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Readaholic

Bewertungen

Insgesamt 357 Bewertungen
Bewertung vom 06.07.2021
Betreff: Falls ich sterbe
Setterwall, Carolina

Betreff: Falls ich sterbe


sehr gut

Carolina und Aksel sind beide Anfang/Mitte 30, erfolgreich im Beruf, müssen nicht aufs Geld achten und leben zusammen mit ihrem Baby in einer Eigentumswohnung in Stockholm. Alles scheint perfekt, bis Carolina eines Morgens Aksel tot im Bett auffindet. Er starb mit 34 im Schlaf an Herzversagen.
Ihre heile Welt bricht völlig in sich zusammen. Sie versteht nicht, wie das passieren konnte, gibt sich selbst die Schuld, weil sie der Meinung ist, Aksel zu viel zugemutet zu haben und nie zufrieden gewesen zu sein.
Glücklicherweise hat Carolina einen riesigen Freundeskreis. Von Aksels Tod an wechseln sich Freunde und Familie monatelang ab, ständig ist jemand in Carolinas Nähe, die Freunde kaufen ein, kochen, kümmern sich um Baby Ivan. Diesen Teil des Buchs fand ich wirklich erstaunlich. Ich glaube nicht, dass es viele Menschen gibt, die auf ein solches Netzwerk zurückgreifen können.
In diesem „autofiktionalen“ Roman – teils autobiographisch, teils Fiktion – beschreibt Carolina Setterwall minutiös ihre Gefühle und Gedanken, zunächst auf zwei Zeitebenen – Oktober 2014, die Zeit, als Aksel starb – und die Zeit des Kennenlernens sowie die Entwicklung der Beziehung von 2009 bis 2014. Dabei kommt sie vollkommen ohne wörtliche Rede aus, was mich zunächst ziemlich irritiert hat. Ich fand es äußerst gewöhnungsbedürftig, ein Buch von fast 500 Seiten zu lesen, in dem nur beschrieben wird und in dem keinerlei Dialoge vorkommen. Und doch hat mich Carolinas Geschichte fasziniert. Wir begleiten sie bis ins Jahr 2016, erleben mit, wie sie sich ihren Weg in den Alltag zurückerkämpft und sogar mit der Zeit Ausschau nach einem neuen Partner hält. Den Schluss fand ich dann nicht mehr ganz so interessant, denn sie geht eine fast schon symbiotische Beziehung mit einem Mann ein, der ebenfalls Witwer ist und eine kleine Tochter hat. Der Mann bleibt allerdings eine Randfigur, man erfährt nicht viel über ihn. In diesem letzten Teil wird klar, dass Carolina den mittlerweile über 2jährigen Ivan immer noch wie ein Baby behandelt und ihr ganzes Leben nur nach ihm ausrichtet. Wenn er weint oder sich langweilt, bespaßt sie ihn sofort, sie bringt es nicht fertig, ihm irgendetwas abzuschlagen. Konnte ich mich bisher gut in sie einfühlen, hat mich dieses Verhalten doch sehr gestört und befremdet. Bis auf die letzten 80 Seiten fand ich das Buch jedoch sehr interessant und lesenwert.

Bewertung vom 29.06.2021
Tiefer Fjord
Lillegraven, Ruth

Tiefer Fjord


ausgezeichnet

Der Arzt Haavard und seine Frau Clara, eine Politikerin, haben sich auseinander gelebt. Es gibt nur noch wenige Berührungspunkte. Als in der Klinik, in der Haavard arbeitet, ein kleiner pakistanischer Junge an den Folgen körperlicher Misshandlung stirbt, sind beide gleichermaßen betroffen, denn Clara hat in den letzten Monaten eine Gesetzesvorlage zum Schutz misshandelter Kinder erarbeitet, die allerdings soeben abgelehnt wurde.
Dann wird der Vater des misshandelten Kindes in der Klinik erschossen und der Verdacht fällt zunächst auf die Klinikmitarbeiter. Wenig später wird eine weitere Ermordete aufgefunden, ausgerechnet in dem Hotel, in dem sich Haavard und sein Team zu einem Meeting aufhalten. Auch dieses Mal handelt es sich um eine Einwanderin. Sind es rassistische Taten oder steckt etwas ganz Anderes dahinter?
Haavard gerät ins Visier der Ermittler, denn er hätte Gelegenheit zu beiden Morden gehabt. Er wird zur Befragung abgeholt und über Nacht in der Polizeistation festgehalten. Für Clara kommt dies zur Unzeit, denn sie wurde soeben zur Staatssekretärin ernannt und die Aufmerksamkeit der Presse liegt auf ihr. Doch dann geschieht ein dritter Mord und Haavard hat das beste Alibi von allen: er befand sich zum Tatzeitraum in Polizeigewahrsam.
Die Geschichte wird in kurzen Kapiteln aus der Sicht der einzelnen Personen geschildert. Dabei erfahren wir viel aus ihrer Vergangenheit, die vor allem für Clara nicht einfach war. Das Buch ist unglaublich spannend und mit überraschenden Wendungen, ich konnte es wirklich kaum aus der Hand legen. Für mich ist es der beste Krimi, den ich bisher in diesem Jahr gelesen habe. Ich freue mich jetzt schon auf den zweiten Band der Reihe!

Bewertung vom 26.06.2021
Heldinnen werden wir dennoch sein
Wünsche, Christiane

Heldinnen werden wir dennoch sein


sehr gut

Susi, Ellie, Helma und Ute sind Mitte 50, doch sie kennen sich schon seit ihrer Schulzeit, in der sich die Clique regelmäßig traf. Auch Marie gehörte dazu, doch sie starb vor Jahren bei einem Verkehrsunfall. Ein weiteres wichtiges Mitglied der Clique war der einfühlsame Frankie, den die Mädchen gern um sich hatten, weil er nicht so ein Macho war wie die anderen Jungs in der Klasse. Helma fühlte sich besonders zu Frankie hingezogen, doch es wurde nie mehr zwischen ihr und Frank, denn Frankie war schwul, was den Mädchen entweder nicht bewusst war oder deshalb nicht angesprochen wurde, weil Homosexualität zu der damaligen Zeit noch ein Tabuthema war. Nur Helmas Onkel, der Alkoholiker Jupp, der bei Helma und ihrer Familie lebte, bezeichnete Frankie im Suff als Memme, die endlich beweisen sollte, ein „richtiger Mann“ zu sein.
Das Buch spielt auf zwei Zeitebenen, der Teenagerzeit der Clique in den 70er und 80er Jahren und der Gegenwart. Damals waren die Probleme, mit denen sich die Freundinnen herumschlugen, Fragen wie „wie finde ich einen Freund?“ oder „wie schaffe ich ein möglichst gutes Abitur?“, im Falle von Helma ging es allerdings um sehr viel tiefgründigere Dinge, denn sie pflegte ihre krebskranke Mutter und musste neben der Schule her noch den Haushalt schmeißen.
Heute sind die Probleme der Frauen ganz anderer Art: finanzielle Sorgen, Scheidung, Fremdgehen des Partners, gesundheitliche Probleme, das Abnabeln der Kinder, usw.
Während sich die Clique früher fast täglich getroffen hat, sind die Verbindungen heute lose und zu Frank, der nach Berlin gezogen ist, ist der Kontakt ganz abgebrochen. Erst mit der Zeit wird klar, dass in der Jugend ein einschneidendes Ereignis stattgefunden hat, das sie alle geprägt hat.
Das Buch befasst sich mit dem Thema was macht eigentlich Freundschaft aus? Wie wichtig sind Ehrlichkeit und Loyalität und führt das Fehlen derselben zwangsläufig zum Bruch? Was muss eine Freundschaft aushalten und was sind absolute no-gos?
Obwohl ich nicht alle Handlungen und Problemlösungen nachvollziehen konnte und mir manches zu glatt lief, hat mir das Buch als Ganzes gefallen. Es ist keine seichte Frauen-Wohlfühllektüre, sondern spricht durchaus ernste Themen und Konflikte an, die zum Nachdenken anregen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.06.2021
Tod in der Arktis / RAVNA Bd.1
Herrmann, Elisabeth

Tod in der Arktis / RAVNA Bd.1


ausgezeichnet

Verbrechen am Polarkreis
Die junge Samin Ravna möchte mit der jahrhundertealten Tradition ihrer Familie, Rentiere zu halten, brechen und stattdessen zur Polizei gehen. Sie sieht darin ihre einzige Chance, aus ihrem kleinen Heimatort Vadso fortzukommen und ein geregeltes Einkommen zu haben.
Zunächst muss sie ein Praktikum an der Polizeistation in Vadso absolvieren. Gleich an ihrem ersten Tag dort wird ein Toter gefunden. Alles deutet darauf hin, dass ein Same der Täter war. Doch als sich herausstellt, dass sich das Mordopfer mit einem Norweger getroffen hatte, der ihm Land abkaufen wollte, ist für die Polizisten schnell ein Schuldiger gefunden. Der hinzugerufene Kommissar aus Kirkenes, Rune Thor, ist froh, den Fall so schnell wie möglich abzuschließen und wieder abzureisen, doch Ravna gibt nicht auf. Woher hätte ein Norweger wissen sollen, dass man einem toten Samen Birkenrinde zusteckt und einen Strich auf den Boden macht? Als sie dann auch noch ein Opfertier findet, ist für sie die Sache klar. Ihre Kollegen sind alles andere als begeistert von Ravnas Alleingängen, doch Rune Thor gefällt ihre Hartnäckigkeit und akzeptiert sie als Partnerin. Gemeinsam versuchen sie, dem wahren Täter auf die Spur zu kommen. Dann geschieht ein zweiter Mord...
Elisabeth Herrmann gelingt es in „Ravna“ sehr gut, die Landschaft am Polarkreis und die ganz besondere Stimmung sowie das Misstrauen und die Konflikte zwischen den Samen und den Norwegern zu beschreiben. Ravna ist eine eigenwillige Protagonistin und auch Rune Thor, der durch eine persönliche Tragödie aus der Bahn geworfen wurde, entspricht ganz und gar nicht dem Bild, das man sich von einem Kommissar macht. Die Geschichte ist sehr vielschichtig und bringt dem Leser die Mythen und Riten der samischen Bevölkerungsgruppe nahe. Für mich war das Buch ein wahrer Pageturner. Ich hoffe sehr, dass es eine Fortsetzung der Geschichte um Ravna und Rune Thor geben wird! Klare Leseempfehlung.

Bewertung vom 07.05.2021
Jaffa Road
Speck, Daniel

Jaffa Road


sehr gut

Die verschiedenen Leben des Moritz Reincke
Moritz Reincke alias Maurice Sarfati ist tot. Ein Schock für seine Tochter Noelle und seine Enkelin Nina, die von einem Notar davon in Kenntnis gesetzt werden. Beide wussten nicht, wo der Vater bzw. Großvater lebte, war er doch vor Langem aus ihrem Leben verschwunden. In seinem Haus in Sizilien erwartet sie der nächste Schock: sie treffen einen Mann, der nicht nur Moritz’ Arzt, sondern auch sein Sohn war, dessen Mutter in Haifa aufwuchs.

In diesem Episodenroman beschreibt Daniel Speck aus verschiedenen Blickwinkeln den Nahostkonflikt. Juden und Araber lebten als Nachbarn Seite an Seite, bis die Briten beschlossen, das Land willkürlich zu teilen, um den Juden die Möglichkeit zu geben, ihr eigenes Land, Israel, zu gründen. Aus Nachbarn werden Feinde, Menschen werden aus ihren Häusern und ihrer Heimat vertrieben, die Grausamkeit ist schwer zu ertragen. Obwohl mich die minutiöse Recherchearbeit des Autors beeindruckt, hat mich dieser Teil des Romans fast erschlagen angesichts der vielen vielen Details. „Die Husseini, Nashashibi und Khalidi stritten sich um Macht und Posten“ – so genau hätte es für meinen Geschmack nicht sein müssen. Auch die komplizierten Familienverhältnisse in den einzelnen Handlungssträngen – Berlin, Haifa und Jaffa – waren eine Herausforderung. Dass am Ende des Buchs eine Auflistung der wichtigsten Personen enthalten ist, habe ich leider erst relativ spät entdeckt. Wahrscheinlich hätte die Kenntnis von Specks zweitem Roman „Piccola Sicilia“ zum Verständnis beigetragen, dieses Buch habe ich allerdings nicht gelesen.

Die Geschichte ist spannend und gut erzählt, man ist als Leser gespannt, wie die einzelnen Handlungsstränge zusammenhängen. Um das Buch zu genießen, sollte man allerdings unbedingt ein Interesse am Nahostkonflikt und Politik mitbringen. Für meine Begriffe hätte Speck diesen Teil der Ereignisse allerdings etwas kürzen können.

Bewertung vom 03.05.2021
Kim Jiyoung, geboren 1982
Cho, Nam-joo

Kim Jiyoung, geboren 1982


weniger gut

Die 33jährige Kim Jiyoung leidet unter einer Persönlichkeitsstörung. Sie spricht und verhält sich wie ihre Mutter, dann wieder wie eine verstorbene Freundin, wobei sie von Ereignissen erzählt, die sie gar nicht miterlebt hat, ein Umstand, der nicht weiter erklärt wird.
Kim Jiyoung sucht daraufhin einen Psychiater auf, der Kims Werdegang in knappen und emotionslosen Worten schildert. Als mittlere von drei Geschwistern wächst sie in einer Familie auf, in der die Mutter die Fäden in der Hand hält und dafür sorgt, dass die Kinder ein gutes Leben führen können. Trotzdem ist es der wenig erfolgreiche Vater, der sich damit brüstet, wie weit sie es gebracht haben. Die Mutter, eine starke Frau, lässt dies jedoch so nicht stehen und bietet ihm Paroli.
Mit einer starken Mutterfigur vor Augen wundert es mich sehr, dass Kim Jiyoung so unterwürfig und duckmäuserisch durchs Leben geht. Ja, das Leben in Südkorea scheint ausgesprochen sexistisch und frauenfeindlich zu sein. Aber wenn man sich wie Kim Tag für Tag diesem Sexismus unterordnet und nie traut, den Mund aufzumachen und sich zu wehren, wie soll sich dann jemals etwas an der Situation ändern? Als Kim hochschwanger in der U-Bahn beleidigt wird, rennt sie beispielsweise tränenüberströmt davon und geht den restlichen langen Weg zu Fuß nach Hause, anstatt wütend zu werden und sich zu verteidigen. Dieses Verhalten ging mir unheimlich gegen den Strich. Vieles, was in diesem Buch geschildert wird, ist wirklich übel, aber Kims Verhalten ist es auch. Mimimi auf über 200 Seiten!
Es ist kaum vorstellbar, dass die geschilderten Zustände sich auf die jüngste Vergangenheit beziehen sollen. Ist Südkorea in gesellschaftlicher Hinsicht wirklich so rückständig? Zu gern würde ich eine südkoreanische Doktorandin befragen, die ich vor 2 Jahren kennenlernte, zu der ich aber leider den Kontakt verloren habe. Ihre Meinung würde mich wirklich sehr interessieren. Ich erinnere mich, dass sie auf jeden Fall von Deutschland nach Seoul zurückkehren wollte, weil sie sich dort gute Zukunftschancen ausrechnete. Das passt überhaupt nicht zu der im vorliegenden Roman propagierten Darstellung.
Ich hatte die Leseprobe sowie begeisterte Rezensionen gelesen, erwartete also ein interessantes Buch. Leider bin ich sehr enttäuscht. Der Sprachstil ist simpel und erinnert mich an den Schulaufsatz eines Drittklässlers, und leider konnte ich keine Empathie mit der Protagonistin empfinden, da ich mich so über ihre passive Opferrolle geärgert habe. Mir ist es ein Rätsel, wie es dieses Buch geschafft hat, zum „Weltbestseller“ zu werden!

Bewertung vom 30.04.2021
Der Morgen davor und das Leben danach
Napolitano, Ann

Der Morgen davor und das Leben danach


ausgezeichnet

Der Auserwählte
Im Alter von zwölf Jahren verliert Edward Adler, genannt Eddie, seine beiden Eltern und seinen 15jährigen Bruder Jordan bei einem Flugzeugabsturz. Eddie saß ebenfalls im Flugzeug, überlebte aber als einziger von einhundertzweiundneunzig Passagieren schwer verletzt den Crash, weshalb ihn viele anschließend als von Gott auserwählt betrachten.
Die körperlichen Verletzungen heilen mit der Zeit, mit den seelischen sieht es anders aus. Eddie lebt nun mit seiner Tante Lacey, der Schwester seiner Mutter, und ihrem Mann John, die kinderlos und von der Situation ziemlich überfordert sind. Zum Glück wohnt im Nachbarhaus Besa mit ihrer ebenfalls zwölfjährigen Tochter Shay. Shay ist die einzige Person, in deren Gegenwart sich Edward halbwegs normal fühlt. Auch für Shay ist es ein Glück, Eddie zu treffen, denn sie ist durch ihre direkte Art, die viele vor den Kopf stößt, in der Schule ziemlich isoliert.
Der Roman behandelt parallel zueinander die Gegenwart – Edwards Leben nach dem Crash – und den Morgen des Flugzeugsabsturzes, der minutiös beschrieben wird. Der Leser lernt einige der Passagiere des Flugs von New York nach Los Angeles kennen. Fast alle haben einen neuen Lebensabschnitt vor sich. Linda fliegt zu ihrem Freund und hat gerade festgestellt, dass sie schwanger ist, Florida hat beschlossen, ihren Mann zu verlassen und in Kalifornien ein neues Leben zu beginnen, der Soldat Benjamin wiederum plant, die Armee zu verlassen, und Familie Adler zieht um, weil Mutter Jane als Drehbuchschreiberin an der Westküste ein gutes Angebot bekommen hat. Die Hoffnungen und Pläne der Passagiere werden geschildert, was die Situation umso bedrückender macht, denn der Leser weiß ja von Anfang an, dass sie ihr Ziel nie erreichen werden.
„Der Morgen davor und das Leben danach“ – übrigens ein sehr viel aussagekräftigerer Titel als der englische Originaltitel „Dear Edward“ – ist ein sehr berührendes Buch, das unter die Haut geht. Es ist spannend und zugleich herzzerreißend zu erleben, mit welchen Erwartungen und Forderungen sich Menschen an Edward wenden, vor allem Angehörige von Absturzopfern, und mitzuerleben, wie Edward peu à peu lernt, sich mit seinem neuen, „geschenkten“ Leben zu arrangieren und ohne Eltern und Bruder weiterzuleben. Ein New York Times Bestseller, zu Recht.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.04.2021
Der Donnerstagsmordclub / Die Mordclub-Serie Bd.1
Osman, Richard

Der Donnerstagsmordclub / Die Mordclub-Serie Bd.1


ausgezeichnet

Großartiges Lesevergnügen
Als die 80jährige Joyce in die Luxus-Seniorenresidenz Coopers Chase einzieht, ahnt sie nicht, wie sehr dies ihr Leben verändern wird, denn Elizabeth, eine mutmaßliche frühere Geheimagentin, die es sich zusammen mit zwei weiteren Senioren zur Aufgabe gemacht hat, alte ungelöste Kriminalfälle aufzuklären, lädt sie ein, dem „Donnerstagsmordclub“ beizutreten. (Der offizielle Name der Veranstaltung lautet allerdings „Diskussionsveranstaltung zur japanischen Oper“, damit niemand der anderen Bewohner von Coopers Chase auf die Idee kommt, sich zusätzlich zu den vieren zur betreffenden Zeit im „Puzzlestübchen“ einzufinden.)

Während sich der Club mit dem lange zurückliegenden Tod einer jungen Frau beschäftigt, wird einer der Investoren von Coopers Chase ermordet aufgefunden. Der Fall scheint klar, doch dann wird der Hauptverdächtige ebenfalls ermordet. Eine echte Herausforderung für den Donnerstagsmordclub!

Dieses Buch ist das Erstlingswerk des britischen Produzenten Richard Osman (oder, wie der Klappentext verrät, „sein erstes und bisher bestes Buch“). Ich habe mich schon lange nicht mehr so bei der Lektüre eines Buchs amüsiert. Für mich stand die Sprache und dieser typisch britische Humor im Vordergrund, die eigentlichen Kriminalfälle sind eher zweitrangig, zumal mir nicht ganz klar ist, warum das Seniorenermittlerteam die einen Schuldigen der Polizei melden und einen offensichtlichen Mörder decken wollen. Aber das tat dem Lesevergnügen keinen Abbruch.

Es ist selten, dass ich mit den Lobeshymnen auf Buchcovern übereinstimme, oft kommt es mit sogar so vor, als hätte ich ein anderes Buch als die betreffende Person gelesen, aber in diesem Fall ist die Einschätzung des Daily Mirror „Witzig, warmherzig und weise – einer der vergnüglichsten Romane des Jahres“ absolut zutreffend.

Bewertung vom 24.04.2021
Die Wahrheit der Dinge
Thiele, Markus

Die Wahrheit der Dinge


sehr gut

Ein Richter mit Selbstzweifeln
Frank Petersen ist Richter mit Leib und Seele, doch in letzter Zeit wurden mehrere seiner Urteile vom BGH aufgehoben, was ihm sehr zu schaffen macht. Seine Frau Britta wirft ihm Überheblichkeit und Ichbezogenheit vor. Als Petersen den potentiellen Schwiegervater seines Sohns hinter Gitter bringt, ist das Maß voll: Britta zieht mit dem gemeinsamen Sohn aus.
Zur selben Zeit erfährt Petersen, dass Corinna Maier, die Frau, die vor Jahren den Mörder ihres Sohns im Gerichtssaal erschoss, aus dem Gefängnis entlassen wird. Petersen war der Richter in dem Fall und der Mord im Gerichtssaal geht ihm bis heute nach.
Da Petersen Urlaub und außer Renovierungsarbeiten nichts zu tun hat, beschließt er spontan, Corinna aus dem Gefängnis abzuholen. Warum, ist ihm selbst nicht ganz klar. Trotz der seltsamen Situation verbringen die beiden ein paar Tage miteinander, in denen sie sich offen aussprechen. Corinna, die Petersen als eingebildeten und von sich selbst überzeugten Juristen in Erinnerung hat, lernt den Menschen Petersen kennen und schätzen. Petersen seinerseits wird während dieser Zeit klarer, wie er sein Leben ändern will und muss.
Die erste Hälfte des Buchs konnte mich nicht wirklich fesseln, was wahrscheinlich daran liegt, dass der Leser die Fakten nur häppchenweise serviert bekommt. Man erfährt von den Fällen Maier und Korkmaz, doch nicht, worum es dabei geht. Diese Salamitaktik hat mich etwas genervt. Die zweite Hälfte fand ich dann sehr interessant, zumal die beiden Fälle wahren Gegebenheiten nachempfunden sind. Ein interessantes Buch, das zum Nachdenken über Recht und Gerechtigkeit anregt, bei dem der Funke bei mir allerdings erst spät übergesprungen ist.

Bewertung vom 15.04.2021
Stay away from Gretchen / Gretchen Bd.1
Abel, Susanne

Stay away from Gretchen / Gretchen Bd.1


ausgezeichnet

Hände weg von deutschen Fräuleins
Jeden Abend schaut die 85jährige Greta Nachrichten. Nicht, weil sie die Weltpolitik interessiert, vielmehr möchte sie ihren Sohn Tom, den Nachrichtensprecher, sehen. Greta lebt seit dem Tod ihres Mannes allein in einer großen Altbauwohnung in Köln-Porz, Tom nur weniger Kilometer entfernt in einem schicken Penthouse in der City. Als vielbeschäftigter Journalist hat er nicht viel Zeit für die Mutter. Deshalb kommt es ihm äußerst ungelegen, als er eines Nachts einen Anruf von der Polizei bekommt: seine Mutter wurde orientierungslos in ihrem Auto 400 Kilometer entfernt von Köln aufgegriffen und ins örtliche Krankenhaus eingeliefert, Diagnose: Demenz.
Tom glaubt zunächst an eine Fehldiagnose, doch dann muss er sich eingestehen, dass seine Mutter ihre Krankheit meisterhaft vor ihm versteckt und überspielt hat.
In einem zweiten Handlungsstrang erleben wir Greta als kleines Mädchen bis ins Erwachsenenalter. Aufgewachsen in Ostpreußen, musste sie mit ihrer Familie vor den russischen Besatzern fliehen. Ohne Vater, denn der ist an der Front. Was sie auf der Flucht erleben, ist unmenschlich und als Flüchtlinge sind sie nirgendwo willkommen. Ihr Ziel ist Heidelberg, Oma Gustes Heimat. Dort leben sie zunächst mehr schlecht als recht in einem Gartenhäuschen, doch alles ist besser als was sie zuvor ertragen mussten.
In Heidelberg lernt Greta den jungen schwarzen GI Robert Cooper kennen. Zunächst beäugt sie den Besatzer misstrauisch, doch er ist nett zu ihr und hilft ihr eines Tages, als sie von einer Gruppe Jugendlicher überfallen wird. Mit der Zeit entwickelt sich aus der Freundschaft mehr, doch natürlich müssen sie ihre Gefühle füreinander geheim halten, denn bei den Deutschen sind „Amiliebchen“ verhasst. Die Amerikaner haben sogar eine Broschüre für die in Deutschland stationierten Soldaten herausgegeben, „Stay Away from Gretchen“, in der sie die Soldaten vor den mit Syphilis infizierten deutschen Frauen warnen.
Mit fortschreitender Demenz lebt Greta immer mehr in der Vergangenheit. Eines Tages sucht sie in einem Kindergarten nach „Marie“. Tom beginnt die Wohnung seiner Mutter zu durchsuchen und findet das Foto eines dunkelhäutigen Kleinkinds. Er stellt fest, dass er herzlich wenig über die Vergangenheit seiner Mutter weiß und beginnt Nachforschungen anzustellen...
„Stay away from Gretchen“ ist ein äußerst packender Roman, den ich regelrecht verschlungen habe. Man merkt, dass die Autorin mit dem Thema Demenz vertraut ist. Gleichzeitig bringt sie uns ein Stück Zeitgeschichte nahe. Das Buch ist hervorragend recherchiert, die zitierten Reden und Schriftstücke werden durch das angehängte Literaturverzeichnis belegt. Absolute Leseempfehlung!