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Buchdoktor
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Deutschland
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Romane, Krimis, Fantasy und Sachbücher zu sozialen und pädagogischen Tehmen interessieren mich.

Bewertungen

Insgesamt 612 Bewertungen
Bewertung vom 04.01.2017
Rettet die Neugier!
Ansari, Salman

Rettet die Neugier!


ausgezeichnet

"Es gibt kaum mehr ein Elternpaar, das sein Kind nicht für besonders förderungswürdig hält", beklagt Salman Ansari den derzeitigen Frühförderwahn. Aus einem wissbegierigen Kindergartenkind würde jedoch zum Ende der Grundschulzeit zu oft ein enttäuschter Schüler mit Versagensängsten. Studienanfängerzahlen zeigen, dass das im internationalen Vergleich geringe naturwissenschaftliche Interesse deutscher Schüler durch ein paar zusätzliche Experimente in Kitas und Kindergärten bisher nicht zu steigern war. Der Lernpädagoge kritisiert an den bisher halbherzigen Förderaktionen, dass der Dialog mit den Kindern dabei viel zu kurz kommt, das Weltbild von Kindern und die kindliche Logik kaum berücksichtigt würden. Bevor Kinder nicht beim Krabbeln, Laufen oder in der Natur Erfahrungen mit den unbewussten physikalischen Abläufen ihrer Bewegungen sammeln und eigene Vorstellungen formulieren können, warum manche Dinge sind wie sie sind, sei ein zeitliches Vorziehen von Schulstoff in die Kindergartenzeit sinnlos. Das vorzeitige Behandeln von Grundschulstoff mit Dreijährigen sieht Ansari äußerst kritisch, weil er den Großteil der bisher eingesetzten Fragestellungen für die Altersgruppe für ungeeignet hält. Unnützes Wissen oder Wissen im ungeeigneten Moment mache geistig unbeweglich. Kinder sollen laut Ansari nicht einüben und als Wissensvorrat für die Schule speichern, was Erwachsene als Antwort auf Fragen Erwachsener erwarten, sondern selbst nach Lösungen suchen lernen und ihr neu entdecktes Wissen mit ihren bisherigen Vorstellungen selbst vernetzen. Erwachsene hätten gegenüber Kinderfragen allein die Moderatorenrolle einzunehmen. Virtuelle Erfahrungen schalten dialogische Lernprozesse aus, warnt der Naturwissenschaftler übereifrige Eltern. Schnellen, wissenschaftlich korrekten Antworten wäre in der naturwissenschaftlichen Frühförderung zu misstrauen; denn unsere Gesellschaft bräuchte weniger Wissende und mehr flexibel reagierende Menschen, die schöpferisch gestalten wollen. ... - Eindrucksvoll legt Ansari dar, dass man es mit frühkindlicher Förderung sehr wohl übertreiben kann. So weigerte sich eine Kindergruppe beharrlich, mit ihm über "Luft" zu sprechen, weil das Thema ihrer Ansicht nach in der Kita schon abgehakt worden war (S. 188/189). Bildungspolitikern sollte zu denken geben, wenn der Autor berichtet, wie sich Hauptschüler von Schülern anderer Schultypen bei den Aktivitäten nicht in ihrer Intelligenz unterschieden, sondern in ihrem auffallend geringen Selbstbewusstsein und ihrem Unglauben, dass sich jemand aufrichtig für ihre Gedanken interessieren könnte. - Ansaris lebenskluges Buch lässt sich auch von pädagogischen Laien zügig lesen. Eltern sollten sich von Salman Ansari ermutigt sehen, sich wieder stärker auf ihren gesunden Menschenverstand zu verlassen, Kindern ihr eigenes Entwicklungstempo zuzugestehen und sich selbst für die Sprachentwicklung als Grundlage jedes weiteren Lernens zuständig zu fühlen. Wer, verunsichert von der Frühförderwelle, fürchtet, das eigene Kind könnte etwas verpassen, dem lege ich besonders das letzte Kapitel ans Herz. Salman Ansari konzentriert sich darin mit großer Wertschätzung für die Arbeit im Kindergarten auf das wirklich Wichtige, die Gemeinschaft, in der Kinder lernen andere zu respektieren und Anteil an deren Gedanken zu nehmen.

Bewertung vom 04.01.2017
Der nächste kalte Krieg
Hirn, Wolfgang

Der nächste kalte Krieg


ausgezeichnet

Wolfgangs Hirn Blick in die Zukunft klingt düster, wenn er zwischen China und den von wirtschaftlich und politisch schwachen USA angeführten Staaten des Westens Kriege prophezeit um Rohstoffe, Wasser, Technologien, die Meere und die Kontrolle des Internets. Hirn appelliert an die Deutschen, vom hohen Ross herunterzusteigen (S. 93), ihr überholtes Chinabild aufzupolieren und sich der Realität zu stellen. Angesichts des Säbelrasselns im südchinesischen und ostchinesischen Meer sieht Hirn Europa sogar in der Verpflichtung, in Asien nicht allein als Händler sondern aktiv als Verhandlungsführer für dieLösung von Konflikten zu sorgen. Voraussetzung für eine Vermittlerrolle wäre eine deutsche Chinapolitik, die diesen Namen verdient. Laut Hirn hat die bei deutschen Politikern beliebte Phrase vom "Wandel durch Handel" ausgedient. China hat sich trotz blühender Wirtschaftsbeziehungen zum Westen bisher nicht demokratisiert; warum es das auch zukünftig nicht tun wird, legt der Autor schlüssig dar. - Wolfgang Hirn liefert eine ernüchternde Bestandaufnahme. Als größter Inhaber amerikanischer Staatsanleihe ist China heute mächtigster Gläubiger der USA und das Pentagon soll bereits Planspiele betreiben, wie ein Finanzkrieg zwischen China und den USA verlaufen könnte. Angesichts einer Sparquote im Land von rund 50% spielt bei chinesischen Investitionen Geld keine Rolle. In der Dritten Welt hat sich China inzwischen zum einflussreichsten Kreditgeber entwickelt, mächtiger als die Weltbank; denn das Riesenreich knüpft anders als westliche Staaten an die Kreditvergabe offiziell keine Bedingungen. Hirns Darstellung der jüngsten chinesisch-afrikanischen Beziehungen könnte irrtümlich den Anschein erwecken, chinesische Kaufleute würden selbstlos bedürftige afrikanische Staaten unterstützen, denen der Westen mit Forderungen nach Demokratisierung im Nacken sitzt. Doch die neuen Achsen der Weltwirtschaft von China nach Afrika und nach Brasilien entstehen stets strategisch ausgeklügelt in der Nähe bisher unausgebeuteter Rohstoffvorkommen und an Handelsrouten, die der neue Kolonialherr China im Interesse ungehinderter Rohstoffimporte gesichert sehen möchte. - In Deutschland wird es laut Wolfgang Hirn zunehmend Beteiligungen und Übernahmen deutscher Firmen durch chinesische Unternehmen geben. Deutschlands Spitzenposition im Maschinenbau und im Automobilbau sieht Hirn von chinesichen Konkurrenten mit ihren exzellent ausgebildeten Mitarbeitern bedroht. Obwohl die Chinesen die Fertigungsqualität von 50% auf 75% des deutschen Niveaus gesteigert hätten, wolle der Westen noch immer nicht wahrhaben, dass die technologische Lücke zwischen China und Europa ständig schmaler wird. - ... Der eilige Leser kann sich bei Wolfgang Hirn zügig informieren. Der Autor wertet, prägnant formuliert, aktuelle Meldungen und Meinungen der vergangenen beiden Jahre aus. Für Hirn ist ein Glas stets halb gefüllt, nicht halb leer. Aktuelle Trends in die Zukunft fortzudenken liegt ihm deutlich stärker als Kritik an den Schattenseiten dieser Entwicklungen zu üben. Wenn Hirn euphemistisch umschreibt, dass es in China derzeit n o c h kaum Umweltbewusstsein gibt, oder die Vorteile des chinesischen Staatskapitalismus für die neue Mittelschicht (auf Kosten weniger gut gestellter Bevölkerungsschichten) lobt, erkenne ich in seiner parteilichen Sicht wenig Unterschied zur Sichtweise jener Politiker, die noch immer auf Wandel durch Handel hoffen.

Bewertung vom 04.01.2017
Schottlands Wächter (eBook, ePUB)
Gerlach, Katharina

Schottlands Wächter (eBook, ePUB)


sehr gut

Würde ich in Irland oder Schottland leben, gehörte selbstverständlich "das kleine Volk", die Welt der Feen und fantastischen Wesen, zu meinem Alltag. Bryanne McConnachie hatte als Kind nicht nur einen imaginären Freund, sondern unterhielt sich zur großen Beunruhigung ihres Vaters bei ihren Gesprächen hinter dem Sofa gleich mit einer ganzen Reihe von Fantasiegestalten. Inzwischen ist Bryanne fast erwachsen und nutzt im Schottland von heute öffentliche Verkehrsmittel und einen PC. Die Welt, wie sie sie sieht, wird jedoch von Figuren und Gegenständen aus einer anderen Welt überlagert, wenn z. B. mitten im Großstadtverkehr eine Kutsche auftaucht oder Bryanne sich in einem Bahnwaggon mit Holzsitzen wiederfindet. Ein erfahrener Magier hätte sofort bemerkt, dass jemand, der diese Übergänge wahrnehmen kann, selbst Magier sein muss. Bryannes Vater hat ihr offenbar verschwiegen, dass er nicht - wie bisher behauptet - in Edinburgh Professor für Monsterkunde ist, sondern ein mächtiger Magier, zuständig für die Schwachstellen im Weltengewebe an dessen Übergängen. Diese Wächter sollen u. a. dafür sorgen, dass die Welten-Bewohner bleiben wo sie sind und in den Nachbarländern keinen Unfug treiben. Den eigenen Vater als Magier zu outen, ist für eine Jugendliche sicher nicht angenehm; denn sie muss sich überraschend damit auseinandersetzen, ob sie selbst auch magische Fähigkeiten geerbt haben könnte. Bryanne begibt sich auf die Suche nach ihrem von einer verdächtigen Frau entführten Vater und muss damit rechnen, dass ein Kampf um die Nachfolge im Wächteramt ihn das Leben kosten könnte. Begleitet wird Bryanne auf ihrer gefährlichen Reise von Kaylee, deren Rolle im verwunschenen Weltengewebe das Mädchen noch nicht einschätzen kann. Die Reisenden geraten während ihres Abenteuers u. a. in eine ausgedehnte Unterwasserwelt.

"Schottlands Wächter" ist deutlich anzumerken, dass Katharina Gerlach als Autorin bereits Erfahrung gesammelt hat. Die schlanke Sprache, die weitgehend auf Adjektive verzichtet, passt ausgezeichnet zu einer zurückhaltenden, eher burschikosen Hauptfigur. Wenn die Autorin ausführlicher wird, hat das Beschriebene Hand und Fuß, wie in der Szene, in der Bryanne beobachtet, wie ein Faden gesponnen wird. Fakten und Legenden zu Schottland werden von Geschichtenerzählern in die Handlung eingebracht, so dass man sich beim Lesen nicht belehrt fühlen muss. Eine Hauptfigur, die von ihrer Autorin aus der Gegenwart in eine Parallelwelt gesendet wird, finde ich sehr viel glaubwürdiger als wenn eine historische taffe Frauenfigur in einer anderen Epoche auftreten würde. Die Sprache ist für die Zielgruppe junge Leser ab 10 zwar anspruchsvoll, aber problemlos verständlich. "Schottlands Wächter" hat auf mich einen sehr positiven Eindruck gemacht, der stärker zu 5 als zu 4 Sternen tendiert. Eine Reihe von banalen Tippfehlern sollte bei einem weiteren Korrekturchdurchgang noch korrigiert werden.

Bewertung vom 04.01.2017
Aggression
Juul, Jesper

Aggression


ausgezeichnet

Jesper Juul ist als Therapeut und Buchautor u. a. so erfolgreich, weil er Konflikte zwischen Kindern und Erwachsenen für jedermann verständlich beschreiben kann. Seine Fähigkeit, ein Problem klar zu benennen, ist bereits der erste Schritt zu dessen Lösung. Wer hat das Problem, wenn ein Kind sich aggressiv verhält?, fragt Juul und antwortet lapidar: Die Erwachsenen und das Kind. Den Umgang Erwachsener mit kindlicher Aggression sieht der Familientherapeut als Tabu moderner Gesellschaften. Fragen wir Kinder doch einfach, warum sie so wütend oder frustriert sind, dass der Topf ihrer Emotionen überkocht, regt Juul an. Die Wut von Kindern moralisch zu bewerten oder sie zur Strafe aus einer Gruppe auszuschließen, betrachtet er dagegen als unprofessionell, gar als Vernachlässigung der Kinder in Betreuungs-Institutionen. Moralische Urteile über kindliche Wutausbrüche sind laut Juul unzulässig, da der Mensch weder gut noch böse sei. Eine konstruktive Reaktion auf kindliche Aggression erfordere kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit. Juuls kurzer Text ermutigt aufgeschlossene Leser, nicht das wütende Kind per psychiatrischer Diagnose zum therapiebedürftigen Probemfall zu erklären, sondern sich zunächst mit der eigenen latenten Aggression auseinanderzusetzen.

Kinder rasten häufig aus, weil sie an ihre Grenzen gestoßen sind oder zwischen Wut und Traurigkeit noch nicht zu unterscheiden gelernt haben. Ihr aggressives Verhalten ist eine Aufforderung zum Gespräch, die Botschaft lautet: Ich fühle mich nicht gut. Ein wütendes Kind ist laut Juul kein Fall für den Psychiater. "Antisoziales Verhalten drückt Hoffnung eines deprivierten Kindes aus," zitiert Juul Donald Winnicott (1988). Als Familientherapeut hat der Autor in verschiedenen Ländern beobachtet, wie Erwachsene Aggressionen unterdrücken oder tabuisieren, die ihnen selbst Angst machen. Häufig wird geschlussfolgert, Aggression führe zu Gewalt, Gewalt führe zu Krieg und deshalb seien Aggressionen unter Kindern unbedingt zu verhindern. Solange Aggression tabuisiert wird, kann Selbsterkenntnis und Empathie sich nicht entwickeln, warnt Juul.

Jesper Juul beurteilt Betreuungseinrichtungen für Kinder äußerst kritisch. Er sieht sie als Kunstwelten, die Risiken und Kritik möglichst ausschließen und Kinder unter dem geltenden Konformitätsdruck an wichtigen sozialen Erfahrungen hindern. Grund für diesen Zustand sei eine Politik, die allein die Zeitspanne bis zur nächsten Wahl im Blick habe. Eltern und Pädagogen sieht Juul gefangen in überholten Rollen, so dass sie Kindern kaum Vorbilder sein könnten. Auch das in die Kritik geratene "Grenzen setzen" sieht Juul kritisch, es maskiere die Aggression Erwachsener als Sorge oder sei eine bemäntelte Bestrafung.

Besonders zwei Überlegungen aus Juuls Buch haben mich zum Umdenken beim Thema kindliche Agression angeregt. Ein herausragender Gedanke ist das Kindern und Erwachsenen gemeinsame starke Motiv, das Leben anderer bereichern zu wollen. Es ist häufig der Anstoß einen sozialen Beruf zu wählen. Die Botschaft "nicht wertvoll" zu sein - die wir aussenden, wenn wir Aggressionen bei Kindern sanktionieren - frustriert und zerstört das Selbstbewusstsein. Nachdenklich hat mich Juuls Definition von Strukturen gemacht, die Mobbing dulden. Mobbing-Prozesse an Schulen und Kitas sind laut Juul nicht zu lösen, indem Kinder als verhaltensauffällig diagnostiziert werden. Mobbing sieht er als Zeichen von Führungsschwäche einer Schulleitung, die den bequemeren Weg suche.

Gerade Eltern, die in der Erziehung für ihr Kind das Beste wollen, kann das schmale Buch anregen, über ihre persönliche Wertung von Aggression nachzudenken.

6 von 8 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.01.2017
Michael Freemans Foto-Workshop Licht und Beleuchtung
Freeman, Michael

Michael Freemans Foto-Workshop Licht und Beleuchtung


gut

Michael Freeman geht in seinem Buch alle Spielarten des Lichtes in der Fotografie durch. Er beginnt mit den Grundlagen der Licht- und Farberfassung in der Kamera, beschreibt die Besonderheiten des Tageslichtes, des Kunstlichtes, geht auf Kunstlichtquellen ein und stellt verschiedene Beleuchtungsvarianten vor. Freemans Themen sind Kontrastumfang, Farbtiefe, Farbtemperatur und Weißabgleich, Fotografieren bei hoch oder flach stehender Sonne, Gegenlichtaufnahmen, das Ausleuchten von Portäts bei Tageslicht und im Studio, Stilleben, HDR-Aufnahmen, Nachtaufnahmen, Studioausrüstung, das Herausarbeiten von Texturen. Anfänger in der Fotografie erhalten so einen Überblick, wie sie das Licht beim Fotografieren nutzen können.

Zum Workshop wird sein Buch durch verschiedene Aufgaben im Anschluss an die einzelnen Abschnitte. Gegliedert ist jede Aufgabe der Workshop-Teile in eine Einführung zum Thema, die Aufgabenstellung für Studenten Freemans, die Präsentation des Auftragsfotos vor einheitlich grauem Hintergrund, ein kurzes Statement des Fotografen zur Aufnahmesituation und das Urteil des Dozenten. Die einzelnen Teile des Workshops sind im Buch über das Inhaltsverzeichnis und die Randbeschriftung problemlos zu finden.

Zahlreiche Beispielfotos lockern den Stoff auf. Die Auswahl der Bilder, insbesondere die der Studenten, hat mich nicht immer überzeugt. Das Buch bleibt weitgehend an der Oberfläche. Begriffe, mit denen ein Einsteiger erst einmal nichts verbindet, wie Diffusor oder Histogramm, werden genannt, aber nicht erklärt. So kann ein Leser, der bisher noch kein Histogramm angesehen hat, dieses nach der Lektüre noch nicht deuten. Mir fehlen in dem Buch auch Grafiken, die jeweils die Aufstellung der Lichtquellen zu den gezeigten Bildern wiedergeben, so dass die Leser eine Vorstellung vom verwendeten Lichtsetup bekommen. Die Position der Lichtquelle zum Objekt der Aufnahme wird im Text nur sehr allgemein beschrieben.

Freeman gibt in diesem Workshop einen Überblick über Licht und Beleuchtung in der Fotografie, kratzt bei den angesprochenen Themen jedoch nur an der Oberfläche. Für Einsteiger in die Fotografie genügen seine Informationen nicht; Fortgeschrittenen ist das Buch nicht zu empfehlen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.01.2017
Unter Verdacht
Oates, Joyce C.

Unter Verdacht


sehr gut

Matthew wird direkt aus dem Unterricht von der Polizei zur Vernehmung abgeholt. Er soll eine Bombendrohung gegen seine Schule abgegeben haben. Matt ist das, was man früher einmal als Klassenkasper bezeichnet hätte. Er will andere zum Lachen bringen. Matts Art zeigt mit Sicherheit nicht den Respekt, den ein amerikanischer Polizist von einem Verdächtigen erwartet. Obwohl der Schüler der Rocky River High überzeugt davon ist, dass sich seine Unschuld schon bald herausstellen wird, ahnt man als Leser, dass die Sache für Matt böse ausgehen könnte. Zwar nennt die Presse keinen Namen, aber in kurzer Zeit, weiß jeder im Ort über die Sache Bescheid. Eine Mitschülerin, die Matt nur flüchtig kennt, ist Ursula, erfolgreiche Basketballspielerin in der Schulmannschaft. Ursula ist gerade auf Distanz zu ihrem kräftigen Sportlerkörper gegangen und spricht von sich in der dritten Person als "Ugly Girl". Einem Ugly Girl ist es egal, welche Träume ihre Mutter für ihre Tochter hat und was andere Schüler über sie denken. Ugly Girl hat mit einem weiteren Mädchen das Geblödel in der Schul-Mensa damals gehört. Jeder Idiot hätte in der Situation merken müssen, dass Matt gerade nicht der Typ ist, der eine Bombendrohung gegen seine Schule absetzen würde. Ursula geht es um die Wahrheit. Sie will beim Direktor für Matt aussagen und das Missverständnis aus der Welt schaffen. Ugly Girl ahnt nicht, welche Dynamik Matts Geblödel inzwischen in Gang gesetzt hat. Zunächst gibt es Ärger mit Ursulas Mutter, die den guten Namen der Familie ins Spiel bringt. Als wäre die Wahrheit eine Laune! Alle Eltern aus den besseren Wohnvierteln haben allein die Empfehlungsschreiben für ihre Kinder im Kopf, mit denen die sich für ein Studium bewerben werden. Die Wahrheit hat in dieser Situation keinen Raum mehr.

Joyce Carol Oates erster Jugendroman folgt einem Gerücht, das sich unter dem Einfluss eines religösen Eiferers über die Schule hinaus zur Mobbing-Kampagne gegen einen Schüler entwickelt. Beeindruckt hat mich in diesem Jugendroman, wie die Autorin völlig normale Figuren in diesen Schlamassel geraten lässt. Normaler als Ursula und Matt könnte kaum ein Schüler sein. Ursula in der Distanz zu ihrer nicht für eine Ballerina-Laufbahn tauglichen Körpergröße, die verletzende Reaktion ihrer Mutter auf ihre sportliche Tochter, Matt, der Komiker, und nicht zuletzt die gestressten, mit sich beschäftigten Eltern finde ich außergewöhnlich treffend nachempfunden.

Bewertung vom 04.01.2017
Mittwochtage
Heinlein, Sylvia

Mittwochtage


ausgezeichnet

Sara hatte es wenigstens versucht. Sie wollte ja gern ein Ponymädchen sein wie die anderen aus ihrer Klasse, die sich von früh bis spät über Pferde unterhalten. Ponys sind OK, aber ein zweites Mal will Sara nicht auf den Ponyhof. So bleibt sie auf dem Schulhof meist allein. Der einzige Tag der Woche auf den Sara sich freut ist Mittwoch, wenn sie sich mit Tante Hulda in deren Wohngruppe trifft. Von ihrer Lieblingstante fühlt Sara sich verstanden. "Du hast so Fühlerchen auf dem Kopf. Mit denen kannst du alles fühlen, was los ist. Und dann machst du dir Gedanken darüber. Das ist genau richtig so." ermuntert Tante Hulda ihre Nichte. Saras Tante liebt schöne Wörter und schöne Erinnerungen. Die geistig behinderte Schwester von Saras Mutter fragt sofort jeden Fremden aus, was mitunter zu peinlichen Zwischenfällen führen kann. Solange Huldas Leben in festen Bahnen verläuft, ist alles gut. Aber wehe Hulda muss sich aufregen, dann wird sie richtig krank.

Saras Eltern haben wenig Zeit für ihre Tochter. Die Mutter ist als Journalistin häufig beruflich unterwegs, der Vater baut von zu Hause aus Internetseiten und verbringt die meiste Zeit am Telefon. Für Mutter Liane war die Verantwortung für Hulda seit ihrer Kindheit schon immer eine Last. Sara sollte ihre Zeit mit gleichaltrigen Freundinnen verbringen und nicht mit ihrer behinderten Tante, sorgt sich Liane. Das vertraute Verhältnis zwischen ihrer Tochter und ihrer Schwester versucht Liane mit Tricks zu unterbinden, die Sara wütend machen. Auch Hulda, die sehr sensibel auf Stimmungen reagiert, merkt genau was los ist. Hulda ist behindert, aber nicht dumm. Aus Wut und Enttäuschung wird Hulda zum Wirbelsturm. Liane hat endgültig die Nase voll von den "komischen Phasen" ihrer Schwester und will Hulda in eine Wohngruppe auf dem Land verpflanzen. Das geht ja nun gar nicht! Wie soll Hulda von dort zur Arbeit in der Behindertenwerkstatt kommen - und was wird ihre aktuelle Wohngruppe ohne sie tun? Die Auswirkungen ihrer unüberlegten Aktion auf das empfindliche Gleichgewicht der Wohngruppe bekommt Liane eindrucksvoll zu spüren. Auf Sara allein lastet nun die Verantwortung, zwischen gestresster Mutter und zutiefst verletzter Lieblingstante zu vermitteln. Der einzige aus ihrer kindlichen Perspektive mögliche Ausweg aus der verfahrenen Situation scheint ziemlich verrückt. Sara und Hulda treffen auf ein paar unangepasste liebenswerte Menschen, die die Welt mit dem Blick des Künstlers wahrnehmen und Sara zeigen, wie sie für ihre eigenen Träume kämpfen kann.

Sylvia Heinlein gibt mit ihrer kurzen Kindergeschichte tiefen Einblick in die Gedankenwelt geistig Behinderter. Die rundliche Hulda mit ihrer Liebe für rosa Dinge und ihre Ersatzfamilie in der Wohngruppe sind einfach zum Liebhaben. Was Huldas Mitbewohner Horst bewegt, der Engel malt und sein Schmusekissen Victoria getauft hat, vermittelt Anke Kuhl mit ihren Engel-Illustrationen, die sich um den Text ranken.

Bewertung vom 04.01.2017
Der silberne Falke (MP3-Download)
Fox, Katia

Der silberne Falke (MP3-Download)


sehr gut

Als ältestem Sohn der Waffenschmiedin Ellen scheint Williams Weg zum Schmied vorgezeichnet zu sein. Doch der Elfjährige lässt sich nur widerwillig in der elterlichen Werkstatt in East Anglia ausbilden, Williams Traum ist die Falknerei. Weil William einen verletzten Falken findet und zu Hause versorgt, kommt es zu einer schicksalhaften Begegnung mit König Henry II und dessen Falkner. Doch bevor William seiner Bestimmung folgen kann, führt Katia Fox ihn auf verschlungenen Wegen während seiner Lehr- und Wanderjahre zunächst von der Falknerei fort. Schließlich findet William eine Stelle als Falkner bei einem wohlhabenden Kaufmann in London, der Williams Arbeit zu schätzen weiß. William lernt, dass für Londons Kaufleute die Falknerei Mittel zum Zweck ist, um Wohlstand zu demonstrieren und während der Jagd Kontakte zu zahlungskräftigen Adligen zu knüpfen. Das Thema Falknerei tritt im Roman über eine weite Strecke hinter Verrat und Intrige, Liebe und Leid zurück. Schließlich erlangt William, über dessen verkrüppelten Fuß so mancher Neider spottete, unerwartes Glück, die Anerkennung des Königs und kann sogar das Rätsel seiner eigenen Herkunft lösen.

Katia Fox zweiter Band lässt sich in der englischen Übersetzung von Der silberne Falke leicht und locker wegschmökern, zu Beginn eher zu leicht. Das Thema Falknerei kam für meinen Geschmack im Buch viel zu kurz, während die schicksalhaften Wendungen durch pure Bosheit von Williams Gegenspieler Odon mir viel zu umfangreich waren. Für andere Leser mag die Mischung aus viel Schicksal und weniger Falknerei genau richtig sein. Unbefriedigend fand ich, dass die schicksalhaften Wendungen allein mit dem bösartigen Charakter Odons erklärt und die Feudalgesellschaft als Voraussetzung für seinen Machtmissbrauch nur angedeutet wird. Das Nachwort des historischen Romans rückt reale und fiktive Teile der Handlung an ihren jeweiligen Platz und kommt zu einem sehr treffenden Schluss: Man weiß nicht, wie es gewesen ist ...