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Benutzername: 
Kata_____Lović
Wohnort: 
Bremen

Bewertungen

Insgesamt 173 Bewertungen
Bewertung vom 25.05.2022
Hana
Mornstajnová, Alena

Hana


ausgezeichnet

Hana handelt von einer jüdischen Familie in Mähren, die alles erleben musste, Ausgrenzung, Gewalt, Unglauben, Verrat, den Versuch der Flucht, Verstecken, Deportation, Trennung, Lager, Theresienstadt, Ausschwitz, Vernichtung, das Überleben, die subjektive und objektive Schuld.
Der Roman ist autofiktional und stark konstruiert. Alle Figuren sind über die verschiedenen Zeitebenen hinweg eng miteinander verwoben. Der Tonfall ist sanft, beobachtend, warm, die Perspektive eine fast naive. Hana sei daher gerade Menschen empfohlen, die sich sonst nicht mit dem Holocaust beschäftigen.

Hana beginnt in den 50er Jahren aus der Perspektive von dem Mädchen Mira. Ihre Tante Hana ist stumm, mager, irgendwie da, Mira macht sich nicht viel Gedanken um sie. Sie erzählt uns, wie Ungehorsam ihr das Leben rettet. Denn Mamas Geburtstagskuchen ist mit Typhuserregern verseucht. Alle erkranken, außer Mira, die zur Strafe nicht mitessen darf. Alle Familienmitglieder sterben, nur Mira und Hana nicht, denn diese hatte schon einmal Typhus, im Lager. Mira kommt zu einer Freundin ihrer Mutter, aber der Mann und die Tochter wollen sie nicht. So kommt sie zu Hana.

Es folgen Rückblenden und Vorblenden. Jede einzelne Figur aus dem ersten Teil, sei sie noch so nebensächlich, wird zurückverfolgt, zieht enge Bande. Es ist ein fest geknüpfter Teppich einer Gemeinschaft, die Trennendes und zugleich eng Verknotetes zusammen führt. Wir erfahren die Geschichte der Oma von Mira und wir erfahren von Hana.

Hana träumt vom heiraten, ein tschechischer Soldat macht ihr den Hof. Zuerst ist die Stimmung subtil, dann immer mittelbarer antisemitisch, die Verfolgung nimmt Einzug. Wegen der Karriere lässt er Hana fallen, die aus Hoffnung die Flucht nach England verschleppt. Er heiratet ihre Freundin, Tschechin, jene Frau, die Mira zunächst aufnimmt und er ist jener Mann, der Mira nicht möchte. Miras Mutter wird versteckt, während Hana und die Eltern deportiert werden, erst nach Theresienstadt, dann nach Ausschwitz. Hana überlebt als einzige, gezeichnet, kehrt zurück und wird zu ebendieser kargen Figur, die ein wenig auftaut durch ihre Nichte Mira.

Bewertung vom 25.05.2022
Sommerjungs
Bayamack-Tam, Emmanuelle

Sommerjungs


ausgezeichnet

Sommerjungs von Emmanuelle Baymack Tam ist eine wuchtige libidonöse, bitterböse, zutiefst unmoralische Geschichte, die mich beeindruckt und beschäftigt hat. Dieser Roman ist ein Jahreshightlight, denn Sommerjungs ist ein gehaltvolles, provokantes Stück Literatur, das an die Abgründe und Grenzen der menschlichen Psyche geht. Die Autorin wagt nicht mehr und nicht weniger, als die großen philosophischen Fragen von gut und böse, nature and nurture, dem freien Willen und der Verantwortung zu behandeln, sich dabei biblischer Geschichten zu bedienen. Sommerjungs liest sich wie eine moderne Variation von Kain und Abel, in der Kain trotz aller Bevorzugung der Natur und der Menschen giftig ist.

Wer Triggerwarnungen braucht, dieser Text ist voller Abgründe, Gewalt, Grausamkeiten in sexualisierter, in rassistischer Form auch, in der Phantasie und Realität, denn besonders eine Figur, sie ist voller Psychopathie, böse, missgünstig und abstoßend.

Sommerjungs erzählt die Geschichte zweier Brüder Thadée und Zachérie, die von der Natur mit einer betörenden Attraktivität beschenkt sind. Beide surfen, scheinen ihre Jugend und Präsenz zu genießen, sich zu gleichen. Düstere Blitzlichter tauchen auf, die wir nicht einordnen können, Gewalt, eine versuchte Vergewaltigung, eine Störung im scheinbar perfekten Paradies. Thadée, der ältere, surft in La Réunion, Zachérie, der jüngere ist zu Besuch. Da passiert es, der Fall aus dem Paradies, der Bevorzugung, dem Denken, sich alles nehmen zu können, ja, ein Recht darauf zu haben. Thadée wird von einem Hai erfasst und verliert ein Bein.

Die Erzählweise ist multiperspektivisch, beginnt mit der Sicht der reichen, satten Eltern in Biarritz, ihrer Ambivalenzen und Brüche, ihrer Vergötterung der beiden Söhne. Von außen betrachtet, bringt der Verlust des Beines das gesamte Umfeld in eine Krise. Thadée zieht sich verbittert zurück, verliert sich im Internet, Verschwörungstheorien und den Identitären. Die Mutter und der Vater bringen Opfer um Opfer, doch sie sind gezeichnet. Zachérie hat sein Idol verloren und stürzt in eine hintergründig tiefe Traurigkeit. Seine Freundin Cindy betrachtet es wütend, zieht ihre Schlüsse. Die kleine Schwester Ysé, wirkt weise, seltsam unbeteiligt. Und es gibt Anouk, die scheinbar schwache, begehrliche weibliche Figur, die sich wandeln wird. Alle Figuren wandeln sich mit den Perspektiven und im Verlauf der Geschichte.

Es passiert noch Schlimmeres, was genau, sei in diesem spannungsgeladenen, Plot-getriebenen Pageturner nicht verraten.

Bewertung vom 25.05.2022
Durch Mauern gehen
Abramovic, Marina

Durch Mauern gehen


ausgezeichnet

Diese Autobiografie hat mich überrascht, gefordert, beschäftigt, berührt. Ich war voll von dieser Frau, eingenommen, verliebt, inspiriert, erschöpft, ja erschöpft.

Abramović verhandelt in Durch Mauern Gehen die wichtigen Stationen ihres Lebens und ihrer Kunst. Sie ist dabei uneitel, direkt, offen, reflektiert, sie hinterfragt. Die Werke werden in ihrer Entstehung und Durchführung ausführlich beschrieben, in Abbildungen gezeigt. Abramović teilt dabei privatpersönliches, zeigt Bezüge auf. Sie glaubt an die Energie, das Schicksal, die Spiritualität.

Es gibt drei Marinas, schreibt sie selbst, die Kriegerin, die Spirituelle und die Jammertante. Die zarte, verletzte und verletzliche Marina, ich möchte sie umarmen, mag sie am liebsten, diese Jammertante. Sie ist dabei direkt, fast durchdringend, pur, und inspirierend, schon als Kind. Die Kriegerin fasziniert mich, sehr. Abramović arbeitet mit und gegen ihren Körper. Sie ist der Schmerz, sie überwindet ihn, setzt sich durch, ist stark, einsam, dabei kraftvoll, intensiv, viel, viel, viel. Sie findet Gefährten, verliert sie, fällt wieder in die zarte Verletzte, macht sich wieder stark.
Die Spiritualität gibt ihr Bodenhaftung, richtet sie aus, auch hier ist Abramović eine rastlose Suchende voller Energie. Sie wird es bleiben, bis sie aus diesem Leben scheiden wird. Eine Performance ihrer Beerdigung hat sie schon geplant.

Bewertung vom 25.05.2022
Wie man mit einem Mann unglücklich wird
Herzberg, Ruth

Wie man mit einem Mann unglücklich wird


ausgezeichnet

Ruth Herzberg, du hast es drauf. Du kannst gute Unterhaltung, du kannst direkte, schonungslose Frauenfiguren, die fertig sind, sarkastisch und ja, manchmal auch erbärmlich. Warum gibt es das so wenig, solche Frauenfiguren meiner Generation, meines Alters? Frauen, die nichts auf die Reihe bekommen, die Daten, trinken, rumhängen, die irgendetwas hinterherlaufen und etwas anderes finden.
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Deine Protagonistin, ich liebe sie und ich feier sie. Denn in ihrem dahinleben ist sie cool. Sie sucht Sex, Liebe, eigentlich weiß sie es genau, sie fällt auf die Nase. Aber dabei belässt sie es nicht. Sie redet sich alles schön, hält fest an einem Mann, den sie loslassen sollte. Manchmal hat sie aber Spaß dabei, ist zutiefst sexuell befriedigt.
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Mir gefällt sehr, dass die Geschichte nicht dabei stehen bleibt, den Finger auf die bösen Männer zu richten, auch wenn es egoistische, lieblose, einfach blöde Männer sind, die wir als toxisch lesen können. Eigene Anteile werden entlarvt, die Idealisierung der Verliebtheit, die Abwertung, die romantischen giftigen Bilder.
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Es ist zum Lachen, zum Nein schreien und es ist zum sich erwischt fühlen, denn ich bin mir sicher, das eine oder andere hat jede von uns schon gedacht und gemacht.
Natürlich nicht genau so und vielleicht auch nicht so zugespitzt.
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Fühlt euch bitte alle angesprochen, die schon einmal unglücklich verliebt waren und es nicht einsehen wollten. Egal, wer ihr seid, wie ihr lebt, wen ihr begehrt. Singlegroßstadtfrauen in freien sog. Kreativberufen, kinderlos, heterosexuell, ihr habt hier das größte Match.
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Ach Ruth Herzberg, schreib doch mal Wie Man Mit Einem Mann Glücklich Wird, oh halt, das hast du schon. Ich hab es nicht gelesen, aber ich freue mich, ein wohlgefälliges Allheilversprechen wird das auch nicht sein.

Bewertung vom 25.05.2022
du, alice
Scharbert, Simone

du, alice


ausgezeichnet

Hier fließen die Gedanken der historischen Figur Alice James in eine lyrische Erzählung. Alice lebt im Epizentrum der intellektuellen Eliten, sie ist reich, sie ist die Schwester von Henry James, seine Vertraute. Sie ist die Schwester von William James, der wichtigen Gründungsfigur der Psychologie. Alice lebt in der neuen und in der alten Welt. Und trotzdem, der Platz als Frau, er ist zu eng.

Alice ist eine Frau, die sich nicht fügt, sich nicht fügen kann, die nicht heiratet, tiefe Krisen hat, extravaganten Behandlungen unterzogen wird. Alice drängt es zur Bildung, zum Lesen, zum Schreiben. Sie pflegt intensive Freundschaften mit starken Frauen, die sie vielleicht auch begehrt. Alice ist Teil der frühen Frauenbewegung. Die Todessehnsucht besucht sie immer wieder. Als sie schwer krank wird, heißt die Erkrankung willkommen.

Alice findet ihren Ausdruck der Literatur, in der berührenden und klugen Literatur, die sich mit Simone Scharberts Text ihren Weg bahnt, bis zu uns. Simone Scharbert kann schreiben, dichten und die Geschichte von Alice erzählen, dass sie uns nahe kommt, ganz dicht und wir zur gleichen Zeit aus der Ferne ihren Werdegang im heutigen Lichte betrachten.
Wir folgen dem Stream of Conciousness, streifen sie in den wichtigsten Stationen ihres Lebens, wir fühlen uns ein in ihre Sehnsüchte, in ihre Wut, in ihre Verzweiflung, in ihr Wollen. Der kluge Inhalt, der Klang, die Musik in der Sprache, sie brachten mir einige Stunden Ruhe, Harmonie und Anregung.

Bewertung vom 26.03.2022
In all deinen Farben
Babalola, Bolu

In all deinen Farben


sehr gut

In all deinen Farben von Bolu Babalola provoziert mit seinem Schwelgen und Feiern der Liebe, des Begehrens und jener intensiven Verbindung zwischen zwei Menschen, die magisch, überweltlich ist, den Körper elektrisiert und der Seele Ruhe gibt.

Beschäftigt sich die Gegenwartsliteratur, die mich anzieht, eher mit Abgründen, sucht die Lakonie und Nüchternheit, trieft dieser Text, traut sich blumig zu sein, schreckt vor Pathos und auch Kitsch nicht zurück.

In all deinen Farben vereint dreizehn Geschichten zeitlos oder in die Gegenwart hinein geschrieben. In den Erzählungen kommen Frauen zu Wort, sie sprechen über die Liebe und das Begehren. Sie bewegen sich auf dem schmalen Grat zwischen Kitsch und Liebe, kippen mal in die eine, mal in die andere Richtung.

Jeder Figur liegt eine Quelle zugrunde, eine mythologische Geschichte oder Fragmente davon. Dabei wandert Babalola rund um die Welt. Den darunter liegenden Originalgeschichten wohnt oft eine Tragik und ein Opferstatus der weiblichen Figuren inne. Dies dreht Babalola um, ihre Frauen sind Handelnde und sich ihrer Stärke sehr bewusst, was nicht gleichbedeutend damit ist, dass ihre Lieben ein glückliches Ende nehmen.

Ja, es ist Unterhaltungsliteratur, ja, die Autorin ist jung, Influencerin, Twitterstar. Ja, ich vermute leider, dass die Übersetzung ihren Sound nicht ganz getroffen hat.

Wenn du keine Angst vor der Liebe, vor dem Schwelgen, Kitsch, der Unterhaltungsliteratur und Spaß an Mythologie hast, sei dir In all deinen Farben empfohlen.

Bewertung vom 26.03.2022
Revolutions: Wie Frauen auf dem Fahrrad die Welt veränderten
Ross, Hannah

Revolutions: Wie Frauen auf dem Fahrrad die Welt veränderten


ausgezeichnet

Revolutions. Wie Frauen auf dem Fahrrad die Welt veränderten ist ein Pedaltritt durch die Geschichte der Emanzipation. Fahrradfahren war ganz und gar nicht selbstverständlich für Frauen.

Im späten 19.Jahrhundert nahm das Fahrrad Einzug in Europa und es schickte sich nicht, als Lady aufzusteigen. Und doch oder gerade deshalb gab es sie, die revolutionären Pionierinnen. Später wurde die Bewegung breiter und das Fahrrad erreichte fast Alle. Für Großbritannien gilt laut Autorin immer noch, dass das Rad mehrheitlich männlich besetzt ist und ja, so war auch meine Wahrnehmung dort. Für Deutschland - besonders Bremen - ist meine Beobachtung, dass für die simple Fortbewegung mehrheitlich Frauen zum Fahrrad greifen. Anders sieht es jedoch beim Radsport in der Breite und im Profibereich aus. Ja, und der Rennrad-Fetisch der Fahrrad-Freddie's, so taufte ich sie mal, nein es war meine Freundin Alisa, ist ein mehrheitlich männliches Phänomen.

Revolutions wäre zu dick geworden, aber wie passend wären Illustrationen und Bilder gewesen. Ist das Fahrrad nicht eins der fotogensten Objekte überhaupt?

Revolutions ist ein Buch zum Blättern, stöbern, sich gut fühlen, es informiert und es ist ein politisches Buch. In den weltbewegten und betrübenden Zeiten, tut es gut, von einer positiven Entwicklung zu lesen, nein zuende ist sie noch nicht.

Ich lege euch Revolutions ans wilde freie Fahrrad-Herz.

Bewertung vom 26.03.2022
heute graben
Schlembach, Mario

heute graben


ausgezeichnet

Heute Graben hat eine große Buchliebe in mir entfacht. Es ist bis jetzt der beste Roman, den ich in diesem Jahr gelesen habe.

Es trifft einen Ton, der mich lächeln lässt, nicht auf eine hohle Art. Sprachlich verströmt Heute Graben eine leichtfüßige Melancholie. Es handelt von dem nicht Ankommen, der Unruhe und der Poesie, die dem Leben innewohnt.

Ein Totengräber sucht die Liebe. Er verliert sich in der Sehnsucht nach seiner ersten Liebe, läuft ihr hinterher und spinnt sie immer weiter.
Der Totengräber erzählt, monologisiert. Er beobachtet und kommentiert sich, versucht sich schreibend zu erretten. Er traut sich nicht über den Weg, verliebt sich in die Verliebtheit, kommt nicht darüber hinaus. Der Totengräber vergisst, verklärt, wandert rastlos weiter, bleibt einsam, beziehungslos und voll von Träumen, Illusionen und Poesie.
Der Totengräber vergräbt sich immer weiter in sich selbst. Abgesehen von sexuellen Begegnungen, mal romantisch verklärt, mal tragisch nüchtern, geht er keine Beziehungen zu anderen Menschen ein, auch nicht zu den Toten und Trauernden.

Bald wird er das Unternehmen seines Vaters beerben, er versucht sich an einem Buch und dreht sich schwindelerregend um sich selbst. Es befällt ihn die gleiche Lungenkrankheit, die Thomas Bernhardt heimsuchte, Morbus Boeck, Sarkoidose; ein Zeichen und die Möglichkeit große Literatur zu erschaffen, verdenkt sich der Totengräber. Die Krankheit selbst versucht er zu ignorieren, doch sie nimmt ihn immer mehr ein und verschlingt ihn fast.

Der Totengräber ist in seiner heiteren Tragik eine Figur, die man liebhaben muss. Die Poesie und seine Idee der Liebe lässt ihn den Wirklichkeiten entfliehen und trotz des Kampfes gegen Krankheit und Medikamente lebendig sein. Graben wir etwas tiefer, nur eine kleine Schicht, kommen wir an existenzielle Themen der Beziehungen des Menschen zu sich selbst und zu Anderen, der Einsamkeit, der Sprache, der Literatur, des Sinns.

Dies ist ein Buch für alle, die sich schon einmal selbst das Herz gebrochen haben, für verhinderte Poetinnen und Dichter.

Bewertung vom 26.03.2022
Singe ich, tanzen die Berge
Solà, Irene

Singe ich, tanzen die Berge


sehr gut

Singe ich, tanzen die Berge ist eine vielstimmige, bunte, laute und fruchtbare Wucht. Der Text pustet Farben und Musik. Gewitter bricht das Paradies, das Paradies bricht die Berge, Pilze werfen Sporen, Bären wüten, Menschen lieben, leiden, zornen. Hier ist Poesie in der Luft.

Die Geschichten bewegen sich zwischen Phantasie und Wirklichkeit, Märchenhaft, Sagenhaft. Die Sprache ist rasend schnell, fast atemlos, erschöpfend.

Mittelpunkt der Geschichten ist eine Familie in einem katalanische Dorf in den Pyrenäen, dachte ich zuerst, bis ich verstand, die Menschen und Geschichten sind Nebenfiguren, es geht um niemanden direkt, sondern um die Natur, den Ort, wie er gleich bleibt über die Zeiten hinweg und sich bewegt, verändert.

Singe ich, tanzen die Berge choreographiert unterschiedliche Perspektiven und Zeiten. Die Gezeiten, die Pilze, die Bären, der Wald, die Berge, die Menschen und vieles Anderes kommt zu Wort.
Ein Chor, las ich irgendwo. Nein, als Chor habe ich die vielen Stimmen nicht empfunden.
Es ist eher eine moderne experimentelle Komposition, mit lärmigen, knalligen Stimmen, leisem murmelndem Flüstern, Grummeln, knallen, alles zusammen angefüllt, poetisch, auf eine blumige, üppige, manchmal schieftönige Weise.

Unheimlich, der @trabantenverlag scheint alles richtig zu machen, das Buchdesign, die Wahl des Textes, die charismatische Autorin, die Schnittstelle zwischen Poesie und Gegenwartsliteratur.

Insbesondere Menschen, die Märchen und Sagen lieben, die Poesie, die üppige, blumige Poesie und die Experimenten in der Literatur offen gegenüber stehen, sei dieser Schatz ans Herz gelegt.

Bewertung vom 26.03.2022
Aus einer Zeit
Zech, Maximilian

Aus einer Zeit


ausgezeichnet

»Verloren gehen, das ist etwas Lautes, Theatralisches, das vor aller Augen passiert. Abhandenkommen aber bedeutet: lautlos, unbemerkt verschwinden, ohne dass es irgendjemanden kümmert. «

Aus einer Zeit ist ein ruhiger melancholischer Roman über das Unbehagen und die Einsamkeit.

Mathias Bode ist in der Mitte seines Lebens, in der Mitte Deutschlands, in der Mitte und doch allein. Mathias, Oberarzt und heimlicher Lyriker, nimmt eine beobachtende Position zum Leben ein. Er wähnt sich immer im außen. Einzig einigen Patient:innen fühlt er sich nahe. Auf einer onkologischen Station arbeitet er, der ideale Ort, existenziellen Fragen nachzuhängen.

Matthias findet den Impuls aufzubrechen, er möchte abhanden kommen. Mit seinem alten Auto steuert er gen Süden und landet in Bayern, der Heimat seines Großvaters, trifft seine große Liebe wieder und findet zu seinen Gefühlen. Leise und fast unbemerkt baut sich Intensität auf und die Figur beginnt eine starke Bindung zur Leser:in auszulösen. Nein, es löst sich nicht in Wohlgefallen auf, soviel sei verraten. Dennoch müssen wir uns Mathias als einen glücklichen Menschen vorstellen.