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schreibtrieb

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Insgesamt 174 Bewertungen
Bewertung vom 20.07.2015
Elternsein - der pralle Wahnsinn
Dusick, Amber

Elternsein - der pralle Wahnsinn


weniger gut

Angefangen bei Schwangerschaft, über den Alltag mit Kindern, Kinderkrankheiten und Reisen mit Kindern (was bei der Autorin eher aufs gleiche raus läuft), Sprache und gewisse Regeln hat die Autorin humorvolle Anekdoten mit „beknackten Zeichnungen“ gepaart und zusammengetragen. Eine gute Idee als Geschenk für werdende oder junge Eltern, daneben aber eher ein Regalfüller, als wirklich Unterhaltung.

Die Anekdoten sind dann auch eher semi-witzig, an mir ist der Humor oft eher vorbeigegangen. Ein bisschen lamentiert mit die Autorin zu sehr, ihr Witz ist eher genervt, als belustigt. Der Stil ist auch oft sehr einfach, entweder schnell hingeschrieben oder tatsächlich so minimal gehalten (ja, auch die Übersetzung mag da rein spielen, das weiß ich aber ehrlich gesagt nicht). Der literarische Anspruch ist eben eher niedrig.

Das mag aber für Jung-Eltern, die kaum zum Lesen kommen gerade das Richtige sein. Immerhin beschwert sich da noch jemand über Kinderfüße im Gesicht und die verlorene Privatsphäre auf der Toilette, über die idiotische Idee, mit Kindern in Urlaub zu fahren und sie fünf Sekunden aus den Augen zu lassen. Mein Mann, soviel sei verraten, hat beim Blättern nicht nur geschmunzelt, sondern zugegeben etwas gequält gelacht (so von wegen: kenn ich doch). Vielleicht also trifft das Buch nur einfach nicht meinen Humor. Und dagegen ist dann nun mal kein Kraut gewachsen.

Bewertung vom 04.07.2015
Der Sieg der Verlierer / Wild Cards Bd.2

Der Sieg der Verlierer / Wild Cards Bd.2


ausgezeichnet

Während Drummer Boy mit Kate im Nahen Osten eine neue Mission hat, soll Fortune in Afrika einen Völkermord verhindern, Amazing Bubbles und Bugsy aber sollen Amerika vor einem Hurrikan bewahren. Und in all diese Baustellen platzt Drake, Little Fat Boy, kaum ein Teenager, aber im wahrsten Sinne des Wortes eine wandelnde Atombombe. Nach seinem ersten Ausbruch wird er gefangen genommen und in ein Institut gebracht, wo er ruhig gestellt werden soll. Dort trifft er auf Niobe, deren Asskinder immer nach wenigen Tagen sterben. Und irgendwie verwoben in all diese Geschichten ist Noel.

Noel war schon im ersten Teil eine meiner Lieblingsfiguren, (ja, eigentlich gleich mehrere). Dass ihm nun so viel Raum vergönnt wird, hat mich tierisch gefreut. Er bildet hier den zusammenhaltenden Rahmen, während die übrigen Stränge zwar auch verwoben sind, aber mitunter fast schon gestelzt zusammen gehalten werden. Die Vielseitigkeit seines Charakters und sein enormer Wandel in diesem Buch haben mich gefesselt und wirklich gefreut.

Auch beim ersten Band war ich schon erstaunt, wie gut sich die unterschiedlichen Autorenstile zu einem Roman haben vereinigen lassen. Das ist hier nicht anders. Die episodenhafte Erzählweise erlaubt nicht nur Stilsprünge sondern auch verschiedene Sichtweisen. Da der Erzähler immer mal wechselt ist es am Anfang etwas schwierig, sich zurecht zu finden. Schnell aber erkennt man die verschiedenen Sprachstile und Themenbezüge.

Die persönlichen Herangehensweisen an die politischen Geschehnisse finde ich gut gewählt. So wird es keineswegs trocken, sondern interessant und spannend. Auch, dass die Sichtweisen von Gegnern gegenüber gestellt werden, hat mich fasziniert. In Wild Cards 2 gibt es selten ein klares Schwarz und Weiß (Ja, manche Figuren sind von Grund auf schlecht, aber die Protagonisten nicht), was die unterschiedlichen Seiten zu einem großen Haufen von Missverständnissen werden lässt.

Für die fantastische Welt, die in Wild Cards erschaffen wird, finde ich die Handlungsstränge faszinierend realistisch. Die Autoren bleiben ihrer Linie treu und überzeugen durch einen sehr gut durchdachten Plot und einen roten Faden, der vielleicht erst am Ende vollends erkennbar ist, aber dennoch alles felsenfest zusammenhält. Die Figuren sind tiefgründig und haben ihre eigenen Geschichten, was sie mehrdimensional macht und lebendiger wirken lässt. Eine echte Freude. Zum Ende nur so viel: Nach dem Buch ist vor dem Buch. Ich freue mich auf Band 3.

Bewertung vom 30.06.2015
Die Widerspenstigkeit des Glücks
Zevin, Gabrielle

Die Widerspenstigkeit des Glücks


ausgezeichnet

A.J. ist auf dem besten Weg, Alkoholiker zu werden. Seine Frau ist tot und er wäre es auch gerne. Da wird die zweijährige Maya in seinem Laden ausgesetzt. Schon nach einem gemeinsamen Wochenende ist ihm klar, dass er sie behalten will. Seine neue Aufgabe als Papa und die unumstößliche Liebe, die Maya ihm und den Büchern seines Buchlandens entgegenbringt, helfen ihm aus der Krise. Als er dann noch in der Verlagsvertreterin Amelia einen ebenso liebevollen wie faszinierenden Menschen entdeckt, scheint sein Glück perfekt. Doch das Glück ist widerspenstig und lässt sich nicht zähmen.
Ich bin begeistert. Verschlungen habe ich das Buch, jede Seite, jedes Wort. Ich bin verliebt in dieses Buch und habe schon von einer eigenen Buchhandlung geträumt (jaja^^). Ein absolutes Lese-Muss für alle Bibliophilen und Leseratten. Lasst alles liegen, LEST DIESES BUCH.
Ja, die Handlung ist schön, traurig, spannend, herzergreifend. Ich fieberte mit, wie selten. Ich war auf A.J. Seite und auf Mayas, auf Amelias und auf der Seite des Buchladen. Ich hatte das Buch in einem Tag durch und weiß, es wird mich ewig begleiten. Es passt einfach alles zusammen. So schrecklich manche Momente sind, so klar gehören sie doch dazu. Realistisch, literarisch.
Der Stil ist absolut genial. Ein Lob an Renate Orth-Guttmann, die Übersetzerin, das so ins Deutsche gebracht zu haben. Immer wieder verweist die Autorin auf Schreibstile und geht darauf ein, um sie wenige Seiten später selbst zu nutzen, oder im Verlauf des Romans. Sie zerlegt die Tricks der Autoren und der Buchwelt, ohne sich davon zu lösen. Sie zeigt die Welt hinter den Buchdeckeln, hinter den Lesungen auf, gibt einen beeindruckend kurzweiligen Ausblick in Verkaufsstrategien und Buchhandelswesen. Ja, nur ansatzweise, aber dafür umso interessanter. Außerdem werden nicht nur immer wieder Bücher zum Thema gemacht, auch die Kapitel sind nach Büchern benannt, die A.J. seiner erwachsenen Tochter empfiehlt. Noch nie ist meine Leseliste so gewachsen, wie beim Lesen dieses Buches.
Noch dazu ist die Verortung des Buches auf einer relativ schwer erreichbaren Insel geradezu malerisch – und Gott sei Dank gibt es keine Vampire dort^^. Und wirklich bemerkenswert ist, wie das Kind Maya nicht nur für eine Verbesserung in A.J. Leben sorgt, sondern auch die Bücher selbst in einem neuen Licht erstrahlen lässt. Dieses Kind, das Bücher mehr mag als andere Kinder und wegen der die Erwachsenen immer wieder in den Buchladen kommen und schließlich auch Bücher kaufen.
Ein wirklich gutes Buch, eine tolle Geschichte, eine fantastische Umsetzung. Ein wahrer Lesegenuss und ein neuer fester Platz auf meiner Lieblingsbücherliste.

Bewertung vom 23.06.2015
Der goldene Schwarm
Harkaway, Nick

Der goldene Schwarm


ausgezeichnet

Joe ist Uhrmacher, wie schon sein Großvater es war. Das Handwerk seines Vaters dagegen war das organisierte Verbrechen – und davon will Joe Abstand nehmen. Gar nicht so einfach, wenn eine Spionin im Ruhestand mit blindem Hund einen dazu bringt, eine Weltuntergangsmaschine in Gang zu setzen, auf die es ein wiederauferstandener Diktator auch noch abgesehen hat. Mit Regierungsorganisationen an seinen Fersen und einer mysteriösen Religionsgemeinschaft, die ihren Ursprung vergessen hat, braucht Joe die Hilfe alter Freunde und lernt sich selbst ganz neu kennen.

Nein, ich weigere mich das Buch als Krimi zu betrachten oder gar als Thriller. Das wäre schlichtweg falsch, egal was ihr denkt. Das Buch ist ganz anders, es ist viel mehr, es hat wie es der verrückte Hutmacher so schön ausdrückt, das Mehrsein im Blut. Es ist Oceans 11 und James Bond, Bonnie und Clyde und Hudson Hawk, alles zusammen und nochmal mehr. Schlichtweg genial und geradezu meisterhaft zusammengemischt. Der Stil ist passgenau, im ereignisreichen Präsens mit Vergangenheitsausblicken und darum so packend.

Immer wieder hat mich das Buch überrascht und neue Ebenen preisgegeben. Verwinkelt vielleicht, aber nicht verwirrend und immer wieder auf den rechten Pfad zurück findend. Schleifen hat der rote Faden, die ihn ausschmücken und dick werden lassen, aber er reißt nicht ab. Ich war gefesselt und gefangen und will unbedingt eine Fortsetzung.

Für einfache Leser, die leichte Unterhaltung wollen, ist der Roman aber gerade deswegen nicht. Er fordert. Der Leser muss am Ball bleiben und die einzelnen Stränge stets trennen, solange sie noch nicht zusammengeführt sind, sonst verheddert er sich. Ein Buch für den Kopf, wie ich es liebe.

Von Plot und Stil mal abgesehen, kennt der Autor sein Handwerk. Die Uhren-Symbolik ist leitmotivisch, der Schwarm Bienen gelungenes Motiv der Notwendigkeit und des Weltuntergangs. Die Wahrheit schließlich, die Wahrheit ist das rare Gut, das den meisten doch verborgen bleibt, denn die Wahrheit ist eben nur schwer zu ertragen. Dass Religion und Wissenschaft hier derart parallel auftreten, dass die Wissenschaft glatt zur Religion erkoren wird und auch der Mythos wieder nur zur Wissenschaft zurückgeführt wird, finde ich gelungen und großartig.

Ein in sich stimmiges Buch, das gleichermaßen von der Selbstfindung des Protagonisten, wie von der Verwirrung der Welt erzählt und in keinem Bücherregal eines wahren Buchliebhabers fehlen darf!

Bewertung vom 27.05.2015
Gretchen
Einzlkind

Gretchen


ausgezeichnet

Es gibt Bücher, die faszinieren mich noch ehe ich sie angefangen habe zu lesen. Nicht mal wegen des ersten Blicks, sondern weil ich erahne, was hinter ihnen steckt, welche Abgründe sich auftun können und welche Wortzaubereien mich gefangen nehmen können. So war das auch bei Gretchen von einzelkind, erschienen im November 2014 bei Heyne mit 240 Seiten.
Gretchen Morgenthau ist die Frau Intendantin, im Ruhestand. Sie beherrscht die Welt, ob die Welt das nun will oder weiß - ist auch egal. Als sie es mal wieder zu bunt treibt wird sie kurzerhand in die Einöde verbannt, wo sie ein Theaterstück inszenieren soll. Dort trifft sie auf einen schleimenden Bürgermeister, einen überengagierten Pseudo-Kulturellen und einem Assistenten, der eigentlich nur eines will. Seine Ruhe. Ruhe ist es aber, was Gretchen auf den Tod nicht ausstehen kann. Und so ist eines vorprogrammiert: Jede Menge Theater.
Der Autor einzelkind schafft mit seinem Pseudonym schon eine Inszenierung seiner Person. Auch Gretchen inszeniert vor allem eines: sich selbst. Von Theater hat sie gar nicht mal so viel Ahnung, wie zu vermuten wäre. Vom Leben auch nicht. Und doch ist das Buch ein grandioses Schauspiel in Prosa, eine Hommage an das Leben und die besonderen Figuren, die sich eigentlich kaum jemand ausdenken kann.
Grandios ist auch der Stil, der zwischen knallharter Realität und unglaublichem Humor schwankt. Tränen, Lachen, Staunen, Erfahren. Absolut unsympathisch kommt Gretchen daher, ein Phänomen. Vielleicht will der Leser nur wissen, was auf sie zukommt, welche Hürden es gibt und welches Ende geschrieben ist. Ein Aufruf auch an unsere globale Welt, die so zusammengerückt ist. Immerhin ist auch das Inselchen, auf das Gretchen kommt, keineswegs vom Internet abgeschnitten. Nur die Menschen ticken noch anders – manche sogar total.

Bewertung vom 21.05.2015
Die Entführung der Roboter / Frank Einstein Bd.1
Scieszka, Jon

Die Entführung der Roboter / Frank Einstein Bd.1


sehr gut

Frank will für einen Wissenschaftswettbewerb einen eigenständig lernenden Roboter entwickelnd. Ein Stromausfall macht ihm einen Schritt durch die Rechnung, doch ein verirrter Funke genügt und am nächsten Morgen findet Frank in der Werkstatt seinen Großvaters Al, die er benutzen darf, nicht nur einen, sondern gleich zwei Roboter vor. Den schlauen Klink und Klank, der auf Umarmungen steht. Zusammen mit Franks bestem Freund Watson gibt das ein unschlagbares Gespann. Wäre da nicht T. Edison und sein Schimpanse, die es nicht nur auf die Roboter abgesehen haben.
Ja, die Handlung ist nicht wirklich weltbewegend innovativ. Wer A und B zusammenzählen kann, kommt schnell dahinter. Die Namen historischer Persönlichkeiten, die den Figuren verpasst worden, sind ganz amüsant, die zwei Roboter wirklich unterhaltsame Stereotype. Stereotypisch sind daneben aber auch die menschlichen Charaktere des Buches. Der Stil mitunter abgehackt. Ja, das führt zu einer etwas wissenschaftlichen, experimentellen Atmosphäre, ist aber auch gewöhnungsbedürftig.
Wirklich genial finde ich aber, wie im Buch Wissenschaft dargelegt wird. Unterhaltsam eben. Mit Schaubildern und einem lexikalischen Anhang, der einiges nochmal erklärt. Erfinden ist nicht mal eben so eine Kleinigkeit, sondern wird mit physikalischem und chemischem Verständnis. Und gerade dadurch wird das Buch zu einem Buch mit klaren Konturen und viel Mehrwert.
Interessant fand ich auch, dass das Buch quasi mit dem Dilemma beginnt, in das Frank und Watson hineingeraten, dann erst erklärt, wie es dazu kam und mit dem Ausgang des Ganzen wieder endet. Das schürt natürlich die Spannung und hilft auch mal über die etwas laue Zwischenphase nach der Erfindung der Roboter und vor ihrer Entführung hinweg.
Das Buch hat mich immer wieder zwischen Begeisterung und mildem Enthusiasmus schwanken lassen. Um eher naturwissenschaftlich interessierten Kindern ein Buch nahe zu bringen, ideal. Auch Leseratten können hier mal einen etwas anderen Stil erfahren. Starte Experiment.

Bewertung vom 18.05.2015
Ich bin so wild nach deinem Erdbeerpudding
Kinsky, Margie

Ich bin so wild nach deinem Erdbeerpudding


sehr gut

Margie Kinsky ist sechsfache Mutter von Jung in den unterschiedlichsten Altern. Bekommen hat sie alle nacheinander aber immer mit demselben Mann, dem Schauspieler Bill Mockridge. Nun erzählt sie von ihrem Leben in Rom als Tochter einer deutschen Adligen und eines italienischen Journalisten, ihrer Studienzeit in Deutschland und ihrem Zusammentreffen mit dem Kanadier Bill. Und wer jetzt doch hadert, das klinge spießig, dem sei getrost gesagt: Nö, nicht die Bohne.
Mit Frechheit und Selbstbewusstsein, dem Herz auf der Zunge, geht Margie weiter zu Kinderzeit ihrer wilden Meute, zu den Eskapaden und Hürden. Immer mit einem Augenzwinkern und genialen Sprüchen, die selbst meinen Mann nach nur wenigen Passagen, die ich vorgelesen habe, klar stellen ließ: Das Buch ist geil. Der Stil: Unterhaltsam, amüsant, locker und erfrischend. Die Geschichten: witzig, ehrlich, lebensnah und trotzdem (oder gerade deswegen) spannend.
Ich muss aber auch gestehen, dass das Buch mit den Seiten an Fahr verliert. Umwerfend finde ich nach wie vor die erste Hälfte, die Geschichten über die Jungs und ihren Alltag. Weniger gut sind meiner Meinung nach die Berichte zu den Freundinnen, die später kommen. Auch die Passage zum Einkaufswahn von Margie ist zwar witzig, aber nicht so nach meinem Geschmack.
Für Eltern, ob jung oder alt, ist das Buch dennoch ein leichtes Vergnügen. Immer mal wieder mit Listen oder nicht ganz ernst gemeinten Bastelanleitungen gespickt. Ohne zu belehren (davon haben wir echt die Nase voll), sondern eher im Mitfühlen, Mitleiden, Mitlachen liegen die Stärken von Ich bin so wild nach deinem Erdbeerpudding. Kein kitschiges Mama-Buch. Ganz und gar nicht.

Bewertung vom 26.04.2015
Eine Kindheit im Nahen Osten (1978-1984) / Der Araber von morgen Bd.1
Sattouf, Riad

Eine Kindheit im Nahen Osten (1978-1984) / Der Araber von morgen Bd.1


ausgezeichnet

Mit dem Kennenlernen der Eltern fing alles an. Der Vater des kleinen Riad studiert in Frankreich, verliebt sich, heiratet und Riad wird geboren. Mit blonden Locken begeisterte er die Erwachsenen. Doch dann will der Vater zurück in den Nahen Osten und folgt dem Ruf der Männer, die heute vom arabischen Frühling entmachtet wurden, bzw. noch um ihre Macht kämpfen. In Libyen und später auch seiner alten Heimat Syrien hofft Riads Vater auf ein Heim und eine Zukunft, ist begeistert und hat einen Plan vor Augen. Dass der nicht wirklich zum Erfolg führt, das ahnt Riad schon als kleines Kind, steht dem aber genauso hilflos gegenüber, wie scheinbar die Mutter, die dem Mann artig folgt.
Dass das Buch nicht zu 100 Prozent Riad Sattoufs Vergangenheit wiedergibt, ist klar. Erinnerung ist geschönt, gezeichnet, verwaschen. Die Eindrücke eines vierjährigen unterscheiden sich stark von denen eines Erwachsenen. Doch gerade hier greift das Buch. Zwischen kindlicher Sicht der Dinge, fernem Rückblick und harter Realität erschaffen die Zeichnungen eine zweite Welt neben dem Text, Ironie und die Lüge der Worte wird sichtbar. Etwa wie sehr Riad unter den arabischen Kindern, zu denen er doch eigentlich auch gehört, auffällt, nur wegen der blonden Haare.
Dass Riads Vater nicht davon abzuhalten ist, in seiner Heimat Fuß fassen zu wollen, und sich dabei immer wieder nach den landestypischen Gepflogenheiten richtet, ist aus unserer heutigen Sicht ebenso lächerlich, wie eben der Rückzug der Mutter, die „oft müde“ ist und sich später mit dem kleinen Bruder oft ins Bett verzieht. Kein Aufbegehren, nur das stumme Abwarten, ob der Mann nicht doch noch nach Frankreich zurück will. Oder die Begeisterung für die Diktatoren, die auch und gerade vor dem gebildeten Vater nicht Halt machen.
Für Riad wird die Zeit im Nahen Osten immer wieder zur Tortur. Beschimpft und verspottet, fehl am Platz, wird er bedroht und fürchtet sich vor seinem ersten Schultag so sehr, dass er krank wird. Da, ein einziges Mal, tritt die Mutter in den Vordergrund, nachdem sie gesehen hat, was die Kinder auf der Straße mit einem Welpen machen. „Hunde gelten als unrein“ gibt das Buch als Info. Und gleichzeitig erhebt Der Araber von morgen keine Anklage. Es sind vielmehr viele kleine Andeutungen, die keinesfalls nur als schwarz und weiß zu denken sind. Denn Riad passt auch in Frankreich nicht wirklich dazu. Wird im Kindergarten als hochbegabt entdeckt und wieder fallen gelassen, als er beginnt, sich anzupassen. Doch Anpassung ist, was alle von ihm wollen.
Passend dazu die Zeichnungen, deren Farbschema sich ändert. Klar dabei, die eher bedrohlichen Farben sind für Libyen und Syrien reserviert, die kurze Zeit in Frankreich dagegen geradezu beruhigend in blau gefasst. Und auch die Konturen der Figuren sind wesentlich kantiger und grotesker, sobald Riad auf seine arabische Verwandtschaft trifft.
Ungemein spannend fand ich diesen Blick und bin noch mehr gespannt, wie es weitergeht. Vielleicht gerade, weil es so realistisch wie kindlich verklärt ist, mit der erwachsenen Denkweise im Hintergrund. Eine Mischung, die wie das Aufeinandertreffen der Kulturen selbst wirkt und mehr als nur einen Spiegel hochhält.

Bewertung vom 20.04.2015
Eine kurze Geschichte der Menschheit
Harari, Yuval Noah

Eine kurze Geschichte der Menschheit


sehr gut

Wie konnte der Mensch es schaffen, zu glauben, die Erde zu beherrschen? Welche Errungenschaften, Freiheiten, Möglichkeit, Zwänge und Fehler haben ihn dazu geführt? Welche Schritte sind wir gegangen, vom aufrechten Gang bis zum digitalen Zeitalter? Yuval Noah Harari erklärt es. In seinem – im Vergleich zur Erdengeschichte doch sehr kompaktem – Buch erzählt er von der kognitiven, landwirtschaftlichen und wissenschaftlichen. Mit den vielen Vielleichts der Historiker zeigt er dabei nicht nur einen möglichen Weg auf und gibt zu, wo Lücken sind. Biologische wie kulturelle und industrielle Phänomene werden beleuchtet, erklärt und mit Beispielen versehen. Das – natürlich – offene Ende stellt die Frage nach dem Götterstatus der Menschen und den selbst auferlegten Normen.
Ich war von dem Buch gefesselt. Gerade der erste eher biologische Teil von Eine kurze Geschichte der Menschheit war faszinierend und aus meiner Sicht überaus interessant. Nicht, dass die späteren kulturellen Entwicklungen nicht ebenso beachtenswert sind, aber die natürliche Auslese, die Entwicklung zum homo sapiens ist ein reines Wunder der Natur aus meiner Sicht und ebenso eine erschreckende Entwicklung. Das zeigt auch das Buch auf. So führt Harari beispielsweise die Vermehrung der Menschen in Bezug zur Vermehrung von domestizierten Tieren (Hühnern, Schafen, Kühen) und zeigt gleichzeitig, dass dieser massentechnische Evolutionssieg für diese Lebewesen oft mit einem einzigen Leidensweg (Nahrungsmittelproduktion) verbunden ist.
Ohne zu belehren geht Harari diesen Weg. Stellt die Aufgabe des Normadentums eben nicht nur als geniale Entwicklung dar, sondern belegt welche Einbußen der Mensch dafür hingenommen hat. Dieser reflektierte Blick zieht sich durch das Buch, das mitnichten eine Lobpreisung des großartigen Menschen ist, sondern Positives wie Negatives gegeneinander stellt. So bleibt das Buch auch relativ wertfrei, zeigt kein: Nur so ist es richtig, sondern vielmehr ein: So ist es nunmal.

4 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.