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hasirasi2
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Dresden

Bewertungen

Insgesamt 1115 Bewertungen
Bewertung vom 17.07.2023
Frau Komachi empfiehlt ein Buch
Aoyama, Michiko

Frau Komachi empfiehlt ein Buch


ausgezeichnet

Die Zugabe

Jeder Nutzer, der die Bibliothekarin Frau Komachi nach Büchern zu einem bestimmten Thema fragt, bekommt neben den gewünschten Titeln als Zugabe noch einen, der augenscheinlich überhaupt nichts mit ihnen zu tun hat und außerdem eine von ihr selbst gefilzte Figur. Das Bonus-Buch erschließt sich einigen sofort, andere brauchen länger um zu verstehen, warum sie gerade dieses bekommen haben. Doch die Bibliothekarin hat ein gutes Gespür für ihre Kunden, die an einem Scheideweg in ihrem Leben stehen oder mit dem Ist-Zustand nicht zufrieden. Frau Komachi macht ihnen mit gezielten Fragen, Lebensweisheiten, philosophischen Betrachtungen und Büchern und klar, was sie ändern oder annehmen müssen, weil sie es nicht ändern können.

Das Buch erzählt in fünf Geschichten fünf Schicksale, die lose miteinander verknüpft sind.
Verkäuferin Tomoka hatte keinen Plan für ihr Leben. Sie wollte nur weg vom Land nach Tokio, dann würde sich schon alles finden. Aber ihre Arbeit hier erfüllt sie nicht.
Buchhalter Ryo träumt seit seiner Jugend von einem Trödelladen, will aber erst genug Geld verdienen, bevor er sich selbständig macht, und reibt sich auf Arbeit auf.
Die ehemalige Zeitschriftenredakteurin Natsumi wurde nach der Babypause einfach ins Archiv versetzt und fühlt sich von ihrem Mann mit dem Kind und der Hausarbeit alleingelassen.
Hiroya ist nach seinem Designstudium arbeitslos, weil er den perfekten Job noch nicht gefunden hat. Also lebt er bei seiner Mutter und liegt ihr auf der Tasche.
Als Masao mit 65 in die Rente geschickt wird, stellt er fest, dass die Firma ihm alles bedeutet hat, er für sie aber ersatzbar war. Er hat nie Freundschaften oder Hobbys gesucht und weiß nicht, womit er seine Tage füllen soll.

Durch Frau Komachi wird ihnen allen klar, was sie ändern können, damit sich ihre Situation bessert. Sie lernen, hinter die Fassade ihres Gegenübers zu schauen oder (wieder) zu vertrauen; dass man manchmal nur seine Perspektive ändern muss, um eine Lösung zu finden; dass sie aufhören müssen zu träumen und stattdessen anfangen, die Träume zu verwirklichen, wenn auch anders als gedacht; dass sie sich den Gegebenheiten anpassen und das Schöne darin suchen und genießen sollen; dass sie im Hier und Jetzt leben und jeder Tag wertvoll ist.

Das Buch hat eine für mich ungewöhnliche Erzählweise, sehr ruhig und überaus höflich, mit Achtung vor seinem Gegenüber – so, wie man sich Japan vorstellt. Frau Komachi hingegen ist für Japanerinnen wohl ungewöhnlich groß und rundlich, der Kontrast hat mir gut gefallen. Sie wirkt, als würde sie alles Wissen der Welt und alle Weisheit in sich tragen.

In „Frau Komachi empfiehlt ein Buch“ geht es um das Glück der kleinen Dinge, um den Zauber, der darin liegt und um das, was die Menschen ausmacht und die Welt zusammenhält. Perfekt z.B. für Leser von Jostein Gaarder.

Bewertung vom 12.07.2023
Mord & Croissants / Ein Brite in Frankreich Bd.1
Moore, Ian

Mord & Croissants / Ein Brite in Frankreich Bd.1


sehr gut

Mord ohne Leiche?

„Bei dir ist ein Gast verschwunden, ein alter Mann. An der Wand ist Blut verschmiert, und eine zerbrochene Brille liegt im Mülleimer. Da sollten wir doch wohl etwas unternehmen, oder?“ (S. 25) Richard Ainsworth führt seit Jahren ein ruhiges Leben und ein kleines Bed and Breakfast mitten im Tal der Loire. Doch dann verschwinden erst der Gast und direkt danach sämtliche Beweise für das mögliche Verbrechen. Und Valérie d’Orçay, die erst am Vorabend eingecheckt hat, zwingt Richard, mit ihr zusammen deswegen zu ermitteln.

Das Buch lebt neben dem ungewöhnlichen Fall vor allem von den skurrilen Protagonisten und ihrem Zusammenspiel. Richard war früher Filmhistoriker und will nur eins: „… ich bin hergezogen, um ein ruhiges Leben zu führen und mein Buch fertig zu schreiben.“ (S. 69) Das interessiert Valérie allerdings recht wenig. „Vielleicht würde es dir gut tun, dein Leben tatsächlich zu leben, statt nur einen Haufen dummer alter Filme über das Leben zu schauen!“ (S. 70) Sie ist extrem neugierig und durchsetzungsstark und hat anscheinend ein großes Interesse an dem Verschwundenen. Außerdem sieht sie gut aus, liebt den ganz großen Auftritt und schreckt weder vor einem NEIN (z.B. zu dem Verbot von Haustieren im B&B), noch vor ungewöhnlichen Ermittlungsmethoden zurück, was sie und Richard in die eine oder andere komische bzw. prekäre Situation bringt.
Die internen Grabenkämpfe der beiden sind sehr unterhaltsam. Ich habe mich jedes Mal sehr amüsiert, wenn sie ihn wieder einfach ignoriert und etwas über seinen Kopf hinweg entschieden hat. Sie hat aber auch etwas an sich, das nicht nur Männer schwach werden lässt.
Zu Richards B&B gehört noch das Faktotum Madame Tablier. Sie ist fürs Putzen und die schlechte Laune zuständig, wird oft unterschätzt und leider auch von Valérie und Richard nicht ernst genommen, dabei könnte sie wichtige Hinweise liefern …

„Mord & Croissant“ legt von Beginn an ein ordentliches Tempo vor, nicht nur durch Valéries rasante Fahrweise, sondern auch, weil sich die Ereignisse immer schneller überschlagen und ich zum Ende hin Mühe hatte, den Überblick zu behalten – das hat es besonders spannend gemacht. 4,5 Sterne

Bewertung vom 07.07.2023
Liebe ist eine komplizierte Phase
Sommer, Marilena

Liebe ist eine komplizierte Phase


sehr gut

Der Nerd-Code

„Manchmal fühlte es sich so an, als wären wir zwei Segelboote, die am selben Hafen abgelegt hätten, dann aber vom Wind auseinander getrieben worden waren.“ (S. 34) Charlie ist Informatikerin und hat für ihre Doktorarbeit eine feministische KI namens Emily gebaut und programmiert. Leider sind weder ihre betreuende Professorin noch ihre Kollegen davon sonderlich beeindruckt. Auch privat läuft es nicht rund. Nach 12 Jahren ist aus ihrer Beziehung mit David die Luft raus. Als sich ihre jüngere Schwester dann schon nach 2 Jahren verlobt und sehr zügig eine sehr pompöse Hochzeit plant, kommt Charlie ins Grübeln. Sie hatte zwar gesagt, dass sie nie heiraten will, aber David fragt ja nicht mal. Und dann steht plötzlich Nate vor ihr und die Schmetterlinge in ihrem Bauch fliegen wieder …

Nerdy, wie David Charlie liebevoll nennt, ist ein echter Workaholic. Selbst zu Hause kann sie nur an ihre KI und Fehlercodes denken und vernachlässigt ihr Privatleben. Wobei sie im Zwischenmenschliche eh nicht besonders gut ist, immer alles zerdenkt und jedes nur mögliche Fettnäpfchen mitnimmt. Sicher fühlt sie sich nur im Reich der Zahlen und binären Codes. Zum Glück scheint David Verständnis zu haben und lässt ihr ihre Ruhe – was sie dann auch wieder stört, weil er vor der Konsole oder mit seinen Kumpels auf Bolzplätzen rumhängt. Rückhalt gibt ihr ihre beste Freundin Maxi, die immer ein offenes Ohr für Charlie hat, wenn sie auf Arbeit wieder mal übergangen oder ignoriert wurde. Ihre Doktormutter scheint aber auch die Anna Wintour der Akademischen Landschaft zu sein und keine andere Frau neben sich zu dulden. Maxi sagt Charly seit Jahren, dass sie mehr Werbung für sich machen und Networking betreiben soll, aber dazu ist sie zu introvertiert. Erst als Nate ihr entsprechende Kontakte vermittelt, springt sie endlich über ihren Schatten und traut sich. Aber dann passiert ihr etwas, was ihre Welt ins Wanken bringt. „Meistens wollte ich einfach nur aus meinem Kopf raus. In den Rettungshubschrauber steigen und die brennende Stadt meines Lebens hinter mir lassen.“ (S. 217)

Marilena Sommer schreibt sehr unterhaltsam, ein bisschen wie Ali Hazelwood, nur ohne den Sex 😉. Charlie als weiblicher Nerd hat mir gut gefallen, auch wenn ich ihre Handlungen nicht immer ganz nachvollziehen konnte. Vor allem das, was nach ihrem „Fehler“ passiert und was sich dann daraus ergibt, war mir etwas zu konstruiert. Außerdem legen David und ihre Schwester einige für mich nicht nachvollziehbare Wendungen hin, aber das Ende passte dann wieder.
Vor allem die Szenen mit ihrer Familie und ihrer Schwester, die immer mehr zu Brautzilla mutiert, waren für Charlie zwar nicht so toll, aber sehr amüsant.

Mein Fazit: Abwechslungsreiche RomCom aus dem deutschen MINT-Bereich mit kleinen Abstrichen. 3,5 Sterne.

Bewertung vom 04.07.2023
Greta Garbo / Ikonen ihrer Zeit Bd.10
Lüding, Kristina

Greta Garbo / Ikonen ihrer Zeit Bd.10


ausgezeichnet

Hassliebe

Greta ist 17, als sie beim Dreh eines Werbefilms entdeckt wird. Eigentlich ist sie Verkäuferin in einem großen Kaufhaus, träumt aber davon, Theaterschauspielerin zu werden. Sie bekommt ein Stipendium an der Schauspielschule, auch wenn sie bei der Aufnahmeprüfung fast an ihrem Lampenfieber, ihrer Schüchternheit und Nervosität gescheitert wäre. Der Regisseur Mauritz Stiller wird auf sie aufmerksam und nimmt sie unter seine Fittiche, obwohl sie ihm zu dick und zu verspannt ist – aber ihn faszinieren ihre Ausstrahlung und Ausdruckskraft. Für Greta beginnt eine harte Zeit. Stiller versucht, alles in ihrem Leben zu bestimmen und sie nach seinem Willen zu formen, bei Dreharbeiten brüllt er sie vor allen an und beschimpft sie, nur um ihr kurze Zeit später zu sagen, dass er nur ihr Bestes will. Und obwohl sie immer wieder vor ihm gewarnt wird („Stiller denkt nur an sich, vergiss das nicht.“ (S. 199)), ist sie ihm geradezu hörig, lässt sich überreden, erst Schweden und dann sogar Europa zu verlassen, um in Amerika berühmt zu werden.

Kristina Lüding lässt in ihrer Romanbiografie die junge Greta Garbo wieder auferstehen. Sie zeigt ein junges Mädchen voller Selbstzweifel, dass sich nie schön, schlank und gut genug findet; dass früh ihren Vater verlor und wahrscheinlich auch deshalb so leicht von ihrem Mentor zu beeinflussen war, der diese Stelle ganz selbstverständlich bei ihr einnahm. Sie beschreibt eine junge Frau, die eine Hassliebe mit ihrem Förderer verbindet, von dem sie sich nicht lösen kann oder will.

Mir hat sehr gut gefallen, dass sie Greta nicht als kühlen, blonden Engel darstellt, sondern mit allen ihren Fehlern. Sie war vor der Kamera sehr unsicher, wollte lieber auf die Theaterbühne. Außerdem hasste sie es, fast ausschließlich als blondes Dummchen auf der Suche nach der großen Liebe und in Slapstick-Komödien besetzt zu werden: „Ich will ernste Rollen spielen, damit überzeugen. Ich will, dass die Leute über mich weinen müssen, dass sie den Atem anhalten, und ihr Herz sich vor Traurigkeit zusammenzieht. Ich will die Menschen berühren.“ (S. 56) Erst mit ihren Erfolgen wird sie sich ihrem Wert bewusst und emanzipiert sich, stellt den Studiobossen Forderungen und setzte diese auch auf die harte Tour durch.

Ich fand es spannend, dass Gretas Privatleben oft nur angedeutet wird, dass sie Männer und Frauen liebte, sich aber nie für immer binden oder eine Familie wollte. Mit vielen Weggefährten verband sie jahrzehntelange (Brief-)Freundschaften, auch wenn die persönliche Beziehung längst beendet war.

Die Autorin liefert eine sehr umfassende Schilderung von Gretas Leben bis zu ihrem selbstgewählten Rückzug aus der Filmbranche. Die Geschichte ist extrem gut (und schnell) lesbar, entfaltet von Beginn an eine tolle Sogwirkung und konnte mich bis zu Ende fesseln. Verdiente 5 Sterne!

Bewertung vom 02.07.2023
Sommertage im Quartier Latin / Paris und die Liebe Bd.1
Martin, Lily

Sommertage im Quartier Latin / Paris und die Liebe Bd.1


ausgezeichnet

Paris ist immer eine Reise wert

Seit ihrem Abitur reist Lola kellnernd um die Welt. Inzwischen ist sie Anfang 30 und in Bordeaux hängengeblieben, als ihr Vater anruft. Ihre Großmutter Rose ist verschwunden, hat nur einen Zettel hinterlassen auf dem steht: „Macht euch keine Sorgen. Ich bin auf Reisen.“ (S. 36) Natürlich sorgen sie sich trotzdem. Rose ist über achtzig und Einzelgängerin, war seit Jahrzehnten nicht verreist.
Also fährt Lola nach Paris und sieht sich in ihrem ehemaligen Viertel um, trifft alte Bekannte und lernt neue kennen. Sie fragt jeden nach Rose, der sie kennen könnte, und erfährt einiges neues über sie. Dabei kommt sie einem Familiengeheimnis auf die Spur. Und sie trifft Fabien wieder, den sie mit 14 geküsst und dann ganz schnell vergessen hat – oder doch nicht?! Fabien hingegen konnte sie sich nie aus dem Kopf schlagen und wird immer ganz hibbelig, wenn sie in seinem Café auftaucht …

„Alle scheinen ganz genau zu wissen, wer sie sind und wo sie sein wollen. Nur ich… Ich scheine nie anzukommen.“ (S. 196) Lola hat früh ihre Mutter verloren. Ihr Vater und Rose haben sie zwar liebevoll aufgezogen, aber über den Tod wurde nie gesprochen. Da ihr Vater Portier ist, hat er sie oft mit ins Hotel genommen. Dort verbrachte sie viel Zeit in der Küche, wurde eine talentierte Bäckerin, hat aber nie etwas daraus gemacht. Nach dem Abitur wollte sie nur weg, aber wohin und was sie dort machen will, wusste sie weder damals noch heute. Lola war sich nur sicher, dass sie nie zurück nach Paris wollte. Doch schon nach wenigen Tagen stellt sie fest, dass sie Bordeaux und ihr Leben dort gar nicht vermisst, sondern in Paris heimisch ist.

Hinter dem Pseudonym Lily Martin steckt die Bestsellerautorin Anne Stern und wie in ihrer Reihe um die Hebamme Huld Gold wird es auch in den „Sommertage im Quartier Latin“ etwas spannend, weil Lola nicht nur nach Rose, sondern auch den Beweggründen für ihr Verschwinden sucht.
Die Geschichte wird abwechselnd aus der Sicht der verschiedenen Protagonisten erzählt. Neben Lola und Fabien sind das u.a. ihr Vater, ein Lebkuchenbäcker mit dem Hang zu Poesie, eine alternde Operndiva und ein Schulfreund von Lola, der inzwischen Concierge ist. Einzig Rose bleibt (fast) stumm.

Ich habe mich beim Lesen sofort nach Paris ins Quartier Latin zurückversetzt gefühlt, wo wir vor fast 25 Jahren unsere Hochzeitsreise verbracht haben – in einem ganz ähnlichen winzigen Studio wie das, indem Rose wohnt. Der Roman versprüht einen ganz bezaubernden Charme und lässt Erinnerungen und Sehnsüchte wach werden.

Durch die regelmäßigen Personen- und Ortswechsel fühlt es sich an, als würde man mit einem Baguette unterm Arm und einer Flasche Rotwein in der Hand durch das Quartier Latin flanieren. Aus den Cafés und Bistros klingen alte Chansons, die von Sehnsucht und Liebe erzählen. Ein Hauch von Hoffnung liegt in der Luft, aber erst müssen alte Wunden heilen, um bereit für Neues zu sein. Denn „… wo, wenn nicht in Paris, kann man ein neuer Mensch werden? Kann jeden Tag ein anderer sein?“ (S. 121)

Ein zauberhafter Sommerroman mit viel Pariser Flair, einem kleinen Geheimnis und genau der richtigen Prise Romantik.

Bewertung vom 30.06.2023
Der Eisbär und die Hoffnung auf morgen
Ironmonger, John

Der Eisbär und die Hoffnung auf morgen


ausgezeichnet

Wissenschaftsthriller

In einer Mitsommernacht treffen in einem kleinen Dorf an der Küste Cornwalls Tom, Student der Geowissenschaften, und Monty, ein lokaler Politiker, der nur wenige Tage im Jahr wirklich hier wohnt, im örtlichen Pub aufeinander. Monty hatte im Wahlkampf viel versprochen und nichts davon gehalten, außerdem ist er ein Leugner des Klimawandels. Die Diskussion schaukelt sich hoch und am Ende sagt Tom: „Ich wette mit Ihnen, dass sie in fünfzig Jahren, von heute an, nicht bei Flut in ihrem Wohnzimmer sitzen können, sondern ertrinken würden.“ (S. 47). Der Wetteinsatz ist ihrer beider Leben. Monty wird sich in genau 50 Jahren eine Stunde auf den Boden seines Wohnzimmers setzen und ertrinken, falls das unter Wasser steht. Wenn er überlebt, muss Tom freiwillig ins Meer gehen. Sein bester Freund filmt das alles und stellt es ins Netz, das Video geht viral und bleibt unvergessen.
Zehn Jahre später arbeitet Monty ausgerechnet beim Ministerium für Umwelt und Klima und Tom lebt als Gletscherforscher in der Arktis (in Quaanaaq, Grönland). Monty bittet ihn, die Wette öffentlichkeitswirksam aufzulösen, dabei kommt es zu einem folgenschweren Unglück, der ihrer beider Leben radikal verändert.

„Der Eisbär und die Hoffnung auf morgen“ ist mein erstes Buch von John Ironmonger und ich hätte es nach dem ersten Drittel beinahe abgebrochen. Der Erzählstil ist sehr ausschweifend und etwas umständlich, außerdem gibt es am Anfang für mich nicht ganz nachvollziehbare Zeitsprünge. Aber dann entwickelt der Roman plötzlich eine unglaubliche Sogwirkung, wird zum Kammerspiel und (Wissenschafts-)Thriller. Das erste Unglück zieht Jahre später ein weiteres nach sich, bei dem es für beide Männer ums nackte Überleben geht. Tom und Monty slanden in einer Situation, die sie nur bedingt beeinflussen können, und Monty begreift endlich, was Tom ihm seit Jahren vorhält – dass wir unsere Erde zugrunde richten und das von ihm vorgezeichneten Endzeitszenarium kaum noch aufgehalten werden kann.

Tom und Monty könnten nicht gegensätzlicher sein. Während Tom sein Leben dem Klimaschutz widmet, CO-2 neutral lebt, unermüdlich versucht, seine Mitmenschen aufzuklären und auch nicht vor spektakulären Aktionen zurückschreckt, um sie aufzurütteln, geht es Monty nur um seine Karriere. Tom ist fürsorglich und rücksichtsvoll, Monty karriereorientiert und aalglatt. Als sie zusammenarbeiten müssen, bringt es das jeweils beste und schlechteste in ihnen zum Vorschein.

Das Buch ist definitiv nichts für schwache Nerven. John Ironmonger erschrickt mit Toms apokalyptischen Voraussagen zum Klimawandel, weckt auf und bringt einen um den Schlaf, bietet gleichzeitig aber auch Lösungen an, wie die Erderwärmung und das Schmelzen der Gletscher vielleicht noch gestoppt werden könnten. Natürlich ist es in erster Linie ein Roman, trotzdem finde ich einige Ideen und Ansätze, die hier beschrieben werden, sehr interessant und durchführbar. #lesehighlight

Bewertung vom 28.06.2023
Die verlorene Tochter / Die verlorenen Töchter Bd.1
Lane, Soraya

Die verlorene Tochter / Die verlorenen Töchter Bd.1


ausgezeichnet

Nur eine Sommerromanze?

„Bevor Sie sie aufmachen, sollten Sie sich vergewissern, dass Sie die Vergangenheit wirklich aufdecken wollen. Wenn man erst einmal Bescheid weiß, kann das einiges verändern.… Manche Geheimnisse bleiben besser im Verborgenen.“ (S. 26) Als Lily nach 4 Jahren in Neuseeland wieder nach London kommt, findet sie die Einladung einer Kanzlei vor. Dort wird ihr als Nacherbin ihrer Großmutter eine Schachtel ausgehändigt, die beim Abriss eines privaten Heims für ledige Mütter gefunden wurde. Lilys Großmutter wurde direkt nach der Geburt zur Adoption freigegeben, hat das aber nie erfahren. In der Schachtel findet Lily ein Programm der Mailänder Scala von 1946 und ein handgeschriebenes Rezept auf italienisch. Da ihr nächster Job als Kellermeisterin sie sowieso nach Italien führt, beschließt sie, vor Ort Nachforschungen anzustellen.

„Sie war diejenige, die das Glück ihrer Familie wenden sollte. Das Gewicht der Welt ihrer Familie lastete auf ihren Schultern, und manchmal drehte sich ihr bei dem Gedanken der Magen um, genau so schmerzhaft wie sonst, wenn ihr Körper nachts verzweifelt nach Nahrung schrie.“ (S. 30) Seit frühester Kindheit bekommt Estée sehr viel Ballettunterricht und sehr wenig zu essen. Ihre Mutter ist überzeugt, dass Estée das Talent zur Primaballerina hat, wenn sie nur hart genug dafür arbeitet. Als sie 1938 in die Ballettschule der Mailänder Scala aufgenommen wird, scheint das Ziel fast erreicht, aber dann beginnt der zweite Weltkrieg.

„Hast du manchmal das Gefühl, dass dein ganzes Leben für dich entschieden wurde?“ (S. 66) Die ProtagonstInnen haben viel gemeinsam. Lily hat sehr an ihrem verstorbenen Vater gehangen, ist sich in Italien aber plötzlich nicht mehr sicher, ob sie ihren Beruf gewählt hat, weil sie es so wollte, oder weil er von einem eigenen Weingut geträumt und ihre Ausbildung bis ins kleinste Detail geplant hatte. Außerdem verliebt sie sich in Antonio, den Sohn ihres Arbeitgebers, dabei hat sie bisher Beruf und Privatleben strikt getrennt. Aber vielleicht ist das mit ihnen ja auch nur eine Sommerromanze?
Estée hat das Ballett immer geliebt, aber das extrem harte Training und die lieblose Behandlung durch ihre Mutter lassen sie an diesem Traum zweifeln. Ihr Leben ist von Verzicht geprägt. Sie darf kein Gramm zunehmen und keinen Freund haben. Dass sie sich schon in frühester Jugend verliebt hat, weiß niemand. Als sie erste Erfolge an der Scala feiert, meldet sich ihre Jugendliebe nach Jahren der Trennung bei ihr und sie verbringen einen unvergesslichen Sommer. Aber auch sein Weg ist ihm durch seine Familie vorherbestimmt.

„Die verlorene Tochter“ ist eine solide, leicht vorhersehbare Familiengeschichte auf zwei Zeitebenen, die mir zum Ende hin leider etwas zu pathetisch und gewollt dramatisch wurde. Die Entscheidung, die Lilys Urgroßmutter dazu brachte, ihr Kind wegzugeben, fand ich etwas überstürzt, da sie sich ohne nachzuprüfen auf nur einen Fakt gestützt hat. Dafür haben mir das Setting und das italienische Flair sehr gut gefallen. Für mein vollkommenes Glück diesbezüglich hat mir nur noch das geheime Familienrezept gefehlt, das letztendlich für die Auflösung gesorgt hat und oft erwähnt wurde.

Bewertung vom 26.06.2023
Das Haus der Füchsin / Eifelfrauen Bd.1
Riebe, Brigitte

Das Haus der Füchsin / Eifelfrauen Bd.1


ausgezeichnet

Die eigenwilligen Frauen der Familie Fuchs

„Lisbeth ist tot. Das Haus Nummer achtzehn wartet auf Sie, soll ich ausrichten.“ (S. 41) An Johannas 21. Geburtstag taucht plötzlich eine Fremde in der Villa ihrer Eltern auf und sagt ihr, dass sie das Haus ihrer bis dato unbekannten Tante in der Eifel geerbt hat. Elisabeth war die jüngste Schwester ihres Vaters und wurde von der gesamten, sehr weitläufigen Familie totgeschwiegen. Gegen den Rat ihrer Eltern fährt Johanna nach Altenburg. Schon bei der ersten Besichtigung fühlt sie sich angekommen. Das kleine Haus mit der blauen Tür und der dazugehörige Hof vermitteln ihr sofort ein Gefühl von Heimat. Außerdem spürt sie eine Verbindung zu Lisbeth und der Füchsin, die nachts ihren Garten besucht, ist sie doch die Personifizierung ihres Nachnamens „Fuchs“. Gegen den Rat ihrer Eltern zieht sie dorthin. „Ich will mich spüren, herausfinden, was mir liegt, was ich möchte. Lisbeths Haus birgt so viele Geheimnisse. Die will ich am liebsten alle ergründen.“ (S. 65)

Johannas Entscheidung spaltet die Familie. Ihre Eltern und ihr Bruder Georg wenden sich von ihr ab, während dessen Zwillingsbruder Christoph und andere Verwandte sie für ihren Mut zum einfachen Leben bewundern und unterstützen.

Das Leben auf dem Dorf ist nicht einfach. Die Einwohner betrachten die „verwöhnte Bürgerstochter“ mit Misstrauen, keiner traut ihr zu, den kleinen Hof, zu dem u.a. auch Hühner, Ziegen und ein Nutzgarten gehören, betreiben zu können. Johanna, die sehr behütet aufgewachsen ist, muss plötzlich einen Haushalt führen. Zum Glück lernt ihre Nachbarin Kätt sie bei allem an. Sie werden Freundinnen und kommen zusammen bald noch einem weiteren Familiengeheimnis auf die Spur.

Johanna wird Lisbeth immer ähnlicher. Beide haben die schützende Hülle ihrer Familie verlassen und ein selbstbestimmtes, freies Leben ohne die Bevormundung eines Vaters oder Ehemanns gewählt. Außerdem ist sie vom ersten Augenblick an von den Tonfiguren und Zeichnungen begeistert, die Lisbeth geschaffen hat. Auch darin eifert sie ihr nach, muss aber lange üben, bis sie den Werkstoff Ton begreifen und in die gewünschten Formen bringen kann. Doch dann feiert sie erste Erfolge als Künstlerin. Durch die Füchsin begegnet sie ihrer großen Liebe und muss feststellen: „Für die Liebe braucht man immer Mut, sonst wird das nichts.“ (S. 172)

Die Geschichte beginnt 1920. Familie Fuchs lebt in dem durch Frankreich besetzten Gebiet und die politischen Ansichten der Einzelnen sind sehr verschieden. Obwohl sie (z.T. konvertierte) jüdische Angehörige haben, schließt sich Georg schon der früh den Nationalsozialisten an und wird ein sehr strammer Verfechter derer Ideologie. Dazu tragen auch die sich rapide verändernde politische und wirtschaftliche Lage (Weltwirtschaftskrise, Inflation) bei.

Brigitte Riebe hat mich wieder von der ersten Seite an in den Bann dieser extrem bewegenden und fesselnden, gut recherchierten Familiengeschichte gezogen. Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen und habe es an nur 2 Tagen verschlungen. Sie beschreibt Johannas Hof, ihr Leben und die Eifel so bildlich, dass das Buch beim Lesen wie ein Film in meinem Kopf mitlief.
Johanna ist eine starke, mutige und unkonventionelle Frau, die für ihr eigenes Glück und das ihrer Wahlfamilie auf vieles verzichtet – aber eben nicht auf Liebe, ihre Freiheit und Unabhängigkeit. 5 Sterne für dieses #lesehighlight.

Bewertung vom 20.06.2023
Der Glukose-Trick - Das Praxisbuch
Inchauspé, Jessie

Der Glukose-Trick - Das Praxisbuch


ausgezeichnet

Der Essig-Trick

Jessie Inchauspé verspricht in ihrem Praxishandbuch ein „Vier-Wochen-Programm gegen Heißhunger und Stimmungstiefs für ein Leben voller Energie“. Ich habe mich zwar nicht sklavisch an die Ernährungsvorschläge gehalten, aber mein Ziel – ich wollte weniger naschen – trotzdem erreicht. Ich hatte vor allem am Nachmittag regelmäßig Appetit auf Süßes und habe dann neben einem Stück Kuchen oder Keksen auch noch Schokolade oder Gummibärchen gegessen und zum frühen Abend oft noch Obst und Gemüse geknabbert. Seit ich ihren Tipp befolge und mittags ein Glas Wasser mit Apfelessig trinke, sind diese Gelüste weg. Ein weiterer positiver Nebeneffekt ist die kühlende und durststillende Wirkung des Getränks bei diesen sommerlichen Temperaturen – und schmecken tut es mir mit dem Apfelessig der Feldmann-Manufaktur auch noch. Außerdem regelt es die Verdauung. Also eine absolute Win-Win-Situation.

Eins vorweg, ist es keine Diät, was die Biochemikerin Jessie Inchauspé entwickelt hat, sondern eine Ernährungsumstellung, um den Blutzucker auszugleichen. Mit den tollen Rezepten im Buch und ihren kleinen Tricks ist es mir problemlos gelungen, innerhalb von 4 Wochen meinen Heißhunger und den „süßen Zahn“ in den Griff zu bekommen.
In der ersten Woche soll man sich an ein herzhaftes Frühstück gewöhnen. Das mache ich schon seit Jahren, ich backe sogar das Sauerteig-Vollkornbrot dafür selber.
In der zweiten Woche kommt der Esslöffel Essig dazu. Man kann ihn wie ich in Wasser oder anderen Getränken zu sich nehmen oder aber beim Kochen, z.B. im Salatdressing, verwenden. Auch dafür sind sehr abwechslungsreiche Rezepte enthalten.
Ab der dritten Woche soll man als Vorspeise zum Mittag- und / oder Abendessen Gemüse essen. Das habe ich jahrelang so gemacht, brauche es dank des Essigs aber nicht mehr, weil ich weniger Appetit habe.
Und auch die Bewegung nach dem Essen, an die man sich in der vierten Woche gewöhnen soll, habe ich Dank meines Hundes die letzten 15 Jahre schon sehr konsequent umgesetzt.
Man sieht also, bei mir hat der Essig-Trick die entscheidende Veränderung bewirkt.

Aber ich habe nicht nur meine „Fressattacken“ in den Griff bekommen, sondern bin auch nicht mehr den ganzen Tag müde, eine Folge meiner Autoimmunerkrankung. Ich mache zwar nachmittags noch ab und an kleines Powernapping, bin danach aber wieder fit. Vor der Umstellung war danach der restliche Tag gelaufen. Auch diverse Nahrungsmittelunverträglichkeiten haben sich schon deutlich gebessert.

Für mich war Jessie Inchauspés Vier-Wochen-Programm ein voller Erfolg!

Bewertung vom 19.06.2023
Lighthouse Bookshop
Gosling, Sharon

Lighthouse Bookshop


ausgezeichnet

Wie ein Licht in dunkler Nacht

… weist der Leuchtturm in Newton Dunbar, mitten in Schottland und weit weg vom Meer, allen Hilfesuchenden und Heimatlosen den Weg zu einem sicheren Ort. Eigentlich betreibt Cullen hier einen Buchladen inkl. Antiquariat, aber er hat auch ein Händchen für verlorene Seelen, bietet ihnen Shortbread und Kaffee und ein Ohr zum Zuhören, ohne sie zum Reden zu drängen. Vor 5 Jahren ist Rachel bei ihm gestrandet, als ihr alter Bulli den Geist aufgab. Cullen hat ihr einen Job und ein rundes Dach über dem Kopf gegeben. Seit kurzem kommt der verletzte Kriegsreporter Toby jeden Tag, um hier in Ruhe seine Memoiren zu schreiben. Fast zeitgleich taucht Gilly im Leuchtturm auf, ein junges Mädchen auf der Suche nach einem trockenen Plätzchen. Zum „Inventar“ gehören auch Cullens Freund Ron, der sich mit ihm erbitterte Schachduelle liefert, und sein Hund Bukowski. Und Edie und Ezra, die zwar direkt nebeneinander wohnen, aber seit 15 Jahren zerstritten sind, ohne dass jemand weiß, warum.
Eines Tages bricht Cullen zusammen, seine letzten Worte an Rachel sind: „In der Decke. Hinter … der Tapete. Wusste nicht, was ich tun sollte. Egoistisch, aber … wollte den Laden behalten …“ (S. 79) Wie soll es jetzt nach seinem Tod weitergehen? Er hat keine Erben und kein Testament gemacht. Sein Anwalt sagt, dass der Turm wahrscheinlich zusammen mit dem restlichen Anwesen verkauft wird. Um das zu verhindern, geht Rachel Cullens Worten nach und entdeckt ein uraltes, wunderschönes und beeindruckendes, aber auch tragisches Geheimnis.

Für Rachel war der Turm das einzige Zuhause, das sie je hatte. Sie erkennt sofort, dass Gilly eine ähnliche Biographie haben muss wie sie, auch wenn sich beide beharrlich weigern, darüber zu reden.
Toby steht vor einem Umbruch, weil ihn mit seiner Verletzung keine Agentur je wieder in ein Krisengebiet schicken wird. Außerdem hat Albträume von dem, was er im Krieg erlebt hat und ist überzeugt, vor Jahren Schuld auf sich geladen zu haben, die er sich nicht vergeben kann.
Edie liebt ihren Blumengarten, den Ezras Ziege regelmäßig zerstört, und die Holzschnitte, die sie anfertigt und die ihren Unterhalt und ihre Unabhängigkeit bedeuten. Als Ezra vor Jahren in das Haus nebenan zog, hatte sich kurz eine Freundschaft und vielleicht auch mehr angebahnt, aber dann ist etwas passiert, über dass sie beide nicht reden, auch nicht miteinander.
Doch so zerstritten sie zum Teil auch sind, sind sie sich auch einig, dass sie den Leuchtturm, den Buchladen und Gilly retten wollen.

Sharon Gosling hat mit dem, was Rachel entdeckt, ein einmaliges Setting und eine zweite Ebene geschaffen, die mir sehr gut gefallen und für extreme Spannung gesorgt hat. Weil Rachel Hilfe braucht, weiht sie Toby in ihre Entdeckung ein und bittet ihn um Unterstützung. Das schweißt sie zusammen, wenn auch nicht so, wie sich Toby insgeheim erhofft.

Schon „Fishergirl´s Luck“ hat mich letztes Jahr verzaubert und auch „Lighthouse Bookshop“ ist ein besonderes, sehr vielschichtiges Buch. Nicht nur der Leuchtturm und sein Standort sind außergewöhnlich, auch die Protagonisten haben alle eine ungewöhnliche Vergangenheit oder ein Geheimnis.
Es ist eine berührende Geschichte von Freundschaft und Liebe, von Hoffnung und (der Suche nach) Heimat, vom Schweigen und Erahnen, vom Zusammenhalt und dass man sich manchmal nur auf seine Stärken besinnen muss.