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Insgesamt 577 Bewertungen
Bewertung vom 10.06.2008
Operation Shylock
Roth, Philip

Operation Shylock


sehr gut

Ein Bekenntnis nennt Philip Roth die Geschichte einer Spiegelung, in dem ein Philip Roth einen Anruf bekommt, dass sich in Israel ebenfalls ein Philip Roth aufhält. Das Spiel mit dem eigenen Namen verstärkt den Eindruck, den der Roman hinterläßt, indem Roth von etwas erzählen will, das er nicht in die Welt der Literatur, der reinen Vorstellung abschieben will. Durch sich selbst verankert er sich in der Wirklichkeit. Es ist fast so, als wolle er seinen Lesern sagen: So ist es nun mal, schaut rüber nach Israel, bezieht Stellung, sonst werdet ihr eines Tages auch nachts angerufen. Das Namensgleichheit nicht dazu führt, dass es ein und dieselbe Person gleich zweimal gibt, hält den amerikanischen Philip Roth nicht davon ab, in Jerusalem anzurufen, wo sich eine Stimme meldet, die ihm gleich so vertraut erscheint, dass er sich auf nach Israel macht, um diesem Menschen zu begegnen. Operation Shylock ist eine verblüffende Auseinandersetzung mit dem Judentum. Und der Begriff Operation nicht zufällig gewählt: Sie kann schief gehen, man bewegt sich auf unsicherem Terrain, ist vor Überraschungen nicht gefeit. Die Vorstellung vom Doppelgänger, der sich mit einmal in das eigene Leben drängt und es durcheinander wirbelt, ist nicht neu, doch Roth versteht es furios, Fragen der Existenzberechtigung Israels in eine menschliche Komödie zu verwandeln. Nichts ist so heilig, als dass es sich nicht in eine Verwirrung verwandeln läßt.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 08.06.2008
Mond über Manhattan, Sonderausgabe
Auster, Paul

Mond über Manhattan, Sonderausgabe


ausgezeichnet

Eine Menge Zeichen tauchen in dem Roman auf, verwirren und scheinen Marco Stanley Fogg doch dem Ziel näher zu bringen, sein Leben zu ordnen. Am Anfang steht die Katastrophe, der Tod des Onkels, der den Vater ersetzt hat, und an dem Fogg zu zerbrechen droht. Nicht umsonst erinnert der Name von Austers Held an Fog, an Nebel. Ihn zu lichten bemüht sich Fogg, indem er sich in sich zurückzieht, sich seinen Phantasien, mysteriösen Zeichen anvertraut, der seltsamen Anziehungskraft des Mondes verfällt und sich wegen der Verweigerung des Alltags zunehmend finanziellen Problemen gegenüber sieht. Wer Paul Austers Welt kennen lernen will, beginnt am besten mit diesem Roman, in dem sich alles versammelt, was den Autor ausmacht. Skurile Figuren, die aus der Bahn geworfen, sich zusammenzuhalten trachten, poetisch verschrobene Momente, in denen Auster seine Leser in eine bedeutungsvoll aufgeladene Zwischenwelt schickt, überraschende Begegnungen, die allesamt der Suche nach sich selbst unterlegen sind. In Mond über Manhattan sind die Fragen nach dem unbekannten Vater das antreibende Motiv, das uns auch in anderen Büchern Austers begegnet. Erst die Begegnung mit dem blinden Millionär Thomas Effing, Foggs Liebe zu Kitty Wu entreißt ihn der selbst auferlegten Isolation. Effings Leben aufzuschreiben, gibt ihm einen neuen Lebensinhalt, der abrupt ausgebremst wird, als auch Effing stirbt. Überraschend findet die Suche nach seinem Vater jedoch ein Ende. Fogg begibt sich anschließend auf die Reise, um all die Rätsel abzustreifen, die sich um ihn angesammelt haben. Weg von Manhattan, ab in den amerikanischen Mythos des weiten Westens, zu den Canyons, in ein neues Leben.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 07.06.2008
Frankie
McCullers, Carson

Frankie


ausgezeichnet

Es gibt Romane, die besitzen Charme. Carson McCullers Frankie ist von Sehnsucht, erster Auflehnung geprägt und besitzt jene Anmut der Sprache, mit deren Hilfe ein Leser der Geschichte einer Heranwachsenden leicht verfällt. Es gilt, Klippen zu umschiffen, mehr noch in Frabnkie selbst als außerhalb von ihr. Ein Roman, der zweimal gelesen nichts von seinem Reiz verliert. In Frankie findet man all die Widersprüche, Ausbruchversuche, denen der Leser selbst zu seiner Zeit unterlegen war. Warum sich abfinden? Warum nicht mehr vom Leben erwarten? Der Leser wird parteiisch, will dass Frankie obsiegt, dass sie all das abstreift, was sie hemmt. Dazu gehören zu wollen, während man sich ausgesperrt fühlt, ist eines der großen Themen der Literatur. Carson McCullers findet die Worte, die Bilder dafür. Zu Reisen, erscheint gegen Ende des Romans, die Lösung zu sein. Und sei es auch nur nach Luxemburg. Nur weit weg von dem Ort, der einen an sich bindet. Dass Fernweh heilt das Gefühl, keinem Club angehörig zu sein, weil Frankie der Kindheit entwachsen ist. Carson McCullers schenkt ihrer wenigstens eine literarische Heimat.
Polar aus Aachen

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.06.2008
Der vierzehnte Stein / Kommissar Adamsberg Bd.6
Vargas, Fred

Der vierzehnte Stein / Kommissar Adamsberg Bd.6


ausgezeichnet

Unerledigte Fälle gehören zu jedem Kommissar. Auch wenn die Autoren uns bis auf wenige Ausnahmen weismachen wollen, dass jeder Fall am Ende aufgeklärt wird, haben ihre Helden ihre Leichen im Keller, gegen die sie in der Gegenwart nichts ausrichten können, solange nicht neue Beweise auftauchen. Bei Jean-Baptiste Adamsberg, Fred Vargas Serienheld, führt der Zufall Regie und verstrickt ihn in die Abgründe der eigenen Familiengeschichte, in der sein Bruder des Mordes bezichtigt wird. Nur dass Adamsberg sich nicht gleich auf die Spurensuche begeben kann. Er muß in Kanada an einem internationalen Lehrgang teilnehmen. Was als Abwechslung gedacht ist, wird zur Tortur, da Adamsberg scheinbar die Hände gefesselt sind. Wie Vargas seinen eigenwilligen Zügen neue Facetten abringt, ist spannend zu lesen und ein weiterer Höhepunkt in Vargas Welt des literarischen Kriminalromans. Diesmal ist Adamsberg nicht imstande, allein durch Grübeln der Lösung eines Falles näher zu kommen. Er ist zu sehr mit seinen Gefühlen über das Schicksal seines verschwundenen Bruders beschäftigt, so dass er die Falle übersieht, die ihm gestellt wird. Er ist es nicht gewohnt aus der Fremde heraus zu ermitteln, nicht sein bewährtes Netz auf Pariser Boden ausspannen zu können. Adamsberg gerät in Mordverdacht und sieht sich einem Gegner gegenüber, der ihm überlegen zu sein scheint. Nur kann dieser nicht gegen die Kollegialität an. Adamsberg findet überraschend Helfer, auch wenn er an deren Loyalität zwischenzeitlich zweifelt. Unterhaltsam, teils amüsant geschrieben, wartet Der vierzehnte Stein darauf, dass Leser seine tiefere, richterliche Bedeutung ergründen.
Polar aus Aachen

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.06.2008
Maigret als möblierter Herr
Simenon, Georges

Maigret als möblierter Herr


sehr gut

Nicht nur wer einmal vor Gericht erleben mußte, wie sein Gerechtigkeitssinn davon abhängt, ob ein Richter denselben empfindet und aus dem Gesetz herauszufiltern versteht, wird in Der Prozeß von Franz Kafka ein Stück Realität entdecken. Hilflos ist K seinen Richtern ausgeliefert, deren Bemächtigung im Dunklen bleibt. Vor allem sucht er den Grund zu ermitteln, weswegen er angeklagt wird, und muss je tiefer er in die Maschinerie vordringt, feststellen, dass diese vor allem um ihrer selbst Willen besteht. Die Handlung mit einer Parabel abzuschmettern, die viele sie vor allem im Gleichnis beim Torwächter gegen Ende der Handlung entdecken, drängt Kafka in die Ecke des Klassikers ab. Wohl analysiert, mit Deutungen behaftet und unschädlich gemacht. Dem Prozeß gelingt es, jedoch hochaktuell zu bleiben. Sei es als Beschreibung eines totalitären Systems, sei es in der religiösen Auseinandersetzung mit Schuld und Sühne, sei es als absurdes Spiel, als existentialistisches Nichts, fast jede geistige Strömung, Philosophie ist an dem Text haftbar gemacht worden. Der Leser wird sich in dem Labyrinth zurechtfinden, wenn er sich selbst darin spiegelt, eigene Erfahrungen einbringt, sie zulässt. Die Angst, die Enge, die Hilflosigkeit ist schleichend. Was Allgemeingültig dargestellt erscheint, erlaubt den direkten Zugriff auf Fragen, die die Menschheit sich sowieso stellt: Wieso bin ich auf der Welt? Um Gesetze zu befolgen, um sie zu missachten, um mich bestrafen, aburteilen zu lassen? Was geschieht mit mir, wenn ich zwischen die Räder falle? Kafka bietet uns einen faszinierenden Einblick in K’s Innenleben. Wer das Buch liest oder hört, bleibt nicht unbeschadet zurück.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 06.06.2008
Der Proceß ( Prozeß)
Kafka, Franz

Der Proceß ( Prozeß)


ausgezeichnet

Nicht nur wer einmal vor Gericht erleben mußte, wie sein Gerechtigkeitssinn davon abhängt, ob ein Richter denselben empfindet und aus dem Gesetz herauszufiltern versteht, wird in Der Prozeß von Franz Kafka ein Stück Realität entdecken. Hilflos ist K seinen Richtern ausgeliefert, deren Bemächtigung im Dunklen bleibt. Vor allem sucht er den Grund zu ermitteln, weswegen er angeklagt wird, und muss je tiefer er in die Maschinerie vordringt, feststellen, dass diese vor allem um ihrer selbst Willen besteht. Die Handlung mit einer Parabel abzuschmettern, die viele sie vor allem im Gleichnis beim Torwächter gegen Ende der Handlung entdecken, drängt Kafka in die Ecke des Klassikers ab. Wohl analysiert, mit Deutungen behaftet und unschädlich gemacht. Dem Prozeß gelingt es, jedoch hochaktuell zu bleiben. Sei es als Beschreibung eines totalitären Systems, sei es in der religiösen Auseinandersetzung mit Schuld und Sühne, sei es als absurdes Spiel, als existentialistisches Nichts, fast jede geistige Strömung, Philosophie ist an dem Text haftbar gemacht worden. Der Leser wird sich in dem Labyrinth zurechtfinden, wenn er sich selbst darin spiegelt, eigene Erfahrungen einbringt, sie zulässt. Die Angst, die Enge, die Hilflosigkeit ist schleichend. Was Allgemeingültig dargestellt erscheint, erlaubt den direkten Zugriff auf Fragen, die die Menschheit sich sowieso stellt: Wieso bin ich auf der Welt? Um Gesetze zu befolgen, um sie zu missachten, um mich bestrafen, aburteilen zu lassen? Was geschieht mit mir, wenn ich zwischen die Räder falle? Kafka bietet uns einen faszinierenden Einblick in K’s Innenleben. Wer das Buch liest oder hört, bleibt nicht unbeschadet zurück.
Polar aus Aachen

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.06.2008
Es geht noch ein Zug von der Gare du Nord / Kommissar Adamsberg Bd.1
Vargas, Fred

Es geht noch ein Zug von der Gare du Nord / Kommissar Adamsberg Bd.1


sehr gut

Fred Vargas Talent abseits ausgetretener Krimipfade interessante Plots, schräge Charaktere zu beschreiben, ist weithin bekannt. In Es geht noch ein Zug von der Gare du Nord erzählt sie von den Anfängen ihres Jean-Baptiste Adamsberg, der sich bei der Polizei bereits einen Namen gemacht hat und doch durch seine eigenwillige Art, auf dem Nachdenken zu beharren, Notizen zu kritzeln, rasch als Sonderling gilt. Es ist amüsant zu beobachten, wie Adamsberg sich in seinem neuen Pariser Umfeld zurechtzufinden versucht. Zumal seine große Liebe Camille darin wie ein Schatten auftaucht. Ausgerechnet die Frau, die ihn verlassen hat, und die zugibt, ihn auch zu lieben, aber nicht mit ihm leben kann, weil er so ist, wie er ist. Dass dies Probleme mit der aktuellen Freundin gibt, läßt sich nun mal nicht vermeiden. Vor allem bei einem Menschen wie Jean-Baptist, der zeitweise stoisch wirkt. Der Leser muss nicht mit ihm leben. Er darf zusehen, hineinhorchen. Deswegen ist es ein Genuss, ihn bei der Aufklärung seiner Fälle zu begleiten. Ominöse Kreise tauchen auf dem Pariser Trottoire auf, kündigen Unheil an. In einem späteren Roman sind es an die Tür gemalte Zeichen. Archaische Mahnmale allesamt. Und so betrachtet Vargas Morde als etwas, das nicht aus Zufall geschieht. Auch in diesem Roman sind sie von langer Hand geplant, und es wird viel Wert darauf gelegt, Spuren zu verwischen. Das Ende ist profan und man nimmt es hin, weil die Seiten davor einen bestens unterhalten haben.
Polar aus Aachen

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.06.2008
Tod in Lissabon
Wilson, Robert

Tod in Lissabon


ausgezeichnet

Auf zwei Zeitebenen schießt Robert Wilsons Geschichte der Aufklärung eines Mordes entgegen. Im modernen Portugal, in der Zeit nach dem Terror des Salazar-Regimes gilt es den Mord an einem Mädchen aufzuklären, bei dessen Ermittlung sich herausstellt, dass sie nicht eben das Leben ihrer Altersgenossinnen geführt hat. Zé Coelho gerät in einen Strudel aus Halbwahrheiten, die nur widerstrebend einen Blick auf die Geschehnisse geraten. Gleichzeitig wird die Geschichte eines Geschäftsmanns im Dritten Reich erzählt, der sich beim Pokerspielen mit SS-Angehörigen in die Bredouille bringt, weil er einmal zu viel den Gewinn einstreicht. Die Gestapo holt ihn nachts ab, er wird eingesperrt, bekommt die Macht der Gestapo zu spüren, und als einziger Ausweg weisen sie ihm, in die SS einzutreten, um als SS-Offizier für das Regime in Portugal den Nachschub an Wolfram zu sichern. Wie aus dem Opfer Felsen ein Täter wird, wie er alle Skrupel über Bord wirft und gemeinsame Sache bei der Gründung einer portugiesischen Bank macht, deren versteckte Reserven auf dem jüdischen Gold der Konzentrationslagern beruhen, ist faszinierend beschrieben. Die Grenzen verwischen, selbst die dunkle Seite überwirft sich miteinander. Derweil schlägt sich Zé Coelho in der Gegenwart mit familiären, wie beruflichen Schwierigkeiten herum, wird gar vom Dienst suspendiert, als er der Aufklärung zu nahe kommt und einflussreiche Kreise ihre Kontakte spielen lassen. Der Roman spielt auf vielen Ebenen, schildert über Generationen den Hass, den Verrat, die Vergeltung, bis sich die Handlung in der Gegenwart kreuzt. Robert Wilson führt seinen Lesern vor Augen, wie es SS-Chargen gelingen konnte, jüdisches Vermögen ins Ausland zu schleusen, um sich eine Existenz nach dem Untergang zu sichern. Auch zeigt er, wie im Ausland Existenzen gegründet, Geschäfte mit diesem Kapital gemacht, Einfluss und Macht gesichert wurde. Dies alles vermag das Genre des Thrillers zu beschreiben, wenn es auf einen Autor wie Robert Wilson trifft.
Polar aus Aachen