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Benutzername: 
Hennie
Wohnort: 
Chemnitz

Bewertungen

Insgesamt 263 Bewertungen
Bewertung vom 10.10.2019
Tagebuch meines Verschwindens / Profilerin Hanne Bd.2
Grebe, Camilla

Tagebuch meines Verschwindens / Profilerin Hanne Bd.2


ausgezeichnet

HINTER DER FASSADE...
Nach Band 1 „Wenn das Eis bricht“ konnte mich auch der Nachfolger überzeugen.

Der Handlungsort ist dieses Mal nicht das hauptstädtische Stockholm, sondern ein hinterwäldlerischer, vergessener Ort namens Omberg. Die wenigen verbliebenen Bewohner fühlen sich alleingelassen und benachteiligt, nachdem alle Unternehmen geschlossen wurden. Ausgerechnet hier in der trostlosen Einöde, wo vor Jahren das Skelett eines kleinen Mädchens gefunden wurde, liegt nun an der gleichen Stelle eine tote Frau.
Peter, der Kommissar aus der Hauptstadt ist spurlos verschwunden und seine Lebensgefährtin, die Profilerin Hanne erinnert sich an nichts. Steht der cold case mit den neuen Vorgängen in Verbindung? Schließlich kommt die erbarmungslose Wahrheit ans Licht. Das geschieht weniger durch die Ermittlungen der Soko mit der aus dem Örtchen stammenden jungen Polizistin Malin, sondern vielmehr durch das Tagebuch von Hanne, die an Demenz erkrankt ist, und dem Teenager Jake...

Die Handlung wird durch die beiden Protagonisten Malin und Jake getragen. Beide berichten abwechselnd aus der Ich-Perspektive. Dazu kommt Hanne gegen Ende des Buches in einigen Kapiteln zu Wort. Ich konnte es kaum erwarten die Sichtweise des jeweils Anderen weiterzulesen. Die Erzählstränge sind detailreich und vielschichtig. Camilla Grebe zieht den Leser unaufhaltsam in die Geschichte hinein. Sie schreibt packend, regelrecht elektrisierend mit viel Einfühlungsvermögen, vor allem von den Befindlichkeiten des sehr jungen Protagonisten Jake. Die Autorin läßt Malin ihr bisheriges Leben reflektieren. Das ergibt sich für die junge Polizistin zwangsmäßig, nachdem sie sich berufsbedingt mit den vertrauten Menschen in ihrem Heimatort beschäftigen muss.
Der Psychothriller befaßt sich intensiv mit den Bewohnern von Omberg und ihren Beziehungen untereinander in Gegenwart und Vergangenheit. Eine große Rolle spielt das Flüchtlingsheim mit seinen Insassen in dem kleinen Ort und gibt immer wieder Anlaß für gehässige Diskussionen, kleinere Reibereien und fiese Provokationen. Nach jahrelangem Schweigen kommen die grausamen Details der Verbrechen ans Licht und fügen sich puzzleartig zu unvorstellbaren Ereignissen, bis es eskaliert.
Geschickt behält Camilla Grebe die Handlungsfäden in der Hand, verwebt sie, legt verwirrende Spuren. Sie zeichnet Charaktere, die einen tiefen, realistischen Wahrheitsgehalt haben. Sie beschreibt sie plastisch, lebendig. Die Zusammenhänge werden am Ende klar und deutlich, wie schon im Vorgängerband.

Fazit:
Das Buch besticht durch die akkurate, intensive Zeichnung der authentischen Charaktere. In unaufgeregter, ruhiger Erzählweise mit einem wunderbaren Gefühl für die Sprache wurde ich durch das Geschehen geführt. Ein Geschehen, das Gesellschaftskritik enthält, von Trostlosigkeit, fehlenden Perspektiven, Resignation und geradezu gähnender Langeweile zeugt. Es ist eine Chronik der Schuld, des Vertuschens, Verschweigens, der Verdrängung und von Realitätsverlust auf Täterseite, aber auch die anderen Personen haben guten Grund sich mit den Themen auseinander zu setzen.
Ein handwerklich ausgefeilter Thriller! Allerdings nichts für Leser, die an ständigen Actions und grausamsten Details bei den Ermittlungsarbeiten interessiert sind.

Für mich ein bemerkenswertes Leseerlebnis. Dafür von mir fünf von fünf Sternen!

Bewertung vom 08.10.2019
»Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten« und »Einladung zum Klassentreffen« (eBook, ePUB)
Schörle, Martin

»Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten« und »Einladung zum Klassentreffen« (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

EIN SKURRILER BEAMTER UND DAS REALE LEBEN
Ich erhielt durch den Autor Martin Schörle die Möglichkeit seine beiden Werke „Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten“ und "Einladung zum Klassentreffen" kennenzulernen. Vielen herzlichen Dank dafür!

Hans Fredenbek, ein verheirateter Beamter der gehobenen Laufbahn in den Endvierzigern ist der Protagonist des ersten Theaterstücks. Hier karrikiert der Autor seinen Bürohelden ganz gewaltig. Er stellt diesen Menschen dar, wie er sich immer mehr in seiner eigenen Gedankenwelt heillos verstrickt, ja regelrecht verheddert. Es beginnt mit einem Radiergummi, der auf Fredenbeks Schreibtisch nicht mehr auf mit einem Kreuz markierten Fleck liegt. Oh Schreck, er ist überhaupt nicht mehr da! Daraus folgt ein sehr langer Monolog, der mit dem fehlenden Radiergummi beginnt über die Qualität von verschiedenen Radiergummis führt und warum es der sein muss, der nun nicht mehr auf der vorgeschriebenen Stelle liegt. Daraufhin gehen die Selbstgespräche des Herrn Fredenbek immer weiter und lassen kein Thema aus. Kreuz und quer. Hin und her. Er kommt von Höckchen auf Stöckchen. Durch die Reaktion seiner Frau am Ende des Stücks wird folgerichtig dargestellt, wie weit Fredenbek sich vom realen Leben entfernt hat und er in seiner eigenen Welt existiert.

Man braucht viel Konzentration beim Lesen dieses Einpersonenstückes. Ich las auf ebook (was sich für mich vom Print doch sehr unterscheidet) und es war für mich strapaziös den heftigen Gedankensprüngen zu folgen. Die feinen Nuancen der Komik gehen durch die Vielzahl der wortgewaltigen Sätze fast unter. Fredenbek fand ich pingelig, pedantisch, sehr eigenbrötlerisch, aber auch witzig, skurril und die meiste Zeit nervig.

Die „Einladung zum Klassentreffen“ gefiel mir allerdings ein Ticken besser. Carsten lädt 20 Jahre nach dem Abitur zum Klassentreffen ein. Er führt mit seiner Jugendliebe Marina ein aufregendes telefonisches Gespräch. Dabei sitzt sie in der Bahn und die Mitreisenden nehmen regen Anteil. Die Dialoge gefielen mir sehr und ich kann mir dieses Stück hervorragend auf der Bühne vorstellen.
Allerdings könnte ich mir beide Werke besonders gut im Kabarett vorstellen, im Theater weniger. Die Stücke leben meiner Meinung nach mehr von der Mimik und Gestik und sollten unbedingt von komödiantischen Schauspielern dargestellt werden, als Lesematerial verpufft vieles.

Martin Schörle hat sehr viele tolle Einfälle in doppelsinnigen Anspielungen ausdrucksstark verarbeitet. Sein Schreibstil ist pointiert und genau auf den Punkt, wie es für das Genre notwendig ist. Die Wortschöpfung „Jenachdemiker" im ersten Stück finde ich genial, ebenso VBB = Vollkommene Beamtenbefriedigung und vieles mehr.
Als humoristische Sketche sind beide Werke für jede Bühne eine brillante Bereicherung.

Ich fühlte mich gut unterhalten und bewerte mit fünf von fünf Sternen.

Bewertung vom 03.10.2019
Zimmer 19 / Tom Babylon Bd.2
Raabe, Marc

Zimmer 19 / Tom Babylon Bd.2


ausgezeichnet

DIE OMINÖSE ZAHL 19
Von Beginn an war ich wie bei „Schlüssel 17“ auch hier vom fesselnden Geschehen gefangen genommen. „Zimmer 19“ beginnt im Prolog dramatisch mit einem riesigen Eklat bei der Eröffnungsveranstaltung zur Berlinale. Statt eines harmlosen Erstbeitrags wird dem größtenteils prominenten Megapublikum ein grausamer Mord vor laufender Kamera an einem jungen Mädchen gezeigt. Das ist der Anlaß, um die bewährte Soko Dom des LKA Berlin wieder zu aktivieren, mit den Hauptakteuren Tom Babylon und der Psychologin Sita Johanns.
Tom wird aus einer sehr persönlichen Situation mit seinem kleinen Sohn gerissen und zum Einsatzort gerufen. Zudem erhält man schon erste Einblicke in sein Seelenleben, in die Schuldgefühle, die ihn noch immer quälen wegen seiner vor 20 Jahren spurlos verschwundenen Schwester Viola, genannt Vi. Es gibt in dem neuen Fall viele Beziehungen, Zusammenhänge, die in die Vergangenheit reichen und die verschiedensten Personen miteinander verbinden. Die Zahl 19 spielt dabei eine entscheidende, tragische Rolle!

Der Thriller besteht aus Prolog sowie 74 kurzen Kapiteln, die gekennzeichnet sind mit Ort, Datum und Uhrzeit. Sie enden zumeist an der spannendsten Stelle, um darauf an einem anderen Ort weiterzugehen. Das ist ein äußerst geschickter Spannungsaufbau!
Auf 510 Textseiten entwickelt Marc Raabe eine so komplexe Erzählstruktur, die mich wie gebannt am Lesen hielt. Die Abschnitte sind sowohl für den Gegenwartsverlauf wie auch für die Rückblenden in den August 2001 auf einer gesonderten Seite gekennzeichnet. Es beginnt Mittwochnacht über Donnerstagnacht, Freitag zum Samstag, Sonntag. Wenige Tage nur, in denen viel Ungeheuerliches passiert. Handlungsort ist Berlin, aber in verschiedenen Bezirken der Großstadt, auch mal in den Außenbezirken (Stahnsdorf) und in einer Ausnahme Potsdam.
Die Schauplätze wechseln also in kurzen Kapiteln. Die Personen behielten aus „Schlüssel 17" ihre Besonderheiten und werden hier weiter entwickelt. Immer wieder wird in Sitas schlimme Vergangenheit zurückgeblendet. Das machte es für mich nochmal vertrackter. Wie paßt das Gestern zum Heute? Ich war ständig am Grübeln, glaubte Zusammenhänge erkennen zu können und lag dann doch wieder daneben. Die junge, willensstarke Frau gehört gemeinsam mit Tom zu meinen Lieblingsfiguren. Der leitende Ermittler Joseph Morten, genannt Jo, war mir in Band 1 suspekt – seinen Charakter, so wie er agierte, vor allem gegen Tom, mochte ich nicht. Hier hat sich das angespannte Verhältnis zwischen den Beiden etwas gewandelt, obwohl ich Jo immer noch nicht sympathisch finde. Vielleicht ändert sich das noch!?

Für mich war es immer nachvollziehbar, wie der Autor die unheil- und verhängnisvollen Ereignisse aus der Vergangenheit mit der Gegenwart in Verbindung brachte.
Das spektakuläre, unglaubliche Geheimnis um Zimmer 19 wurde am Ende gelüftet, aber neue gravierende Geheimnisse wurden aufgetan! Das läßt mich mit ungeheurer Neugier und Spannung auf Band 3 warten.

Fazit:
Ich mag den klaren, treffenden Schreibstil, die gut gesetzten Dialoge. Mit den unterschiedlichsten Charakteren kam ich sehr gut zurecht, da ich auch bereits den ersten Teil gelesen habe.
„Zimmer 19" ist ein Thriller der Extraklasse, der immer dicht am Geschehen bleibt und die Spannung stets aufrecht erhält bis zum Schluß. Er erfüllt alle Ansprüche, die ich an dieses Genre stelle. Ich finde es genial, wie Marc Raabe sämtliche Fäden der Handlung vereinigt und seine authentischen Figuren in einen logisch nachvollziehbaren Kontext bringt.

Ich erlebte sehr unterhaltsame Lesestunden. Von mir gibt es die Höchstbewertung und eine unbedingte Lese-/Kaufempfehlung.

Bewertung vom 26.09.2019
Ein neues Blau
Saller, Tom

Ein neues Blau


sehr gut

DIE WÄHRUNG DES LEBENS
Der Roman "Ein neues Blau" wird im wesentlichen bestimmt durch die Lebensgeschichte der Lili Kuhn, die 1912 in Berlin zur Welt kommt. Der Vater Jakob ist Jude, die Mutter Charlotte Christin. Doch der Glaube spielte keine Rolle. Sie führen eine kurze glückliche Ehe bis Charlotte 1919 an der Spanischen Grippe verstirbt. Lili wächst zwar in wohlhabenden Verhältnissen auf, aber anders als die große Mehrheit. Sie lebt mit ihrem Vater, dem japanischen Geschäftsfreund Takeshi, der preußisch-jüdischen Haushälterin und dem Hund namens Hund (Bezug zum Cover) zusammen.
Lili hat lange Zeit große Probleme wegen der Selbstfindung. Sie meint alles nur halb zu sein, nirgendwo richtig dazu zu gehören.

[S. 135] „Sie ist weder Jüdin, noch Christin; ebenso wenig Japanerin...Sie ist ein Kind ohne Mutter. Tochter mit einem abwesenden Vater. Ihr Halbsein macht sie aus. Aber strebt nicht jeder Mensch nach Ganzwerdung?“

In der Folge ihrer Entwicklung findet sie durch einen glücklichen Zufall ihre Bestimmung in der Welt des Porzellans. Diese bleibt ihr ständiger Zufluchtsort. Sie gibt ihr Ruhe und Frieden, die innere Sicherheit.
Die Lebensgeschichte Lilis erfährt der Leser durch die Rahmenhandlung, die 1985 in Berlin spielt und durch die junge Anja Hermann vertreten wird, die dasselbe Gymnasium wie Lili besucht. Das natürlich zu unterschiedlichen Zeiten! Ihr Lehrer vermittelt die Schülerin zu der alten Dame, um ihr etwas Gesellschaft in ihrem Alleinsein zu leisten. Die Annäherung der Beiden erfolgt zögerlich und es gibt im Verlauf des Buches nur wenig Berührungspunkte zwischen ihnen. Leider wird sehr wenig über Anja und Lili berichtet, wie sie einander näher zu kommen scheinen. Dabei hat das junge Mädchen gerade eine ziemlich schwierige Phase in ihrem Leben durchzustehen. Das wurde, so finde ich, im Gegensatz zu vielen anderen Themen nicht genügend herausgearbeitet.
Auf der anderen Seite führt der Autor Tom Saller den Leser bilderreich und ausdrucksvoll durch verschiedene zeitgeschichtliche Inhalte (angefangen bei Friedrich dem Großen – seine Lieblingsfarbe war bleu mourant, daher der Titel des Romans), durch Kulturen und Religionen, thematisiert das Judentum, die Welt des Porzellans und die Kunst der japanischen Teezubereitung. Er zeigt das Leben der Halbjüdin Lili zwischen Tradition und Moderne, wobei das Private zwar berührt, aber irgendwie auf Distanz bleibt. So war mein Empfinden!

Das Buch beinhaltet die lebendige Schilderung der Zeit durch das Leben der Lili Kuhn mit den vielen Schicksalschlägen, ihren Schuldgefühlen, den furchtbaren Ereignissen der Nazizeit, die Flucht ins USA-Exil, die Rückkehr nach Deutschland. Dabei trifft man auf historische Persönlichkeiten wie dem Direktor der KPM, Baron Günther von Pechmann, und bedeutende Künstler wie Marguerite Friedländer, Erwin Hahs, Gerhard Marcks, Hans Finsler.

„Ein neues Blau“ ist eine unterhaltsame Erzählung über einen bewegten Teil deutscher Geschichte, die durch die Geburt der Eltern von Lili etwa ab Ende des 19. Jahrhunderts beginnt und 1985 durch das Aufeinandertreffen von Lili und Anja endet.

Ich empfehle das Buch und bewerte mit vier von fünf Sternen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.09.2019
Die Stille des Todes / Inspector Ayala ermittelt Bd.1
Garcia Saenz, Eva

Die Stille des Todes / Inspector Ayala ermittelt Bd.1


ausgezeichnet

DIE STEINERNE DARSTELLUNG DES LIEGENDEN PAARES
Nachdem ich im Dezember 2018 nach einem Manuskripttest noch unter dem Arbeitstitel „In den Armen des Todes" schon mal in diesen Thriller hineinlesen konnte, habe ich nun "Die Stille des Todes" komplett gelesen. Das sind immerhin 552 Textseiten in 52 Kapiteln, die mich in Spannung hielten bis zum Schluß.
Das Interessante an dem Buch: Es beginnt im Prolog mit dem Ich-Erzähler, der eigentlich schon tot ist. Der Polizist mit der Kugel im Hirn. Ist er am Ende tatsächlich tot? Oder ist das ein Kunstgriff der Autorin? Diesen Fakt ständig im Hinterkopf behaltend, las ich aufmerksam, um nichts zu verpassen. Die Klappentexte verraten ja (leider) immer schon viel zu viele Dinge. So las ich, dass die Doppelmorde („Es sterben immer zwei. Sie sind immer gleich alt. Und sie kennen sich nicht.“) der erste Fall für Inspector Unai López de Ayala, genannt Kraken, sind. Also, so schlußfolgere ich, wird er das Ganze dann doch überleben!
Die Mordserie, die vor 20 Jahren begann und mit zwei 15jährigen endete, setzt sich nun kurz vor dem Hafturlaub des Täters fort. Wie kann das sein? Hatte man den falschen Mann verurteilt oder steht er mit jemandem in Verbindung, der nach seiner Anleitung weiter mordet? In der Kathedrale von Vitoria wird ein totes Paar in der exakt gleichen Situation, Anordnung aufgefunden wie damals und sie sind 20jährig. Es geht also weiter mit den grausamen Morden!

Der ganze Handlungsaufbau ist sehr spannend und gut durchdacht mit dem Rückgriff auf die Vergangenheit und den Personen. Wir befinden uns zum einen in der Gegenwart und zum anderen um 1969/1970.
Ich hatte viele Fragen, die mir alle beantwortet wurden. Die Frage nach dem realen Namen des Mörders deckte die Autorin erst ziemlich zum Schluß auf und schaffte ziemliche Verwirrung bei den Personen, die ihn kannten. Durch die Art und Weise der Erzählung befand ich mich als Leserin im Vorteil gegenüber den Ermittlern. Zum Beispiel die Motivation des Mörders, die Ursachen, Hintergründe für die Durchführung, für den immer gleichen Ablauf seiner grausamen Mordserien wird anschaulich dargestellt. Die Charaktere sind differenziert, vielschichtig angelegt mit ihren Stärken und Schwächen. Da sind die Zwillinge Tasio und Ignacio, die Polizistinnen Esti und Alba, der kleinwüchsige Germán, aber auch viele Nebenfiguren, die mir authentische, menschliche Regungen nahebringen konnten. Der Großvater des Polizisten Unai ist meine Lieblingsgestalt und ich wünsche mir sehr, dass dieser urwüchsige, tatkräftige, lebenstüchtige und pragmatische 94jährige die Trilogie überlebt.

Der Fokus liegt nicht auf der Beschreibung der Gewalt, sondern auf dem Umfeld. Historie, Traditionen spielen eine wesentliche Rolle!

Eva García Sáenz führte mich mit ihrem Thriller so ganz nebenbei durch ihre wunderschöne Heimat mit seinen Sehenswürdigkeiten. Man spürt in der Beschreibung des Baskenlandes mit der Hauptstadt Vitoria die tiefe Liebe, nicht nur zu den Schönheiten dieses Landstrichs, sondern auch zu den Menschen.
Ich freue mich auf die weiteren Bände „Ritual des Wassers“ (erscheint im Oktober 2019) und „Die Herren der Zeit" (erscheint im März 2020).

Ich kann das Buch empfehlen, weil es die Kriterien eines Thrillers voll erfüllt. Ich wurde sehr gut unterhalten und nebenbei weitergebildet. Deshalb gibt es von mir die Höchstbewertung!

Bewertung vom 20.09.2019
Es wird Zeit
Kürthy, Ildikó von

Es wird Zeit


gut

JUDITH ROGGE IN DER MIDLIFE-CRISIS
Ich kann leider nicht in den allgemeinen Tenor der größtenteils euphorischen Zustimmung zum Inhalt des Buches einstimmen.
„Was soll jetzt noch kommen?" So fragt sich Judith Rogge, bald 50, Zahnarztgattin aus Wedel bei Hamburg, drei erwachsene Söhne, nach dem plötzlichen Ableben ihrer Mutter. Durch den Tod kommt sie wieder in ihre Heimat ins Rheinland zurück und wird mit der Zeit ihrer Kindheit und Jugend konfrontiert. Sie kümmert sich um die Beerdigung und um ihr Elternhaus, trifft nach 20 Jahren wieder auf ihre beste Freundin Anne, auf eine Jugendliebe und auf das Geheimnis, das sie streng gehütet hatte. Da sie sich eh schon in einer Midlife-Crisis befindet, tragen die Ereignisse dazu bei, dass plötzlich ihr Leben aus den Fugen zu geraten scheint...

Nach der Leseprobe wollte ich dieses Buch unbedingt lesen, weil die Zeilen so witzig, so interessant in einer lockeren, leichten Art des Erzählens daherkamen. Nun stellte sich heraus, dass die Textstellen (ab S. 131) mitten aus dem Buch stammten und ich mich bis dahin durch das ewige Jammertal der Judith Rogge kämpfen musste. Ich konnte mich überhaupt nicht mit der Hauptperson, der "übertherapierten Hausfrau“ [S. 319] in ihrer „handelsüblichen Partnerschaft“ [S. 175] identifizieren, obwohl ich noch um einiges älter bin. Was sind das nur für Probleme? Judith ist ein schwieriger Charakter und ihre larmoyante Art ging mir auf die Dauer auf die Nerven. Was hatte Judith eigentlich auszustehen? Sie kam mir vor wie eine Pubertierende in den Wechseljahren, dazu noch grenzenlos naiv. Zum Glück hatte sie solche Charaktere wie Anne, Martina, Erdal und nicht zuletzt ihren zugegebenermaßen etwas unterkühlten Ehemann Joachim an ihrer Seite.
Das Ende und der Epilog konnten mich begeistern. Das ist sehr einfühlsam geschrieben. Und für die bald 50jährige Judith wurde eine Lösung gefunden, die mir ebenfalls gefiel, und die ich als realistisch empfunden habe.
Einige Textstellen, die viel über die Hauptfigur Judith aussagen:
[S. 57] „Ich bin Rheinländerin, wir vertragen es nicht, wenn man uns die Wahrheit sagt.“ Die pragmatische Martina kritisiert Judith. Die will die Wahrheit aber gar nicht wissen, sondern getröstet werden.
[S. 64] Judith resümiert über die selbstbewußte, zielgerichtete Anne „Sie setzte sich Ziele, sie verfolgte Ziele, sie erreichte Ziele.“
[S. 77] Judith: „Ich brauche den sicheren Hafen. Ich habe Rückenschmerzen, Birkenpollenallergie, zwei wurzelbehandelte Zähne und entsetzliche Angst, allein zu sein, wenn es anfängt, wirklich bergab zu gehen.“

Ildikó von Kürthy schreibt gut. Ich habe an einigen Stellen geschmunzelt, manchmal auch laut gelacht. Gelangweilt habe ich mich nicht. Ich würde „Es wird Zeit“ als typischen Frauenroman bezeichnen. Jedoch ist es nicht meine Art der Lektüre.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.09.2019
Der Sprung
Lappert, Simone

Der Sprung


ausgezeichnet

SPRÜNGE INS LEBEN
FÜR MICH EIN LESEHIGHLIGHT 2019

Simone Lappert, eine junge Schweizerin, schrieb mit „Der Sprung“ ihren zweiten Roman. Das Debüt gab sie 2014 mit „Wurfschatten" (Metrolit, Berlin, 2014).

Das Geschehen spielt in einem fiktiven Städtchen namens Thalbach. Mit wunderbarer, realistischer Beobachtungsgabe schaute die Autorin mitten ins alltägliche Leben.
Die Hauptperson ist eine eigenwillige, junge Frau durch deren Tun der Ort in Aufruhr gerät. Ihre Liebe gilt den Pflanzen. Dafür beschreitet sie auch mal ungewöhnliche, nicht ganz legale Wege. Sie ist der direkte und indirekte Auslöser für die Handlungen einer Menge Menschen. Die Lebenslinien kreuzen sich für einen Tag und eine Nacht.
Das Besondere an diesem Roman ist für mich, dass er an einer einzigen Situation eine Kette von Ereignissen anschließen läßt, die die Schicksale von zahlreichen Personen betreffen. Die gewählte Erzählstruktur finde ich hervorragend, sie ist so außergewöhnlich wie detailreich.
Die Abschnitte sind in drei Teile gegliedert: Der Tag davor/ Erster Tag/Zweiter Tag. Das Buch hat nur 331 Textseiten. Der Leser wird in kurzen Kapiteln mit dem Polizisten Felix, der Schneiderin Maren, dem ehemaligen Hutmacher Egon, dem jungen Fahrradkurier Finn, dem obdachlosen Henry, mit der privaten Einzelhändlerin Theres, der dicklichen Schülerin Winnie, der ketterauchenden Edna, dem italienischen Edeldesigner Ernesto und mit der hoffnungsvollen Kommunalpolitikerin Astrid bekannt gemacht. Diese zehn Menschen stehen wiederum mit anderen in Verbindung, wobei ein ganz wichtiger Mittelpunkt die warmherzige, lebenserfahrene, schlagfertige Wirtin Roswitha in ihrem Café ist. Die Autorin hat das ganz geschickt aufgebaut. Es ist alles miteinander verflochten, irgendwie sind die Personen in sichtbarer/unsichtbarer Weise gemeinschaftlich verankert. Es entstehen Verkettungen, die nicht konstruiert erscheinen, sondern ganz natürlich im Verlaufe der Handlung passieren. Ich finde es einfach nur schön, wie die einzelnen Personen miteinander in Verbindung gebracht werden. Die Charakterisierung erfolgt so differenziert, dass man die Personen gut auseinanderhalten kann. Ich bin fasziniert wie die Autorin die Fäden in der Hand behält. Die pessimistische Grundstimmung zu Anfang des Romans wandelt sich zum Ende hin und zeigt Lösungsansätze auf.
Ich liebe solche Literatur, die aus vielen verschiedenen Perspektiven ein komplexes Ganzes zu ergeben scheint und doch vieles in der Schwebe läßt. Facettenreich werden Existenzen miteinander verwoben. Vergangenheit und Gegenwart verquicken sich.
Das Buch endet, wie kann es auch anders sein nach der kurzen Zeit, mit vielen ungeklärten Verhältnissen der handelnden Personen. Fast alles ist offen. Das Leben geht weiter, aber wie das bleibt der Fantasie überlassen.
Der Titel ist für mich nach der Beendigung der Lektüre doppeldeutig. „Der Sprung“ – SPRÜNGE INS LEBEN!?
S. 331 „Nie wollte sie in den Tod springen. Immer nur ins Leben.“

Das Cover zeigt eine Arbeit der Künstlerin Tina Berning – ein Porträt der „Störgärtnerin"?

Fazit:
Die Autorin erzählt Alltägliches und doch war ich recht bald gefangen in der Geschichte...
Es ist ein sehr umfassender Roman, prall mit Schicksalen gefüllt, die auch uns umgeben und die wir oft nicht wahrnehmen. Authentisch erzählt er von negativen wie positiven Themen, von Lebensträumen, Neubeginn, Mobbing, Existenzkampf, traumatischen Erlebnissen in der Kindheit/Beruf, Obdachlosigkeit, Verlustängsten, Affären, Krankheit (Demenz), Tod u.v.m.
Mit viel Scharfsinn, Witz und Optimismus zeigt die Autorin unsere Gegenwart, den Querschnitt der Lebenssituationen.
Ganz klar: von mir gibt es die Höchstbewertung und die unbedingte Lese-/Kaufempfehlung!

Bewertung vom 08.09.2019
Der Kastanienmann
Sveistrup, Søren

Der Kastanienmann


sehr gut

BRUTALE MORDE
Von allen Debüts, die ich 2019 las, war das vom „Der Kastanienmann" was mich am wenigsten überzeugte. Somit stehe ich schon mal kontrovers zu der Aussage des Aufklebers „Der Nr. 1 Bestseller aus Dänemark“ !
Der Autor Søren Sveistrup ist bekannt durch die Film-Reihe „Kommissarin Lund“.

Das Buch beginnt recht vielversprechend am 31. Oktober 1989, mit einer dichten, atmoshärischen Spannung, auf einem entlegenen Bauernhof. Dort findet der Polizist Marius Larsen ein blutiges Horrorszenario vor, einige mit der Axt erschlagene, tote Menschen und einen schwerverletzten Jungen. Er ruft nach Verstärkung, die er selbst nicht mehr erleben wird...Danach befinden wir uns fast 30 Jahre später in der Gegenwart wieder. Eine junge Frau kämpft gegen einen Unsichtbaren um ihr Leben, von dem sie nur die leise Stimme wahrnimmt. Bald darauf wird ihre grausam verstümmelte Leiche auf einem Spielplatz gefunden – ein Kastanienmännchen baumelt über ihrem toten Körper.
Das Ermittlerteam besteht aus der Kommissarin Naia Thulin und ihrem Partner Mark Hess von Europol, der strafversetzt wurde. Sie stehen vor einem Rätsel und der Täter scheint sie zum Narren zu halten, denn immer ist er ihnen einen Schritt voraus. Die Bastelfigur indes trägt den Fingerabdruck eines Mädchens, das seit einem Jahr verschwunden ist und anscheinend ermordet wurde. Sie ist die Tochter der Politikerin Rosa Hartung. Und dann taucht ein zweites Kastanienmännchen auf …Das grausame Morden geht weiter!

Die Handlung an sich verläuft spannend, wird aber immer wieder durch Nebensächlichkeiten im Ablauf gestört. Die ermittelnden Kommissare rücken mit ihren privaten Angelegenheiten zu sehr in den Vorgrund. Thulin ist mit ihren Gedanken und Vorstellungen schon im NC 3, in der Abteilung für Cyberkriminalität. Hess, ein Verbindungsoffizier von Europol in Den Haag, der nach Kopenhagen strafversetzt wurde, möchte so schnell wie möglich wieder zurück. Jeder kocht sein eigenes Süppchen. Von einem gemeinsam agierenden Team sind sie meilenweit entfernt. Und nun sollen sie einen äußerst gewieften Serienmörder zu fassen kriegen. Das es am Ende doch noch klappt, ist ein Wunder. Sympathisch waren mir die Charaktere nicht, wurden aber detailreich beschrieben und mit besonderen Wesenszügen ausgestattet.

Es sind eine Menge kleine Versatzstücke über die 130 Kapitel und über die viel zu vielen 603 Textseiten, die mich im Lesefluss innehalten ließen. Es sind Kleinigkeiten, die mich störten, z. B. die Sache mit den Kastanien. Jeder weiß, wie schnell die altern, wie kurz die wie frisch poliert aussehen! Darüber Rückschlüsse zu ziehen, ist nun wirklich kein Ding und hätte schneller zu Ergebnissen führen können! In Teilen war der Thriller langatmig, verlor sich in Wiederholungen. Ich merkte der Geschichte an, dass Sveistrup ein Drehbuchautor ist.
Der Täter war für mich eine Überraschung. Mit ihm hatte ich nicht gerechnet und die grausamen Tötungsrituale nicht mit ihm in Verbindung gebracht. Er agierte phantomhaft, teilweise überirdisch.
Die Auflösung fand ich genial und könnte filmreif umgesetzt werden.

Fazit:
Ein neuer Thrillerautor aus Skandinavien, der zumindest nicht für zartbesaitete Leser zu schreiben scheint. Er schockt mit grausamen, ungewöhnlichen Morden. Die Spannung wird leider immer mal wieder unterbrochen – kein durchgehender Thrill. Weniger Seiten hätten der Geschichte gut getan.

Ich bewerte mit 4 von 5 Sternen und vergebe meine Lese-/Kaufempfehlung!

Bewertung vom 25.08.2019
Im Freibad
Page, Libby

Im Freibad


sehr gut

Wer nicht kämpft, hat schon verloren!

Ich schwimme hier seit über achtzig Jahren." [S. 200] Das sagt Rosemary ihren Freunden aus dem Freibad anläßlich der Feier zu ihrem 87. Geburtstag. Fast ihr gesamtes Leben verbindet sie mit dem Brockwell-Freibad im Londoner Stadtteil Brixton.
[S. 35] „Rosemary kann sich an keine Zeit erinnern, in der das Freibad nicht Teil ihres Lebens war“. Nun soll es geschlossen werden, weil die Kommunalverwaltung ein sehr großzügiges Angebot der Immobilien-Firma „Paradise Living" nicht ausschlagen möchte. Ein Tennisplatz für Reiche, ein Fitness-Center sollen entstehen und dafür der Treffpunkt für die unterschiedlichsten Menschen zubetoniert werden! Das ist das Ende einer Ära, wie für viele andere Örtlichkeiten z. B. die Bibliothek, Cafés und Geschäfte im Stadtteil, die nach und nach schon geschlossen wurden und kapitalträchtigeren Einrichtungen weichen mussten.
Kate, eine junge Journalistin von der Lokalzeitung, will Rosemary als treueste Schwimmerin interviewen. Über einen kleinen Deal mit ihr kommt sie dadurch zum Schwimmen und verliert ihre Ängste, ihre Panikattacken. Schließlich kämpft sie gemeinsam mit Rosemary und den Bewohnern des Stadtteils gegen die Aufgabe des Schwimmbades.

Die Vorstellung des Buches mit dem hübschen hellblauen Cover bei Vorablesen verführte mich dazu, mir „Im Freibad“ zu kaufen. Ich habe es nicht bereut, denn es erzählt eine Geschichte, die viel Lebendigkeit, Herzenswärme und Optimismus ausstrahlt.

Ich spürte über die rund 380 Seiten und 68 Kapitel, dass Libby Page von Ereignissen berichtet, bei denen sie sich auskennt. In einem feinfühligen, leicht zu lesenden Schreibstil erfährt der Leser von einem eigentlichen Kampf gegen Windmühlen, vom engen Zusammenhalt einer Interessengemeinschaft, von einer wunderbaren Freundschaft zweier Frauen, die Großmutter und Enkelin sein könnten, von einer langen Ehe, die eine tiefe Liebe und das Freibad zusammenhielt...u.v.m. Ich fühlte mich mit Rosemary total behaglich. So eine Freundin ist einfach toll. Da spielt der Altersunterschied überhaupt keine Rolle. Ich fand es wundervoll zu lesen, wie die gehemmte, etwas prüde Kate durch die lebenserfahrene, alte Frau sich aus ihrer Einsamkeit, aus ihren depressiven Phasen löst und tatsächlich selbstsicherer wird.
Meine Gesamteinschätzung
Ich las eine nette gefällige Geschichte, die aber größeren Auseinandersetzungen aus dem Wege geht. Ganz so geht es im wirklichen Leben leider nicht zu. Im Laufe des Geschehens fügte sich für mein Empfinden vieles zu leicht und zu schnell. Das positive Ende war voraussehbar.

Es ist ein positives Buch, dass Mut macht, eine Lektüre zum Wohlfühlen. Von mir gibt es die Kauf-/Leseempfehlung und vier von fünf Sternen.