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jenvo82
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Oberschöna

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Insgesamt 219 Bewertungen
Bewertung vom 06.09.2016
Meine geniale Freundin / Neapolitanische Saga Bd.1
Ferrante, Elena

Meine geniale Freundin / Neapolitanische Saga Bd.1


sehr gut

„Sie wollte sich in Luft auflösen, wollte dass sich jede ihrer Zellen verflüchtigte, nichts von ihr sollte mehr zu finden sein.“

Inhalt:
Rückblickend erzählt die Pförtnerstochter Elena Greco die Geschichte einer Mädchenfreundschaft, die sich mittlerweile über ein ganzes Leben erstreckt. Sie lässt den Leser in eine äußerst ambivalente Mädchenbekanntschaft blicken, die bereits in weiter Ferne begann und beschwört ein umfassendes Bild einer äußerst schwierigen Zeit im Neapel der 50iger Jahre herauf. Damals war Elena 11 Jahre alt, genauso alt wie Lila, die Tochter des Schusters. Ihre Verbindung lebt von den Ereignissen und Menschen, die sich in ihrer unmittelbaren Nähe befinden. Doch schon bald teilen sie nicht mehr alle Empfindungen miteinander, denn nach der Grundschulzeit ist Lila trotz ihrer Intelligenz dazu verbannt, in der elterlichen Firma mitzuarbeiten, während Elena durch Zuspruch ihrer Lehrer die Möglichkeit erhält, zunächst auf die Oberschule und dann aufs Gymnasium zu wechseln. Erste Bildungsunterschiede lassen feine Risse in der Mädchenfreundschaft entstehen und dennoch hält Elena fast verzweifelt an ihrer „besten“ Freundin fest, vielleicht weil diese so anders, so innovativ und mutig ist und all jene Eigenschaften besitzt, die Elena selbst gerne hätte.

Meinung:
Die Pressestimmen zu diesem Auftakt der neapolitanischen Saga aus der Feder von Elena Ferrante sind sehr positiv und voller Lob. Umso gespannter war ich auf diesen ersten Roman, dem im kommenden Jahr noch drei weitere Bände folgen werden.
Der Einstieg ins Buch zieht sich etwas hin, als Leser kann man noch nicht abschätzen, in welche Richtung sich die Geschichte entwickeln wird und erst nach der Hälfte des Buches konnte mich das Geschehen wirklich in seinen Bann ziehen. Die Autorin schildert einerseits eine Freundschaft, die mich in vielerlei Hinsicht enttäuscht hat, eine Beziehung die viel mehr auf Neid, ungeteilter Bewunderung und dem Wunsch, die bessere zu sein beruht, als auf wahrer Zuneigung. Gerade dieses Ungleichgewicht zwischen den Frauen, die selbst in ihrer Herangehensweise ganz anders agieren, bleibt im ganzen Buch erhalten. Sie leben die Gegensätze, finden andere Verhaltensweisen erstrebenswert, möchten verschiedene Dinge im Leben erreichen, so dass ich mich fortwährend gefragt habe, ob es zu dieser perfekten Freundschaft gehört, sich über-bzw. unterlegen zu fühlen und welchen Schaden oder Nutzen dieses Verhalten bringen soll.

Umso gelungener finde ich die Auseinandersetzung der Autorin mit den gesellschaftlichen Hintergründen, mit der Schilderung eines gewaltgeprägten Wohnviertels, mit verfeindeten Familienclans, mit Straßenschlägereien und Morden. Einer Welt, die ebenso beängstigend wie faszinierend wirkt und die vielleicht erklärt, warum es so wichtig war, sich mit Menschen zu umgeben, die das eigene Selbst ergänzen und dem Leben eine gewisse Beständigkeit geben. Auch die frühe Jugend der beiden Mädchen, schuf ein umfassendes Gesellschaftsporträt. Denn während Lila ganz bewusst heiratet, erscheint es der gebildeten Elena absolut fremd mit 16 Jahren den Bund der Ehe einzugehen.

Fazit:
Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen Roman, der eine Mädchenfreundschaft nicht nur an Gefühlen, sondern auch an gesellschaftlichen Normen festmacht. Die Geschichte hat Tiefgang und lebt von einer schönen Sprache, sie erzählt unaufgeregt vom Leben und schildert ganz nebenbei das Erwachsenwerden zweier Menschen. Der Gesamteindruck der entsteht, braucht etwas Zeit um sich zu entfalten, lässt mich aber als Leser doch zufrieden zurück, vor allem, weil es eine Fortsetzung gibt, die zeigen wird, wie sich das Leben der beiden Hauptprotagonistinnen entwickelt.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.08.2016
Die langen Tage von Castellamare
Banner, Catherine

Die langen Tage von Castellamare


ausgezeichnet

"Sie fand, dass ihre Geister noch immer über den Ziegenpfaden und den Gassen hingen, ebenso präsent wie die Heilige. Denn für sie schien die Insel selbst zu leben, ein Ort, an dem die Erde Geschichten auswarf."

Inhalt
Als der junge Arzt Amedeo auf die zauberhafte, abgeschiedene Insel Castellamare kommt, schließt er sie sofort ins Herz. Insbesondere weil er als Findelkind groß geworden ist und nie ein derartiges Heimatgefühl erleben durfte. Die Bewohner nehmen ihn wohlgesonnen auf und schon bald findet er in Pina eine liebevolle Frau. Doch ein Seitensprung bringt seinen guten Ruf in Gefahr und als er zeitgleich seine Frau und seine Geliebte von ihren Kindern entbindet, ist der Skandal perfekt. Fortan darf Amedeo nicht mehr offiziell als Arzt praktizieren und ist gezwungen, sich eine andere Existenz aufzubauen. Mit "dem Haus am Rande der Nacht" eröffnet er eine Bar, in der sich fortan das Inselleben abspielt, durch Kriege, Erdbeben, persönliche Schicksale und mehrere Generationen hinweg, wird dieser Ort zum Zentrum der Familie Esposito und all ihrer Nachkommen.

Meinung
Von diesem Buch kann ich nur schwärmen, denn es erfüllt alle Anforderungen, die ich an einen guten Familienroman stelle und zieht den Leser über gut 400 Seiten mitten hinein in das Leben der Insulaner auf Castellamare.

Catherine Banner schafft hier ein Familienportrait der ganz besonderen Art, welches anhand eines Mikrokosmos die ganze Welt offenbart. Eine abgelegene Insel, eine urige Bar und das Lieben, Leiden und Leben ganz normaler Menschen - mehr ist nicht nötig, um einen wundervollen, poetischen Roman zu kreieren.
Das Besondere daran ist die Vielfalt der menschlichen Handlungsweisen, die kleinen Querelen, die großen Tragödien und der absolute Wille, ein Zuhause, einen wahren Zufluchtsort zu bewahren, unabhängig von äußeren Einflüssen. So trotzen die verschiedenen Generationen nicht nur Wind und Wasser, nicht nur Kriegen und Erdbeben, sondern auch Vorurteilen und finanziellen Krisen.
Unter dem Schutz der Heiligen Sant ´Agata ereignen sich die kleinen und großen Wunder in jeder Generation aufs Neue und der Fortbestand ist gesichert. Starke Protagonisten, emotionale Handlungen und menschliches Fehlverhalten finden in diesem Roman ausreichend Platz, um sich optimal zu entfalten. Und so gewinnt der Leser einen Blick auf eine Familie, die diese selbst nicht hätte werfen können, weil die Zeitspanne von der erzählt wird, ein Menschenleben überschreitet.

Fazit
Ich vergebe 5 Sterne für diesen umfassenden, sympathischen Familienroman, der durch seine Protagonisten und seinen Schauplatz zu einem unvergleichbaren Lesevergnügen wird und das Herz auf allen Seiten höherschlagen lässt. Bestens geeignet um abzutauchen in die Vergangenheit aber auch um Verhaltensweisen und Schicksalsschläge besser einzuordnen. Der Fokus liegt hier nicht auf dem eigenen, zeitlich begrenzten Leben, sondern auf der Entwicklung, die eine Großfamilie in dieser, der nächsten und übernächsten Generation erleben wird. Sehr menschlich, sehr einprägsam und voller herzlicher Worte - einfach nur toll!

Bewertung vom 26.08.2016
Zwischen den Meeren
Moss, Sarah

Zwischen den Meeren


gut

„Es ist die Arbeit eines Lebens, das Schlagen des menschlichen Herzens zu beobachten, zu benennen, was wir tun, und doch fähig zu sein, es zu tun.“
Ally und Tom Cavendish sind frisch verheiratet, als sich abzeichnet, dass sie sich für die lange Zeit eines halben Jahres trennen müssen. Während Ally als Ärztin in einer Nervenheilanstalt ihren Dienst antritt, verschlägt es Tom nach Japan, wo er als Ingenieur am Bau von Leuchttürmen maßgeblich beteiligt sein wird. Diese aufgezwungene Distanz erscheint ihnen zunächst schwierig, entwickelt sich aber nach und nach zur neuen Beständigkeit ihres Lebens. Nun sind sie wieder zwei Menschen, die ihre Tage und Nächte allein verbringen und die ihre Gedanken, Ängste und Freuden nicht mehr miteinander teilen. Schon bald wächst Tom Japan derart ans Herz, dass er nicht mehr zurück möchte in sein „altes“ Leben und auch Ally erkennt, dass ihre Aufgabe nicht die einer liebevollen, aufopferungsbereiten Ehefrau ist. Gegensätzlicher könnte ihre Ansicht nicht mehr sein, doch ihre Ehe hat Bestand, um den bitteren Preis des verdrängten Glücks.
Dies war mein erster Roman der Autorin, die jedoch zu dem vorliegenden Roman bereits eine Vorgeschichte unter dem Titel „Wo Licht ist“ veröffentlicht hat. Zunächst war ich von der Erzählweise, der dichten, intensiven Sprache und den stimmungsvollen Bildern regelrecht begeistert. Eine besondere, sehr stimmungsvolle Szenerie und Sätze wie gemalt, machten das Lesen zum reinen Vergnügen. Dieses Schreibniveau bleibt im gesamten Roman konstant erhalten und lässt den Leser tief in die Schönheit der Sprache eintauchen. Auch die erhoffte Geschichte, über ein junges Ehepaar, welches mit einer unfreiwilligen Situation konfrontiert wird, fing sehr vielversprechend an.
Aber bereits ab der Mitte des Buches lässt sich erkennen, dass dieser Roman vielmehr auf zwei Individuen zugeschnitten ist als auf ein Paar. Die Hauptprotagonistin leidet unter ihrer dominanten Mutter, der sie sich auch im Erwachsenenleben unterordnet, wenn auch eher in Gedanken. Sie fühlt sich für nichts gut genug, versucht es krampfhaft allen Recht zu machen und wird immer mehr ein Schatten ihrer selbst, bis an den Rand eines Nervenzusammenbruchs. Sarah Moss skizziert ihre Protagonisten sehr lebensecht, eingebettet in den historischen Zeitgeist und sehr detailliert. Auf die Rolle der Frau und die Erwartungen der Gesellschaft wird ebenso Bezug genommen, wie zu dem Wunsch, das Leben sinnvoll und bedeutsam zu gestalten. Auch diese Selbstreflexion konnte mich begeistern.
Dennoch hinterlässt der Roman bei mir einen bitteren Nachgeschmack. Das liegt in erster Linie an meiner Erwartungshaltung: denn trotz der thematisierten Fernbeziehung habe ich mir ein Paar gewünscht, welches erkennbare Zuneigung füreinander empfindet. Ein Mann und eine Frau, die sich trotz der Distanz mehr Nähe wünschen, die wenigstens in Gedanken beieinander sind, die sich vermissen und nacheinander sehnen. Doch all diese elementaren Punkte, findet man hier nicht.
An erster Stelle steht in diesem Roman die Selbstverwirklichung, der Wunsch nach einem Leben, welches von persönlichen Vorlieben geprägt wird und in dem nur sehr wenig Platz für einen anderen Menschen bleibt. Meine Haltung als Leser schwankte dann zwischen der Hoffnung, dass sich doch noch etwas entwickelt und einer Art melancholischen Resignation, nachdem ich feststellen musste, dass die Geschichte diesen Gedanken nicht aufgreifen wird.
Fazit: Ich vergebe 3,5 Lesesterne (die ich hier auf Grund der o.g. Kritikpunkte auf 3 abrunde) für einen facettenreichen, intensiven Roman mit viel schriftstellerischen Fingerspitzengefühl. Sarah Moss entwirft eine stimmungsvolle Geschichte, sensibilisiert für die Schönheit einer fremden Kultur und gleichermaßen für die traurigen Aspekte in der geschichtlichen Entwicklung, die es vor allem dem weiblichen Geschlecht über Jahrhunderte hinweg unmöglich machte, gleichberechtigt zu sein.

Bewertung vom 22.08.2016
Die Geheimnisse der Welt
O'Donnell, Lisa

Die Geheimnisse der Welt


sehr gut

„Es ist furchtbar, wenn man zu viel über jemanden weiß. Man kommt sich vor wie ein Lügner, weil man so tun muss, als wüsste man nichts, dabei weiß man alles, einfach alles.“

Inhalt

Michael Murray führte bisher ein recht normales Leben als 11-jähriger, geprägt von netten Freunden, nervigen Nachbarsmädchen und seiner großen Leidenschaft, dem Fußball spielen. Doch als seine Mutter zum Opfer eines Verbrechens wird, ändert sich seine kleine heile Welt elementar. Plötzlich wird er aus den Erwachsenengesprächen ausgeschlossen, obwohl er das Weinen der Mutter hört, die wütenden Ausbrüche des Vaters mitbekommt und die Hilflosigkeit seiner Eltern gegenüber der veränderten Situation. Alle schicken ihn weg und schließen ihn aus. Doch die Situation spitzt sich weiter zu, nachdem die Nachbarschaft das geschundene Gesicht seiner Mutter wahrgenommen hat und diese behauptet „gestürzt“ zu sein. Plötzlich glaubt alle Welt, sein Vater wäre der brutale Schläger, der seine Ehefrau misshandelt. Michael macht sich daran die Wahrheit herauszufinden und lernt dabei nicht nur etwas über die Kraft und die Verunsicherung einer Lüge, sondern auch über die Frage nach echter Schuld und bloßen Vorwürfen.

Meinung

Nach ihrem Debütroman „Bienensterben“, der mir bereits ausgesprochen gut gefallen hat, legt Lisa O`Donnell wieder einen emotional packenden Roman über die dunklen Seiten eines normalen Familienlebens vor. Dabei wählt sie eine sehr interessante Erzählperspektive und verwendet viel Zeit und Detailtreue darauf, sich auf die Ebene des Hauptprotagonisten einzulassen. So bekommt der Leser alles Wissen, sämtliche Vorfälle und auch deren Auswirkungen so geschildert, als hätte all dies tatsächlich ein heranwachsender Schuljunge erlebt. Gerade diese Sicht auf die Dinge macht das Buch so besonders und schenkt auch traurigen Situationen ein klitzekleines Stück Humor, weil man als Teenager anders tickt als später.

Sehr ansprechend und glaubwürdig wird die Rahmenhandlung in einer Kleinstadt mit ihren allzu neugierigen Bewohnern geschildert, die gerade am Leid anderer Menschen ihren Unterhaltungswert und das gesamte Weltbild festmachen. Klatsch und Tratsch sorgen dafür, dass auch ein Schicksalsschlag nicht im Geheimen bleiben wird und das die öffentliche Ächtung oder das kollektive Mitleid ganz wesentliche Faktoren im Leben sein können, denen man als Individuum erst einmal gewachsen sein muss.

Fazit

Ich vergebe 4,5 Sterne für diesen unterhaltsamen, nachdenklich stimmenden Roman, der mich oft zum Lachen gebracht hat und gleichzeitig eine subtile Art der Beklemmung zurückließ. Empfehlenswert ist das Buch auch für jüngere Leser, die sich in den Gedanken des Ich-Erzählers vielleicht sogar wiedererkennen. Ein wichtiges Buch über den Zusammenhalt einer Familie und ihren Kampf gegen die Ungerechtigkeit. Berührend, einprägsam und erfrischend anders.

Bewertung vom 15.08.2016
Das goldene Garn / Reckless Bd.3
Funke, Cornelia

Das goldene Garn / Reckless Bd.3


gut

„Ob Pflanze, Tier oder Mensch – das Leben zwang jeden, zu lernen und zu wachsen. Je öfter man davor davonlief, desto schwerer wurde der Weg. Und gehen musste man ihn trotzdem.“

Inhalt

Jacob Reckless und sein Bruder Will erleben auch im dritten Band der Reckless-Reihe von Cornelia Funke viele magische Abenteuer in der zauberhaften Welt hinten dem Spiegel. Während der jüngere Bruder Will sich in die Spur setzt, um die Dunkle Fee, die verschmähte Geliebte des Königs zu töten. Verfolgt der ältere beharrlich seinen Bruder um genau das zu verhindern. Doch beide müssen auf ihrem Weg mit zahlreichen Unterbrechungen und unliebsamen Überraschungen rechnen. Und dann erfahren sie mehr über das goldene Garn, ein magisches Mittel, welches eine Spinne webt, um ein Band aus Liebe und ewiger Zuneigung zu schaffen. Will und Jacob werden die Spielfiguren in den Händen eines berechnenden Magiers, dessen wahre Ziele sie erst sehr spät durchschauen.

Meinung

Cornelia Funke entführt den Leser wieder in ihre zauberhafte Märchenwelt, mit den düsteren Landschaften, den geheimen Wesen und den dunklen Mächten. In wunderschönen Bildern entwirft sie eine einmalige, magische Landschaft mit sehr speziellen Wesen und mutigen Protagonisten, die sich den schwierigen Herausforderungen stellen und voller Herzblut für Gerechtigkeit, Liebe und das Gute kämpfen. Bemerkenswert ist in erster Linie die Erzählweise, die sprachlich direkt dort angesiedelt ist, wo die Geschichte spielt, in den Tiefen einer besonderen Welt. Dadurch fühlt sich der Leser direkt in die Geschichte hineinversetzt und reist gemeinsam mit den Brüdern Reckless durch ihre Spiegelwelt.

Leider konnte mich die Geschichte nur bedingt fesseln, da sie einfach sehr handlungsarm ist. Die tatsächlichen Ereignisse beschränken sich auf ein Minimum und benötigen viel Zeit, um überhaupt in Schwung zu kommen. Fragen die zu Anfang des Buches aufkommen, werden bis zum Schluss nicht geklärt und die Beweggründe der handelnden Personen erscheinen sehr schwammig. Mal ist es die Liebe, mal die Suche nach Schätzen, dann wieder der Wunsch nach Rache, doch egal wer welchen Grund angibt, keiner scheint die letzte Konsequenz zu ziehen. Dadurch verliert sich die Erzählung in unnötigen Längen und verliert an Reiz. Das offene Ende des Buches lässt auch Platz für die Vermutung, dass es einen weiteren Band der Reckless-Reihe geben wird.

Fazit
Trotz zahlreicher, begeisterter Rezensionen vergebe ich leider nur drei Lesesterne, denn für mich handelt es sich hier um ein eher durchschnittliches Leseerlebnis. Positiv hervorheben möchte ich die Erzählkunst der Autorin, der es zu verdanken ist, dass mich das Buch in fremde, fantastische Welten entführen konnte. Deshalb möchte ich unbedingt noch ein weiteres Werk von Frau Funke kennenlernen. Ich empfehle diesen Fantasy-/ Jugendroman für Leser, die Märchen lieben und Interesse an Geschichten haben, die viel Freiraum für eigene Phantasien lassen.

Bewertung vom 02.08.2016
Wir sehen uns am Meer
Rabinyan, Dorit

Wir sehen uns am Meer


sehr gut

"Das ist nur ein langer Traum, den ich mit dir träume. Die Wahrheit ist, dass ich nicht mutig genug bin."

Inhalt

Als sich Liat und Chilmi fernab von zu Hause treffen, entflammt zwischen ihnen eine intensive, alles vereinnahmende Liebe. Aus einer zufälligen Begegnung wird eine wunderbare Liebesnacht und daraus eine erfüllende Beziehung. Doch über ihren Köpfen schwebt ein Damoklesschwert, denn schon in wenigen Monaten wird Liat wieder nach Israel zurückkehren und dorthin kann sie den Araber Chilmi nicht mitnehmen, denn eine Liebe oder Beziehung zwischen den beiden wäre ein Eklat. Liat ist sich dieser Differenz vom ersten Moment an bewusst, doch sie hält an ihren Gefühlen fest, solange sie kann.

Meinung

Mich hat dieser Roman sehr fasziniert, weil er bereits im Klappentext von einer Liebe spricht, die keine Zukunft hat und so wollte ich unbedingt wissen, warum das so ist. Tatsächlich verbreitet die Autorin eine intensive Atmosphäre, geprägt von starken Gefühlen, bitteren Wahrheiten und ernsthaften Problemen.
Der Nahost-Konflikt wird auf die persönliche Ebene übertragen und wirkt dadurch viel näher und akuter. Schwer vorstellbar für unseren Kulturkreis, existiert zwischen den beiden Liebenden tatsächlich eine Kluft in ihren Gedanken, Zukunftswünschen und politischen Ansichten. Immer wieder führen sie Streitgespräche und versuchen dabei den anderen von der Richtigkeit ihrer eigenen Ansichten zu überzeugen, doch vergebens scheint die Mühe ...

Eine poetische Erzählweise, viel Einfühlungsvermögen und eine Ich-Erzählerin, die auch ihr eigenes Gedankengut, sehr stark reflektiert, machen den Roman zu einem interessanten und ansprechenden Schmöker. Dorit Rabinyan vereint in ihrer Erzählung die Geschichte eines Landes mit dem Leben in der Gegenwart und zeigt, wie schwer es sein kann, eine Beziehung, deren Grenze zu allererst in den Köpfen der Menschen existiert, aufzubauen.

Meine Kritikpunkte beziehen sich zum einen auf den fehlenden Erzählstrang, den ich mir in Form des männlichen Parts erhofft hatte. Leider bleiben dadurch viele Beweggründe und Ansichten von Chilmi im Ansatz stecken, weil seine Sichtweise nur aus zweiter Hand erlebbar wird. Und zum anderen enttäuscht mich die Handlungsweise der Liebenden, die mir für meinen Geschmack einfach viel zu wenig kämpfen, die sich nicht gegen ihre Familien und Freunde stellen wollen, die es einfach so hinnehmen, das ihre Gefühle füreinander vergehen werden und deren Perspektivlosigkeit mich auf allen Seiten des Romans begleitet hat. Oft stellte sich mir die Frage, ob es wirklich nur der Konflikt zwischen ihren Völkern war, oder ob diese Liebe auch unter normalen Umständen gescheitert wäre.

Fazit
Ich vergebe 4 Sterne und eine Leseempfehlung für diesen intensiven, vielschichtigen Roman, der sich unter gegebenen Umständen mit den verfeindeten Ansichten ganzer Völker auseinandersetzt und dadurch den Nahost-Konflikt sehr dramatisch und beklemmend wirken lässt. Abstriche verzeichne ich in Sachen Liebesgeschichte und Rebellion gegen die Allgemeinheit, da hätte ich mir persönlich mehr erhofft.

Bewertung vom 25.07.2016
The Girls
Cline, Emma

The Girls


sehr gut

Im Alter von 14 Jahren begegnet Evie Boyd einer Gruppe schillernder Mädchen, die trotz ihrer mageren Körper und losen, abgetragenen Kleider eine magische Anziehungskraft auf sie ausüben. „The Girls“ strahlen Unabhängigkeit und Extravaganz aus, eine faszinierende Mischung zwischen Furcht und der Hoffnung ein Teil dieser Verbindung zu werden stellt sich bei der Jugendlichen ein. Tatsächlich gelingt sie über Suzanne in die Mitte des Kreises und wird in die Kommune, in der die Mädchen mit ihrem Anführer und Guru Russell leben, aufgenommen. Beseelt von dem Gefühl, endlich Teil einer Gemeinschaft zu sein, in der ihr wahres Ich erkannt und beachtet wird, verstrickt sich Evie in die Machenschaften der Gruppe. Plötzlich werden täglicher Drogenkonsum, wilde Sexorgien und Diebstahl zu den Pfeilern ihres Lebens und sie rutscht in ein soziales Umfeld voller Konflikte. Doch Evie, die weniger Gefallen an Russell sondern eher an Suzanne findet, steckt bald schon sehr tief in der Geschichte drin und ihr objektives Urteilsvermögen schaltet sich ab. Als „The Girls“ den ganz großen Coup planen, kommt ihr der Zufall zu Hilfe, doch ihr Leben wird nie wieder das sein, was es einmal war.

Meinung

Tatsächlich verfolge ich neben der Lektüre des Buches seit seinem Erscheinen auch gespannt die Rezensionen der anderen Leser und konnte feststellen, dass sich hier die Meinungen sehr breit gefächert darstellen. Die einen lieben das Buch, die anderen empfinden es als mittelmäßig mit zahlreichen Schwächen. Umso gespannter war ich auf meinen persönlichen Leseeindruck dieses anscheinend kontroversen Romans.
Emma Cline entwirft hier eine umfassende Entwicklungsstudie eines jugendlichen Mädchens, die wie so viele andere auch auf der Suche ist. Auf der Suche nach Zugehörigkeit und Anerkennung, nach Liebe und wahrer Freundschaft, ohne Kompromisse und so rein und absolut, wie das Leben nur in sehr jungen Jahren erscheint. Diese Sequenz hat die Autorin ganz wunderbar herausgearbeitet, denn die Hintergründe, die Evie letztlich dazu bewogen haben, sich der Kommune anzuschließen sind absolut nachvollziehbar. Doch was mich zunehmend gestört hat, war Evies Einsicht in die innere Struktur der Gruppe, deren Handlungen sie durchaus als „falsch“ einstuft und sie dennoch in keiner Weise hinterfragt. Ganz im Gegenteil, ihre bewusste Entscheidung macht es mir schwer, an ihren gesunden Menschenverstand zu glauben. Auch das „Anderssein“ als Lebensmaxime ist nicht das Erstrebenswerte für Evie, sondern einzig und allein die unerschütterliche Zuneigung zu einer Frau, die mit Leib und Seele dem dunklen Kreis um Russell angehört.

Die Autorin schreibt in zwei Erzählebenen – einmal in denen des Jahres 1969, als die junge Evie Teil der Kommune wurde und dann in der reflektierenden Gegenwart, in denen die Ich-Erzählerin über ihre Handlungen und Unterlassung philosophiert. Die Sprache des Buches ist literarisch auf hohem Niveau, liest sich aber auch sehr leicht, fast jeder Satz enthält einen Nebensatz und damit eine weitere Nuance, ein Gefühl oder eine Erklärung. Trotzdem blieben mir alle Protagonisten des Buches seltsam fremd, keine habe ich voll verstanden oder konnte sie in ihren Gedanken begleiten. Diese fortwährende Distanz zu den handelnden Personen hat mir das Lesevergnügen stellenweise etwas vergällt, weil ich mir mehr Objektivität, mehr äußere Anteilnahme erwünscht hätte.

Fazit

Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen intensiven, kontroversen Roman, der mir literarisch top erscheint, ein interessantes teils aufrüttelndes Thema fokussiert und den Leser in die Hippie-Zeit auf ihrem Höhepunkt entführt. Dennoch lässt mich das Buch etwas enttäuscht zurück, vor allem weil das Ende mehr Hoffnungslosigkeit als alles andere aufkommen lässt.

Bewertung vom 19.07.2016
Etta und Otto und Russell und James
Hooper, Emma

Etta und Otto und Russell und James


sehr gut

"Deshalb möchte ich etwas tun und tun und nie mehr aufhören. Wenn wir etwas tun, dann leben wir, und wenn wir leben, dann siegen wir, oder?"

Inhalt

Seit ihrer Jugend verbindet Etta, Otto und Russell eine ganz besondere Freundschaft, die auch jetzt im Seniorenalter fast ungetrübt weiterbesteht. Einst war Etta die gleichaltrige Lehrerin der beiden jungen Männer, die sich aus ganz verschiedenen Gründen in sie verliebt haben. Doch dann kam der Krieg und erstickte jedwede Zuneigung direkt im Keim. Mit Otto verbindet sie fortan eine intensive Brieffreundschaft, die schon bald ihrer beider Lichtblick wird und Russell, der auf Grund seiner körperlichen Behinderung ausgemustert wurde, bleibt vor Ort ihr wichtigster Ansprechpartner und Vertrauter.
Doch als der Krieg zu Ende geht, wandelt sich ihre Beziehung, damit sie allen Beteiligten gerecht wird und was als komplizierte Dreiecksbeziehung hätte enden können, findet einen Kompromiss. Nach all den Jahren gehen die drei immer noch einen gemeinsamen Weg, der sie erst im hohen Alter voneinander trennt, denn da beschließt die nunmehr 83-jährige Etta, sich einen Lebenstraum zu erfüllen: einmal das Meer sehen. Und zurück bleiben die zwei Männer, die nun wiederrum ganz unterschiedlich mit dieser Trennung umgehen.

Meinung

Der Roman von Emma Hooper kombiniert viele interessante Themen miteinander, denen alles eins gemeinsam ist: Wie nehmen Menschen Abschied, welche Pläne schmieden sie und warum und wie trägt uns die Hoffnung durchs Leben, so dass wir ein Wiedersehen feiern, statt eine Entscheidung zu bedauern. So wird der Leser im Laufe der Geschichte zum Beobachter einer lockeren und doch innigen Freundschaft zwischen drei Menschen, die sich gegenseitig Halt geben und einander die Welt bedeuten. Wir finden hier große Gefühle im Briefwechsel, dann wieder in Rückblenden und berührenden Kindheitserinnerungen und schließlich in uneigennützigen Handlungen, die von Liebe geprägt sind.

Dabei bedient sich die Autorin einer kindlichen, teils naiv wirkenden Sprache, die kurze Leseabschnitte mit verschiedenen Zeitebenen verbindet. Daraus entwickelt sich ein einfühlsamer, stiller Roman mit ganz eigenen, durchaus besonderen Hauptprotagonisten, die einérseits sehr bedeutsam für die Geschichte sind aber andererseits nur durch ihre Interaktion miteinander ihre volle Wirkung entfalten.

Fazit

Ich vergebe 4 Sterne und eine Leseempfehlung für diesen sinnerfassenden Roman über Freundschaft, Liebe, einen trennenden Krieg, eine verbindende Nähe und den Mut und die Kraft einen unerwarteten Neubeginn zu wagen, ganz egal wann der Zeitpunkt dafür gekommen ist.