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Aischa

Bewertungen

Insgesamt 563 Bewertungen
Bewertung vom 08.02.2023
Der junge Mann
Ernaux, Annie

Der junge Mann


weniger gut

Man muss wohl Literaturnobelpreisträgerin sein, um eine drei Jahrzehnte zurückliegende Affäre zu einem deutlich jüngeren Mann auf gerade einmal 48 Seiten abzuhandeln und für dieses schmale Büchlein auch noch gefeiert zu werden.

Mich hat diese autobiografische Erzählung sehr enttäuscht. Ja, Ernaux ist nicht nur sich selbst, sondern auch ihrer Leserschaft gegenüber ehrlich. Sie benennt klar, dass die finanzielle Abhängigkeit des Studenten von ihr zu einem Ungleichgewicht der Macht innerhalb der Beziehung führte und sie gesteht, dass sie auch deshalb mit einem Jüngeren zusammen war, um sich selbst jünger zu fühlen, sie erlebte mit ihm ihre eigene Jugend erneut. Aber mal ehrlich, ist dies heutzutage noch eine bahnbrechende Offenbarung? Ja, es hat sicher Mut erfordert, in den 1990er Jahren als Mittfünfzigerin mit einem Toyboy in der Öffentlichkeit aufzutreten. Aber wie dies nun literarisch verarbeitet wurde, überzeugt mich nicht ansatzweise.

Ernaux zeigt Standesdünkel, wenn sie vom "dauerhaften, ererbten Geldmangel" ihres Lovers spricht. Und dass andere im Sex zu einem deutlich Jüngeren eine Art Inzest gesehen haben sollen, ist mir zu weit hergeholt. Der Erzählstil ist fast durchweg extrem nüchtern, geradezu emotionslos. Die Beziehung wird literarisch ausgeschlachtet, auf unsympathische Weise wird Persönliches instrumentalisiert. Ernaux benutzte Sex mit dem Jüngeren, um ihren Schreibprozess in Gang zu setzen. O.k., aber ehrlich gesagt interessiert mich die Motivation einer Schriftstellerin nicht die Bohne, solange sie sich im Rahmen der Legalität bewegt.

Ja, Ernaux ist bekannt dafür, das eigene Leben für andere erfahrbar zu machen und dabei auch noch gute Literatur zu produzieren. Doch hier ist das leider missglückt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.02.2023
Der alte König in seinem Exil
Geiger, Arno

Der alte König in seinem Exil


weniger gut

Arno Geiger hat mich mit diesem Buch über seinen an Alzheimer erkrankten Vater sehr berührt. Und zwar leider höchst unangenehm berührt. Geiger war es wichtig, diese sehr persönliche Geschichte, an der er über sechs Jahre gearbeitet hat, noch zu Lebzeiten seines Vaters zu veröffentlichen. Ich finde das reichlich problematisch. August Geiger wird hier zum Protagonisten einer biografischen Erzählung, intimste Details werden vor der Leserschaft ausgebreitet, ohne dass der Betroffene widersprechen kann, einfach deshalb, weil er nicht mehr geschäftsfähig ist und auch gar nicht mehr erfassen könnte, was es bedeutet, dermaßen zur Schau gestellt zu werden.

Arno Geiger schreibt durchaus unterhaltsam, ich habe die knapp 200 Seiten nahezu am Stück gelesen. Und auch wenn, wie er selbst konstatiert, jeder Demenzkranke sich vom anderen unterscheidet, so mag seine Schilderung doch für viele betroffene Angehörige Trost bereit halten. Allein, seine Sicht der Dinge ist mir zu geschönt. Geiger sucht (und findet in seiner Interpretation auch) im immer stärker mental und sprachlich eingeschränkten Vater Großartiges zu entdecken. Für mich sind die väterlichen Zitate weniger Ausdruck eines nach wie vor wachen Intellekts als vielmehr glückliche verbale Zufälle. Und auch Geigers Deutung von Alzheimer als Jahrhundertkrankheit kann ich nicht folgen. Der Autor vermeint in der rapiden Zunahme an Demenzerkrankungen eine Reaktion auf gesellschaftliche Veränderungen zu sehen. Die große Zahl an Neuerungen, der Wegfall von "Pfeilern" wie Religion, Sitten etc. führt für ihn zu Verunsicherung vieler Menschen, die sich in Folge davon auch geistig zurückziehen. Diese Argumentation ist sehr fragwürdig. Denn einerseits haben ja wohl zwei Weltkriege auch bereits massive Verunsicherungen ausgelöst, und andererseits korreliert der Anstieg an Demenzerkrankungen schlichtweg mit einer wachsenden Lebenserwartung. Nun ja, Geiger ist halt Schriftsteller und kein Wissenschaftler. Doch dann sollte er sich auch nicht zu solch schrägen Aussagen hinreißen lassen.

Neben dem Inhalt stört mich auch die Form, eine Art biografischer Essay. Der Duktus ist oft plaudernd distanziert, manches wirkt dadurch belangloser als es gewesen sein muss. August Geigers Schicksal böte Stoff für einen bewegenden Roman, zu wirklich großer Literatur konnte sein Sohn diese Geschichte leider nicht machen.

Bewertung vom 02.02.2023
Das glückliche Geheimnis
Geiger, Arno

Das glückliche Geheimnis


gut

Ich gestehe: Zunächst gewann Arno Geiger mit seiner neuesten Veröffentlichung meinen Respekt. Als renommierter Schriftsteller zuzugeben, dass er jahrzehntelang die Altpapiercontainer Wiens durchsucht hat, dazu gehört Mut. Zumal er auch weiter im Dreck wühlt, nachdem seine anfängliche Motivation nicht mehr gegeben ist, nämlich Fundstücke von materiellem Wert wie Kunstpostkarten oder antiquarische Buchausgaben verkaufen zu können und sich somit in seinen prekären Anfangsjahren als Autor etwas dazu zu verdienen. Denn Geiger hortet auch entsorgte Tagebücher und Briefkonvolute und nutzt diese als Inspirationsquelle für sein literarisches Werk.

"Darf der das?" habe ich mich des Öfteren gefragt. Auch wenn das Briefgeheimnis für lange Verstorbene nicht mehr gilt, so bleibt es doch in meinen Augen zumindest moralisch fragwürdig, sich derartige Einblicke in fremde Lebensläufe zu verschaffen. Doch damit nicht genug, Geiger inszeniert sich auch noch als "Künstler des Ungekünstelten", will seine Leserschaft glauben machen, dass er sich quasi wie ein literarisches Trüffelschwein durch die Aufzeichnungen Fremder wühlt, um Kenntnis vom echten Leben zu erhalten und diese Einsichten dann seinen Leserinnen und Lesern zu präsentieren. Stellenweise gelingt dies sogar, es gibt durchaus Stellen, die zum Nachdenken anregen. ("Ein Mensch mit nur einer Seite ist ein Monster.")

Definitiv nicht dazu gehören für mich allerdings Geigers Schilderungen seines Sexuallebens in jungen Jahren. Ob er keine, eine oder sogar zwei Freundinnen gleichzeitig hatte, mit welcher er verhütete und mit welcher nicht, interessiert mich einfach nicht. Zumal es seltsam aufgesetzt wirkt, ich kann nicht erkennen, wieso Geiger diesen Episoden derart viel Raum gibt.

Ich mochte die essayistischen Betrachtungen über das Wegwerfen und Finden, über Müll als Teil des kulturellen Gedächtnisses. Aber dazwischen gibt es für meinen Geschmack zu viel belangloses Füllmaterial.

Bewertung vom 01.02.2023
Gleißendes Licht
Sinan, Marc

Gleißendes Licht


gut

Marc Sinans Romandebüt ist deutlich autobiografisch geprägt: Wie er selbst, so ist auch sein Protagonist Kaan Komponist und Gitarrist, Sohn eines deutschen Vaters und einer armenisch-türkischen Mutter. Ja selbst die Vornamen der Müttter, Großmütter und -väter in Realität und Fiktion sind identisch.
Sinan erzählt vom türkischen Genozid an den Armeniern, von ererbten Traumata und davon, wie die Folgegenerationen mit alter Schuld umgehen sollen. Sollen oder können die Kinder und Kindeskinder der Opfer den Nachkommen der Täter vergeben oder müssen sie Rache nehmen?
Der Roman ist in sehr kurze Kapitel in vielen Zeitebenen unterteilt, von Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die nahe Zukunft. Sinan zeigt große schriftstellerische Kreativität; von zarter, bewegender Poesie bis zu splatterartigen Gewaltfantasien. Am kraftvollsten sind dabei die verschiedenen Interpretationen eines Mythos des Oghusenvolks. Weniger gelungen fand ich leider den Gegenwartsstrang (samt futuristischem Ausblick) mit teils recht anstrengenden, wirren Gewaltfantasien.
Bedauerlicherweise werden einige Themen nur angekratzt, etwa die Auswirkungen einer Zwangsadoption auf ein Kind, das in deren Folge den Glauben der Eltern verleugnen muss. Dann wiederum vergaloppiert sich der Autor in Passagen musikalischer Details, die für Nichtmusiker schwer verständlich sind.
Dennoch empfehle ich das Buch, schon allein wegen des noch viel zu wenig beachteten Themas.

Bewertung vom 30.01.2023
Ein Rätsel auf blauschwarzem Grund / Schwesterglocken Bd.2 (eBook, ePUB)
Mytting, Lars

Ein Rätsel auf blauschwarzem Grund / Schwesterglocken Bd.2 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Bereits der erste Band der Trilogie rund um das Gudbrandsdal ("Die Glocke im See") konnte mich begeistern; ich habe diesen Roman regelrecht verschlungen. Und auch "Ein Rätsel auf blauschwarzem Grund" hat mich nicht enttäuscht, Lars Mytting ist einfach ein grandioser Geschichtenerzähler.

Diesmal begleiten wir - neben ein paar alten Bekannten - die nächste Generation. Der Alltag im engen norwegischen Tal ist hart und entbehrungsreich, doch mit der Nutzung der Wasserkraft hält die Elektrizität Einzug in die Höfe und bringt Erleichterungen in Arbeits- und Privatleben. Nach wie vor spielt nordische Mystik eine Rolle, sie tritt jedoch im Vergleich zum ersten Band etwas mehr in den Hintergrund. Dafür spielt die Zeitgeschichte eine große Rolle. Die Dörfler bekommen die schrecklichen Folgen des ersten Weltkriegs zu spüren, und auch die spanische Gruppe fordert zahllose Opfer. Überaus gelungen ist das Erzähltempo, anfangs noch überwiegend ruhig und beschaulich, so als ob es das gemächliche Landleben wieder spiegelt. Im weiteren Verlauf kommen die Ereignisse Schlag auf Schlag, nicht jede Veränderung kündigt sich an, ganz so als ob sich der durch wissenschaftliche und technische Fortschritte schnellere Zeitlauf auch im Aufbau des Romans niederschlägt.

Besonders hervorheben möchte ich die starken Frauenfiguren, die Mytting zeichnet, und die ebenso wie die atmosphärischen Landschafts- und Tierbeschreibungen die Liebe des Autors zu seiner Heimat spürbar werden lassen.

Mich hat der Roman richtiggehend verzaubert, ich empfehle jedoch für ein optimales Leseerlebnis, den ersten Teil der Trilogie vorab zu lesen.

Bewertung vom 30.01.2023
Mein Liebling ist Gewölk
Cikán, Ondrej

Mein Liebling ist Gewölk


ausgezeichnet

Ondřej Cikán habe ich zunächst als überaus talentierten Übersetzer tschechischer Lyrik kennen- und schätzen gelernt. Aber er hat auch schriftstellerische Qualitäten: Dieser schmale Band vereint knapp 30 seiner Gedichte sowie zwei sogenannte Mikroromane. Der österreich-tschechische Autor zeigt sich dabei abwechslungsreich, seine Poesie ist sprachgewaltig und lotet tiefe Emotionen aus. Aber auch für feine Ironie und Augenzwinkern ist Platz. Cikán spielt mit Formen und Typografie und er hat das tschechische Genre des Zonengedichts für die deutsche Sprache adaptiert und so einer breiteren Leser*innenschaft zugänglich gemacht. Erläuternde Hintergrundinformationen zu Autor und Werk gibt Herausgeberin Josefine Schlepizka in ihrem Nachwort.

Bewertung vom 25.01.2023
Schnell mal vegan
Seiser, Katharina

Schnell mal vegan


ausgezeichnet

Es herrscht wahrlich kein Mangel an deutschsprachigen Kochbüchern. Und dennoch sticht "Schnell mal vegan" aus der Flut an Neuerscheinungen positiv hervor.

Das beginnt schon bei der Optik. Das Hardcover ziert kein Hochglanzfoto (gerne mit Autor*in in Garten oder Küche), sondern wunderschöne, stilisierte Pflanzenzeichnungen. Außerdem wird völlig entspannt mit den veganen Rezepten umgegangen. Ich lebe selbst nicht völlig ohne tierische Produkte, die Autorin hat mir aber definitiv große Lust auf diese Ernährungsform gemacht. Seiser isst selbst auch Fleisch, zeigt aber auf sehr sympathische Weise und ohne die Leser*innen zu bevormunden, welche Bereicherung die pflanzliche Kost bietet. Zudem kommen die vorgestellten Rezepte gänzlich ohne Fleischersatzprodukte aus.

Der Rezeptteil mit rund 80 Gerichten ist wohl durchdacht: Die Anordnung in fünf Kapiteln - je eines für die vier Jahreszeiten und ein ganzjähriges - erleichtert saisonales Kochen. Eine zusätzliche Einteilung in kalte, lauwarme und warme Speisen ist ungewöhnlich, gefällt mir aber gut. Die Zutaten sind übersichtlich aufgelistet, die Zubereitung ist knapp und dennoch gut verständlich erklärt. Die Zubereitungszeit von maximal 30 Minuten reicht fast für jedes Gericht. Seiser gibt hilfreiche Tipps wie zu Haltbarkeit oder passenden Beilagen und Varianten sorgen für noch mehr Vielfalt.

Die Rezepte stammen aus über 25 verschiedenen Ländern, und es ist ein hübsches Detail, dass neben den deutschen auch die Originalnamen der Speisen sowie deren Verbreitung aufgeführt sind. Trotz aller Vielfalt sind nahezu alle Zutaten im gut sortierten Supermarkt erhältlich, so dass man nicht nur bei der Zubereitung, sondern auch schon beim Einkauf mit wenig Zeit auskommen dürfte.

Das Register erlaubt die Suche nach Rezeptnamen und Hauptzutaten. Praktische Tipps zur optimalen Lagerung und ein Glossar zu ausgewählten Zutaten runden das Buch ab.

Obwohl ich wirklich begeistert von diesem modernen, kreativen Kochbuch bin, möchte ich mit einer kleinen Warnung schließen: Fast alle Rezepte wurden bereits in Seisers "Immer schon vegan" oder "Immer wieder vegan" veröffentlicht, sie wurden für das neue Buch lediglich etwas überarbeitet (in der Regel vereinfacht). Wer bereits eines oder gar beide dieser Bücher hat, sollte auf jeden Fall einen Blick in "Schnell mal vegan" werfen, um zu entscheiden, ob sich der Kauf lohnt.

Bewertung vom 18.01.2023
111 Orte in Salzburg, die man gesehen haben muss
Lohs, Cornelia

111 Orte in Salzburg, die man gesehen haben muss


sehr gut

Reisejournalistin Cornelia Lohs stellte sich einer nicht gerade kleinen Herausforderung: Nachdem der Emons Verlag vor einigen Jahren schon sehr erfolgreich eine erste Version mit Reisetipps für Salzburg herausgegeben hatte, galt es nun sich auf die Suche nach neuen, der breiten Masse noch unbekannten und dennoch attraktiven Orten in der österreichischen Metropole zu machen.

Und Lohs hat diese Aufgabe äußerst erfolgreich gemeistert. Der Reiseführer zeigt, wie vielseitig das malerische Städtchen an der Salzach ist. Es finden sich jede Menge Kunstwerke im öffentlichen Raum, kulinarische Besonderheiten, aber auch historische Kuriositäten, wie das Spuckpodest, auf dem sich untreue Beamte von entzürnten Bürger*innen anspucken lassen mussten. Ich kannte Salzburg bereits von etlichen Tagesausflügen, habe jedoch anhand dieses originellen Reiseführers erstaunlich viele mir neue und interessante Ecken entdeckt.

Jeder Ort wird auf einer Doppelseite präsentiert, ein ganzseitiges Foto mit Adresse, Tipps und gegebenenfalls ÖPNV-Anbindung und Öffnungszeiten steht der ausführlichen Beschreibung gegenüber. Etwas unpraktisch geraten sind leider die drei Karten im Anhang. Denn hier ist weder eine Systematik zu erkennen, noch findet man bei der Beschreibung der Orte einen Hinweis, in welcher der Karten der Ort jeweils verzeichnet ist. So wird die Suche zu einem ungewollten Geduldsspiel, wenn man sich eine Tour zusammenstellen möchte. Hier wäre es schön gewesen, den Besucher*innen gleich ein paar Spaziergänge vorzuschlagen.

Dennoch lege ich diese Sammlung jeder und jedem ans Herz, die oder der Salzburg entdecken möchte, egal ob erstmals oder zum wiederholten Mal.

Bewertung vom 18.01.2023
Kaputte Wörter?
Heine, Matthias

Kaputte Wörter?


gut

Journalist Matthias Heine befasst sich hier mit knapp 80 Wörtern, deren Gebrauch problematisch sein kann. Dabei legt er eine wirklich fundierte Rechercheleistung vor. Zu jedem Stichwort erfährt man sowohl den Ursprung wie auch die geschichtliche Verwendung und Kritik an derselben, bevor Heine eine - sehr persönliche - Einschätzung des Sprachgebrauchs vornimmt.

Die Hintergrundinfos zu den Wörtern sind sehr interessant, hier habe ich viel gelernt, und fühle mich dadurch nicht zuletzt gut für Diskussionen zur Thematik gut gerüstet. Die Meinung des Autors hingegen ist wenig hilfreich und schwankt zwischen "wird nur noch von altersstarrsinnigen verwendet" und "muss jeder selbst für sich entscheiden, ob er/sie das Wort noch verwendet". Auch Alternativen kommen leider oft zu kurz. Und bereits Heines Einleitung hat meinen inneren Widerspruch hervorgerufen. Erklärt er hier doch: "Ich gehe von der Grundüberzeugung aus, dass keine Regierung, ... und erst recht keine Minderheiten den 200 Millionen Deutschsprechern vorzuschreiben haben, welche Wörter sie gebrauchen dürfen." Und dieser Meinung ist er selbst dann, wenn sie sich dadurch diskriminiert fühlen! Sorry, geht´s noch? Hier setzt sich jemand, der Sprache zum Broterwerb nutzt (Heine ist überdies Kulturredakteur), über die Gefühle anderer hinweg. Mit welchem Recht? Etwas mehr Empathie würde nicht schaden.

Auch die Auswahl der behandelten Wörter ist etwas seltsam. Ich denke nicht, dass die Mehrheit der Leser*innen ein Problem mit der Verwendung von Milch, bester Freund oder gar dem Punkt als Satzzeichen hat.

Alles in allem ein sehr persönlich gefärbtes Sachbuch, das meine Erwartungen nur zum Teil erfüllt hat.

Bewertung vom 13.01.2023
Chamissimo
Guhr, Sebastian

Chamissimo


ausgezeichnet

Sebastian Guhr hat eine bezaubernde, spannende, lustige und äußerst unterhaltsame Romanbiografie über den deutsch-französischen Naturforscher und Autor Adelbert von Chamisso verfasst.

Bemerkenswert ist dabei nicht zuletzt, dass es Guhr schafft, dieses schillernde, prall gefüllte Leben auf gerade einmal 200 Seiten nachzuzeichnen, beginnend von Chamissos jungen Jahren, in denen er aus seiner behüteten Kindheit auf Boncourt in der Champagne, dem Stammschloss seiner adeligen Familie gerissen wird. Die in Folge der französischen Revolution verarmten Eltern fliehen über mehrere Zwischenstationen schließlich bis nach Berlin. Chamisso verdingt sich beim Militär, wird Linguist und Naturforscher - und Liebhaber zahlreicher Damen.

Sebastian Guhr bleibt bei der Schilderung von Chamissors Lebensweg fast durchweg nah an den bekannten Fakten, versteht es aber, diese gekonnt mit fantasievollen Details auszuschmücken. So wähnt man sich bei der Lektüre schnell inmitten eines Abenteuer- oder Liebesromans, wenn von Adelberts amourösen Verstrickungen oder seinen Forschungsreisen rund um die Welt erzählt wird.

Besonders hervorheben möchte ich den wundervoll gestalteten Schutzumschlag mit geprägten Muschelornamenten, der dem Hardcover eine sehr hochwertige und edle Note verleiht - perfekt als Geschenk!