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Aischa

Bewertungen

Insgesamt 533 Bewertungen
Bewertung vom 08.08.2022
Sinken & Fliegen
Frank, Lex R.

Sinken & Fliegen


gut

Psychische Auffälligkeiten und Erkrankungen haben in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen, nicht zuletzt durch die großen Herausforderungen und Unsicherheiten, die die Corona-Pandemie mit sich brachte. Mit großem Interesse begann ich daher die Lektüre dieses Romans, der Depression und Burnout sowie den Aufenthalt des Protagonisten in einer psychosomatischen Klinik thematisiert.

Zunächst wurde ich positiv überrascht. Autor Lex R. Frank spielt äußerst virtuos auf der Klaviatur der deutschen Sprache. Er findet zarte, poetische aber auch wuchtige, kraftvolle Metaphern. Sowohl Emotionen seines Protagonisten, des Wirtschaftsanwalts Kleines F., wie auch die Natur werden durch kreative, wunderschöne Bilder beschrieben. Doch leider bleibt dieses Niveau nicht durchgängig erhalten, es schleichen sich auch Plattitüden ein. ("Wenn du ganz unten bist, geht es nur noch aufwärts.")

Und auch der Plot ist sehr durchwachsen. Einerseits geben spannende Rückblenden interessante Einblicke in das Leben von Kleines F. vor seinem Zusammenbruch. Sein Aufenthalt in der geschlossenen Anstalt lässt mich jedoch mit viel zu vielen Fragezeichen und recht unbefriedigt zurück. Weder habe ich mich im Niemandsland zwischen Wahn und Wirklichkeit zurechtgefunden, noch konnte ich mit den Figuren ernstlich mitfühlen - diese Geschichte hat mich leider schlichtweg nicht erreicht.

Schade, denn das Thema, wie unsere Gesellschaft wie auch jeder und jede Einzelne von uns mit Menschen außerhalb der Norm umgeht, ist ein wichtiges.

Bewertung vom 05.08.2022
NEW YORK - Wie es keiner kennt
Kaufman, Susan

NEW YORK - Wie es keiner kennt


sehr gut

Fotografin Susan Kaufman nimmt die Leserinnen und Leser mit auf elf Streifzüge durch ihr ganz persönliches New York, abseits des hektischen Times Square oder der Wolkenkratzer Manhattans.

Die meisten der durchweg sehr ästhetischen Fotos sind in Greenwich Village oder einem der angrenzenden Stadtteile aufgenommen worden, da die Autorin in Greenwich lebt und die Umgebung von ihrer Wohnung aus zu Fuß erkundet hat. Jedem Kapitel nachgestellt ist ein Stadtplanausschnitt, der wunderschön grafisch umgesetzt ist, und in den je vier Lieblingsorte Kaufmans eingezeichnet sind.

Zu jeder Aufnahme ist der jeweilige Standort angegeben, so dass man sich selbst gut auf Spurensuche begeben kann. Die Bilder zeigen viele Fassaden, Treppenaufgänge und Parks, gusseiserne Balkone und Geländer, aber auch Ladenschaufenster oder Innenansichten von Cafés. Vielfalt entsteht auch durch die Jahreszeiten, es gibt Fotos mit blühenden Kirschbäumen, Herbstlaub auf dem Gehweg oder von schneebedeckten Straßen. Literaturbegeisterte interessieren sich vielleicht für das Verlagshaus der Schriftstellerin Anaïs Nin, Serienfans können sich freuen, die Fassade der "Friends"-Wohnung oder des Appartements von Carrie Bradshaw aus "Sex and the City" zu entdecken. Menschen sind hingegen nur ganz vereinzelt und wenn, dann als Beiwerk auf den Fotografien zu sehen; es ist erstaunlich, wie menschenleer "the city that never sleeps" in den frühen Morgenstunden (als die meisten Aufnahmen entstanden) doch sein kann.

Wenig verwundert hingegen, dass die zahlreichen europäischen Einwanderer New Yorks ihrer neuen Heimatstadt auch architektonisch erkennbar ihren Stempel aufgedrückt haben. Es gibt Häuser im niederländischen oder englischen Stil, andere Ecken erinnern an Pariser Bistros oder Römische Palazzi.

Zusätzlich zu den illustrierten Stadtplanausschnitten wäre eine Übersichtskarte hilfreich, aus der die Lage der jeweiligen Stadtteile hervorgeht. Die wunderschönen Fotos hätten ein größeres Format verdient, der Bildband ist doch etwas klein geraten, zumal sich oft gleich vier Aufnahmen eine Seite teilen müssen.

Dennoch lädt das Buch dazu ein, viele, eher unbekannte Seiten New Yorks zu entdecken, sei es zum Träumen zu Hause oder als Vorbereitung auf eine geplante Reise.

Bewertung vom 29.07.2022
Der Papierpalast
Heller, Miranda Cowley

Der Papierpalast


gut

Mal ehrlich - thematisch gesehen ist dieser Roman nicht wirklich bahnbrechend: Eine fünfzigjährige Frau muss sich zwischen ihrer Familie (Ehemann und drei Kindern) und ihrer Jugendliebe entscheiden, mit der sie eine heiße Affäre beginnt. Das hat ohne Frage Potenzial zum Drama, ist aber bereits tausendfach beschrieben. Und Miranda Cowley Heller hat natürlich noch mehr auf Lager, hier eine Vergewaltigung, dort ein Verrat, ja sogar das große Tabu Inzest wird in den Plot eingestrickt. Mir persönlich war das etwas zu viel auf einmal; irgendwie wurde ich den Verdacht nicht los, dass Heller unbedingt einen Bestseller abliefern wollte und hier noch einen Schockmoment und da noch schnell einen Nervenkitzel eingebaut hat. Als ehemalige Senior Vize-Präsidentin des US-amerikanischen Fernsehsenders HBO hat sie Erfolgsserien wie "Six Feet Under" oder die "Sopranos" entwickelt. Und den Mainstream-Geschmack hat sie ja offenbar auch mit ihrem Romandebüt getroffen, "Der Papierpalast" findet sich auf diversen Bestsellerlisten. Wieso ihn auch das Feuilleton so hochjubelt verstehe ich jedoch nicht ganz.

Sprachlich ist die Geschichte gelungen, es ist eine schöne Mischung aus überzeugenden Dialogen und reichlich Einblicken in die Psyche der Ich-Erzählerin. Außerdem schreibt Heller äußerst präzise: Etwas riecht bei ihr nicht einfach nach Erbrochenem, sondern nach "Bananenkotze". Doch die Handlung hat mich im ersten Drittel viel Geduld gekostet, anfangs verliert sich die Geschichte zu sehr in diversen Rückblenden, während die Kapitel in der Gegenwart nahezu minutiös geschildert werden. Die Entwicklung der Hauptfigur bietet dafür Überraschungen und ist letztlich plausibel. Dafür geraten andere Personen - allen voran ihr Prachtstück von einem Ehemann und Traum aller Schwiegermütter - viel zu stereotyp. Als dann auch noch überkommene Geschlechterrollen zementiert werden, habe ich mich wirklich geärgert. Ehemann Peter bruzzelt zwar Rührei zum Frühstück, und zwar auf seine eigene Weise, die eine nur schwer von den Speiseresten zu reinigende Pfanne hinterlässt. Darüber ärgert sich seine Frau zwar, den Abwasch erledigt sie dennoch. Wie bitte? Ist Emanzipation schon erreicht, wenn die Frau auch einen Beruf ausübt, oder was?

Gelungen ist hingegen Hellers Darstellung, wieso ein junges Mädchen einen Missbrauch jahrelang verschweigt. Insgesamt für mich ein durchwachsenes Leseerlebnis.

Bewertung vom 29.07.2022
Eingemacht & zugedreht

Eingemacht & zugedreht


sehr gut

Haftete selbstgemachtem Kompott, eingelegten Gurken und Ähnlichem lange Zeit die ungeliebte Erinnerung an die Lebensmittelknappheit der (Nach-)Kriegsjahre an, so erfährt das Haltbarmachen von Lebensmitteln in der eigenen Küche seit einigen Jahren eine Renaissance und einen positiven Imagewandel. Zu Recht - Einweckte, fermentierte und anderweitig haltbar gemachte Leckereien sind nachhaltig, schonen Ressourcen und sind gesund. Auch im Hinblick auf eine persönliche Notfallvorsorge mach ein gut gefülltes Vorratsregal Sinn. Und mit dem praktischen Ratgeber von smarticular macht es auch noch Spaß.

Über 80 Rezepte mit etlichen Variationen zeigen, wie man selbst Lebensmittel haltbar machen kann, nämlich durch Trocknen, Fermentieren, Einkochen, Gefrieren, unter Zugabe von Salz, Zucker, Essig oder Alkohol. Eingangs wird erklärt, worauf zu achten ist, damit keine gefährlichen Botulinum-Gifte entstehen können. Ferner gibt es Tipps zur richtigen Lagerung von Obst und Gemüse. (Eine kritische Anmerkung an dieser Stelle: Kartoffeln und Zwiebeln kann man zwar wie beschrieben im Gemüsefach des Kühlschranks lagern, jedoch ist dies aufgrund der mangelnden Belüftung nicht optimal und sollte nur für kurze Zeit erfolgen.) Wer handwerklich geschickt ist und einen Garten sein Eigen nennt, kann sich sogar einen Erdkeller für Kartoffeln oder Wurzelgemüse bauen. Ebenfalls im Buch enthalten ist eine Bauanleitung für einen Trockenrahmen. Wirklich praktisch ist die Übersicht über verschiedene Einkochtemperaturen und -zeiten.

Die Rezepte selbst sind sehr vielfältig, von Klassikern wie Holunderblütensirup oder Quittengelee bis zu originellen Köstlichkeiten wie eingelegten Wassermelonenschalen, Rote-Beete-Ketchup oder Kapernersatz aus Knospen der Kapuzinerkresse - die Auswahl ist wirklich beeindruckend.

Das hübsch gestaltete Hardcover mit praktischem Lesebändchen illustriert fast jedes Rezept mit einem ansprechenden ganzseitigen Farbfoto. Leider ist die Schrift etwas klein geraten, und die Angaben zur Haltbarkeit sind oft im Text "versteckt", das hätte übersichtlicher gestaltet werden können. Die Angabe zu Anzahl und Größe der benötigten Aufbewahrungsgefäße fehlt teils oder ist ungenau (wie groß ist "groß?). Hier sollte man sich also besser einen gewissen Vorrat verschiedener Gläser und Flaschen zulegen, bevor man sich ans Werk macht.

Smarticular ist ursprünglich als online-Ideenportal mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit entstanden. Und so ist es nur folgerichtig, dass auch diese Print-Ausgabe praktische Web-Links enthält, unter anderem zu einem Saison-Kalender für Obst und Gemüse oder einem Rechner für Küchenmaße.

Alles in allem ein gelungener Ratgeber und eine überzeugende Rezeptsammlung rund ums Haltbarmachen von Lebensmitteln.

Bewertung vom 29.07.2022
WW - Italien
WW

WW - Italien


sehr gut

Wer wie ich Abwechslung auf dem heimischen Speiseplan liebt, der kann eigentlich nie genügend Kochbücher haben. Und so konnte ich auch bei dieser Neuerscheinung aus dem Hause Weight Watchers nicht widerstehen.

Die italienische Küche ist sehr vielseitig, und Mediterranes passt hervorragend zu den derzeit hochsommerlichen Temperaturen, daher habe ich mich voller Vorfreude in diese hübsch gestaltete Rezeptsammlung gestürzt. Und ich wurde nicht enttäuscht: Mehr als 70 Gerichte laden zu einem kulinarischen Ausflug nach Bella Italia ein. Es gibt Vorspeisen, klassische Nudelgerichte und Pizza, Fleisch und Fisch, Vegetarisches und süße Desserts. Darunter finden sich Klassiker wie Pizza Quattro Stagioni, aber auch Innovative Speisen, wie Lachs mit Süßkartoffelgnocchi oder Kokos-Limetten-Panna-Cotta.

Nahezu allen Rezepten gemein ist eine erfreulich kurze Zubereitungszeit, Vieles kann in weniger als 20 Minuten gekocht werden - perfekt, wenn es nach einem langen Arbeitstag schnell gehen soll. (Ab und an habe ich die Zeitangaben beim Nachkochen überschritten, das sei fairerweise dazu gesagt.) Die Rezepte sind übersichtlich und auch für Anfänger leicht nach zu kochen, und jedes Gericht ist in einem ganzseitigen Farbfoto abgebildet. Wer am Weight Watchers Programm teilnimmt, kann anhand eines QR-Codes seine Mahlzeiten aus dem Buch direkt tracken. Aber auch ohne Gewicht reduzieren zu wollen, ist dieses großformatige Kochbuch ein guter Begleiter für alle, die sich gesund und ausgewogen ernähren wollen.

Schön wäre es gewesen, wenn noch mehr Varianten aufgeführt wären, z.B. vegetarische oder vegane Alternativen. Ausreichend Platz dafür wäre auf den großzügig gelayouteten Seiten vorhanden. Auch die Symbole für spezielle Ernährungsformen und die Angabe der Kalorien sind etwas sehr klein geraten. Dafür erleichtern gleich zwei praktische Register, alphabetisch und nach Zutaten und Stichworten, das Auffinden der Gerichte.

Also nichts wie ran an die Töpfe und buon appetito!

Bewertung vom 25.07.2022
Das Marterl
Laubmeier, Johannes

Das Marterl


gut

"Erinnern ist eine komplizierte Angelegenheit" konstatiert Journalist und Reporter Johannes Laubmeier im Dank seines Erstlingsromans. Ich muss leider feststellen, auch sein autobiografisch geprägtes Debüt "Das Marterl" zu lesen, ist reichlich kompliziert.

Ich scheue keineswegs anspruchsvolle Literatur, im Gegenteil, ich schätze es, bei der Lektüre nicht nur unterhalten, sondern auch gefordert zu werden. Und sprachlich hat Laubmeiers Heimkehr in sein Heimatdorf, bei dem er sich auf Spurensuche nach dem vor langer Zeit tödlich verunfallten Vater begibt, durchaus etwas zu bieten. Schon der erste Satz regt zu philosophischen Betrachtungen an: "Die Zeit ist eine zähe, langsam aushärtende Masse." Großartig! Doch leider hält dieses Niveau nicht an, teils ist die Sprache recht simpel, bestenfalls unaufgeregt. Anfangs wollte ich darin noch eine geschickte Methode sehen, das einfache Sprachniveau des kindlichen Protagonisten abzubilden. Denn Laubmeiers Erzählung wechselt zwischen Kapiteln, in denen er als Ich-Erzähler spricht und denjenigen, die er über seine Kindheit verfasst hat, in denen vom kleinen Johannes stets als "der Junge" die Rede ist. Diese Distanzierung von seinem Alter Ego ist ein interessanter Kunstgriff, der Autor nähert sich seinen Figuren nach und nach. Sich einander nähern, sich erkennen ist - neben der Zeit und dem Erinnern - ein großes Thema des Romans. Doch irgendwo verliert sich die Erzählung, sie wird unscharf und zäh.

Besonders von den vielen Originalzitaten aus Gedichten des US-Amerikaners Charles Olson war ich überfordert. Ich spreche durchaus passabel Englisch, aber Lyrik in einer Fremdsprache zu verstehen ist doch noch einmal eine Herausforderung. Wieso nur wurde hier auf eine Übersetzung ins Deutsche verzichtet? So häuften sich bei mir leider die Fragen, was Laubmeier mit diesen Passagen zum Ausdruck bringen wollte.

Hingegen ist der Autor ein scharfer Beobachter, und viele seiner Figuren, ebenso wie die Gesellschaft in seinem niederbayrischen Heimatdorf sind äußerst treffsicher skizziert. Auch den immer wieder aufblitzenden Humor mochte ich.

Doch für ein wirklich gutes Leseerlebnis reicht das leider nicht, zu kompliziert und langatmig war diese Annäherung an den verstorbenen Vater.

Bewertung vom 17.07.2022
Dienstmädel in Bella Italia
Peer, Sabine

Dienstmädel in Bella Italia


ausgezeichnet

Autorin Sabine Peer lässt anhand fünf junger Südtirolerinnen, die sich in den 1950er und 1960er Jahren als Dienstmädchen bei reichen italienischen Familien verdingten, ein Stück Zeitgeschichte lebendig werden.

Ihre Kindheit in den heimatlichen Bergdörfern hatten die Mädchen inmitten unfassbarer Armut verbracht. Säuglinge mussten sterben, weil die Feldarbeit Vorrang vor der Fürsorge für die Kleinsten hatte. Die Grundschulbildung bestand - neben Religion als wichtigstem Fach - vor allem aus dem Erlernen von Mussolini bzw. Hitler verherrlichenden Propagandaliedern. Durch das Aufkommen des Tourismus ab den 1950ern besserten sich strukturelle und finanzielle Bedingungen nach und nach, doch in den entlegenen Dörfern war die Lage noch bis in die 70er Jahre prekär. Und so entließen die Eltern ihre noch minderjährigen Töchter meist nur zu gerne in eine Anstellung als Dienstmädchen nach Rom, Mailand oder Genua, auch es wenn große Vorbehalte gegen die italienischen Dienstherren gab.

Die Teenagerinnen selbst erhofften sich ein besseres Leben fern der Heimat, sie wollten Italienisch lernen und vor allem Geld verdienen. Ihre Erfahrungen waren dann höchst unterschiedlich. Manche wurden von ihren Herrschaften äußerst gut behandelt, erhielten einen fairen Lohn, einen freien Tag pro Woche und sogar ein eigenes Zimmer mit Bad - ein Luxus, der zu Hause unvorstellbar gewesen war. Andere wurden hingegen als Dienstmädchen brutalst ausgenutzt, sie mussten ohne Unterlass schwerste Hausarbeiten verrichten.

Peer bediente sich für die Recherche zu diesem Buch der sogenannten "Oral History", d.h. sie traf ihre Protagonistinnen bzw. deren Angehörige und ließ sich von früher erzählen. Beim Schreiben nahm sie sich auch die Freiheit, das persönliche Erleben in historischen Hintergrund einzubetten und - maßvoll - Erfundenes dazu zu dichten. Dabei sind sehr lesenswerte Einblicke in die Lebensabschnitte der jungen "Dienstmädel" entstanden. Die Geschichten wirken sehr authentisch und nah, nicht zuletzt durch die einfache Sprache, die mit zahlreichen südtiroler und italienischen Ausdrücken gespickt ist. (Keine Sorge, das Verständnis ist durch ein Glossar gesichert.)

Einige Schwarz-weiß-Fotos aus dem Privatbesitz der Protagonistinnen runden dieses hübsche und kurzweilige kleine Lesebuch ab.

Bewertung vom 12.07.2022
Drei Worte weiter
Matthaei, Silke;Schließer, Johanna;Wälz, Sabine

Drei Worte weiter


gut

Die Entstehungsgeschichte der in dieser Anthologie versammelten Kurzgeschichten klang für mich kreativ, witzig und sehr interessant: Das Autorinnenkollektiv gab sich einige wenige Wörter vor, aus denen dann jede eine Geschichte entwickeln musste, die ebendiese Schlagworte enthält. Oftmals waren es - wie der Titel andeutet - drei Worte, aber da die Autorinnengruppe wuchs, gibt es auch Stories mit vier oder sogar fünf eingebauten Worten.

Und in der Tat ist es erstaunlich, wie unterschiedlich die Geschichten sind, die bei diesem inoffiziellen Wettbewerb entstanden. Die Sammlung enthält Überraschendes, aber auch Vorhersehbares, manche Erzählungen haben mich zum Schmunzeln gebracht, andere boten Stoff zum Nachdenken, wieder andere haben mich bedauerlicherweise einfach gelangweilt.

Ja, leider bietet diese Zusammenstellung nicht nur eine große Bandbreite an Themen und Schreibstilen, sondern auch die Qualität der Geschichten ist höchst unterschiedlich; von toll bis trivial ist alles vertreten. Bei zwei Weihnachtsgeschichten habe ich mich sogar gefragt, wieso sie in diese Anthologie aufgenommen wurden. Denn hier gab es keine Wortvorgaben; offenbar hat man mal eben das eigentliche Konzept des Buchs ignoriert.

Wer keine allzu großen Erwartungen an durchgängig hohe literarische Qualität stellt, sondern einfach gerne kurze, bunt zusammengewürfelte Lesehäppchen mag, wird gut unterhalten werden.

Bewertung vom 08.07.2022
Schmalz und Rebellion
Balzer, Jens

Schmalz und Rebellion


sehr gut

Jens Balzer ist Autor und Kolumnist, unter anderem für die ZEIT, Rolling Stone und den Deutschlandfunk, Sprache ist sein Werkzeug und seit langem ist Pop sein Thema. Nun hat der Duden-Verlag seine äußerst unterhaltsame Betrachtung zur Sprachgeschichte der deutschen Pop-Musik veröffentlicht.

Balzer rauscht auf gut 200 Seiten durch gut 70 Jahre, vom kitschig-exotischen Fernweh-Schlager der Nachkriegszeit über den Krautrock der 1970er bis hin zu aktuellem Rap, Elektropop oder dem Revival des Shanties. Gekonnt zeigt er auf, welche Entwicklungen in der Musik sich durch gesellschaftliche und kulturelle Besonderheiten erklären lassen. Nicht jeder seiner Thesen stimme ich dabei zu, aber interessant sind sie allemal.

Ich habe viel Unbekanntes entdeckt; als Kind der 1960er in Bayern sind sowohl die Musik der DDR als auch norddeutsche Shantys bislang fast spurlos an mir vorübergegangen. Krautrock war mir zwar ein Begriff, nicht aber dessen große internationale Wahrnehmung.

Natürlich muss bei einem so schmalen Buch, das mehrere Jahrzehnte Musikgeschichte behandelt eine strikte Auswahl getroffen werden, unweigerlich werden wichtige Künstler fehlen. Doch ist Balzers Zusammenstellung in manchen Kaptiteln sehr subjektiv und für mich nicht immer nachvollziehbar. Ausgerechnet die gecastete Hip-Hop-Girl-Group Tic Tac Toe hat es zum Beispiel ins Buch geschafft, während Sabrina Setlur oder Nina (MC) unerwähnt bleiben.

Ein großes Plus bietet dafür die Spotify-Playlist, die der Autor aus einigen im Buch erwähnten Songs zusammengestellt hat. So kann man parallel zur Lektüre auch noch akustisch in die jeweilige Zeit eintauchen.

Meine Empfehlung für alle, die Pop nicht nur gerne hören, sondern sich darüber hinaus auch mit den Texten und Entwicklungen auseinander setzen wollen.

Bewertung vom 30.06.2022
Reisehandbuch Europa mit dem Zug
Ruch, Cindy

Reisehandbuch Europa mit dem Zug


ausgezeichnet

Mein Hauptkritikpunkt an diesem, ansonsten außerordentlich gelungenen, Reisehandbuch gilt dem Cover: Es kommt doch recht bieder daher und wirkt etwas wie ein Bilderbuch für Kleinkinder. Dabei verbirgt sich auf den knapp 200 Seiten ein sehr praxisnaher Ratgeber, der voller aktueller Tipps für Zugreisen durch Europa steckt.

Zu jedem Land gibt es zunächst (knapp und übersichtlich) grundlegende Fakten, etwa die Währung, Amtsprachen und Mobilfunknetz. Besonders gefällt mir, dass am Ende jedes Kapitels länderbezogene Lektüreempfehlungen für die Zugfahrt gegeben werden. Und selbst ein Spotify-Code für den Zugreise-Soundtrack ist enthalten.

Kurze, unterhaltsame redaktionelle Beiträge wecken die Reiselust und geben ungewöhnliche Einblicke. Dabei profitiert man als Leser*in davon, dass Reisejournalistin Cindy Ruch gleich von zwölf Co-Autorinnen und -Autoren unterstützt wurde, die allesamt ein Faible fürs Reisen mit der Bahn haben.

Wirklich bemerkenswert ist die Informationsdichte: Obwohl rund 40 europäische Länder behandelt werden, umfasst die praktische Klappenbroschur gerade einmal 200 Seiten und bleibt somit ein leichtgewichtiger Reisebegleiter. Und trotz des geringen Umfangs eignet sich das Buch bestens zur Reisevorbereitung und -planung. Wichtige Informationen über das Streckennetz, Fahrtzeiten, Preise und verschiedene Fahrkarten fehlen ebenso wenig wie Tipps zur Anreise und hilfreiche Webseiten. Im Anhang schließlich sind Direktverbindungen von deutschen, österreichischen und schweizerischen Großstädten in andere europäische Städte aufgelistet.

Das Layout ist farbenfroh, modern und übersichtlich, praktische Übersichtskarten und stimmungsvolle Fotos geben eine schöne Optik. Lediglich die Schriftgröße bei den Länderfakten ist etwas arg klein geraten.

Dafür habe ich mich über so manche Insider-Info köstlich amüsiert oder ich habe baff gestaunt: In schwedischen Speisewagen kann man Rentiergerichte bestellen, auf manchen Strecken gibt es sogar Kinoabteile und Tschechien hat das weltweit dichteste Eisenbahnnetz!

Das Reisehandbuch wird mir eine wertvolle Hilfe bei der Planung meiner nächsten länderübergreifenden Zugreisen sein, und ich werde es auch an Travelerfreunde verschenken.