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Renas Wortwelt

Bewertungen

Insgesamt 153 Bewertungen
Bewertung vom 27.11.2023
Die Bibliothek im Nebel
Meyer, Kai

Die Bibliothek im Nebel


ausgezeichnet

Wie schon in seinem Roman „Die Bücher, der Junge und die Nacht“, der letztes Jahr ein absolutes Highlight für mich war, dreht sich auch sein neues Buch um Bücher, um Bibliotheken, um die Liebe zu Büchern und um die Bücherstadt Leipzig. Auf drei Zeitebenen, atmosphärisch dicht, hochspannend und voller Emotionen erzählt Kai Meyer vom Schicksal der Menschen, die ihr Leben Büchern widmen.
Im Jahr 1917 folgen wir dem jungen Artur in Russland auf seiner Flucht vor der Revolution, vor den Verfolgern, die seine Familie ausgelöscht haben. Es gelingt ihm, mit einem Schiff nach Deutschland zu fliehen. Er lernt Grigori kennen – dem wir bereits im letzten Buch begegnen konnten – der ihm ein Freund wird. Arturs Ziel ist Leipzig, wo er Mara treffen will, seine große Liebe. Sie war von seiner Tante adoptiert worden und sollte nun in Leipzig den Sohn eines reichen Verlegers heiraten.
1928 begegnen wir der elfjährigen Liette. Ihren Eltern und ihrem Onkel gehört ein großes Hotel an der Côte d'Azur, in welchem das Mädchen den Sommer verbringt. Sie leidet an einer besonderen Krankheit und darf daher tagsüber das Haus nicht verlassen, damit ihre Haut keine Sonne abbekommt. Liette findet eines Tages beim Spielen auf dem Dachboden das Gepäck mehrerer Russen, die vor dem ersten Weltkrieg viele Male im Hotel Urlaub machten. Dabei entdeckt sie ein geheimnisvolles Buch. Liette interessiert sich auch sehr für die benachbarte Villa am Meer, die seit vielen Jahren leer steht und in der sie eine große Bibliothek gesehen hat.
Und schließlich im Jahr 1957 führt die inzwischen erwachsene Liette das Hotel als Eigentümerin. Sie beauftragt den ehemaligen deutschen Journalisten Thomas Jansen, die Besitzerin dieser Villa ausfindig zu machen, denn Liette möchte das Haus und besonders die Bibliothek retten.
Die Schicksale all dieser Menschen sind eng miteinander verwoben. Ihre Geheimnisse sind gefährlich, manchmal lebensgefährlich. Und alles dreht sich am Ende um Bücher. Dabei spielt ein besonderes Buch, welches Mara gehört hatte, eine ganz spezielle Rolle. Überhaupt ist es Mara, die das Bindeglied ist zwischen all diesen Menschen, diesen Zeitebenen. Ihr Geheimnis vor allem macht all diese Geschichten so dramatisch, so spannend und mysteriös, so mystisch.
Kai Meyer gelingt es auf geradezu geniale Weise, die Leserin in seinen Roman hineinzuziehen. Kaum hat man die erste Seite gelesen, kann man das Buch nicht mehr zur Seite legen. Er ist ein Meister im Erschaffen dieser ganz besonderen Atmosphäre, im Vermitteln dieser Anziehungskraft von Büchern, von gedruckten Worten und Gedanken. Seine Beschreibungen der Handlungsorte machen diese fast greifbar, man meint, die Regale voller Bücher im Haus in St. Petersburg, die dunklen gefährlichen Gassen Leipzigs und die hohen Klippen der Côte d'Azur vor sich zu sehen. Seine Figuren sind so lebendig, dass man mit ihnen fühlt, atmet, leidet.
Es ist ein Epos voller Wucht und Kraft, voller Emotionen und voller Ehrfurcht vor Büchern und allen, die sie erschaffen. Doch anders als im vorigen Roman hat dieses Buch auch seine Längen, wenn ausführliche, langatmige Erklärungen die Handlung unterbrechen. Aber das übersieht man gerne in einem so hervorragenden, unbedingt lesenswerten Roman.
Kai Meyer - Die Bibliothek im Nebel
Knaur, November 2023
Gebundene Ausgabe, 556Seiten, 24,00 €

Bewertung vom 24.11.2023
Dieses schöne Leben
Brammer, Mikki

Dieses schöne Leben


gut

Man kann sich kaum einen belastenderen, aber vielleicht auch keinen erfüllenderen Beruf denken als den einer Sterbebegleiterin. Aber wie muss der Mensch sein, der einen solchen Beruf ergreift? Wie schützt man sich, die eigene Psyche, gegen die ständige Begegnung mit dem Tod? Insbesondere, wenn man selbst nicht sehr gefestigt ist, aber dafür mit vielen inneren Problemen zu kämpfen hat?
Diese Fragen wirft der Roman der in Australien geborenen Autorin auf, der die Geschichte von Clover erzählt. Clover, heute Mitte Dreißig, hat im Alter von sechs Jahren ihre Eltern verloren und wuchs bei ihrem Großvater auf. Der war ein sehr belesener Mann, allerdings mit keiner Erfahrung im Umgang mit kleinen Kindern. So verwundert es wenig, dass Clover zu einer etwas wunderlichen jungen Frau heranwuchs.
Als ihr Großvater starb, war Clover gerade im Ausland und diese Tatsache hat sie so geprägt, dass sie beschloss, Sterbebegleiterin zu werden, damit sie dazu beitragen kann, dass Menschen nicht allein sterben müssen.
Ihre Tätigkeit ist abwechslungsreich und unterscheidet sich sehr, je nach Auftrag. Mal ist so eine Begleitung nach wenigen Stunden abgeschlossen, mal geht sie über Tage und Wochen. Einzige Kontakte für Clover, die mit einem Hund und zwei Katzen immer noch in der Wohnung ihres Großvaters wohnt, wo sie fast nichts verändert hat, sind der alte Nachbar und Freund ihres Großvaters, Leo, und die neu eingezogene Sylvie. Einzige Freizeitbeschäftigung sind ihre Besuche von sogenannten „Death Cafés“, Gesprächsrunden von Menschen, die über den Tod reden wollen.
Dort lernt sie eines Tages Sebastian kennen, der sie zu seiner Großmutter bringt, die sterbenskrank ist und mit der Clover lange Gespräche führt. Irgendwann beschließen sie und Sebastian, einen Mann zu suchen, in den seine Großmutter vor sechzig Jahren verliebt war und den sie seither nicht mehr gesehen hatte.
Dass dieser Trope zum einen inzwischen recht abgedroschen und zum andren in meinen Augen völlig unrealistisch ist – wer glaubt an so etwas? – lasse ich mal unberücksichtigt. Dass aber dieser Handlungsteil, der im Klappentext so angekündigt wird, als wäre er Hauptpart des Romans, erst weit nach Seite 250 überhaupt thematisiert und dann binnen weniger Seiten abgehakt wird, irritiert dann schon.
Bis es dazu kommt, zieht sich der Roman, so liebens- und bedauernswert die Protagonistin auch ist, ziemlich. Es gibt nicht viel Handlung, dafür seitenlange Selbstbetrachtungen Clovers, deren Erkenntnisse sich ständig wiederholen. Man entwickelt Empathie für sie und ihre Einsamkeit, aber das permanente Wiederkauen ihrer Probleme, ihrer Hemmungen anderen Menschen gegenüber, ihrer Angst geradezu vor anderen Menschen, wird irgendwann lästig. Eine Straffung, mehr Handlung und deutlichere Entwicklungsfortschritte der Hauptfigur hätten dem Roman gut getan.
Fazit: Eine berührende Geschichte mit einigen Längen, die der Vermittlung des Themas nicht zuträglich sind.
Mikki Brammer - Dieses schöne Leben
aus dem amerikanischen Englisch von Carolin Müller
Knaur, November 2023
Taschenbuch, 400 Seiten, 16,99 €

Bewertung vom 22.11.2023
KUNTH Bildband Bücherliebe
Lipps, Susanne

KUNTH Bildband Bücherliebe


ausgezeichnet

Eigentlich muss man die Bildbände aus dem Kunth-Verlag nicht mehr rezensieren, denn gelungen sind sie alle. Und dieser hier ist geradezu ein Muss für Bücherfreunde. Wer an diesem Buch keine Freude hat, hat an Büchern keine Freude.
Mit großformatigen, großartigen Fotos führt uns das Buch durch die ganze Welt – die Welt der Bücher, der Bibliotheken und Buchläden. Von A bis Z geordnet, von A wie Antwerpen oder Amsterdam, über E wie Umberto Eco und Exlibris, über K wie Kopenhagen, L wie Lagerlöf bis hin zu P wie Peking und W wie Wolfenbüttel, tritt man ein in erstaunliche Buchhandlungen, die wie Kirchen anmuten (und manchmal auch eine waren), in atemberaubende Bibliotheken in Schlössern und Burgen, in moderne Bibliotheken in futuristischen Gebäuden.
Staunend, sprachlos, geradezu überwältigt ist man beim Betrachten dieser Fotografien. Wie muss es dann erst sein, in diesem Büchertempeln zu stehen, vor diesen turmhohen Regalwänden, diesen antiken Schriften, diesen Klassikern und den zeitgenössischen Werken.
Wie man es von diesem Verlag gewöhnt ist, werden die Fotos immer ergänzt von einer kurzen, sehr informativen Erläuterung, die aber dann doch noch viele weitere Fragen offen lässt – und somit noch mehr dazu reizt, den jeweiligen Ort aufzusuchen. Wenn man das doch könnte…
Wir sehen Bilder aus der Morgan Library in New York, aus der Biblioteca Joanina in Coimbra. Wir treten ein in die gigantischen Läden der chinesischen Buchhandelskette Zhongshuge. Wir sind beeindruckt von den Ausmaßen des Real Gabinete in Rio de Janeiro und erfahren vom größten Gebrauchtbüchermarkt im indischen Kolkata.
Dazwischen finden sich immer wieder kleine Anekdoten über Buchläden, Bücherhelden und deren Schöpfer, die Schriftsteller und Schriftstellerinnen.
Dieses Buch, mag es auch groß und üppig sein, ist ein Kleinod und sollte in keiner Bibliothek derer fehlen, die sich als Buchenthusiast bezeichnen.
Bücherliebe
Kunth Verlag, Oktober 2023
Gebundene Ausgabe, 336 Seiten, 39,95 €

Bewertung vom 17.11.2023
Steckerlfischfiasko / Franz Eberhofer Bd.12
Falk, Rita

Steckerlfischfiasko / Franz Eberhofer Bd.12


gut

Es stand zu befürchten und dennoch konnte ich nicht widerstehen: ein neuer Eberhofer muss sein. Doch wie schon im Vorgängerband, so stehen auch diesmal die Familie und die Befindlichkeiten des Franz Eberhofer im Mittelpunkt und der Kriminalfall, den er aufklären soll, wird zur Nebensache.
In Niederkaltenkirchen gibt es neuerdings einen Golfplatz, was natürlich die üblichen Verdächtigen auf den Plan ruft, wie die besten Freunde von Franz, den Simmerl und den Heizungspfuscher Flötzinger. Letzterer durfte im Clubhaus die sanitären Anlagen gestalten und nun findet man just dort eine Leiche, nämlich den Vereinschef. Erschlagen mit einem Golfschläger.
Wie immer gibt es viele, die ein Motiv hätten, diesen Mann in die ewigen Jagdgründe zu schicken. Doch statt, dass Franz das Ermitteln beginnt – was er wie immer gerne und immer undankbar seinem Spezi Rudi überlässt – hadert er mit seinem Dasein. Die Oma ist zur Kur, sein Vater und sein lästiger Bruder kümmern sich um den Haushalt, für den eigentlich die Aushilfe Julika aus Ungarn engagiert ist. Und das Allerschlimmste: Seine Susi kandidiert als Bürgermeisterin von Niederkaltenkirchen. Das ist nur noch zu toppen durch die erschreckende Vorliebe seines Sohnes Paul für das Ballett, wo doch Franz gerne einen Fußballer aus ihm machen würde. Ballett, wie grausig, wie wenig männlich. Diese seine Einstellung führt immer wieder zu wortreichen Auseinandersetzungen mit Susi, derer es viele im Laufe des Romans gibt.
Spannung ist in diesem Krimi so gut wie nicht vorhanden, während der Lektüre hat man als Leserin so den einen oder die andere in Verdacht, den Mord begangen zu haben, wirkliches Interesse für den Fall bringt man aber fast keins mehr auf. Die Auflösung ist am Ende völlig überraschend und eigentlich auch nicht nachvollziehbar, was dann aber auch schon nicht mehr stört. Die Gags sind altbekannt, die Lebenseinstellung und vor allem die Lebensweise von Franz Eberhofer immer mehr aus der Zeit gefallen – wer so isst und trinkt, müsste schon längst selbst in die Jagdgründe eingegangen sein.
Fazit: Nun ist es aber wirklich genug, so unterhaltsam und liebenswert die Figuren waren und schon auch irgendwie immer noch sind, es braucht keinen dreizehnten Band.
Rita Falk – Steckerlfischfiasko
dtv, Oktober 2023
Taschenbuch, 287 Seiten, 18,00 €

Bewertung vom 13.11.2023
Strippen statt sticken!
Kruse, Tatjana

Strippen statt sticken!


gut

Ihren Roman um eine nicht tot sein wollende Leiche habe ich mit großem Vergnügen gelesen. Und oft herzhaft lachen müssen. So war ich auf dieses neue Buch von Tatjana Kruse sehr gespannt. Allerdings war mir entgangen, dass sich dabei schon um den 9. Band einer Reihe um immer denselben Kommissar im Ruhestand handelt.
Man kann diesen Band lesen und auch verstehen, ohne die vorherigen acht zu kennen, denn zum einen gibt es am Ende ein „Wer ist wer“, das die Familienbande erläutert. Und auch im Roman gibt es immer wieder Aufklärung über die Verhältnisse im Seifferheld-Clan, besagter Familie des Kommissars Siggi Seifferheld.
Und da sind wir schon beim für mich größten Manko des Romans: Es dreht sich viel mehr um das Privatleben und die Animositäten und Marotten der Familienmitglieder als um den Kriminalfall, in den der Ex-Kommissar sich gerne verwickeln lässt.
Der Neffe eines Kollegen steht nämlich in Verdacht, im örtlichen Swingerclub eine Frau ermordet zu haben. Allein schon dieser Tatort sorgt natürlich für Material für seichte Witze, was auch weidlich ausgenutzt wird. So eilt Seifferhelds bessere Hälfte Marianne sofort an seine Seite, um ihn vor Fährnissen zu bewahren. Mit ungeahnten Folgen…
Neben dem Hauptverdächtigen hat der Kommissar natürlich noch weitere Spuren im Blick, insbesondere als es einen zweiten Toten gibt. Dennoch werden seine Ermittlungen zur Nebensache, verdrängt von seinem Eheleben, von der Familien-Whatsapp-Gruppe, in der sinn- und oft witzlose Nachrichten ausgetauscht werden, und vom Tratsch in der Kleinstadt, angeheizt von Seifferhelds Foto in der örtlichen Presse.
So bleibt der gesamte Krimi seicht, ohne Spannung, wird dabei aber trotzdem nicht langweilig, auch wenn der Humor recht platt ist. Die Figuren, wiewohl einigermaßen klischeehaft, sind lebensnah und sympathisch. Jedoch zeigt der Roman ein ziemlich aus der Zeit gefallenes Frauenbild, was mich dann schon ein wenig gestört hat.
Alles in allem ein recht unterhaltsamer Krimi mit etwas zu wenig Krimi drin.
Tatjana Kruse - Strippen statt sticken!
Haymon, Oktober 2023
Taschenbuch, 219 Seiten, 9,99 €

Bewertung vom 10.11.2023
In meines Vaters Haus
O'Connor, Joseph

In meines Vaters Haus


sehr gut

Ein charismatischer Geistlicher versammelt mehrere tapfere Menschen um sich, um Geflohenen, Deserteuren, Verletzten und Verzweifelten zu helfen – unter der aufmerksamen Beobachtung des Deutschen Hartmann, Chef des NS-Sicherheitsdienstes.
Alle im Vatikan lebenden Menschen können dessen Gebiet kaum noch verlassen, nur mit Sondererlaubnis dürfen sie das von den Deutschen besetzte Rom betreten. Es ist kurz vor Weihnachten 1943 und der Geistliche Hugh O'Flaherty setzt sein eigenes Leben und das anderer aufs Spiel. Er muss eine sehr gefährliche Aktion ausführen, Geld zu denen bringen, die er retten will. Seine Helfer bei diesen Aktionen sind ganz verschiedene Menschen, die sich zur Tarnung als Chor treffen, Frauen und Männer, die aus ganz unterschiedlichen Gründen zu dieser Gruppe dazugestoßen sind.
O'Flaherty ist ein beeindruckender Charakter, mutig bis zur Selbstaufgabe, dabei aber immer auch klug und überlegt handelnd. Er weiß, was er riskiert und kennt auch seine Mitstreiter so gut, dass er einschätzen kann, wem er was zutrauen, zumuten darf.
Dabei ist der gesamte Vatikan, aber er im Besonderen unter ständiger Überwachung durch die Deutschen. Immer wieder werden Menschen, unter den kleinsten Vorwänden, gefangen und gefoltert.
Diese Geschichte ist nicht stringent, nicht unbedingt chronologisch erzählt. Zwischen die fortlaufende Handlung in den letzten Tagen vor der wichtigen Aktion sind Rückblicke, teils in Interviewform, eingebettet, aus Sicht der Mitglieder von O'Flahertys Gruppe. So erfährt man, was sie antrieb, was sie dachten und fühlten, während sie diesem Mann folgten. Man erfährt, wie es ihnen erging und wie ihr Leben danach ablief. Der Nachteil dieser Erzählmethode ist, dass man dadurch vorab weiß, wer unbeschadet aus der Aktion herauskam, was ein wenig die Spannung beeinträchtigt.
Hugh O'Flaherty ist in jedem Fall ein Charakter, eine Figur, die in Erinnerung bleibt. Rückblicke auf sein früheres Leben, die ebenfalls in die Handlung eingeflochten sind, zeigen, wie er zu dem wurde, der er nun ist, was ihn antreibt und was seinen Charakter formte.
Teils ist die Erzählweise etwas zäh, der Autor legt es nicht darauf an, Emotionen in der Leserin zu wecken. Es wird eher distanziert, mit Abstand, aber keineswegs ohne Empathie erzählt. Und mit Geschick Spannung erzeugt, wenn auch aufgrund des recht langatmigen Stils eher gedämpft.
Ein interessantes, in jedem Fall besonderes Buch.
Joseph O'Connor - In meines Vaters Haus
aus dem Englischen von Susann Urban
C.H.Beck, Oktober 2023
Gebundene Ausgabe, 382 Seiten, 26,00 €

Bewertung vom 08.11.2023
Das Leben im Großen und Ganzen
Korber, Tessa

Das Leben im Großen und Ganzen


gut

So recht fand ich keinen Zugang zur Protagonistin dieses Romans, die voller Selbstmitleid ihr männerloses Dasein beklagt, andererseits aber an ihren Ansprüchen scheitert.
Der vorige Roman von Tessa Korber, in dem sie vier Frauen zusammenbringt zu einer Wohngemeinschaft, die mit Humor und Zusammenhalt ihre jeweiligen Probleme und Schicksale bewältigen, gefiel mir gut. Er machte Mut, er zeigte starke Frauen, die selbst oder gemeinsam die kleinen und größeren Steine aus ihren Wegen räumen.
Frieda jedoch, die Hauptfigur dieses neuen Romans, ist ganz anders. Als selbständige Grafikerin arbeitet sie allein und zuhause, hat allerdings einen verlässlichen und ausreichend großen Freundeskreis und auch nette Nachbarn in dem Haus, in dem sie wohnt. Dazu kommt die (unvermeidliche) beste Freundin Yvonne. Beide Frauen sind Mitte Fünfzig, Yvonne jedoch möchte lieber Initiativen ergreifen als wartend daheim zu sitzen. Also meldet sie sich und Frieda bei einer Dating-App an (kein neuer Trope in solchen Romanen) und geht bald von Date zu Date. Für Frieda ist das eher nichts.
Sie urteilt oder verurteilt oft gleich nach dem ersten Anblick, dem ersten Wort. Sie denkt dabei aber ständig an das was sie versäumt, was sich nicht nur auf Liebe, sondern vor allem auch auf Sex bezieht. Bei Männern nennt man solche Stimmung Torschlusspanik. Warum diese Hauptfigur die ganze Zeit in Selbstmitleid ertrinkt, hat sich mir bei der Lektüre nicht erschlossen. Sie sieht gut aus, ist attraktiv, ist selbstständig, wenn auch wenig selbstbewusst. Sie braucht auch keinen Ernährer, verdient selbst ausreichend. Ein wenig wirkt sie wie aus der Zeit gefallen, würde mit ihrem Verhalten, ihrem Auftreten und ihrer Kleidung besser in die fünfziger oder sechziger Jahre passen.
Bei all den Selbstreflexionen übersieht Frieda fast, dass sich ihr bereits eine Mitbewohnerin anbietet. Denn vor ihrem Fenster schleicht eine Katze herum, die Frieda ununterbrochen beobachtet. Dabei können wir das Ganze dann in mehreren Szenen aus Sicht dieser Katze lesen, erzählt uns die Autorin doch die Gedanken des Tiers.
In meinen Augen ist das gänzlich missglückt. Man versteht weder, warum die Katze sich veranlasst sieht, Frieda zu beobachten, ja durch die ganze Stadt zu verfolgen. Noch, warum sie Friedas Aktivitäten kommentiert, also ganz offensichtlich durchschaut. Für mich ist das alles nicht nachvollziehbar, dafür viele andere Szenen leider sehr vorhersehbar.
Schade, dass der Roman sein Potential so verschenkt, zumal die Autorin mit dem vorigen Buch gezeigt hat, dass sie es besser, lebendigere Charaktere erschaffen kann.
Tessa Korber - Das Leben im Großen und Ganzen
DuMont, Oktober 2023
Gebundene Ausgabe, 301 Seiten, 23,00 €

Bewertung vom 06.11.2023
Nimm meinen Schmerz
Gordeeva, Katerina

Nimm meinen Schmerz


ausgezeichnet

„Aber eigentlich handelt (meine Geschichte) nicht von mir. Sie handelt von den Menschen. Manche verwandelt der Krieg schnell zu Bestien. Ich habe solche gesehen: Man gibt ihnen eine Waffe, und sie verlieren sofort alles Menschliche. Verlieren ihr Gewissen und Mitgefühl. Ich habe gesehen, wie schnell das geht.“ (S. 71).
Solche Geschichten, von Menschen, Frauen, Männern, Kindern, im Krieg erzählt die Journalistin Katerina Gordeeva. Oder vielmehr sie lässt diese Menschen ihre Geschichten erzählen, sie hört zu, stellt manchmal Fragen, manchmal fehlen ihr aber auch die Worte. Und manchmal möchten die Ukrainerinnen gerade mit ihr nicht sprechen, denn Katerina Gordeeva ist Russin.
Sie ist eine sehr einflussreiche, unabhängige Journalistin, die mit Preisen ausgezeichnet wurde und die 2014 ihr Land verließ aus Protest gegen die Annexion der Krim durch Russland. Heute lebt sie in Lettland. Aber Gordeeva hat noch Familie in Russland, Freunde und Bekannte. Und viele ihrer Gesprächspartner, deren Geschichten dieses Buch versammelt, hatten zu Beginn Probleme damit, einer Russin zu vertrauen.
Es sind vor allem Frauen, die in diesem Buch zu Wort kommen. Frauen, die Furchtbares erlitten haben, Frauen, die geflohen sind, nach Polen, nach Deutschland, nach Italien. Und Frauen, die geblieben sind, weil sie eine alte Verwandte pflegen müssen, weil sie ihre Tiere nicht zurücklassen wollten, weil sie nah bei ihren Männern bleiben wollen.
Es sind Frauen, die schwer verletzt wurden, deren Männer umkamen, deren Kinder umkamen. Es sind Frauen, die alles verloren haben.
Die Geschichten sind schwer zu ertragen. Da ist Irma, die ihr Augenlicht und ihre Beine verlor bei einem Angriff, als sie ihre Katze retten wollte. Sie sitzt im Rollstuhl und muss ihr Leben ganz neu lernen. Da ist Inga, für die Bügeln wie eine Therapie ist, nur wenn sie bügelt, kann sie ihr Leben ertragen, nachdem sie Mann und Sohn verlor.
Da ist Yulia, in deren Kopf ein Bombensplitter steckt. Sie lässt sich nicht operieren, weil sie ihre Tochter nicht allein lassen will. Und da ist Taissija, eine alte Frau, verpflanzt gegen ihren Willen aus der Ukraine in ein Lager in Rostow am Don. Dort in dem Lager, das sie nicht verlassen dürfen, wo es den angeblich Geflüchteten angeblich gut gehen soll, wo sie nicht erfahren, was mit ihnen geschehen soll, verkümmert Taissija, wartet auf den Tag, an dem sie zurückkehren darf, der Tag, der nie kommt.
Und da sind die Männer, die erzählen, auch sie und auch Russen lässt Katerina Gordeeva zu Wort kommen. Und auch wenn es beim Lesen schwerfällt, Mitgefühl für die Angreifenden zu empfinden, so ergreifen auch deren Schicksale, sind doch die wenigsten von ihnen freiwillig in diesen Krieg, der nicht so genannt werden darf, gezogen.
Es wird viel geweint während diese Menschen ihre Geschichten erzählen. Auch mir kamen an vielen Stellen dieses Buches die Tränen, denn die Art, wie die Autorin diese Geschichten aufschreibt, mit welchen Worten es ihr gelingt, die Schicksale greif- und fühlbar zu machen, ist aufwühlend, erschütternd und dabei genau richtig.
Dieses Buch muss man lesen.
Einziges Manko: Das Glossar, welches die ukrainischen Ausdrücke und Abkürzungen erläutert hätte besser vorne im Buch gestanden statt ganz hinten, wo man es erst am Ende und eher durch Zufall findet.
Katerina Gordeeva - Nimm meinen Schmerz
aus dem Russischen von Jennie Seitz
Droemer, Oktober 2023
Gebundene Ausgabe, 349 Seiten, 24,00 €

Bewertung vom 03.11.2023
KUNTH Alles außer gewöhnlich
KUNTH Verlag

KUNTH Alles außer gewöhnlich


sehr gut

Wie bei allen Büchern aus dem Kunth-Verlag hat man sich auch diesmal Gedanken gemacht, wie man die verschiedenen Ziele ansprechend und vor allem logisch geordnet präsentiert. Hier nun folgt man den Jahreszeiten, für jede gibt es passende Angebote, neue und alte Städte oder Regionen in Europa zu entdecken.
Dazu die wieder sehr schönen, gelungenen Fotografien, die fast das eigene Reisen überflüssig machen, sieht man doch hier schon, was es schönes, beeindruckendes, faszinierendes zu sehen gibt.
Insgesamt umfasst der Band 53 Ziele, in Nord und Süd, in Ost und West. So kann man beispielsweise im Frühling in Frankreich die Auvergne durchwandern und dabei zwischen lebendiger Stadt und dünn besiedelten Regionen wählen. Oder man besucht die Finnische Seenplatte, die immerhin, man glaubt es kaum, 50.000 bis 60.000 Gewässer umfasst.
Im Sommer zieht es einen vielleicht ans Meer, so auf die dänische Insel Ærø oder zur vor Estland gelegenen Gruppe der Moonsund-Inseln. In allen Beispielen sind es wie immer viele Informationen, die man bekommt, neben der Beschreibung dessen, was diese Orte so besonders, so entdeckenswert machen. Dazu, ebenfalls wie gewohnt, Tipps für die Übernachtung und weitere Anregungen in der Umgebung.
Schon beim Blättern durch dieses Buch möchte man am liebsten eine Liste machen der Orte, die es demnächst zu besuchen gilt. Wie im Herbst die Hohe Tatra oder die österreichische Stadt Linz. Und im Winter vielleicht ein Besuch in Erzgebirge, dort, wo die berühmten Weihnachtspyramiden herkommen.
Aber man muss gar nicht in die Ferne, selbst in der nahem Umgebung der Heimat zeigt das Buch vielversprechende Ziele für Tagesausflüge oder kurze Touren. Ich habe mir jedenfalls schon einige Orte herausgesucht, die in den kommenden Jahreszeiten besucht werden. Hier ist wirklich für jeden Geschmack etwas dabei.
Alles außer gewöhnlich – Unentdecktes Europa
Kunth-Verlag, Juni 2023
Gebundene Ausgabe, 304 Seiten, 29,95 €

Bewertung vom 01.11.2023
Ein Fall von Majestätsvergiftung
McGeorge, Chris

Ein Fall von Majestätsvergiftung


gut

Ausgangsgedanke dieses Krimis ist die Vorstellung, der ehemalige englische König Edward hätte nie abgedankt und somit säße heute einer seiner Nachkommen auf dem Thron. Und genau dieser Nachkomme segnet am Weihnachtstag das Zeitliche, während alle Familienmitglieder sich im Schloss Balmoral aufhalten. Hingegen aber alle Bediensteten mit Ausnahme des Kochs das Schloss auf Wunsch des Königs verlassen haben.
Soweit verspricht der Roman auch die entsprechende Spannung, ganz im Stil Agatha Christies. Eine überschaubare Anzahl Verdächtiger, die aufgrund eines schlimmen Schneesturms eingeschlossen sind, daher also auch weder Hilfe erreichen noch selbst das Schloss verlassen können. Wie auch niemand anderer Zugang zum Schloss haben kann.
Die Hinterbliebenen, wiewohl angemessen erschüttert, sehen schnell ein, dass einer von ihnen das Familienoberhaupt vergiftet haben muss. Daher bestimmen sie den Koch zum Ermittler, als einzig Unbeteiligter und somit Unverdächtiger.
Besagter Koch, Jonathan Alleyne, arbeitet schon so lange für den König, dass er diesen fast als Freund bezeichnen kann. So ist er auch, wie es scheint, der einzige, der ehrlich um den Toten trauert.
Jonathan ist ein eher schüchterner Mensch, er stammt aus der Karibik und ihm fehlt es an Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl. Einzig wenn er kocht ist er glücklich. So leidet er fast körperlich darunter, nun den Mordfall untersuchen zu müssen. Zumal sich schnell herausstellt, dass alle ein Motiv gehabt haben. Wollte doch der König offensichtlich an diesem Tag seine Nachfolge regeln. Und so eskaliert der Streit unter den Familienmitgliedern immer mehr.
Diese sind die beiden Töchter des Königs, seine trinkfeste Frau, sein missratener Bruder sowie Mann und die beiden Söhne einer der Töchter. In vielen Einzelgesprächen versucht Jonathan, hinter die Masken all dieser Menschen zu schauen und deckt dabei manch ein Geheimnis auf.
Leider ist das Ganze allerdings recht zäh erzählt, vieles beschäftigt sich mit dem Innenleben Jonathans, wodurch sich dann auch vieles wiederholt. Manche Szenen sind ziemlich absurd, und das immer mehr, je mehr die Handlung voranschreitet. Nicht alles ist logisch aufgebaut und so verliert man als Leserin irgendwann den Überblick und leider auch das Interesse daran, wer denn nun warum was getan hat.
Mein Fazit: Der Roman hatte Potenzial, die Figuren sind gut gestaltet und interessant, wenn auch ein wenig schablonenhaft, ebenso wie die Ausgangslage. Aber vieles wird verschenkt durch einen etwas schwerfälligen Stil.
Chris McGeorge – Ein Fall von Majestätsvergiftung
aus dem Englischen von Karl-Heinz Ebnet
Knaur, Oktober 2023
Taschenbuch, 384 Seiten, 16,99 €

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