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miss.mesmerized
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Bewertungen

Insgesamt 1245 Bewertungen
Bewertung vom 28.10.2021
State of Terror
Rodham Clinton, Hillary;Penny, Louise

State of Terror


ausgezeichnet

Unerwartet hat der neue amerikanische Präsident Williams seine schärfste Kritikerin zu seiner Außenministerin gemacht. Ellen Adams hat schnell verstanden, weshalb, indem sie für den Posten ihr Medienimperium aufgibt und an seiner Seite arbeitet, kann er sie besser kontrollieren und geschickt Fallen stellen, um sie öffentlich zu demütigen. Als eine Serie von Bombenanschlägen Europa erschüttert, sind sie jedoch gezwungen, zusammenzuarbeiten, denn im Auswärtigen Amt ging zuvor eine Warnung ein. Ausgerechnet aus dem Iran, dem verhassten Erzfeind. Schnell erkennen Williams und Adams, dass die Bedrohung vielleicht nicht unbedingt aus dem Mittleren Osten kommt, auch wenn dort mit Bashir Shah ein gewiefter Physiker sitzt, der im Verdacht steht, eine Atombombe zu bauen und meistbietend an Schurkenstaaten oder Terrororganisationen zu verhökern. Die Zeit läuft ihnen davon und das bei einer diffusen Bedrohungslage, bei der die Grenzen zwischen Freund und Feind fließend sind.

Ebenso wie ihr Mann, der bereits zwei Politthriller auf den Markt geworfen hat, hat sich die ehemalige Außenministerin Hillary Rodham Clinton nach Ende der politischen Karriere jener der Literatur verschrieben. Dazu hat sie sich mit Louise Penny eine routinierte und erfolgreiche Autorin gesucht, mit der die Geschichte für meinen Geschmack überzeugend umgesetzt wurde. Es ist ein klassischer Thriller im Politikmilieu, der mit der Angst vor einer unbekannten Gefahr spielt und die bekannten Akteure des politischen Spiels einbindet. Dass damit auch der Mythos des einsamen amerikanischen Helden, der sich und seine Familie hinter die Interessen des Landes stellt, bedient wird, war zu erwarten und sehe ich nicht als Makel, denn die Handlung ist spannungsgeladen, wird mit hohem Tempo erzählt und schließlich schlüssig gelöst.

Ellen Adams zeichnet sich durch einen scharfen Verstand und schnelle Auffassungsgabe auf. Indem man ihren Mann zum Opfer des gesuchten Atombombenbauers macht und auch ihr Sohn bereits in den Händen islamistischer Terroristen war, hat sie auch ganz persönliche Motive, sich den Agitatoren der Krisenregion entgegenzustellen. Als Figur sicherlich in mancher Hinsicht überzeichnet – die ganze Familie einzubinden, derart hoch zu pokern und geschickt die Herrscher in ihrem Sinne zu manipulieren – andererseits sind das die meisten Helden in diesem Genre und bekanntermaßen ist auch ein James Bond halbtot in der Lage, alleine die Welt zu retten.

Die Handlung integriert geschickt die politischen Verschiebungen der letzten Jahre und wirkt dadurch glaubwürdig und durchaus real vorstellbar. Dass in geheimen Laboren Atombomben oder auch andere Waffen, egal ob atomar, biologisch oder chemisch, hergestellt werden könnten, um Rache an der westlichen Welt zu nehmen, dürfte niemand ernsthaft in Zweifel ziehen.

Der Thriller wurde vielfach harsch kritisiert. Die Argumente sind durchaus nachvollziehbar, die Abrechnung mit dem ehemaligen Präsidenten – Parallelen zu realen Personen sind vermutlich rein zufällig - erfolgt nicht gerade subtil, letztlich ist er es sogar, der entscheidend zu dem Chaos und der Bedrohung beigetragen hat. Ich fand die Seitenhiebe oftmals köstlich und amüsant, da passte jedes Wort.

General Whitehead seufzte. „Bashir Shah ist wieder auf freiem Fuß? Das ist in der Tat ein Problem.“
„Und zwar ein größeres, als Sie glauben. Angeblich haben wir dafür unseren Segen gegeben.“
„Wir?“
„Die ehemalige Regierung.“
„Das ist unmöglich. Wer wäre denn dumm genug... Ach. Vergessen Sie, dass ich gefragt haben“

Die Außenministerin ist die überragende Figur und damit wohl eher von Wunschtraum Clintons. Aber mal ehrlich: wer greift nicht auch zu Literatur, um das zu durchleben, was man im echten Leben nicht hat oder nicht ist? Warum sollte ihr es dann nicht auch als Autorin gestattet sein, die Figur, die gewisse Ähnlichkeit zu ihr aufweist, etwas aufzuhübschen? Mich hat’s nicht gestört.

Das Wissen Clintons aus dem inneren Zirkel der Macht gepaart

Bewertung vom 28.10.2021
Die Enkelin
Schlink, Bernhard

Die Enkelin


ausgezeichnet

Kaspar hat es kommen sehen, zu häufig schon war seine Frau Birgit zu betrunken, um noch zu verstehen, was sie tat. Und nun ist das Unglück geschehen, sie muss in der Badewanne eingeschlafen sein. In den Monaten zuvor hatte sie intensiv an einem Roman gearbeitet, doch ihr Computer ist kaputt, einem Experte gelingt es jedoch die Daten zu retten. Was Kaspar liest, erschüttert ihn, offenbar kannte er die Frau kaum, mit der jahrzehntelang das Leben geteilt hat, vor allem trug sie ein Geheimnis in sich, das den Buchhändler in das völkische Milieu führt. Er ist abgestoßen von dem nationalen Gedankengut und der feindseligen Haltung, auf die er dort trifft. Auch die junge Sigrun ist indoktriniert und fest von der Richtigkeit des rechten Weltbildes überzeugt. Kann Kaspar ihr eine andere Welt zeigen?

Bernhard Schlink gelingt es immer wieder Romane zu schreiben, in die man sich einlesen muss und die dann plötzlich einen Sog entwickeln, der einen in die Geschichte zieht und gefangen hält. Auch „Die Enkelin“ ist so ein Roman, der mich vor allem durch die starke Figurenzeichnung überzeugen konnte. Es ist das Aufeinandertreffen sich widersprechender und ausschließender Überzeugungen, die zugleich von Zuneigung und gemeinsamer Liebe zur Musik herausgefordert werden. Es ist sicher kein Wohlfühlroman, sondern eine komplizierte Auseinandersetzung damit, wie das Leben manchmal spielt.

Die erste Konfrontation erleben Kaspar und Birgit. Er aus dem Westen, sie aus der DDR. Für die Liebe ist er bereit, alles aufzugeben, doch sie hat sich schon längst von dem sozialistischen Staat abgewandt und wagt die gefährliche Flucht. Birgit war bereit, alles hinter sich zu lassen, alles aufzugeben, doch so einfach lässt sich ein Leben nicht abschütteln, man nimmt immer etwas mit und weil sie dies nicht teilen kann, ist sie bereit viele Jahre im Stillen zu leiden.

Ebenso wie von seiner Frau wird Kaspar auch von Sigruns Familie ausgeschlossen. Sie leben in einer abgeschotteten Gemeinschaft, die sich ihre eigene Welt geschaffen hat. Sie brauchen keine Mauern von außen, sie haben sich selbst eingemauert in ihren Überzeugungen und erziehen die Kinder im völkischen Sinne. Trotz seiner Aufgeschlossenheit und hoher Toleranz kommt Kaspar dort an seine Grenzen, doch er will das Mädchen nicht so einfach aufgeben. Argumente allein reichen nicht, er muss andere Wege finden, um sie zu erreichen und ihr Weltbild infrage zu stellen. Keine leichte Aufgabe, die sich der Senior da vorgenommen hat.

Schlink greift kein einfaches Thema auf, setzt dieses aber überzeugend und nachdenklich stimmend um. Der Roman fordert den Leser heraus, sich selbst den Dilemmata zu stellen, mit denen die Figuren konfrontiert sind, bietet keine einfachen Antworten, denn die kann es nicht geben, auch Kompromisse nicht nicht immer möglich. Die Realität ist komplex und mehrdimensional, Schlink fängt dies ein und macht ein Angebot zum Nachdenken, das Höchste, was Literatur erreichen kann.

Bewertung vom 28.10.2021
Poesie des Mordens
Rasmussen, Steintór

Poesie des Mordens


ausgezeichnet

Kommissar Jákup á Trom ist gerade auf zweiwöchiger Fortbildung in Kopenhagen, als man dort die Leiche eines Färingers findet. Die örtliche Polizei bittet ihn, seinen Aufenthalt zu verlängern und bei der Aufklärung mitzuwirken. Der Tote ist kein Unbekannter, Tóki Narvason gilt als bester Schriftsteller der Inselgruppe. Jákup hatte sich eigentlich sehr auf die Heimat gefreut, nicht nur, weil er seine Frau und die Kinder wiedersehen wollte, sondern auch weil es das Wochenende der großen Strickclubparty im Hotel Atlantis ist, die sich niemand entgehen lässt und wo alles geschehen kann. Genau das ist auch der Fall, unter anderem gibt es am Sonntagmorgen eine Tote - die Freundin des verstorbenen Poeten. Das kann kein Zufall sein.

Steintór Rasmussen entführt mit „Poesie des Mordens“ zum dritten Mal auf die Atlantikinseln, die literarisch bei weitem nicht so prominent sind wie beispielsweise Island, das zahlreichen Autoren als Krimischauplatz dient. Die außergewöhnliche Natur des Eilands spielt dieses Mal eine nachrangige Rolle, dafür wird die Handlung sehr stark durch die Traditionen - Strickclubs und deren Festivals sind mir von nirgendwo bislang untergekommen - und die spezifische Gesellschaftsstruktur getragen.

Die beiden Mordfälle, bei denen nicht einmal eindeutig geklärt ist, ob es Morde sind, sind zwar das tragende Element, rücken für mich aber hinter die Figuren zurück. Immer wieder erlauben Einschübe Blicke in die Vergangenheit sowie in die Seele und das Gedankenwirrwarr eines enttäuschten Menschen. Doch reicht diese Enttäuschung, um gleich zwei Feinde aus dem Leben zu befördern? Viele Jahrzehnte gehütete Geheimnisse kommen plötzlich ans Licht und stellen so manchen Lebensentwurf infrage.

Neben den herausfordernden Ermittlungen fällt dieses Mal Jàkup durch seine eigenen Qualen auf. Auch er hat ein Geheimnis, sein Umgang jedoch damit und die Tatsache, wie er mit zweierlei Maß seine Schwächen und die der anderen beurteilt, kommen unerwartet. Der bis dato rechtschaffene Polizist zeigt plötzlich eine ganz neue und nicht gerade schmeichelhafte Seite.

Rasmussen hat eigenen ganz eigenen Erzählstil gefunden, der bisweilen etwas unemotional wirkt und doch fesselt. Die Geschichte ist überzeugend konstruiert und entfaltet sich erst langsam, wobei dieses Mal die Figuren herausragend gestaltet wurden und die Handlung souverän tragen und voranbringen.

Bewertung vom 28.10.2021
Ein Sohn der Stadt
Haruf, Kent

Ein Sohn der Stadt


ausgezeichnet

Samstagnachmittag im November, ein roter Cadillac, der auf der Hauptstraße parkt. Erst interessiert sich niemand für ihn, doch dann wird man aufmerksam und noch mehr steigt die Neugier in dem kleinen Ort Holt in Colorado, als sich rumspricht, wer in dem Wagen sitzt: Jack Burdett, berühmtester Sohn der Stadt, einst hoffnungsvoller Footballstar und Retter der Farmer Kooperative. Bis er verschwand und mit ihm ein Haufen Geld der Kooperative, seine Frau und die Kinder ließ er zurück. Nach acht Jahren ist er nun also wieder da und kann nicht auf einen freudigen Empfang hoffen, denn die Wunden, die er gerissen hat, sind noch immer nicht verheilt. Pat Arbuckle, Lokaljournalist und ehemals bester Freund von Jack, ist ebenso gespannt wie alle andere, doch er hat noch einen ganz anderen Grund sich für den Rückkehrer zu interessieren als die lange zurückliegenden Ereignisse.

Kent Haruf erzählt in seinem Roman die Geschichte eines Lebens und einer Kleinstadt in ihrer verhängnisvollen Wechselwirkung. Der gefeierte Sportler, dem man alles verzeiht und der dank seiner Ausstrahlung immer wieder auf die Füße fällt, egal, was er anstellt, bis er den Bogen überspannt und dennoch den Ort weiter in seinem Griff hält. Aber Holt ist es auch, das ihn zu dem hat werden lassen, was er ist, und so müssen die Bürger auch ein Stück weit mit ihrer eigenen Schuld leben.

Man könnte glauben, dass eine amerikanische Kleinstadt im Mittleren Westen der 1960/70er Jahre nicht wirklich reizvoll für einen Roman ist. Dem Autor gelingt es jedoch, den Leser sofort zu packen und man will wissen, wie es dazu kommen konnte, dass der Sohn der Stadt verschwand und wie die offenkundig noch offenen Rechnungen beglichen werden. Vor allem das subtile Foreshadowing, das Andeuten von dem, was geschehen wird, gelingt Haruf meisterhaft und so kreiert er eine Spannung, die bis zur letzten Seite fesselt.

Auch wenn Jack und Pat nicht wirklich Antagonisten sind, wird an ihnen beiden doch der Kontrast zwischen den Lebensentwürfen verdeutlicht. Jack ist bildungsfern, dafür verfügt er jedoch über Kraft, die er auf dem Spielfeld und der lokalen Fabrik gewinnbringend einsetzen kann. Pat hingegen weiß, dass er die Zeitung seines Vaters irgendwann übernehmen wird und folgt dem vorgezeichneten Plan Schule – Studium - Zeitung - Familiengründung. Immer wieder kreuzen sich die Wege, während Pat geradeaus geht, mäandert Jack und schafft es immer wieder, Menschen für sich zu gewinnen und sich so neue Chancen zu eröffnen. Dabei agiert er jedoch rücksichtslos und egoistisch, was aber niemanden zu stören scheint.

Es ist aber auch die Geschichte des Kleinstadtlebens, wo nichts verborgen bleibt, jeder jeden kennt und in erster Linie: wo die Männer das Sagen haben. Die Frauen leiden still und ertragen unwidersprochen den Platz, den man ihnen zu weist. Wanda Jo, die Jack über Jahrzehnte anhimmelt und alles für ihn tun würde, muss die öffentliche Demütigung ertragen; auch Pats Frau, die aus der Großstadt kam und Kunst und Kultur liebte, stellt ihre Bedürfnisse hinter jene ihres Mannes und mimt 18 Jahre lang schweigend die brave Hausfrau und Mutter. Nur Jessie, Jacks Frau, wagt es irgendwann, laut die Stimme zu erheben, was jedoch relativ pikiert zur Kenntnis genommen wird.

Eine sprachlich und gestalterisch grandiose Kleinstadtstudie, die restlos begeistert.

Bewertung vom 24.10.2021
Der Geheimbund / Gabriel Allon Bd.20
Silva, Daniel

Der Geheimbund / Gabriel Allon Bd.20


ausgezeichnet

Ein paar Tage Urlaub in Venedig hat Chiara ihrem Mann Gabriel Allon, dem Chef des israelischen Geheimdienstes, abgetrotzt. Doch kaum sind sie in der Lagunenstadt angekommen, überschlagen sich die Ereignisse. Der Papst ist tot und sein Privatsekretär Luigi Donati hat berechtigte Zweifel an der offiziellen Darstellung der Ereignisse, weshalb er Gabriel, einen alten Freund des gerade Verstorbenen, um Hilfe bittet. Das Verschwinden des wachhabenden Schweizergardisten befeuert die Befürchtungen, dass der Pontifex ermordet worden sein könnte und bald schon stoßen Gabriel und Donati auch auf den Grund: der Papst hat offenbar das Evangelium nach Pilatus gefunden, das die Geschichte um Jesus‘ Kreuzigung neu erzählt. Ein mächtiger Orden jedoch, der schon lange Bande mit Europas Rechtsextremen flicht, will die Entdeckung verheimlichen und nicht nur das: die Mitglieder des Helenenordens greifen nach dem Pontifikat.

Im zwanzigsten Fall für den jüdischen Chefagenten geht es ans Eingemacht der religiösen Geschichte. Nicht nur spielt die Handlung im Herzen der katholischen Kirche, die schicksalhafte Verbindung zwischen Christentum und Judentum, die schwärzesten Zeiten der Geschichte sind das Leitmotiv des Romans. Daniel Silva hat mit „Der Geheimbund“ einmal mehr einen spannenden wie anspruchsvollen Thriller geschrieben, der einen actionreichen Plot mit Geschichte kombiniert und bestens unterhält.

Es sind die klassischen Zutaten, die Silva verwendet: ein mysteriöser Mord, eine geheimnisvolle Untergrundorganisation, die verschwiegenen Mauern des Vatikans, eine alte Schrift, die die Geschichte neu schreiben könnte. Zeitdruck durch das angesetzte Konklave und die Befürchtung, dass die höchste Position auf Erden an Rechtsextreme fallen könnte, befeuern das hohe Tempo der Erzählung.

Die Verflechtungen und Unterwanderung der Kirche – bei denen man sich schon fragt, inwieweit hier überhaupt Fiktion vorliegt – wird clever konstruiert und wirkt authentisch. Interessanter jedoch waren für mich die Empfindungen der jüdischen Agenten beispielsweise in München, Ort einer der schlimmsten Nachkriegstragödien, die so einfach hätte verhindert werden können. Oder auch die Frage, wie die beiden Weltreligionen zueinander stehen; einerseits der Vorwurf, dass die Juden den christlichen Messias getötet haben, andererseits das Schweigen des Vatikans zur Zeit des Holocaust.

Für mich vielleicht bislang der gelungenste Roman der Reihe, da er insbesondere den feinen Humor und Ironie des Protagonisten immer wieder Raum für realweltliche Anspielungen bietet:
« Was wäre schlimmer, als erleben zu müssen, wie die Ersparnisse meines Lebens in Rauch aufgehen?»
« Wie wär’s mit einer globalen Pandemie? Mit einem neuartigen Grippevirus, dem wir Menschen hilflos ausgeliefert sind? »
« Eine Plage? »
« Lachen Sie nicht, Cesare. Das ist nur eine Frage der Zeit. »

Bewertung vom 23.10.2021
Halder
Bronski, Max

Halder


ausgezeichnet

Kurt Halder, Präsident des Verfassungsschutzes und sein Fahrer sind auf dem Weg nach München, wo bei einem offenkundig linksradikalen Anschlag ein Kommissar ums Leben kam. Die SoKo Nordring ermittelt und es scheint, als stehe ein weiteres Attentat auf eine Kaserne bevor. Das erste Opfer schien die Gruppe jedoch erst durch sein Verhalten getriggert zu haben und so sind die ehemaligen RAF Sympathisanten nach Jahrzehnten wieder aktiv geworden. Halder hat jedoch noch eine zweite, private Mission, die er mit dem Aufenthalt in Bayern verbinden will. Eine ehemalige Klassenkameradin hat ihn eingeladen und so die Chance eröffnet, eine seit vier Jahrzehnten an ihm nagende Frage zu beantworten: ist er der Vater ihrer Tochter? Während Halder auf der Autobahn gen Süden rollt, droht in seiner Behörde jedoch ein Angriff auf ihn, endlich hat sein langjähriger Widersacher die Chance, sich zu rächen.

Max Bronski ist nicht erst seit seiner Auszeichnung mit dem Friedrich Glauser Preis eine feste Größe in der deutschsprachigen Krimiwelt. Sein aktueller Roman „Halder“ ist im Milieu der Sicherheitsdienste angesiedelt und greift hochpolitische und ebenso brisante Strömungen auf, vor denen man gerne die Augen verschließt: ein Attentat und dessen Verursacher, die schnell im linksradikalen Milieu gefunden werden. Andere Lesarten wie Rechtsextremisten werden vernachlässigt, mögliche Beteiligungen von Polizisten ignoriert und nur eine einzige Spur mit aller Kraft verfolgt. Das Narrativ ist ebenso einseitig wie voreilig.

Die Geschichte ist vielschichtig und entwickelt aus einem einzigen roten Faden – Halder auf dem Weg zum letzten Schlag gegen die identifizierten Täter – und lässt ein Geflecht von sich immer wieder knotenden und verwickelnden Handlungssträngen entstehen.

„Aber nun war die Zersetzung in vollem Gange, weil der Bürger selbst hervortrat, aber nicht zum Dialog, sondern um abzurechnen. Er kübelte die Repräsentanten des Staats und alle, die er nicht auf seiner Linie wähnte, mit unflätiger Wut zu.“

Was bringt eine Gruppe von Senioren dazu, nach so langer Zeit wieder aktiv zu werden? Weshalb hatte der ermordete Polizist sie überhaupt auf dem Schirm und hat sie scheinbar bedroht? Sind sie in ihrem Vorgehen naiv leichtsinnig - die Ermittler können leicht jeden Schritt verfolgen - oder doch unglaublich gerissen, so dass sie ihre Verfolger in die Irre führen?

Halders Gegenspieler hingegen merkt, wie er schachmatt gesetzt wurde und sucht nach einem effektiven Mittel gegen den verhassten Vorgesetzten. Zu tief gehen die Wunden inzwischen als dass er sich die tägliche Demütigung weiter gefallen lassen würde. Und da fällt ihm etwas auf, er findet eine andere Spur, kann ein Gegenszenario entwerfen, das Halder zu Fall bringen wird.

Dieser sinniert derweil nicht nur über den aktuellen Fall und seine private Mission. Erinnerungen an seine Familie, den strengen Vater, der sich nie wirklich gegen das Gedankengut der Nationalsozialisten stellte und die Erziehung des Sohnes mit ebensolcher Härte verfolgte, wie er selbst einst dem Führer diente. Die Mutter, die vom Leben enttäuscht den Rückzug in die Küche antrat, ein Muster, das sich bei Halders eigener Gattin wiederholte.

„Wer war Freund, wer Feind? Für eine Behörde, die zwar auf abgewogenen, aber letztlich klaren Einschätzungen fußen musste, war der Versuch, Orientierung zu finden, so aussichtsreich, wie Pfannkuchen an die Wand zu nageln.“

All dies steht in einem Kontext der scharfen Analyse der Lage der Nation. Halder entwirft ein düsteres Bild der Gesellschaft und des Staates. Die Veränderungen der letzten Jahrzehnte passen nicht mehr zu dem Gebildet, das nach dem zweiten Weltkrieg entworfen wurde. Ein nachdenklich stimmender Politkrimi, der gleichermaßen Spannung wie Tiefgang bietet.

Bewertung vom 20.10.2021
Das Archiv der Träume
Machado, Carmen Maria

Das Archiv der Träume


ausgezeichnet

„In der Literatur sind Orte nie einfach nur Orte. Und wenn doch, dann hat die Autorin etwas falsch gemacht.“

Carmen Maria Machado berichtet über einen Ort, ein kleines Haus in Bloomington, Indiana, das der Frau gehört, in der sie sich während ihres Studiums verliebt. Viele hundert Kilometer legt sie von ihrem Studienort zu diesem Haus zurück, um ihr nahe zu sein. Doch es ist nicht die unbeschwerte, leichte Liebe, sondern eine toxische Beziehung. Von Beginn an herrscht ein Ungleichgewicht und zunehmend gerät Carmen in eine Rolle, die ihr eigentlich aus Märchen, aus Büchern, aus Filmen gut bekannt ist: sie wird zum Opfer häuslicher Gewalt. Psychischer Gewalt, die für die Außenwelt nicht unmittelbar sichtbar ist und die sich nur in Extremen abspielt – vollkommener Liebe und ebenso exzessivem Hass.

„Die meisten Formen häuslicher Gewalt sind vollkommen legal.“

Ihre Erinnerungen schildern etwas, das eigentlich wohlbekannt ist. Eine Beziehung, in der einer der Partner die Oberhand hat, manipulativ den anderen an den Rand des Wahnsinns treibt, ihn an seinem Verstand zweifeln lässt – klassisches Gaslighting, das bereits seit dem Film „Das Haus der Lady Alquist“ mit Ingrid Bergmann von 1940, der auf Patrick Hamiltons Theaterstück „Gas Light“ basiert, einer breiten Öffentlichkeit ein Begriff ist und immer wieder literarisch wie filmisch aufgegriffen wurde. Sie hätte es erkennen können, die Zeichen waren eindeutig, aber blind vor Liebe kehrt sie immer wieder zurück.

„(...) wie bei einer Marionette und du keinen Schmerz spürst. Egal was, es soll nur aufhören. Du hast vergessen, dass du einfach gehen kannst.“

Interessant wird der Bericht jedoch nicht nur dadurch, dass sie über Jahre gefangen ist, sich innerlich selbst Mauern baut, die sie einreißen könnte, aber nicht schafft zu zerstören. Es liegt noch eine zweite Ebene über dieser individuellen, die ihre Situation verkompliziert. In traditionellen Beziehungen zwischen Mann und Frau sind für die Öffentlichkeit – gestützt durch Statistiken – die Rollen meist klar verteilt: der Mann ist Täter, die Frau ist Opfer. Doch wie sieht dies bei bisexuellen Paaren aus?

Als Community kämpfen sie um Anerkennung, was bedeutet, dass sie zusammenhalten müssen, um sich gegenseitig zu schützen, da kann doch die eine nicht eine andere anklagen? Wenn es innerhalb der Gemeinschaft schon keine Solidarität gibt, wie soll man dann Schutz gegenüber den Angriffen von außen bieten? Absurderweise führt dies dazu, dass immer wieder Täter geschützt werden und nicht Opfer, die als Nestbeschmutzer gelten und denen nicht geglaubt wird. Ähnliches lässt sich bei People of Colour und anderen marginalisierten Gruppen beobachten.

Eine Biografie, die nicht nur das selbst Erlebte analysiert, um es nachvollziehen zu können, sondern dieses in einen größeren gesellschaftlichen Rahmen setzt und zugleich auch kulturell einbettet. Ein vielfach verwendetes Motiv, das jedoch im realen Leben oftmals nicht erkannt, nicht ernstgenommen wird und zu unerträglichem Leid führt. Die Autorin hat eine interessante Form für ihren autofiktionalen Text gefunden: zwischen Roman, Biografie, Sachbuch und Tagebuch findet er seinen Platz. Ebenso erschreckend wie lesenswert ein wichtiger Beitrag zu einer Diskussion, die geführt werden sollte.

Bewertung vom 19.10.2021
Meeressarg / Fabian Risk Bd.6
Ahnhem, Stefan

Meeressarg / Fabian Risk Bd.6


ausgezeichnet

Theo ist tot, er hat sich in der Untersuchungshaft das Leben genommen. Fabian Risk weiß nicht, wie er damit leben soll, immerhin war er es, Theos eigener Vater, der den Jugendlichen gedrängt hatte, sich freiwillig der Polizei zu stellen. Doch als Fabian und Sonja die Leiche sehen, kommen ihm Zweifel, war es wirklich so, wie die Kopenhagener Beamten behaupten? Unzählige Fragen nagen an dem Ermittler und blind vor Verzweiflung verfolgt er eine ganz eigene Spur, die ihn immer weiter von seiner Frau und Tochter entfernen. Für seine ehemalige Kollegin Dunja Hougard hingegen scheint endlich der Moment gekommen zu sein, auf den sie seit zwei Jahren hingearbeitet hat. So lange schon beobachtet sie Kim Sleizner, ihren ehemaligen Chef und ranghohen Polizist der dänischen Hauptstadt mit besten Connections. Jetzt endlich kann sie ihm das Handwerk legen, doch sie hat ihn einmal mehr unterschätzt.

Stefan Ahnhems aktueller Roman ist bereits der sechste der Reihe um den schwedischen Kommissar Fabian Risk. Er setzt die Geschichte des Vorgängers nahtlos fort und ist doch dieses Mal ganz anders als die vorangegangenen. Wir erleben einen gänzlich anderen Protagonisten, der durch die Trauer und Wut über sich selbst bestimmt wird, die eigentliche Kriminalhandlung spielt sich derweil rund um Dunja bzw. das Kopenhagener Polizeipräsidium ab. Die bisherige Randfigur, die zwar regelmäßig in Erscheinung trat, deren Geschichte jedoch hinter jener von Fabian zurücktreten musste, rückt nun in den Fokus und steht den bisherigen in nichts nach. Wieder einmal eine komplexe, spannende Tour de Force, in der sich die Kontrahenten nichts schenken.

Ein Quereinstieg in die Reihe mit diesem Band ist sicherlich nicht empfehlenswert. Ob er den Abschluss bildet, wird nicht eindeutig klar, jedoch werden eine ganze Reihe von Erzählsträngen zu einem Ende geführt. Zunächst jener um Theo, dem typisch jugendliche Vergehen zum Verhängnis wurden, der immer tiefer in einen Sumpf geraten ist und dann Opfer eines Krieges wurde, der eigentlich nicht seiner war. Eine tragische Figur durch und durch, ebenso wie seine Schwester Matilda. Dass sich Fabians Familie jemals von den Schicksalsschlägen erholen wird, kann bezweifelt werden. Sehr überzeugend jedoch die Emotionen, die den Vater leiten und an den Rand des Wahnsinns treiben.

Dunjas ungleicher Kampf gegen Sleizner nimmt den Hauptteil der Handlung ein. Eine clever aufgebaute Geschichte, die durch die Charaktere angetrieben und mit immer neuen Höhepunkten umgesetzt wird. Für mich genau das, was ich von einem Spannungsroman erwarte.

Auch wenn der letzte Aufschlag so ganz anders gestaltet ist als die vorherigen, überzeugt er doch restlos. Der veränderte Fokus hat mir gut gefallen, Dunja trägt locker ebenso durch die Geschichte wie Fabian.

Bewertung vom 18.10.2021
Es gilt das gesprochene Wort
Wortmann, Sönke

Es gilt das gesprochene Wort


sehr gut

Franz-Josef Klenke ist Redenschreiber für Außenminister Hans Behring. Worte sind sein Spezialgebiet, nachdem er in der Werbebranche schnell Erfolg hatte, wurde er vom Auswärtigen Amt angeworben, wo er nun dem ranghohen Minister die Worte in den Mund legt. Ausgerechnet er jedoch verliebt sich in Maria, die an selektivem Mutismus leidet. Sie hat die Worte, nur kommen sie ihr nicht über die Lippen. In Gesellschaft von Menschen verstummt sie, wird unsicher, will sich verstecken. Die nächste Reise führ Klenke mit seinem Vorgesetzten erst nach Mali und anschließend nach Marokko, wo Cornelius von Schröder zum Botschaftspersonal gehört. Dieser hatte eigentlich eine strahlende Karriere geplant, doch es läuft nicht rund. In ein unbedeutendes B-Land ohne Perspektive abgeschoben kriselt es nun auch noch in seiner Ehe. Sein Leben ist eine Farce, nein, die ganze Welt ist eine Farce, das scheinen nur noch nicht alle begriffen zu haben. Dabei kann man das auf Youtube alles ansehen. Immer mehr steigert er sich in seinen Wahn, bis er seinen ganz eigenen Plan entwirft.

Sönke Wortmann ist bislang eher als Regisseur in Erscheinung getreten und gehört seit Jahrzehnten zur Riege der großen deutschen Namen im Filmgeschäft. Er ist Mitglied der Autoren-Fußballnationalmannschaft, wenn auch bisher nur sein WM Tagebuch erschienen ist, das er parallel zum Film über die Nationalmannschaft 2006 verfasste. „Es gilt das gesprochene Wort“ ist sein erster belletristischer Roman, den er in Anbetracht seines Hintergrunds in einem eher unerwarteten Milieu angesiedelt hat. Es ist die Geschichte zweier Männer in der zweiten Reihe der politischen Riege. Sie kennen die Spielregeln, finden innerhalb des engen Rahmen des Beamtentums jedoch ihre Nischen und Ausflüchte.

Der Roman braucht einiges an Vorlauf, bevor er sich der eigentlichen Handlung nähert. Auch wenn dieser Rahmen einiges zum Hintergrund des diplomatischen Dienstes und den beiden Protagonisten liefert, hätte die eigentliche Geschichte für mich etwas unmittelbarer beginnen dürfen.

„Die Macht der Worte. Worte konnten die Welt verändern, können die Welt besser machen.“

Klenkes Philosophieren über Worte, seine Bewunderung für begnadete Redenschreiber sind für mich das Highlight des Romans. Nicht nur, weil diese Kunst heutzutage – von engagierten Deutschlehrerinnen mal abgesehen – kaum mehr wahrgenommen wird, sondern auch, weil er hervorragend transportiert, wie gewaltig sie wirken könne, welche Macht sie haben können und wie sie die Welt der Dinge mit Bedeutung füllen. Ganz besonders dünnes Eis ist dabei die Diplomatie, wo jedes falsche Wort zu einer Katastrophe führen kann – oder dem Gegenteil. Viele große Figuren der Geschichte sind durch starke Worte in Erinnerung geblieben. Doch heute findet mehr der Haarschnitt oder der Sitz des Anzugs Beachtung als das, was gesagt wird.

Sein Gegenspieler von Schröder ist zwar mit interessanten Anlagen versehen – von adeligem Stand, aber doch profanem Namen; nicht ganz so erfolgreich die Laufbahn verfolgt wie geplant; mit chilenischer Gattin eigentlich international passend geprägt – bleibt aber dennoch für mich etwas zu blass. Seine Radikalisierung ist zwar nachvollziehbar motiviert, verläuft aber doch etwas zu schnell und ohne Brüche, als dass ich sie ganz überzeugend finden würde.

Der Erzählton ist leicht wie Wortmanns Filme: unterhaltsam, plaudernd und humorvoll. Ein insgesamt durchaus gelungenes Debüt, das aber noch etwas Luft nach oben hat.

Bewertung vom 16.10.2021
I Know You
McGowan, Claire

I Know You


ausgezeichnet

When teenager Casey Adams leaves for Los Angeles, she hopes that her job as a nanny with a Hollywood film maker will be the first step in a career. Yet, David is hardly at home and his wife Abby is not only frustrated as she does not get any acting offers anymore but also totally unable to cope with her two kids, 5-year-old Madison and baby Carson. All is left to Casey who herself struggles with the tasks being young and unexperienced with kids. Things develop in the worst imaginable way ending in a family drama. Twenty years later in England, Rachel finds herself accused of the murder of her boy-friend’s wife. All evidence is against her, why did she run when she accidentally stumbled over the body in the woods and not call the police? Rachel has a reason to stay away from murder as she knows how death row feels.

Claire McGowan has created another highly suspenseful and complex psychological thriller. Casey's and Rachel's story alternate, it only takes a couple of pages to realise how they are linked and why the two plot lines are connected over such a long time and two quite unalike places. Both murder cases are interesting to follow even though they could hardly be more different and the fact that there is a common ground gives it a little extra of suspense.

It is easy to comprehend Casey's feeling of exhaustion as she is not really prepared for her job as a nanny. Working for a glamorous family sounded great only on paper, reality hits her hard, but she has a good heart and tries to do what is best for the kids. It takes some time for her to understand the underlying mechanics of the family, that David and Abby's relationship is going down the plughole and that all she can do is make sure the kids are all right. Until they aren't anymore. Being accused of multiple murder, nobody wants to believe her, that is the hardest part of the story because you can easily empathise with her despair in telling them about her innocence without being heard. Yet, there are some gaps in her story and the question is looming if she can actually be believed.

Rachel on the other hand, is a lot stronger but nevertheless also a prime suspect whom everybody turns their back to when the police start to question her. She is also alone and tries to prove her innocence. It is obvious that somebody tries to frame her, the big question is just: who would want to do such a thing and why?

A great read that I totally adored. Two wonderful protagonists who are multifaceted in their character traits and a suspenseful plot which brilliantly links the two stories.