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Bewertungen

Insgesamt 160 Bewertungen
Bewertung vom 19.08.2019
Faye - Herz aus Licht und Lava
Herzog, Katharina

Faye - Herz aus Licht und Lava


gut

Wunderschönes Setting, flüssiger Schreibstil, Schwächen bei der Durchführung der Geschichte: Sehr nettes Lesererlebnis.

Den Einstieg fand ich richtig toll: So richtig zum Schwelgen und gleichzeitig hat mir gefallen, wie die Feenwelt und paar Geheimnisse eingeführt wurden.

Fayes Umwelt-Einsatz
Dazu ist das Buch ein klasse Statement für den Umweltschutz, das hat mir am Allerbesten am ganzen Roman gefallen. Denn die Protagonistin Faye ist eine engagierte Jugendliche, die sich beim „Guerilla Gardening“ einbringt.
Optisch ist „Faye“ ein Highlight, der Loewe-Verlag hat eine wunderschöne Ausgabe herausgebracht. Neben dem Goldmuster auf dem Cover ist der Titel-Schriftzug mit einem Kreissymbol in schimmerndem Partial-Lack hinterlegt. Das sieht auf dem Couch-Tisch phänomenal aus. Daher eignet sich das Buch sicherlich großartig als Geschenk für die Kernzielgruppe der Teenager*innen.

Flüssiges Leseerlebnis
Weil Faye aufgrund ihres Aktivismus’ Ärger mit der Polizei bekommt, muss sie ihre Mutter auf einer Dienstreise nach Island begleiten. Dort erkundet sie ihre Umwelt und obwohl erstmal nichts groß Spektakuläres passiert, schreibt die Autorin recht spannend. Ihre Natur-Beschreibungen und botanischen Erklärungen der Pflanzen mochte ich sehr. Und auch das Setting in Island, das war für mich wirklich mal was neues. Stilistisch laß sich „Faye“ flüssig und sehr angenehm und sprachlich machte mir das Buch auch wirklich Spaß.

Zeitablauf und Spannung
Es waren die Zeitabläufe, die mich manchmal stolpern ließen. Sowohl im Großen: Da geht die Welt unter, aber von der Dringlichkeit ist oftmals wenig zu spüren – wie auch im Kleinen: „Einige Minuten stand ich unentschlossen herum, bevor ich mich dazu entschloss, so schnell nicht klein beizugeben und ihm zu folgen.“ Wenn sie mehrere Minuten wartet, wird Faye aber wohl eher nicht mehr hinterherkommen.
An sich finde ich Vorhersehbarkeit in einem Genre wie diesem nicht zwangsläufig schlimm, weil es bestimmte Konventionen gibt und man außerdem als Leser*in ja mitpuzzeln will. Bei Faye dachte ich mir aber, je mehr Seiten ich gelesen hatte: Jetzt muss der Groschen wirklich mal fallen! Schon im Prolog gibt die Autorin den Leser*innen sehr starke, oft recht eineindeutige Hinweise, aber wir erfahren den Rest des Buches aus Ich-Perspektive von Faye und durchblicken dort als Leser*innen trotzdem viel, viel mehr als sie und so wirkt Faye als Protagonistin zunehmend etwas begriffsstutzig. Und was das noch verstärkt: Manchmal akzeptiert Faye magische Elemente und Personen quasi sofort – und dann wieder überhaupt nicht. 
Von den Nebenfiguren sind mir einige total schnell ans Herz gewachsen, wie der Zwergen-große Schutz-Riese und die Mechatroniker-Oma, die an Feen glaubt. Leider fehlt ihnen der eigenen Bogen, sie sind eher Stichwortgeber oder lösen die Geschichte, was doch eigentlich die Protagonistin tun sollte. Aber so kämpferisch Faye am Anfang für die Umwelt kämpft, so wenig löst sie das Rätsel der Geschichte letztendlich selber.

Fazit
Insgesamt ist „Faye“ eine sehr nette Geschichte mit einem wunderschönem Setting. Ab der Hälfte wurde das Buch leider schwächer. Trotzdem fühlte ich mich ganz gut unterhalten und vergebe 3 von 5 Sternen.

Bewertung vom 19.08.2019
Meine ganz (außer) gewöhnlichen Nachbarn
Casal, Mikel

Meine ganz (außer) gewöhnlichen Nachbarn


ausgezeichnet

Ein Schmuckstück – optisch auf dem Kinderzimmertisch und erst recht inhaltlich: Dieses außergewöhnliches Bilderbuch lebt Akzeptanz vor.

„Meine ganz (außer) gewöhnlichen Nachbarn“ ermutigt hinter die Fassade zu blicken! Mit wunderschönen Bildern lernen wir in diesem Bilderbuch, wie vielfältig unsere Mitmenschen sind, wie sehr sie sich dem Schubladen-Denken entziehen. Mit den Vorurteilen, die wir auf den ersten Blick bilden, können wir diese nicht annähernd erfassen. Niko erzählt von seinen Nachbarn, wie dem Kellner Claude, dem bei seiner Arbeit im Café niemand ansieht, dass er ein begeisterter Astronom ist.

Gegen die üblichen Bilder
In diesem wundervollen Bilderbuch gibt kein schneller, höher, weiter. Die Besonderheit der Nachbarn ist nicht durch Wettbewerb geprägt (auch, wenn ein früherer Olympia-Teilnehmer vorkommt). Die Männer/Frauenbilder verweigern sich den „üblichen“ Gender-Zuschreibungen. Und die wunderschönen Illustrationen zeigen Menschen mit unterschiedlichen Hautfarben und verschiedenem kulturellem Background. Hier ist Diversity Normalität. Durch diese Normalität predigt das Buch die Toleranz, Akzeptanz und Mitmenschlichkeit nicht, „Meine ganz (außer) gewöhnlichen Nachbarn“ lebt Toleranz, Akzeptanz und Mitmenschlichkeit einfach vor. Und es ruft die Leser*innen dazu auf, selbst einmal etwas zu tun, das nicht der sogenannten Normalität entspricht. Mein Lieblingsbild ist mit Ali, der die Ladefläche seines Pickups als Pool für seine Neffen Cem und Silas umfunktioniert.

Highlight zur Selbstbestimmung
Meine Lieblingsgeschichte ist über Jule, die nicht gerne küsst. Auf einer knappen Seite Text fasst Mikel Casal damit genial zusammen, was Selbstbestimmung über den eigenen Körper bedeutet. Seine Illustration zeigt eine selbstbewusste Jule: „Leg dich nicht mit mir an“, scheint ihr Blick zu sagen. Text und Bild sollte man vielen Erwachsenen ins Poesiealbum kleben, die von Kindern verlangen, Bekannten und Verwandten ein Küsschen zu geben. Mit dieser Doppelseite kann man Kindern wundervoll vermitteln, dass sie das Recht haben „Nein“ zu sagen und das dies schon bei einem Küsschen anfängt. Schon allein aufgrund dieser Geschichte ist „Meine ganz (außer) gewöhnlichen Nachbarn“ ein wundervolles Geschenk.

Grafischer Künstler
Der Autor Mikel Casal gibt in einer der Nachbar-Geschichten eine tolle Selbstbeschreibung: „Grafischer Künstler“. Seine Bilder sind so klar aufgebaut und doch bieten sie Raum für Entdeckungen. Ich habe das letztens erst geschrieben, die Bücher von Prestel sind einfach wunderschön. Und „Meine ganz (außer) gewöhnlichen Nachbarn“ liegt nicht nur schön auf dem Kaffee- oder Kinderzimmertisch, sondern ist auch beim Lesen ein wundervolles Buch.

Das Gute im Menschen
„Last, but not least“, das Buch glaubt an das Gute in den Menschen und zeichnet sie in all ihrer Vielfalt. Denn viele Menschen sind gut und freundlich. Ich muss zugeben, dass mich die politischen Entwicklungen der letzten Jahre an diesem Guten manchmal zweifeln lassen. „Meine ganz (außer) gewöhnlichen Nachbarn“ vermittelt einen tiefen Glauben daran, dass Menschen gut sind und freundlich. Das ist für das Urvertrauen von Kindern so wichtig und auch ein Seelenbalsam für Erwachsene, die manchmal an der Welt verzweifeln. Und für das Gute im Menschen und in der Welt brauchen wir Toleranz, Akzeptanz und Mitmenschlichkeit, die dieses Buch so spielerisch vermittelt.

Fazit
Wie jedes tolle Bilderbuch lässt sich hier für verschiedene Altersstufen etwas entdecken. Kinder nehmen die Komplexität dieses Buches mühelos an, wie ich bei meinem 7,5-jährigen Sohn gemerkt habe, er hat nachgefragt und überlegt. Als Erwachsene habe ich Spaß daran, die verschiedenen Ebenen zu entdecken. Und auch nach dem Schreiben dieser Rezi glaube ich, dass ich noch nicht alle wahrgenommen habe. Also freue mich schon auf viele weitere Lektüren dieses außergewöhnlichen Buches.
5 hingerissene Sterne und eine absolute (Vor-)Leseempfehlung!

Bewertung vom 12.08.2019
Das Girlfriend-Experiment
Lacey, Catherine

Das Girlfriend-Experiment


sehr gut

Mit diesem spannenden Experiment beginnt eine poetische Sinn-Suche.

Catherine Lacey hat einen ganz eigenen Stil und ich brauchte ein paar Seiten, um zu wissen, ob mir ihr Stil gefällt. Dann war ich begeistert: Spröde und doch poetisch, mein inneres Ohr liebte den Sprachrhythmus und die Worte. Tranceartig und wunderschön.

Die Hauptfigur Mary ist ebenfalls etwas spröde, ihre Lebensgeschichte war nicht einfach, aufgewachsen bei ultra-christlichen Eltern im Nirgendwo. Aber ich mag sie und, wie sie uns über weite Teile des Buchs als Ich-Erzählerin an ihrem Leben teilhaben lässt und es reflektiert. Mir gefällt, dass sie Geheimnisse hat. Und dass sie so vielem, auch diesem alternativem Medizinverfahren, das sie wegen unerklärlicher Schmerzen auf sich nimmt, so „agnostisch“ gegenüber steht. Sie weiß nicht, ob es hilft, sie weiß nicht, ob es ihr eigentlich zu esoterisch ist, aber sie macht es trotzdem. Das erste Viertel des Buchs erfahren wir Marys Sicht, dann liegt das Eigentliche auf dem Tisch:

Das Girlfriend-Experiment
Über das Girlfriend-Experiment selbst möchte ich nichts verraten. Der Klappentext gibt ja Hinweise, aber beim Lesen hätte ich sogar noch weniger wissen können. Das Experiment ist das Herzstück dieses Romans und die Idee dazu genial: Diese Idee fasst so viel zusammen, wie unsere westlichen Gesellschaften funktionieren, unsere Beziehungen, unsere Wirtschaft, unsere Wissenschaft. Die Autorin spannt die Fäden sehr gut und jongliert gekonnt mit der Spannung. Nach und nach erfahren wir als Leser*in, was dieses Experiment ist, und doch bleiben weitere Geheimnisse und die Intensionen der Beteiligten offen. Kurt, der Mitinitiator des Experiment, kennt seine eigenen Geheimnisse selbst nicht so genau.

Im Kopf der anderen
Für den Mittelteil wechselt die Autorin die Erzählperspektive und wir folgen den unterschiedlichen Akteuren ebenso wie Mary aus einer auktorialen Erzählhaltung. Die Sympathie liegt klar bei den Frauen. Bei den Männern-Charakteren geht es viel um deren Ego. Deren Teile empfand ich als etwas zäh, aber ich bin überzeugt, das ist die Absicht der Autorin. Einmal schildert Mary, dass sie stundenlang schweigen würde und es Kurt nicht auffallen würde. Diesen Narzissmus, diese Ödnis nebenbei als gepflegte Langeweile mitzuschildern, ist eine große Kunst von Catherine Lacey. Die Welt der Frauen ist gefährlicher. Es ist an sich schon heftig, dass Bücher über Frauen oftmals nicht ohne Missbrauchserfahrungen auskommen können. Diese sind von der Autorin sensibel, aber treffend geschildert, daher hier noch eine Content Note / CN sexuelle Gewalt an drei, vier kurzen Stellen.
Neben den klangvollen Gedankenbögen lebt der Roman immer wieder auch von nüchternen Betrachtungen, die ebenfalls in eine poetische Sprache überführt wurden. Daher blieb für mich über die ganze Länge der unglaublicher Sog bestehen, der mich immer tiefer in die Geschichte hineingezogen hat. Die Sprache ist fast schon tranceartig.
Das Ende empfand ich im Vergleich zum Rest des Buchs etwas blutleer. Ich hatte mir am Ende einen größeren Knall erwartet und auch erhofft. Das liegt aber daran, dass das Buch vorher richtig viel bei mir bewegt hat. Und ich bedauere immer mehr, wenn ein Buch über einen Großteil so toll ist, und dann schwächer endet. Schade eigentlich.

Fazit
Darum ziehe ich einen halben Stern ab und vergebe 4,5 Sterne. Diesmal runde ich ab, weil ich mir vorstellen kann, dass das Buch sprachlich nicht nach jedermanns*fraus Geschmack ist. Ich empfehle das Buch alle Fälle für seine kunstvolle Sprache und die geniale Idee mit dem Experiment. Ein tolles #frauenlesen und selbstverständlich für alle Geschlechter!

Bewertung vom 07.08.2019
Fitz Fups muss weg
Evans, Lissa

Fitz Fups muss weg


ausgezeichnet

Klug und vielschichtig, wir sind Fitz-Fups-Fans

Wir lieben dieses Buch, ganz und gar! Es ist warmherzig, witzig, charmant und erzählt gleichzeitig von ganz ernsten, wichtigen Themen. Mein 7,5-jähriger Sohn ist so begeistert, dass er seine zweite Fan-Fiction „Fitz Fups muss weg“ gewidmet hat.
Weil wir „Fitz Futz“ so lieben, umso schwerer ist es mir jetzt gefallen, darüber zu schreiben. Wie kann unsere Begeisterung am Besten von den Buchstaben ins Herz jener, die diese Rezension lesen, überspringen? Da „Fitz Fups muss weg“ uns mit so vielen kleinen und großen Dingen überrascht hat, möchte ich die Rezension so weit wie möglich spoilerfrei schreiben!

Vielschichtigkeit
Vielleicht die erste Frage vorneweg: Wenn Fitz Fups weg muss, warum muss er eigentlich weg? Mein Sohn hat diese Frage von Beginn an immer wieder gestellt. Und alleine in der realen Welt sind uns schon vier wichtige Antworten eingefallen. Diese Vielschichtigkeit zeichnet das ganze Buch aus. Später geht es dann in die Welt der Wimblis, tonnenförmige Wesen in unterschiedlichen Farben, und in ihrer Welt läuft einiges ziemlich schief, seit Fitz Fups das Sagen hat. Und jetzt müssen Phine und ihr Cousin Graham, die im Wimbil-Land gelandet sind, den Wimblis helfen.

Kindgerecht Diktatur erzählt
Das absolut Geniale an diesem Buch ist, das es für Kinder verstehbar macht, warum Unterdrückung, Diktatur und Faschismus so schrecklich sind. Dabei findet die Autorin Lisa Evans eine Form, dass selbst 7- oder 8-jährigen Alpträume erspart. So ist der Bestrafungsraum keine Folterkammer im eigentlichen Sinne, ohne diese aber zu verharmlosen (Glitter, sag ich nur).

Ein großes Abenteuer
Aber wegen dieser großen Themen darf man nun bitte nicht denken, „Fitz Fups“ wäre dröge erzählt. Phine und ihre Mitstreiter erleben ein großes, aufregendes Abenteuer. Die Cliffhanger an vielen Kapitelenden sind sehr nervenaufreibend. Ich rate, beim Vorlesen das Kapitelende kurz zu überfliegen, damit man weiß, ob man da aufhören kann. Zum Glück, da ist die Autorin sehr feinfühlig, erspart sie uns den ultimativen Cliffhanger und löst eine wichtige Frage vor dem Teil im Wimbli-Land. Das hätte mein Kind sonst nur schwer ertragen.

Die Fragen des Lebens
Neben der Spannung und den vor Einfällen sprühenden Ideen sind die ernsten Themen immer mit da: Wie schon gesagt Unterdrückung und der Mut zum Widerstand, aber auch Verantwortung und der Umgang mit Schuld, das muss Phine während der Reise mit sich klären. Trauer und Verlust werden genauso angesprochen wie Psychosen und die Akzeptanz von anderen. Dazu gibt es immer wieder unglaublich weise Stellen und ich habe dieses Buch mit vielen Bookdarts gespickt.

Die Auflösung
Die Altersempfehlung des Verlags ist ab 9. Mein Sohn war aber so neugierig auf die Geschichte, dass er unbedingt mitlesen wollte. Für Kinder, die schon bei einer komplexe Geschichte mitgehen und -denken, kann das Buch also schon ab circa 7 zum Vorlesen funktionieren.
Egal ob 7 oder 9, so eine Geschichte muss für die Kinder gut ausgehen. Überträgt man das Ende schlussendlich auf die reale Welt, hat das Ende so seine Tücken. Ich musste an den Ärzte-Song „Schrei nach Liebe“ denken. Aber „Fitz Fups“ ist ein Kinderbuch, und ich denke, Kinder brauchen das Urvertrauen, dass sich schließlich alles mit Vernunft lösen lässt und mit… Aber das zweite will ich hier nicht verraten, findet es selbst heraus!

Fitz-Fups-Fans
Das Buch ist ein Einzelband und die Geschichte abgeschlossen. Aber mein Sohn war so begeistert, dass er angefangen hat, eine Fortsetzung von „Fitz Fups“ zu schreiben. Das schafft wirklich nicht jedes Buch. Und – da waren wir noch nicht einmal mit dem Vorlesen fertig – hat er zudem angefangen, das Buch seinem Papa vorzulesen. Keine leichte Aufgabe nach einem Jahr Lesen-Lernen, aber auch das zeigt seine Liebe zu diesem außergewöhnlichen Kinderbuch.
Wir sprechen eine absolute Leseempfehlung mit 5 Wimbli-bunten Sternen Deluxe aus, und ich freue mich schon, wenn mein Sohn uns

Bewertung vom 06.08.2019
Faironomics
Rohde, Marek;Koglin, Ilona

Faironomics


ausgezeichnet

Erhellend und motivierend: Wie wird man ökologisch und fair bei Projekten und Social Enterpreneurship?

„Nur allein dadurch, dass wir andere Produkte kaufen und verkaufen, ändert sich das zerstörerische Prinzip, nach dem unsere Welt heute funktioniert, eben noch nicht.“
Gegen dieses Grundproblem ist außer des kompletten Umbau des vorherrschenden Wirtschaftssystems noch kein Kraut gewachsen. Mit ihrem Buch „Faironomics - Ökologisch, fair und frei“ geben Ilona Koglin und Marke Rohde Unternehmern und Projektgestaltern passende Bausteine mit auf den Weg.

Wichtig: Erwartungshaltung an das Buch
Um Enttäuschungen zu vermeiden, ist es ganz wichtig den Untertitel ernst zu nehmen: „Wie du in 8 Schritten dein Traumprojekt verwirklichst und damit die Welt verändert“. Es geht in nämlich um die Umsetzung in konkreten Projekten, das heißt, das Buch richtet sich an (potentielle) Freiberufler*innen, (Sozial-)Unternehmer*innen, Aktivist*innen oder Menschen, die sich in NGOs oder Vereinen engagieren wollen. Für Leser*innen, die auf der Suche nach Anregungen für ihr Handeln ad hoc im Privaten sind, haben die beiden Autor*innen bereits „Und jetzt retten wir die Welt“ und „Gärtnern für eine bessere Welt“ veröffentlicht.
Selbstverständlich bedienen sich die beiden Autor*innen immer wieder bekannter Techniken aus dem Projekt Management: Ihr Buch gibt daher einen tolle Übersicht, gerade für Einsteiger. Für erfahrenere Leser in diesem Bereich bündelt sie diese Aspekte und liefert diesen durch den ökologischen und gerechten Ansatz einen echten Mehrwert.

Am eigenen Beispiel
Koglin und Rohde waren mit ihren eigenen Tätigkeiten unzufrieden und wollten diese ökologisch und fair verändern. Ihr Buch zeichnet daher auch ihre „Lernreise“ nach und die beiden flechten immer wieder persönliche Erfahrungen und Entwicklungen ein. Allein mit der Produktion des Buches setzen die Autor*innen ihre Grundsätze selbst um, denn es ist Cradle-to-Cradle hergestellt und kommt dazu ohne Folieneinschweißung aus. Das Design ist durchweg stylisch, übersichtlich und edel. Die Infografiken, Übungen und Sonderseiten sind im schlichten und edlem blau, weiß und schwarz gehalten. Schon beim ersten Aufblättern dachte ich mir: „Wow, was für ein schönes Buch!“ Öko kann eben wunderschön sein.

Komplex mit viel Stoff zum Nachdenken
„Faironomics“ lässt sich nicht an einem Nachmittag lesen und ich habe mehrere Wochen dafür gebraucht, weil es mich wirklich gefordert hat. Erst recht, weil die eigentliche Arbeit in den Übungen liegt, für die man Stunden bis Tage braucht, was im Projektmanagement ja auch nicht ungewöhnlich ist. Und das schafft man nicht beim Lesen nebenbei. Eine dieser Übungen heißt „Verstehen lernen“ (S. 104): „Was steckt hinter den Dingen? Mach dir bewusst, was dein Büro für dich und die Welt bedeutet.“ Als Dauer sind dafür 30 Minuten angegeben, die man pro Objekt im Büro aufwenden musst. Und wenn man das richtig machen will, braucht es das auch, finde ich. Ich muss aber gestehen, dass ich das noch nicht durchgezogen habe. Aber eigentlich sollte man sich die Zeit nehmen, weil manchmal muss man erstmal viel Zeit aufwenden, um Ressourcen zu sparen.

Fazit
Mit den Übungen ist „Faironomics“ ist in doppelter Hinsicht ein Katalysator: Das Buch gibt einem Rüstzeug in die Hand, um die eigenen Ideen schneller umzusetzen – und dazu noch nachhaltig. „Faironomics“ ist erhellend und motivierend.
Ich empfinde das Buch daher als tolle Erinnerungshilfe, wofür und wie ich arbeiten möchte, und daher werde ich sicherlich immer mal wieder darin nachblättern und -lesen. Ich werde das Buch zudem auch Kolleg*innen verleihen, ganz nach dem Prinzip, dass Teilen besser ist als besitzen. Und ich werde bald auch die anderen beiden Bücher von Ilona Koglin und Marke Rohde lesen.
Mit der Einschränkung an den Leserkreis, den ich zum Anfang gemacht habe, kann ich „Faironomics“ wirklich von ganzem Herzen empfehlen und gebe 5 ökologische und faire Sterne.

Bewertung vom 05.08.2019
Einmal Hollywood und zurück / Das springende Haus Bd.1
Pfeiffer, Marikka

Einmal Hollywood und zurück / Das springende Haus Bd.1


ausgezeichnet

Hüpft ein Haus um die Welt - und wir hüpfen für verrückte Abenteuer mit!

Wie genial wäre es, wenn man ganz einfach an fremde Orte hüpfen könnte. Noch dazu fast CO2 frei! (Je nachdem, wie viel der Akku braucht) „Das springende Haus: Einmal Hollywood und zurück“ ermöglicht das der Familie Wendelin und der 10jährigen Lonni, die frisch in die Nachbarschaft gezogen ist. Allerdings ist das Springsteuerung gerade unvorhersehbar und die Großeltern Wendelin sind verschwunden. Also freut sich Nick Wendelin sehr, in der gleichaltrigen Lonni eine Mitstreiterin gefunden zu haben. In dieses witzig-fröhliche Grundgerüst fügen sich ein Marmelade-verrücktes Zwerghuhn, eine fiese Nachbarin (Gerüchte sagen sogar mit Nachtsichtgerät) und lustige Reiseziele großartig ein.

Erfindergeist
War mir besonders gut gefällt: Das Haus ist nicht „einfach“ magisch, wie solche Ideen in Kinderbüchern sonst oft erklärt werden, sondern die Sprungfunktion wurde ganz MINT-mäßig von Großvater Widu gebaut. Also hat es einen Akku, der geladen, und eine Steuerung, die gewartet werden muss. Irgendwie rückt für mich so ein „Traumhaus“ eher in den Bereich des „Möglichen“ als wenn es magischen Ursprungs wäre – und ich glaube, das kitzelt den inneren Erfindergeist mehr. Lonni und Nick müssen gegen Schluss ein Rätsel lösen, das mein mathebegeistertes Kind geknackt hat. Ansonsten liefert das Buch für alle anderen die nachvollziehbare Lösung.

Gleichberechtigung nebenbei
Ich achte ja gerade bei Kinderbüchern auf Gender-Bilder und „Das springende Haus: Einmal Hollywood und zurück“ erzählt diese mühelos, geschickt und nebenbei gleichberechtigt. Vater Henri trägt das Baby im Tragetuch, kümmert sich um den Garten (vor allem seine Tomurken, was Teil seines Berufs ist) und ist im Haushalt eingebunden. Von den Wendelins hat die Mutter anscheinend mehr Zeit damit sie sich um ihren Beruf (die Schriftstellerei) widmen kann. Lonnis Eltern arbeiten ebenfalls beide, gleichberechtigt als Kostümschneider, von zuhause aus. Und auch schon in der Generation zuvor waren Nicks Großeltern beide berufstätig als Forscher. Diese Gleichberechtigung bezieht sich aber nicht nur auf die Berufstätigkeit. Wir folgen zwar der Sichtweise von Hauptfigur Lonni, Nick ist aber ebenfalls sehr präsent. Die Ängstlichkeit der Großmutter hat sich geschlechtsunabhängig an Enkel Nick weitervererbt, der geniale Erfindergeist des Großvaters ging am Enkelin Leo genauso vorbei wie an Enkel Theo.

Beschwingt-hüpfende Lektüre
Beim Vorlesen hatten mein 7,5-jähriger Sohn und ich total viel Spaß. Es gibt so viele tolle kleinere und größere Ideen, wie dass das Haus immer Tiere mit zurückbringt, eine gesprengte Party der Nachbarn und dem Ausflug des Hauses in ein Hollywood-Studio. Und die liebevollen Illustrationen ergänzen die eigene Vorstellungskraft hervorragen. Als Bonus empfand ich die Vignetten mit Blumen oder Gartenzaun – so was mag ich einfach. Die Kapitel sind übrigens angenehm kurz, so dass Leser*innen ab der 2. Klasse sicherlich „Das springende Haus“ sicherlich gut selbst lesen können.
Ganz in die Tiefe geht zwar die Geschichte nicht: Die Wendelin-Eltern sind so in ihren eigenen Gedanken gefangen, dass sie das Verschwinden der Großeltern nicht beunruhigt. Die Zwillinge Theo und Leo fand ich noch recht funktional geschrieben. Das tat unserem Lesevergnügen aber keinen Abbruch.
Wir möchten noch alle weiteren Bände lesen, insgesamt umfasst die Reihe vier Bände. Der Band „Einmal Hollywood und zurück“ ist in sich genügend abgeschlossen, um ihn auch einzeln lesen zu können. Vom zweiten Band „Unter der Ritterburg“ gibt es am Buchende eine doppelseitige Leseprobe.

Wir sprechen eine klare Leseempfehlung aus und vergeben 5 volle Sterne.

Bewertung vom 04.08.2019
Love to share - Liebe ist die halbe Miete
O'Leary, Beth

Love to share - Liebe ist die halbe Miete


sehr gut

Ernste Themen in einer herzerwärmenden Geschichte. Bitte CN beachten!

CN / CONTENT NOTE
Bei „Love to share“ hat mir besonders gefallen, wie die Autorin Beth O’Leary in einen vermeintlich leichten Liebesroman ernste Themen einflicht. Aber gerade, weil das so unvorbereitet kommt - und weder Cover noch Klappentext einen Hinweis darauf geben – habe ich mich entschlossen eine CN / Content Note vorne anzustellen.
Ich weiß, dass das manche Leser*innen diese als Spoiler empfinden. Die sollten dann einfach erst bei der nächsten Zwischenüberschrift weiterlesen.
Die CN / Content Note bezieht sich auf: Emotionale Missbrauch / Gaslightning, Der Umgang damit ist durchaus stimmig, wie ich finde. Aber ohne Vorwarnung könnte es das unvorbereitete Leser*innen kalt erwischen.

WUNDERSCHÖNE GESCHICHTE
Tiffy sucht dringend eine neue Wohnung, weil sie bei ihrem Ex ausziehen muss, und das Geld ist knapp. (Und jeder weiß, dass der Londoner Wohnungsmarkt der Horror ist. Eine Bekannte hat 600 Pfund für ein Zimmer bezahlt mit Toilette und Dusche in Gemeinschaftsnutzung und sie hatte einen Münzautomaten, den sie füttern musste, bevor der Strom lief.) Also geht Tiffy ein ungewöhnliches Arrangement mit dem Palliativpfleger Leon ein und teilt Wohnung und Bett mit ihm: Sie bekommt Nachmittags und Nachts, er die Vormittags- und Nachmittagsstunden. Und ihre Kommunikation läuft Anfangs fast ausschließlich über Post-its. Das ergibt eine einerseits sehr moderne, ungewöhnliche Form des „Briefromans“, andererseits sind Post-its schon fast wieder anachronistisch, auf alle Fälle sehr analog und liebenswert. Die Geschichte wechselt dann die Sichtweisen der beiden ab.

STÄRKEN UND SCHWÄCHEN DES BUCHES
Zu Beginn wollte ich eigentlich nur eine paar Seiten zum Einschlafen lesen, bin aber wirklich sehr gut in „Love to share“ reingekommen. Mir gefällt die Mischung aus Leichtigkeit und ernsten Themen, ohne, dass es pathetisch werden würde, obwohl mich „Gefühlvolles" sonst oft schnell langweilt. Und die Informationsvermittlung baut echt Spannung auf! Mir gefallen die vielen Nebenfiguren und -handlungen, gerade die ernste Geschichte mit Leons Bruder (ich will nicht zu viel spoilern). Und die Hauptfiguren sind mir total schnell ans Herz gewachsen. Besonders Tiffys Faible für DIY und ungewöhnliche Klamotten lässt sie charmant und liebenswert werden.
Nur ist mir Tiffy an zwei, drei Stellen etwas zu naiv. Wer weiß denn nicht, was eine Strafverteidigerin macht? Das ist besonders schade, weil ein unbedarfter Leser, der sich mit emotionalen Missbrauch noch nie beschäftigt hat, vielleicht meinen könnte, das eine hinge mit dem anderen zusammen. Einige Stellen sind mir zu ausladend beschrieben, gerade ab der Hälfte. Manche der Hindernisse zwischen Tiffy und Leon sind total stimmig gebaut und beschrieben, aber nachdem beim Lesen absolut klar ist, dass die beiden sich mögen, geht es schon sehr langsam voran. Und da bremsen dann auch die vielen Figuren.
Was mich aber besonders gefreut hat: Leon und Tiffys Freunde helfen Tiffy zwar, mit ihrem Trauma umzugehen, aber sie ist eben keine „Damsell in Distress“, die vom Kerl gerettet wird, sondern schafft das selbst. Hier geht es um das Wiedererlangen von Selbstermächtigung. Das wird auch einige Male thematisiert.

FAZIT
Für die ernsten Themen in einer herzerwärmenden Geschichte vergebe ich gerne vier von fünf Sternen. Bitte CN beachten! Ein schönes Debüt zum #frauenlesen, auch, wenn die eine oder andere Kürzung noch gut getan hätte, aber ansonsten, angenehme Lesestunden.

Bewertung vom 04.08.2019
Das Verhältnis
Zevin, Gabrielle

Das Verhältnis


ausgezeichnet

Klug, geschickt und packend erzählt: Kampfansage in den Zwischentönen!

„Das Verhältnis“ schreibt Autorin Gabriele Zevin unglaublich klug und gekonnt und packt vieles geschickt zwischen die Zeilen und in die Zwischentöne. Auf den ersten Blick ist „Das Verhältnis“ daher keine feministische Kampfschrift, anders als der Hinweis auf #metoo beim Klappentext vielleicht vermuten lässt. Und vielleicht finden manche das Buch daher fast etwas zahm, aber aufmerksam gelesen ist es bissig und deckt Doppelmoral und alltäglichen Sexismus ebenso auf wie strukturellen. Das ist die große Kunst von Autorin Gabrielle Zevin. „Eine smarte, feministische Meisterleistung“, hat die Washington Times über „Das Verhältnis“ geschrieben und da möchte ich mich anschließen.

Anfang der 2000er hat die junge Praktikantin Aviva ein Verhältnis mit dem Kongressabgeordneten Levin. Natürlich findet Aviva nach diesem Verhältnis nie wieder einen Job, ihr Boss, der Kongressabgeordnete behält hingegen sein Amt allerdings – auch, wenn er noch höhere Weihen danach abschreiben kann. „Das Verhältnis“ schildert Avivas Geschichte, deren Auswirkungen und die Doppelmoral im Rückblick aus der Sicht von fünf Charakteren.

Das Buch hat mich bereits mit diesen beiden grandiosen Sätzen auf der ersten Seite gepackt: „Ich möchte gar nicht unbedingt einen Ehemann. Sie machen viel Arbeit, aber ich will auch nicht den Rest meines Lebens allein verbringen, und es wäre schön mit jemandem gemeinsam Kurse zu besuchen.“
Diese lakonisch, treffenden, klugen Aussagen der fünf Charaktere machen dieses Buch für mich so besonders. Die Autorin erzählt auch den jüdischen Background der Figuren toll. Gabrielle Zevin hat das Buch in fünf Abschnitte gegliedert, die jeweils komplett aus Sicht der jeweiligen Erzählerin geschrieben sind. Mir haben auch die unterschiedlichen Erzählformen ausnehmend gut gefallen: Das Mädchen Ruby schreibt Emails an ihre pakistanische Brieffreundin. Avivas Teil wird in Form eines Entscheidungsbuchs geschrieben. Ich hatte kurz die Befürchtung, dass ich selbst diese Entscheidungen treffen muss (ich mochte solche Bücher noch nie), aber die Autorin nutzt nur sehr gekonnt die Form.

Zevins Frauen sind sehr reflektiert und ehrlich. Besonders treffend, aber auch schmerzlich, wird die Autorin, wenn diese Frauen nebenbei etwas schildern, weil sie es verdrängen oder selbst (noch) nicht erkennen können. Egal, wie reflektiert du sein magst, du kannst nicht hinter jede Misogynie blicken. Erst recht nicht, wenn du selbst sie denkst. Das macht so schmerzlich bewusst, wie sehr Frauen anderen Frauen im Weg stehen können, wenn Frauensolidarität ausbleibt.

Den Klappentext, erst recht den Spruch: „Hinfallen, aufstehen, Krone richten“ finde ich deutlich zu flapsig. Ich denke, das könnte den*die eine oder andere Leser*in auf eine falsche Fährte Richtung leichten Frauenroman und damit zu Enttäuschung führen. Zwar liest sich „Das Verhältnis“ für mich sehr leicht und beschwingt, aber das ambivalente Verhältnis aller Figuren zu Selbstbestimmung verschließt sich einer einfachen Deutung und muss andauernd dechiffriert werden. Außerdem stimmt der Satz ja genau nicht: Aviva kann nicht einfach nur die Krone richten, das verweigert die Gesellschaft ihr. Und das „Prinzessinnen“-Bild hat eh feministisch seine Tücken und das Marketing tappt damit in die selbe Falle wie Avivias Mutter, wenn sie es benutzt: „Ich finde den Begriff jüdisch-amerikanische Prinzessin beleidigend, aber wenn die Tiara passt…“ Und beim Hinweis auf #metoo könnte der*die Leser*in eben auch eine offensichtliche Kampfansage erwarten. Für mich ist „Das Verhältnis“ eine Kampfansage in den Zwischentönen.

Ein gewichtiges Buch, das sich für mich aber völlig leicht, ja stellenweise sogar beschwingt liest. Daher wird „Das Verhältnis“ sicherlich nicht das letzte Buch sein, dass ich von der Autorin Gabrielle Zevin lesen werde. Ich spreche eine absolute Leseempfehlung aus und vergebe volle 5 Sterne.

Bewertung vom 04.08.2019
Surf Like a Girl (dt.)
Amell, Carolina

Surf Like a Girl (dt.)


ausgezeichnet

Von Meer, Schönheit, Engagement und Surfragetten

Ich bin noch nie in meinem Leben auf einem Surfbrett gestanden, aber mich hat das Surfen schon immer fasziniert: Es braucht großen Mut, sich der Naturgewalt Wasser auszusetzen, die so sanft scheint und so unerbittlich ist. Und Frauen können sich dieser Naturgewalt genauso stellen. Mit „like a girl“ werden Tätigkeiten von Frauen noch zu häufig abgetan und als minderwertig angesehen. Der Bildband „Surf like a girl“ beweist auf eindrucksvolle Weise, dass dies eine Ehrenbezeichnung ist.

Carolina Amell vereint in dem Bildband die Fotografien und Biografien von Surferinnen, die oftmals ihre Arbeit selbst mit der Kamera festhalten. Mit wunderschönen Bildern zeigt der Bildband zeigt nicht nur die Frauen – und er zeigt das Meer in vielen Facetten, in seinen Blautönen, in seiner Struktur (manchmal auch auf Schwarz-Weiß-Bildern), seine Ruhe, die Gischt, die sanften Wellen und die gigantischen.
Ich wusste bislang noch nicht, dass es Big-Wave-Fotografie gibt, aber nun liebe ich sie. In dem Bild von Maria Fernanda bricht das Licht durch einen Teil der Welle, so dass ich das Wasser in all seinen Schichten sehen kann. Wunderschön!
Neben den doppelseitigen Fotografien ist auch die Zusammenstellung von mehreren Fotos auf einer Doppelseite wundervoll gelungen. Immer wieder werden einzelne Zitate in die Bilder integriert pointiert. Der Prestel-Verlag veröffentlicht einfach tolle Bildbände.

Aber in „Surf like a girl“ geht es nicht nur um Optik. Die engagierten Frauen setzen sich für eine nachhaltige Lebensweise ein, kämpfen für Umwelt- und Klimaschutz sowie für die Gleichberechtigung und Solidarität. Die irische Surferin Easkey Britton schildert bspw., dass die Mondphasen den Lauf des Meeres genauso beeinflussen wie ihre Menstruation. Die Frauen werden in in engen Wetsuits oder Bikini gezeigt, aber den Bildern geht Voyeurismus völlig ab. Meine Lieblings-Textpassage (der Kommentar von „Surfragette“ Marta Tomasini ist auch der längste Textbeitrag des Buchs) räumt auch gleich mit den Klischees von den sexy Surferinnen auf. Mit viel Selbstironie und Pragmatismus schreibt Tomasini von Bräunungsstreifen, kaputter Frisur oder davon, dass sie den Bikini gerne gegen einen Wetsuit tauscht, um nach einem Wipeout nicht nackt aufzutauchen, weil sich gerne mal die Bikini-Teile verabschiedet haben. Frau kann mit 61 noch surfen (Anne Taravet) oder schwanger (Stéphanie Goldie) und Frauen wie Meryem El Gardoum aus Marokko haben auf mit dem Short- oder Longboards Klischee durchbrochen.
Am allerspannendsten fand ich auch die Bios der BIWoC, wie der beiden Schwestern Ikit und Aping Agudo von den Philippinen. Ihr selbstbewusstes Zitat: „We embrace our Filipino identity and skin color“ feiert Diversity.

Einige kleinere Kritikpunkte hatte ich dann doch: In den Texten fielen mir in der Übersetzung an ein paar Stellen kleine Redundanzen auf. Nach welchem Muster die wundervollen Zitate übersetzt wurden – und wann nicht, habe ich nicht ganz verstanden. Bei dem Arugam Bay Girls Surf Club hätte ich es noch schöner gefunden, wenn nicht nur die drei Gründerinnen sondern zusätzlich auch die Frauen aus Sri Lanka selbst zu Wort gekommen wären. Und wenn es im Buch schon so viel um Nachhaltigkeit geht, könnte der Verlag doch bitte, bitte mal die Folieneinschweißung weglassen. Das mindert aber meine Begeisterung nicht.

Ich hatte erst überlegt, das Buch einer Freundin zu schenken. Nun bin ich aber in „Surf like a Girl“ so verliebt, dass ich es einfach nicht mehr hergeben kann. Ich kann ihn allen empfehlen, die das Meer lieben oder das Surfen oder Frauen jenseits der üblichen Rollen sehen und die (Gender-)Diversity wichtig finden. Mit 38 Euro ist der Bildband aber kein Schnäppchen, so dass ich schlecht schreiben kann, holt ihn euch alle. Aber es ist vermutlich nicht verwunderlich, dass ich 5 begeisterte Sterne vergebe.

Nach dem Motto eines meiner Lieblingszitate im Buch:
„Catch waves, not Pokémon.“