „Ohne Aktien Wird Schwer“ allgemeinverständlich die Grundlagen der Aktienanalyse. Sie zeigen, wie man eine Bilanz liest, welche Posten wichtig sind und wie man Schönfärbereien in der Bilanz entlarvt. Anhand realer Unternehmen erklären sie außerdem gute und schlechte Geschäftsmodelle und die Kennzahlen, auf die es wirklich ankommt.

Die Analyse von Finanzkennzahlen und Bilanzierungsmerkmalen ist kein Selbstzweck. Sie soll vielmehr dazu dienen, das Geschäftsmodell und die daraus resultierenden Wettbewerbsvorteile zu verstehen. Beispiele im Buch sind z. B. das Abo-Modell von Adobe, das Systemgeschäft von Gillette, der „Burggraben“ von Coca-Cola, das Franchise-Modell von McDonalds oder der Marktplatz von Amazon.

Die Autoren erklären, warum es nicht ausreicht, nur auf die reinen Zahlen wie Gewinn und Verlust, Umsatzwachstum, Gewinnmargen oder Dividenden zu schauen. Auch die Eigentümerstruktur und die Machtverteilung zwischen Aktionären und Managern müssen berücksichtigt werden. Ebenso wichtig ist der Faktor Unternehmenskultur. Hier nehmen die Autoren Netflix mit seiner ungewöhnlichen Transparenz als Beispiel.

Ebenfalls anhand konkreter Aktien werden die Fachbegriffe und Kennzahlen erläutert, wie z.B. der Goodwill-Anteil (LTU/AirBerlin), die Interest Coverage Ratio (AirBerlin) oder die Payout Ratio (McDonald‘s). Leider haben die Autoren auf ein Stichwortverzeichnis verzichtet, was das Wiederfinden von Informationen deutlich erschwert und auf Dauer nervig ist.

Leidinger und Adomeit verschweigen nicht, dass die Aktienanalyse aufwendig werden kann, insbesondere, wenn Unternehmen in ihrer Buchführung (legal) kreativ sind und Bilanzpositionen verschieben. Konkrete Beispiele zeigen Zusammenhänge und helfen dabei, die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Die besondere Stärke des Buches liegt in seiner Praxisnähe, die es von vielen anderen Finanzratgebern positiv abhebt. Die Autoren greifen, wie in ihrem Podcast und Newsletter, relevante Themen auf und erklären die Sachverhalte so verständlich, dass jeder Leser sie problemlos umsetzen kann. Nichts bleibt theoretisch oder nebulös. Nur eines kann das Buch nicht verhindern: Aktienanalyse ist und bleibt zeit- und arbeitsintensiv.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.09.2023
Endlose Kreise. Reisen in Japan
Nooteboom, Cees

Endlose Kreise. Reisen in Japan


ausgezeichnet

Über kein Land hat Cees Noteboom neben Spanien so viel geschrieben wie über Japan und kein Land ist ihm dennoch so rätselhaft geblieben. Jede Reise hat ihm die Kultur näher gebracht, ohne die geheimnisvolle Faszination zu zerstören. Mir selber ist es genauso ergangen und gerade deshalb ist für mich „Endlose Kreise“ eines der besten Bücher darüber, wie sich die Wahrnehmung gegenüber Japan für einen Reisenden im Lauf der Zeit erweitert. Während Noteboom anfangs noch damit beschäftigt ist, seinen Alltag zu organisieren und von der Fülle an Eindrücken schier erdrückt wird, fokussiert sein Blick später zunehmend auf die Details. Hinzu kommt, dass er sich intensiv mit Japans Kultur auseinandersetzt, viel liest und dadurch eine Erwartungshaltung erzeugt, die er erst mit der Realität abgleichen muss. Auch ich habe Sei Shonagons „Kopfkissenbuch“ und Murasaki Shikibus „Die Geschichte des Prinzen Genji“ gelesen und in Kyoto deren Spuren gesucht. Genau wie Noteboom habe ich sie tatsächlich gefunden, sowohl an Orten als auch in der Gesellschaft, durch ein vergangenes Jahrtausend allerdings stark überformt. Der große Unterschied: Ich habe das alles nicht so präzise in Worte fassen können wie Noteboom, der seine Beobachtungen und Unsicherheiten genüsslich seziert und an dem, was er zu begreifen beginnt, mindestens so viel Freude hat wie an dem, was ihm bis heute rätselhaft blieb.

Die Texte entstanden zwischen 1977 und 2000 auf insgesamt acht Reisen, die teilweise mehrere Monate dauerten. Durch diese lange Zeitspanne erlebt der Leser den Zuwachs an Erkenntnis hautnah mit, so wie Noteboom sich Japan durch die Literatur und seine persönlichen Erlebnisse erarbeitet. Das einzige, was mich störte, ist, dass er sich geradezu demonstrativ als einsamen Wolf inszeniert. Er kämpft sich alleine durch die anonymen Menschenmassen am Bahnhof, verläuft sich auf dunklen Wanderpfaden im Kiso Valley, lernt die ungewöhnlichen Verhaltensregeln im Ryokan oder ist dem ihm unverständlichen Ritual in einem Tempel einsam ausgeliefert. Andere Menschen kommen höchstens in einem Nebensatz vor und nur die Tatsache, dass Simone Sassen auf diesen Reisen sein fotografisches Auge war, legt nahe, dass diese Selbstinszenierung der Realität nicht ganz gerecht wird. Simone Sassen, die seit Jahrzehnten seine Lebenspartnerin und heutige Frau ist, wird im Buch mit keinem Wort erwähnt, außer dass sie Fotografien beisteuert. Aus eigener Erfahrung kann ich zwar bestätigen, dass das GEFÜHL der Einsamkeit einen in Japan nie ganz loslässt, aber aus der gleichen Erfahrung stelle ich eben auch fest, wie wichtig dadurch der Reisepartner wird. Noteboom kämpft stets für sich alleine. Das passt zweifellos literarisch zum Land Japan, heroisiert ihn aber in einem Ausmaß, das ihm meiner Meinung nach nicht zusteht.

Trotzdem ist „Endlose Kreise“ ein wirklich gutes Buch, in dem sehr viel Sachverstand steckt und das von jemandem geschrieben wurde, der die Faszination für und die Liebe zu Japan bis heute im Herzen trägt.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.